EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 23.9.2015
COM(2015) 490 final
MITTEILUNG AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN EUROPÄISCHEN RAT UND DEN RAT
Bewältigung der Flüchtlingskrise: operative, haushaltspolitische und rechtliche Sofortmaßnahmen im Rahmen der Europäischen Migrationsagenda
I. Einleitung
Täglich müssen Tausende Menschen ihre Heimat verlassen, um der Gewalt zu entkommen und in ihrem eigenen Land oder im Ausland Zuflucht zu suchen. Das Ausmaß der Vertreibung ist enorm, und da die Konflikte andauern, steigt die Zahl der Betroffenen. Weltweit gibt es fast 60 Millionen Vertriebene – seit dem Zweiten Weltkrieg waren nicht so viele Menschen auf der Flucht vor Konflikten.
Die derzeitige große Zahl an Flüchtlingen, Migranten und Vertriebenen, die an unseren Grenzen ankommen, ist ein Prüfstein für die Europäische Union. In der Europäischen Migrationsagenda vom Mai hat die Kommission dargelegt, dass es eines Gesamtkonzepts für die Migrationssteuerung bedarf. Seither wurden etliche Maßnahmen eingeleitet, darunter die Annahme zweier Notfallregelungen zur Umverteilung von 160 000 Menschen, die internationalen Schutz benötigen, aus den am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten auf andere Mitgliedstaaten der EU. Angesichts der aktuellen Flüchtlingskrise besteht jedoch weiterer dringender Handlungsbedarf.
Mit dieser Mitteilung soll eine Reihe vorrangiger Maßnahmen festgelegt werden, die in den kommenden sechs Monaten ergriffen werden sollen. Dabei müssen kurzfristige Maßnahmen zur Stabilisierung der derzeitigen Lage mit längerfristigen Maßnahmen zur Schaffung eines dauerhaften soliden Systems einhergehen.
Wir fangen dabei nicht bei null an: Wir verfügen bereits über Rechtsvorschriften, finanzielle Mittel und Vorkehrungen, die für die Bewältigung der derzeitigen Situation ausgelegt sind. Das Problem besteht darin, dass sie in vielen Fällen nicht umgesetzt wurden, nicht bekannt sind oder nicht ausreichend genutzt werden.
Die Liste der vorrangigen Maßnahmen (siehe Anhang I) enthält die wichtigsten Maßnahmen, die unverzüglich erforderlich sind: (i) operative Maßnahmen, (ii) Budgethilfe, (iii) die Anwendung des EU-Rechts und (iv) die nächsten legislativen Schritte. Die Kommission führt diese Maßnahmen bereits im Rahmen ihrer Zuständigkeit durch. Erforderlich ist nun ein entsprechendes koordiniertes Vorgehen der Mitgliedstaaten.
Zusammen müssen wir der Welt zeigen, dass die Union in der Lage ist, diese Krise zu bewältigen. Damit dies gelingt, müssen alle Mitgliedstaaten ihren Teil dazu beitragen, dass das Gleichgewicht zwischen Solidarität und Verantwortung aufrechterhalten wird.
II. Bisherige Massnahmen
In der Europäischen Migrationsagenda vom Mai wurde dargelegt, dass es eines Gesamtkonzepts für die Migrationssteuerung bedarf: Dabei geht es um die Bewältigung der akuten Krise, aber auch um Maßnahmen innerhalb und außerhalb der EU, um neue Wege zu finden, unsere Verpflichtungen gegenüber den Schutzbedürftigen zu erfüllen und den am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten zu helfen, um die Verpflichtungen der EU und der Völkergemeinschaft im Bereich zu Asyl einzuhalten, um diejenigen, die keinen Schutz benötigen, in ihre Heimatländer zurückzuführen, um unsere Außengrenzen zu verwalten, um die Ursachen zu beseitigen, die Menschen überhaupt dazu bringen, sich auf gefährliche Reisen nach Europa zu begeben, sowie um eine Prüfung der langfristigen Notwendigkeit der legalen Migration nach Europa.
Die Agenda folgt der parallelen Logik des Gleichgewichts zwischen Verantwortung und Solidarität. Das bedeutet, dass alle Mitgliedstaaten Unterstützung anbieten müssen, und es bedeutet auch, dass die Mitgliedstaaten, die am meisten unter Druck stehen, sich an allererster Stelle darum kümmern müssen, geordnete Abläufe wiederherzustellen. Diese beiden Aspekte müssen verbessert werden, wenn wir die Situation wieder stabilisieren wollen.
Die Umsetzung der Agenda hat begonnen.
Die Mitgliedstaaten haben Solidarität bewiesen und vereinbart, dass 160 000 Menschen, die eindeutig internationalen Schutz benötigen, aus den am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten auf andere Mitgliedstaaten der EU umverteilt werden.
Wir haben EU-Mittel zur Unterstützung der am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten mobilisiert und zusätzlich zu den 7 Mrd. EUR, die im Rahmen der mehrjährigen Finanzplanung für den Zeitraum 2014-2020 zugewiesen wurden, um die Anstrengungen im Bereich Migration, Flüchtlinge und Grenzmanagement zu verstärken, Soforthilfe in Höhe von über 75 Mio. EUR bereitgestellt.
Wir haben unsere Präsenz auf See verdreifacht, indem wir die Ressourcen und Mittel für die gemeinsamen Frontex-Einsätze „Poseidon“ und „Triton“ auf das Dreifache aufgestockt haben. 29 Mitgliedstaaten und assoziierte Schengen-Staaten nehmen an den von Frontex koordinierten gemeinsamen Operationen in Italien, Griechenland und Ungarn teil. Mehr als 122 000 Menschenleben sind seitdem gerettet worden. Jedes verlorene Leben ist eines zu viel, doch wir retten jetzt wesentlich mehr Menschen als zuvor. Die Zahl der aus Seenot Geretteten hat sich um 250 % erhöht.
Wir haben unsere Anstrengungen verdoppelt, um gegen Schleuser vorzugehen und Menschenhändlerringe zu zerschlagen, insbesondere durch die Marineoperation EUNAVFOR MED. Das hat die Verfügbarkeit von Schiffen stark eingeschränkt und dazu geführt, dass weniger Menschen ihr Leben in maroden, seeuntüchtigen Booten aufs Spiel setzen. In der Folge hat sich die Zahl der Menschen, die über die zentrale Mittelmeerroute gekommen sind, bei rund 115 000 im Monat August stabilisiert. Das entspricht der Zahl vom Vorjahr.
Die EU leistet in Syrien Hilfe vor Ort für die Bevölkerung, insbesondere für Binnenflüchtlinge, und unterstützt die Nachbarländer, die die meisten Flüchtlinge beherbergen, finanziell. Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten haben bislang 3,9 Mrd. EUR an humanitärer sowie an Entwicklungs-, Wirtschafts- und Stabilisierungshilfe bereitgestellt, die der syrischen Bevölkerung im eigenen Land sowie Flüchtlingen und deren Aufnahmegemeinden in den Nachbarstaaten Libanon, Jordanien, Irak, Türkei und Ägypten zugutekommt. Die Europäische Kommission hat außerdem beschlossen, 1,8 Mrd. EUR aus finanziellen Mitteln der EU für einen Notfall-Treuhandfonds zur Unterstützung der Stabilität und zur Bekämpfung der Ursachen von irregulärer Migration und Binnenvertreibungen in Afrika bereitzustellen.
Wir haben uns gemeinsam dazu verpflichtet, im nächsten Jahr mehr als 22 000 Menschen von außerhalb Europas neu anzusiedeln und Solidarität mit unseren Nachbarn zu üben. Einzelne Mitgliedstaaten haben auch bilaterale Neuansiedlungszusagen angekündigt.
Europa hat in den letzten Monaten entschlossen reagiert. Angesichts der aktuellen Flüchtlingskrise besteht jedoch weiterer dringender Handlungsbedarf. Für eine dauerhafte Lösung der Krise bedarf es eines wesentlichen Wandels in der Migrationspolitik der Union. Nur so können gesicherte Grenzen, faire Verfahren sowie ein System gewährleistet werden, mit dem sich Probleme antizipieren lassen.
Zentrale Maßnahmen, die bereits ergriffen wurden
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Zu den Maßnahmen, die im Rahmen der Europäischen Migrationsagenda bereits ergriffen wurden, zählen folgende:
Verdreifachung der Ressourcen und Mittel zur Gewährleistung einer Präsenz auf See im Rahmen der gemeinsamen Frontex-Einsätze Poseidon und Triton
Verdopplung der Soforthilfe für die am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten
Maßnahmen gegen Schleuser haben die Verfügbarkeit von Schiffen stark eingeschränkt: Die Zahl der Migranten, die über die zentrale Mittelmeerroute gekommen sind, sank im August 2015 wieder auf das Niveau von 2014.
Die Umverteilung von Personen, die internationalen Schutz benötigen und bereits in der EU sind, kann rasch beginnen, nachdem die Umverteilung von 160 000 Menschen in diesem Jahr vereinbart wurde.
Ferner laufen Arbeiten mit dem UNHCR zur Umsiedlung von 22 000 Flüchtlingen, die sich noch außerhalb der EU befinden, in Mitgliedstaaten.
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III. Vorrangige Massnahmen für die kommenden sechs Monate
Am dringlichsten müssen diejenigen Mitgliedstaaten unterstützt werden, die außergewöhnlich große Flüchtlingsströme in ihrem Hoheitsgebiet zu bewältigen haben.
Dazu muss sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU gehandelt werden. Innerhalb der EU müssen diejenigen Mitgliedstaaten, die am stärksten unter Druck stehen, unterstützt werden durch Anwendung der Verfahren, finanzielle und technische Hilfe, eine Verringerung des Drucks durch einen gerechten Umverteilungsmechanismus und die Stärkung unserer gemeinsamen Grenze. Außerhalb der EU müssen Bedingungen geschaffen werden, unter denen Flüchtlinge in der Nähe ihrer Heimat bleiben können. Dafür müssen wir unsere Partnerschaften mit den Nachbarstaaten, die vorübergehenden Schutz bieten, und den wichtigsten Transitländern ausbauen, die erforderlichen finanziellen Mittel für das UNHCR, das Welternährungsprogramm und andere einschlägige Organisationen bereitstellen, die Bekämpfung von Menschenhändlern und Schleusern intensivieren und die diplomatischen Bemühungen in den gravierendsten Krisen wie in Syrien verstärken.
III.1 Operative Massnahmen
Die Unterstützung von Mitgliedstaaten in Not steht im Mittelpunkt der vom Rat in den letzten Tagen vereinbarten Regelung zur Umverteilung von 160 000 Menschen, die internationalen Schutz benötigen. Diese wird dafür sorgen, dass der Druck auf die am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten zwar nicht vollständig verschwindet, aber stark nachlässt. Alle Mitgliedstaaten müssen nun vorrangig nationale Kontaktstellen für die Umverteilung benennen, damit die Antragsteller, die für eine Umsiedlung in einen bestimmten Mitgliedstaat in Frage kommen, schnell ermittelt und überstellt werden können. Die Vorschriften zur Verhinderung von Sekundärmigration, die sicherstellen sollen, dass Flüchtlinge nach ihrer Umsiedlung dort bleiben, wo sie sind, werden auch Investitionen seitens der Mitgliedstaaten erfordern.
Die unmittelbarste praktische Unterstützung wird durch Teams zur Unterstützung der Migrationssteuerung an „Hotspots“ (Bereiche an den Außengrenzen, die mit einem unverhältnismäßigen Migrationsdruck konfrontiert sind) geleistet (siehe Anhang II). Diese Unterstützungsteams werden unmittelbaren Einfluss auf den wichtigsten Punkt der Kette haben und dort eingreifen, wo eine wirksame Steuerung der Migration allein schon aufgrund der Zahl der ankommenden Flüchtlinge den am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten unmöglich erscheint. Mitarbeiter von EU-Agenturen und anderen EU-Mitgliedstaaten werden helfen, Migranten bei der Einreise in die EU zu identifizieren, zu überprüfen und zu registrieren. Dies ist der erste Schritt im Hinblick auf eine sichere Zukunft für diejenigen, die Schutz benötigen, und eine frühe Gelegenheit, diejenigen zu ermitteln, die in ihre Heimatländer zurückgeführt werden sollten. Das Netz der beteiligten EU-Agenturen wird auch die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Schleusern und der Ermittlung von Verdächtigen verbessern und neue Ermittlungen unterstützen. Die Unterstützungsteams können nur partnerschaftlich mit den nationalen Behörden zusammenarbeiten. Nur nationale Behörden können gut funktionierende Aufnahmeinfrastrukturen einrichten (mit der finanziellen Unterstützung der EU) und verwalten, die Richtung vorgeben und die Verbindungen zu den wichtigsten Akteuren wie lokalen Behörden, sozialen Diensten, den Strafverfolgungsbehörden und den Leitern von Aufnahmeeinrichtungen herstellen. Frontex, das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO), Europol und Eurojust können ihr Fachwissen einbringen, die direkte Kommunikation zwischen den Mitgliedstaaten erleichtern und eine besondere Rolle bei der Koordinierung von Rückführungsmaßnahmen spielen. Italien und Griechenland müssen nun vorrangig ihre Fahrpläne für die Umverteilungsmaßnahmen und die Hotspot-Unterstützungsteams fertigstellen, mit der Umsetzung dieser Fahrpläne beginnen und für eine geeignete Aufnahmeinfrastruktur sorgen.
Ein weiterer Aspekt der operativen Unterstützung sind nach wie vor die gemeinsamen Frontex-Einsätze Triton und Poseidon. Sie sind ein Beispiel für wirksame Solidarität, das ausgeweitet und wiederholt werden muss, und die Mitgliedstaaten sollten rasch und aktiv auf die Ersuchen von Frontex um Bereitstellung weiterer Ausrüstung und weiterer Experten reagieren. Den Mitgliedstaaten stehen zu diesem Zweck verschiedene Mechanismen zur Verfügung, doch wurden diese nicht in vollem Umfang genutzt.
Das EU-Katastrophenschutzverfahren kann von einem Mitgliedstaat aktiviert werden, wenn dieser sich von einer Krise überfordert fühlt. Durch das Verfahren können verschiedene Arten von Hilfe in Form von Sachleistungen einschließlich Modulen (Teams und Ausrüstung), Unterkünften, medizinischer Versorgung und sonstiger Hilfsgüter sowie Fachwissen mobilisiert werden. Die teilnehmenden Staaten stellen die Hilfe bereit, und die Kommission kann die Beförderung von Hilfsgütern und Experten in das betreffende Land kofinanzieren. Im Jahr 2015 wurde das EU-Katastrophenschutzverfahren zweimal zur Unterstützung Ungarns und einmal zur Unterstützung Serbiens aktiviert, um den dringenden Bedarf zu decken, der infolge eines noch nie da gewesenen Zustroms von Flüchtlingen und Migranten entstand.
Die Mitgliedstaaten können um Entsendung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke ersuchen, die bei plötzlichem oder außergewöhnlichem Migrationsdruck unmittelbare Unterstützung beim Grenzschutz leisten (siehe Anhang III). Im Rahmen dieses Verfahrens kann während eines begrenzten Zeitraums operative Unterstützung geleistet werden. Frontex finanziert nationale technische und personelle Ressourcen der Mitgliedstaaten und sorgt für deren Bereitstellung. Das Verfahren wurde nur einmal aktiviert, und zwar von Griechenland im Jahr 2010, als die griechisch-türkische Landgrenze von einem erheblichen Anstieg der Zahl der ankommenden Personen betroffen war. Während des Einsatzes unterstützten jede Woche an die 200 gut ausgebildete abgestellte Beamte aus 26 Mitgliedstaaten ihre griechischen Kollegen bei der Kontrolle der Grenzgebiete sowie bei der Identifizierung der aufgegriffenen irregulären Zuwanderer. Der erfolgreiche Einsatz an der griechisch-türkischen Grenze stabilisierte die Lage und führte zu einer Senkung der Zahl der ankommenden Personen im Vergleich zu den Höchstständen 2010.
In den letzten Wochen haben einige Mitgliedstaaten von der im Schengener Grenzkodex vorgesehenen vorübergehenden Wiedereinführung von Grenzkontrollen Gebrauch gemacht. Diese kann in außergewöhnlichen Krisensituationen gerechtfertigt sein. Allerdings kann es sich dabei immer nur um eine kurzfristige Maßnahme handeln, bevor die Lage stabilisiert wird. Sie sollte die Dringlichkeit signalisieren, mit der alle handeln müssen, damit der normale Prozess der Migrationssteuerung so schnell wie möglich wiederhergestellt wird. Sollten diese Maßnahmen verlängert oder zusätzliche Maßnahmen beantragt werden, wird die Kommission ihre Lagebeurteilung formalisieren und eine Stellungnahme auf der Grundlage des Schengener Grenzkodexes abgeben. Die vollständige Umsetzung der Umverteilungsregelung und der Unterstützungsteams an Hotspots dürfte dafür sorgen, dass die Kontrollen im kommenden Monat aufgehoben werden können.
Ferner sollte die EU unverzüglich die diplomatische Offensive verstärken, die Gegenstand der kürzlich veröffentlichten gemeinsamen Mitteilung über die Rolle des auswärtigen Handelns der EU bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise in Europa ist. Im Mittelpunkt steht hierbei ein ausgewogener Ansatz, bei dem die Erwartungen der EU in Bezug auf Unterstützung von Seiten der Partner bei der Bewältigung der Migrationsproblematik herausgestellt werden und gleichzeitig die Unterstützung und Zusammenarbeit, die die EU zur Unterstützung dieser Bemühungen bieten kann, verstärkt werden.
Der Migrationsgipfel, der am 11.-12. November 2015 in Valletta stattfindet, wird ein guter Anlass sein, um die neue Priorität der Migrationsproblematik in den Beziehungen der EU zu den afrikanischen Partnern darzulegen. Die EU hat bereits ihre Anstrengungen für die Vorbereitung des Gipfels in Zusammenarbeit mit allen betroffenen Partnern und internationalen Organisationen verstärkt. Die Einrichtung des Notfall-Treuhandfonds zur Unterstützung der Stabilität und zur Bekämpfung der Ursachen von irregulärer Migration und Binnenvertreibungen in Afrika mit einem Startkapital in Höhe von 1,8 Mrd. EUR hat bereits spürbar zum Ausdruck gebracht, welchen Beitrag die EU leisten wird. Dies kann Teil einer wechselseitigen Partnerschaft sein, die den Zustrom von Migranten aus Afrika verlangsamen und die Rückkehr von Personen, die keinen Anspruch auf internationalen Schutz haben, fördern soll.
Auf der hochrangigen Konferenz zur Westbalkanroute, die parallel zur Tagung des Rates Justiz und Inneres am 8. Oktober 2015 stattfinden soll, wird über die gemeinsame Aufgabe gesprochen werden, die derzeitigen Belastungen in den Griff zu bekommen und die Stabilität bei der Steuerung der Migration über die Westbalkanroute wiederherzustellen. Die finanziellen Mittel, die die EU für den westlichen Balkan bereitstellt, verdeutlichen die Entschlossenheit der EU, die benachbarten Partnerländer, die vor einer enormen und sich schnell ändernden Herausforderung stehen, zu unterstützen. Dies geht weit über die humanitäre Hilfe für Flüchtlinge hinaus – von zentraler Bedeutung ist ebenfalls die Unterstützung beim raschen Aufbau von Kapazitäten in den Bereichen Migrationssteuerung und Schleuserbekämpfung.
Im Rahmen der EU-Strategie sollte eine neue operative Zusammenarbeit entwickelt werden, damit die Kenntnisse und Fertigkeiten, die innerhalb der EU entwickelt und gebündelt werden, in zunehmendem Maße mit Partnern außerhalb der EU ausgetauscht werden. Instrumente wie gemeinsame Expertengruppen, Verwaltungsvereinbarungen und der Informationsaustausch sollten zunehmend verwendet werden, um Kontakte zwischen Strafverfolgungsbehörden und für Migrationssteuerung zuständigen Stellen innerhalb der EU und in benachbarten Partnerländern herzustellen, unter anderem im Zusammenhang mit der Rückführung und Rückübernahme. Frontex, das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen, Europol und Eurojust – sie alle haben dabei eine Rolle zu spielen.
Die Flüchtlingskrise ist eine globale Krise, und die EU sollte sowohl einen Beitrag zu den globalen Bemühungen leisten als auch diese fördern. Das bedeutet eine enge Zusammenarbeit mit den wichtigsten internationalen Organisationen wie dem UNHCR, dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und dem Roten Kreuz. Die EU verstärkt bereits ihre Zusammenarbeit mit dem UNHCR. Die Zusammenarbeit sollte auch in Dialogen mit strategischen Partnern und regionalen Akteuren wie den Golfstaaten zu einer absoluten Priorität werden.
Erforderliche zentrale Maßnahmen in den nächsten sechs Monaten
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Vollständige Anwendung der Umverteilungsregelung und Einsatz von Teams zur Unterstützung der Migrationssteuerung an Hotspots
Nutzung der vorhandenen Maßnahmen von Seiten der Mitgliedstaaten durch Aktivierung des Katastrophenschutzverfahrens und den Einsatz von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke
Normalisierung des Schengen-Raums und Aufhebung der vorübergehenden Binnengrenzkontrollen
Verstärkung der diplomatischen Offensive und Intensivierung der Zusammenarbeit mit Drittstaaten
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III.2 Budgethilfe
Die finanzielle Unterstützung wird unverzüglich ausgebaut. Die im Rahmen des EU-Haushalts verfügbare Soforthilfe in den Bereichen Asyl, Migration und Grenzkontrolle wurde in diesem Jahr schon auf insgesamt 73 Mio. EUR verdoppelt. Auf diese Weise konnte direkte und unmittelbare Unterstützung in der Krise geleistet werden (siehe Anhang IV). Im Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) und des Fonds für die innere Sicherheit (ISF) wurden beispielsweise Italien und Griechenland in diesem Jahr Soforthilfen in Höhe von über 19 Mio. EUR bzw. rund 5 Mio. EUR gewährt, und neue Soforthilfeanträge werden zurzeit bearbeitet. In der vergangenen Woche wurden Ungarn 4 Mio. EUR gewährt, so dass Ungarn in diesem Jahr bereits über 5 Mio. EUR an Soforthilfe erhalten hat. Berücksichtigt man die in Bearbeitung befindlichen Anträge, so sind die entsprechenden Mittel bereits ausgeschöpft. Die Kommission wird in der nächsten Woche vorschlagen, diesen Posten für 2015 nochmals um 100 Mio. EUR aufzustocken.
Hinzu kommen die umfangreichen Beträge (über 300 Mio. EUR), die im Jahr 2015 als Vorfinanzierung im Rahmen der mehrjährigen Mittel für die Bereiche Migration und Grenzen freigegeben wurden. In der vergangenen Woche hat Griechenland eine erste Tranche in Höhe von 33 Mio. EUR erhalten, und Italien erhielt im August 39,2 Mio. EUR.
Dies zeigt, dass durchaus Mittel verfügbar sind, doch um diese zügig bereitstellen zu können, bedarf es der Mitwirkung zahlreicher Regierungsstellen und eines durchdachten Vorgehens, damit in möglichst kurzer Zeit eine maximale Wirkung erzielt werden kann. Eine denkbare Lösung wäre beispielsweise, anstatt auf die Errichtung von traditionellen Aufnahmekapazitäten zu setzen, so rasch wie möglich bestehende öffentliche oder private Gebäude zu nutzen.
Die EU-Agenturen spielen eine wichtige Rolle bei der Gewährleistung der Zusammenarbeit und der optimalen Nutzung des verfügbaren Fachwissens. Sie sollen nun vor Ort wesentlich aktiver sein als ursprünglich geplant. Die in migrationsbezogenen Bereichen tätigen EU-Agenturen benötigen daher weitere umfangreiche Ressourcen. Die Kommission wird deshalb in der nächsten Woche vorschlagen, das Personal der drei wichtigsten EU-Agenturen um insgesamt 120 zusätzliche Stellen aufzustocken (60 Stellen für Frontex, 30 für das EASO und 30 für Europol). Die Kosten dafür belaufen sich für das Jahr 2015 auf 1,3 Mio. EUR, und die betreffenden Mittel sollen auch noch im Jahr 2015 zur Verfügung gestellt werden. Eine weitere Verlängerung des Mandats der drei Agenturen würde weitere sofortige Finanzmittel erfordern.
Die Kommission beabsichtigt, Vorschläge vorzulegen, durch die die Mittel für die Bereiche Migration und Grenzen im Jahr 2016 um insgesamt 600 Mio. EUR erhöht würden. Diese Mittel kämen zu den 780 Mio. EUR hinzu, die für den Umsiedlungsmechanismus für Krisensituationen vorgesehen sind. Diese zusätzlichen Mittel sollen zur Unterstützung der Hotspots und der am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten sowie zur Vorfinanzierung der Umsiedlungshilfen für die Mitgliedstaaten und zur Stärkung der operativen Möglichkeiten der Agenturen dienen. Sie werden, was den unmittelbaren Unterstützungsbedarf in den Bereichen Migrationssteuerung, Aufnahme, Rückführung, Rückkehr und Grenzkontrollen anbelangt, eine spürbare Wirkung entfalten.
Vorrang jedoch muss die Aufstockung der unzureichenden Mittel für die Krise in Syrien haben. Diese fehlenden Mittel sind zum Teil die unmittelbare Ursache für den verstärkten Zustrom von Flüchtlingen im östlichen Mittelmeerraum, wobei die Krise zum Teil aber auch auf eine gewisse „Gebermüdigkeit“ zurückzuführen ist. Wenn wir ernsthaft dafür sorgen wollen, dass die meisten Flüchtlinge ihrer Heimat so nahe wie möglich bleiben können, müssen wir unsere Mittel erhöhen. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen beläuft sich der unerfüllte Bedarf an humanitärer Hilfe für die Krise in Syrien im Jahr 2015 auf 4 Mrd. EUR.
Lediglich 38 % der benötigten Mittel stehen zur Verfügung, was dramatische Auswirkungen hat. UNICEF-Berichten zufolge waren in den letzten Monaten bis zu fünf Millionen Menschen - davon die Hälfte Kinder - erheblichen Engpässen bei der Wasserversorgung und somit einem erhöhten Erkrankungsrisiko ausgesetzt. Die EU und die Mitgliedstaaten sollten sich verpflichten, mindestens die Hälfte der noch fehlenden Mittel bereitzustellen.
Das Welternährungsprogramm, das Rote Kreuz, die Weltgesundheitsorganisation und andere Partner beklagen massive Ausfälle und Unterbrechungen der Lieferkette für die Nahrungs- und Gesundheitsversorgung. Die meisten EU-Mitgliedstaaten haben ihre Beiträge zum Welternährungsprogramm verringert, einige von ihnen um bis zu 100 % (siehe Anhang V). Berichten des UNHCR zufolge wurde bereits die Nahrungsmittelhilfe für 1,6 Millionen Flüchtlinge gekürzt. Trotz enormer Anstrengungen der EU und anderer Geber können 750 000 Kinder nicht zur Schule gehen. Infolge der Finanzierungslücke laufen zudem 70 000 Schwangere Gefahr, unter unsicheren Umständen entbinden zu müssen. Angesichts dessen kann es kaum überraschen, dass viele Flüchtlinge zu dem Schluss gelangen, dass die Gefahren einer Reise nach Europa nicht länger die Risiken eines Verbleibs in ihrer Heimat aufwiegen. Die Kommission ersucht die Mitgliedstaaten, die Mittel für die Nahrungsmittelhilfe im Rahmen des Welternährungsprogramms auf das Niveau von 2014 zurückzuführen, um die Versorgung der syrischen Flüchtlinge zu stabilisieren. Die Kommission wird die humanitäre Soforthilfe und die Katastrophenschutzressourcen für das Jahr 2015 um 200 Mio. EUR für Anfragen des UNHCR und des Welternährungsprogramms sowie anderer einschlägiger Organisationen aufstocken, damit Flüchtlingen sofortige Hilfe geleistet werden kann.
In einer sich rasch wandelnden Situation ist Flexibilität von zentraler Bedeutung. Die humanitäre Hilfe ist eines der schnellsten und flexibelsten Instrumente, die der EU zur Verfügung stehen. Gemessen an der im Haushaltsentwurf vorgeschlagenen Höhe werden diese Mittel im Jahr 2016 um zusätzliche 300 Mio. EUR aufgestockt. Angesichts des Wandels der Jahreszeiten ist es von wesentlicher Bedeutung, dass sich die EU die Fähigkeit bewahrt, auf Aufrufe von Nichtregierungsorganisationen (NRO) oder Agenturen der Vereinten Nationen zu gezielten Soforthilfemaßnahmen entsprechend reagieren zu können.
Eines der wirksamsten Instrumente zur Unterstützung syrischer Flüchtlinge ist der Regionale Treuhandfonds der Europäischen Union als Reaktion auf die Syrien-Krise („Madad-Fonds“ - siehe Anhang VI). Als Startfinanzierung hat die EU bislang 38 Mio. EUR zu dem Fonds beigetragen, und sie plant weitere größere Beiträge noch in diesem Jahr und darüber hinaus. Italien hat 3 Mio. EUR beigetragen. Deutschland hat 5 Mio. EUR zugesagt. Die EU bereitet zurzeit weitere Beiträge in Höhe von insgesamt 100 Mio. EUR bis Ende 2015 vor. Somit werden also allein im ersten Jahr rund 150 Mio. EUR für den Treuhandfonds bereitgestellt werden. Angesichts des Bedarfs vor Ort und einer beeindruckenden Liste geplanter Projekte mit einem Gesamtvolumen von bereits 440 Mio. EUR sind jedoch noch viel mehr Mittel erforderlich. Ein klares langfristiges Engagement für den Treuhandfonds wäre ein deutliches Signal an die Flüchtlinge und die internationale Staatengemeinschaft, dass diese sich auf die Unterstützung von Seiten der EU verlassen können. Die Kommission wird nächste Woche vorschlagen, das Europäische Nachbarschaftsinstrument (ENI) noch im Jahr 2015 um 300 Mio. EUR aufzustocken, um die Mittel des Madad-Fonds zu erhöhen und Drittländern zu helfen, die Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen. Im Zusammenspiel mit einer weiteren Neuausrichtung des Heranführungsinstruments werden die EU-Mittel für den Treuhandfonds in dieser Phase also ein Gesamtniveau von über 500 Mio. EUR erreichen.
Von den Mitgliedstaaten wird ein Beitrag in gleicher Höhe erwartet. Die Mittelausstattung des Fonds würde sich somit auf insgesamt mindestens 1 Mrd. EUR belaufen. Dies wäre ein wichtiges, weltweit sichtbares Zeichen für das Engagement der EU, syrischen Flüchtlingen zu helfen.
Seit vielen Jahren hat sich Druck auf die Türkei, den Libanon und Jordanien aufgebaut, da Millionen von Menschen aus Syrien geflohen sind. Zweifelsohne haben die tieferen Ursachen schon seit langem Bestand. Die Bewältigung der politischen Wirren ist eine komplexe Aufgabe, doch wir müssen unsere Anstrengungen deutlich verstärken. Die EU arbeitet bereits eng mit ihren Nachbarn zusammen, um diesen dabei zu helfen, die Herausforderungen der Migration zu bewältigen:
In der Türkei wurden bereits 176 Mio. EUR für migrationsbezogene Maßnahmen (darunter Direkthilfen für Flüchtlinge) bereitgestellt. Die EU führt gegenwärtig Gespräche mit der Türkei über eine Umschichtung der von der EU zugewiesenen Mittel mit dem Ziel, im Zeitraum 2015-2016 insgesamt 1 Mrd. EUR für eine von der Infrastrukturunterstützung über Maßnahmen zur Förderung des Gesundheitswesens bis hin zu Schulunterricht für Flüchtlingskinder in deren Muttersprache reichende Palette von Maßnahmen bereitzustellen. Damit schnell geholfen werden kann, wird ein erheblicher Teil dieser Finanzierung über den Madad-Treuhandfonds laufen. Parallel zu dieser umfangreichen finanziellen Unterstützung hat die Kommission einen umfassenden Dialog mit der Türkei über sämtliche Aspekte der Migration eingeleitet, darunter die Bereiche Registrierung, Rückübernahme, Rückführung und Rückkehr, in denen die Türkei wirksamer vorgehen muss. Der zwischen der EU und der Türkei vereinbarte Aktionsplan zum Thema Migration sollte unverzüglich fertiggestellt werden.
In Serbien und in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien hat der unerwartete Zustrom von Zehntausenden von Flüchtlingen aus Ländern außerhalb der Region einen starken Druck auf die Infrastruktur verursacht. Während die oberste Priorität darin besteht zu vermeiden, dass sich dies zu einer mehr als kurzfristigen Situation entwickelt, benötigen diese Länder zweifelsfrei zweierlei Unterstützung: Hilfe und Beratung beim Aufbau von Kapazitäten für Migrationssteuerung und Flüchtlingshilfe sowie sofortige Hilfe für die Bewältigung des Flüchtlingszustroms auf ihrem Hoheitsgebiet. Für die Verbesserung der Aufnahmezentren und der Grenzkontrollen sind von der EU bereits 78 Mio. EUR bereitgestellt worden. Darüber hinaus wurden seit Juli 1,7 Mio. EUR an humanitärer Hilfe bereitgestellt. Zurzeit wird von der Kommission ein weiteres Hilfspaket mit einem Volumen von 17 Mio. EUR geschnürt, denn es ist unwahrscheinlich, dass der Zustrom von Flüchtlingen aus dem Westbalkan auf kurze Sicht aufhören wird.
Der Notfall-Treuhandfonds zur Unterstützung der Stabilität und zur Bekämpfung der Ursachen von irregulärer Migration und Binnenvertreibungen in Afrika wird gezielt Unterstützung für die Beseitigung struktureller Schwächen der Migrationssteuerung leisten. Der Treuhandfonds wird Maßnahmen zur Bewältigung der Krisen in der Sahelzone und in der Tschadseeregion, am Horn von Afrika und in Nordafrika unterstützen. Auf diese Weise soll die Stabilität in diesen Regionen gefördert und die Steuerung der Migration verbessert werden. Bisher haben allerdings erst zwei Mitgliedstaaten bestätigt, dass sie einen Beitrag zu den von der EU bereitgestellten 1,8 Mrd. EUR sowie weitere Beiträge leisten werden. Von den Mitgliedstaaten wird ein Beitrag in Höhe des EU-Beitrags erwartet.
Die Dominanz der Migrationsproblematik unterstreicht zu Recht die Notwendigkeit, die zentrale EU-Finanzierung für diese Frage zu verstärken. Allerdings gibt es bereits eine Vielzahl von Möglichkeiten für eine finanzielle oder operative Unterstützung, von denen die Mitgliedstaaten im Notfall Gebrauch machen können. In Fällen, in denen dafür eine Umgestaltung bestehender Pläne erforderlich ist, soll gerade dies den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnen, auf Umstände wie die Flüchtlingskrise zu reagieren. Es besteht dringender Bedarf an mehr Flexibilität innerhalb des mehrjährigen Finanzrahmens, damit knappe finanzielle Ressourcen zu diesen vorrangigen Bereichen umgeschichtet werden können. Die Strukturfonds können trotz ihrer langfristigen Ausrichtung dazu herangezogen werden, mit Hilfe von Integrationsmaßnahmen (z.B. für den Spracherwerb) oder Maßnahmen zur Kofinanzierung wichtiger Infrastrukturen (z.B. Wohnungsbau, soziale Infrastrukturen sowie - in Notsituationen - Aufnahmezentren) der Migrationsproblematik Herr zu werden. Zudem ist eine kurzfristige Finanzierungsmöglichkeit verfügbar: Der mit insgesamt 3,8 Mrd. EUR für den Zeitraum 2014-2020 ausgestattete Europäische Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen wird bereits für die Unterstützung von Migranten und Flüchtlingen in Belgien, Spanien und Schweden herangezogen. Mit den Mitteln des Fonds können vom ersten Tag an Lebensmittel und Kleidung sowie Maßnahmen für eine frühzeitige Eingliederung von Asylbewerbern finanziert werden. Dafür müssen die Mitgliedstaaten jedoch bereit sein, bestehende Pläne umzugestalten und auf neue vorrangige Ziele auszurichten.
Erforderliche zentrale Maßnahmen in den nächsten sechs Monaten
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Aufstockung der Soforthilfe für die am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten um 100 Mio. EUR für das Jahr 2015
Ausstattung der drei wichtigsten EU-Agenturen mit 120 zusätzlichen Stellen ab 2015
Aufstockung der Soforthilfe für die am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten und der Mittel für Frontex, das EASO und Europol um 600 Mio. EUR für 2016
Rückführung der Mittel für die Nahrungsmittelhilfe im Rahmen des Welternährungsprogramms auf das Niveau von 2014 und Bereitstellung zusätzlicher EU-Mittel in Höhe von 200 Mio. EUR für humanitäre Hilfe zur direkten Unterstützung von Flüchtlingen im Jahr 2015
Aufstockung der humanitären Hilfe um 300 Mio. EUR im Jahr 2016 zur Deckung lebenswichtiger Bedürfnisse von Flüchtlingen wie Nahrung und Unterkunft
Unterstützung des Treuhandfonds für Syrien mit bis zu über 500 Mio. EUR aus dem EU-Haushalt und mit von den Mitgliedstaaten erwarteten Beiträgen in gleicher Höhe
Umschichtung der EU-Mittel für flüchtlingsbezogene Maßnahmen der Türkei (bis zu 1 Mrd. EUR) und Bereitstellung von 17 Mio. EUR für Serbien und die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien
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III.3 Anwendung des EU-Rechts
Die Europäische Migrationsagenda beruht auf dem einfachen Grundsatz, Migranten, die internationalen Schutz benötigen, zu helfen, und Migranten, die in der EU nicht aufenthaltsberechtigt sind, zurückzuführen. Zur Umsetzung dieser europäischen Migrationspolitik ist es von entscheidender Bedeutung, dass alle Mitgliedstaaten die jüngst auf EU-Ebene vereinbarten gemeinsamen Vorschriften über Asyl und irreguläre Migration vollständig anwenden.
Seit den frühen 2000er Jahren hat die Kommission eine Reihe von Legislativvorschlägen zur Schaffung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (siehe Anhang VII) vorgelegt. Parlament und Rat haben diese Rechtsvorschriften Stück für Stück verabschiedet.
Wir verfügen nun europaweit über gemeinsame Normen für die Aufnahme von Asylsuchenden, für einen würdevollen Umgang mit ihnen sowie für die Bearbeitung der Asylanträge, und wir haben gemeinsame Kriterien, anhand deren unsere unabhängigen Justizsysteme bestimmen können, ob eine Person Anspruch auf internationalen Schutz hat.
Fünf verschiedene Rechtsakte bilden den Kern des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (die Dublin-Verordnung, die Asylverfahrensrichtlinie, die Anerkennungsrichtlinie, die Richtlinie über Aufnahmebedingungen und die Eurodac-Vorschriften über die Abnahme von Fingerabdrücken). Die letzten dieser noch jungen Rechtsvorschriften sind erst im Juli 2015 in Kraft getreten.
Die EU-Vorschriften in diesem Bereich werden nur mangelhaft angewandt. Die Kommission ist entschlossen, alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um zu gewährleisten, dass die Asyl- und Migrationsvorschriften der EU umgesetzt und durchgesetzt werden. Zu diesem Zweck leitet sie heute mit 40 neuen Beschlüssen eine weitere Reihe von Vertragsverletzungsverfahren ein (siehe Anhang VII). Die mangelhafte Umsetzung bestehender Rechtsvorschriften in Bereichen wie Aufnahmebedingungen, Abnahme von Fingerabdrücken und Rückführung hat zu einer Verschärfung der diesjährigen Krise beigetragen.
Besonderes Augenmerk muss Griechenland gelten, damit sich die Lage schnellstmöglich normalisiert und innerhalb der kommenden sechs Monate das Dublin-Verfahren wieder angewandt wird. Aufgrund seiner geopolitischen Lage hatte Griechenland in den vergangenen Monaten die Hauptlast des Migrationsdrucks zu tragen. Hinzu kommen anhaltende Probleme bei der Erfüllung der Verpflichtungen Griechenlands im Rahmen des EU-Rechts. Seit 2011 sind Überstellungen auf der Grundlage der Dublin-Verordnung nach Griechenland infolge von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt, da mit ihnen aufgrund der anhaltenden Mängel des griechischen Asylsystems gegen Grundrechte des Einzelnen verstoßen wird. Griechenland muss nun sicherstellen, dass die angebotene Unterstützung für konkrete Maßnahmen vor Ort in Anspruch genommen wird. Zu diesem Zweck sollte Griechenland im Rahmen intensivierter Anstrengungen Folgendes sicherstellen:
Es muss geeignetes Personal für den Asyldienst und den Erstaufnahmedienst eingesetzt werden, um ein wirksames Grenzmanagement (Überprüfung, Feststellung der Identität, Abnahme von Fingerabdrücken) und ein wirksames Asylverfahren zu garantieren.
Es müssen die erforderlichen Investitionen getätigt werden, um den Aufnahmebedürfnissen gemischter Migrationsströme gerecht zu werden. Griechenland sollte intensiv am Aufbau angemessener bedarfsgerechter Aufnahmekapazitäten für den derzeitigen Asylbewerberzustrom arbeiten und für geeignete Einrichtungen für die von Umsiedlungsmaßnahmen betroffenen Personen sorgen.
Die Verfahren und Systeme für die Ausschöpfung von EU-Mitteln müssen verbessert werden.
Es muss ein wirksames Rückkehrsystem bestehen (unterstützte freiwillige Rückkehr sowie Rückführungen).
Erforderliche zentrale Maßnahmen in den nächsten sechs Monaten
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Vollständige und zügige Umsetzung der EU-Rechtsvorschriften im Bereich Asyl und Migration durch die Mitgliedstaaten.
Herstellung des Normalzustands und Ergreifen aller erforderlichen Maßnahmen in Griechenland, um die Überstellungen nach Griechenland im Rahmen der Dublin-Verordnung innerhalb von sechs Monaten wieder in Kraft zu setzen.
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IV.Nächste legislative Schritte: Einführung eines langfristig soliden Systems
Die zur Bewältigung der unmittelbaren Krise notwendigen kurzfristigen Maßnahmen sind keine langfristige Lösung. Im Vertrag von Lissabon ist genau aus diesem Grund die Schaffung eines gemeinsamen Asylsystems vorgesehen. Wir müssen nun nicht nur bereits Vereinbartes vollständig umsetzen und durchsetzen, sondern mit Hochdruck an den übrigen Komponenten arbeiten, um ein wirklich europäisches System zu schaffen. Die für eine erfolgreiche Migrationssteuerung benötigten Strategien sind eng miteinander verflochten. Schwachstellen an den Außengrenzen führen zu einem Druck auf das Asylsystem. Mängel bei der Identifizierung und Registrierung von Migranten bei der Einreise untergraben das Vertrauen in das System insgesamt. Die niedrige Erfolgsquote bei der Rückführung von Migranten, die in der EU nicht aufenthaltsberechtigt sind, sorgt für zynische Beurteilungen des Werts von Asylentscheidungen. Und wie sich bereits in den vergangenen Wochen und Monaten erwiesen hat, führt die Unfähigkeit, die wahren Ursachen der Migration zu beseitigen oder den Druck von außerhalb der EU abzumildern, zu einer enormen Belastung für die EU. Daher sind Maßnahmen in folgenden Bereichen erforderlich:
(i) Das Gemeinsame Europäische Asylsystem garantiert, dass Europa seiner Verpflichtung nachkommt, Menschen zu helfen, die vorübergehend oder dauerhaft internationalen Schutz benötigen, und die Grundrechte von Migranten zu wahren. Dies muss weiterhin unser zentrales Anliegen sein. Der diesjährige Druck auf das System hat jedoch gezeigt, dass die Dublin-Verordnung überarbeitet
und ihre vollständige Umsetzung sichergestellt werden muss. Zu einem ordnungsgemäßen und fairen System gehört auch, Asylbewerbern den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen: Diejenigen Mitgliedstaaten, die gemäß den derzeit geltenden Vorschriften von der Höchstdauer von neun Monaten umfassend Gebrauch machen, könnten sich sofort verpflichten, im Rahmen der Umsiedlungsregelung eintreffenden Asylbewerbern Arbeitsgenehmigungen zu erteilen. Außerdem untergraben langwierige Verfahren die Glaubwürdigkeit des Systems und bewirken eine allgemeine Verunsicherung: Die Einführung eines EU-Systems zur Anerkennung sicherer Herkunftsstaaten in Asylverfahren, das die Kommission im Hinblick auf die Länder des westlichen Balkans und die Türkei vorgeschlagen hat, wird ein wichtiger Schritt sein, um die schutzbedürftigsten Personen zu bestimmen.
In diesem Zusammenhang muss die Union auch für außergewöhnliche Drucksituationen wie in diesem Jahr gewappnet sein. Daher hat die Kommission zusätzlich zu den beiden Vorschlägen für Notfall-Umsiedlungen einen Änderungsvorschlag zur Einrichtung eines Mechanismus vorgelegt, der in Krisensituationen, in denen die Anwendung des Dublin-Verfahrens gefährdet ist, die Umsiedlung von Personen vorsieht, die eindeutig internationalen Schutz benötigen. Dieser Vorschlag
sollte so bald wie möglich angenommen werden.
(ii) Die Glaubwürdigkeit des Systems hängt unter anderem von dem Wissen ab, dass diejenigen, die keinen Anspruch auf internationalen Schutz haben, in ihr Heimatland zurückgeführt werden. Die vollständige Umsetzung der Maßnahmen, die im neuen Aktionsplan der Kommission für die Rückkehr
aufgeführt sind, würde die Glaubwürdigkeit des Rückkehrsystems der EU wiederherstellen. Dies erfordert eine zweigleisige Vorgehensweise auf EU-Ebene – durch verbesserten Informationsaustausch, eine Aufstockung der Ressourcen auf EU-Ebene und auf nationaler Ebene, Stärkung der Rolle von Frontex und einem neuen Schwerpunkt auf der Rückübernahme in unseren Beziehungen mit Drittländern – und auf nationaler Ebene, damit gewährleistet ist, dass die bestehenden Vorschriften wirksam angewandt und Rückkehrentscheidungen durchgeführt werden.
(iii) Die EU darf die Augen nicht davor verschließen, dass die Mitgliedstaaten, die die EU-Außengrenzen verwalten, derzeit einer enormen Herausforderung gegenüberstehen. Die Außengrenze ist nach wie vor der neuralgische Punkt, mit dem die Stabilität der Asyl- und Migrationspolitik als Ganzes steht und fällt. Gesicherte Außengrenzen ermöglichen die Aufhebung unserer Binnengrenzen im Schengen-Raum und garantieren den freien Personenverkehr. Deshalb müssen wir bei der Verwaltung unserer Außengrenzen enger zusammenarbeiten. Dies bedeutet eine Stärkung der Agentur Frontex und ihres Mandats sowie die Verwirklichung eines voll funktionsfähigen europäischen Grenz- und Küstenschutzsystems, damit die Außengrenzen der EU besser geschützt sind und die EU in Krisenzeiten schneller Ressourcen einsetzen kann.
(iv) In einem geregelteren und fairen System der Migrationssteuerung muss die vorverlagerte Erfassung von Migranten bereits erfolgen, bevor diese die gefährliche Reise nach Europa antreten – ob es sich nun um Flüchtlinge handelt, die wahrscheinlich Anspruch auf internationalen Schutz haben, um Migranten, die Programme für legale Migration nutzen wollen, oder letztlich um Personen, die das Risiko eingehen, den weiten Weg in die EU auf sich zu nehmen und dann wieder in ihr Herkunftsland zurückgeführt zu werden. Eine wirksame Strategie muss sich auf Europas Tradition der humanitären Hilfe durch ein beständiges EU-weites Neuansiedlungs-System stützen. Auf der Grundlage der bisherigen Erfahrungen und der Europäischen Migrationsagenda wird die Kommission einen Vorschlag für ein strukturiertes System ausarbeiten, das ein gemeinsames Vorgehen im Zusammenhang mit Neuansiedlungsmaßnahmen in Zeiten schwerer Flüchtlingskrisen sicherstellen soll. Ein kohärenterer Ansatz und eine Bündelung der Anstrengungen der EU würde zeigen, dass die EU in der Lage ist, bedarfsgerecht zu reagieren. Dies würde Flüchtlingen auch signalisieren, dass es für sie am besten ist, etablierte UNHCR Kanäle zu nutzen. Hierfür bedarf es der engagierten Unterstützung von Maßnahmen, die gewährleisten sollen, dass auf entsprechende Verfahren wartende Migranten so nah wie möglich an ihrem Herkunftsort unter angemessenen Bedingungen aufgenommen und ihre Rechte uneingeschränkt geachtet werden.
(v) Ein langfristiger Ansatz muss die Öffnung legaler Migrationswege umfassen. Dies gehört zur Errichtung eines soliden Systems der Migrationssteuerung und ist unverzichtbar, wenn wir Migration weniger als zu beseitigendes Problem, sondern vielmehr als gut verwaltete Ressourcenquelle für einen Kontinent verstehen wollen, der einem erheblichen Bevölkerungsrückgang ausgesetzt ist.
Erforderliche zentrale Maßnahmen der Kommission bis März 2016
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Entschlossene Schritte zur Einrichtung eines europäischen Grenz- und Küstenschutzsystems und Ausweitung des Frontex-Mandats (Dezember 2015)
Maßnahmenpaket zur legalen Migration einschließlich Überarbeitung der Blue-Card-Richtlinie (März 2016)
Reform der Dublin-Verordnung (März 2016)
Vorschlag für ein strukturiertes Neuansiedlungssystem (März 2016)
Aktualisierte Strategie zur Bekämpfung des Menschenhandels (März 2016)
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V.
Schlussfolgerung
Seit Beginn des Jahres haben sich fast 500 000 Menschen nach Europa durchgeschlagen – Tendenz steigend.
Die Europäische Kommission hat sich beharrlich für eine abgestimmte europäische Lösung in der Flüchtlings- und Migrationsproblematik eingesetzt. Wir haben in kurzer Zeit viel erreicht.
Die auf der heutigen Tagung des Europäischen Rates versammelten Staats- und Regierungschefs müssen diese Bemühungen nun vollenden, indem sie sich auf die beigefügten vorrangigen Maßnahmen einigen und diese mit sofortiger Wirkung umsetzen.
Liste der Anhänge
I. Vorrangige Maßnahmen im Rahmen der Europäischen Migrationsagenda in den nächsten sechs Monaten
II. Teams zur Unterstützung der Migrationssteuerung an Hotspots
III. Mechanismus zur Bildung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke
IV. Finanzielle Unterstützung der Mitgliedstaaten im Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds und des Fonds für die innere Sicherheit
V. Beiträge der Mitgliedstaaten und der Kommission zum Welternährungsprogramm
VI. Regionaler Treuhandfonds der Europäischen Union als Reaktion auf die Syrien-Krise („Madad-Fonds“)
VII. Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems