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Document 62023CO0639(01)

Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 27. März 2024.
Europäische Kommission gegen Amazon Services Europe Sàrl.
Rechtsmittel – Vorläufiger Rechtsschutz – Rechtsangleichung – Verordnung (EU) 2022/2065 – Binnenmarkt für digitale Dienste – Zusätzliche Transparenz der Online-Werbung – Beschluss der Benennung als eine sehr große Online-Plattform – Nichtigkeitsklage.
Rechtssache C-639/23 P(R).

Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2024:277

 BESCHLUSS DES VIZEPRÄSIDENTEN DES GERICHTSHOFS

27. März 2024 ( *1 )

„Rechtsmittel – Vorläufiger Rechtsschutz – Rechtsangleichung – Verordnung (EU) 2022/2065 – Binnenmarkt für digitale Dienste – Zusätzliche Transparenz der Online-Werbung – Beschluss der Benennung als eine sehr große Online-Plattform – Nichtigkeitsklage“

In der Rechtssache C‑639/23 P(R)

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 57 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 24. Oktober 2023,

Europäische Kommission, vertreten durch L. Armati, A. de Gregorio Merino und P.‑J. Loewenthal als Bevollmächtigte,

Rechtsmittelführerin,

unterstützt durch

Europäisches Parlament, vertreten durch M. Menegatti, E. Ni Chaoimh und L. Taïeb als Bevollmächtigte,

Rat der Europäischen Union, vertreten durch N. Brzezinski, M. Moore und E. Sitbon als Bevollmächtigte,

Streithelfer im Rechtsmittelverfahren,

andere Partei des Verfahrens:

Amazon Services Europe Sàrl mit Sitz in Luxemburg (Luxemburg), vertreten durch Rechtsanwälte A. Conrad und M. Frank, I. Ioannidis, Dikigoros, und Rechtsanwalt R. Spanó,

Klägerin im ersten Rechtszug,

erlässt

DER VIZEPRÄSIDENT DES GERICHTSHOFS

nach Anhörung des Generalanwalts M. Szpunar

folgenden

Beschluss

1

Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Europäische Kommission die Aufhebung des Beschlusses des Präsidenten des Gerichts der Europäischen Union vom 27. September 2023, Amazon Services Europe/Kommission (T‑367/23 R, EU:T:2023:589) (im Folgenden: angefochtener Beschluss), mit dem dieser angeordnet hat, dass die Vollziehung des Beschlusses C(2023) 2746 final der Europäischen Kommission vom 25. April 2023, in dem Amazon Store als sehr große Online-Plattform im Sinne von Art. 33 Abs. 4 der Verordnung (EU) 2022/2065 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Oktober 2022 über einen Binnenmarkt für digitale Dienste und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG (Gesetz über digitale Dienste) (ABl. 2022, L 277, S. 1) benannt wurde (im Folgenden: streitiger Beschluss), insoweit ausgesetzt wird, als Amazon verpflichtet wird, das nach Art. 39 dieser Verordnung erforderliche Werbearchiv öffentlich zugänglich zu machen, unbeschadet der Verpflichtung von Amazon, dieses Werbearchiv zu unterhalten, und den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz im Übrigen zurückgewiesen hat.

Rechtlicher Rahmen

Richtlinie 2000/31/EG

2

Die Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) (ABl. 2000, L 178, S. 1) bestimmt in Art. 6 Buchst. b:

„Zusätzlich zu den sonstigen Informationsanforderungen nach dem Gemeinschaftsrecht stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass kommerzielle Kommunikationen, die Bestandteil eines Dienstes der Informationsgesellschaft sind oder einen solchen Dienst darstellen, zumindest folgende Bedingungen erfüllen:

b)

die natürliche oder juristische Person, in deren Auftrag kommerzielle Kommunikationen erfolgen, muss klar identifizierbar sein“.

Richtlinie 2005/29/EG

3

Die Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr von Unternehmen gegenüber Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. 2005, L 149, S. 22, berichtigt in ABl. 2009, L 253, S. 18) bestimmt in Art. 5 Abs. 1, 2 und 5:

„(1)   Unlautere Geschäftspraktiken sind verboten.

(2)   Eine Geschäftspraxis ist unlauter, wenn

a)

sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widerspricht,

und

b)

sie in Bezug auf das jeweilige Produkt das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet oder des durchschnittlichen Mitglieds einer Gruppe von Verbrauchern, wenn sich eine Geschäftspraxis an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen. …

(5)   Anhang I enthält eine Liste jener Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als unlauter anzusehen sind. Diese Liste gilt einheitlich in allen Mitgliedstaaten und kann nur durch eine Änderung dieser Richtlinie abgeändert werden.“

4

Gemäß Anhang I dieser Richtlinie gehören zu den Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als unlauter gelten, irreführende Geschäftspraktiken. Nach Nr. 11 dieses Anhangs stellt eine irreführende Geschäftspraxis Folgendes dar: „Es werden redaktionelle Inhalte in Medien zu Zwecken der Verkaufsförderung eingesetzt[,] und der Gewerbetreibende hat diese Verkaufsförderung bezahlt, ohne dass dies aus dem Inhalt oder aus für den Verbraucher klar erkennbaren Bildern und Tönen eindeutig hervorgehen würde (als Information getarnte Werbung).“

Verordnung (EU) 2016/679

5

Die Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung (ABl. 2016, L 119, S. 1) sieht in Art. 15 Abs. 1 Buchst. b und h vor:

„Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden; ist dies der Fall, so hat sie ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten und auf folgende Informationen:

b)

die Kategorien personenbezogener Daten, die verarbeitet werden;

h)

das Bestehen einer automatisierten Entscheidungsfindung einschließlich Profiling gemäß Artikel 22 Absätze 1 und 4 und – zumindest in diesen Fällen – aussagekräftige Informationen über die involvierte Logik sowie die Tragweite und die angestrebten Auswirkungen einer derartigen Verarbeitung für die betroffene Person.“

Verordnung (EU) 2019/1150

6

Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2019/1150 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Onlinevermittlungsdiensten (ABl. 2019, L 186, S. 57) lautet:

„Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten stellen in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen die das Ranking bestimmenden Hauptparameter und die Gründe für die relative Gewichtung dieser Hauptparameter gegenüber anderen Parametern dar.“

Verordnung 2022/2065

7

In den Erwägungsgründen 75, 76, 95 und 155 der Verordnung 2022/2065 heißt es:

„(75)

Da sehr große Online-Plattformen aufgrund ihrer Reichweite – insbesondere der Zahl der Nutzer – für die Erleichterung von öffentliche[n] Debatten, Wirtschaftstransaktionen und der öffentlichen Verbreitung von Informationen, Meinungen und Ideen sowie bei der Beeinflussung der Informationsbeschaffung und ‑übermittlung im Internet eine bedeutende Rolle spielen, ist es notwendig, den Anbietern dieser Plattformen neben den für alle Online-Plattformen geltenden Pflichten besondere Pflichten aufzuerlegen. …

(76)

Sehr große Online-Plattformen und sehr große Online-Suchmaschinen können gesellschaftliche Risiken bewirken, die sich hinsichtlich Umfang und Auswirkungen von denen kleinerer Plattformen unterscheiden. Anbieter solcher sehr großen Online-Plattformen und sehr großen Online-Suchmaschinen sollten daher höchsten Sorgfaltspflichten unterliegen, die in einem angemessenen Verhältnis zu ihren gesellschaftlichen Auswirkungen stehen. …

(95)

Von sehr großen Online-Plattformen und sehr großen Online-Suchmaschinen genutzte Werbesysteme sind mit besonderen Risiken verbunden und machen angesichts ihres Umfangs und der Tatsache, dass sie die Nutzer auf der Grundlage ihres Verhaltens innerhalb und außerhalb der Online-Schnittstelle der Plattform oder der Suchmaschine gezielt erreichen können, eine weiter gehende öffentliche und regulatorische Aufsicht erforderlich. …

(155)

Da die Ziele dieser Verordnung, nämlich zu einem ordnungsgemäß funktionierenden Binnenmarkt beizutragen und ein sicheres, vorhersehbares und vertrauenswürdiges Online-Umfeld zu schaffen, in dem die in der [Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta)] verankerten Grundrechte angemessen geschützt werden, von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden [können], da sie allein nicht in der Lage sind, die erforderliche Harmonisierung und Zusammenarbeit und Koordinierung zu erreichen, sondern vielmehr wegen des territorialen und persönlichen Geltungsbereichs auf [der Ebene der Europäischen Union] besser zu verwirklichen [sind], kann die Union … tätig werden. …“

8

Art. 26 Abs. 1 Buchst. b bis d der Verordnung 2022/2065 sieht vor:

„Die Anbieter von Online-Plattformen, die Werbung auf ihren Online-Schnittstellen darstellen, stellen sicher, dass Nutzer für jede einzelne Werbung, die jedem einzelnen Nutzer dargestellt wird, in der Lage sind, in klarer, präziser und eindeutiger Weise und in Echtzeit Folgendes zu erkennen:

b)

die natürliche oder juristische Person, in deren Namen die Werbung angezeigt wird;

c)

die natürliche oder juristische Person, die für die Werbung bezahlt hat, wenn sich diese Person von der in Buchstabe b genannten natürlichen oder juristischen Person unterscheidet;

d)

aussagekräftige, über die Werbung direkt und leicht zugängliche Informationen über die wichtigsten Parameter zur Bestimmung der Nutzer, denen die Werbung angezeigt wird, und darüber, wie diese Parameter unter Umständen geändert werden können.“

9

In Art. 33 Abs. 1 und 4 der Verordnung 2022/2065 heißt es:

„(1)   Dieser Abschnitt gilt für Online-Plattformen und Online-Suchmaschinen, die eine durchschnittliche monatliche Zahl von mindestens 45 Millionen aktiven Nutzern in der Union haben, …

(4)   Die Kommission erlässt nach Konsultation des Mitgliedstaats der Niederlassung oder nach Berücksichtigung der vom Koordinator für digitale Dienste am Niederlassungsort … bereitgestellten Informationen einen Beschluss, mit dem für die Zwecke dieser Verordnung die Online-Plattform oder die Online-Suchmaschine als sehr große Online-Plattform oder sehr große Online-Suchmaschine benannt wird, deren durchschnittliche monatliche Zahl aktiver Nutzer mindestens der in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannten Zahl entspricht. …“

10

Art. 38 der Verordnung 2022/2065 bestimmt:

„… [D]ie Anbieter sehr großer Online-Plattformen und sehr großer Online-Suchmaschinen, die Empfehlungssysteme verwenden, [legen] mindestens eine Option für jedes ihrer Empfehlungssysteme vor, die nicht auf Profiling … beruht.“

11

Art. 39 Abs. 1 und 2 der Verordnung 2022/2065 bestimmt:

„(1)   Die Anbieter sehr großer Online-Plattformen oder sehr großer Online-Suchmaschinen, die Werbung auf ihren Online-Schnittstellen anzeigen, stellen die in Absatz 2 genannten Angaben in einem spezifischen Bereich ihrer Online-Schnittstelle zusammen und machen diese über Anwendungsprogrammierschnittstellen für den gesamten Zeitraum, in dem sie eine Werbung anzeigen, und ein Jahr lang nach der letzten Anzeige der Werbung auf ihren Online-Schnittstellen mit Hilfe eines durchsuchbaren und verlässlichen Werkzeugs, das mit mehreren Kriterien abgefragt werden kann, öffentlich zugänglich. Sie stellen sicher, dass das Archiv keine personenbezogenen Daten der Nutzer enthält, denen die Werbung angezeigt wurde oder hätte angezeigt werden können, und [unternehmen] angemessene Bemühungen …, um sicherzustellen, dass die Informationen präzise und vollständig sind.

(2)   Das Archiv enthält zumindest alle folgenden Angaben:

a)

den Inhalt der Werbung, einschließlich des Namens des Produkts, der Dienstleistung oder der Marke und des Gegenstands der Werbung;

b)

die natürliche oder juristische Person, in deren Namen die Werbung angezeigt wird;

c)

die natürliche oder juristische Person, die für die Werbung bezahlt hat, wenn sich diese Person von der in Buchstabe b genannten Person unterscheidet;

d)

den Zeitraum, in dem die Werbung angezeigt wurde;

e)

ob die Werbung gezielt einer oder mehreren bestimmten Gruppen von Nutzern angezeigt werden sollte, und falls ja, welche Hauptparameter zu diesem Zweck verwendet wurden, einschließlich der wichtigsten Parameter, die gegebenenfalls zum Ausschluss einer oder mehrerer solcher bestimmter Gruppen verwendet werden;

f)

die auf den sehr großen Online-Plattformen … veröffentlichte … kommerzielle Kommunikation;

g)

die Gesamtzahl der erreichten Nutzer und gegebenenfalls aggregierte Zahlen aufgeschlüsselt nach Mitgliedstaat für die Gruppe oder Gruppen von Nutzern, an die die Werbung gezielt gerichtet war.“

12

Art. 92 der Verordnung 2022/2065 bestimmt:

„Diese Verordnung gilt für Anbieter sehr großer Online-Plattformen und sehr großer Online-Suchmaschinen, die gemäß Artikel 33 Absatz 4 benannt wurden, ab dem Datum vier Monat[e] nach der Mitteilung an den betreffenden Anbieter …, wenn dieses Datum vor dem 17. Februar 2024 liegt.“

13

Art. 93 Abs. 2 der Verordnung 2022/2065 sieht vor:

„Diese Verordnung gilt ab dem 17. Februar 2024.

… Artikel 33 Absätze 3 bis 6 … [gilt] jedoch ab dem 16. November 2022.“

Vorgeschichte des Rechtsstreits

14

Die Vorgeschichte des Rechtsstreits wird in den Rn. 2 bis 6 des angefochtenen Beschlusses dargelegt. Sie kann für das vorliegende Verfahren wie folgt zusammengefasst werden.

15

Amazon gehört zum Amazon-Konzern, bei dem es sich um eine multinationale Unternehmensgruppe handelt. Ihre geschäftlichen Aktivitäten umfassen den Online–Einzelhandel und weitere Dienstleistungen wie Cloud-Computing und Online-Streaming. Sie erbringt Online-Marktplatzdienste an Drittverkäufer und ermöglicht ihnen, Waren in Amazon Store zum Kauf anzubieten. Sie unterstützt Drittverkäufer u. a. auch dadurch, dass sie Werkzeuge bereitstellt, die ihnen helfen, ihre Aktivitäten, insbesondere in Amazon Store, zu verwalten und auszubauen.

16

In dem streitigen Beschluss benannte die Kommission Amazon Store als sehr große Online-Plattform nach Art. 33 Abs. 4 der Verordnung 2022/2065.

Verfahren vor dem Gericht und angefochtener Beschluss

17

Mit Klageschrift, die am 5. Juli 2023 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat Amazon Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses erhoben.

18

Mit gesondertem Schriftsatz, der am 6. Juli 2023 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat Amazon vorläufigen Rechtsschutz beantragt, der u. a. darauf gerichtet war, die Vollziehung dieses Beschlusses bis zur abschließenden Entscheidung des Gerichts über das Verfahren zur Hauptsache auszusetzen, soweit Amazon darin zum einen verpflichtet wird, den Nutzern gemäß Art. 38 der Verordnung 2022/2065 eine Option für jedes der Empfehlungssysteme vorzulegen, die nicht auf Profiling beruht, und zum anderen, das nach Art. 39 dieser Verordnung erforderliche Archiv zu unterhalten und öffentlich zugänglich zu machen.

19

Der Präsident des Gerichts hat mit Beschluss vom 28. Juli 2023, Amazon Services Europe/Kommission (T‑367/23 R), nach Art. 157 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichts die Aussetzung der Vollziehung des streitigen Beschlusses bis zum Erlass des Beschlusses über die Beendigung des beim Gericht anhängigen Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes angeordnet.

20

Mit dem angefochtenen Beschluss hat der Präsident des Gerichts die Vollziehung des streitigen Beschlusses insoweit ausgesetzt, als Amazon darin verpflichtet wird, das nach Art. 39 der Verordnung 2022/2065 erforderliche Archiv öffentlich zugänglich zu machen, unbeschadet der Verpflichtung von Amazon, dieses Archiv zu unterhalten, und den Antrag von Amazon auf vorläufigen Rechtsschutz im Übrigen zurückgewiesen.

21

Was zunächst die Voraussetzung der Dringlichkeit, die in den Rn. 26 bis 69 dieses Beschlusses geprüft wird, angeht, war der Präsident des Gerichts in Rn. 55 der Ansicht, dass Amazon nicht nachgewiesen habe, dass ein schwerer, nicht wiedergutzumachender Schaden dadurch entstehe, dass Amazon Store Art. 38 der Verordnung 2022/2065 nachkomme. Dagegen war der Präsident des Gerichts in den Rn. 65 bis 69 dieses Beschlusses der Ansicht, es sei rechtlich hinreichend nachgewiesen, dass bei Amazon dadurch, dass Amazon Store Art. 39 der Verordnung nachkomme, wahrscheinlich ein schwerer, nicht wiedergutzumachender Schaden eintrete.

22

Was sodann die Voraussetzung des fumus boni iuris betrifft, befand der Präsident des Gerichts in Rn. 79 dieses Beschlusses, dass der dritte Klagegrund, den Amazon zur Stützung ihrer auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses gerichteten Klage geltend mache und mit dem die Rechtswidrigkeit von Art. 39 dieser Verordnung gerügt werde, auf den ersten Blick nicht ernsthaft unbegründet erscheine und deshalb eine eingehende Prüfung erfordere, die der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter nicht vornehmen könne.

23

Schließlich war der Präsident des Gerichts in Rn. 83 des angefochtenen Beschlusses der Ansicht, dass „das Interesse an einer Zurückweisung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz geringer zu werten ist als das Interesse, auf das [Amazon] sich beruft“.

Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

24

Mit Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 13. Dezember 2023, Kommission/Amazon Services Europe (C‑639/23 P[R], EU:C:2023:1006), sind das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union in der vorliegenden Rechtssache als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen worden.

25

Die Kommission beantragt,

den angefochtenen Beschluss aufzuheben,

dass der Gerichtshof durch Zurückweisung des Antrags auf einstweilige Anordnungen und des Antrags auf ergänzende einstweilige Anordnungen den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet,

hilfsweise, die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen,

äußerst hilfsweise, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Pflicht von Amazon, das nach Art. 39 der Verordnung 2022/2065 erforderliche Archiv öffentlich zugänglich zu machen, nur hinsichtlich der Informationen ausgesetzt wird, die in Art. 39 Abs. 2 Buchst. d und g dieser Verordnung aufgezählt sind, und

Amazon die Kosten aufzuerlegen.

26

Amazon beantragt,

das Rechtsmittel zurückzuweisen,

der Kommission die Kosten des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen und,

sofern dem Rechtsmittel stattgegeben werden sollte, ihr eine Frist von 28 Tagen einzuräumen, um der Pflicht, das nach Art. 39 dieser Verordnung erforderliche Archiv öffentlich zugänglich zu machen, nachzukommen.

27

Das Parlament und der Rat beantragen, den Anträgen der Kommission stattzugeben.

Zum Rechtsmittel

28

Die Kommission stützt ihr Rechtsmittel auf vier Rechtsmittelgründe, mit denen sie im Wesentlichen rügt: erstens einen Rechtsirrtum und eine offensichtlich rechtsfehlerhafte Anwendung der Voraussetzung des fumus boni iuris, zweitens Verfahrensfehler sowie einen Rechtsirrtum und eine offensichtlich rechtsfehlerhafte Anwendung der Voraussetzung der Dringlichkeit, drittens einen Rechtsirrtum und eine offensichtlich fehlerhafte Anwendung der Bedingung betreffend die Interessenabwägung und viertens einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

29

Zunächst ist der zweite Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes zu prüfen.

Vorbringen

30

Mit dem zweiten Teil ihres zweiten Rechtsmittelgrundes macht die Kommission geltend, dass der Präsident des Gerichts gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens verstoßen habe, indem er in Rn. 24 des angefochtenen Beschlusses festgestellt habe, dass er über „alle für die Entscheidung“ über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz erforderlichen Angaben verfüge, obwohl er sich nicht zu dem von der Kommission gestellten Antrag auf prozessleitende Maßnahmen geäußert habe, und dass er damit auch gegen die Art. 88 und 90 der Verfahrensordnung des Gerichts sowie gegen den Grundsatz audi alteram partem verstoßen habe.

31

In diesem Zusammenhang weist sie darauf hin, dass der Präsident des Gerichts am 28. Juli 2023 eine prozessleitende Maßnahme erlassen habe, in deren Folge Amazon einen langen Schriftsatz zur Stützung ihres Vorbringens eingereicht habe, dass die Informationen, die sie nach Art. 39 der Verordnung 2022/2065 offenlegen müsse, vertraulicher Natur seien. Dagegen habe der Präsident des Gerichts es abgelehnt, ihrem Antrag auf eine anschließende prozessleitende Maßnahme stattzugeben, den sie gestellt habe, um auf die von Amazon in diesem Schriftsatz vorgebrachten neuen Argumente eingehen zu können.

32

Der Präsident des Gerichts müsse aber den kontradiktorischen Charakter des Verfahrens und den Grundsatz audi alteram partem bei der Prüfung, ob es notwendig sei, eine prozessleitende Maßnahme zu erlassen, beachten. Folglich hätte die Kommission die Möglichkeit haben müssen, auf die von Amazon in dem (in der vorstehenden Randnummer genannten) Schriftsatz vorgebrachten Argumente zu antworten, zumal die Gewährung der streitigen Aussetzung der Vollziehung im vorliegenden Fall ausschließlich auf das Vorbringen gestützt werde, dass die Einhaltung von Art. 39 der Verordnung 2022/2065 Amazon dazu verpflichte, vertrauliche Informationen öffentlich zugänglich zu machen, ein Vorbringen, das allein in diesem Schriftsatz dargelegt sei. Die in den Rn. 76 bis 78 des angefochtenen Beschlusses angeführten Erwägungen zur Vertraulichkeit der in Rede stehenden Informationen beruhten im Übrigen weitgehend auf diesem Vorbringen.

33

Die Dringlichkeit des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes rechtfertige es nicht, der Kommission ihr Recht auf Verteidigung zu entziehen; im Übrigen hätte sie ihre Stellungnahme innerhalb einer sehr kurzen Frist abgeben können.

34

Nach Ansicht von Amazon war der Präsident des Gerichts nicht verpflichtet, dem Antrag der Kommission auf Erlass einer prozessleitenden Maßnahme stattzugeben. Der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens verbiete es den Unionsgerichten nämlich lediglich, seine Entscheidung auf Tatsachen und Unterlagen zu stützen, zu denen die Parteien oder eine von ihnen nicht hätten Stellung nehmen können. Da Amazon jedoch aufgefordert worden sei, bestimmte Rechtsfragen zu kommentieren, sei dieser Grundsatz nicht verletzt worden. Es gebe keinen Grundsatz, der den Präsidenten des Gerichts dazu verpflichte, jeder Partei die gleiche Anzahl von Schriftsätzen zu einer Rechtsfrage einzuräumen.

35

Jedenfalls weise die Kommission nicht nach, dass der Präsident des Gerichts zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn er der Kommission die Möglichkeit gegeben hätte, Amazon zu antworten.

Würdigung

36

Ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz muss für sich allein ermöglichen, dass der Antragsgegner seine Stellungnahme vorbereiten und der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter über diesen Antrag, gegebenenfalls auch ohne weitere Informationen, entscheiden kann, wobei sich die tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die dieser gestützt wird, unmittelbar aus diesem Antrag ergeben müssen (Beschluss vom 19. Juli 2012, Akhras/Rat, C‑110/12 P[R], EU:C:2012:507, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37

Außerdem kann in Anbetracht der Zügigkeit, die das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes naturgemäß kennzeichnet, von der einstweilige Anordnungen beantragenden Partei mit gutem Grund verlangt werden, dass sie – außer in Ausnahmefällen – bereits bei Antragstellung alle verfügbaren Beweise, die den Antrag stützen, vorlegt, damit der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter auf dieser Grundlage die Begründetheit des Antrags beurteilen kann (Beschluss vom 19. Juli 2012, Akhras/Rat, C‑110/12 P[R], EU:C:2012:507, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38

Der Präsident des Gerichts ist jedoch als der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter nach Art. 157 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts befugt, gegebenenfalls prozessleitende Maßnahmen und Maßnahmen der Beweisaufnahme zu erlassen.

39

Es ergibt sich ebenfalls aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass der Präsident des Gerichts insoweit über einen weiten Ermessensspielraum verfügen muss, um zu beurteilen, ob solche Maßnahmen geeignet sind (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 1. Dezember 2021, Inivos und Inivos/Kommission, C‑471/21 P[R], EU:C:2021:984, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40

Das Ermessen, über das er verfügt, ist innerhalb bestimmter Grenzen auszuüben, wobei der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens beachten muss. Dieser Grundsatz gilt nämlich für jedes Verfahren, das zu einer Entscheidung eines Unionsorgans führen kann, durch die Interessen eines Dritten spürbar beeinträchtigt werden, und insbesondere für die Verfahren vor den Unionsgerichten (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 22. November 2018, Hércules Club de Fútbol/Kommission, C‑334/18 P[R], EU:C:2018:952, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41

In dieser Hinsicht erlaubt zwar Art. 157 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichts dem Präsidenten des Gerichts, noch vor Eingang der Stellungnahme der Gegenpartei vorläufige Maßnahmen zu erlassen, doch kann diese Vorschrift nicht so verstanden werden, dass sie den Präsidenten ganz allgemein ermächtigt, ohne Beachtung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens zu entscheiden. Die genannte Vorschrift sieht nämlich nur ein Ausnahmeverfahren vor, das es dem Präsidenten des Gerichts ermöglicht, solche Maßnahmen vorsorglich bis zu der Entscheidung zu erlassen, die über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach Abschluss des in Art. 157 Abs. 1 der Verfahrensordnung vorgeschriebenen kontradiktorischen Verfahrens zu treffen ist (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 28. September 2023, Rat/Mazepin, C‑564/23 P[R], EU:C:2023:727, Rn. 60 und 61).

42

Der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens verleiht jeder Partei eines Verfahrens, unabhängig von ihrer rechtlichen Eigenschaft, das Recht, die Schriftstücke und Erklärungen, die die Gegenpartei dem Gericht vorgelegt hat, zur Kenntnis zu nehmen und zu erörtern. Für die Erfüllung der Anforderungen im Zusammenhang mit dem Recht auf ein faires Verfahren kommt es nämlich darauf an, dass die Parteien sowohl die tatsächlichen als auch die rechtlichen Umstände, die für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sind, kennen und kontradiktorisch erörtern können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. März 2014, HABM/National Lottery Commission, C‑530/12 P, EU:C:2014:186, Rn. 54, vom 4. Dezember 2019, H/Rat, C‑413/18 P, EU:C:2019:1044, Rn. 103 und 104, sowie vom 15. Juli 2021, Kommission/Landesbank Baden-Württemberg und SRB, C‑584/20 P und C‑621/20 P, EU:C:2021:601, Rn. 58 und 59).

43

Der Gerichtshof hat aus diesen Anforderungen in Rechtssachen, die nicht unter das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes fallen, insbesondere gefolgert, dass das Gericht zwar frei entscheiden kann, einer Partei in dem in seiner Verfahrensordnung festgelegten Rahmen eine Frage zu stellen, dass es aber den anderen Parteien Gelegenheit geben muss, zu der Antwort auf eine solche Frage Stellung zu nehmen, zumindest wenn diese Antwort Elemente enthält, die für den Ausgang der in Rede stehenden Rechtssache entscheidend sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Dezember 2019, H/Rat, C‑413/18 P, EU:C:2019:1044, Rn. 105 bis 116, sowie vom 10. September 2020, Rumänien/Kommission, C‑498/19 P, EU:C:2020:686, Rn. 75 und 76).

44

Dies gilt auch, wenn der Präsident des Gerichts einer Partei gemäß Art. 157 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts eine Frage stellt.

45

Zwar ergibt sich zum einen aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass in Anbetracht der Zügigkeit, die das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes naturgemäß kennzeichnet, der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter nicht verpflichtet ist, den Antragsteller systematisch zu allen Angaben des Antragsgegners anzuhören, die er bei der Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zu berücksichtigen beabsichtigt (Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 1. Dezember 2021, Inivos und Inivos/Kommission, C‑471/21 P[R], EU:C:2021:984, Rn. 47).

46

Dieses Ergebnis folgt daraus, dass es keine Regel gibt, die vorsieht, dass im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich eine Erwiderung und eine Gegenerwiderung eingereicht werden müssen. Daher kann daraus nicht abgeleitet werden, dass, wenn der Präsident des Gerichts dem Antragsteller gestattet, zusätzliche Elemente zur Stützung seines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz vorzubringen, der Antragsgegner nicht berechtigt ist, diese Elemente zu erörtern, auch wenn ausweislich der Erwägungen in den Rn. 36 und 37 des vorliegenden Beschlusses dieser Antrag alle für die Entscheidung erforderlichen Elemente enthalten muss und Art. 157 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts das Recht des Antragsgegners gewährleistet, zu dem genannten Antrag Stellung zu nehmen.

47

Zum anderen hat die Vizepräsidentin des Gerichtshofs im Beschluss vom 17. Dezember 2020, Anglo Austrian AAB und Belegging-Maatschappij Far-East/EZB (C‑207/20 P[R], EU:C:2020:1057), zwar die Rüge der Rechtsmittelführerinnen in jener Rechtssache zurückgewiesen, mit der geltend gemacht worden war, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei, da es nicht möglich gewesen sei, zu einem Beweismittel Stellung zu nehmen, das an dem Tag, als der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz eingereicht worden sei, nicht verfügbar gewesen sei; es ist jedoch festzustellen, dass das Fehlen eines kontradiktorischen Verfahrens, das in jener Rechtssache in Rede stand, in der dieser Beschluss ergangen ist, seinen Ursprung nicht im Erlass einer prozessleitenden Maßnahme durch den Präsidenten des Gerichts hatte. Darüber hinaus hat sich die Vizepräsidentin des Gerichtshofs bei der Zurückweisung der betreffenden Rüge ausschließlich darauf gestützt, dass die Rechtsmittelführerinnen in jener Rechtssache darauf verzichtet hatten, eine ihnen zur Verfügung stehende Verfahrensgarantie in Anspruch zu nehmen, indem sie es unterließen, beim Präsidenten des Gerichts gemäß Art. 88 der Verfahrensordnung des Gerichts den Erlass einer prozessleitenden Maßnahme zu beantragen.

48

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Unterlagen, dass der Präsident des Gerichts Amazon mit einer prozessleitenden Maßnahme vom 28. Juli 2023 aufgefordert hat, sich zu den Nrn. 109 bis 118 der von der Kommission im ersten Rechtszug eingereichten schriftlichen Stellungnahme zu äußern.

49

In ihrer Antwort auf diese prozessleitende Maßnahme legte Amazon eine Reihe von Belegen vor, die nachweisen sollten, dass Art. 39 der Verordnung 2022/2065 sie zur Offenlegung vertraulicher Informationen verpflichte, dass die Offenlegung dieser Informationen ihr einen erheblichen Schaden zufüge und dass die durch eine solche Offenlegung verletzten Interessen schützenswert seien.

50

Wie die Kommission hervorhebt, stützte sich der Präsident des Gerichts im Rahmen seiner Beurteilung der Voraussetzung des fumus boni iuris in den Rn. 76 bis 78 des angefochtenen Beschlusses auf eine Argumentation, die im Wesentlichen die Elemente aufgriff, die Amazon in ihrer Antwort auf die prozessleitende Maßnahme vom 28. Juli 2023 vorgetragen hatte.

51

Diese Antwort enthielt offensichtlich für den Ausgang des Rechtsstreits entscheidende Elemente.

52

Der Kommission wurde aber jede Möglichkeit genommen, zu dem Vorbringen von Amazon in dieser Antwort Stellung zu nehmen.

53

So wurde erstens die Antwort von Amazon auf die prozessleitende Maßnahme vom 28. Juli 2023 der Kommission am 30. August 2023 zugestellt, ohne sie aufzufordern, zu dieser Antwort Stellung zu nehmen.

54

Zweitens gab der Präsident des Gerichts einem am 15. September 2023 von der Kommission nach Art. 88 der Verfahrensordnung des Gerichts eingereichten Antrag auf Erlass einer prozessleitenden Maßnahme nicht statt, der darauf gerichtet war, ihr zu gestatten, auf die in Rn. 49 des vorliegenden Beschlusses genannte Antwort von Amazon zu erwidern, um die Waffengleichheit zu wahren und dem Gericht zu ermöglichen, über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz in voller Kenntnis der Sachlage zu entscheiden.

55

Drittens vertrat der Präsident des Gerichts in Rn. 24 des angefochtenen Beschlusses die Ansicht, dass er über alle zur Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz erforderlichen Elemente verfüge, so dass eine vorherige mündliche Anhörung der Parteien nicht zweckdienlich sei.

56

Da sich aus den Erklärungen der Kommission ergibt, dass sie, wenn sie vom Präsidenten des Gerichts aufgefordert worden wäre, zu der in Rn. 49 des vorliegenden Beschlusses genannten Antwort von Amazon Stellung zu nehmen, zusätzliche Ausführungen gemacht hätte, um zu beweisen, dass die Informationen, zu deren Offenlegung Art. 39 der Verordnung 2022/2065 Amazon verpflichte, nicht vertraulich seien, kann außerdem nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die Prüfung dieser Ausführungen den Präsidenten des Gerichts dazu hätten veranlassen können, den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz insgesamt zurückzuweisen.

57

Aus alledem ergibt sich, dass der Präsident des Gerichts gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens verstoßen hat, so dass dem zweiten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes stattzugeben ist.

58

Da die Würdigung der Voraussetzung des fumus boni iuris durch den Präsidenten des Gerichts maßgeblich auf Elemente gestützt ist, die nicht dem Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens unterzogen wurden, reicht die Verletzung dieses Grundsatzes für sich allein aus, um die Aufhebung von Nr. 1 des Tenors des angefochtenen Beschlusses zu rechtfertigen, mit dem der Präsident des Gerichts entschieden hat, dass die Vollziehung des streitigen Beschlusses, unbeschadet der Verpflichtung von Amazon, dieses Archiv zu unterhalten, insoweit ausgesetzt werde, als Amazon aufgrund dieses Beschlusses verpflichtet werde, das nach Art. 39 der Verordnung 2022/2065 erforderliche Archiv öffentlich zugänglich zu machen.

59

Dagegen kann dieser Verstoß gegen den genannten Grundsatz nicht dazu führen, dass Nr. 2 des Tenors dieses Beschlusses, mit dem der Präsident des Gerichts den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz im Übrigen zurückgewiesen hat, aufgehoben wird.

60

Diese Nr. 2 stützt sich nämlich auf die Beurteilung des Präsidenten des Gerichts in Rn. 55 des genannten Beschlusses, wonach Amazon nicht nachgewiesen habe, dass ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden dadurch entstanden sei, dass Amazon Store Art. 38 der Verordnung 2022/2065 nachzukommen habe.

61

Zum einen geht diese Würdigung jedoch auf ein Vorbringen in den Rn. 35 bis 54 dieses Beschlusses zurück, in dessen Rahmen sich der Präsident des Gerichts in keiner Weise auf die Elemente stützt, die in der in Rn. 49 des vorliegenden Beschlusses genannten Antwort von Amazon vorgetragen wurden.

62

Zum anderen richten sich die übrigen Teile des zweiten Rechtsmittelgrundes und die anderen von der Kommission zur Stützung ihres Rechtsmittels vorgetragenen Gründe nicht gegen die Rn. 35 bis 54.

63

Daraus folgt, dass das Rechtsmittel, soweit es auf die Aufhebung von Nr. 2 des Tenors des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist, zurückzuweisen ist, ohne dass es erforderlich wäre, diese übrigen Teile und diese anderen Rechtsmittelgründe zu prüfen.

Zu dem beim Gericht eingereichten Antrag auf Erlass einstweiliger Anordnungen

64

Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Gerichtshof, wenn er die Entscheidung des Gerichts aufhebt, den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn er zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen. Diese Bestimmung gilt auch für Rechtsmittel, die gemäß Art. 57 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union eingelegt wurden (Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 2. Februar 2024, Mylan Ireland/Kommission, C‑604/23 P[R], EU:C:2024:117, Rn. 38).

65

Da die Kommission im vorliegenden Fall zum einen vor dem Gerichtshof das vorgetragen hat, was sie auf die in der in Rn. 49 des vorliegenden Beschlusses genannten Antwort von Amazon angeführten Elemente entgegnen wollte, und da sie zum anderen in ihrer Rechtsmittelschrift beantragt hat, dass der Gerichtshof den Rechtsstreit endgültig entscheidet, ist unter Berücksichtigung der das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnenden Zügigkeit über den von Amazon gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz insoweit zu entscheiden, als er die Aussetzung der Vollziehung des streitigen Beschlusses betrifft, soweit dieser Amazon verpflichtet, das nach Art. 39 der Verordnung 2022/2065 erforderliche Archiv zu unterhalten und öffentlich zugänglich zu machen.

66

Dazu ist daran zu erinnern, dass nach Art. 156 Abs. 4 der Verfahrensordnung des Gerichts in Anträgen auf vorläufigen Rechtsschutz der Streitgegenstand, die Umstände, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt, sowie die den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung dem ersten Anschein nach rechtfertigenden Sach- und Rechtsgründe anzuführen sind. So können nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Aussetzung der Vollziehung und sonstige einstweilige Anordnungen von dem für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter gewährt werden, wenn ihre Notwendigkeit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht (fumus boni iuris) und dargetan ist, dass sie in dem Sinne dringlich sind, dass sie zur Verhinderung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers bereits vor der Entscheidung über die Klage erlassen werden und ihre Wirkungen entfalten müssen. Diese Voraussetzungen sind kumulativ, so dass Anträge auf einstweilige Anordnung zurückzuweisen sind, sofern eine von ihnen nicht erfüllt ist. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter nimmt gegebenenfalls auch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vor (Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 2. Februar 2024, Mylan Ireland/Kommission, C‑604/23 P[R], EU:C:2024:117, Rn. 40).

Zum fumus boni iuris

Vorbringen

67

Um den fumus boni iuris zu belegen, macht Amazon in ihrer Klage drei Klagegründe geltend.

68

In ihrem Vorbringen zum dritten Klagegrund, der zuerst zu prüfen ist, erhebt Amazon eine Einrede der Rechtswidrigkeit von Art. 39 der Verordnung 2022/2065, weil dieser den Grundsatz der Gleichbehandlung sowie die Art. 7, 16 und 17 der Charta verletze.

69

In dieser Hinsicht macht Amazon geltend, dass die in diesem Art. 39 vorgesehene Verpflichtung, in einem allgemein zugänglichen Archiv eine Reihe von detaillierten Informationen über die in Amazon Store präsentierten Werbeanzeigen zu veröffentlichen, ein schwerwiegender Verstoß gegen Art. 7 der Charta und den allgemeinen Grundsatz des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen sei. Angesichts des strategischen Charakters dieser Informationen würde die Verpflichtung zur Offenlegung außerdem die Geschäftstätigkeit von Amazon behindern und somit gegen die Art. 16 und 17 der Charta verstoßen.

70

In diesem Zusammenhang macht Amazon geltend, auch wenn bestimmte Informationen nach verschiedenen Rechtsakten der Union tatsächlich offengelegt werden müssten, gelte dies u. a. nicht für Informationen über den Zeitraum, in dem eine bestimmte Werbung gezeigt worden sei, oder die Zahl der von dem Dienst erreichten Empfänger. Überdies seien nach diesen Rechtsakten der Union Informationen nicht gegenüber der gesamten Öffentlichkeit offenzulegen, sondern nur gegenüber den Adressaten der Werbung.

71

Zum einen sei aber die Anwendung von Art. 39 der Verordnung 2022/2065 angesichts der Unterschiede zwischen Online-Marktplätzen und anderen sehr großen Online-Plattformen nicht angemessen. Zum anderen hätte der Unionsgesetzgeber die Ziele, der Gefahr rechtswidriger Werbung, Manipulationstechniken oder Falschinformationen, die sich tatsächlich und vorhersehbar auf die öffentliche Gesundheit, die öffentliche Sicherheit, den zivilgesellschaftlichen Diskurs, das politische Leben und die Gleichheit auswirkten, vorzubeugen, mit einer anderen weniger in die Rechte von Amazon eingreifenden Lösung erreichen können, indem sie verpflichtet werde, nur zugelassenen Regulierungsbehörden und Forschern ein angemessen strukturiertes Archiv zur Verfügung zu stellen.

72

Die Kommission ist der Ansicht, dass der von Amazon geltend gemachte dritte Klagegrund keine vernünftige Aussicht auf Erfolg habe.

73

Erstens sei dieser Klagegrund offensichtlich unzulässig. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs wäre nämlich eine nach Art. 277 AEUV erhobene Einrede der Rechtswidrigkeit von Art. 39 der Verordnung 2022/2065 nur zulässig, sofern dieser Art. 39 die Rechtsgrundlage des streitigen Beschlusses bilde oder einen unmittelbaren rechtlichen Zusammenhang mit diesem Beschluss aufweise. Dies sei jedoch nicht der Fall. Insbesondere sei der Umstand, dass die Bestimmungen von Kapitel III Abschnitt 5 der Verordnung 2022/2065 nur dann auf Amazon anwendbar seien, wenn die Kommission einen Beschluss wie den streitigen Beschluss erlassen habe, in dem Amazon als sehr große Online-Plattform oder sehr große Online-Suchmaschine für die Zwecke dieser Verordnung benannt werde, nicht ausreichend, um einen unmittelbaren rechtlichen Zusammenhang zwischen diesen Bestimmungen und dem Beschluss zu begründen. Eine entgegengesetzte Lösung würde den genannten Bestimmungen im Übrigen ihre unmittelbare Vollziehbarkeit nehmen. Darüber hinaus könne die Rechtswidrigkeit von Art. 39 der Verordnung im Hinblick auf die Art des Zusammenhangs zwischen dem streitigen Beschluss und diesem Artikel nicht zur Nichtigerklärung des Beschlusses führen.

74

Zweitens habe Amazon die Behauptung, dass Art. 39 der Verordnung 2022/2065 in ihre Grundrechte eingreife, in keiner Weise belegt. So werde im Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nichts vorgetragen, das die Vertraulichkeit der Informationen belege, die Amazon nach Art. 39 der Verordnung 2022/2065 offenlegen müsse. Insbesondere habe Amazon nicht nachgewiesen, dass diese Informationen nur einer begrenzten Zahl von Personen bekannt seien, dass ihre Offenlegung ihr einen ernsthaften Schaden zufügen könnte und dass die Interessen, die durch die Offenlegung verletzt werden könnten, objektiv schutzwürdig seien.

75

Jedenfalls seien diese Informationen nicht vertraulich, da Amazon bereits aufgrund anderer Rechtsakte des Unionsrechts verpflichtet sei, die meisten dieser Informationen öffentlich zugänglich zu machen. Die Kommission verweist in diesem Zusammenhang nicht nur auf die Verordnung 2022/2065, sondern auch auf die Richtlinien 2000/31 und 2005/29 sowie auf die Verordnungen 2016/679 und 2019/1150. Einige der genannten Informationen könnten zudem aus kommerziellen Angeboten oder Werbemetriken und Datenanalysen gewonnen werden, die auf dem Markt angeboten würden.

76

Drittens sei die von Amazon vorgenommene Unterscheidung zwischen Online-Marktplätzen und anderen sehr großen Online-Plattformen im Hinblick auf die Ziele der Verordnung 2022/2065 nicht gerechtfertigt.

Würdigung

77

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die Voraussetzung des fumus boni iuris erfüllt, wenn zumindest einer der Gründe, auf die die Partei, die die einstweiligen Anordnungen beantragt, die Klage stützt, dem ersten Anschein nach nicht ohne ernsthafte Grundlage erscheint. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn einer der geltend gemachten Klagegründe das Vorliegen komplexer Rechtsfragen erkennen lässt, deren Lösung nicht ohne Weiteres auf der Hand liegt und daher eine eingehende Prüfung erfordert, die nicht von dem für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter vorgenommen werden kann, sondern Gegenstand des Verfahrens zur Hauptsache sein muss, oder wenn ausweislich des Vorbringens der Parteien eine bedeutsame rechtliche Kontroverse besteht, deren Lösung sich nicht offensichtlich aufdrängt (Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 24. Mai 2022, Puigdemont i Casamajó u. a./Parlament und Spanien, C‑629/21 P[R], EU:C:2022:413, Rn. 188 und die dort angeführte Rechtsprechung).

78

Die Parteien bestreiten erstens die Zulässigkeit des dritten Klagegrundes, den Amazon geltend macht und mit dem die Rechtswidrigkeit von Art. 39 der Verordnung 2022/2065 gerügt wird.

79

Gemäß Art. 277 AEUV „kann jede Partei in einem Rechtsstreit, bei dem die Rechtmäßigkeit eines von einem Organ, einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union erlassenen Rechtsakts mit allgemeiner Geltung angefochten wird, vor dem Gerichtshof der Europäischen Union die Unanwendbarkeit dieses Rechtsakts aus den in Art. 263 Abs. 2 AEUV genannten Gründen geltend machen“.

80

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist diese Bestimmung Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes, der jeder Partei das Recht einräumt, zum Zweck der Nichtigerklärung einer an sie gerichteten Entscheidung inzidenter die Gültigkeit der Rechtsakte mit allgemeiner Geltung zu bestreiten, auf denen die Entscheidung beruht (Urteil vom 16. März 2023, Kommission/Calhau Correia de Paiva, C‑511/21 P, EU:C:2023:208, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

81

Da mit Art. 277 AEUV nicht bezweckt wird, einer Partei zu gestatten, die Anwendbarkeit irgendeines Rechtsakts mit allgemeiner Geltung mittels einer beliebigen Klage zu bestreiten, muss der Rechtsakt, dessen Rechtswidrigkeit behauptet wird, mittelbar oder unmittelbar auf den Sachverhalt anwendbar sein, der den Gegenstand der Klage bildet (Urteil vom 16. März 2023, Kommission/Calhau Correia de Paiva, C‑511/21 P, EU:C:2023:208, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

82

So hat der Gerichtshof im Rahmen von Nichtigkeitsklagen gegen Einzelentscheidungen anerkannt, dass die Einrede der Rechtswidrigkeit gegenüber den Bestimmungen eines Rechtsakts mit allgemeiner Geltung erhoben werden kann, auf denen diese Entscheidungen beruhen oder die in unmittelbarem rechtlichen Zusammenhang mit solchen Entscheidungen stehen (Urteil vom 16. März 2023, Kommission/Calhau Correia de Paiva, C‑511/21 P, EU:C:2023:208, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

83

Ein unmittelbarer rechtlicher Zusammenhang kann sich insbesondere daraus ergeben, dass die Bestimmung, deren Rechtswidrigkeit im Wege der Einrede geltend gemacht wird, zur Begründung einer angefochtenen Entscheidung beiträgt, auch wenn sie in der formellen Begründung dieser Entscheidung nicht genannt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. März 2023, Kommission/Calhau Correia de Paiva, C‑511/21 P, EU:C:2023:208, Rn. 52).

84

Dagegen hat der Gerichtshof entschieden, dass eine Einrede der Rechtswidrigkeit, die sich gegen einen Rechtsakt mit allgemeiner Geltung richtet, zu dem die angefochtene Einzelentscheidung keine Durchführungsmaßnahme darstellt, unzulässig ist (Urteil vom 16. März 2023, Kommission/Calhau Correia de Paiva, C‑511/21 P, EU:C:2023:208, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

85

Im vorliegenden Fall steht fest, dass Art. 39 der Verordnung 2022/2065 nicht die Rechtsgrundlage des streitigen Beschlusses darstellt.

86

Jedoch ergibt sich aus der in Rn. 82 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung, dass eine Einrede der Rechtswidrigkeit gegen jede Bestimmung eines Rechtsakts mit allgemeiner Geltung erhoben werden kann, die einen unmittelbaren rechtlichen Zusammenhang mit dem streitigen Beschluss aufweist, auch wenn diese Bestimmung nicht die Rechtsgrundlage dieses Beschlusses ist.

87

In der vorliegenden Rechtssache vertritt Amazon die Ansicht, dass es einen hinreichend unmittelbaren rechtlichen Zusammenhang zwischen Art. 39 der Verordnung 2022/2065 und dem streitigen Beschluss gebe, da dieser Artikel aufgrund des Erlasses dieses Beschlusses auf Amazon Store anwendbar sei, woraus Amazon im Wesentlichen folgert, dass dieser Artikel und dieser Beschluss Teil einer einheitlichen rechtlichen Regelung seien, deren Rechtmäßigkeit Amazon in Frage stellen wolle.

88

Es kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass ein derartiger Zusammenhang, wie die Kommission geltend macht, als nicht hinreichend unmittelbar angesehen werden kann, um die Zulässigkeit der von Amazon geltend gemachten Einrede der Rechtswidrigkeit zu begründen, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass weder vorgetragen noch nachgewiesen wird, dass er impliziere, dass Art. 39 der Verordnung 2022/2065 mit den Gründen, die den streitigen Beschluss stützen, oder mit den Gründen des streitigen Beschlusses selbst in Verbindung gebracht werden kann.

89

Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass der Gerichtshof bereits entschieden hätte, ob ein solcher Zusammenhang als „unmittelbarer rechtlicher Zusammenhang“ im Sinne der in Rn. 82 des vorliegenden Beschlusses genannten Rechtsprechung angesehen werden kann.

90

Darüber hinaus geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass Art. 277 AEUV zur Gewährleistung eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes so auszulegen ist, dass eine künstliche Trennung der verschiedenen Aspekte ein und derselben rechtlichen Regelung vermieden wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. September 2020, Kommission und Rat/Carreras Sequeros u. a., C‑119/19 P und C‑126/19 P, EU:C:2020:676, Rn. 76).

91

In diesem Kontext erscheint die Beurteilung der Art des rechtlichen Zusammenhangs, der zwischen Art. 39 der Verordnung 2022/2065 und dem streitigen Beschluss besteht, für die Anwendung von Art. 277 AEUV als eine komplexe Rechtsfrage, deren Lösung nicht ohne Weiteres auf der Hand liegt und daher eine eingehende Prüfung erfordert.

92

Wenn zweitens die Zulässigkeit des dritten Klagegrundes zu bejahen wäre, würde die Prüfung dieses Klagegrundes bedeuten, dass der Richter des Verfahrens zur Hauptsache bestimmt, ob Art. 39 der Verordnung 2022/2065 mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz und den Art. 7, 16 und 17 der Charta vereinbar ist.

93

Um das Vorbringen von Amazon hinsichtlich des fumus boni iuris zu beurteilen, muss dieser Klagegrund zunächst insoweit geprüft werden, als er sich auf einen behaupteten Verstoß gegen die Art. 7 und 16 der Charta bezieht.

94

Art. 7 der Charta sieht vor, dass jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation hat.

95

Art. 16 der Charta sieht seinerseits vor, dass die unternehmerische Freiheit nach Maßgabe des Unionsrechts sowie der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt wird.

96

Aus Art. 39 Abs. 1 und 2 der Verordnung 2022/2065 ergibt sich, dass die Anwendung dieser Vorschriften auf Amazon diese verpflichten würde, ein Archiv öffentlich zugänglich zu machen, das vielfältige Informationen zu der Werbung enthält, die auf sehr großen Online-Plattformen angezeigt wird. Zu diesen Informationen gehören u. a. der Inhalt der Werbung, die Person, in deren Namen die Werbung angezeigt wird, der Zeitraum, in dem die Werbung angezeigt wurde, die Hauptparameter für die Ausrichtung auf bestimmte Nutzer, die auf sehr großen Online-Plattformen veröffentlichten kommerziellen Kommunikationen oder auch die Gesamtzahl der erreichten Nutzer.

97

Da diese Informationen zusammen genommen detaillierte Hinweise auf die Gesamtheit der Tätigkeiten von Amazon im Bereich der Online-Werbung, einschließlich ihrer Beziehungen zu ihren Kunden oder der genauen Modalitäten der durchgeführten Kampagnen für kommerzielle Kommunikation, liefern, lässt sich nicht von vornherein ausschließen, dass, wie Amazon vorträgt, die in Art. 39 der Verordnung 2022/2065 auferlegten Pflichten als Einschränkung der Rechte von Amazon aus den Art. 7 und 16 der Charta angesehen werden können, ohne dass es für eine solche vorläufige Schlussfolgerung erforderlich wäre, dass Amazon zusätzliche Argumente vorbringt, um die Vertraulichkeit dieser Informationen zu belegen.

98

Dies wäre zwar anders, wenn davon auszugehen wäre, dass, wie die Kommission geltend macht, die Informationen, die Amazon nach Art. 39 der Verordnung 2022/2065 offenlegen muss, in Wirklichkeit unabhängig von der Anwendung dieses Artikels bereits öffentlich zugänglich sind.

99

In dieser Hinsicht scheint es tatsächlich so zu sein, dass einige dieser Informationen nach anderen Bestimmungen des Unionsrechts offengelegt werden müssen.

100

Insbesondere scheint zunächst die Offenlegung der Identität der Person, in deren Auftrag die Werbung angezeigt wird, gemäß Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2000/31 und Art. 26 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2022/2065 gefordert zu werden. Sodann erscheint das Vorbringen der Kommission, dass die Hauptparameter für die Ausrichtung auf bestimmte Nutzer gemäß Art. 15 Abs. 1 Buchst. b und h der Verordnung 2016/679, Art. 5 Abs. 1 der Verordnung 2019/1150 sowie Art. 26 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung 2022/2065 offenzulegen sind. Schließlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Veröffentlichung einer kommerziellen Kommunikation auf einer sehr großen Online-Plattform, ohne den betroffenen Verbraucher darüber zu informieren, als unlautere Geschäftspraxis im Sinne von Art. 5 Abs. 5 und Anhang I Nr. 11 der Richtlinie 2005/29 eingestuft werden kann.

101

Aus dem Vorbringen der Kommission oder umfassender aus der dem Vizepräsidenten des Gerichtshofs vorliegenden Akte ergibt sich nicht, dass alle in Art. 39 Abs. 2 der Verordnung 2022/2065 genannten Informationen, insbesondere der Zeitraum, in dem die Werbung angezeigt wurde, oder die Gesamtzahl der erreichten Nutzer, unabhängig von der Anwendung dieses Artikels offenzulegen sind. Es ist außerdem festzustellen, dass die Kommission nur vorträgt, dass die meisten solcher Informationen unter solche Offenlegungspflichten fielen, und dass sie nicht behauptet, dass dies bei der Gesamtheit dieser Informationen der Fall sei.

102

Im Übrigen stellt die Frage, ob die Offenlegung einer Information allein an den betroffenen Nutzer oder an die gesamte Öffentlichkeit für die Anwendung der Art. 7 und 16 der Charta gleichwertig ist, eine weitgehend neue Frage dar, die eine gewisse Komplexität aufweist.

103

Ferner trägt die Kommission zwar vor, Informationen, die den in Art. 39 Abs. 2 der Verordnung 2022/2065 genannten entsprächen, könne man in Bezug auf Amazon aus kommerziellen Angeboten erhalten, sie legt jedoch nichts vor, was dieses Vorbringen stützen könnte.

104

Was das Vorbringen betrifft, dass solche Informationen auf der Grundlage von auf dem Markt angebotenen Werbemetriken und Datenanalysen gesammelt werden könnten, so reicht es ohne ergänzende Angaben zu den betreffenden Informationen nicht aus, um nachzuweisen, dass Amazon nicht verpflichtet wäre, nach Art. 39 dieser Verordnung Informationen, die derzeit vertraulich sind, öffentlich zugänglich zu machen.

105

Darüber hinaus stellt das Vorbringen der Kommission, Amazon sei verpflichtet gewesen, nachzuweisen, dass die Offenlegung der in Rede stehenden Informationen ihr einen ernsthaften Schaden zufügen könne und dass die Interessen, die durch diese Offenlegung geschädigt werden könnten, objektiv schutzwürdig seien, eine Auslegung der einschlägigen Bestimmungen der Charta dar, die sich auf den ersten Blick weder aus dem Wortlaut dieser Bestimmungen noch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt. Die Begründetheit eines solchen Vorbringens muss folglich vom Richter des Verfahrens zur Hauptsache beurteilt werden.

106

Unter diesen Umständen kann der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter nicht feststellen, dass es auf der Hand liegt, dass die Informationen, die Amazon nach Art. 39 der Verordnung 2022/2065 offenlegen muss, nicht vertraulich sind und dass somit die Anwendung dieses Art. 39 auf Amazon nicht zu einer Einschränkung der Rechte von Amazon aus den Art. 7 und 16 der Charta führt.

107

Eine solche Einschränkung dieser Rechte wäre jedoch nur dann geeignet, die Rechtswidrigkeit von Art. 39 der Verordnung 2022/2065 zu begründen, wenn diese Einschränkung nicht mit den in Art. 52 Abs. 1 der Charta genannten Voraussetzungen in Einklang stünde.

108

Diese Bestimmung sieht vor, dass die Ausübung von Rechten, wie diejenigen, die in den Art. 7 und 16 der Charta verankert sind, eingeschränkt werden kann, sofern diese Einschränkungen gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

109

Die Beurteilung, die vorzunehmen ist, um zu bestimmen, ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind, setzt die Berücksichtigung verschiedener Faktoren voraus, wie den Umfang, in dem die Veröffentlichung aller in Art. 39 Abs. 2 der Verordnung 2022/2065 genannten Informationen zur Verwirklichung der vom Unionsgesetzgeber verfolgten Ziele beiträgt, den Grad der Schwere der Einschränkung der Rechte aus den Art. 7 und 16 der Charta oder das etwaige Bestehen alternativer Lösungen, die weniger stark in diese Rechte eingreifen.

110

Selbst wenn dem Unionsgesetzgeber insoweit ein großer Beurteilungsspielraum zuerkannt werden muss, stellt somit die Frage, ob er beim Erlass von Art. 39 der Verordnung 2022/2065 die Grenzen dieses Beurteilungsspielraums überschritten hat, in Ermangelung eindeutiger Präzedenzfälle eine rechtlich erhebliche Kontroverse dar, deren Lösung nicht ohne Weiteres auf der Hand liegt.

111

Nach alledem kann nach der summarischen Prüfung, die dem für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter obliegt, und ohne Entscheidung über die Begründetheit des von Amazon geltend gemachten dritten Klagegrundes, was von Amts wegen allein Sache des Richters der Verfahren zur Hauptsache ist, nicht festgestellt werden, dass dieser Klagegrund auf den ersten Blick gänzlich unhaltbar ist.

112

Somit ist die Voraussetzung des fumus boni iuris in Anbetracht des Vorbringens zur Einrede der Rechtswidrigkeit von Art. 39 der Verordnung 2022/2065 erfüllt.

Dringlichkeit

Vorbringen

113

Um zu beweisen, dass die Voraussetzung der Dringlichkeit erfüllt ist, trägt Amazon vor, dass der Umstand, dass das nach Art. 39 der Verordnung 2022/2065 erforderliche Archiv öffentlich zugänglich zu machen sei, bei ihr zu einem schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden führen würde.

114

Zunächst verpflichte der Umstand, dieses Archiv öffentlich zugänglich zu machen, Amazon dazu, vertrauliche Informationen über Amazon und ihre Werbekunden offenzulegen. Insbesondere nenne dieses Archiv die Targeting-Parameter, die Amazon bereitstellen könne, und die Zahl der Kunden, die mit diesen Parametern erreicht werden könnten. Seien diese Informationen erst einmal offengelegt, behielten die Konkurrenten von Amazon das Wissen über die wirksamsten Strategien und Technologien. Außerdem schade das Offenlegen dieser Informationen den Werbepartnern von Amazon, indem sie deren Strategien preisgäben. Das Werbegeschäft von Amazon würde dadurch schwerwiegend und irreparabel geschädigt.

115

Sodann verringere der Umstand, das nach Art. 39 der Verordnung 2022/2065 erforderliche Archiv öffentlich zugänglich zu machen, irreversibel die Marktanteile von Amazon, und zwar sowohl bei ihren allgemeinen Einzelhandelstätigkeiten als auch bei ihren Werbetätigkeiten. Denn die Zugänglichmachung für die Öffentlichkeit ziehe Drittverkäufer von Amazon Store ab und erhöhe ihre Zurückhaltung, in Amazon Store Werbung darzustellen. Darüber hinaus seien die Konkurrenten der Anbieter, die Werbung in Amazon Store anzeigten, in der Lage, die erfolgreichsten Werbestrategien zu kopieren und zu reproduzieren. Langfristig könne die öffentliche Zugänglichkeit des genannten Registers die Verbrauchererfahrung beeinträchtigen, indem die Werbung reduziert und die Verkäufer von der Amazon-Store-Plattform ferngehalten würden.

116

Schließlich sei der Schaden für Amazon nicht nur finanzieller Art und lasse sich nicht nur finanziell beziffern. Die Verschlechterung ihrer Wettbewerbsposition könne somit zum Entstehen einer negativen Rückkopplungsschleife führen. Darüber hinaus sei es wahrscheinlich unmöglich, die spezifischen Auswirkungen der Zugänglichmachung für die Öffentlichkeit des nach Art. 39 der Verordnung 2022/2065 erforderlichen Archivs genau einzuschätzen, insbesondere da diese Zugänglichmachung die Offenlegung vertraulicher Informationen bedeuten würde.

117

Die Kommission ist der Ansicht, Amazon habe nicht nachgewiesen, dass die Voraussetzung der Dringlichkeit im vorliegenden Fall erfüllt gewesen sei.

118

Amazon habe sich darauf beschränkt, Behauptungen – meist im Konditional – vorzutragen, die nicht untermauert und zusammenhanglos gewesen seien. Darüber hinaus habe Amazon keine Informationen vorgelegt, die belegten, dass der von Amazon behauptete Schaden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehbar sei. Die Tatsache, dass Amazon Schwierigkeiten habe, die Begründetheit einer auf Ersatz ihres Schadens gerichteten Klage zu beweisen, sei nicht geeignet, um nachzuweisen, dass der Schaden sich nicht beziffern lasse.

119

Außerdem habe Amazon nicht nachgewiesen, dass die Voraussetzung des fumus boni iuris in Bezug auf die Vertraulichkeit der Informationen, die sie in dem nach Art. 39 der Verordnung 2022/2065 erforderlichen Archiv anführen müsse, erfüllt sei. Nur wenn diese Voraussetzung erfüllt sei, müsse der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter bei der Beurteilung der Voraussetzung der Dringlichkeit davon ausgehen, dass bestimmte Informationen vertraulich seien. Jedenfalls seien diese Informationen nicht vertraulich.

Würdigung

120

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs besteht der Zweck des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes darin, die volle Wirksamkeit der künftigen Endentscheidung zu gewährleisten, um eine Lücke in dem vom Gerichtshof gewährten Rechtsschutz zu vermeiden. Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Dringlichkeit im Hinblick darauf zu beurteilen, ob eine einstweilige Anordnung erforderlich ist, um den Eintritt eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens bei der Partei, die den vorläufigen Rechtsschutz beantragt, zu verhindern. Dieser Partei obliegt der Nachweis, dass sie den Ausgang des Verfahrens zur Hauptsache nicht abwarten kann, ohne dass ihr derartiger Schaden entstünde. Zwar ist es für den Nachweis dieses Schadens nicht erforderlich, dass der Eintritt und das unmittelbare Bevorstehen des Schadens mit absoluter Sicherheit belegt werden, sondern es genügt, dass dieser mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit vorhersehbar ist; jedoch obliegt es dem Antragsteller, die Tatsachen zu beweisen, die die Erwartung eines solchen Schadens begründen sollen (Beschluss der Vizepräsidentin des Gerichtshofs vom 16. Juli 2021, Symrise/ECHA, C‑282/21 P[R], EU:C:2021:631, Rn. 40).

121

Hinsichtlich, erstens, des Vorbringens von Amazon, dass die öffentliche Zugänglichkeit des nach Art. 39 der Verordnung 2022/2065 erforderlichen Archivs zu einem Rückgang ihrer Marktanteile führen und ihr damit einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen werde, ist daran zu erinnern, dass die den vorläufigen Rechtsschutz beantragende Partei, wenn sie sich auf den Verlust ihrer Marktanteile beruft, dartun muss, dass sie durch Hindernisse struktureller oder rechtlicher Art daran gehindert wäre, einen nennenswerten Teil dieser Marktanteile zurückzuerlangen, sollte ihrer Klage schließlich stattgegeben werden (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 2. Februar 2024, Mylan Ireland/Kommission, C‑604/23 P[R], EU:C:2024:117, Rn. 84 und die dort angeführte Rechtsprechung).

122

Amazon trägt zwar tatsächlich vor, dass der Verlust von Marktanteilen infolge der Zugänglichmachung dieses Archivs irreversibel sei, sie führt in ihrem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz jedoch keine spezifischen Hindernisse auf, die sie daran hindern würden, diese Marktanteile zurückzuerlangen, falls sie später wegen der Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses nicht mehr verpflichtet sein sollte, dieses Archiv weiterhin online zu stellen.

123

Zwar bezieht sich Amazon in diesem Zusammenhang auch auf bestimmte Punkte eines Sachverständigengutachtens, das dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz als Anlage beigefügt war und aus dem hervorgeht, dass es für Amazon schwierig sein könnte, Verkäufer, die ihre Plattform verlassen haben, für diese zurückzugewinnen, da sie sich möglicherweise an die Nutzung einer anderen Plattform gewöhnt haben und die Verbindungen, die sie mit ihren Kunden auf dieser anderen Plattform aufgebaut haben, beibehalten wollen könnten.

124

Jedoch beschränkt sich dieses Gutachten zum einen auf Annahmen, ohne die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts zu bewerten. Zum anderen enthält dieses Gutachten keinerlei Beweis oder Hinweis, der belegen könnte, dass der Eintritt dieser Annahmen tatsächlich wahrscheinlich ist.

125

Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass Amazon das Bestehen von Hindernissen struktureller oder rechtlicher Art nachgewiesen hat, die im Fall der Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses verhindern würden, dass sie einen nennenswerten Teil der infolge des nach Art. 39 der Verordnung 2022/2065 erforderlichen öffentlich zugänglichen Archivs möglicherweise verloren gegangenen Marktanteile zurückerlangen kann. Sie hat somit jedenfalls nicht dargetan, dass die Marktverluste, die sich aus der Zugänglichmachung dieses Archivs ergeben sollen, ihr einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen würden.

126

Was zweitens das Vorbringen zur Offenlegung vertraulicher Informationen betrifft, folgt aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter, wenn zum einen die vorläufigen Rechtsschutz beantragende Person vorbringt, dass die Informationen, deren Veröffentlichung sie im Wege einer einstweiligen Anordnung verhindern will, Geschäftsgeheimnisse darstellten oder in anderer Weise unter das Berufsgeheimnis fielen, und wenn zum anderen dieses Vorbringen die Voraussetzung des fumus boni iuris erfüllt, grundsätzlich im Rahmen seiner Prüfung der Voraussetzung der Dringlichkeit von der Prämisse ausgehen muss, dass diese Informationen Geschäftsgeheimnisse darstellen (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 12. Juni 2018, Nexans France und Nexans/Kommission, C‑65/18 P[R], EU:C:2018:426, Rn. 21).

127

Da aus den Rn. 96 bis 105 des vorliegenden Beschlusses hervorgeht, dass das Vorbringen von Amazon, wonach zumindest ein Teil der in Art. 39 Abs. 2 der Verordnung 2022/2065 genannten Informationen vertraulich sei, die Voraussetzung des fumus boni iuris erfüllt, ist für die Beurteilung der Voraussetzung der Dringlichkeit davon auszugehen, dass die Anwendung dieser Bestimmung zur Offenlegung vertraulicher Informationen führen wird.

128

Das Vorbringen der Kommission, dass die in Rede stehenden Informationen nicht vertraulich seien, kann folglich nicht zu der Feststellung führen, dass diese Voraussetzung nicht vorliegt.

129

In diesem Zusammenhang trägt Amazon zwar vor, dass es sich bei dem Schaden, der aus der öffentlichen Zugänglichkeit des nach Art. 39 der Verordnung 2022/2065 erforderlichen Archivs entstehe, nicht nur um einen finanziellen Schaden handele, sie hat jedoch nicht dargelegt, inwiefern die Zugänglichmachung dieses Archivs ihr einen immateriellen Schaden zufüge.

130

Dagegen beruft sich Amazon eindeutig auf einen finanziellen Schaden als Folge der Zugänglichmachung dieses Archivs, der sich daraus ergebe, dass die Drittverkäufer zurückhaltend seien, Werbung bei Amazon Store zu veröffentlichen, was letztlich dazu führen könne, dass ein Teil dieser Verkäufer die Plattform verlasse und dass die Konkurrenten von Amazon Kenntnis von Strategien erlangten, mit denen sie ihre Wettbewerbsposition verbessern könnten.

131

Angesichts der Vielfalt der genauen geschäftlichen Informationen, die in dem nach Art. 39 der Verordnung 2022/2065 erforderlichen Archiv enthalten sein sollen, des Interesses der Inserenten, Werbepraktiken anwenden zu können, die von ihren Konkurrenten nicht ohne Weiteres nachgeahmt werden können, und des Vorteils, den die Konkurrenten von Amazon aus einem umfassenden Zugang zu solchen geschäftlichen Informationen ziehen könnten, muss davon ausgegangen werden, dass der Schaden, der sich daraus ergäbe, dass dieses Archiv öffentlich zugänglich gemacht wird, den für den Erlass einstweiliger Anordnungen erforderlichen Schwergrad aufweist (vgl. entsprechend Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 10. September 2013, Kommission/Pilkington Group, C‑278/13 P[R], EU:C:2013:558, Rn. 47).

132

Was den nicht wiedergutzumachenden Charakter dieses Schadens betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass ein finanzieller Schaden zwar, von außergewöhnlichen Situationen abgesehen, nicht als irreparabel anzusehen ist, da in aller Regel ein Ersatz in Geld den Geschädigten wieder in die Lage versetzen kann, in der er sich vor Eintritt des Schadens befand. Jedoch gilt etwas anderes und kann ein solcher Schaden daher nicht als wiedergutzumachend angesehen werden, wenn er sich nicht beziffern lässt (Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 2. März 2016, Evonik Degussa/Kommission, C‑162/15 P-R, EU:C:2016:142, Rn. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung).

133

Allerdings kann die Ungewissheit, die mit dem Ersatz eines finanziellen Schadens im Wege einer etwaigen Schadensersatzklage verbunden ist, für sich genommen nicht als ein Umstand angesehen werden, der die Irreparabilität eines solchen Schadens im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu belegen vermag. Im Stadium des vorläufigen Rechtsschutzes ist nämlich zwangsläufig ungewiss, ob später im Rahmen einer etwaigen Schadensersatzklage nach Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung Ersatz für einen finanziellen Schaden erlangt werden kann. Das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes verfolgt nicht den Zweck, an die Stelle einer solchen Schadensersatzklage zu treten, um diese Ungewissheit zu beseitigen; es bezweckt allein, die volle Wirksamkeit der künftigen Endentscheidung im Verfahren zur Hauptsache, hier ein Verfahren aufgrund einer Nichtigkeitsklage, zu gewährleisten, zu dem das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hinzutritt (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 2. März 2016, Evonik Degussa/Kommission, C‑162/15 P-R, EU:C:2016:142, Rn. 93 und die dort angeführte Rechtsprechung).

134

Anders verhält es sich hingegen, wenn sich bereits im Rahmen der Beurteilung durch den für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter klar zeigt, dass der behauptete Schaden, wenn er entsteht, in Anbetracht seiner Natur und der vorhersehbaren Art und Weise seines Eintretens nicht angemessen festgestellt und beziffert werden kann und im Wege einer Schadensersatzklage praktisch nicht wiedergutgemacht werden kann. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn es um die Veröffentlichung spezifischer geschäftlicher und vertraulicher Informationen geht (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 2. März 2016, Evonik Degussa/Kommission, C‑162/15 P-R, EU:C:2016:142, Rn. 94 und die dort angeführte Rechtsprechung).

135

Insoweit ist festzustellen, dass der Schaden, der Amazon wegen der Veröffentlichung ihrer Geschäftsgeheimnisse entstehen kann, hinsichtlich sowohl seiner Art als auch seines Umfangs unterschiedlich ausfiele, je nachdem, ob es sich bei den Personen, die von diesen Geschäftsgeheimnissen Kenntnis nehmen würden, um ihre Kunden, ihre Wettbewerber, Finanzanalysten oder um der breiten Öffentlichkeit zuzurechnende Personen handelt. Es wäre nämlich nicht möglich, die Zahl und Eigenschaft aller Personen festzustellen, die tatsächlich von den veröffentlichten Informationen Kenntnis erlangt hätten, und somit die konkreten Auswirkungen zu beurteilen, die deren Veröffentlichung auf die geschäftlichen und wirtschaftlichen Interessen von Amazon haben könnte (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 2. März 2016, Evonik Degussa/Kommission, C‑162/15 P-R, EU:C:2016:142, Rn. 95 und die dort angeführte Rechtsprechung).

136

Diese Ungewissheit, die auch im vorliegenden Fall vorhanden ist, kann aber belegen, dass der geltend gemachte finanzielle Schaden nicht wiedergutzumachen ist (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 2. März 2016, Evonik Degussa/Kommission, C‑162/15 P-R, EU:C:2016:142, Rn. 96, sowie vom 1. März 2017, EMA/MSD Animal Health Innovation und Intervet international, C‑512/16 P[R], EU:C:2017:149, Rn. 113 bis 118).

137

Folglich ist davon auszugehen, dass Amazon dargetan hat, dass der behauptete Schaden die erforderlichen Merkmale aufweist. Somit liegt die Voraussetzung der Dringlichkeit vor.

Zur Interessenabwägung

Vorbringen

138

Amazon trägt vor, dass ihr Interesse daran, dass die Vollziehung des streitigen Beschlusses ausgesetzt werde, die anderen mit einer sofortigen Vollziehung dieses Beschlusses verbundenen Interessen aus drei Gründen überwiege.

139

Zunächst beeinträchtige die Ablehnung der Gewährung einer einstweiligen Anordnung die Wirksamkeit einer zukünftigen Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses, da für Amazon die Gefahr eines nicht wiedergutzumachenden Schadens entstehe, noch bevor eine solche Nichtigkeitsentscheidung erfolgen könne. Die Informationen, die offengelegt würden, wenn das nach Art. 39 der Verordnung 2022/2065 erforderliche Archiv öffentlich zugänglich gemacht werde, hätten damit ihren vertraulichen Charakter endgültig verloren. Ebenso könne diese Nichtigkeitsentscheidung die Drittverkäufer, die diese Plattform bereits verlassen hätten, nicht zu Amazon Store zurückbringen.

140

Sodann habe die Aussetzung der Vollziehung des streitigen Beschlusses nur zur Folge, den Status quo, wie er bestehe, bis zum Erlass der Entscheidung in der Hauptsache aufrechtzuhalten.

141

Schließlich seien die in der Verordnung 2022/2065 vorgesehenen anderen Maßnahmen, die selbst dann anwendbar seien, wenn die Vollziehung des streitigen Beschlusses ausgesetzt werde, ausreichend, um die vom Unionsgesetzgeber verfolgten Ziele zu erreichen. Man könne Art. 39 dieser Verordnung nicht als eine Grundsatzregelung dieser Verordnung betrachten, weil die darin genannten Pflichten auf die überwiegende Mehrheit der Vermittlungsdienste nicht anwendbar seien.

142

Die Kommission ist der Ansicht, dass die von Amazon vorgebrachten Gründe einzeln oder in ihrer Gesamtheit nicht ausreichten, um davon auszugehen, dass die Interessenabwägung zugunsten des Erlasses der beantragten einstweiligen Anordnungen ausfalle. Erstens sei der Eintritt eines nicht wiedergutzumachenden Schadens kein entscheidendes Argument, sondern eine Prämisse für die Interessenabwägung durch den für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter. Zweitens wahre die Aussetzung der Vollziehung des streitigen Beschlusses nicht den Status quo. Im Gegenteil, die Gewährung einer solchen Aussetzung führe dazu, dass auf Amazon mehrere Jahre lang eine Regelung angewandt werde, die sich von derjenigen unterscheide, die anderen sehr großen Online-Plattformen auferlegt würde. Drittens habe der Unionsgesetzgeber gerade deshalb eine Sonderregelung für diese Art von Plattformen vorgesehen, weil die in der Verordnung 2022/2065 vorgesehenen allgemeinen Pflichten nicht ausreichten, um die systemischen gesellschaftlichen Gefahren, die von diesen Plattformen ausgingen, abzuwenden, wie eine Reihe von Beispielen aus der jüngsten Vergangenheit zeige. Es sei aber dringend erforderlich, die Anwendung dieser spezifischen Regelung zu gewährleisten, um den Gefahren zu begegnen, wie insbesondere Art. 93 Abs. 2 der Verordnung zeige.

Würdigung

143

Bei den meisten Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz können sowohl der Erlass als auch die Ablehnung der beantragten Aussetzung der Vollziehung in gewissem Maße bestimmte endgültige Wirkungen zeitigen, und es ist Sache des für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richters, der mit einem Aussetzungsantrag befasst ist, die mit beiden Entscheidungsmöglichkeiten verbundenen Risiken gegeneinander abzuwägen. Konkret bedeutet dies u. a., dass zu prüfen ist, ob das Interesse der Partei, die die einstweiligen Anordnungen beantragt, an der Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Rechtsakts schwerer wiegt als das Interesse an dessen sofortiger Anwendung. Dabei ist zu prüfen, ob eine etwaige Nichtigerklärung des Rechtsakts im Verfahren zur Hauptsache die Umkehrung der Lage erlauben würde, die durch die sofortige Vollziehung des Rechtsakts entstünde, und inwieweit umgekehrt die Aussetzung der Vollziehung die Erreichung der mit dem angefochtenen Rechtsakt verfolgten Ziele behindern würde, falls die Klage in der Hauptsache abgewiesen würde (Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 24. Mai 2022, Puigdemont i Casamajó u. a./Parlament und Spanien, C‑629/21 P[R], EU:C:2022:413, Rn. 248 und die dort angeführte Rechtsprechung).

144

Was erstens das Interesse an der Gewährung der beantragten einstweiligen Anordnungen betrifft, ist zu betonen, dass eine eventuelle Entscheidung, mit der der streitige Beschluss für nichtig erklärt wird, nicht wirkungslos bliebe, wenn der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückgewiesen würde und Amazon infolgedessen verpflichtet wäre, das nach Art. 39 der Verordnung 2022/2065 erforderliche Register unverzüglich öffentlich zugänglich zu machen.

145

Zwar hätten die Informationen, die in diesem Archiv bis zu einer Entscheidung, mit der der streitige Beschluss für nichtig erklärt wird, veröffentlicht werden, in der Praxis endgültig ihre Vertraulichkeit verloren, da sie der Kenntnis Dritter nicht mehr entzogen werden können.

146

Aus Art. 39 Abs. 1 der Verordnung 2022/2065 ergibt sich jedoch, dass dieses Archiv ständig aktualisiert werden muss, da es die in Art. 39 Abs. 2 dieser Verordnung genannten Informationen für den gesamten Zeitraum, in dem der Anbieter der betreffenden sehr großen Online-Plattform eine Werbung anzeigt, und ein Jahr lang nach der letzten Anzeige der Werbung auf seinen Online-Schnittstellen enthalten muss.

147

Daraus folgt, dass Amazon im Fall der Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses nicht mehr verpflichtet wäre, das nach diesem Art. 39 erforderliche Archiv zu unterhalten. Folglich müsste sie weder Informationen über die in Amazon Store dargestellten Werbeanzeigen online speichern noch Informationen über die Entwicklung ihrer Werbekampagnen oder über neue Werbekampagnen offenlegen. Diese Nichtigerklärung würde daher den Anbietern eine Rückkehr in ein attraktiveres Geschäftsumfeld gewährleisten und Amazon erlauben, neue Strategien für ihre Werbetätigkeit zu entwickeln, ohne dass ihre Konkurrenten über das Archiv davon Kenntnis erlangen könnten.

148

Die Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses bliebe somit für Amazon auch ohne den Erlass einstweiliger Anordnungen weiterhin von Interesse und tatsächlich wirksam. Diese Sachlage unterscheidet die vorliegende Rechtssache von denjenigen, in denen sich der Gerichtshof bei seiner Beurteilung der Interessenabwägung entscheidend auf den Umstand gestützt hat, dass die Offenlegung von Informationen, die in einem Beschluss oder einem Bericht enthalten waren, einer etwaigen Nichtigerklärung des Beschlusses, mit dem die Offenlegung dieser Informationen angeordnet wurde, endgültig jede Wirksamkeit nehmen würde (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 2. März 2016, Evonik Degussa/Kommission, C‑162/15 P-R, EU:C:2016:142,Rn. 105, und Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 1. März 2017, EMA/PTC Therapeutics International, C‑513/16 P[R], EU:C:2017:148, Rn 136).

149

Andererseits ist es, wie Amazon geltend macht und wie aus den Rn. 126 bis 137 des vorliegenden Beschlusses hervorgeht, ohne den Erlass einstweiliger Anordnungen wahrscheinlich, dass Amazon vor einer eventuellen Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden erleiden wird.

150

Dieser Umstand kann jedoch nicht für sich allein als entscheidend angesehen werden, da der eigentliche Zweck der Interessenabwägung darin besteht, zu beurteilen, ob trotz der Beeinträchtigung der Interessen des Antragstellers, die die Gefahr, einen schweren und irreparablen Schaden zu erleiden, darstellt, die Berücksichtigung der Interessen, die mit der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Beschlusses verbunden sind, die Ablehnung der beantragten einstweiligen Anordnungen rechtfertigen kann (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 12. Juli 1996, Vereinigtes Königreich/Kommission, C‑180/96 R, EU:C:1996:308, Rn. 90 bis 92, Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 11. April 2001, Kommission/Cambridge Healthcare Supplies, C‑471/00 P[R], EU:C:2001:218, Rn. 120, und Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 8. April 2014, Kommission/ANKO, C‑78/14 P-R, EU:C:2014:239, Rn. 40).

151

Für die Zwecke dieser Beurteilung ist festzustellen, dass die Prüfung der Voraussetzung der Dringlichkeit zwar ergibt, dass Amazon ohne den Erlass einstweiliger Anordnungen tatsächlich einen schweren und nicht wiedergutzumachenden finanziellen Schaden erleiden könnte, dass sich aus ihrem Vortrag aber nicht ergibt, dass die Anwendung von Art. 39 der Verordnung 2022/2065 auf Amazon Store bis zur Entscheidung in der Hauptsache eine Gefährdung der Existenz von Amazon oder die Schädigung ihrer langfristigen Entwicklung zur Folge hätte.

152

Zunächst wird weder vorgetragen noch nachgewiesen, dass Amazon ohne die Gewährung einstweiliger Anordnungen der Gefahr der Einstellung ihrer Geschäftstätigkeit ausgesetzt wäre.

153

Sodann ergibt sich aus den Rn. 121 bis 125 des vorliegenden Beschlusses, dass Amazon nicht nachgewiesen hat, dass die Gefahr für einen erheblichen und dauerhaften Verlust von Marktanteilen besteht, falls Art. 39 der Verordnung 2022/2065 in dem Zeitraum zwischen dem Tag der Prüfung ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz und dem Tag der Entscheidung in der Hauptsache auf Amazon Store anwendbar wäre.

154

Schließlich geht aus dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hervor, dass die Einnahmen von Amazon aus ihren Werbetätigkeiten nur 7 % ihrer Gesamteinnahmen ausmachen. Somit wirkt sich die Beschränkung der Möglichkeiten zur Entwicklung von Werbestrategien, die sich aus der Anwendung von Art. 39 der Verordnung 2022/2065 ergeben könnte, unmittelbar nur auf einen begrenzten Teil der Geschäftstätigkeit von Amazon aus, und es ist nicht erwiesen, dass die mittelbaren Auswirkungen einer solchen Beschränkung auf andere Geschäftstätigkeiten von Amazon erheblich wären.

155

Was zweitens das Interesse an der sofortigen Anwendung des streitigen Beschlusses betrifft, so ist hervorzuheben, dass die Verordnung 2022/2065 ein zentrales Element der vom Unionsgesetzgeber entwickelten Politik im digitalen Sektor darstellt. Die Verordnung verfolgt im Rahmen dieser Politik Ziele von großer Bedeutung, da sie, wie aus ihrem 155. Erwägungsgrund hervorgeht, zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts beitragen und ein sicheres, vorhersehbares und vertrauenswürdiges Online-Umfeld schaffen soll, in dem die in der Charta verankerten Grundrechte angemessen geschützt werden.

156

Die Kommission hat zwar nicht vorgetragen, geschweige denn nachgewiesen, dass der Erlass einstweiliger Anordnungen, die die Anwendung von Art. 39 der Verordnung 2022/2065 auf Amazon Store bis zur Entscheidung über die Klage ausschließen, geeignet sei, die Verwirklichung dieser Ziele endgültig zu verhindern.

157

Es ist jedoch hervorzuheben, dass die Nichtanwendung bestimmter in dieser Verordnung vorgesehener Pflichten dazu führt, dass die vollständige Verwirklichung dieser Ziele möglicherweise um mehrere Jahre hinausgeschoben wird. Diese Nichtanwendung erzeugt somit eine Gefahr, dass ein die in der Charta verankerten Grundrechte bedrohendes Online-Umfeld potenziell fortbestehen oder sich entwickeln kann.

158

Diese Feststellung kann nicht durch das Vorbringen von Amazon in Frage gestellt werden, wonach ein solches Risiko dadurch vermieden würde, dass die Pflichten, die die Verordnung allen Vermittlerdiensten auferlegt, auch für Amazon Store gelten.

159

Aus den Erwägungsgründen 75 und 76 der Verordnung 2022/2065 geht nämlich hervor, dass der Unionsgesetzgeber nach einer Beurteilung, die von dem für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter nicht in Frage gestellt werden darf, befunden hat, dass sehr große Online-Plattformen im Internet eine bedeutende Rolle spielen und gesellschaftliche Risiken bewirken können, die sich hinsichtlich Umfang und Auswirkungen von denen kleinerer Plattformen unterscheiden.

160

Insbesondere geht aus dem 95. Erwägungsgrund dieser Verordnung hervor, dass der Unionsgesetzgeber der Ansicht war, dass die von sehr großen Online-Plattformen verwendeten Werbesysteme mit besonderen Risiken verbunden sind und eine weiter gehende öffentliche und regulatorische Aufsicht erforderlich machen.

161

Soll die Kompetenz des für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richters nicht dadurch überschritten werden, dass Wertungen des Unionsgesetzgebers, deren Fehlerhaftigkeit nicht erwiesen ist, außer Acht gelassen werden, darf also nicht davon ausgegangen werden, dass die Anwendung allein der Pflichten, die die Verordnung 2022/2065 allen Vermittlungsdiensten auferlegt, auf Amazon Store die Anwendung der sich aus Art. 39 dieser Verordnung ergebenden Pflichten auf diese Plattform in zufriedenstellender Weise ersetzen könnte.

162

Der Unionsgesetzgeber hat aber der frühestmöglichen Geltung der Verordnung für sehr große Online-Plattformen besondere Bedeutung beigemessen. So geht aus Art. 92 und Art. 93 Abs. 2 der Verordnung hervor, dass die Verordnung zwar erst ab dem 17. Februar 2024 gilt, dass bei sehr großen Online-Plattformen jedoch eine frühere Geltung möglich ist.

163

Es ist noch darauf hinzuweisen, dass entgegen dem Vorbringen von Amazon die Gewährung der beantragten einstweiligen Anordnungen nicht nur dazu führen würde, den Status quo aufrechtzuerhalten. Die Aussetzung der Vollziehung des streitigen Beschlusses hätte nämlich weder Auswirkungen auf die Geltung der in der Verordnung 2022/2065 vorgesehenen allgemeinen Pflichten für alle Vermittlungsdienste noch auf die Geltung der für sehr große Online-Plattformen spezifischen Pflichten für andere Plattformen als Amazon, die von der Kommission gemäß Art. 33 Abs. 4 dieser Verordnung als solche benannt worden sind. Somit würde eine solche Aussetzung der Vollziehung die Wettbewerbssituation im digitalen Sektor auf eine Art und Weise verändern, die vom Unionsgesetzgeber nicht vorgesehen war, indem für Amazon eine andere Regelung gelten würde als für andere Akteure dieses Sektors, die im Hinblick auf die vom Unionsgesetzgeber festgelegten Kriterien Merkmale aufweisen, die denen dieses Unternehmens vergleichbar sind.

164

Nach alledem ist davon auszugehen, dass die Interessen des Unionsgesetzgebers im vorliegenden Fall die materiellen Interessen von Amazon überwiegen, so dass die Interessenabwägung zugunsten der Abweisung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz ausfällt.

165

Folglich ist der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz insoweit zurückzuweisen, als er auf die Aussetzung der Vollziehung des streitigen Beschlusses gerichtet ist, soweit dieser Beschluss Amazon dazu verpflichtet, das nach Art. 39 der Verordnung 2022/2065 erforderliche Archiv zu unterhalten und öffentlich zugänglich zu machen.

Zu dem von Amazon hilfsweise gestellten Antrag

Vorbringen

166

Amazon ersucht den Gerichtshof für den Fall, dass dem Rechtsmittel stattgegeben wird, ihr eine Frist von 28 Tagen ab dem Datum des Urteils, mit dem das Rechtsmittelverfahren beendet wird, einzuräumen, um der Verpflichtung nachzukommen, das nach Art. 39 der Verordnung 2022/2065 erforderliche Archiv zu unterhalten und öffentlich zugänglich zu machen. Diese Frist sei in technischer Hinsicht notwendig, um dieser Pflicht nachzukommen.

Würdigung

167

Zunächst kann der von Amazon hilfsweise gestellte Antrag nicht als Antrag angesehen werden, der nach Art. 174 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs eingereicht werden kann, da diese Vorschrift bestimmt, dass die Anträge der Rechtsmittelbeantwortung auf die vollständige oder teilweise Stattgabe oder Zurückweisung des Rechtsmittels gerichtet sein müssen.

168

Da sich aus Art. 170 Abs. 1 dieser Verfahrensordnung ergibt, dass der Rechtsmittelführer seine im ersten Rechtszug gestellten Anträge nicht ergänzen kann, kann ferner ein solches Vorrecht mangels einer speziellen Bestimmung für diesen Zweck auch nicht dem Rechtsmittelgegner eingeräumt werden.

169

Mit ihren Anträgen im ersten Rechtszug hatte Amazon das Gericht jedoch keinesfalls um eine Frist für den Fall der Zurückweisung ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz gebeten.

170

Nimmt man folglich an, dass der von Amazon hilfsweise gestellte Antrag so zu verstehen ist, dass er im Hinblick darauf gestellt wurde, ihre im ersten Rechtszug gestellten Anträge zu ergänzen, ist er als neuer Antrag zurückzuweisen (vgl. entsprechend Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 20. März 2023, Xpand Consortium u. a./Kommission, C‑739/22 P[R], EU:C:2023:228, Rn. 20).

171

Schließlich kann dieser neue Antrag auch nicht als Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach Art. 160 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs angesehen werden, da nach Art. 160 Abs. 4 dieser Verfahrensordnung die Zulässigkeit eines solchen Antrags voraussetzt, dass er mit gesondertem Schriftsatz vorgelegt wurde (vgl. entsprechend Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 20. März 2023, Xpand Consortium u. a./Kommission, C‑739/22 P[R], EU:C:2023:228, Rn. 21).

172

Somit ist der von Amazon hilfsweise gestellte Antrag als unzulässig zurückzuweisen.

Kosten

173

Gemäß Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entscheidet der Gerichtshof, wenn das Rechtsmittel begründet ist und der Gerichtshof den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet, über die Kosten.

174

Zu den Kosten des Rechtsmittelverfahrens ist daran zu erinnern, dass zum einen gemäß Art. 138 Abs. 1 dieser Verfahrensordnung, der gemäß Art. 184 Abs. 1 dieser Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen ist. Da die Kommission die Verurteilung von Amazon zur Tragung der Kosten des Rechtsmittelverfahrens beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr neben ihren eigenen Kosten im Zusammenhang mit dem Rechtsmittelverfahren auch die Kosten der Kommission im Zusammenhang mit diesem Verfahren aufzuerlegen.

175

Zum anderen tragen nach Art. 140 Abs. 1 der Verordnung, der nach Art. 184 Abs. 1 der Verordnung auf das Rechtsmittelverfahren anwendbar ist, die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Folglich tragen das Parlament und der Rat ihre eigenen Kosten im Zusammenhang mit dem Rechtsmittelverfahren.

176

Was die Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes im ersten Rechtszug betrifft, so sind gemäß Art. 137 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der gemäß Art. 184 Abs. 1 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren anwendbar ist, die Kosten der Kommission und von Amazon vorzubehalten.

 

Aus diesen Gründen hat der Vizepräsident des Gerichtshofs beschlossen:

 

1.

Nr. 1 des Tenors des Beschlusses des Präsidenten des Gerichts der Europäischen Union vom 27. September 2023, Amazon Services Europe/Kommission (T‑367/23 R, EU:T:2023:589), wird aufgehoben.

 

2.

Im Übrigen wird das Rechtsmittel zurückgewiesen.

 

3.

Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird insoweit zurückgewiesen, als er auf die Aussetzung der Vollziehung des Beschlusses C(2023) 2746 final der Kommission vom 25. April 2023 gerichtet ist, mit dem Amazon Store gemäß Art. 33 Abs. 4 der Verordnung (EU) 2022/2065 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Oktober 2022 über einen Binnenmarkt für digitale Dienste und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG (Gesetz über digitale Dienste) als eine sehr große Online-Plattform benannt wird, soweit dieser Beschluss Amazon Store verpflichtet, das nach Art. 39 dieser Verordnung erforderliche Archiv zu unterhalten und öffentlich zugänglich zu machen.

 

4.

Der Antrag der Amazon Services Europe Sàrl, der darauf gerichtet ist, ihr, sofern dem Rechtsmittel stattgegeben werden sollte, eine Frist von 28 Tagen einzuräumen, um der Pflicht, das Werbearchiv zu unterhalten, nachzukommen, wird zurückgewiesen.

 

5.

Die Amazon Services Europe Sàrl trägt neben ihren eigenen Kosten im Zusammenhang mit dem Rechtsmittelverfahren die Kosten der Europäischen Kommission im Zusammenhang mit diesem Verfahren.

 

6.

Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union tragen ihre eigenen Kosten im Zusammenhang mit dem Rechtsmittelverfahren.

 

7.

Die Entscheidung über die Kosten für das erstinstanzliche Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bleibt vorbehalten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

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