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Document 62023CJ0014

Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 29. Juli 2024.
XXX gegen État belge.
Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d'État (Belgien).
Vorlage zur Vorabentscheidung – Einwanderungspolitik – Richtlinie (EU) 2016/801 – Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Studienzwecken – Art. 20 Abs. 2 Buchst. f – Antrag auf Zulassung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu Studienzwecken – Andere Zwecke – Visumverweigerung – Ablehnungsgründe – Nichtumsetzung – Allgemeiner Grundsatz des Missbrauchsverbots – Art. 34 Abs. 5 – Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten – Grundrecht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.
Rechtssache C-14/23.

Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2024:647

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

29. Juli 2024 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Einwanderungspolitik – Richtlinie (EU) 2016/801 – Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Studienzwecken – Art. 20 Abs. 2 Buchst. f – Antrag auf Zulassung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu Studienzwecken – Andere Zwecke – Visumverweigerung – Ablehnungsgründe – Nichtumsetzung – Allgemeiner Grundsatz des Missbrauchsverbots – Art. 34 Abs. 5 – Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten – Grundrecht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union“

In der Rechtssache C‑14/23 [Perle] ( i )

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) mit Entscheidung vom 23. Dezember 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Januar 2023, in dem Verfahren

XXX

gegen

État belge, vertreten durch die Secrétaire d’État à l’Asile et la Migration,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan (Berichterstatter) sowie der Richter Z. Csehi und I. Jarukaitis,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Oktober 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von XXX, vertreten durch D. Andrien, Avocat,

der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs, C. Pochet und M. Van Regemorter als Bevollmächtigte im Beistand von E. Derriks und K. de Haes, Avocats,

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Očková und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

der litauischen Regierung, vertreten durch E. Kurelaitytė als Bevollmächtigte,

der luxemburgischen Regierung, vertreten durch A. Germeaux und T. Schell als Bevollmächtigte,

der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér als Bevollmächtigten,

der niederländischen Regierung, vertreten durch E. M. M. Besselink als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Hottiaux und A. Katsimerou als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. November 2023

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie (EU) 2016/801 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit (ABl. 2016, L 132, S. 21), insbesondere ihres Art. 3 Nr. 3, Art. 20 Abs. 2 Buchst. f und Art. 34 Abs. 5, sowie von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen XXX und dem belgischen Staat, vertreten durch die Secrétaire d’État à l’Asile et la Migration (Staatssekretärin für Asyl und Migration), wegen dessen Weigerung, XXX die Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, die sie beantragt hatte, um in Belgien zu studieren.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

In den Erwägungsgründen 2, 3, 14, 41 und 60 der Richtlinie 2016/801 heißt es:

„(2)

Diese Richtlinie sollte die in den Berichten über die Anwendung der Richtlinien 2004/114/EG [des Rates vom 13. Dezember 2004 über die Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen zur Absolvierung eines Studiums oder zur Teilnahme an einem Schüleraustausch, einer unbezahlten Ausbildungsmaßnahme oder einem Freiwilligendienst (ABl. 2004, L 375, S. 12)] und 2005/71/EG [des Rates vom 12. Oktober 2005 über ein besonderes Zulassungsverfahren für Drittstaatsangehörige zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung (ABl. 2005, L 289, S. 15)] festgestellten Defizite beheben, mehr Transparenz und Rechtssicherheit gewährleisten und einen kohärenten Rechtsrahmen für verschiedene Gruppen von Drittstaatsangehörigen bieten, die in die [Europäische] Union einreisen. Die bestehenden Rechtsvorschriften für diese Gruppen sollten daher vereinfacht und in einem Rechtsakt zusammengefasst werden. Die von dieser Richtlinie erfassten Gruppen unterscheiden sich zwar in mancher Hinsicht, doch haben sie auch Gemeinsamkeiten, die es ermöglichen, sie auf Unionsebene in einer Regelung zusammenzufassen.

(3)

Diese Richtlinie soll zu der mit dem Stockholmer Programm angestrebten Angleichung des nationalen Rechts über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen beitragen. Die Zuwanderung aus Drittstaaten ist ein Weg, um den Bedarf an hoch qualifizierten Personen in der Union zu decken; insbesondere Studenten und Forscher sind zunehmend gefragt. Durch ihren Beitrag zu intelligentem, nachhaltigem und integrativem Wachstum und somit zu den Zielen der Strategie Europa 2020 sind sie als Humankapital für die Union ausgesprochen wichtig.

(14)

Um den Ruf Europas als internationalen Exzellenzstandort für Studium und berufliche Bildung zu festigen, sollten die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt zu diesen Zwecken verbessert und vereinfacht werden. …

(41)

Bestehen Zweifel an den Antragsgründen, sollten die Mitgliedstaaten angemessene Prüfungen durchführen oder Nachweise verlangen können, um im Einzelfall die Pläne des Antragstellers in Bezug auf Forschung, Studium, Praktikum, Freiwilligendienst, Schüleraustausch, Bildungsvorhaben oder Au-pair-Tätigkeit zu bewerten und dem Missbrauch und der falschen Anwendung des in dieser Richtlinie festgelegten Verfahrens vorzubeugen.

(60)

Jeder Mitgliedstaat sollte sicherstellen, dass der Öffentlichkeit insbesondere über das Internet geeignete und regelmäßig aktualisierte Informationen über die zu den Zwecken dieser Richtlinie zugelassenen aufnehmenden Einrichtungen und über die Bedingungen und Verfahren für die zu den Zwecken dieser Richtlinie erfolgende Zulassung von Drittstaatsangehörigen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt werden.“

4

Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) dieser Richtlinie bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

3.

‚Studenten‘ Drittstaatsangehörige, die an einer höheren Bildungseinrichtung angenommen und in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zugelassen wurden, um als Haupttätigkeit ein Vollzeitstudienprogramm zu absolvieren, das zu einem von diesem Mitgliedstaat anerkannten höheren Abschluss wie einem Diplom, Zertifikat oder Doktorgrad von höheren Bildungseinrichtungen führt, einschließlich Vorbereitungskursen für diese Studien gemäß dem nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats oder eines Pflichtpraktikums;

…“

5

Art. 5 („Grundsätze“) der Richtlinie lautet:

„(1)   Ein Drittstaatsangehöriger wird nach dieser Richtlinie nur dann zugelassen, wenn sich nach Prüfung der Dokumente zeigt, dass der Drittstaatsangehörige folgende Bedingungen erfüllt:

a)

die allgemeinen Bedingungen des Artikels 7; und

b)

die einschlägigen besonderen Bedingungen der Artikel 8, 11, 12, 13, 14 oder 16.

(2)   Die Mitgliedstaaten können von dem Antragsteller verlangen, dass er die Unterlagen nach Absatz 1 in einer Amtssprache des betreffenden Mitgliedstaats oder in einer anderen von diesem Mitgliedstaat bestimmten Amtssprache der Union vorlegt.

(3)   Wenn alle allgemeinen und einschlägigen besonderen Bedingungen erfüllt sind, hat der Drittstaatsangehörige Anspruch auf einen Aufenthaltstitel.

Wenn ein Mitgliedstaat lediglich in seinem Hoheitsgebiet Aufenthaltserlaubnisse erteilt und sämtliche Zulassungsbedingungen dieser Richtlinie erfüllt sind, stellt der betreffende Mitgliedstaat dem Drittstaatsangehörigen das erforderliche Visum aus.“

6

Art. 7 („Allgemeine Bedingungen“) Abs. 1 der Richtlinie 2016/801 bestimmt:

„In Bezug auf die Zulassung eines Drittstaatsangehörigen gemäß dieser Richtlinie muss der Antragsteller

a)

ein nach dem nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats gültiges Reisedokument und erforderlichenfalls einen Visumantrag oder ein gültiges Visum oder gegebenenfalls eine gültige Aufenthaltserlaubnis oder ein gültiges Visum für den längerfristigen Aufenthalt vorlegen; die Mitgliedstaaten können verlangen, dass die Geltungsdauer des Reisedokuments mindestens die Dauer des geplanten Aufenthalts abdeckt;

b)

wenn der Drittstaatsangehörige nach dem nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats minderjährig ist, eine Erlaubnis der Eltern oder ein gleichwertiges Dokument für den geplanten Aufenthalt vorlegen;

c)

Nachweise darüber vorlegen, dass der Drittstaatsangehörige über eine Krankenversicherung verfügt oder – falls dies im nationalen Recht vorgesehen ist – eine Krankenversicherung beantragt hat, die sich auf alle Risiken erstreckt, die normalerweise für die Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats abgedeckt sind. Die Versicherung muss für die Dauer des geplanten Aufenthalts gültig sein;

d)

auf Verlangen des Mitgliedstaats einen Nachweis über die Zahlung der in Artikel 36 vorgesehenen Gebühr für die Bearbeitung des Antrags erbringen;

e)

den vom betreffenden Mitgliedstaat verlangten Nachweis erbringen, dass der Drittstaatsangehörige während seines geplanten Aufenthalts über die nötigen Mittel zur Deckung der Kosten für seinen Unterhalt, ohne Inanspruchnahme des Sozialhilfesystems des betreffenden Mitgliedstaats, und über die Kosten für die Rückreise verfügt. Die Beurteilung der Frage, ob die nötigen Mittel zur Verfügung stehen, stützt sich auf eine Einzelfallprüfung und berücksichtigt die Mittel, die u. a. aus einem Stipendium, einem gültigen Arbeitsvertrag oder einem verbindlichen Arbeitsplatzangebot oder einer finanziellen Verpflichtung einer für den Schüleraustausch, die Aufnahme von Praktikanten oder den Freiwilligendienst zuständigen Organisation, einer Gastfamilie oder einer Au-pair-Vermittlungsstelle stammen.“

7

Art. 11 („Besondere Bedingungen für Studenten“) Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:

„In Bezug auf die Zulassung eines Drittstaatsangehörigen zu Studienzwecken gemäß dieser Richtlinie muss der Antragsteller zusätzlich zu den allgemeinen Bedingungen des Artikels 7

a)

nachweisen, dass der Drittstaatsangehörige von einer Hochschuleinrichtung zu einem Studium zugelassen worden ist;

b)

auf Verlangen des Mitgliedstaats nachweisen, dass die von der Hochschuleinrichtung geforderten Gebühren entrichtet worden sind;

c)

auf Verlangen des Mitgliedstaats hinreichende Kenntnisse der Sprache nachweisen, in der das Studienprogramm, an dem der Drittstaatsangehörige teilnehmen möchte, erteilt wird;

d)

auf Verlangen des Mitgliedstaats nachweisen, dass der Drittstaatsangehörige über die nötigen Mittel verfügt, um die Kosten für das Studium zu tragen.“

8

Art. 20 („Ablehnungsgründe“) Abs. 1 und 2 der Richtlinie bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten lehnen einen Antrag ab, wenn

a)

die allgemeinen Bedingungen des Artikels 7 oder die einschlägigen besonderen Bedingungen der Artikel 8, 11, 12, 13, 14 oder 16 nicht erfüllt sind;

b)

die vorgelegten Dokumente auf betrügerische Weise erworben, gefälscht oder manipuliert wurden;

c)

der betreffende Mitgliedstaat eine Zulassung ausschließlich durch eine zugelassene aufnehmende Einrichtung genehmigt und die aufnehmende Einrichtung nicht zugelassen ist.

(2)   Die Mitgliedstaaten können einen Antrag ablehnen, wenn

f)

der Mitgliedstaat Beweise oder ernsthafte und sachliche Anhaltspunkte dafür hat, dass der Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen würde als jene, für die er die Zulassung beantragt.“

9

Art. 21 („Gründe für die Entziehung oder Nichtverlängerung von Aufenthaltstiteln“) Abs. 1 der Richtlinie 2016/801 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten entziehen einen Aufenthaltstitel oder verweigern gegebenenfalls eine Verlängerung, wenn

d)

der Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzt als jene, für die der Drittstaatsangehörige zum Aufenthalt zugelassen wurde.“

10

Art. 24 („Erwerbstätigkeit von Studenten“) der Richtlinie lautet:

„(1)   Außerhalb ihrer Studienzeiten sind Studenten vorbehaltlich der Regeln und Bedingungen für die jeweilige Tätigkeit im betreffenden Mitgliedstaat berechtigt, eine Anstellung anzunehmen, und ihnen kann die Berechtigung erteilt werden, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen; dabei gelten die Beschränkungen gemäß Absatz 3.

(2)   Falls erforderlich erteilen die Mitgliedstaaten den Studenten und/oder Arbeitgebern zuvor eine Erlaubnis nach nationalem Recht.

(3)   Jeder Mitgliedstaat legt fest, wie viele Stunden pro Woche oder wie viele Tage bzw. Monate pro Jahr eine solche Tätigkeit maximal ausgeübt werden darf; diese Obergrenze darf 15 Stunden pro Woche oder eine entsprechende Zahl von Tagen bzw. Monaten pro Jahr nicht unterschreiten. Dabei kann die Lage auf dem Arbeitsmarkt des betreffenden Mitgliedstaats berücksichtigt werden.“

11

Art. 34 („Verfahrensgarantien und Transparenz“) der Richtlinie lautet:

„(1)   Die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats entscheiden über den Antrag auf einen Aufenthaltstitel oder auf dessen Verlängerung und unterrichten den Antragsteller gemäß den im nationalen Recht festgelegten Mitteilungsverfahren so rasch wie möglich, jedoch spätestens 90 Tage nach Einreichung des vollständigen Antrags schriftlich über die Entscheidung.

(2)   Betrifft das Zulassungsverfahren eine zugelassene aufnehmende Einrichtung gemäß den Artikeln 9 und 15, wird abweichend von Absatz 1 dieses Artikels die Entscheidung über den vollständigen Antrag so rasch wie möglich, jedoch spätestens innerhalb von 60 Tagen getroffen.

(3)   Sind die Angaben oder die Unterlagen zur Begründung des Antrags unvollständig, so teilen die zuständigen Behörden dem Antragsteller innerhalb einer angemessenen Frist mit, welche zusätzlichen Informationen erforderlich sind, und legen eine angemessene Frist für deren Vorlage fest. Die Frist in den Absätzen 1 oder 2 wird ausgesetzt, bis die Behörden die verlangten zusätzlichen Informationen erhalten haben. Werden die zusätzlichen Informationen oder Unterlagen nicht fristgerecht eingereicht, so kann der Antrag abgelehnt werden.

(4)   Die Gründe für eine Entscheidung, einen Antrag für unzulässig zu erklären oder abzulehnen oder eine Verlängerung zu verweigern, werden dem Antragsteller schriftlich mitgeteilt. Die Gründe für eine Entscheidung, einen Aufenthaltstitel zu entziehen, werden dem Drittstaatsangehörigen schriftlich mitgeteilt. Die Gründe für eine Entscheidung, einen Aufenthaltstitel zu entziehen, können zusätzlich auch der aufnehmenden Einrichtung schriftlich mitgeteilt werden.

(5)   Jede Entscheidung, mit der ein Antrag für unzulässig erklärt oder abgelehnt wird, eine Verlängerung verweigert oder ein Aufenthaltstitel entzogen wird, kann in dem betreffenden Mitgliedstaat gemäß dem nationalen Recht mit einem Rechtsbehelf angefochten werden. In der schriftlichen Mitteilung werden das Gericht oder die Verwaltungsbehörde, bei denen ein Rechtsbehelf eingelegt werden kann, und die Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs genannt.“

12

Art. 35 („Transparenz und Zugang zu Informationen“) der Richtlinie 2016/801 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten stellen den Antragstellern die Informationen über alle im Rahmen der Antragstellung beizubringenden Nachweise sowie Informationen über die Bedingungen für Einreise und Aufenthalt, einschließlich der damit verbundenen Rechte, Pflichten und Verfahrensgarantien des in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden Drittstaatsangehörigen und gegebenenfalls seiner Familienangehörigen in leicht zugänglicher Weise zur Verfügung. Dies gilt gegebenenfalls auch für die Höhe der monatlich nötigen Mittel, u. a. der nötigen Mittel zur Deckung der Studien- oder Ausbildungskosten – unbeschadet einer Prüfung im Einzelfall – sowie der geltenden Gebühren.

Die zuständigen Behörden eines jeden Mitgliedstaats veröffentlichen Listen der aufnehmenden Einrichtungen, die für die Zwecke dieser Richtlinie zugelassen worden sind. Aktualisierte Fassungen dieser Listen werden nach jeder Änderung so rasch wie möglich veröffentlicht.“

13

Art. 40 („Umsetzung“) der Richtlinie sieht vor:

„(1)   Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis zum 23. Mai 2018 nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Vorschriften mit.

Bei Erlass dieser Vorschriften nehmen die Mitgliedstaaten in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf die vorliegende Richtlinie Bezug. In diese Vorschriften fügen sie die Erklärung ein, dass Bezugnahmen in den geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf die durch die vorliegende Richtlinie aufgehobenen Richtlinien als Bezugnahmen auf die vorliegende Richtlinie gelten. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten dieser Bezugnahme und die Formulierung dieser Erklärung.

(2)   Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten nationalen Rechtsvorschriften mit, die sie auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen.“

Belgisches Recht

14

In Art. 58 der Loi sur l’accès au territoire, le séjour, l’établissement et l’éloignement des étrangers (Gesetz über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Ausweisen von Ausländern) vom 15. Dezember 1980 (Moniteur belge vom 31. Dezember 1980, S. 14584) in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz vom 15. Dezember 1980) heißt es:

„Wenn der Antrag auf Erlaubnis, sich länger als drei Monate im Königreich aufhalten zu dürfen, bei einer belgischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung von einem Ausländer eingereicht wird, der in Belgien an einer Hochschule studieren oder dort ein Vorbereitungsjahr für den Hochschulunterricht besuchen möchte, muss diese Erlaubnis erteilt werden, wenn sich der Betreffende nicht in einem der in Art. 3 Abs. 1 und 5 bis 8 vorgesehenen Fälle befindet und wenn er folgende Dokumente vorlegt:

1.

eine von einer Bildungseinrichtung gemäß Art. 59 ausgestellte Bescheinigung;

2.

den Nachweis, dass er über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts verfügt;

3.

ein ärztliches Attest, aus dem hervorgeht, dass er nicht an einer der in der Anlage zu diesem Gesetz aufgezählten Krankheiten oder Gebrechen leidet;

4.

eine Bescheinigung, aus der hervorgeht, dass gegen ihn keine Verurteilungen wegen gemeinrechtlicher Verbrechen oder Vergehen vorliegen, wenn die betreffende Person älter als 21 Jahre ist.

…“

15

Art. 39/2 § 2 dieses Gesetzes bestimmt:

„Der Rat [für Ausländerstreitsachen (Belgien)] befindet auf dem Wege von Entscheiden über die übrigen Beschwerden wegen Verletzung wesentlicher oder zur Vermeidung der Nichtigkeit, der Befugnisüberschreitung oder des Befugnismissbrauchs vorgeschriebener Formen.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

16

Am 6. August 2020 beantragte die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens, eine Drittstaatsangehörige, auf der Grundlage von Art. 58 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 ein Visum, um in Belgien zu studieren.

17

Nachdem ihr mit Entscheidung vom 18. September 2020 die Erteilung dieses Visums mit der Begründung verweigert worden war, dass sich aus Unstimmigkeiten ihres Studienvorhabens ergebe, dass es an einer tatsächlichen Absicht fehle, in Belgien ein Studium zu absolvieren, beantragte sie am 28. September 2020 die Nichtigerklärung dieser Entscheidung beim Conseil du contentieux des étrangers (Rat für Ausländerstreitsachen, Belgien), der ihren Antrag mit Urteil vom 23. Dezember 2020 ablehnte.

18

Der Rat für Ausländerstreitsachen stellte in diesem Urteil fest, dass nach Art. 58 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis von einem Drittstaatsangehörigen gestellt werden müsse, der „in Belgien an einer Hochschule studieren oder dort ein Vorbereitungsjahr für den Hochschulunterricht besuchen möchte“. Er folgerte daraus, dass diese Bestimmung die zuständigen Behörden verpflichte, den wirklichen Willen des Antragstellers zu prüfen, in Belgien zu studieren.

19

Der Rat für Ausländerstreitsachen hielt es auch für möglich, die Erteilung des beantragten Visums auf der Grundlage von Art. 58 zu verweigern, wenn die Absicht des Antragstellers nicht darin bestehe, zu studieren, auch wenn Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 trotz Ablaufs der in Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehenen Umsetzungsfrist noch nicht in die belgische Rechtsordnung umgesetzt worden sei. Die in Art. 20 Abs. 2 Buchst. f vorgesehene Möglichkeit der Ablehnung ergebe sich nämlich auch aus dem genannten Art. 58. Es sei daher anzunehmen, dass die Anwendung von Art. 58 im Einklang mit Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie stehe.

20

Mit Schriftsatz vom 19. Januar 2021 legte die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens beim Conseil d’État (Staatsrat, Belgien), dem vorlegenden Gericht, Kassationsbeschwerde gegen dieses Urteil ein.

21

Im Rahmen dieser Beschwerde macht sie erstens geltend, der Rat für Ausländerstreitsachen sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Anwendung von Art. 58 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 unter den Umständen des Ausgangsverfahrens mit Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 im Einklang stehe. Die letztgenannte Bestimmung sei nämlich nicht in belgisches Recht umgesetzt worden, und das nationale Recht bestimme nicht näher, welche ernsthaften und sachlichen Anhaltspunkte die Feststellung erlaubten, dass ein Drittstaatsangehöriger seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen würde als denen, für die er die Zulassung in das belgische Hoheitsgebiet beantrage.

22

Die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens macht außerdem geltend, dass es angesichts der Definition des Begriffs „Studenten“ in Art. 3 Nr. 3 dieser Richtlinie nur zulässig sei, sich zu vergewissern, dass der Drittstaatsangehörige, der zu Studienzwecken ein Visum beantragt habe, an einer höheren Bildungseinrichtung angenommen worden sei, nicht aber, zu überprüfen, ob der Antragsteller den Willen habe, zu studieren.

23

Der belgische Staat macht dagegen geltend, dass der genannte Art. 58 den zuständigen Behörden die Befugnis einräume, zu überprüfen, ob der Antragsteller tatsächlich die Absicht habe, zu studieren, was mit dem 41. Erwägungsgrund der Richtlinie im Einklang stehe, und zwar unabhängig von der Umsetzung von Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie, so dass es möglich sei, die erforderlichen Nachweise zu verlangen, um die Schlüssigkeit des Zulassungsantrags zu beurteilen.

24

Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass, da Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 es zulasse, den auf der Grundlage dieser Richtlinie gestellten Antrag abzulehnen, wenn erwiesen sei, dass der Drittstaatsangehörige den Willen habe, seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken zu nutzen als denen, für die er die Zulassung beantrage, die Mitgliedstaaten notwendigerweise überprüfen dürften, ob der Drittstaatsangehörige tatsächlich die Absicht habe, im Aufnahmemitgliedstaat ein Studium zu absolvieren. In Anbetracht seiner Zweifel und der Tatsache, dass es in letzter Instanz entscheiden wird, hält es dieses Gericht gleichwohl für angebracht, den Gerichtshof hierzu zu befragen.

25

Außerdem sei der Gerichtshof zu befragen, um zu klären, ob, wie die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens geltend mache, die Anwendung von Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie zur Rechtfertigung der Ablehnung eines Aufenthaltsantrags zum einen verlange, dass die nationale Regelung ausdrücklich vorsehe, dass der Antrag abgelehnt werden könne, wenn der Aufnahmemitgliedstaat Beweise oder ernsthafte und sachliche Anhaltspunkte dafür habe, dass der Drittstaatsangehörige die Absicht habe, seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken zu nutzen als denen, für die er die Zulassung beantrage, und zum anderen, dass die nationale Regelung festlege, welche Beweise oder ernsthaften und sachlichen Anhaltspunkte die Feststellung erlaubten, dass dies der Fall sei.

26

Zweitens trägt die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens vor, die Art und Weise der vom Rat für Ausländerstreitsachen ausgeübten Kontrolle, die sich auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränke, verstoße gegen die Anforderungen, die sich aus dem Unionsrecht ergäben. Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass Art. 34 Abs. 5 der Richtlinie 2016/801 die Mitgliedstaaten verpflichte, vorzusehen, dass Entscheidungen, mit denen Aufenthaltsanträge abgelehnt würden, mit einem Rechtsbehelf angefochten werden könnten. Die verfahrensrechtlichen Modalitäten dieses Rechtsbehelfs müssten den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität entsprechen.

27

Das vorlegende Gericht erläutert, dass der vom belgischen Recht in Art. 39/2 § 2 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 vorgesehene Rechtsbehelf eine Nichtigkeitsklage sei und es sich dabei um eine Rechtmäßigkeitskontrolle handele, die dem zuständigen Gericht, d. h. dem Rat für Ausländerstreitsachen, keine Abänderungsbefugnis verleihe, so dass seine Würdigung nicht an die Stelle der Würdigung der zuständigen Behörden treten und er nicht an ihrer statt entscheiden könne. Allerdings seien die Behörden im Fall der Nichtigerklärung einer solchen Entscheidung an die Rechtskraft des Urteilstenors und der ihn tragenden Gründe gebunden.

28

Da die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens geltend macht, dass das Fehlen einer Abänderungsbefugnis des Rates für Ausländerstreitsachen gegen die Anforderungen verstoße, die sich aus Art. 34 Abs. 5 der Richtlinie 2016/801, dem Effektivitätsgrundsatz und Art. 47 der Charta ergäben, hält es das vorlegende Gericht für erforderlich, den Gerichtshof insoweit zu befragen.

29

Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Muss im Hinblick auf Art. 288 AEUV, die Art. 14 und 52 der Charta, die Art. 3, 5, 7, 11, 20, 34, 35 und 40 der Richtlinie 2016/801 und ihre Erwägungsgründe 2 und 60 sowie die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Transparenz die dem Mitgliedstaat in Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 eingeräumte Befugnis zur Ablehnung des Aufenthaltsantrags ausdrücklich in dessen Rechtsvorschriften vorgesehen sein, damit sie von diesem Mitgliedstaat ausgeübt werden kann? Wenn ja, müssen die ernsthaften und sachlichen Anhaltspunkte in dessen Rechtsvorschriften näher bestimmt werden?

2.

Verpflichtet die Prüfung des Antrags auf ein Visum zu Studienzwecken den Mitgliedstaat, die Bereitschaft und die Absicht des Ausländers zu prüfen, ein Studium aufzunehmen, obwohl Art. 3 der Richtlinie 2016/801 den Studenten als jemanden definiert, der an einer höheren Bildungseinrichtung zugelassen ist, und die in Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie genannten Gründe für die Ablehnung des Antrags ebenso wie die in Art. 20 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Gründe fakultativ und nicht verbindlich sind?

3.

Erfordern Art. 47 der Charta, der Grundsatz der Effektivität und Art. 34 Abs. 5 der Richtlinie 2016/801, dass der im nationalen Recht vorgesehene Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf Einreise ins Staatsgebiet zu Studienzwecken abgelehnt wird, es dem Richter ermöglicht, seine Beurteilung an die Stelle der Beurteilung der Verwaltungsbehörde zu setzen und die Entscheidung dieser Behörde zu ändern, oder reicht eine Rechtmäßigkeitskontrolle aus, die es dem Richter ermöglicht, eine Rechtswidrigkeit, insbesondere einen offensichtlichen Beurteilungsfehler, durch die Aufhebung der Entscheidung der Verwaltungsbehörde zu rügen?

Zu den Vorlagefragen

Zu den ersten beiden Fragen

30

Zunächst ist festzustellen, dass sowohl aus dem Vorabentscheidungsersuchen als auch aus den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen hervorgeht, dass Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801, wonach der betreffende Mitgliedstaat einen Antrag ablehnen kann, wenn er Beweise oder ernsthafte und sachliche Anhaltspunkte dafür hat, dass der Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen würde als jene, für die er die Zulassung beantragt, erst nach den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Ereignissen ausdrücklich in belgisches Recht umgesetzt worden ist.

31

Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass der Rat für Ausländerstreitsachen im Urteil vom 23. Dezember 2020 festgestellt habe, dass die zuständigen Behörden auch ohne Umsetzung dieser Bestimmung die Möglichkeit hätten, im Einklang mit dem Unionsrecht einen Visumantrag für ein Studium in Belgien abzulehnen, wenn die tatsächliche Absicht des Antragstellers nicht darin bestehe, zu studieren.

32

Außerdem hat die belgische Regierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof zwar bestätigt, dass Art. 20 Abs. 2 Buchst. f dieser Richtlinie in dem für den Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Zeitraum noch nicht ausdrücklich in nationales Recht umgesetzt worden sei, doch hat sie in Anknüpfung an ihre schriftlichen Erklärungen – in denen sie geltend macht, dass die zuständigen Behörden unabhängig von der Umsetzung dieser Bestimmung prüfen dürften, ob ein Drittstaatsangehöriger, der einen Visumantrag gestellt habe, zu studieren beabsichtige – klargestellt, dass der Ausgangsrechtsstreit nicht eine solche Umsetzung, sondern den Begriff „Studenten“ im Sinne von Art. 3 Nr. 3 der Richtlinie betreffe.

33

Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seinen ersten beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, im Wesentlichen wissen möchte, ob die Richtlinie 2016/801, insbesondere in Anbetracht ihres Art. 3 Nr. 3, dahin auszulegen ist, dass sie einen Mitgliedstaat, der Art. 20 Abs. 2 Buchst. f dieser Richtlinie nicht umgesetzt hat, daran hindert, einen Antrag auf Zulassung in sein Hoheitsgebiet zu Studienzwecken mit der Begründung abzulehnen, dass der Drittstaatsangehörige diesen Antrag gestellt habe, ohne die tatsächliche Absicht zu haben, im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats zu studieren.

34

Nach Art. 5 Abs. 3 dieser Richtlinie hat ein Drittstaatsangehöriger, der einen solchen Antrag gestellt hat, das Recht, sich im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufzuhalten, wenn er die allgemeinen Bedingungen des Art. 7 der Richtlinie 2016/801 und die besonderen Bedingungen erfüllt, die je nach Art des gestellten Antrags gelten, im vorliegenden Fall die in Art. 11 dieser Richtlinie für Anträge auf Zulassung zu Studienzwecken vorgesehenen Bedingungen.

35

Daraus folgt, dass die Mitgliedstaaten gemäß Art. 5 Abs. 3 verpflichtet sind, einem Antragsteller, der die Anforderungen der Art. 7 und 11 dieser Richtlinie erfüllt hat, einen Aufenthaltstitel für Studienzwecke zu erteilen (vgl. entsprechend Urteil vom 10. September 2014, Ben Alaya, C‑491/13, EU:C:2014:2187, Rn. 31).

36

Keine dieser Anforderungen bezieht sich ausdrücklich auf eine tatsächliche Absicht, im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats zu studieren.

37

Nach einem allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts kann man sich jedoch nicht betrügerisch oder missbräuchlich auf das Unionsrecht berufen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2019, N Luxembourg 1 u. a., C‑115/16, C‑118/16, C‑119/16 und C‑299/16, EU:C:2019:134, Rn. 96 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

38

Daraus folgt, dass ein Mitgliedstaat die Anwendung von Vorschriften des Unionsrechts verweigern muss, wenn diese nicht geltend gemacht werden, um die Ziele der Vorschriften zu verwirklichen, sondern um in den Genuss eines im Unionsrecht vorgesehenen Vorteils zu kommen, obwohl die entsprechenden Voraussetzungen lediglich formal erfüllt sind (Urteil vom 26. Februar 2019, N Luxembourg 1 u. a., C‑115/16, C‑118/16, C‑119/16 und C‑299/16, EU:C:2019:134, Rn. 98).

39

Bei Vorschriften des Unionsrechts, die einen Vorteil vorsehen, kommt der allgemeine Grundsatz des Missbrauchsverbots folglich zum Tragen, wenn sie auf eine Weise geltend gemacht werden, die nicht mit ihrem Zweck in Einklang steht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2019, N Luxembourg 1 u. a., C‑115/16, C‑118/16, C‑119/16 und C‑299/16, EU:C:2019:134, Rn. 102).

40

Da betrügerische oder missbräuchliche Tätigkeiten kein in der Unionsrechtsordnung vorgesehenes Recht begründen können, bedeutet die Versagung eines sich aus einer Richtlinie, hier der Richtlinie 2016/801, ergebenden Vorteils nicht, dass dem Einzelnen nach der Richtlinie eine Verpflichtung auferlegt wird, sondern ist die schlichte Folge der Feststellung, dass die objektiven Voraussetzungen für die Erlangung des angestrebten Vorteils, die in der Richtlinie in Bezug auf dieses Recht vorgeschrieben sind, nur formal erfüllt sind (vgl. entsprechend Urteil vom 26. Februar 2019, N Luxembourg 1 u. a., C‑115/16, C‑118/16, C‑119/16 und C‑299/16, EU:C:2019:134, Rn. 119 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

41

Auch wenn Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2016/801 vorsieht, dass der betreffende Mitgliedstaat einen auf der Grundlage dieser Richtlinie gestellten Antrag auf Zulassung in das Hoheitsgebiet ablehnen kann, wenn er Beweise oder ernsthafte und sachliche Anhaltspunkte dafür hat, dass der Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen würde als jene, für die er die Zulassung beantragt, so kann diese Bestimmung demnach nicht dahin ausgelegt werden, dass sie die Anwendung des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes des Missbrauchsverbots ausschlösse, da dieser Grundsatz anders als die Vorschriften einer Richtlinie nicht erst umgesetzt werden muss (vgl. entsprechend Urteil vom 26. Februar 2019, N Luxembourg 1 u. a., C‑115/16, C‑118/16, C‑119/16 und C‑299/16, EU:C:2019:134, Rn. 105 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

42

Im 41. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/801 heißt es im Übrigen, dass, sofern Zweifel an den Antragsgründen bestehen, die Mitgliedstaaten angemessene Prüfungen durchführen oder Nachweise verlangen können sollten, um u. a. dem Missbrauch und der falschen Anwendung des in dieser Richtlinie festgelegten Verfahrens vorzubeugen.

43

Aus diesen Gesichtspunkten ergibt sich, dass die nationalen Behörden und Gerichte die in der Richtlinie vorgesehenen Rechte versagen müssen, wenn diese in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise geltend gemacht werden, und zwar auch dann, wenn der betreffende Mitgliedstaat Art. 20 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie nicht umgesetzt hat.

44

Insoweit geht aus der ständigen Rechtsprechung hervor, dass der Nachweis eines Missbrauchs zum einen voraussetzt, dass eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der unionsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde, und zum anderen ein subjektives Element voraussetzt, nämlich die Absicht, sich einen unionsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden (Urteil vom 14. Januar 2021, The International Protection Appeals Tribunal u. a., C‑322/19 und C‑385/19, EU:C:2021:11, Rn. 91 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

45

Was im vorliegenden Fall das mit der Richtlinie 2016/801 verfolgte Ziel betrifft, heißt es in den Erwägungsgründen 3 und 14 dieser Richtlinie zum einen, dass die Zuwanderung aus Drittstaaten ein Weg sei, um den Bedarf an hoch qualifizierten Personen in der Union zu decken, und dass insbesondere Studenten und Forscher zunehmend gefragt seien, und zum anderen, dass, um den Ruf Europas als internationalen Exzellenzstandort für Studium und berufliche Bildung zu festigen, diese Richtlinie darauf abziele, die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt zu diesen Zwecken zu verbessern und zu vereinfachen.

46

In diesem Sinne zielt diese Richtlinie, wie aus ihrem Art. 3 Nr. 3 und ihrem Art. 11 Abs. 1 Buchst. a hervorgeht, insbesondere darauf ab, Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu gestatten, wenn sie an einer höheren Bildungseinrichtung des betreffenden Mitgliedstaats angenommen wurden, um dort als Haupttätigkeit ein Vollzeitstudienprogramm zu absolvieren, das zu einem von diesem Mitgliedstaat anerkannten höheren Abschluss führt.

47

Wenn es um einen Antrag auf Zulassung zu Studienzwecken geht, erfordert die Feststellung eines Missbrauchs daher im Licht aller besonderen Umstände des Einzelfalls den Nachweis, dass der betreffende Drittstaatsangehörige ungeachtet der formalen Einhaltung der in Art. 7 bzw. Art. 11 der Richtlinie 2016/801 festgelegten allgemeinen und besonderen Bedingungen, die einen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel zu Studienzwecken begründen, seinen Antrag auf Zulassung gestellt hat, ohne wirklich die Absicht zu haben, als Haupttätigkeit ein Vollzeitstudienprogramm zu absolvieren, das zu einem von diesem Mitgliedstaat anerkannten höheren Abschluss führt.

48

Was die Umstände betrifft, anhand deren die Missbräuchlichkeit eines Zulassungsantrags festgestellt werden kann, ist darauf hinzuweisen, dass, da der Drittstaatsangehörige zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis den in diesem Antrag genannten Studiengang naturgemäß noch nicht begonnen hat und daher nicht die Möglichkeit gehabt haben kann, seine Absicht, als Haupttätigkeit ein Vollzeitstudienprogramm zu absolvieren, das zu einem von diesem Mitgliedstaat anerkannten höheren Abschluss führt, zu konkretisieren, ein Antrag auf Zulassung nur abgelehnt werden kann, wenn sich die Missbräuchlichkeit hinreichend offensichtlich aus der Gesamtheit der relevanten Informationen ergibt, über die die zuständigen Behörden bei der Prüfung dieses Antrags verfügen.

49

Im Rahmen von Art. 267 AEUV ist der Gerichtshof nicht befugt, den Sachverhalt zu würdigen und die Normen des Unionsrechts auf einen Einzelfall anzuwenden. Es ist daher Aufgabe des vorlegenden Gerichts, die für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erforderlichen rechtlichen Qualifizierungen vorzunehmen. Dagegen hat der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht alle erforderlichen Hinweise zu geben, um es bei dieser Beurteilung zu leiten (Urteil vom 19. Oktober 2023, Lufthansa CityLine, C‑660/20, EU:C:2023:789, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50

Insoweit kann zum einen darauf hingewiesen werden, dass die Richtlinie 2016/801 nach ihrem Art. 24 dem nicht entgegensteht, dass Drittstaatsangehörige, die eine Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken beantragt haben, außerhalb der Studienzeit und vorbehaltlich der Einhaltung der in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen in dem betreffenden Mitgliedstaat eine Anstellung annehmen oder einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachgehen können. Daher ist der Umstand, dass ein Drittstaatsangehöriger, der eine Zulassung zu Studienzwecken beantragt hat, auch die Absicht hat, im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats einer anderen Tätigkeit nachzugehen, nicht zwangsläufig als Indiz für einen Missbrauch anzusehen, insbesondere, wenn diese Tätigkeit nicht das diesen Antrag rechtfertigende Studium als Haupttätigkeit beeinträchtigt.

51

Hat sich der Antragsteller hingegen verpflichtet, einer – insbesondere beruflichen – Tätigkeit nachzugehen, deren Ausübung offensichtlich damit unvereinbar erscheint, dass als Haupttätigkeit ein Vollzeitstudienprogramm absolviert wird, das zu einem von diesem Mitgliedstaat anerkannten höheren Abschluss führt, so kann diese Verpflichtung einen Gesichtspunkt darstellen, der Zweifel an den tatsächlichen Gründen des Zulassungsantrags aufkommen lassen und gegebenenfalls im Licht aller relevanten Umstände des Einzelfalls ein Indiz dafür sein kann, dass der Drittstaatsangehörige beabsichtigt, seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken zu nutzen als denen, für die er die Zulassung beantragt.

52

Zum anderen heißt es im 41. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/801, wie in Rn. 42 des vorliegenden Urteils ausgeführt, dass es den Mitgliedstaaten möglich sein muss, bei Zweifeln hinsichtlich der Gründe für den Antrag auf Zulassung angemessene Prüfungen durchzuführen oder Nachweise zu verlangen, um im Einzelfall das Studium, das ein Drittstaatsangehöriger zu absolvieren beabsichtigt, zu bewerten.

53

Unstimmigkeiten des Studienvorhabens des Antragstellers können daher ebenfalls zu den objektiven Umständen gehören, die dazu beitragen, dass mit der Begründung, dass der Antrag in Wirklichkeit auf andere Zwecke als die Absolvierung eines Studiums gerichtet ist, ein Missbrauch festgestellt wird, sofern diese Unstimmigkeiten hinreichend offensichtlich sind und im Licht aller besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. So kann ein Umstand, der während eines Hochschulstudiums als gewöhnlich angesehen werden kann, wie etwa eine Neuorientierung, für sich genommen nicht für den Nachweis ausreichen, dass ein Drittstaatsangehöriger, der die Zulassung zu Studienzwecken beantragt hat, keine tatsächliche Absicht hat, im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats zu studieren. Ebenso ist der bloße Umstand, dass das geplante Studium nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den angestrebten beruflichen Zielen steht, nicht zwangsläufig ein Hinweis auf eine fehlende Absicht, das Studium, das den Zulassungsantrag rechtfertigt, tatsächlich zu absolvieren.

54

Da jedoch, wie in Rn. 47 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die Umstände, aus denen auf die Missbräuchlichkeit eines Antrags auf Zulassung zu Studienzwecken geschlossen werden kann, zwangsläufig für jeden Einzelfall spezifisch sind, kann keine abschließende Liste der insoweit relevanten Gesichtspunkte erstellt werden. Daher kann die etwaige Missbräuchlichkeit eines Antrags auf Zulassung zu Studienzwecken nicht aufgrund bestimmter Gesichtspunkte vermutet werden, sondern ist im Einzelfall nach einer individuellen Würdigung aller Umstände des jeweiligen Antrags zu beurteilen.

55

Insoweit ist es – auch unter den in den Rn. 50 bis 53 des vorliegenden Urteils genannten Umständen – Sache der zuständigen Behörden, alle geeigneten Prüfungen vorzunehmen und die für eine individuelle Prüfung des Antrags erforderlichen Nachweise zu verlangen, gegebenenfalls dadurch, dass sie den Antragsteller zu diesbezüglichen Klarstellungen und Erläuterungen auffordern.

56

In diesem Zusammenhang ist zum einen noch klarzustellen, dass sich die relevanten Ablehnungsgründe zwar auf die speziellen Umstände des betreffenden Antrags beziehen müssen, die zuständigen Behörden deshalb aber nicht von der Verpflichtung befreit sind, dem Antragsteller diese Gründe gemäß Art. 34 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2016/801 schriftlich mitzuteilen.

57

Zum anderen lassen die vorstehenden Erwägungen die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt, gemäß Art. 21 der Richtlinie einen etwaigen Missbrauch nach der Erteilung des Aufenthaltstitels festzustellen und zu ahnden, indem sie den Aufenthaltstitel entziehen oder seine Verlängerung verweigern.

58

Nach alledem ist auf die ersten beiden Fragen zu antworten, dass die Richtlinie 2016/801, insbesondere in Anbetracht ihres Art. 3 Nr. 3, dahin auszulegen ist, dass sie einen Mitgliedstaat, der Art. 20 Abs. 2 Buchst. f dieser Richtlinie nicht umgesetzt hat, nicht daran hindert, in Anwendung des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes des Missbrauchsverbots einen Antrag auf Zulassung in sein Hoheitsgebiet zu Studienzwecken mit der Begründung abzulehnen, dass der Drittstaatsangehörige diesen Antrag gestellt habe, ohne die tatsächliche Absicht zu haben, im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats zu studieren.

Zur dritten Frage

59

Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 34 Abs. 5 der Richtlinie 2016/801 im Licht von Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass der Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung der zuständigen Behörden, mit der ein Antrag auf Zulassung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu Studienzwecken abgelehnt wird, ausschließlich in einer Nichtigkeitsklage besteht, ohne dass das mit diesem Rechtsbehelf befasste Gericht befugt ist, gegebenenfalls seine Beurteilung an die Stelle der Beurteilung der zuständigen Behörden zu setzen oder eine neue Entscheidung zu erlassen.

60

Nach Art. 34 Abs. 5 dieser Richtlinie kann jede Entscheidung, mit der ein Antrag für unzulässig erklärt oder abgelehnt wird, eine Verlängerung verweigert oder ein Aufenthaltstitel entzogen wird, in dem betreffenden Mitgliedstaat gemäß dem nationalen Recht mit einem Rechtsbehelf angefochten werden.

61

Demnach räumt Art. 34 Abs. 5 im Fall einer Entscheidung, mit der ein Antrag auf Zulassung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu Studienzwecken abgelehnt wird, dem Drittstaatsangehörigen, der einen solchen Antrag gestellt hat, ausdrücklich die Möglichkeit ein, gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, der diese Entscheidung getroffen hat, einen Rechtsbehelf einzulegen (vgl. entsprechend Urteil vom 10. März 2021, Konsul Rzeczypospolitej Polskiej w N., C‑949/19, EU:C:2021:186, Rn. 41).

62

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Merkmale des Rechtsbehelfsverfahrens nach Art. 34 Abs. 5 der Richtlinie 2016/801 im Einklang mit Art. 47 der Charta zu bestimmen sind (Urteil vom 10. März 2021, Konsul Rzeczypospolitej Polskiej w N., C‑949/19, EU:C:2021:186, Rn. 44).

63

Das in Art. 47 der Charta verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf wäre aber illusorisch, wenn die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats es zuließe, dass eine endgültige und bindende gerichtliche Entscheidung zulasten einer Partei wirkungslos bleibt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2019, Deutsche Umwelthilfe, C‑752/18, EU:C:2019:1114, Rn. 35 und 36). Dies gilt insbesondere dann, wenn die aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte, wie sie durch eine gerichtliche Entscheidung anerkannt wurden, nur dann tatsächlich genossen werden können, wenn zeitliche Zwänge beachtet werden.

64

Geht es um eine nationale Verwaltungsentscheidung, die, damit der Betroffene die ihm aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte tatsächlich genießen kann, unbedingt zügig erlassen werden muss, so ergibt sich aus dem Art. 47 der Charta zu entnehmenden Erfordernis, die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs gegen die ursprüngliche Verwaltungsentscheidung, mit der der Antrag des Betroffenen abgelehnt wurde, sicherzustellen, dass jeder Mitgliedstaat sein nationales Recht so zu gestalten hat, dass im Fall der Nichtigerklärung dieser Entscheidung innerhalb kurzer Zeit eine neue Entscheidung erlassen wird, die mit der im Nichtigkeitsurteil enthaltenen Beurteilung im Einklang steht (vgl. entsprechend Urteil vom 29. Juli 2019, Torubarov, C‑556/17, EU:C:2019:626, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

65

Wenn bei Anträgen auf Zulassung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu Studienzwecken das angerufene Gericht befugt ist, über die Entscheidung der zuständigen Behörden, einen solchen Antrag abzulehnen, allein im Wege der Nichtigerklärung zu urteilen, ohne seine Beurteilung an die Stelle der Beurteilung dieser Behörden setzen oder eine neue Entscheidung erlassen zu können, so genügt dies daher grundsätzlich, um die Anforderungen von Art. 47 der Charta zu erfüllen, sofern diese Behörden gegebenenfalls an die in dem Urteil, mit dem diese Entscheidung für nichtig erklärt wird, enthaltene Beurteilung gebunden sind.

66

Verfügt das angerufene Gericht im Rahmen eines solchen Rechtsbehelfs nur über eine Befugnis zur Nichtigerklärung der Entscheidung der zuständigen Behörden, einen solchen Antrag auf Zulassung abzulehnen, ist außerdem sicherzustellen, dass die Bedingungen, unter denen dieser Rechtsbehelf eingelegt und gegebenenfalls das dazu ergangene Urteil vollstreckt wird, grundsätzlich den Erlass einer neuen Entscheidung innerhalb kurzer Zeit ermöglichen, so dass ein hinreichend sorgfältiger Drittstaatsangehöriger die volle Wirksamkeit seiner Rechte aus der Richtlinie 2016/801 genießen kann.

67

Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 34 Abs. 5 dieser Richtlinie im Licht von Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass er dem nicht entgegensteht, dass der Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung der zuständigen Behörden, mit der ein Antrag auf Zulassung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu Studienzwecken abgelehnt wird, ausschließlich in einer Nichtigkeitsklage besteht, ohne dass das mit diesem Rechtsbehelf befasste Gericht befugt ist, gegebenenfalls seine Beurteilung an die Stelle der Beurteilung der zuständigen Behörden zu setzen oder eine neue Entscheidung zu erlassen, sofern die Bedingungen, unter denen dieser Rechtsbehelf eingelegt wird und gegebenenfalls das dazu ergangene Urteil vollstreckt wird, den Erlass einer neuen, mit der im Nichtigkeitsurteil enthaltenen Beurteilung im Einklang stehenden Entscheidung innerhalb kurzer Zeit ermöglichen, so dass ein hinreichend sorgfältiger Drittstaatsangehöriger die volle Wirksamkeit seiner Rechte aus der Richtlinie 2016/801 genießen kann.

Kosten

68

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Die Richtlinie (EU) 2016/801 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit ist, insbesondere in Anbetracht ihres Art. 3 Nr. 3,

dahin auszulegen, dass

sie einen Mitgliedstaat, der Art. 20 Abs. 2 Buchst. f dieser Richtlinie nicht umgesetzt hat, nicht daran hindert, in Anwendung des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes des Missbrauchsverbots einen Antrag auf Zulassung in sein Hoheitsgebiet zu Studienzwecken mit der Begründung abzulehnen, dass der Drittstaatsangehörige diesen Antrag gestellt habe, ohne die tatsächliche Absicht zu haben, im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats zu studieren.

 

2.

Art. 34 Abs. 5 der Richtlinie 2016/801 in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

ist dahin auszulegen, dass

er dem nicht entgegensteht, dass der Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung der zuständigen Behörden, mit der ein Antrag auf Zulassung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu Studienzwecken abgelehnt wird, ausschließlich in einer Nichtigkeitsklage besteht, ohne dass das mit diesem Rechtsbehelf befasste Gericht befugt ist, gegebenenfalls seine Beurteilung an die Stelle der Beurteilung der zuständigen Behörden zu setzen oder eine neue Entscheidung zu erlassen, sofern die Bedingungen, unter denen dieser Rechtsbehelf eingelegt wird und gegebenenfalls das dazu ergangene Urteil vollstreckt wird, den Erlass einer neuen, mit der im Nichtigkeitsurteil enthaltenen Beurteilung im Einklang stehenden Entscheidung innerhalb kurzer Zeit ermöglichen, so dass ein hinreichend sorgfältiger Drittstaatsangehöriger die volle Wirksamkeit seiner Rechte aus der Richtlinie 2016/801 genießen kann.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

( i ) Die vorliegende Rechtssache ist mit einem fiktiven Namen bezeichnet, der nicht dem echten Namen eines Verfahrensbeteiligten entspricht.

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