Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62022TJ0416

    Urteil des Gerichts (Fünfte erweiterte Kammer) vom 15. Mai 2024.
    Fresenius Kabi Austria GmbH u. a. gegen Europäische Kommission.
    Humanarzneimittel – Aussetzung der nationalen Zulassungen für Humanarzneimittel mit dem Wirkstoff ‚Hydroxyethylstärke(HES)-haltige Infusionslösungen‘ – Nichtigkeitsklage – Unmittelbare Betroffenheit – Teilweise Unzulässigkeit – Begründungspflicht – Rechtsfehler – Offensichtlicher Beurteilungsfehler – Vorsorgeprinzip – Verhältnismäßigkeit – Art. 116 der Richtlinie 2001/83/EG.
    Rechtssache T-416/22.

    ECLI identifier: ECLI:EU:T:2024:316

     URTEIL DES GERICHTS (Fünfte erweiterte Kammer)

    15. Mai 2024 ( *1 ) ( i )

    „Humanarzneimittel – Aussetzung der nationalen Zulassungen für Humanarzneimittel mit dem Wirkstoff ‚Hydroxyethylstärke(HES)-haltige Infusionslösungen‘ – Nichtigkeitsklage – Unmittelbare Betroffenheit – Teilweise Unzulässigkeit – Begründungspflicht – Rechtsfehler – Offensichtlicher Beurteilungsfehler – Vorsorgeprinzip – Verhältnismäßigkeit – Art. 116 der Richtlinie 2001/83/EG“

    In der Rechtssache T‑416/22,

    Fresenius Kabi Austria GmbH mit Sitz in Graz (Österreich) und die weiteren im Anhang namentlich aufgeführten Klägerinnen ( 1 ), vertreten durch Rechtsanwalt W. Rehmann und Rechtsanwältin A. Knierim,

    Klägerinnen,

    gegen

    Europäische Kommission, vertreten durch M. Escobar Gómez und A. Sipos als Bevollmächtigte,

    Beklagte,

    unterstützt durch

    Irland, vertreten durch A. Joyce, M. Tierney, M. Browne und D. O’Reilly als Bevollmächtigte im Beistand von P. McCann, SC, und E. O’Callaghan, Barrister,

    und durch

    Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), vertreten durch S. Marino, S. Drosos und M. van Egmond als Bevollmächtigte,

    Streithelfer,

    erlässt

    DAS GERICHT (Fünfte erweiterte Kammer)

    unter Mitwirkung des Präsidenten J. Svenningsen, der Richter C. Mac Eochaidh, J. Laitenberger (Berichterstatter) und J. Martín y Pérez de Nanclares sowie der Richterin M. Stancu,

    Kanzler: A. Marghelis, Verwaltungsrat,

    aufgrund des Beschlusses vom 18. Oktober 2022, Fresenius Kabi Austria u. a./Kommission (T‑416/22 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:636),

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    auf die mündliche Verhandlung vom 14. November 2023

    folgendes

    Urteil

    1

    Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV beantragen die Klägerinnen, die Fresenius Kabi Austria GmbH und die weiteren im Anhang namentlich aufgeführten juristischen Personen, im Wesentlichen die Nichtigerklärung des Durchführungsbeschlusses C(2022) 3591 final der Kommission vom 24. Mai 2022 über die Zulassungen von Humanarzneimitteln mit dem Wirkstoff „Hydroxyethylstärke(HES)-haltige Infusionslösungen“ im Rahmen von Artikel 107p der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates nach Bewertung einer Unbedenklichkeitsstudie (im Folgenden: angefochtener Beschluss), soweit er die betreffenden Mitgliedstaaten verpflichtet, die nationalen Genehmigungen für das Inverkehrbringen (im Folgenden: Zulassungen) der in ihrem Anhang I aufgeführten Arzneimittel (im Folgenden: betreffende Arzneimittel) auszusetzen.

    I. Vorgeschichte des Rechtsstreits

    2

    Die Klägerinnen gehören zum weltweit tätigen Konzern Fresenius Kabi, der wiederum ein Teil des Fresenius-Konzerns ist, der auf das Gesundheitswesen spezialisiert ist und u. a. Arzneimittel mit dem Wirkstoff Hydroxyethylstärke (HES) herstellt und vertreibt.

    3

    Die Klägerinnen sind Inhaberinnen der Zulassungen für einen Teil der betreffenden Arzneimittel.

    4

    Die betreffenden Arzneimittel, die auf nationaler Ebene zugelassen wurden, sind hauptsächlich für die Behandlung einer durch akuten (plötzlichen) Blutverlust verursachten Hypovolämie (Blutvolumenmangel) indiziert, wenn eine Behandlung mit alternativen Infusionslösungen – bekannt als „Kristalloide“ – allein als unzureichend angesehen wird.

    5

    Die betreffenden Arzneimittel wurden seit 2013 mehrfach in Bezug auf ihr Nutzen-Risiko-Verhältnis bewertet, insbesondere im Hinblick auf ein erhöhtes Risiko für eine Nierenfunktionsstörung und Mortalität bei ihrer Verabreichung an Patienten mit Sepsis, Verbrennungen oder bei kritisch kranken Patienten.

    6

    Am 19. Dezember 2013 erließ die Europäische Kommission den Durchführungsbeschluss K(2013)9793 endg. über die Zulassungen für HES enthaltende Arzneimittel (Infusionslösungen) gemäß Art. 31 und Art. 107i der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates. Mit diesem an die Mitgliedstaaten gerichteten Beschluss entschied die Kommission, dass die betreffenden Mitgliedstaaten diese Zulassungen auf der Grundlage der wissenschaftlichen Schlussfolgerungen der Koordinierungsgruppe für das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung und das dezentralisierte Verfahren – Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) (im Folgenden: CMDh) ändern sollten. Nach diesem Beschluss sollten Maßnahmen zur Risikominimierung festgelegt werden, insbesondere in Form neuer Gegenanzeigen und neuer Warnhinweise sowie durch eine Verringerung der Dosierung dieser Arzneimittel.

    7

    Am 17. Juli 2018 erließ die Europäische Kommission den Durchführungsbeschluss C(2018) 4832 final betreffend die Zulassungen für Humanarzneimittel mit dem Wirkstoff „Hydroxyethylstärke(HES)-haltige Infusionslösungen“ gemäß Art. 107i der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates. Mit diesem an die Mitgliedstaaten gerichteten Beschluss entschied die Kommission, dass die betreffenden Mitgliedstaaten diese Zulassungen auf der Grundlage der wissenschaftlichen Schlussfolgerungen der CMDh ändern sollten, indem sie u. a. zusätzliche Maßnahmen zur Risikominimierung festlegten, weil die ursprünglichen Maßnahmen zur Risikominimierung in der klinischen Praxis nicht ausreichend beachtet und die betreffenden Arzneimittel weiterhin an Patienten mit Gegenanzeigen verabreicht worden seien. Diese zusätzlichen Maßnahmen zur Risikominimierung umfassten eine Beschränkung der Abgabe der betreffenden Arzneimittel auf Angehörige der Gesundheitsberufe, die eine spezielle obligatorische Schulung absolviert hatten, sowie deutlichere Warnhinweise auf den Verpackungen.

    8

    Am 10. Februar 2022 nahm der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (im Folgenden: PRAC), der für die Bewertung von Sicherheitsfragen im Zusammenhang mit Humanarzneimitteln zuständige Ausschuss der EMA, einen Bewertungsbericht an, in dem er mehrheitlich zu dem Schluss kam, dass die Produktinformation trotz der im Jahr 2018 umgesetzten umfangreichen zusätzlichen Maßnahmen zur Risikominimierung weiterhin nicht eingehalten werde. Außerdem kam der PRAC zu dem Schluss, dass die betreffenden Arzneimittel weiterhin bei Personengruppen mit Gegenanzeigen verwendet würden, die somit einem erhöhten Risiko für ernsthafte Schädigungen, einschließlich eines erhöhten Mortalitätsrisikos, ausgesetzt seien. Der PRAC führte aus, es habe keine zusätzliche Maßnahme zur Risikominimierung oder eine Kombination von Maßnahmen zur Risikominimierung identifiziert werden können, um eine sichere Anwendung der betreffenden Arzneimittel in ausreichendem Umfang zu gewährleisten. Die Fälle der Nichtbeachtung der Produktinformation seien nämlich nicht nur auf ein mangelndes Bewusstsein zurückzuführen, sondern seien offenbar das Ergebnis einer bewussten Entscheidung der verschreibenden Personen. Folglich kam der PRAC zu dem Ergebnis, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis der betreffenden Arzneimittel ungünstig sei, und empfahl, die Zulassungen dieser Arzneimittel auszusetzen.

    9

    Am 23. Februar 2022 stellte die CMDh, die gemäß Art. 107q Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 67) in der durch die Richtlinie 2010/84/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2010 hinsichtlich der Pharmakovigilanz (ABl. 2010, L 348, S. 74) geänderten Fassung befasst worden war, mit Mehrheitsbeschluss fest, dass die Zulassungen für die betreffenden Arzneimittel auszusetzen seien.

    10

    Am 24. Mai 2022 erließ die gemäß Art. 107q Abs. 2 Unterabs. 5 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung befasste Kommission den an die Mitgliedstaaten gerichteten angefochtenen Beschluss, mit dem sie entschied, dass die betreffenden Mitgliedstaaten die Zulassungen für die betreffenden Arzneimittel auf der Grundlage der in Anhang II dieses Beschlusses beigefügten wissenschaftlichen Schlussfolgerungen aussetzen sollten.

    11

    Nach Art. 3 des angefochtenen Beschlusses können die Mitgliedstaaten die Durchführung der Aussetzung in Ausnahmefällen unter bestimmten Bedingungen und für einen Zeitraum von höchstens 18 Monaten nach Erlass des angefochtenen Beschlusses aufschieben.

    II. Anträge der Parteien

    12

    Die Klägerinnen beantragen,

    den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären, soweit er den Mitgliedstaaten gegenüber anordnet, die Zulassungen für die in Anhang I dieses Beschlusses aufgeführten Arzneimittel auszusetzen;

    hilfsweise, den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären, soweit er den Mitgliedstaaten gegenüber anordnet, die Zulassungen für die in Anhang I dieses Beschlusses aufgeführten Arzneimittel, die von ihnen vertrieben werden, auszusetzen;

    der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

    13

    Die Kommission beantragt,

    die Klage als unzulässig abzuweisen, soweit sie auf die Aussetzung der Zulassungen von HES-haltigen Produkten gerichtet ist, für die die Klägerinnen nicht Inhaberinnen der Zulassungen sind, oder, hilfsweise, die Klage insgesamt als unzulässig abzuweisen;

    jedenfalls die Nichtigkeitsklage als insgesamt unbegründet abzuweisen;

    den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

    14

    Wie die Kommission beantragt auch Irland,

    die Klage als unzulässig abzuweisen, soweit sie auf die Aussetzung der Zulassungen von HES-haltigen Produkten gerichtet ist, für die die Klägerinnen nicht Inhaberinnen der Zulassungen sind, oder, hilfsweise, die Klage insgesamt als unzulässig abzuweisen;

    jedenfalls die Nichtigkeitsklage als insgesamt unbegründet abzuweisen.

    15

    Die EMA beantragt,

    die Klage als unbegründet abzuweisen;

    den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

    III. Rechtliche Würdigung

    A. Zur Zulässigkeit der Klage

    16

    Ohne formell eine Einrede der Unzulässigkeit zu erheben, macht die Kommission, unterstützt durch Irland, geltend, dass die Klage unzulässig sei.

    17

    Als Erstes führt die Kommission aus, die Klage sei für unzulässig zu erklären, da die Klägerinnen die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses für andere Produkte als diejenigen begehrten, für die sie Zulassungen besäßen, ohne irgendeinen Nachweis dafür vorzulegen, dass sie im Namen der Inhaber der in Rede stehenden Zulassungen handelten.

    18

    Als Zweites macht die Kommission insbesondere geltend, dass der zweite Klageantrag unzulässig sei, da die Klägerinnen vom angefochtenen Beschluss, der an die Mitgliedstaaten gerichtet sei, nicht unmittelbar betroffen seien. Aus Art. 3 des angefochtenen Beschlusses ergebe sich nämlich, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieses Beschlusses über einen Ermessensspielraum verfügten, da sie die Aussetzung auf der Grundlage einer in ihrem Ermessen stehenden Sachprüfung aufschieben könnten. Außerdem enthalte der angefochtene Beschluss Durchführungsmaßnahmen, nämlich nationale Entscheidungen zur Aussetzung der Zulassungen, durch die der angefochtene Beschluss umgesetzt werde.

    19

    Die Klägerinnen halten ihre Klage für zulässig.

    20

    Gemäß Art. 263 Abs. 4 AEUV kann jede natürliche oder juristische Person unter den Bedingungen der Abs. 1 und 2 dieses Artikels gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben.

    21

    Im vorliegenden Fall kann die Klage nur insoweit für zulässig erklärt werden, als die Klägerinnen gemäß der zweiten in Art. 263 Abs. 4 AEUV genannten Variante von dem angefochtenen Beschluss unmittelbar und individuell betroffen sein sollten.

    22

    Als Erstes ist hinsichtlich der Voraussetzung, dass eine natürliche oder juristische Person von dem klagegegenständlichen Unionsrechtsakt individuell betroffen sein muss, darauf hinzuweisen, dass eine natürliche oder juristische Person nur dann behaupten kann, individuell betroffen zu sein, wenn die streitige Bestimmung sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten (Urteile vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission, 25/62, EU:C:1963:17, S. 238, und vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C‑583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 72).

    23

    Der angefochtene Beschluss individualisiert die Klägerinnen in ähnlicher Weise wie einen Adressaten, da sie Inhaberinnen bestimmter Zulassungen für die betreffenden Arzneimittel sind und als solche in Anhang I des angefochtenen Beschlusses aufgeführt sind. Somit ist festzustellen, dass die Klägerinnen vom angefochtenen Beschluss individuell betroffen sind.

    24

    Als Zweites erfordert die in Art. 263 Abs. 4 AEUV genannte Voraussetzung, wonach eine natürliche oder juristische Person von dem klagegegenständlichen Unionsrechtsakt unmittelbar betroffen sein muss, dass zwei Kriterien kumulativ erfüllt sind. Zum einen muss sich dieser Akt unmittelbar auf die Rechtsstellung des Klägers auswirken. Zum anderen darf er den mit seiner Durchführung betrauten Adressaten keinerlei Ermessensspielraum lassen, seine Umsetzung muss vielmehr rein automatisch erfolgen und sich allein aus der Unionsregelung ohne Anwendung anderer Durchführungsvorschriften ergeben (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 19. Juni 2008, US Steel Košice/Kommission, C‑6/08 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2008:356, Rn. 59, und Urteil vom 6. November 2018, Scuola Elementare Maria Montessori/Kommission, Kommission/Scuola Elementare Maria Montessori und Kommission/Ferracci, C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873, Rn. 42).

    25

    Das Gleiche gilt, wenn für die Adressaten nur eine rein theoretische Möglichkeit besteht, dem Unionsrechtsakt nicht nachzukommen, weil ihr Wille, diesem Akt nachzukommen, keinem Zweifel unterliegt (vgl. Urteil vom 5. Mai 1998, Dreyfus/Kommission, C‑386/96 P, EU:C:1998:193, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    26

    Jeder Rechtsakt, gleich, ob mit Verordnungscharakter oder anderer Art, kann einen Einzelnen grundsätzlich unmittelbar betreffen und sich somit auf seine Rechtsstellung unmittelbar auswirken, unabhängig davon, ob er Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht (Urteil vom 12. Juli 2022, Nord Stream 2/Parlament und Rat, C‑348/20 P, EU:C:2022:548, Rn. 74).

    27

    Im vorliegenden Fall ändert der angefochtene Beschluss die Rechtsstellung der Klägerinnen insoweit, als er die Mitgliedstaaten verpflichtet, ihre Zulassungen auszusetzen. Aus Rn. 22 der Gegenerwiderung geht hervor, dass die Kommission nicht bestreitet, dass die Klägerinnen das erste oben in Rn. 24 genannte Kriterium erfüllen. Sie stellt nur das zweite in dieser Randnummer genannte Kriterium in Frage, indem sie geltend macht, dass die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des angefochtenen Beschlusses über einen Ermessensspielraum verfügten.

    28

    Was die Frage betrifft, ob ein angefochtener Rechtsakt den mit seiner Durchführung betrauten Adressaten keinerlei Ermessensspielraum lässt, bedeutet der bloße Umstand, dass der angefochtene Beschluss zu seiner Umsetzung Durchführungsmaßnahmen erfordert, nicht zwangsläufig, dass für die Adressaten dieses Aktes ein Ermessensspielraum besteht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juli 2022, Nord Stream 2/Parlament und Rat, C‑348/20 P, EU:C:2022:548, Rn. 96).

    29

    Das Vorliegen eines Ermessensspielraums ist notwendigerweise anhand der konkreten Rechtswirkungen zu beurteilen, die Gegenstand der Klage sind und sich tatsächlich auf die Rechtsstellung des Betroffenen auswirken können. Daher sind die Rechtswirkungen der mit der Klage angefochtenen Bestimmungen dieses Rechtsakts auf die Situation der Person zu prüfen, die sich auf eine Klagebefugnis nach Art. 263 Abs. 4 zweite Variante AEUV beruft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juli 2022, Nord Stream 2/Parlament und Rat, C‑348/20 P, EU:C:2022:548, Rn. 97 und 98 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    30

    Die Kommission beruft sich insoweit auf Art. 3 des angefochtenen Beschlusses, wonach ein Mitgliedstaat die Aussetzung der betreffenden Zulassungen unter bestimmten Bedingungen in Ausnahmefällen für höchstens 18 Monate aufschieben kann.

    31

    Es trifft zwar zu, dass die Mitgliedstaaten nach dieser Bestimmung in Bezug auf einen etwaigen Aufschub der Durchführung des angefochtenen Beschlusses und damit hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem sie die Zulassungen für die betreffenden Arzneimittel aussetzen müssen, über einen gewissen Ermessensspielraum verfügen. Dagegen verfügen sie hinsichtlich der Verpflichtung, diese Zulassungen auszusetzen, über keinerlei Ermessensspielraum, und zwar spätestens nach Ablauf eines Zeitraums von 18 Monaten ab dem Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses, so dass sich die Klägerinnen dieser Verpflichtung nicht entziehen können (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 12. Juli 2022, Nord Stream 2/Parlament und Rat, C‑348/20 P, EU:C:2022:548, Rn. 105 und 110).

    32

    Aus dem Vorstehenden folgt, dass der angefochtene Beschluss den Mitgliedstaaten keinen Ermessensspielraum hinsichtlich der Aussetzung der in Rede stehenden Zulassungen einräumt, da diese rein automatisch erfolgt und sich allein aus der Unionsregelung ergibt. Folglich betrifft er die Klägerinnen unmittelbar, soweit sie Inhaberinnen dieser Zulassungen sind.

    33

    Die von der Kommission angeführte Rechtsprechung (Urteile vom 13. März 2018, European Union Copper Task Force/Kommission, C‑384/16 P, EU:C:2018:176, Rn. 47 bis 59, vom 13. März 2018, Industrias Químicas del Vallés/Kommission, C‑244/16 P, EU:C:2018:177, Rn. 54 bis 66, und Beschluss vom 14. Februar 2019, Associazione GranoSalus/Kommission, T‑125/18, EU:T:2019:92, Rn. 74 bis 85) vermag dieses Ergebnis nicht in Frage zu stellen. Diese Rechtsprechung ist nämlich im vorliegenden Fall nicht einschlägig, da sie die dritte Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV betrifft (vgl. Urteile vom 13. März 2018, European Union Copper Task Force/Kommission, C‑384/16 P, EU:C:2018:176, Rn. 45, vom 13. März 2018, Industrias Químicas del Vallés/Kommission, C‑244/16 P, EU:C:2018:177, Rn. 52, und Beschluss vom 14. Februar 2019, Associazione GranoSalus/Kommission, T‑125/18, EU:T:2019:92, Rn. 65).

    34

    Als Drittes beantragen die Klägerinnen zwar die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses nicht nur insoweit, als er sie selbst betrifft, sondern auch insoweit, als er die anderen Inhaberinnen von Zulassungen für Arzneimittel, die in seinem Anhang I aufgeführt sind, betrifft, doch weisen sie weder nach noch behaupten sie, dass sie in deren Namen klagebefugt seien, so dass der angefochtene Beschluss, selbst wenn er für nichtig erklärt werden sollte, nur teilweise – soweit er die Klägerinnen betrifft – für nichtig erklärt werden könnte. Somit könnte die beantragte Nichtigerklärung jedenfalls nur in Bezug auf diejenigen Arzneimittel Wirksamkeit entfalten, für die die Klägerinnen Zulassungsinhaberinnen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. September 2020, BASF/Kommission, T‑472/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:432, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    35

    Im Übrigen ist das Vorbringen der Klägerinnen, wonach der angefochtene Beschluss nur in vollem Umfang für nichtig erklärt werden könne und dass jeder Nichtigerklärung Erga-omnes-Wirkung zukomme, unzutreffend und daher zurückzuweisen.

    36

    Daher ist die Klage nur in Bezug auf die Arzneimittel, für die die Klägerinnen Zulassungsinhaberinnen sind, für zulässig zu erklären und der Antrag auf Nichtigerklärung im Übrigen zurückzuweisen, da die Klägerinnen nicht klagebefugt sind, um die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses erreichen zu können, soweit er Zulassungen betrifft, für die die Klägerinnen nicht Zulassungsinhaberinnen sind.

    B. Zur Einreichung der Klagebeantwortung

    37

    Die Klägerinnen machen geltend, dass die Klagebeantwortung der Kommission verspätet eingereicht worden sei. Die Klageschrift sei der Kommission am 27. Juli 2022 zugestellt worden. Die Klagebeantwortung sei erst am 13. Oktober 2022 eingereicht worden, obwohl die nach den Art. 81 Abs. 1, Art. 60 und Art. 58 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichts hierfür vorgesehene Frist am 10. Oktober 2022 abgelaufen sei.

    38

    Nach Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses des Gerichts vom 11. Juli 2018 über die Einreichung und die Zustellung von Verfahrensschriftstücken im Wege der Anwendung e‑Curia (ABl. 2018, L 240, S. 72) werden die Verfahrensschriftstücke den Inhabern eines Zugangskontos in den sie betreffenden Rechtssachen über e‑Curia zugestellt. Nach Art. 6 Abs. 3 dieses Beschlusses ist das Verfahrensschriftstück zu dem Zeitpunkt zugestellt, zu dem der Empfänger (Vertreter oder Assistent) auf dieses Schriftstück zugreift.

    39

    Da die Klageschrift im vorliegenden Fall der Kommission im Wege der Anwendung e‑Curia am 27. Juli 2022 übermittelt wurde und die Kommission am 3. August 2022 auf dieses Verfahrensschriftstück zugegriffen hat, ist die Frist für die Einreichung der Klagebeantwortung am 13. Oktober 2022 abgelaufen.

    40

    Folglich hat die Kommission diese Frist mit der Einreichung der Klagebeantwortung am 13. Oktober 2022 eingehalten.

    C. Zur Begründetheit

    41

    Die Klägerinnen stützen ihre Klage auf vier Klagegründe. Mit dem ersten Klagegrund wird ein Verstoß gegen Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2010/84 geänderten Fassung gerügt. Mit dem zweiten Klagegrund wird ein Verstoß gegen das Vorsorgeprinzip geltend gemacht. Der dritte Klagegrund bezieht sich auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der vierte Klagegrund richtet sich gegen einen Begründungsmangel.

    1.   Zum vierten Klagegrund: Begründungsmangel

    42

    Die Klägerinnen machen geltend, der angefochtene Beschluss sei widersprüchlich und daher mit einem Begründungsmangel behaftet.

    43

    Als Erstes machen die Klägerinnen geltend, dass Anhang III des angefochtenen Beschlusses eine Bedingung für die Aufhebung der Aussetzung der Zulassungen aufstelle, die unmöglich zu erfüllen sei, wenn man der diesem Beschluss zugrunde liegenden Argumentation folge.

    44

    Hierzu führen die Klägerinnen aus, dass die Zulassungsinhaber, um die Aufhebung der Aussetzung zu erwirken, zum einen überzeugende wissenschaftliche Beweise für ein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis für eine genau bestimmte Patientenpopulation vorlegen und zum anderen eine Reihe von Maßnahmen zur Risikominimierung vorschlagen müssten, durch die Patienten, die einem erhöhten Risiko für eine ernsthafte Gesundheitsschädigung ausgesetzt seien, angemessen geschützt würden.

    45

    Erstens machen die Klägerinnen geltend, bereits die Verwendung der betreffenden Arzneimittel in Übereinstimmung mit den Bestimmungen der Zulassung zeige, dass auf der Grundlage der derzeit verfügbaren wissenschaftlichen Daten ein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis bestehe. Nach den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen in Anhang II des angefochtenen Beschlusses seien die im Jahr 2013 erlassenen Beschränkungen nicht ausreichend, da die Angehörigen der Gesundheitsberufe sie nicht einhielten. Die Zulassung eines solchen – zur Ablehnung der von ihnen vorgeschlagenen zusätzlichen Maßnahmen zur Risikominimierung herangezogenen – Arguments würde bedeuten, dass es generell unmöglich wäre, die Aufhebung einer Aussetzung zu erwirken, da jeder angebliche – selbst absichtliche – Off‑Label-Gebrauch systematisch der Annahme zusätzlicher Maßnahmen zur Risikominimierung entgegenstünde.

    46

    Zweitens machen die Klägerinnen geltend, in den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen in Anhang II des angefochtenen Beschlusses sei die Umsetzung anderer Maßnahmen zur Risikominimierung ausdrücklich abgelehnt worden. Somit ordne der angefochtene Beschluss de facto eine Rücknahme der Zulassungen an. Die Voraussetzungen für die Aufhebung der Aussetzung könnten niemals erfüllt werden.

    47

    Drittens werde im angefochtenen Beschluss nicht begründet, warum der im Jahr 2013 erlassene Beschluss nicht bis zum Vorliegen der Ergebnisse zweier klinischer Prüfungen der Phase IV in den Bereichen Chirurgie und Traumatologie (im Folgenden: Studien PHOENICS und TETHYS) aufrechterhalten werden könne, die im Jahr 2013 in Auftrag gegeben worden seien, um die Bedingung der Vorlage zusätzlicher Beurteilungsgesichtspunkte zu erfüllen.

    48

    Als Zweites machen die Klägerinnen geltend, der angefochtene Beschluss sei wegen der in seinem Art. 3 vorgesehenen Ausnahme widersprüchlich.

    49

    Erstens sei es widersprüchlich, dass diese Bestimmung von einem Mitgliedstaat, der von dieser Ausnahme Gebrauch mache und die Aussetzung einer Zulassung aufschiebe, verlange, die im Jahr 2018 eingeführten Maßnahmen zur Risikominimierung weiterhin einzuhalten, obwohl diese Maßnahmen – wie in den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen in Anhang II des angefochtenen Beschlusses ausgeführt – nicht wirksam seien.

    50

    Zweitens zeige der Umstand, dass diese Bestimmung einen Mitgliedstaat verpflichte, die Belieferung einer zugelassenen Einrichtung auszusetzen, wenn sich herausstelle, dass diese Einrichtung Maßnahmen zur Risikominimierung nicht einhalte, dass die Kommission die von den Klägerinnen vorgeschlagenen zusätzlichen Belieferungsbeschränkungen entgegen den Ausführungen in den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen in Anhang II des angefochtenen Beschlusses als wirksame zusätzliche Maßnahmen zur Risikominimierung ansehe.

    51

    Drittens habe die Kommission die Entscheidung, die fraglichen Zulassungen auszusetzen, auf Erwägungen der öffentlichen Gesundheit in den Mitgliedstaaten gestützt. Gleichzeitig könne ein Mitgliedstaat auf der Grundlage von Art. 3 des angefochtenen Beschlusses in Ausnahmefällen die Aussetzung für einen Zeitraum von nur 18 Monaten aufschieben, wenn dies unter Berücksichtigung von Erwägungen der öffentlichen Gesundheit in diesem Mitgliedstaat für notwendig erachtet werde.

    52

    Die Kommission, unterstützt durch Irland und die EMA, beantragt, den vierten Klagegrund zurückzuweisen.

    53

    Bei der Begründungspflicht handelt es sich um ein wesentliches Formerfordernis, das von der Stichhaltigkeit der Begründung zu unterscheiden ist, die zur materiellen Rechtmäßigkeit des streitigen Rechtsakts gehört (Urteile vom 22. März 2001, Frankreich/Kommission, C‑17/99, EU:C:2001:178, Rn. 35, und vom 20. September 2019, ICL‑IP Terneuzen und ICL Europe Coöperatief/Kommission, T‑610/17, EU:T:2019:637, Rn. 47).

    54

    Nach gefestigter Rechtsprechung muss die durch Art. 296 Abs. 2 AEUV vorgeschriebene Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und nach dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 296 AEUV genügt, nicht nur anhand seines Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. Urteile vom 2. April 1998, Kommission/Sytraval und Brink’s France, C‑367/95 P, EU:C:1998:154, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 28. März 2017, Rosneft, C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 122 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    55

    Außerdem kann die Beteiligung der Betroffenen am Entstehungsprozess des Rechtsakts die Begründungserfordernisse herabsetzen, da sie zu ihrer Information beiträgt (Urteile vom 21. Juli 2011, Etimine,C‑15/10, EU:C:2011:504, Rn. 116, und vom 1. Februar 2013, Polyelectrolyte Producers Group u. a./Kommission, T‑368/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:53, Rn. 101).

    56

    Im vorliegenden Fall geht aus dem zweiten Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervor, dass der PRAC zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Produktinformationen trotz der umfangreichen Maßnahmen zur Risikominimierung, die nach dem 2018 abgeschlossenen Befassungsverfahren durchgeführt worden seien, weiterhin nicht eingehalten würden. Nach dem dritten Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hat der PRAC die Schwere der Sicherheitsprobleme und die Tatsache berücksichtigt, dass der Anteil der Patienten, die diesen Risiken in Ermangelung wirksamer Maßnahmen zur Risikominimierung ausgesetzt seien, schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben könnte, darunter eine potenziell erhöhte Mortalität. Laut dem vierten Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses kam der PRAC zu dem Ergebnis, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis der betreffenden Arzneimittel nicht länger positiv sei, und empfahl daher, die Zulassungen für diese Arzneimittel auszusetzen.

    57

    Darüber hinaus ergibt sich aus dem fünften Erwägungsgrund und aus Art. 1 des angefochtenen Beschlusses, dass dieser auf der Grundlage des Standpunkts der Mehrheit der in der CMDh vertretenen Mitgliedstaaten erlassen wurde, der in einem Dokument mit dem Titel „Wissenschaftliche Schlussfolgerungen“ enthalten ist, das im Anhang II des angefochtenen Beschlusses wiedergegeben und somit Bestandteil dieses Beschlusses ist. Nach diesen Schlussfolgerungen sollte im Interesse der Union ein Beschluss erlassen werden, mit dem die Zulassungen für die betreffenden Arzneimittel ausgesetzt werden.

    58

    In diesen wissenschaftlichen Schlussfolgerungen wird auf etwa zehn Seiten dargelegt, warum davon ausgegangen wurde, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis der betreffenden Arzneimittel nicht länger günstig sei. Aus diesen Schlussfolgerungen geht u. a. hervor, dass die Umsetzung zusätzlicher Maßnahmen zur Risikominimierung in Betracht gezogen, jedoch davon ausgegangen worden sei, dass keine andere Maßnahme zur Risikominimierung habe identifiziert werden können, um eine sichere Anwendung der betreffenden Arzneimittel zu gewährleisten.

    59

    Die Kritik der Klägerinnen an der Begründung des angefochtenen Beschlusses richtet sich u. a. gegen angebliche Widersprüche und Inkohärenzen in diesem Beschluss.

    60

    Zu dem Vorbringen, die in Anhang III des angefochtenen Beschlusses vorgesehenen Voraussetzungen für die Aufhebung der Aussetzung seien widersprüchlich, da sie niemals erfüllt werden könnten, wenn davon ausgegangen werde, dass die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Risikominimierung ausdrücklich ablehnten, ist festzustellen, dass es in diesem Anhang III heißt:

    „Um die Aussetzung aufzuheben, muss/müssen der/die Inhaber der [Zulassung] belastbare Nachweise vorlegen, die ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis in einer klinisch relevanten Patientenpopulation belegen, zusammen mit einer Reihe von Maßnahmen zur Risikominimierung, die Patienten mit einem erhöhten Risiko einer ernsthaften Schädigung infolge einer Exposition gegenüber HES‑Infusionslösungen ausreichend schützen können.“

    61

    Somit können die Klägerinnen nach diesem Anhang alle Beweise vorlegen, die geeignet sind, für jedes betreffende Arzneimittel ein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis innerhalb einer klinisch relevanten Patientenpopulation nachzuweisen. Diese Beweise können sich u. a. auf alle Risiken und Vorteile jedes der betreffenden Arzneimittel sowie auf neue Vorschläge für Maßnahmen zur Risikominimierung beziehen. Im Übrigen geht weder aus dem angefochtenen Beschluss noch aus den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen in dessen Anhang II hervor, dass es logischerweise und notwendigerweise ausgeschlossen ist, dass in Zukunft Maßnahmen zur Risikominimierung identifiziert werden können, die Patienten, die ein erhöhtes Risiko für eine ernsthafte Schädigung infolge der Exposition gegenüber den betreffenden Arzneimitteln aufweisen, ausreichend schützen können. Im dritten Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses wird nämlich nur auf das Fehlen wirksamer Maßnahmen zur Risikominimierung Bezug genommen. Aus den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen geht hervor, dass der PRAC zu dem Ergebnis gelangt ist, dass keine Maßnahmen zur Risikominimierung oder eine Kombination von Maßnahmen zur Risikominimierung „identifiziert werden konnten“, um eine sichere Anwendung der betreffenden Arzneimittel in ausreichendem Umfang zu gewährleisten, wobei die Verwendung des Imperfekt darauf hindeutet, dass diese Feststellung in der Vergangenheit bis zu dem Zeitpunkt gültig war, zu dem der PRAC seine Schlussfolgerung angenommen hat.

    62

    Zu der in Art. 3 des angefochtenen Beschlusses vorgesehenen Ausnahme heißt es in dessen sechstem Erwägungsgrund, dass die Mitgliedstaaten in Ausnahmefällen die Aussetzung der betreffenden Zulassungen vorübergehend aufschieben können, sofern bestimmte Bedingungen zum Schutz der Patienten gegeben sind und die vorab vereinbarten Maßnahmen zur Risikominimierung beibehalten und überwacht werden. Art. 3 des angefochtenen Beschlusses nennt als Voraussetzungen, die einen Aufschub der Aussetzung rechtfertigen können, u. a., dass dieser Aufschub aus Erwägungen der öffentlichen Gesundheit in dem betreffenden Mitgliedstaat für notwendig erachtet wird (Art. 3 Buchst. a des angefochtenen Beschlusses) und führt darüber hinaus mehrere weitere Voraussetzungen auf, mit denen die Beachtung der Maßnahmen zur Risikominimierung sichergestellt werden soll.

    63

    Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen stehen diese Voraussetzungen nicht im Widerspruch zu der im angefochtenen Beschluss vorgesehenen Aussetzung, die auf Erwägungen der öffentlichen Gesundheit und dem Umstand beruht, dass die Maßnahmen zur Risikominimierung nicht als ausreichend angesehen wurden, um zu einem günstigen Nutzen-Risiko-Verhältnis der betreffenden Arzneimittel zu gelangen.

    64

    Die Erwägungen der öffentlichen Gesundheit, die einen Aufschub der Aussetzung rechtfertigen, können sich nämlich von denen unterscheiden, die die Aussetzung rechtfertigen, und sich z. B. auf die Notwendigkeit für den Gesundheitssektor beziehen, sich während des Zeitraums des Aufschubs auf die Aussetzung der Zulassungen vorzubereiten, ohne jedoch einen zeitlich unbegrenzten Aufschub zu rechtfertigen.

    65

    Hinsichtlich der Maßnahmen zur Risikominimierung ist festzustellen, dass sie insbesondere deshalb für unzureichend erachtet wurden, weil die ursprünglichen Maßnahmen zur Risikominimierung nicht hinreichend eingehalten worden waren. Im Übrigen geht aus einer im Jahr 2022 bewerteten Studie zur Arzneimittelanwendung hervor, dass die Rate der Nichtbeachtung der Maßnahmen zur Risikominimierung zwischen den verschiedenen Standorten in den verschiedenen an der Studie beteiligten Mitgliedstaaten erheblich variierte. Somit ist der von der Kommission verfolgte Ansatz, der darin besteht, die Möglichkeit eines Mitgliedstaats, die Aussetzung der betreffenden Zulassungen für einen begrenzten Zeitraum aufzuschieben, von Bedingungen abhängig zu machen, mit denen die Beachtung der Maßnahmen zur Risikominimierung gewährleistet werden soll, und eine Verpflichtung zur Aussetzung der Belieferung einer zugelassenen Einrichtung einzuführen, wenn sich herausstellt, dass diese die Maßnahmen zur Risikominimierung nicht beachtet, nicht inkohärent mit der oben in Rn. 63 dargelegten, dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegenden Erwägung.

    66

    Schließlich belegt das Vorbringen der Klägerinnen, der angefochtene Beschluss hätte die Gründe angeben müssen, aus denen der im Jahr 2013 erlassene Beschluss nicht – insbesondere in Erwartung der Ergebnisse der Studien PHOENICS und TETHYS – aufrechterhalten werden könne, keinen Begründungsmangel. Denn erstens wurde der angefochtene Beschluss, wie namentlich aus dessen zweitem Erwägungsgrund sowie aus den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen in dessen Anhang II hervorgeht, nach der Bewertung der letzten Studie zur Arzneimittelanwendung erlassen, in der die Wirksamkeit der im Jahr 2018 erlassenen Maßnahmen zur Risikominimierung beurteilt worden war. Zweitens haben die Klägerinnen, wenn sie der Auffassung sind, dass die Daten aus den Studien PHOENICS und TETHYS das Nutzen-Risiko-Verhältnis der betreffenden Arzneimittel günstig beeinflussen könnten, die Möglichkeit, diese Daten der zuständigen Behörde vorzulegen, damit diese, wie in Anhang III des angefochtenen Beschlusses angegeben, beurteilen kann, ob die Voraussetzungen für die Aufhebung der Aussetzung erfüllt sind. Drittens gehört die Frage, ob die Kommission vor dem Erlass des angefochtenen Beschlusses die Ergebnisse dieser beiden Studien hätte abwarten müssen, zur Begründetheit des angefochtenen Beschlusses und wird im Rahmen des dritten Klagegrundes geprüft, mit dem ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerügt wird.

    67

    Auch das Vorbringen der Klägerinnen, die Verwendung der betreffenden Arzneimittel in Übereinstimmung mit den Bestimmungen der Zulassung zeige, dass auf der Grundlage der derzeit verfügbaren wissenschaftlichen Daten ein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis bestehe, gehört zur Begründetheit des angefochtenen Beschlusses und wird im Rahmen des ersten und des zweiten Klagegrundes geprüft.

    68

    Im Ergebnis führt der angefochtene Beschluss einschließlich der in seinem Anhang II enthaltenen wissenschaftlichen Schlussfolgerungen in detaillierter Form die Gründe an, auf die er sich stützt. Insbesondere bringt die Begründung des angefochtenen Beschlusses die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck, dass die Klägerinnen, die im Übrigen an dem Verfahren, das zum Erlass des angefochtenen Beschlusses geführt hat, beteiligt waren, ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann.

    69

    Der vierte Klagegrund ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

    2.   Zum ersten Klagegrund, der auf einen Verstoß gegen Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung gestützt wird, und zum zweiten Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen das Vorsorgeprinzip gerügt wird

    70

    Die Klägerinnen machen geltend, der angefochtene Beschluss sei unbegründet, da die Voraussetzungen von Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung, der die zuständigen Behörden ermächtige, die Zulassungen von Arzneimitteln auszusetzen, nicht erfüllt seien. Die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen, auf die sich der angefochtene Beschluss stütze, ließen nicht die Feststellung zu, dass bei einer Verwendung der betreffenden Arzneimittel im Einklang mit den genehmigten Indikationen ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis bestehe.

    71

    Die Kommission, unterstützt durch Irland und die EMA, macht geltend, dass weder ein Fehler in Bezug auf die Einhaltung der in Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung vorgesehenen rechtlichen Voraussetzungen noch ein offensichtlicher Beurteilungsfehler bei der Bewertung der verfügbaren Daten über die Sicherheit der betreffenden Arzneimittel vorgelegen habe, da die wissenschaftlichen Daten die Schlussfolgerung untermauert hätten, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis dieser Produkte nicht als günstig angesehen werden könne.

    a)   Zum ersten Teil des ersten Klagegrundes: Rechtsfehler aufgrund einer fehlerhaften Auslegung des Begriffs „Nutzen-Risiko-Verhältnis“ in Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung

    72

    Die Klägerinnen machen geltend, nach Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung könne eine Zulassung nur zurückgenommen oder ausgesetzt werden, wenn sich das betreffende Produkt im Rahmen der vorgesehenen Verwendung als schädlich erweise, d. h., wenn es im Hinblick auf seine zulassungskonforme Verwendung kein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis aufweise.

    73

    Hierzu machen die Klägerinnen geltend, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis im Sinne von Art. 1 Nr. 28a der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 (ABl. 2004, L 136, S. 34) geänderten Fassung hauptsächlich im Hinblick auf die vorgesehene Verwendung des Arzneimittels beurteilt werde, die durch die Indikationen der Zulassung und die damit verbundenen, ebenfalls in der Zulassung genannten Anwendungsbeschränkungen definiert werde. Nach Art. 1 Nr. 28 der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung umfasse der Begriff „Risiko“ jedes Risiko im Zusammenhang mit der Qualität, Sicherheit oder Wirksamkeit des Arzneimittels für die Gesundheit der Patienten oder die öffentliche Gesundheit. Gemäß dem siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83 könnten die Begriffe Schädlichkeit und therapeutische Wirksamkeit nur in ihrer wechselseitigen Beziehung geprüft werden und hätten nur eine relative Bedeutung, die nach Maßgabe des Standes der Wissenschaft und unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung des Arzneimittels beurteilt werde. Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels stünden stets im Zusammenhang mit der vorgesehenen Verwendung, die im Zulassungsverfahren geprüft werde. Ein Arzneimittel könne nicht sicher und wirksam sein, wenn es nicht in Übereinstimmung mit der Indikation verwendet werde.

    74

    Die Kommission, unterstützt durch Irland und die EMA, beantragt, den ersten Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.

    75

    Nach Art. 116 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung setzen die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten die Zulassung aus, nehmen sie zurück oder ändern sie, wenn sie der Ansicht sind, dass das Arzneimittel schädlich ist oder dass seine therapeutische Wirksamkeit fehlt oder dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis ungünstig ist oder dass das Arzneimittel nicht die angegebene quantitative und qualitative Zusammensetzung aufweist.

    76

    Diese Voraussetzungen für die Änderung, Aussetzung oder Rücknahme einer Zulassung sind alternativ und nicht kumulativ (Urteile vom 11. Dezember 2014, PP Nature-Balance Lizenz/Kommission, T‑189/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1056, Rn. 41, und vom 19. September 2019, GE Healthcare/Kommission, T‑783/17, EU:T:2019:624, Rn. 44). Sie müssen außerdem gemäß dem von der Rechtsprechung aufgestellten allgemeinen Grundsatz ausgelegt werden, wonach dem Schutz der öffentlichen Gesundheit gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen zweifelsohne vorrangige Bedeutung beizumessen ist (Urteile vom 19. April 2012, Artegodan/Kommission, C‑221/10 P, EU:C:2012:216, Rn. 99, und vom 19. September 2019, GE Healthcare/Kommission, T‑783/17, EU:T:2019:624, Rn. 44).

    77

    Im vorliegenden Fall hängt die Frage, ob der erste Teil des ersten Klagegrundes begründet ist, von der Auslegung des Begriffs „Nutzen-Risiko-Verhältnis“ ab.

    78

    Nach ständiger Rechtsprechung sind im Allgemeinen bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. Urteil vom 7. Mai 2019, Deutschland/Kommission, T‑239/17, EU:T:2019:289, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung), wobei der klare und genaue Wortlaut jedoch die Grenze für die Auslegung bildet (Urteil vom 16. Dezember 2020, American Airlines/Kommission, T‑430/18, EU:T:2020:603, Rn. 109; vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juli 2010, Kommission/Vereinigtes Königreich, C‑582/08, EU:C:2010:429, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die Entstehungsgeschichte einer Bestimmung des Unionsrechts kann ebenfalls relevante Anhaltspunkte für ihre Auslegung liefern (vgl. Urteil vom 16. März 2023, Towercast, C‑449/21, EU:C:2023:207, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    1) Zur wörtlichen Auslegung des Begriffs „Nutzen-Risiko-Verhältnis“ in Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung

    79

    Der Begriff „Nutzen-Risiko-Verhältnis“ wird in Art. 1 Nr. 28a der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung definiert als „[e]ine Bewertung der positiven therapeutischen Wirkungen des Arzneimittels im Verhältnis zu dem Risiko gemäß der Definition in Nummer 28 erster Gedankenstrich“.

    80

    Art. 1 Nr. 28 erster Gedankenstrich definiert den Begriff „[m]it der Verwendung des Arzneimittels verbundenes Risiko“ als „jedes Risiko im Zusammenhang mit der Qualität, Sicherheit oder Wirksamkeit des Arzneimittels für die Gesundheit der Patienten oder die öffentliche Gesundheit“.

    81

    Keine der in den vorstehenden Randnummern angeführten Bestimmungen verlangt oder schließt ausdrücklich aus, dass die Risiken, die sich aus dem Off‑Label-Gebrauch eines Arzneimittels ergeben, bei der Bewertung seines Nutzen-Risiko-Verhältnisses nach Art. 116 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung berücksichtigt werden.

    82

    Der Wortlaut von Art. 1 Nr. 28 erster Gedankenstrich der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung ist vielmehr allgemein, da sich diese Bestimmung auf „jedes Risiko“ im Zusammenhang mit der Qualität, Sicherheit oder Wirksamkeit des Arzneimittels für die Gesundheit der Patienten oder die öffentliche Gesundheit bezieht. Auch beschränkt diese Bestimmung den Begriff „Sicherheit des Arzneimittels“ nicht auf bestimmte Verwendungen. Somit schließt diese Bestimmung die Risiken, die sich aus einem Off‑Label-Gebrauch eines Arzneimittels ergeben, nicht aus dem Begriff der Risiken im Zusammenhang mit der Sicherheit dieses Arzneimittels aus.

    83

    Aus einer wörtlichen Auslegung des Begriffs „Nutzen-Risiko-Verhältnis“ in Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung ergibt sich, dass dieser Begriff weit genug gefasst ist, um die Berücksichtigung der Risiken im Zusammenhang mit dem Off‑Label-Gebrauch eines Arzneimittels zu ermöglichen.

    2) Zur systematischen Auslegung des Begriffs „Nutzen-Risiko-Verhältnis“ in Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung

    84

    Erstens legt Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung bestimmte Informationspflichten fest, die jedem Inhaber einer Zulassung für ein Arzneimittel obliegen.

    85

    Zwar sieht diese Bestimmung als solche keine Aussetzung einer Zulassung aufgrund eines ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses vor, das sich aus der Berücksichtigung der Risiken im Zusammenhang mit einem Off‑Label-Gebrauch eines Arzneimittels ergibt, doch erlegt sie dem Inhaber einer Zulassung ausdrücklich die Verpflichtung auf, der zuständigen nationalen Behörde „Angaben über eine Anwendung des Arzneimittels, die über die Bestimmungen der [Zulassung] hinausgeht“, mitzuteilen. Diese Informationspflicht wäre weitgehend sinnlos, wenn die zuständige Behörde solche Angaben nicht berücksichtigen und regulatorische Konsequenzen daraus ziehen könnte.

    86

    Außerdem ergibt sich aus dieser Bestimmung und insbesondere aus dem Zusammenhang zwischen Unterabs. 2 Satz 1 a. E. und Unterabs. 2 Satz 2 a. E., dass die „Angaben über eine Anwendung des Arzneimittels, die über die Bestimmungen der [Zulassung] hinausgeht“, „[neue] Informationen …, die die Beurteilung des Nutzens und der Risiken des betreffenden Arzneimittels beeinflussen könnten“, sein können.

    87

    Zweitens beschreibt Art. 101 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung das Ziel des Pharmakovigilanz-Systems und den Umfang der Informationen, die dieses System zusammentragen soll. Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass der Begriff „Risiken … für die Gesundheit der Patienten oder die öffentliche Gesundheit“ auch die Risiken umfasst, die sich aus einer „Anwendung, die über die Bestimmungen der [Zulassung] hinausgeht“, ergeben. Weder die Richtlinie 2001/83 noch eine andere Bestimmung des Unionsrechts enthält einen Hinweis darauf, dass dieser Begriff im Rahmen von Art. 101 der Richtlinie 2001/83 in dem Sinne eine andere Bedeutung als im Rahmen von Art. 116 dieser Richtlinie haben sollte, dass er die Risiken im Zusammenhang mit dem Off‑Label-Gebrauch des betreffenden Arzneimittels im Rahmen der erstgenannten Bestimmung, nicht aber im Rahmen der zweitgenannten Bestimmung erfassen sollte.

    88

    Außerdem ergibt sich aus Art. 101 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung, dass die Mitgliedstaaten alle im Rahmen des Pharmakovigilanz-Systems zusammengetragenen Informationen, einschließlich der Informationen über die Risiken im Zusammenhang mit dem Off‑Label-Gebrauch eines Arzneimittels, berücksichtigen können, um Möglichkeiten der Risikominimierung und ‑vermeidung zu prüfen und gegebenenfalls Regelungen hinsichtlich der in Rede stehenden Zulassung zu treffen. Diese Bestimmung enthält keinen Hinweis darauf, dass die Aussetzung oder die Rücknahme einer Zulassung grundsätzlich von den Maßnahmen ausgenommen wäre, die die Mitgliedstaaten ergreifen können, um den Risiken im Zusammenhang mit dem Off‑Label-Gebrauch eines Arzneimittels zu begegnen.

    89

    Drittens hat der Gesetzgeber in Art. 22 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2010/84 geänderten Fassung, der zwar eine andere Situation als die vorliegende betrifft – nämlich die Entscheidung, eine Zulassung unter bestimmten Bedingungen zu erteilen –, ausdrücklich die Bedingungen vorgesehen, unter denen nicht alle Daten über die Wirksamkeit und Sicherheit eines Arzneimittels im Hinblick auf seinen „bestimmungsgemäßen“ Gebrauch vorgelegt werden müssen.

    90

    Somit bestätigt der Umstand, dass Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung keine Bezugnahme auf den „bestimmungsgemäßen“ Gebrauch enthält, die Auslegung der Kommission, wonach der Begriff „mit der Verwendung des Arzneimittels verbundenes Risiko“ auch die mit seinem Off‑Label-Gebrauch verbunden Risiken umfasst.

    91

    Aus einer systematischen Auslegung des Begriffs „Nutzen-Risiko-Verhältnis“ in Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung ergibt sich, dass dieser Begriff auch die mit dem Off‑Label-Gebrauch eines Arzneimittels verbunden Risiken umfasst.

    92

    Das Vorbringen der Klägerinnen, wonach Art. 23 Abs. 2 und Art. 101 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung nur Pharmakovigilanz-Pflichten des Zulassungsinhabers und nicht die Aussetzung einer Zulassung vorsähen, kann dieses Ergebnis nicht in Frage stellen. Diese Bestimmungen werden nämlich nicht als Rechtsgrundlage des angefochtenen Beschlusses geprüft, sondern im Rahmen einer systematischen Auslegung des Begriffs „Nutzen-Risiko-Verhältnis“ gemäß Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung.

    3) Zur Auslegung des Begriffs „Nutzen-Risiko-Verhältnis“ unter Berücksichtigung des Ziels von Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung

    93

    Nach dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83 ist es ihr wesentliches Ziel, einen wirksamen Schutz der öffentlichen Gesundheit zu gewährleisten (vgl. Urteil vom 5. Mai 2011, Novo Nordisk, C‑249/09, EU:C:2011:272, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    94

    Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung verfolgt dieses Ziel, da er die zuständigen Behörden verpflichtet, die Zulassung auszusetzen, zurückzunehmen oder zu ändern, wenn das Nutzen-Risiko-Verhältnis eines Arzneimittels als ungünstig angesehen wird.

    95

    Wie oben in Rn. 76 festgestellt, muss Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung gemäß dem von der Rechtsprechung aufgestellten allgemeinen Grundsatz ausgelegt werden, wonach dem Schutz der öffentlichen Gesundheit gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen zweifelsohne vorrangige Bedeutung beizumessen ist.

    96

    Um eine wirksame Verfolgung dieses Ziels zu gewährleisten, müssen die zuständigen Behörden die Informationen über alle Risiken berücksichtigen können, die ein Arzneimittel für die öffentliche Gesundheit darstellt, einschließlich derjenigen, die mit seinem Off‑Label-Gebrauch verbunden sind. Der Off‑Label-Gebrauch eines Arzneimittels kann nämlich ähnliche Risiken für die öffentliche Gesundheit mit sich bringen wie die, die mit der zulassungskonformen Verwendung dieses Arzneimittels verbunden sind. Der Off‑Label-Gebrauch eines Arzneimittels ist nicht selten. Es handelt sich um eine berufliche Entscheidung eines Arztes, der den Nutzen und die Risiken abwägt, die damit verbundenen sind. Dieser Arzt muss daher so gut wie möglich darüber informiert werden.

    97

    Folglich ist das Vorbringen der Klägerinnen zurückzuweisen, wonach die Aussetzung der Zulassung eines – wenn in Übereinstimmung mit den Indikationen verwendet – sicheren und wirksamen Arzneimittels definitionsgemäß nicht dem Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit entspreche.

    98

    Aus einer Auslegung des Begriffs des Nutzen-Risiko-Verhältnisses unter Berücksichtigung des Ziels von Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung ergibt sich, dass dieser Begriff auch die mit einem Off‑Label-Gebrauch eines Arzneimittels verbundenen Risiken erfasst.

    99

    Im Ergebnis ergibt sich aus einer wörtlichen, systematischen und teleologischen Auslegung von Art. 116 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung, dass die Kommission diese Bestimmung nicht verkannt hat, indem sie bei der Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses die Risiken, die mit dem Off‑Label-Gebrauch der in Rede stehenden Arzneimittel verbunden sind, berücksichtigt hat.

    100

    Diese Schlussfolgerung wird durch die Vorarbeiten zur Richtlinie 2010/84 gestützt, durch die unter anderem Art. 116 der Richtlinie 2001/83 geändert wurde. Insbesondere geht aus Anhang I des Arbeitsdokuments der Kommission vom 10. Dezember 2008 zum Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 2001/83 hervor, dass der Begriff „normale Verwendungsbedingungen“ gestrichen wurde, „da er nicht definiert ist und dahin ausgelegt werden könnte, dass er die Regulierungsmaßnahmen im Falle eines wesentlichen Problems im Bereich der öffentlichen Gesundheit im Zusammenhang mit einem Off‑Label-Gebrauch (z. B. bei Kindern) beschränkt“.

    4) Zum übrigen Vorbringen der Klägerinnen

    101

    Das gesamte übrige Vorbringen der Klägerinnen ist nicht geeignet, die Schlussfolgerung in Frage zu stellen, dass der Begriff des Nutzen-Risiko-Verhältnisses in Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung auch die mit einem Off‑Label-Gebrauch eines Arzneimittels verbundenen Risiken erfasst.

    102

    Was erstens ihr Vorbringen angeht, dass die Zulassungsinhaber eines Arzneimittels nicht für dessen Off‑Label-Gebrauch verantwortlich seien, was sich ihres Erachtens aus der Rechtsprechung ergebe, genügt der Hinweis, dass dies nicht ausschließt, dass die mit dem Off‑Label-Gebrauch eines Arzneimittels verbundenen Risiken bei der Bewertung seines Nutzen-Risiko-Verhältnisses im Rahmen der Ausübung der Befugnis, Regulierungsmaßnahmen zu erlassen, berücksichtigt werden. Im angefochtenen Beschluss wird weder vorausgesetzt noch suggeriert, dass die Klägerinnen und die anderen Zulassungsinhaberinnen der betreffenden Arzneimittel für deren Off‑Label-Gebrauch verantwortlich sind.

    103

    Zweitens ist das auf den siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83 gestützte Vorbringen nicht stichhaltig, da sich dieser Erwägungsgrund auf den ursprünglichen Text der Richtlinie 2001/83 einschließlich ihres Art. 116 bezieht, der die Alternative, auf die sich der angefochtene Beschluss stützt, nämlich die Alternative, dass eine Zulassung ausgesetzt, zurückgenommen oder geändert wird, wenn davon ausgegangen wird, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis ungünstig ist, nicht vorsah.

    104

    Drittens ist auch das Vorbringen unerheblich, dass das Unionsrecht nicht den Off‑Label-Gebrauch eines Arzneimittels regele. Der Umstand, dass das Unionsrecht nicht die Voraussetzungen für den Off‑Label-Gebrauch von Arzneimitteln festlegt, bedeutet nämlich nicht, dass die sich daraus ergebenden Risiken im Rahmen der Ausübung der Befugnis der Union, Regulierungsmaßnahmen zu erlassen, nicht berücksichtigt werden können oder dürfen.

    105

    Viertens kann auch das Vorbringen der Klägerinnen, dass der missbräuchlichen Verwendung eines Arzneimittels nur auf nationaler Ebene entgegengewirkt werden könne, keinen Erfolg haben. Die Tatsache, dass das nationale Recht Folgen für die missbräuchliche Verwendung eines Arzneimittels vorsieht, schließt nicht aus, dass die Unionsbehörden die ihnen übertragene Befugnis zum Erlass von Regulierungsmaßnahmen mit der gebotenen Sorgfalt ausüben können und sogar ausüben müssen, um auch den Risiken, die sich aus einem Off‑Label-Gebrauch ergeben, zu begegnen.

    106

    Folglich ist der erste Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.

    b)   Zum zweiten Teil des ersten Klagegrundes, mit dem ein offensichtlicher Beurteilungsfehler geltend gemacht wird, und zum zweiten Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen das Vorsorgeprinzip gerügt wird

    107

    Die Klägerinnen verweisen auf die Rechtsprechung zum Vorsorgeprinzip, wonach dieses Prinzip die zuständigen Behörden im Fall von Ungewissheiten ermächtige, zur Vermeidung bestimmter potenzieller Gefahren für die menschliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt Schutzmaßnahmen zu ergreifen, ohne dass abgewartet werde müsse, dass das Bestehen und die Schwere dieser Risiken vollständig dargelegt würden. Nach dieser Rechtsprechung obliege es der zuständigen Behörde, nachzuweisen, dass die Voraussetzungen für die Aussetzung einer Zulassung erfüllt seien, was die Kommission und die EMA im vorliegenden Fall nicht getan hätten. Zu diesem Zweck müsse die Kommission ernsthafte und stichhaltige Anhaltspunkte vorlegen, die begründete Zweifel an der Unbedenklichkeit des betreffenden Arzneimittels erlaubten. Solche Anhaltspunkte fehlten im vorliegenden Fall völlig.

    108

    In diesem Zusammenhang tragen die Klägerinnen insbesondere Argumente vor, mit denen der Nachweis von Risiken, die angeblich unterlassene Berücksichtigung des Nutzens der betreffenden Arzneimittel, der sich aus einem medizinischen Bedarf ergebe, und die Schlussfolgerungen zum Fehlen wirksamer Maßnahmen zur Risikominimierung in Frage gestellt werden sollen.

    109

    Die Kommission, unterstützt durch Irland und die EMA, beantragt, den zweiten Teil des ersten Klagegrundes und den zweiten Klagegrund zurückzuweisen.

    110

    Das Vorsorgeprinzip, das ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist, ermächtigt die zuständigen Behörden im Fall von Ungewissheiten, zur Vermeidung bestimmter potenzieller Gefahren für die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt Schutzmaßnahmen zu ergreifen, ohne dass abgewartet werde müsste, dass das Bestehen und die Schwere dieser Risiken vollständig dargelegt werden (vgl. Urteil vom 19. September 2019, GE Healthcare/Kommission, T‑783/17, EU:T:2019:624, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 3. Dezember 2015, PP Nature-Balance Lizenz/Kommission, C‑82/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:796, Rn. 21).

    111

    Im Einklang mit dem Vorsorgeprinzip müssen die Gefahren für die Gesundheit, denen die in Art. 116 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 genannten Gründe vorbeugen sollen, folglich nicht konkret sein, sondern nur potenziell bestehen (Urteil vom 19. September 2019, GE Healthcare/Kommission, T‑783/17, EU:T:2019:624, Rn. 46; vgl. in diesem Sinne auch Urteile vom 10. April 2014, Acino/Kommission, C‑269/13 P, EU:C:2014:255, Rn. 59, und vom 3. Dezember 2015, PP Nature-Balance Lizenz/Kommission, C‑82/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:796, Rn. 23).

    112

    In diesem System verleiht Art. 116 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 den Unternehmen, die Inhaber einer Zulassung sind, Rechte, da er sicherstellt, dass die Zulassungen bestehen bleiben, solange das Vorliegen einer der Voraussetzungen für ihre Änderung, Aussetzung oder Rücknahme nicht nachgewiesen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. April 2012, Artegodan/Kommission, C‑221/10 P, EU:C:2012:216, Rn. 96). Im Hinblick auf die Beweislast folgt daraus, dass es der zuständigen Behörde – im vorliegenden Fall der Kommission – obliegt, nachzuweisen, dass die in Art. 116 der Richtlinie 2001/83 genannten Voraussetzungen für die Rücknahme, Aussetzung oder Änderung einer Zulassung erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 7. März 2013, Acino/Kommission, T‑539/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:110, Rn. 79, und vom 19. September 2019, GE Healthcare/Kommission, T‑783/17, EU:T:2019:624, Rn. 47).

    113

    Wegen des Vorsorgeprinzips kann sich die Kommission jedoch darauf beschränken, ernsthafte und stichhaltige Anhaltspunkte zu liefern, die, ohne die wissenschaftliche Ungewissheit zu beseitigen, vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit des fraglichen Arzneimittels, an seiner therapeutischen Wirksamkeit, an einem günstigen Nutzen-Risiko-Verhältnis oder an der angegebenen quantitativen und qualitativen Zusammensetzung erlauben (Urteile vom 3. Dezember 2015, PP Nature-Balance Lizenz/Kommission, C‑82/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:796, Rn. 23, und vom 19. September 2019, GE Healthcare/Kommission, T‑783/17, EU:T:2019:624, Rn. 48.)

    114

    Allerdings ist der Erlass eines Beschlusses über die Änderung, Aussetzung oder Rücknahme der Zulassung eines Arzneimittels nur gerechtfertigt, wenn dieser Beschluss durch objektive und neue Daten wissenschaftlicher oder medizinischer Art untermauert wird (vgl. Urteil vom 19. September 2019, GE Healthcare/Kommission, T‑783/17, EU:T:2019:624, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    115

    Insoweit muss die zuständige Behörde die wichtigsten wissenschaftlichen Berichte und Expertisen angeben, auf die sie sich stützt, und im Fall einer erheblichen Divergenz die Gründe erläutern, aus denen sie von den Schlussfolgerungen in den Berichten oder Expertisen der betroffenen Unternehmen abweicht. Diese Verpflichtung besteht insbesondere im Fall wissenschaftlicher Ungewissheit. Dabei ist kontradiktorisch und transparent zu verfahren, um sicherzustellen, dass der betreffende Stoff Gegenstand einer eingehenden und objektiven wissenschaftlichen Beurteilung war, die auf einer Gegenüberstellung der repräsentativsten wissenschaftlichen Auffassungen und der von den betroffenen Arzneimittelbetrieben vertretenen wissenschaftlichen Standpunkte beruhte (Urteil vom 19. September 2019, GE Healthcare/Kommission, T‑783/17, EU:T:2019:624, Rn. 50).

    116

    Was die gerichtliche Kontrolle durch das Gericht angeht, so ist die vorliegende Klage in den medizinisch-pharmakologischen Bereich einzuordnen, der einen komplexen technischen und wissenschaftlichen Charakter aufweist.

    117

    Nach der Rechtsprechung verfügt die Kommission, wenn sie komplexe technische oder wissenschaftliche Bewertungen vorzunehmen hat, über ein weites Ermessen. Im Rahmen seiner gerichtlichen Kontrolle muss das Unionsgericht feststellen, ob die Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind, ob der Sachverhalt von der Kommission zutreffend festgestellt worden ist und ob keine offensichtlich fehlerhafte Würdigung dieses Sachverhalts und kein Ermessensmissbrauch vorliegen (vgl. Urteil vom 9. September 2010, Now Pharm/Kommission, T‑74/08, EU:T:2010:376, Rn. 111 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    118

    Zum Umfang der Kontrolle über die wissenschaftlichen Beurteilungen ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht die Beurteilung der CMDh, die der Empfehlung des PRAC gefolgt ist, nicht durch seine eigene Beurteilung ersetzen darf. Seine gerichtliche Kontrolle erstreckt sich nur auf die Ordnungsmäßigkeit ihrer Funktionsweise sowie auf die innere Kohärenz und die Begründung des Gutachtens der CMDh. Unter letzterem Gesichtspunkt kann das Gericht nur prüfen, ob das Gutachten eine Begründung enthält, anhand deren die Erwägungen beurteilt werden können, auf die es sich stützt, und ob ein verständlicher Zusammenhang zwischen den medizinischen oder wissenschaftlichen Feststellungen und den Schlussfolgerungen hergestellt wird, zu denen das Gutachten gelangt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. Dezember 2014, PP Nature-Balance Lizenz/Kommission, T‑189/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1056, Rn. 52, und vom 19. September 2019, GE Healthcare/Kommission, T‑783/17, EU:T:2019:624, Rn. 51).

    119

    Im vorliegenden Fall hat sich die Kommission jedoch – wie aus Art. 1 Abs. 1 des angefochtenen Beschlusses hervorgeht – nach Anhörung des Ständigen Ausschusses für Humanarzneimittel (siebter Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses) auf die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen der CMDh gestützt, die ihrerseits den allgemeinen Schlussfolgerungen des PRAC und dessen Gründen zur Rechtfertigung der Empfehlung zugestimmt hat. Die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen der CMDh sind in Anhang II des angefochtenen Beschlusses wiedergegeben und damit Bestandteil dieses Beschlusses. Deshalb muss sich die dem Gericht obliegende Kontrolle, insbesondere die Prüfung, ob kein offensichtlicher Beurteilungsfehler vorliegt, auf alle diese wissenschaftlichen Schlussfolgerungen erstrecken (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteile vom 5. Dezember 2018, Bristol-Myers Squibb Pharma/Kommission und EMA, T‑329/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:878, Rn. 98, und vom 19. Dezember 2019, Vanda Pharmaceuticals/Kommission, T‑211/18, EU:T:2019:892, Rn. 54).

    120

    Als Erstes ist das Verfahren, das zum Erlass des angefochtenen Beschlusses geführt hat, im Anschluss an mehrere Bewertungen erfolgt, die im Jahr 2013 – im Rahmen eines Befassungsverfahrens im Jahr 2012 nach Art. 31 der Richtlinie 2001/83 und im Rahmen eines Befassungsverfahrens im Jahr 2013 nach Art. 107i dieser Richtlinie in geänderter Fassung sowie im Jahr 2018 im Rahmen eines Befassungsverfahrens ebenfalls nach diesem Art. 107i – stattgefunden haben. Wie sich aus den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen in Anhang II des angefochtenen Beschlusses ergibt, ist im Rahmen der Befassungen aus den Jahren 2012 und 2013 festgestellt worden, dass die betreffenden Arzneimittel bei Patienten mit Sepsis, Niereninsuffizienz oder bei kritisch kranken Patienten mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko einhergehen. In diesem Zusammenhang verwies der PRAC auf drei randomisierte kontrollierte Studien (im Folgenden: RKS), nämlich die Studien 6S (Perner et al., 2012), VISEP (Brunkhorst et al., 2008) und CHEST (Myburgh et al., 2012) sowie zwei Metaanalysen, nämlich die Studien Zarychanski et al., 2013, sowie Perel, Roberts und Ker, 2013. Nach den Studien 6S und VISEP ist die Behandlung mit HES-haltigen Produkten mit einem erhöhten 90‑Tage-Mortalitätsrisiko verbunden. Diese Ergebnisse seien auch durch die beiden Metaanalysen bestätigt worden. Die drei RKS hätten einheitlich nachgewiesen, dass nach einer Behandlung mit HES-haltigen Produkten ein erhöhtes Risiko für eine Nierenersatztherapie oder eine Niereninsuffizienz bestehe.

    121

    Aus der Akte und insbesondere aus dem vom PRAC im Rahmen der Befassung aus dem Jahr 2013 erstellten Bericht geht hervor, dass dieser Ausschuss der Ansicht war, dass für Patienten mit Sepsis oder septischem Schock die Risiken für eine erhöhte Mortalität gegenüber dem begrenzten Nutzen der betreffenden Arzneimittel überwögen. Darüber hinaus hat der PRAC festgestellt, dass es keine „Beweise [dafür gibt], dass [die Vorteile der] Verwendung [der Arzneimittel] im Rahmen anderer Indikationen gegenüber den [festgestellten] Risiken überwiegen“.

    122

    Infolgedessen wurden Maßnahmen zur Risikominimierung, u. a. in Form neuer Gegenanzeigen – einschließlich für Patienten mit Sepsis, Niereninsuffizienz oder für kritisch kranke Patienten – und neue Warnhinweise festgelegt.

    123

    Als Zweites zeigten die beiden im Rahmen der Befassung aus dem Jahr 2013 angeordneten Studien zur Arzneimittelanwendung, dass diese ursprünglichen Maßnahmen zur Risikominimierung in den Jahren 2017 und 2018 in wesentlichem Umfang nicht eingehalten worden waren. Aus der Akte und insbesondere aus dem Bewertungsbericht des PRAC im Rahmen der Befassung aus dem Jahr 2018 geht hervor, dass dieser Ausschuss der Ansicht war, dass der Nutzen der betreffenden Arzneimittel bei einer Verwendung im Rahmen der genehmigten Indikation moderat sei und dass der behauptete klinische Nutzen der betreffenden Arzneimittel die Risiken für eine erhöhte Mortalität und Niereninsuffizienz bei kritisch kranken Patienten und Patienten mit Sepsis, die weiterhin gegenüber diesen Arzneimitteln exponiert seien, nicht überwiege. Folglich hat der PRAC bereits im Jahr 2018 empfohlen, die Zulassungen für die betreffenden Arzneimittel auszusetzen.

    124

    Wie jedoch in den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen festgestellt wird, auf die sich der angefochtene Beschluss stützt, hat die Kommission im Jahr 2018 entschieden, dass die betreffenden Arzneimittel auf dem Markt verbleiben könnten, allerdings unter der Bedingung, dass eine Reihe zusätzlicher Maßnahmen zur Risikominimierung umgesetzt werde, um sicherzustellen, dass die betreffenden Arzneimittel nicht bei Patienten verwendet würden, bei denen das Risiko einer schwerwiegenden Schädigung bestehe. Als Bedingung für die Zulassung wurde die Durchführung einer neuen Studie zur Arzneimittelanwendung, die die Wirksamkeit dieser neuen Maßnahmen zur Risikominimierung zum Gegenstand hatte, auferlegt, da die Einhaltung der neuen routinemäßigen und zusätzlichen Maßnahmen zur Risikominimierung als entscheidend angesehen wurde, um ein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis für die betreffenden Arzneimittel zu gewährleisten.

    125

    Als Drittes kam der PRAC im Jahr 2013 zu dem Ergebnis und hat dies im Jahr 2018 bestätigt, dass für Patienten im Bereich der elektiven Chirurgie und bei Traumapatienten die Durchführung zusätzlicher Sicherheitsstudien erforderlich sei, da die Risiken bei diesen Patienten geringer sein könnten. Hierzu wird in Anhang IV des Durchführungsbeschlusses K(2013)9793 endg. Folgendes festgestellt:

    „Der/die [Zulassungsinhaber] sollte/n zwei [RKS] der Phase IV mit einer angemessenen Kontrolle und klinisch bedeutenden Endpunkten zum Nachweis der Wirksamkeit und Sicherheit im perioperativen Rahmen sowie bei Traumen durchführen.“

    126

    Obwohl nach diesem Anhang vorgesehen war, dass die abschließenden Studienberichte Ende 2016 verfügbar sein sollten, lagen die Ergebnisse der Studien in dem Verfahren, das zum Erlass des angefochtenen Beschlusses führte, nicht vor.

    127

    Als Viertes geht aus den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen in Anhang II des angefochtenen Beschlusses hervor, dass die letzte Studie zur Arzneimittelanwendung der Hauptgegenstand des Bewertungsberichts des PRAC von 2022 war.

    128

    Dennoch hat der PRAC bei dieser Gelegenheit auch zusätzliche, von den Inhaberinnen der in Rede stehenden Zulassungen vorgelegten Beweise geprüft, darunter auch neue Studien, nämlich die von Gupta aus dem Jahr 2021, Suzuki aus dem Jahr 2020, Kwak aus dem Jahr 2018, Nizar aus dem Jahr 2020, Mahrouse aus dem Jahr 2021 und Lee aus dem Jahr 2021. Insoweit kam der PRAC zu dem Schluss, dass diese Daten den Nutzen und die Risiken der Verwendung der betreffenden Arzneimittel, wie sie festgestellt worden seien, nicht in Frage stellten und keine signifikanten Informationen über eine mögliche Änderung ihres Sicherheitsprofils enthielten.

    129

    Was die im Jahr 2022 bewertete Studie zur Arzneimittelanwendung anbelangt, hat der PRAC deren Ergebnisse und die Antworten der Zulassungsinhaber beurteilt. Auf dieser Grundlage kam der Ausschuss zu dem Ergebnis, dass die Produktinformationen trotz des im Jahr 2018 eingeführten breiten Spektrums an zusätzlichen Maßnahmen immer noch nicht beachtet würden. Der PRAC äußerte u. a. ernste Bedenken hinsichtlich einer seines Erachtens hohen Rate der Nichtbeachtung von Gegenanzeigen, die 6,6 % der nicht adhärenten Verschreibungen ausmachten, nämlich 3,5 % der Verschreibungen für kritisch kranke Patienten, 2,2 % der Verschreibungen für Patienten mit Niereninsuffizienz und etwa 1 % der Verschreibungen bei Patienten mit Sepsis. Außerdem hätten die Ergebnisse dieser Studie gezeigt, dass 7 von 18 Patienten mit Sepsis, die mit einer HES-haltigen Lösung behandelt worden seien, neben der Sepsis eine weitere Gegenanzeige aufgewiesen hätten. Der PRAC zeigte sich zudem besorgt über den hohen Anteil der Fälle, in denen in zwei Mitgliedstaaten Produktinformationen allgemein nicht beachtet worden seien.

    130

    Ferner wies der PRAC darauf hin, dass die Beschränkung der verabreichten Dosis und der Behandlungsdauer im Allgemeinen gut eingehalten werde. Er war jedoch der Ansicht, dass die wissenschaftlichen Daten auch bestimmte Belege für eine Schädigung von Patienten enthielten, die mit Dosen behandelt würden, die den bestehenden Empfehlungen entsprächen. Folglich gelangte er zu dem Ergebnis, dass nicht der Schluss gezogen werden könne, dass HES-haltige Produkte für Patienten mit Gegenanzeigen sicher seien, wenn die verabreichte Dosis und die Behandlungsdauer den Empfehlungen entsprächen.

    131

    Außerdem hat der PRAC geprüft, ob die Einführung zusätzlicher Maßnahmen zur Risikominimierung die Nichtbeachtung der Produktinformation für die betreffenden Arzneimittel verringern könne. Wie oben in Rn. 8 festgestellt, kam der PRAC zu dem Schluss, dass keine zusätzliche Maßnahme zur Risikominimierung oder eine Kombination von Maßnahmen zur Risikominimierung habe identifiziert werden können, um eine sichere Verwendung der betreffenden Arzneimittel in ausreichendem Umfang zu gewährleisten.

    132

    Als Fünftes haben der PRAC und in der Folge die CMDh festgestellt, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis der betreffenden Arzneimittel nicht länger günstig sei, da die mit der Anwendung dieser Arzneimittel verbundenen Risiken gegenüber dem Nutzen überwögen. Demzufolge haben der PRAC und in der Folge die CMDh empfohlen, die Zulassungen für die betreffenden Arzneimittel auszusetzen. Mit dem angefochtenen Beschluss ist die Kommission dieser Empfehlung nach Anhörung des Ständigen Ausschusses für Humanarzneimittel gefolgt.

    133

    Im Licht der oben in den Rn. 110 bis 119 dargelegten Erwägungen und im Licht des Vorbringens der Klägerinnen ist daher zu prüfen, ob deren Vorbringen belegt, dass die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen in Anhang II des angefochtenen Beschlusses mit einem offensichtlichen Beurteilungsfehler hinsichtlich der Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses behaftet sind, der folglich die Rechtswidrigkeit des auf diese Schlussfolgerungen gestützten angefochtenen Beschlusses nach sich zieht.

    1) Zum Nachweis der Risiken im Zusammenhang mit dem Off‑Label-Gebrauch der Arzneimittel

    134

    Als Erstes tragen die Klägerinnen vor, das Nutzen-Risiko-Verhältnis der betreffenden Arzneimittel sei günstig. Es gebe zahlreiche klinische Daten, die die Wirksamkeit und die Unbedenklichkeit dieser Arzneimittel bestätigten. In regelmäßigen aktualisierten Unbedenklichkeitsberichten werde in konstanter Form ein robustes Sicherheitsprofil belegt. Im Übrigen habe der PRAC im Jahr 2021 selbst bestätigt, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis unverändert bleibe. Die Verwendung der betreffenden Arzneimittel habe nur bei Patienten mit Sepsis, Niereninsuffizienz oder bei kritisch kranken Patienten Anlass zu Sicherheitsbedenken gegeben. Wissenschaftliche Belege für ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis bei anderen Patientengruppen (z. B. in den Bereichen Chirurgie und Traumatologie) hätten im Jahre 2013 nicht vorgelegen und seien daher nicht untersucht worden. Die Klägerinnen machen geltend, dass kein Sicherheitssignal im Zusammenhang mit einer zulassungskonformen Verwendung vorliege. Zur Stützung dieser Behauptung berufen sich die Klägerinnen auf zahlreiche Daten, darunter aktuelle wissenschaftliche Publikationen, Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin und andere medizinische Leitlinien. Die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen hätten diesen Nachweisen nicht Rechnung getragen. Auch die im Jahr 2022 bewertete Studie zur Arzneimittelanwendung gelange nicht zu dem Schluss, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis der betreffenden Arzneimittel im Rahmen einer Verwendung in Übereinstimmung mit der genehmigten Indikation ungünstig sei.

    135

    Als Zweites unterscheide die Kommission nicht hinreichend zwischen dem Off‑Label-Gebrauch bei kritisch kranken Patienten und dem Off‑Label-Gebrauch im Rahmen anderer Indikationen, die nicht mit Sicherheitsrisiken in Verbindung stünden.

    136

    Als Drittes machen die Klägerinnen geltend, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis, das im Jahr 2013 für die überarbeitete Indikation für günstig befunden worden sei, für Patienten im Bereich der elektiven Chirurgie und bei Traumapatienten hätte untersucht werden müssen. Die Studien PHOENICS und TETHYS seien durchgeführt worden, um weitere Beurteilungsgesichtspunkte für diese Patientengruppen zu liefern. In Erwartung der klinischen Prüfberichte für diese beiden Studien habe es keine klinischen oder wissenschaftlichen Gesichtspunkte für die Annahme gegeben, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis der betreffenden Arzneimittel bei einer Verwendung in Übereinstimmung mit der genehmigten Indikation ungünstig sei.

    137

    In ihrer Stellungnahme zum Streithilfeschriftsatz der EMA weisen die Klägerinnen darauf hin, dass die Studien PHOENICS und TETHYS nunmehr verfügbar seien. Diese Studien belegten die Unbedenklichkeit und die Wirksamkeit der HES-haltigen Produkte und den Umstand, dass der angefochtene Beschluss nicht gerechtfertigt sei. Im Übrigen seien dank der Daten aus diesen Studien – wie die Kommission selbst in den Rn. 88 und 89 ihrer Gegenerwiderung offenbar anerkenne – die in Anhang III des angefochtenen Beschlusses vorgesehenen Voraussetzungen für die Aufhebung der Aussetzung erfüllt.

    138

    Die PHOENICS-Studie, die sich auf Patienten im Bereich der elektiven Chirurgie beziehe, belege im Hinblick auf die Sicherheit die „Nicht-Unterlegenheit“ einer modernen balancierten HES-Lösung gegenüber einer geeigneten Elektrolytlösung. Sie zeige auch, dass das erstgenannte Produkt für die hämodynamische Stabilisierung und das Natrium-Wasser-Gleichgewicht wirksamer sei als das letztgenannte Produkt.

    139

    Die TETHYS-Studie, die sich auf Traumapatienten bezieht, zeige, dass eine moderne balancierte HES-Lösung in Bezug auf den kombinierten primären Endpunkt der Mortalität nach 90 Tagen und der Niereninsuffizienz nach 90 Tagen gegenüber einer Elektrolytlösung nicht unterlegen sei.

    140

    Als Viertes machen die Klägerinnen geltend, der angefochtene Beschluss stütze sich auf die Ergebnisse der im Jahr 2012 durchgeführten CHEST‑Studie, deren Zuverlässigkeit u. a. von einem Ad‑hoc-Sachverständigenausschuss der EMA in Frage gestellt worden sei und die in der Wissenschaftsgemeinschaft Kritik hervorgerufen habe. Außerdem seien die Ergebnisse dieser Studie nicht mehr relevant.

    141

    Erstens seien nämlich im Rahmen dieser Studie sowie im Rahmen der VISEP- und der 6S-Studien weitaus größere Mengen an HES verwendet worden als in der aktuellen klinischen Praxis eingesetzt würden.

    142

    Zweitens spiegelten diese Studien nicht mehr die aktuelle klinische Praxis wider, da die aktuelle mediane Behandlungsdauer als Folge der in den Jahren 2013 und 2019 umgesetzten Maßnahmen sehr kurz sei und sich bei fast allen Patienten auf eine einzige Verschreibung beschränke.

    143

    Drittens sei die neue Analyse der CHEST‑Studie u. a. deshalb fehlerhaft, weil sie von nahezu denselben Autoren vorgenommen worden sei, die auch die ursprüngliche Studie durchgeführt hätten, ohne dass die Originaldaten je mitgeteilt worden seien, wie der Mitherausgeber des British Medical Journal, Herr Peter Doshi, in dem als Anlage A.28 zur Erwiderung beigefügten Artikel hervorgehoben habe. Die Studie von Kajdi et al., die der PRAC in seinem Bewertungsbericht aus dem Jahr 2018 angeführt habe, betreffe weder die CHEST‑Studie noch HES.

    144

    Die Kommission, unterstützt durch die EMA, tritt diesem Vorbringen entgegen.

    145

    Das Gericht stellt erstens fest, dass der angefochtene Beschluss auf der Erwägung beruht, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis der betreffenden Arzneimittel wegen der Risiken, die sich aus ihrem Off‑Label-Gebrauch ergeben, ungünstig sei. Insoweit geht aus den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen, auf denen der angefochtene Beschluss beruht, und insbesondere aus dem Gesamtergebnis hervor, dass der PRAC der Ansicht war, dass dieser Bericht angesichts der Schwere der Sicherheitsbedenken und des Anteils der Patienten mit Gegenanzeigen – einschließlich kritisch kranker Patienten, Patienten mit Niereninsuffizienz oder Patienten mit Sepsis –, die weiterhin Risiken aufgrund der Verwendung HES-haltiger Arzneimittel, einschließlich eines erhöhten Mortalitätsrisikos, ausgesetzt seien, nicht mehr günstig sei. Daraus ergibt sich auch, dass der PRAC die Einhaltung der in den Jahren 2013 und 2018 festgelegten Maßnahmen zur Risikominimierung als wesentlich erachtete, um ein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis für die betreffenden Arzneimittel zu gewährleisten.

    146

    Der Umstand, dass der angefochtene Beschluss auf Risiken im Zusammenhang mit dem Off‑Label-Gebrauch, insbesondere bei Patienten mit Gegenanzeigen, beruht, steht, wie sich aus den Erwägungen oben in den Rn. 77 bis 106 ergibt, im Einklang mit Art. 116 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung. Das Vorbringen der Klägerinnen, wonach das Nutzen-Risiko-Verhältnis der betreffenden Arzneimittel günstig wäre, wenn nur die zulassungskonforme Verwendung der betreffenden Arzneimittel berücksichtigt worden wäre, geht daher ins Leere (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. September 2000, EFMA/Rat, C‑46/98 P, EU:C:2000:474, Rn. 38).

    147

    Als Zweites ist das Vorbringen zurückzuweisen, die Kommission habe nicht hinreichend zwischen dem Off‑Label-Gebrauch bei kritisch kranken Patienten und dem Off‑Label-Gebrauch im Rahmen anderer Indikationen unterschieden, die nicht mit Sicherheitsrisiken in Verbindung stünden. Wie nämlich oben in Rn. 129 festgestellt, hat der PRAC u. a. ernste Bedenken hinsichtlich einer seines Erachtens hohen Rate der Nichtbeachtung von Gegenanzeigen geäußert. Darüber hinaus hat der PRAC festgestellt, dass angesichts der Tatsache, dass bei Patienten mit Sepsis, Niereninsuffizienz oder bei kritisch kranken Patienten schwerwiegende Schädigungen nachgewiesen worden seien, die erhebliche Häufigkeit der Anwendung von HES-haltigen Infusionslösungen in diesen Patientengruppen Anlass zu erheblichen Bedenken in Bezug auf die öffentliche Gesundheit gebe.

    148

    Was als Drittes die Risiken bei Patienten mit Sepsis, Niereninsuffizienz oder bei kritisch kranken Patienten betrifft, ergibt sich aus den Erwägungen oben in Rn. 120, dass diese Risiken im Rahmen der Befassungen aus den Jahren 2012 und 2013 auf der Grundlage von drei Studien und zwei Metaanalysen festgestellt wurden. Im Übrigen wurden, wie oben in Rn. 128 festgestellt, von den Inhaberinnen der in Rede stehenden Zulassungen vorgelegte zusätzliche Beweise, einschließlich neuer Studien, ebenfalls geprüft. Nach den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen, auf die sich der angefochtene Beschluss stützt, rechtfertigten auch diese Beweise keine andere als die gezogene Schlussfolgerung über den Nutzen und die Risiken der betreffenden Arzneimittel.

    149

    Keines der von den Klägerinnen vorgebrachten Argumente vermag diese Schlussfolgerungen in Frage zu stellen.

    i) Zum Nichtvorliegen von Meldungen über Nebenwirkungen

    150

    Aus der Akte geht hervor, dass der PRAC im Rahmen der Befassung aus dem Jahr 2018 das Vorbringen der Inhaberinnen der in Rede stehenden Zulassungen, das darauf gestützt war, dass angeblich keine Nebenwirkungen für die Sicherheit der betreffenden Arzneimittel gemeldet worden seien, geprüft und zurückgewiesen hat. Insoweit stellte der PRAC fest, dass diese Daten besonders schwer auszulegen seien. Angesichts der Art der betreffenden Arzneimittel, der Tatsache, dass sie seit Jahrzehnten auf dem Markt erhältlich seien, der Situationen, in denen sie eingesetzt würden – nämlich in Notfallsituationen, in denen Patienten gleichzeitig mehrere Therapien erhielten – und der Möglichkeit einer Verzögerung zwischen einer akuten Exposition gegenüber HES und dem Auftreten einer Niereninsuffizienz oder dem Todeszeitpunkt ging der PRAC von einem erheblichen Prozentsatz an „Untererfassungen“ aus. Der Ausschuss kam daher zu dem Ergebnis, dass die in Rede stehenden Risiken in Anbetracht der Grenzen der Spontanmeldung auf der Grundlage von Daten festgestellt und bestätigt worden seien, die aus RKS und nicht aus Spontanmeldungen stammten.

    151

    Die Klägerinnen tragen hierzu nur ein einziges Argument vor. Ihres Erachtens sei in Anbetracht der Tatsache, dass die betreffenden Arzneimittel in Situationen verwendet würden, in denen Patienten gleichzeitig mehrere Therapien erhielten, und aufgrund der Verbreitung mehrerer direkter Mitteilungen an Angehörige der Gesundheitsberufe vielmehr mit einer „Übererfassung“ zu rechnen.

    152

    Dieses Vorbringen belegt nicht, dass die aus den Spontanmeldungen stammenden Daten zuverlässiger sind als die RKS und die Metaanalysen, auf die die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen gestützt sind, und kann kein Nachweis dafür sein, dass die Entscheidung, die Risiken auf der Grundlage der RKS und der Metaanalysen statt auf der Grundlage der aus den Spontanmeldungen stammenden Daten zu ermitteln, offensichtlich fehlerhaft war.

    ii) Zur Zuverlässigkeit der CHEST‑Studie

    153

    Zunächst geht aus der Akte hervor, dass der PRAC in seinem Bewertungsbericht aus dem Jahr 2018 die von einigen interessierten Parteien geäußerten Bedenken hinsichtlich der Durchführung der CHEST‑Studie geprüft hat. Der PRAC führte auch aus, dass er in seiner vorherigen Analyse auf die potenziellen Grenzen dieser Studie hingewiesen habe. In demselben Bewertungsbericht kam der PRAC jedoch zu dem Ergebnis, dass in der unabhängigen Analyse dieser Studie durch das Duke Clinical Research Institute geringfügige Unterschiede in Bezug auf bestimmte sekundäre und tertiäre Ergebnisse festgestellt worden seien, die jedoch keine Auswirkungen auf die Schlussfolgerungen gehabt hätten. Der PRAC war der Ansicht, dass diese neue Analyse hinreichend beruhigend sei und die wichtigsten Ergebnisse der CHEST‑Studie bestätige.

    154

    Insoweit trifft es zwar zu, dass auf Seite 26 des Bewertungsberichts aus dem Jahr 2018 fälschlicherweise angegeben wird, dass die vom Duke Clinical Research Institute vorgenommene Analyse von „Kajdi, M.E., et al.“ im Jahr „2014“ durchgeführt worden sei. Hierbei handelt es sich jedoch um einen Schreibfehler, wie u. a. aus der Bezugnahme auf die Autoren und auf das Jahr der Veröffentlichung („Patel, A. et al., 2017“) im Anschluss auf derselben Seite und im Quellenverzeichnis dieses Berichts hervorgeht.

    155

    Sodann kann der bloße Umstand, dass die CHEST‑Studie innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft kritisiert wurde, nicht belegen, dass die auf die vorgenannte Analyse gestützte Beurteilung des PRAC offensichtlich fehlerhaft ist, insbesondere deshalb, weil sie bestimmte Grenzen dieser Studie berücksichtigt.

    156

    Schließlich bringen die Klägerinnen kein Argument vor, das den Inhalt dieser neuen Analyse oder seiner Beurteilung durch den PRAC in Frage stellt, sondern beschränken sich darauf, die Unabhängigkeit dieser Analyse in Frage zu stellen. Aus dem als Anlage A.28 zur Erwiderung vorgelegten Artikel von Herrn Doshi, auf den sich die Klägerinnen stützen, geht jedoch hervor, dass nur drei der acht Autoren der unabhängigen Analyse auch an der CHEST‑Studie teilgenommen hatten und dass nach den Angaben des New England Journal of Medicine, das die Analyse veröffentlichte, diese Autoren der CHEST‑Studie nur an der neuen unabhängigen Analyse dieser Studie beteiligt waren, um zu bestätigen, dass die Daten korrekt erhalten und die Daten richtig ermittelt worden waren. Unter diesen Umständen haben die Klägerinnen nicht dargetan, dass sich der PRAC nicht auf die in Rede stehende Analyse stützen konnte.

    157

    Folglich ist das Vorbringen der Klägerinnen zur Zuverlässigkeit der CHEST‑Studie zurückzuweisen.

    iii) Zum Fehlen von Daten auf der Grundlage der revidierten Dosierung

    158

    Das Vorbringen der Klägerinnen, die Ergebnisse der CHEST‑Studie sowie der VISEP- und 6S-Studien seien nicht mehr relevant, da sie nicht mehr die aktuelle klinische Dosierungspraxis widerspiegelten, ist zurückzuweisen. Im Jahr 2013 wurde nämlich u. a. auf der Grundlage dieser Studien entschieden, dass bestimmte Patienten keine Behandlung mit den betreffenden Arzneimitteln erhalten sollten. Im Übrigen haben die Klägerinnen diese Entscheidung seinerzeit nicht angefochten. Daher können sie diese Entscheidung im Rahmen des neuen Verfahrens, das zum Erlass des angefochtenen Beschlusses geführt hat, nicht in Frage stellen.

    159

    Zwar ist es richtig, dass es der Kommission obliegt, nachzuweisen, dass die in Art. 116 der Richtlinie 2001/83 genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der betreffenden Zulassungen erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. März 2013, Acino/Kommission, T‑539/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:110, Rn. 79), und dass der Erlass eines Beschlusses über die Aussetzung der Zulassungen nur gerechtfertigt ist, wenn dieser Beschluss durch objektive und neue Daten wissenschaftlicher oder medizinischer Art untermauert wird (vgl. Urteil vom 19. September 2019, GE Healthcare/Kommission, T‑783/17, EU:T:2019:624, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Kommission keine in vorangegangenen Verfahren verwendeten Daten verwenden darf, um dieselben Schlussfolgerungen zu untermauern. Im vorliegenden Fall ist die Kommission nicht von den früheren in diesen Verfahren angenommenen Schlussfolgerungen zu den festgestellten Risiken abgewichen. Dagegen beruht der angefochtene Beschluss auf der neuen Schlussfolgerung, dass die Maßnahmen zur Risikominimierung nicht wirksam genug seien, um zu einem günstigen Nutzen-Risiko-Verhältnis zu gelangen. Insoweit hat sich die Kommission auf neue Daten gestützt, nämlich die Daten aus der letzten Studie zur Arzneimittelanwendung betreffend die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Risikominimierung.

    160

    Folglich ist festzustellen, dass sich die Kommission im angefochtenen Beschluss zu Recht auf bestimmte Ergebnisse und Schlussfolgerungen der vorangegangenen Verfahren stützen konnte.

    iv) Zu den Studien PHOENICS und TETHYS

    161

    Die Studien PHOENICS und TETHYS, deren Berichte von den Klägerinnen als Anlagen A.29 und A.30 zu ihrer Stellungnahme zu den am 15. März 2023 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen Streithilfeschriftsätzen von Irland und der EMA beigefügt worden sind, sind am 6. Juli 2022 bzw. am 25. Juni 2022 fertiggestellt worden. Die vorgelegten Berichte datieren vom 16. Februar 2023 bzw. vom 17. Februar 2023.

    162

    Nach der Rechtsprechung ist die Rechtmäßigkeit von Unionsrechtsakten im Rahmen einer auf Art. 263 AEUV gestützten Nichtigkeitsklage anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt ihres Erlasses zu beurteilen (Urteil vom 20. September 2019, PlasticsEurope/ECHA, T‑636/17, EU:T:2019:639, Rn. 217).

    163

    Die Berichte über die Studien PHOENICS und THETYS lagen zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses, d. h. am 24. Mai 2022, noch nicht vor und konnten daher von der Kommission nicht berücksichtigt werden.

    164

    Folglich geht das auf diese beiden Studien gestützte Vorbringen der Klägerinnen im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits ins Leere.

    2) Zum medizinischen Bedarf und zu Behandlungsalternativen

    165

    Die Klägerinnen tragen vor, die Behandlungsalternativen zu den betreffenden Arzneimitteln seien weniger bewertet, potenziell weniger sicher und entsprächen nicht dem bestehenden medizinischen Bedarf. In den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen werde dies nicht berücksichtigt. HES sei sicher und den Kristalloiden überlegen, wie in der in Anlage A.25 zur Klageschrift auszugsweise beigefügten Studie von Chappell et al. aus dem Jahr 2021 nachgewiesen werde. Der übermäßige Gebrauch von Kristalloiden sei mit erhöhten Gesundheitsrisiken für die Patienten verbunden. Zudem seien die alternativen synthetischen Kolloide in weniger Studien untersucht worden als HES und stellten wahrscheinlich keine besseren Alternativen dar.

    166

    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

    167

    Insoweit geht aus der Akte hervor, dass der PRAC im Rahmen der Befassung aus dem Jahr 2018 gemäß Art. 107i der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung die Frage geprüft und erörtert hat, ob die Aussetzung der Zulassungen für die betreffenden Arzneimittel zu einem ungedeckten medizinischen Bedarf führen würde. Dabei hat er u. a. die von den Mitgliedstaaten und dem Königreich Norwegen vorgelegten Informationen sowie die Ansichten der Inhaberinnen der Zulassungen für die betreffenden Arzneimittel berücksichtigt.

    168

    Der PRAC prüfte insbesondere das Vorbringen von acht Mitgliedstaaten, wonach sich die Aussetzung der Zulassungen für die betreffenden Arzneimittel auf die nationalen klinischen Praktiken auswirken könnte, da die betreffenden Arzneimittel zu diesem Zeitpunkt einem medizinischen Bedarf in ihrem Hoheitsgebiet entsprächen. Hierzu prüfte er u. a. das Argument, dass die Verwendung der betreffenden Arzneimittel aufgrund ihrer angeblichen volumenverringernden Wirkung für Patienten mit einem erhöhten Risiko für eine Flüssigkeitsüberladung und für Gewebeödeme relevant sein könnten, und wies dieses Argument zurück.

    169

    Der PRAC prüfte auch das Vorbringen von sechs Mitgliedstaaten, wonach das Nutzen-Risiko-Verhältnis der Alternativen zu den betreffenden Arzneimitteln nicht besser sei. Hierzu stellte er fest, dass diese Behauptung nicht durch relevante Daten untermauert werde. Der PRAC prüfte u. a. zwei Studien, nämlich Studie Ripollés et al. aus dem Jahr 2016 und die Studie Ertmer et al. aus dem Jahr 2018, die von einem Mitgliedstaat vorgelegt wurden. Er kam zu dem Ergebnis, dass nicht dargetan worden sei, dass der medizinische Bedarf im Falle einer Aussetzung der Zulassungen für die betreffenden Arzneimittel nicht gedeckt wäre.

    170

    Wie oben in Rn. 128 ausgeführt, geht aus den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen, auf die sich der angefochtene Beschluss stützt, außerdem hervor, dass der PRAC zusätzliche von den Inhaberinnen der in Rede stehenden Zulassungen vorgelegte Beweise geprüft hat, nämlich die Studien Gupta aus dem Jahr 2021, Suzuki aus dem Jahr 2020, Kwak aus dem Jahr 2018, Nizar aus dem Jahr 2020, Mahrouse aus dem Jahr 2021 und Lee aus dem Jahr 2021, in deren Rahmen HES-haltige Lösungen entweder mit Albumin oder mit Kristalloiden verglichen wurden. Was insbesondere die Metaanalyse von Chappell aus dem Jahr 2021 anbelangt, auf die sich die Klägerinnen zur Untermauerung ihres Vorbringens stützen, hat der PRAC festgestellt, dass er die meisten in dieser Metaanalyse enthaltenen klinischen Prüfungen zum Vergleich von HES-Lösungen mit Kristalloiden, die vor der Befassung aus dem Jahr 2017 veröffentlicht worden seien, bereits bewertet habe. In den vier Artikeln, die nach 2018 veröffentlicht worden seien, sei kein erhöhtes Risiko für Nierentoxizität bei Patienten festgestellt worden, die mit Produkten mit einer HES-Konzentration von 6 % behandelt worden seien. Wie bereits oben in Rn. 128 festgestellt, kam der PRAC zu dem Schluss, dass diese Daten den Nutzen und die Risiken der betreffenden Arzneimittel, wie sie festgestellt worden seien, nicht in Frage stellten und keine signifikanten Informationen über eine mögliche Änderung ihres Sicherheitsprofils enthielten.

    171

    Schließlich geht aus den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen, auf die sich der angefochtene Beschluss stützt, auch hervor, dass die CMDh bestimmte Beiträge Dritter geprüft und zurückgewiesen hat, die nach der Annahme der Empfehlung des PRAC eingegangen waren und die u. a. das Sicherheitsprofil und die Relevanz der betreffenden Arzneimittel als therapeutische Optionen für die Behandlung von Hypovolämie betrafen. Wie die Kommission feststellt – ohne dass die Klägerinnen dem widersprochen hätten –, haben die Dritten in diesen Beiträgen behauptet, dass die HES-haltigen Produkte ein besseres Nutzen-Risiko-Verhältnis hätten und leichter verfügbar seien als die Behandlungsalternativen.

    172

    Wie in den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen, auf die sich der angefochtene Beschluss stützt, ausgeführt wird, kam die CMDh zu dem Ergebnis, dass diese Stellungnahmen keine Auswirkungen auf die allgemeinen Schlussfolgerungen und die Empfehlung des PRAC hätten.

    173

    Die Klägerinnen machen lediglich eine andere Meinung zum medizinischen Bedarf und zu Behandlungsalternativen geltend, indem sie in den Rn. 59 und 60 der Klageschrift zur Stützung ihres Vorbringens auf eine Reihe von Veröffentlichungen Bezug nehmen. Ihr Vorbringen in der Klageschrift bleibt jedoch allgemein und geht nicht auf die detaillierten Erwägungen des PRAC und der CMDh ein; auch erläutern die Klägerinnen nicht, inwiefern diese Erwägungen offensichtlich fehlerhaft sein sollen.

    174

    Folglich kann ihr Vorbringen, dass die Alternativen zu den betreffenden Arzneimitteln kein besseres Nutzen-Risiko-Verhältnis aufwiesen und dass die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen, auf die sich der angefochtene Beschluss stütze, dies nicht berücksichtigten, keinen Erfolg haben.

    3) Zur Wirksamkeit der Maßnahmen zur Risikominimierung

    175

    Als Erstes machen die Klägerinnen geltend, die im Jahr 2022 bewertete Studie zur Arzneimittelanwendung zeige, dass die revidierte Dosierung zu fast 100 % eingehalten werde. Außerdem ergebe sich aus dieser Studie, dass die Gegenanzeigen von der überwiegenden Mehrheit der an der Studie beteiligten Angehörigen der Gesundheitsberufe beachtet würden, mit Ausnahme von zwei Einrichtungen in Italien, die seitdem ihre Akkreditierung für die Verwendung der betreffenden Arzneimittel verloren hätten. In den meisten Ländern sei die Verschreibung der betreffenden Arzneimittel trotz des Vorliegens einer Gegenanzeige die Ausnahme und nicht die Regel. Ein solcher Off‑Label-Gebrauch könne nicht auf andere Länder extrapoliert werden, die nicht an der im Jahr 2022 bewerteten Studie zur Arzneimittelanwendung teilgenommen hätten. Außerdem zeigten die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen, dass die höchste Rate der Nichtbeachtung – die in Belgien festgestellt worden sei – hauptsächlich mit der Verwendung geringer Dosen bei Kaiserschnitt-Entbindungen zusammenhänge, mit der kein besonderes Risiko für Patientinnen, sondern ein Nutzen verbunden sei, wie mehrere Studien und Veröffentlichungen sowie die von 14 deutschen Gesellschaften angenommene S3-Leitlinie „Intravasale Volumentherapie beim Erwachsenen“ belegten.

    176

    Als Zweites machen die Klägerinnen geltend, dass die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Risikominimierung dadurch bestätigt werde, dass die Gesamtzahl der verkauften Arzneimitteleinheiten signifikant zurückgegangen sei.

    177

    Als Drittes machen die Klägerinnen geltend, die Nichtbeachtung der Maßnahmen zur Risikominimierung dürfe nicht berücksichtigt werden, da sie dafür nicht verantwortlich seien und das Unionsrecht nicht anwendbar sei.

    178

    Die Kommission, unterstützt durch die EMA, tritt diesem Vorbringen entgegen.

    i) Zur Repräsentativität der im Rahmen der Studie zur Arzneimittelanwendung im Jahr 2022 berücksichtigten Stichprobe

    179

    Wie die EMA zu Recht geltend macht, werden Studien wie die Studie zur Anwendung des in Rede stehenden Arzneimittels standardmäßig anhand einer repräsentativen Stichprobe der Zielgruppe durchgeführt.

    180

    32 Krankenhäuser in neun Mitgliedstaaten (Belgien, die Tschechische Republik, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Italien, Polen, Spanien und die Niederlande) nahmen an dieser Studie zur Arzneimittelanwendung teil.

    181

    Wie sich aus dem Studienprotokoll ergibt, wurde diese aus neun Mitgliedstaaten bestehende Stichprobe von den Klägerinnen selbst vorgeschlagen. Die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen, auf die sich der angefochtene Beschluss stützt, zeigen, dass der PRAC die Repräsentativität dieser Stichprobe geprüft hat, dass er der Ansicht war, dass sie eine in der Union verbreitete Verteilung abbilde und dass die Repräsentativität der Stichprobe dadurch bestätigt worden sei, dass der Ausschluss des Standorts mit der größten Patientenzahl in einer Post‑hoc-Sensivitätsanalyse keine relevanten Auswirkungen auf die Gesamtergebnisse gehabt habe. Der PRAC kam zu dem Schluss, dass die im Jahr 2022 bewertete Studie zur Anwendung des Arzneimittels für seine primäre klinische Anwendung in der Union repräsentativ sei.

    182

    Die bloße Tatsache, dass die Rate der Nichtbeachtung der Produktinformationen – einschließlich im Hinblick auf Gegenanzeigen – zwischen den verschiedenen Standorten in den verschiedenen Mitgliedstaaten erheblich variierte, kann nicht belegen, dass die Stichprobe nicht repräsentativ war oder dass eine größere Stichprobe hätte gewählt werden müssen.

    183

    Da die Klägerinnen insoweit keine weiteren Argumente vorbringen, besteht kein Anlass, die Feststellung in den dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegenden wissenschaftlichen Schlussfolgerungen, dass die im Jahr 2022 bewertete Studie zur Arzneimittelanwendung repräsentativ war, in Frage zu stellen.

    ii) Zum Fehlen wirksamer Maßnahmen zur Risikominimierung

    184

    In Bezug auf die Einhaltung der umgesetzten Maßnahmen zur Risikominimierung und das Fehlen wirksamer Maßnahmen zur Risikominimierung, um den festgestellten Risiken zu begegnen, geht aus dem zweiten Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervor, dass der PRAC zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Produktinformationen trotz der umfangreichen Maßnahmen zur Risikominimierung, die nach dem im Jahr 2018 abgeschlossenen Befassungsverfahren umgesetzt worden seien, weiterhin nicht eingehalten würden. Darüber hinaus ergibt sich aus dem dritten Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses, dass er auch festgestellt hat, dass es zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses keine Maßnahmen zur Risikominimierung gegeben habe, die diese Situation wirksam hätten verbessern können. Die letztgenannte Feststellung bezieht sich sowohl auf die eingeführten Maßnahmen zur Risikominimierung als auch auf die vorgeschlagenen zusätzlichen Maßnahmen zur Risikominimierung.

    185

    Der PRAC hat u. a. mehrere vorgeschlagene zusätzliche Maßnahmen zur Risikominimierung geprüft, nämlich eine Änderung der Produktinformationen und des Programms für den kontrollierten Zugang, um HES-haltige Produkte nur noch an akkreditierte Krankenhäuser und Angehörige der Gesundheitsberufe zu liefern, die in der sicheren Verwendung der Produkte geschult sind, eine Verpflichtungserklärung, eine Überarbeitung des Schulungsmaterials, eine jährliche Neuzertifizierung und obligatorische Tests nach der Schulung für Angehörige der Gesundheitsberufe, eine jährliche Neuzertifizierung der Krankenhäuser, mehr Kommunikation seitens der Zulassungsinhaber gegenüber den Angehörigen der Gesundheitsberufe sowie die Beschränkung der Lieferung der betreffenden Arzneimittel in vier Mitgliedstaaten auf Krankenhäuser, die – auf der Grundlage von Informationen über die Indikation und Gegenanzeigen, die für jeden behandelten Patienten in eine Datenbank eingegeben werden müssen – eine Rate der Nichtbeachtung von weniger als 20 % aufweisen.

    186

    In diesem Zusammenhang stellte der PRAC fest, dass aus den im Rahmen des vorliegenden Verfahrens erhaltenen Informationen hervorgehe, dass die Nichtbeachtung der Produktinformationen nicht nur auf ein mangelndes Bewusstsein für Maßnahmen zur Risikominimierung zurückzuführen sei, was seiner Ansicht nach dazu führe, dass die Umsetzung bestimmter vorgeschlagener Maßnahmen zur Risikominimierung, wie Kommunikation und Schulung, wahrscheinlich unwirksam sei. Der PRAC war auch der Ansicht, dass eine größere Komplexität sogar das Gegenteil bewirken könnte, nämlich eine geringere Beachtung der Produktinformationen. Nach Ansicht des PRAC kann die Durchführung einer zusätzlichen Studie zur Messung der Einhaltung der vorgeschlagenen zusätzlichen überarbeiteten Maßnahmen zur Risikominimierung aufgrund der erwarteten weiteren Reduzierung der Zahl der akkreditierten Standorte und des begrenzten Interesses der Standorte an der Teilnahme an den Studien zur Arzneimittelanwendung möglicherweise keine aussagekräftigen Ergebnisse liefern, was es unmöglich mache, festzustellen, ob zukünftige Patienten in Übereinstimmung mit der Produktinformation behandelt würden.

    187

    Keines der Argumente der Klägerinnen ist geeignet, einen offensichtlichen Beurteilungsfehler der Kommission darzutun.

    188

    Als Erstes ist aus den oben in den Rn. 79 bis 105 dargelegten Gründen das Argument der Klägerinnen zurückzuweisen, dass die Kommission die Nichteinhaltung der zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses umgesetzten Maßnahmen zur Risikominimierung nicht hätte berücksichtigen dürfen, da sie dafür nicht verantwortlich seien und das Unionsrecht nicht anwendbar sei.

    189

    Als Zweites ist in Bezug auf das Argument der Klägerinnen, die Wirksamkeit der zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses umgesetzten Maßnahmen zur Risikominimierung werde dadurch bestätigt, dass die Gesamtzahl der verkauften Arzneimitteleinheiten signifikant zurückgegangen sei, festzustellen, dass aus den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen, auf die sich der angefochtene Beschluss stützt, hervorgeht, dass der PRAC den Rückgang der Verkäufe der betreffenden Arzneimittel im Europäischen Wirtschaftsraum berücksichtigt hat. Insoweit ging der PRAC davon aus, dass sich aus den Verkaufszahlen ergebe, dass trotz dieses Rückgangs immer noch eine erhebliche Zahl von Patienten den betreffenden Arzneimitteln ausgesetzt sei, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die reduzierte Dosierung im Allgemeinen eingehalten werde und folglich die pro Patient verwendeten Mengen gering seien. Nach Ansicht des PRAC gab dieser Umstand in Anbetracht der hohen Rate der Nichtbeachtung der wichtigsten Beschränkungen wie Indikationen und Gegenanzeigen Anlass zu Bedenken. Die Klägerinnen tragen nichts vor, was diese Erwägungen in Frage stellen könnte.

    190

    Als Drittes geht zwar aus den Akten hervor, dass die letzte Studie zur Arzneimittelanwendung einen – in dieser Studie als „erheblich“ eingestuften – Rückgang der Rate der Nichtbeachtung der Produktinformation und insbesondere der Rate der Nichtbeachtung der Gegenanzeigen gezeigt hatte. Aus den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen, auf die sich der angefochtene Beschluss stützt, geht jedoch hervor, dass insbesondere die Rate der Nichtbeachtung der Gegenanzeigen als immer noch zu hoch angesehen wurde.

    191

    In diesem Zusammenhang wird in den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen darauf hingewiesen, dass das Ausmaß der Nichteinhaltung in einem angemessenen Verhältnis zu den festgestellten Risiken stehen sollte. Angesichts der Schwere der nachgewiesenen Schädigung bei Patienten mit Sepsis, Niereninsuffizienz oder bei kritisch kranken Patienten reicht der bloße Umstand, dass sich die Rate der Nichtbeachtung der Gegenanzeigen positiv entwickelt hat, nicht aus, um die Beurteilung, wonach die erhebliche Häufigkeit der Anwendung von HES-haltigen Infusionslösungen in diesen Patientengruppen Anlass zu erheblichen Bedenken für die öffentliche Gesundheit gebe, als nicht plausibel erscheinen zu lassen.

    192

    In Anbetracht der oben in den Rn. 116 ff. angestellten Erwägungen und insbesondere der Bedeutung des verfolgten Ziels – des Schutzes der öffentlichen Gesundheit – sowie der Schwere der festgestellten Risiken, die ein wesentliches Mortalitätsrisiko einschließen, ist diese Beurteilung nicht offensichtlich fehlerhaft. Im Übrigen ist das Unionsgericht nicht befugt, eine solche Beurteilung in Frage zu stellen, indem es selbst eine Rate für die Nichtbeachtung von Gegenanzeigen festlegt, die seiner Ansicht nach angesichts der Risiken für die öffentliche Gesundheit noch akzeptabel wäre.

    193

    Was als Viertes die vorgeschlagenen zusätzlichen Maßnahmen zur Risikominimierung betrifft, sind die Zulassungsinhaber gemäß Art. 104 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2010/84 geänderten Fassung verpflichtet, anhand des Pharmakovigilanz-Systems sämtliche Informationen wissenschaftlich auszuwerten, Möglichkeiten der Risikominimierung und ‑vermeidung zu prüfen und erforderlichenfalls geeignete Maßnahmen zu ergreifen.

    194

    Folglich oblag es den Klägerinnen, zusätzliche wirksame Maßnahmen zur Risikominimierung vorzuschlagen, um den festgestellten Risiken und insbesondere den Gefahren für die öffentliche Gesundheit zu begegnen, die sich aus der Verwendung der betreffenden Arzneimittel bei Patienten mit Gegenanzeigen ergeben.

    195

    Die Klägerinnen tragen nichts vor, was die Erwägung, dass die Nichtbeachtung der Produktinformation nicht auf mangelnder Kenntnis der Angehörigen der Gesundheitsberufe beruhe, und folglich die Schlussfolgerung in Frage stellen könnte, dass zusätzliche Maßnahmen zur Risikominimierung in Form von mehr Schulungen wahrscheinlich nicht wirksam wären (siehe oben, Rn. 186).

    196

    Was darüber hinaus insbesondere die von den Klägerinnen in einer mündlichen Erläuterung vom 7. Februar 2022 vorgeschlagene Maßnahme zur Risikominimierung betrifft, nämlich die betreffenden Arzneimittel in vier Mitgliedstaaten nur an Krankenhäuser zu liefern, die – auf der Grundlage von Informationen über die Indikation und Gegenanzeigen, die für jeden behandelten Patienten in eine Datenbank eingegeben werden müssen – eine Rate der Nichteinhaltung von weniger als 20 % aufweisen, ergibt sich aus den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen, auf die sich der angefochtene Beschluss stützt, dass die Zulassungsinhaberinnen keine Bewertung ihrer technischen Durchführbarkeit vorgelegt hatten. Nach diesen Schlussfolgerungen hatte der PRAC weiterhin Zweifel hinsichtlich der potenziellen Auswirkungen dieser Maßnahme zur Risikominimierung, ihrer Durchführbarkeit und an der Tatsache, dass sie unter den Bedingungen der klinischen Praxis, in der Entscheidungen rasch getroffen werden müssten, zu einem zusätzlichen Verwaltungsaufwand führen würden.

    197

    Da es den Klägerinnen oblag, zusätzliche Maßnahmen zur Risikominimierung vorzuschlagen, mit denen den festgestellten Risiken wirksam begegnet werden könnte, hat die Kommission keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, indem sie den angefochtenen Beschluss erlassen hat, ohne erneut die Ergebnisse eines weiteren Versuchs abzuwarten, zusätzliche Maßnahmen zur Risikominimierung umzusetzen, die auf einem ähnlichen Ansatz beruhten wie die bereits eingeführten Maßnahmen zur Risikominimierung.

    198

    Folglich sind der zweite Teil des ersten Klagegrundes und damit der erste und der zweite Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

    3.   Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

    199

    Die Klägerinnen machen geltend, dass der angefochtene Beschluss gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße.

    200

    Als Erstes trage die Aussetzung der Zulassungen für die betreffenden Arzneimittel nicht zur Sicherheit der Patienten bei, sondern bewirke das Gegenteil. Alternative Arzneimittel hätten angesichts der verfügbaren wissenschaftlichen Daten kein besseres Nutzen-Risiko-Verhältnis. Die Leitlinien für die Verwendung von HES-haltigen Arzneimitteln, wie die in Anlage A.19 zur Klageschrift bereitgestellte Leitlinie, gäben Hinweise zur sicheren Verwendung dieser Arzneimittel und bestätigten deren therapeutischen Wert. HES sei sicher und biete Vorteile gegenüber Kristalloiden und alternativen synthetischen Kolloiden, die in weniger Studien untersucht worden seien und wahrscheinlich keine besseren Alternativen darstellten.

    201

    Als Zweites sei der angefochtene Beschluss insoweit unverhältnismäßig, als der festgestellten Nichteinhaltung der Bestimmungen der Zulassungen durch den Erlass zusätzlicher Maßnahmen zur Risikominimierung, wie sie im Laufe des Verfahrens vorgeschlagen worden seien, ausreichend und wirksam abgeholfen werden könne. Diese Maßnahmen seien mit dem Ziel konzipiert worden, Angehörige der Gesundheitsberufe davon abzuhalten, die betreffenden Arzneimittel im Off‑Label-Bereich zu verwenden, und um sicherzustellen, dass Gesundheitseinrichtungen, die die Maßnahmen zur Risikominimierung nicht einhielten, nicht mehr mit diesen Arzneimitteln beliefert würden. Das Argument, dass die Nichtbeachtung der Beschränkungen auf einer bewussten Entscheidung der Angehörigen der Gesundheitsberufe beruhe, könne nicht dazu dienen, den Erlass solcher Maßnahmen abzulehnen, da jeder Off‑Label-Gebrauch in die Verantwortung dieser Angehörigen der Gesundheitsberufe falle. Die Klägerinnen weisen darauf hin, dass im vorliegenden Fall der Off‑Label-Gebrauch bei Gegenanzeigen aufgrund einer direkten Kommunikation gegenüber den Angehörigen der Gesundheitsberufe, aufgrund von Schulung und Überwachung, deutlich zurückgegangen sei.

    202

    Als Drittes machen die Klägerinnen geltend, die Aussetzung sei unverhältnismäßig und unangemessen, weil sie die laufenden Studien PHOENICS und TETHYS obsolet gemacht habe. Da keine Nebenwirkungen gemeldet worden seien, hätten die Ergebnisse dieser Studien, die neue Beurteilungsgesichtspunkte zur Sicherheit und wirksamen Verwendung des Produkts verschaffen sollten, abgewartet werden müssen.

    203

    Als Viertes sei die Anordnung einer Aussetzung auf Unionsebene unverhältnismäßig, weil es nach den eigenen Schlussfolgerungen des PRAC auf Unionsebene keinen Off‑Label-Gebrauch bei Patienten mit Sepsis oder kritisch kranken Patienten gebe. Die in einem Mitgliedstaat festgestellte Nichteinhaltung könne nicht auf andere Mitgliedstaaten extrapoliert werden, da die Ergebnisse in den neun ausgewählten Mitgliedstaaten erheblich voneinander abwichen.

    204

    Die Kommission, unterstützt durch Irland und die EMA, beantragt, den dritten Klagegrund zurückzuweisen.

    205

    Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehört nach ständiger Rechtsprechung zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Unionsrechts. Nach diesem Grundsatz dürfen die Handlungen der Unionsorgane nicht die Grenze dessen überschreiten, was zur Erreichung der mit der fraglichen Maßnahme zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist. Dabei ist, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen; ferner dürfen die verursachten Nachteile nicht außer in Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen (Urteile vom 13. November 1990, Fedesa u. a., C‑331/88, EU:C:1990:391, Rn. 13, vom 5. Mai 1998, Vereinigtes Königreich/Kommission, C‑180/96, EU:C:1998:192, Rn. 96, und vom 11. Dezember 2014, PP Nature-Balance Lizenz/Kommission, T‑189/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1056, Rn. 111).

    206

    Zur gerichtlichen Nachprüfung dieser Voraussetzungen im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass nach gefestigter Rechtsprechung Entscheidungen über die Anwendung der Kriterien der Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität eines Arzneimittels das Ergebnis komplexer Beurteilungen auf medizinisch-pharmakologischem Gebiet sind, die nur in begrenztem Umfang gerichtlich nachprüfbar sind. Ein Unionsorgan, das komplexe Bewertungen vorzunehmen hat, verfügt dabei nämlich über ein weites Ermessen, dessen Ausübung einer beschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, die sich nur darauf erstreckt, ob die fragliche Maßnahme mit einem offensichtlichen Irrtum oder Ermessensmissbrauch behaftet ist oder ob die zuständige Behörde die Grenzen ihres Ermessensspielraums offensichtlich überschritten hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. September 2020, BASF/Kommission, T‑472/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:432, Rn. 109 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    207

    Bei der Prüfung, ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Bereich der öffentlichen Gesundheit beachtet wurde, ist zu berücksichtigen, dass unter den vom AEU-Vertrag geschützten Gütern und Interessen die Gesundheit und das Leben von Menschen den höchsten Rang einnehmen (vgl. Urteil vom 19. Dezember 2019, Vanda Pharmaceuticals/Kommission, T‑211/18, EU:T:2019:892, Rn. 154 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    208

    Das Gericht hat ferner entschieden, dass die Verhältnismäßigkeit der Aussetzung oder Rücknahme einer Arzneimittelzulassung unter Berücksichtigung der Ausschließlichkeit der im Unionssystem der Harmonisierung der Gewährung und Verwaltung solcher Zulassungen verankerten Kriterien der Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität nur anhand eben dieser Kriterien zu beurteilen ist. Daraus folgt, dass sich die im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung maßgeblichen Interessen mit den bei der Anwendung der maßgeblichen Regelung berücksichtigten Interessen, die mit dem Schutz der öffentlichen Gesundheit zusammenhängen, decken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2019, Vanda Pharmaceuticals/Kommission, T‑211/18, EU:T:2019:892, Rn. 155 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    a)   Zu dem mit dem angefochtenen Beschluss verfolgten Ziel

    209

    Was zunächst das Ziel des angefochtenen Beschlusses betrifft, so geht aus dessen drittem Erwägungsgrund hervor, dass er von der Kommission erlassen wurde, um schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen zu begegnen. Wie sich aus dessen zweitem Erwägungsgrund ergibt, steht dieses Ziel im Einklang mit dem wesentlichen Ziel der Richtlinie 2001/83.

    210

    Diese Schlussfolgerung wird nicht durch das Vorbringen der Klägerinnen in Frage gestellt, dass der angefochtene Beschluss angesichts des therapeutischen Werts der betreffenden Arzneimittel und der Tatsache, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis alternativer Arzneimittel nicht besser sei, nicht zur Sicherheit der Patienten beitrage. Die Aussetzung der betreffenden Zulassungen trägt nämlich tatsächlich zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bei, insbesondere indem sie verhindert, dass Patienten mit bestimmten Gegenanzeigen mit diesen Arzneimitteln behandelt werden und ernsthaften Gefahren für ihre Gesundheit, einschließlich eines Mortalitätsrisikos, ausgesetzt werden.

    b)   Zum Vorliegen weniger belastender Maßnahmen

    211

    Sodann ist in Anbetracht des Vorbringens der Klägerinnen zu prüfen, ob es im vorliegenden Fall eine andere geeignete, aber weniger belastende Maßnahme gab.

    1) Zum Erlass zusätzlicher Risikominimierungsmaßnahmen

    212

    Die Klägerinnen sind der Ansicht, dass den fraglichen Risiken und insbesondere dem Risiko der Nichtbeachtung der Gegenanzeigen durch den Erlass zusätzlicher Maßnahmen zur Risikominimierung ausreichend und wirksam begegnet werden könnte.

    213

    Hierzu ist erstens festzustellen, dass Art. 116 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung drei Möglichkeiten für eine zuständige Behörde vorsieht, wenn sie feststellt, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis eines Arzneimittels ungünstig ist. Sie kann die betreffende Zulassung in einem solchen Fall aussetzen, zurücknehmen oder ändern. Durch die Festlegung dieser drei Optionen von unterschiedlicher Intensität hat der Unionsgesetzgeber dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen.

    214

    Somit muss die zuständige Behörde in einem ersten Schritt auf die Änderung der Zulassung – die am wenigsten belastende der in Art. 116 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung vorgesehenen Maßnahmen – zurückgreifen, sofern diese Änderung eine geeignete Maßnahme darstellt.

    215

    Zweitens können etwaige Maßnahmen, die im Vergleich zur erlassenen Maßnahme weniger belastend sind, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nur dann Berücksichtigung finden, wenn sie gleich geeignet sind, das mit dem fraglichen Unionsrechtsakt verfolgte Ziel zu erreichen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Dezember 2004, Arnold André, C‑434/02, EU:C:2004:800, Rn. 55, vom 14. Dezember 2004, Swedish Match, C‑210/03, EU:C:2004:802, Rn. 56, und vom 4. Mai 2016, Philip Morris Brands u. a., C‑547/14, EU:C:2016:325, Rn. 180).

    216

    Es wurde jedoch bereits oben in den Rn. 184 ff. festgestellt, dass die Schlussfolgerungen zum Fehlen wirksamer zusätzlicher Maßnahmen zur Risikominimierung nicht mit einem offensichtlichen Beurteilungsfehler behaftet sind. Folglich kann das Vorbringen der Klägerinnen, dass der festgestellten Nichteinhaltung durch den Erlass zusätzlicher Maßnahmen zur Risikominimierung ausreichend und wirksam abgeholfen werden könne, auch im Rahmen des Klagegrundes eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit keinen Erfolg haben.

    2) Zu den Studien PHOENICS und TETHYS

    217

    Im vorliegenden Fall sieht der angefochtene Beschluss in seinem Anhang III ausdrücklich vor, dass die Inhaberinnen der Zulassungen für die betreffenden Arzneimittel belastbare Nachweise, die ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis in einer klinisch relevanten Patientenpopulation belegen, vorlegen können, um die Aussetzung aufzuheben. Wie oben in Rn. 66 festgestellt, können die Klägerinnen folglich, wenn sich herausstellt, dass die Daten aus den beiden Studien PHOENICS und TETHYS das Nutzen-Risiko-Verhältnis der betreffenden Arzneimittel günstig beeinflussen könnten, diese Daten vorlegen, um eine Aufhebung der Aussetzung zu erwirken. Im Übrigen geht aus den obigen Rn. 125 und 126 hervor, dass die Durchführung dieser Studien eine Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Zulassung war und dass ihre endgültigen Ergebnisse Ende 2016 verfügbar sein sollten. Unter diesen Umständen kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, dadurch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen zu haben, dass sie den angefochtenen Beschluss erlassen hat, ohne das Vorliegen der Ergebnisse dieser Studien abzuwarten. Ließe man eine solche Rüge zu, würde es nämlich für jeden Zulassungsinhaber genügen, die Durchführung einer Sicherheitsstudie, von der das Verbleiben eines Arzneimittels auf dem Markt abhängt, zu verzögern, um die fehlende Verfügbarkeit der Ergebnisse dieser Studie feststellen und gegebenenfalls sanktionieren zu lassen.

    218

    Folglich ist das Vorbringen der Klägerinnen, der angefochtene Beschluss sei unverhältnismäßig und unangemessen, weil er erlassen worden sei, bevor die Ergebnisse der Studien PHOENICS und TETHYS verfügbar gewesen seien, unbegründet.

    c)   Zum Vorliegen von Nachteilen, die außer Verhältnis zu den verfolgten Zielen stehen

    219

    Schließlich ist anhand des Vorbringens der Klägerinnen zu prüfen, ob der angefochtene Beschluss Nachteile verursacht, die außer Verhältnis zu den verfolgten Zielen stehen.

    1) Zur Aussetzung der Zulassungen für die betreffenden Arzneimittel auf Unionsebene

    220

    Zum Vorbringen der Klägerinnen, die Aussetzung der Zulassungen für die betreffenden Arzneimittel auf Unionsebene sei unverhältnismäßig, weil es auf Unionsebene keinen Off‑Label-Gebrauch bei Patienten mit Sepsis oder bei kritisch kranken Patienten gebe, stellt das Gericht Folgendes fest.

    221

    Wie sich aus den Erwägungen oben in den Rn. 179 ff. ergibt, ist in den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen, auf die sich der angefochtene Beschluss stützt, ohne einen offensichtlichen Beurteilungsfehler festgestellt worden, dass die Stichprobe, die in der im Jahr 2022 bewerteten Studie zur Arzneimittelanwendung berücksichtigt wurde, für die Union repräsentativ war. Diese Schlussfolgerung impliziert, dass sie für alle Mitgliedstaaten repräsentativ war, einschließlich derjenigen, in denen kein Standort an dieser Studie teilgenommen hatte, und einschließlich derjenigen, für die die Daten aus dieser Studie zeigten, dass die Rate der Nichtbeachtung der Produktinformation – insbesondere der Gegenanzeigen – erheblich niedriger war als in anderen Mitgliedstaaten.

    222

    Der bloße Umstand, dass nach dieser Studie die Rate der Nichtbeachtung der Produktinformation – insbesondere der Gegenanzeigen – zwischen den verschiedenen Standorten in den verschiedenen Mitgliedstaaten, die sich an der im Jahr 2022 bewerteten Studie zur Arzneimittelanwendung beteiligt hatten, variierte, hinderte die Kommission daher nicht daran, eine unionsweite Maßnahme zu erlassen.

    223

    Das Vorbringen der Klägerinnen, der angefochtene Beschluss sei unverhältnismäßig, weil die betreffenden Arzneimittel nicht in der gesamten Union bei Patienten mit Sepsis oder bei kritisch kranken Patienten verwendet würden, ist daher zurückzuweisen.

    2) Zum Nutzen der betreffenden Arzneimittel

    224

    Der angefochtene Beschluss verursacht auch keine außer Verhältnis zu den verfolgten Zielen stehenden Nachteile, die sich daraus ergäben, dass die Aussetzung der Zulassungen für die betreffenden Arzneimittel auch deren Verwendung bei Patienten ohne Gegenanzeigen verhindert. Aus den Erwägungen bei der Prüfung des zweiten Teils des ersten Klagegrundes ergibt sich nämlich, dass der angefochtene Beschluss weder hinsichtlich der Schlussfolgerung, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis der betreffenden Arzneimittel nicht länger günstig sei, noch hinsichtlich eines – im Fall der Aussetzung der Zulassungen – angeblich ungedeckten medizinischen Bedarfs mit einem offensichtlichen Beurteilungsfehler behaftet ist.

    225

    Folglich kann das auf den therapeutischen Wert der betreffenden Arzneimittel gestützte Vorbringen der Klägerinnen auch im Rahmen des Klagegrundes eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit keinen Erfolg haben.

    3) Zur Möglichkeit, die Aussetzung aufzuheben

    226

    Dem im Rahmen des vierten Klagegrundes vorgebrachten Argument der Klägerinnen, der angefochtene Beschluss ordne de facto eine Rücknahme der Zulassungen an, kann auch im Rahmen des dritten Klagegrundes nicht gefolgt werden.

    227

    Wie oben in den Rn. 60 und 61 festgestellt, beruht dieses Argument auf der falschen Annahme, dass die in Anhang III des angefochtenen Beschlusses vorgesehenen Voraussetzungen für die Aufhebung der Aussetzung niemals erfüllt werden könnten. In Wirklichkeit sind diese Voraussetzungen weit und offen formuliert, um den Klägerinnen die Möglichkeit zu geben, alle Beweise für ein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis der betreffenden Arzneimittel vorzulegen.

    4) Zur Möglichkeit, die Aussetzung der Zulassungen aufzuschieben

    228

    Auch die in Art. 3 des angefochtenen Beschlusses vorgesehene Möglichkeit, die Aussetzung der betreffenden Zulassungen vorübergehend aufzuschieben, lässt kein Ungleichgewicht zwischen den mit der Aussetzung der Zulassungen verbundenen Nachteilen und ihren Zielen erkennen.

    229

    Erstens bleibt diese Möglichkeit bestimmten Voraussetzungen unterworfen, die u. a. dem Schutz der Patienten und der Einhaltung der Maßnahmen zur Risikominimierung dienen (siehe oben, Rn. 62). Somit werden die mit einem Off‑Label-Gebrauch der betreffenden Arzneimittel, insbesondere bei Patienten mit Gegenanzeigen, verbundenen Gefahren für die öffentliche Gesundheit so weit wie möglich minimiert.

    230

    Zweitens ist diese Möglichkeit eine Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, da sie einen Aufschub in denjenigen Mitgliedstaaten ermöglicht, in denen eine Übergangsfrist unter Berücksichtigung von – für den betreffenden Mitgliedstaat spezifischen – Erwägungen der öffentlichen Gesundheit noch für notwendig erachtet wird.

    231

    Aus alledem folgt, dass das gesamte Vorbringen der Klägerinnen nicht belegt, dass der angefochtene Beschluss die Grenzen dessen überschreitet, was zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist.

    232

    Folglich ist der dritte Klagegrund zurückzuweisen und die Klage somit insgesamt abzuweisen.

    IV. Kosten

    233

    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerinnen unterlegen sind, sind ihnen gemäß dem Antrag der Kommission neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Kommission einschließlich der durch das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entstandenen Kosten aufzuerlegen.

    234

    Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Irland und die EMA tragen daher ihre eigenen Kosten.

     

    Aus diesen Gründen hat

    DAS GERICHT (Fünfte erweiterte Kammer)

    für Recht erkannt und entschieden:

     

    1.

    Die Klage wird abgewiesen.

     

    2.

    Die Fresenius Kabi Austria GmbH und die weiteren im Anhang namentlich aufgeführten Klägerinnen tragen ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Europäischen Kommission einschließlich der durch das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entstandenen Kosten.

     

    3.

    Irland und die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) tragen ihre eigenen Kosten.

     

    Svenningsen

    Mac Eochaidh

    Laitenberger

    Martín y Pérez de Nanclares

    Stancu

    Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. Mai 2024.

    Unterschriften

    Inhaltsverzeichnis

     

    I. Vorgeschichte des Rechtsstreits

     

    II. Anträge der Parteien

     

    III. Rechtliche Würdigung

     

    A. Zur Zulässigkeit der Klage

     

    B. Zur Einreichung der Klagebeantwortung

     

    C. Zur Begründetheit

     

    1. Zum vierten Klagegrund: Begründungsmangel

     

    2. Zum ersten Klagegrund, der auf einen Verstoß gegen Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung gestützt wird, und zum zweiten Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen das Vorsorgeprinzip gerügt wird

     

    a) Zum ersten Teil des ersten Klagegrundes: Rechtsfehler aufgrund einer fehlerhaften Auslegung des Begriffs „Nutzen-Risiko-Verhältnis“ in Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung

     

    1) Zur wörtlichen Auslegung des Begriffs „Nutzen-Risiko-Verhältnis“ in Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung

     

    2) Zur systematischen Auslegung des Begriffs „Nutzen-Risiko-Verhältnis“ in Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung

     

    3) Zur Auslegung des Begriffs „Nutzen-Risiko-Verhältnis“ unter Berücksichtigung des Ziels von Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung

     

    4) Zum übrigen Vorbringen der Klägerinnen

     

    b) Zum zweiten Teil des ersten Klagegrundes, mit dem ein offensichtlicher Beurteilungsfehler geltend gemacht wird, und zum zweiten Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen das Vorsorgeprinzip gerügt wird

     

    1) Zum Nachweis der Risiken im Zusammenhang mit dem Off‑Label-Gebrauch der Arzneimittel 27

     

    i) Zum Nichtvorliegen von Meldungen über Nebenwirkungen

     

    ii) Zur Zuverlässigkeit der CHEST‑Studie

     

    iii) Zum Fehlen von Daten auf der Grundlage der revidierten Dosierung

     

    iv) Zu den Studien PHOENICS und TETHYS

     

    2) Zum medizinischen Bedarf und zu Behandlungsalternativen

     

    3) Zur Wirksamkeit der Maßnahmen zur Risikominimierung

     

    i) Zur Repräsentativität der im Rahmen der Studie zur Arzneimittelanwendung im Jahr 2022 berücksichtigten Stichprobe

     

    ii) Zum Fehlen wirksamer Maßnahmen zur Risikominimierung

     

    3. Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

     

    a) Zu dem mit dem angefochtenen Beschluss verfolgten Ziel

     

    b) Zum Vorliegen weniger belastender Maßnahmen

     

    1) Zum Erlass zusätzlicher Risikominimierungsmaßnahmen

     

    2) Zu den Studien PHOENICS und TETHYS

     

    c) Zum Vorliegen von Nachteilen, die außer Verhältnis zu den verfolgten Zielen stehen

     

    1) Zur Aussetzung der Zulassungen für die betreffenden Arzneimittel auf Unionsebene

     

    2) Zum Nutzen der betreffenden Arzneimittel

     

    3) Zur Möglichkeit, die Aussetzung aufzuheben

     

    4) Zur Möglichkeit, die Aussetzung der Zulassungen
    aufzuschieben

     

    IV. Kosten


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

    ( i ) Die vorliegende Sprachfassung ist in den Rn. 8, 87, 88 und 96 gegenüber der ursprünglich online gestellten Fassung geändert worden.

    ( 1 ) Das Verzeichnis der weiteren Klägerinnen ist nur der den Parteien zugestellten Fassung beigefügt.

    Top