EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62022CJ0665

Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 30. Mai 2024.
Amazon Services Europe Sàrl gegen Autorità per le Garanzie nelle Comunicazioni.
Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale Amministrativo Regionale per il Lazio.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Freier Dienstleistungsverkehr – Erbringer von Diensten der Informationsgesellschaft – Verpflichtung, Informationen über die wirtschaftliche Situation eines Anbieters von Online-Vermittlungsdiensten bereitzustellen – Richtlinie 2000/31/EG – Koordinierter Bereich – Grundsatz der Aufsicht im Herkunftsmitgliedstaat – Ausnahmen – Begriff ‚Maßnahmen betreffen[d] einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft‘ – Verordnung (EU) 2019/1150 – Ziel.
Rechtssache C-665/22.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2024:435

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

30. Mai 2024 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Freier Dienstleistungsverkehr – Erbringer von Diensten der Informationsgesellschaft – Verpflichtung, Informationen über die wirtschaftliche Situation eines Anbieters von Online-Vermittlungsdiensten bereitzustellen – Richtlinie 2000/31/EG – Koordinierter Bereich – Grundsatz der Aufsicht im Herkunftsmitgliedstaat – Ausnahmen – Begriff ‚Maßnahmen betreffen[d] einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft‘ – Verordnung (EU) 2019/1150 – Ziel“

In der Rechtssache C‑665/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien) mit Entscheidung vom 10. Oktober 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Oktober 2022, in dem Verfahren

Amazon Services Europe Sàrl

gegen

Autorità per le Garanzie nelle Comunicazioni

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter F. Biltgen, N. Wahl (Berichterstatter) und J. Passer sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Amazon Services Europe Sàrl, vertreten durch F. Angeloni, M. Berliri, S. Borocci, G. Gelera und F. Moretti, Avvocati,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von L. Delbono und R. Guizzi, Avvocati dello Stato,

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, T. Suchá und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

von Irland, vertreten durch M. Browne, Chief State Solicitor, sowie A. Joyce und M. Tierney als Bevollmächtigte im Beistand von D. Fennelly, BL,

der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Armati, M. Escobar Gómez, S. L. Kalėda und L. Malferrari als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Januar 2024

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EU) 2019/1150 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten (ABl. 2019, L 186, S. 57), der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) (ABl. 2000, L 178, S. 1), der Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. September 2015 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (ABl. 2015, L 241, S. 1), der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. 2006, L 376, S. 36) sowie von Art. 56 AEUV.

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Amazon Services Europe Sàrl (im Folgenden: Amazon), einer Gesellschaft luxemburgischen Rechts, und der Autorità per le Garanzie nelle Comunicazioni (Regulierungsbehörde für das Kommunikationswesen, Italien) (im Folgenden: AGCOM) über von dieser Behörde gegenüber Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten ergriffene Maßnahmen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung 2019/1150

3

In den Erwägungsgründen 3, 7 und 51 der Verordnung 2019/1150 heißt es:

„(3)

Die Verbraucher haben sich die Verwendung von Online-Vermittlungsdiensten zu Eigen gemacht. Für das Verbraucherwohl ist darüber hinaus ein wettbewerbsfähiges, faires und transparentes Online-Ökosystem, in dem sich Unternehmen verantwortungsvoll verhalten, ausschlaggebend. Mit der Sicherstellung von Transparenz und Vertrauen in die Online-Plattformwirtschaft in den Beziehungen zwischen den Unternehmen könnte indirekt dazu beigetragen werden, auch das Vertrauen der Verbraucher in die Online-Plattformwirtschaft zu erhöhen. Mit den direkten Auswirkungen, die die Entwicklung der Online-Plattformwirtschaft auf die Verbraucher hat, befassen sich hingegen andere Rechtsvorschriften der Union, vor allem der Besitzstand für Verbraucherschutz.

(7)

Es sollten auf der Ebene der [Europäischen] Union gezielte Vorschriften verbindlich festgelegt werden, um ein faires, vorhersehbares, tragfähiges und vertrauenswürdiges Online-Geschäftsumfeld im Binnenmarkt sicherzustellen. Insbesondere sollten den gewerblichen Nutzern von Online-Vermittlungsdiensten in der gesamten Union eine angemessene Transparenz und wirksame Abhilfemöglichkeiten geboten werden, um grenzüberschreitende Geschäfte innerhalb der Union zu erleichtern und auf diese Weise das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern und die möglicherweise entstehende Fragmentierung in bestimmten Bereichen, die unter diese Verordnung fallen, zu bekämpfen.

(51)

Da das Ziel dieser Verordnung, nämlich die Gewährleistung eines fairen, vorhersehbaren, tragfähigen und vertrauenswürdigen Online-Geschäftsumfelds im Binnenmarkt[,] von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann, sondern vielmehr wegen des Umfangs und der Auswirkungen des Vorhabens auf Unionsebene besser zu verwirklichen ist, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 [EUV] verankerten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Verordnung nicht über das für die Verwirklichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus.“

4

Art. 1 dieser Verordnung sieht vor:

(1)   Mit dieser Verordnung soll zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts beigetragen werden, indem Vorschriften festgelegt werden, mit denen sichergestellt wird, dass für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten und Nutzer mit Unternehmenswebsite im Hinblick auf Suchmaschinen eine angemessene Transparenz, Fairness und wirksame Abhilfemöglichkeiten geschaffen werden.

(2)   Diese Verordnung gilt für Online-Vermittlungsdienste und Online-Suchmaschinen, unabhängig vom Niederlassungsort oder Sitz der Anbieter dieser Dienste und unabhängig vom ansonsten anzuwendenden Recht, die gewerblichen Nutzern und Nutzern mit Unternehmenswebsite bereitgestellt bzw. zur Bereitstellung angeboten werden, die ihre Niederlassung oder ihren Wohnsitz in der Europäischen Union haben und die über diese Online-Vermittlungsdienste oder Online-Suchmaschinen Waren oder Dienstleistungen in der Europäischen Union befindlichen Verbrauchern anbieten.

(5)   Diese Verordnung gilt unbeschadet der Rechtsvorschriften der Union, insbesondere jener für die Bereiche justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen, Wettbewerb, Datenschutz, Schutz von Geschäftsgeheimnissen, Verbraucherschutz, elektronischer Geschäftsverkehr und Finanzdienstleistungen.“

5

Art. 2 Nr. 1 der Verordnung bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

1.

‚gewerblicher Nutzer‘ jede im Rahmen einer geschäftlichen oder beruflichen Tätigkeit handelnde Privatperson oder jede juristische Person, die über Online-Vermittlungsdienste und für Zwecke im Zusammenhang mit ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit Verbrauchern Waren oder Dienstleistungen anbietet“.

Richtlinie 2000/31

6

In Art. 1 der Richtlinie 2000/31 heißt es:

„(1)   Diese Richtlinie soll einen Beitrag zum einwandfreien Funktionieren des Binnenmarktes leisten, indem sie den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellt.

(5)   Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf

a)

den Bereich der Besteuerung,

…“

7

Art. 2 Buchst. h dieser Richtlinie sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

h)

‚koordinierter Bereich‘ die für die Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft und die Dienste der Informationsgesellschaft in den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten festgelegten Anforderungen, ungeachtet der Frage, ob sie allgemeiner Art oder speziell für sie bestimmt sind.

i)

Der koordinierte Bereich betrifft vom Diensteanbieter zu erfüllende Anforderungen in Bezug auf

die Aufnahme der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft, beispielsweise Anforderungen betreffend Qualifikationen, Genehmigung oder Anmeldung;

die Ausübung der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft, beispielsweise Anforderungen betreffend das Verhalten des Diensteanbieters, Anforderungen betreffend Qualität oder Inhalt des Dienstes, einschließlich der auf Werbung und Verträge anwendbaren Anforderungen, sowie Anforderungen betreffend die Verantwortlichkeit des Diensteanbieters.

…“

8

In Art. 3 der Richtlinie heißt es:

„(1)   Jeder Mitgliedstaat trägt dafür Sorge, dass die Dienste der Informationsgesellschaft, die von einem in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter erbracht werden, den in diesem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften entsprechen, die in den koordinierten Bereich fallen.

(2)   Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus Gründen einschränken, die in den koordinierten Bereich fallen.

(4)   Die Mitgliedstaaten können Maßnahmen ergreifen, die im Hinblick auf einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft von Absatz 2 abweichen, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

a)

Die Maßnahmen

i)

sind aus einem der folgenden Gründe erforderlich:

Schutz der öffentlichen Ordnung, insbesondere Verhütung, Ermittlung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten, einschließlich des Jugendschutzes und der Bekämpfung der Hetze aus Gründen der Rasse, des Geschlechts, des Glaubens oder der Nationalität, sowie von Verletzungen der Menschenwürde einzelner Personen,

Schutz der öffentlichen Gesundheit,

Schutz der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Wahrung nationaler Sicherheits- und Verteidigungsinteressen,

Schutz der Verbraucher, einschließlich des Schutzes von Anlegern;

ii)

betreffen einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft, der die unter Ziffer i) genannten Schutzziele beeinträchtigt oder eine ernsthafte und schwerwiegende Gefahr einer Beeinträchtigung dieser Ziele darstellt;

iii)

stehen in einem angemessenen Verhältnis zu diesen Schutzzielen.

b)

Der Mitgliedstaat hat vor Ergreifen der betreffenden Maßnahmen unbeschadet etwaiger Gerichtsverfahren, einschließlich Vorverfahren und Schritten im Rahmen einer strafrechtlichen Ermittlung,

den in Absatz 1 genannten Mitgliedstaat aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, und dieser hat dem nicht Folge geleistet oder die von ihm getroffenen Maßnahmen sind unzulänglich;

die [Europäische] Kommission und den in Absatz 1 genannten Mitgliedstaat über seine Absicht, derartige Maßnahmen zu ergreifen, unterrichtet.

…“

Richtlinie 2006/123

9

Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 sieht vor:

„Diese Richtlinie enthält allgemeine Bestimmungen, die bei gleichzeitiger Gewährleistung einer hohen Qualität der Dienstleistungen die Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit durch Dienstleistungserbringer sowie den freien Dienstleistungsverkehr erleichtern sollen.“

10

In Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie heißt es:

„Widersprechen Bestimmungen dieser Richtlinie einer Bestimmung eines anderen Gemeinschaftsrechtsaktes, der spezifische Aspekte der Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in bestimmten Bereichen oder bestimmten Berufen regelt, so hat die Bestimmung des anderen Gemeinschaftsrechtsaktes Vorrang und findet auf die betreffenden Bereiche oder Berufe Anwendung. …“

11

Art. 16 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten achten das Recht der Dienstleistungserbringer, Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ihrer Niederlassung zu erbringen.

Der Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistung erbracht wird, gewährleistet die freie Aufnahme und freie Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten innerhalb seines Hoheitsgebiets.

Die Mitgliedstaaten dürfen die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in ihrem Hoheitsgebiet nicht von Anforderungen abhängig machen, die gegen folgende Grundsätze verstoßen:

a)

Nicht-Diskriminierung: die Anforderung darf weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder – bei juristischen Personen – aufgrund des Mitgliedstaats, in dem sie niedergelassen sind, darstellen;

b)

Erforderlichkeit: die Anforderung muss aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder des Schutzes der Umwelt gerechtfertigt sein;

c)

Verhältnismäßigkeit: die Anforderung muss zur Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels geeignet sein und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.“

Richtlinie 2015/1535

12

Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2015/1535 bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

b)

‚Dienst‘ eine Dienstleistung der Informationsgesellschaft, d. h. jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung.

e)

‚Vorschrift betreffend Dienste‘ eine allgemein gehaltene Vorschrift über den Zugang zu den Aktivitäten der unter Buchstabe b genannten Dienste und über deren Betreibung, insbesondere Bestimmungen über den Erbringer von Diensten, die Dienste und den Empfänger von Diensten, unter Ausschluss von Regelungen, die nicht speziell auf die unter dieser Nummer definierten Dienste abzielen.

f)

‚technische Vorschrift‘ technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder Vorschriften betreffend Dienste, einschließlich der einschlägigen Verwaltungsvorschriften, deren Beachtung rechtlich oder de facto für das Inverkehrbringen, die Erbringung des Dienstes, die Niederlassung eines Erbringers von Diensten oder die Verwendung in einem Mitgliedstaat oder in einem großen Teil dieses Staates verbindlich ist, sowie – vorbehaltlich der in Artikel 7 genannten Bestimmungen – die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses oder Erbringung oder Nutzung eines Dienstes oder die Niederlassung als Erbringer von Diensten verboten werden.

…“

13

Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Vorbehaltlich des Artikels 7 übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift, sofern es sich nicht um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäischen Norm handelt; in diesem Fall reicht die Mitteilung aus, um welche Norm es sich handelt. Sie unterrichten die Kommission gleichzeitig in einer Mitteilung über die Gründe, die die Festlegung einer derartigen technischen Vorschrift erforderlich machen, es sei denn, die Gründe gehen bereits aus dem Entwurf hervor.“

Italienisches Recht

Gesetz Nr. 249 vom 31. Juli 1997

14

Art. 1 der Legge n. 249 – Istituzione dell’Autorità per le garanzie nelle comunicazioni e norme sui sistemi delle telecomunicazioni e radiotelevisivo (Gesetz Nr. 249 – Einrichtung der Regulierungsbehörde für das Kommunikationswesen und Vorschriften über Telekommunikations- sowie Rundfunk- und Fernsehsysteme) vom 31. Juli 1997 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 177 vom 31. Juli 1997) bestimmt:

„…

29.   Gegen Personen, die in den von der [AGCOM] verlangten Mitteilungen Buchführungs- oder Sachverhaltsangaben über die Ausübung der eigenen Tätigkeit machen, die nicht der Wahrheit entsprechen, werden die in Art. 2621 des Zivilgesetzbuchs vorgesehenen Strafen verhängt.

30.   Gegen Personen, die die von der [AGCOM] verlangten Dokumente, Daten und Informationen nicht fristgerecht und in der vorgeschriebenen Weise übermitteln, wird von dieser Behörde eine Verwaltungsgeldbuße von 1 Mio. [italienische Lire (ITL) (etwa 516 Euro) bis 200 Mio. ITL (etwa 103000 Euro)] verhängt.

…“

15

Die Legge n. 249 vom 31. Juli 1997 in der durch die Legge n. 178 – Bilancio di previsione dello Stato per l’anno finanziario 2021 e bilancio pluriennale per il triennio 2021‑2023 (Gesetz Nr. 178 – Haushaltsplan des Staates für das Haushaltsjahr 2021 und mehrjähriger Haushaltsplan für den Dreijahreszeitraum 2021‑2023) vom 30. Dezember 2020 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 322 vom 30. Dezember 2020) geänderten Fassung sieht in Art. 1 Abs. 6 Buchst. c Nr. 14bis vor:

„Die Zuständigkeiten der [AGCOM] werden wie folgt festgelegt:

c) der Rat

14bis) sorgt für eine angemessene und wirksame Durchsetzung der Verordnung [2019/1150], insbesondere durch die Annahme von Leitlinien, die Förderung von Verhaltenskodizes und die Sammlung relevanter Informationen.“

Beschluss Nr. 397/13

16

Am 25. Juni 2013 erließ die AGCOM die Delibera n. 397/13/CONS – Informativa economica di sistema (Beschluss Nr. 397/13/CONS – Erklärung über wirtschaftliche Daten für das System) (im Folgenden: Beschluss Nr. 397/13).

17

In Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 397/13 sind die Kategorien von Personen aufgeführt, die der AGCOM ein Dokument mit der Bezeichnung „Informativa economica di sistema“ (Erklärung über wirtschaftliche Daten für das System) (im Folgenden: IES) übermitteln müssen.

18

Art. 6 dieses Beschlusses sieht vor:

„(1)   Gegen Personen, die in Erfüllung der in Art. 2 des vorliegenden Beschlusses bezeichneten Verpflichtungen Angaben machen, die nicht der Wahrheit entsprechen, werden die in Art. 1 Abs. 29 des Gesetzes Nr. [249 vom 31. Juli 1997] vorgesehenen Strafen verhängt.

(2)   Personen, die den in Art. 2 bezeichneten Verpflichtungen nicht fristgerecht und in der vorgeschriebenen Weise nachkommen, werden nach Art. 1 Abs. 30 des Gesetzes Nr. [249 vom 31. Juli 1997] bestraft.“

Beschluss Nr. 161/21

19

Am 12. Mai 2021 erließ die AGCOM die Delibera n. 161/21/CONS – Modifiche alla delibera n. 397/13 del 25 giugno 2013 „Informativa Economica di Sistema“ (Beschluss Nr. 161/21/CONS, Änderungen des Beschlusses Nr. 397/13 vom 25. Juni 2013„Erklärung über wirtschaftliche Daten für das System“) (im Folgenden: Beschluss Nr. 161/21).

20

Zum Beschluss Nr. 161/21 heißt es in dessen Präambel, er ergehe

„…

in Anbetracht der Verordnung 2019/1150 …

in Anbetracht des Gesetzes [Nr. 178 vom 30. Dezember 2020] …

in der Erwägung, dass die [IES] eine jährliche Erklärung ist, die die Anbieter von Kommunikationsdiensten vorlegen müssen und die sich auf persönliche und wirtschaftliche Angaben zu der von den betreffenden Einrichtungen ausgeübten Geschäftstätigkeit bezieht, wodurch Informationen erfasst werden sollen, die für die Einhaltung bestimmter gesetzlicher Verpflichtungen erforderlich sind – wie etwa die Bewertung des Sistema integrato delle comunicazioni [(Integriertes Kommunikationssystem) (IKS)] und die Kontrolle der Konzentrationsschwellen im Rahmen des IKS, Marktanalysen und Analysen möglicher marktbeherrschender oder jedenfalls für den Pluralismus schädlicher Stellungen, Jahresbericht und Umfragen –, sowie eine Aktualisierung der Statistiken über die Anbieter von Kommunikationsdiensten ermöglicht werden soll;

in der Erwägung, dass das Gesetz Nr. [178 vom 30. Dezember 2020] der [AGCOM] neue Zuständigkeiten zuweist, mit denen ihr die Aufgabe zugewiesen wird, ‚die angemessene und wirksame Durchsetzung der Verordnung [2019/1150] auch über den Erlass von Leitlinien, die Förderung von Verhaltenskodizes und die Erhebung geeigneter Informationen zu gewährleisten‘;

[in der Erwägung], dass es daher erforderlich ist, [bestimmte] Verpflichtungen zur Übermittlung der IES auf Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten und von Online-Suchmaschinen auszudehnen, um jedes Jahr einschlägige Informationen zu erheben und Maßnahmen zu ergreifen, um eine angemessene und wirksame Durchsetzung der Verordnung [2019/1150] zu gewährleisten sowie die Aufgaben wahrzunehmen, die der [AGCOM] durch das [Gesetz Nr. 178 vom 30. Dezember 2020] zugewiesen wurden.

…“

21

Mit Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses wurde die Liste in Art. 2 des Beschlusses Nr. 397/13 geändert, um die Verpflichtung zur Übermittlung der IES an die AGCOM auf die beiden folgenden Kategorien von Personen auszudehnen:

„…

h) Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten: natürliche oder juristische Personen, die, auch wenn sie nicht im nationalen Hoheitsgebiet niedergelassen oder ansässig sind, Online-Vermittlungsdienste, wie sie in der Verordnung … 2019/1150 definiert sind, an in Italien niedergelassene oder wohnhafte gewerbliche Nutzer erbringen oder deren Erbringung anbieten;

i) Anbieter von Online-Suchmaschinen: natürliche oder juristische Personen, die, auch wenn sie nicht im nationalen Hoheitsgebiet niedergelassen oder ansässig sind, eine Online-Suchmaschine, wie sie in der Verordnung … 2019/1150 definiert ist, in italienischer Sprache oder an in Italien niedergelassene oder wohnhafte Nutzer zur Verfügung stellen oder dies anbieten

…“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

22

Amazon mit Sitz in Luxemburg betreibt eine Online-Plattform, die Drittanbieter und Verbraucher zusammenzuführen soll, damit zwischen ihnen Geschäfte über den Verkauf von Waren getätigt werden können.

23

Nach den Änderungen des nationalen Rechtsrahmens, die sich aus dem Gesetz Nr. 178 vom 30. Dezember 2020 und aus dem Beschluss Nr. 161/21 ergaben, die von den italienischen Behörden u. a. im Hinblick darauf erlassen wurden, die Durchsetzung der Verordnung 2019/1150 sicherzustellen, ist Amazon als Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten nunmehr verpflichtet, der AGCOM die IES zu übermitteln, ein Dokument, in dem Angaben zur wirtschaftlichen Situation des Anbieters zu machen sind.

24

Amazon erhob beim Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien), dem vorlegenden Gericht, Klage u. a. auf Nichtigerklärung des Beschlusses Nr. 161/21.

25

Vor diesem Gericht hat Amazon geltend gemacht, dieser Beschluss verstoße gegen den Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs, die Verordnung 2019/1150 und mehrere Richtlinien, soweit er sie dazu verpflichte, der AGCOM die IES zu übermitteln.

26

Hierzu führt das vorlegende Gericht als Erstes aus, dass der italienische Gesetzgeber nach dem Erlass der Verordnung 2019/1150 das Gesetz Nr. 249 vom 31. Juli 1997 durch das Gesetz Nr. 178 vom 30. Dezember 2020 geändert habe.

27

So habe die AGCOM die Aufgabe, die Anwendung der Verordnung 2019/1150 u. a. mittels Erhebung von Informationen zu überwachen (Art. 1 Abs. 6 Buchst. c Nr. 14bis des Gesetzes Nr. 249 vom 31. Juli 1997 in der durch das Gesetz Nr. 178 vom 30. Dezember 2020 geänderten Fassung).

28

Als Zweites führt das vorlegende Gericht aus, dass die AGCOM den Beschluss Nr. 161/21 durch den Beschluss Nr. 397/13 geändert habe, um den vom italienischen Gesetzgeber im Hinblick auf die Durchsetzung der Verordnung 2019/1150 erlassenen Maßnahmen Rechnung zu tragen. Die Verpflichtung zur Übermittlung der IES an die AGCOM sei folglich auf Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten und von Online-Suchmaschinen (im Folgenden: betroffene Diensteanbieter), die in Italien Dienste bereitstellen, ausgedehnt worden.

29

Die Übermittlung der IES sei ursprünglich für die Bedürfnisse des Garante per la radiodiffusione e l’editoria (Aufsicht für Rundfunk und Verlagswesen, Italien) vorgesehen worden, und zwar aufgrund von Rechtsvorschriften, die ihm die Befugnis verliehen hätten, Maßnahmen zur Festsetzung von Buchführungsdaten und sonstigen Informationen zu treffen, die ihm von bestimmten Einrichtungen zu übermitteln gewesen seien. Die Befugnisse dieser Aufsicht seien auf die AGCOM übertragen worden.

30

Mit dem Beschluss Nr. 161/21 habe die AGCOM die betroffenen Diensteanbieter verpflichtet, wichtige und spezifische Informationen über ihre wirtschaftliche Lage an sie zu übermitteln. So seien diese Anbieter etwa verpflichtet, Folgendes anzugeben: die Gesamteinnahmen aus Online-Verkaufswebsites, die Einnahmen sowohl aus Abonnementsgebühren als auch aus Registrierungs‑, Mitgliedschafts- oder Subskriptionsgebühren für die Nutzung der Online-Verkaufsplattform der Diensteanbieter durch in Italien niedergelassene Nutzer, die Verbrauchern Waren und Dienstleistungen anböten, die festen und variablen Provisionen für die über die Online-Verkaufsplattform getätigten Verkäufe, die von in Italien niedergelassenen gewerblichen Nutzern von Online-Vermittlungsdiensten im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Verordnung 2019/1150 (im Folgenden: gewerbliche Nutzer) angebotenen Waren oder Dienstleistungen, die von in Italien niedergelassenen gewerblichen Nutzern gezahlten festen und variablen Provisionen für die über die Online-Verkaufsplattform getätigten Verkäufe sowie die übrigen Einnahmen aus Vermittlungsdiensten außer Werbung, die an in Italien niedergelassene gewerbliche oder andere Nutzer erbracht würden, die Verbrauchern über die Online-Verkaufsplattform Waren oder Dienstleistungen anböten.

31

Eine unterbliebene oder unrichtige Übermittlung der IES an die AGCOM könne mit den in Art. 1 Abs. 29 und 30 des Gesetzes Nr. 249 vom 31. Juli 1997 vorgesehenen Sanktionen geahndet werden.

32

Das vorlegende Gericht ist in Anbetracht dieser Gesichtspunkte der Auffassung, dass die Verpflichtung zur Übermittlung der IES an die AGCOM in verschiedener Hinsicht mit dem Unionsrecht, insbesondere mit dem Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs, der Verordnung 2019/1150 und mehreren Richtlinien, unvereinbar sein könne.

33

Was die Verordnung 2019/1150 betreffe, bestehe kein Zusammenhang zwischen der Einhaltung der darin vorgesehenen Verpflichtungen und den für die IES verlangten Informationen, die in erster Linie die Einnahmen der betroffenen Diensteanbieter beträfen und für die Gewährleistung von Transparenz und Fairness in den Beziehungen zwischen diesen Anbietern und den gewerblichen Nutzern nicht einschlägig seien. Mit den nationalen Maßnahmen, nach denen die Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten nunmehr zur Übermittlung der IES an die AGCOM verpflichtet seien (im Folgenden: streitige nationale Maßnahmen), hätten die italienischen Behörden Bestimmungen in ihre nationale Rechtsordnung eingeführt, mit denen eine Kontrolle vorgesehen werde, die sich auf für diese Anbieter charakteristische Merkmale beziehe, was einen grundlegenden Unterschied gegenüber der von dieser Verordnung vorgesehenen Kontrolle darstelle, die sich auf die Einhaltung der darin festgelegten Verpflichtungen durch die Anbieter beziehe.

34

Soweit die in die IES aufzunehmenden Informationen für die ordnungsgemäße Anwendung der Verordnung 2019/1150 weder für einschlägig noch für nützlich erachtet werden sollten, wäre der Beschluss Nr. 161/21 ungültig, da das Gesetz Nr. 178 vom 30. Dezember 2020 der AGCOM die Aufgabe zuweise, die angemessene und wirksame Durchsetzung dieser Verordnung zu gewährleisten, nicht aber die Befugnis, andere Regulierungsakte im betreffenden Bereich zu erlassen.

35

Im Hinblick auf die Richtlinie 2015/1535 führt das vorlegende Gericht unter Bezugnahme auf deren Art. 1 und 5 aus, dass die nationalen Vorschriften, mit denen die Anbieter der betreffenden Dienste verpflichtet würden, der AGCOM die IES zu übermitteln, speziell eine allgemeine Anforderung hinsichtlich der Erbringung von Diensten der Informationsgesellschaft einführten, so dass diese Vorschriften mangels vorheriger Unterrichtung der Kommission Privatpersonen nicht entgegengehalten werden könnten.

36

Zu dem in Art. 56 AEUV niedergelegten und in den Richtlinien 2000/31 und 2006/123 ausgestalteten Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit verweist das vorlegende Gericht zum einen darauf, dass Art. 3 der Richtlinie 2000/31 den Grundsatz aufstelle, dass Dienste der Informationsgesellschaft im „koordinierten Bereich“ im Sinne von Art. 2 Buchst. h der Richtlinie dem Rechtsrahmen desjenigen Mitgliedstaats unterfallen müssten, in dem der Anbieter niedergelassen sei, und die Mitgliedstaaten nur unter Beachtung bestimmter, in Art. 3 Abs. 4 definierter materiell- und verfahrensrechtlicher Voraussetzungen Maßnahmen erlassen dürften, die von diesem Grundsatz abwichen. Die streitigen nationalen Maßnahmen erfüllten diese Voraussetzungen allerdings nicht.

37

Zum anderen dürften die Mitgliedstaaten gemäß Art. 16 der Richtlinie 2006/123 die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in ihrem Hoheitsgebiet nicht von Anforderungen abhängig machen, die gegen die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit verstießen. Die streitigen nationalen Maßnahmen seien jedoch unverhältnismäßig.

38

Unter diesen Umständen hat das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Steht die Verordnung 2019/1150 einer nationalen Vorschrift entgegen, die zu dem ausdrücklichen Ziel, die angemessene und wirksame Durchsetzung der Verordnung u. a. durch Erhebung relevanter Informationen zu gewährleisten, Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten und von Online-Suchmaschinen dazu verpflichtet, regelmäßig relevante Informationen über ihre eigenen Einnahmen zu übermitteln?

2.

Können auf der Grundlage der Verordnung 2019/1150 die von der IES vorgesehenen Informationen, die in erster Linie die erzielten Einnahmen betreffen, als für das mit der Verordnung verfolgte Ziel relevant und zweckdienlich angesehen werden?

3.

Verlangt die Richtlinie 2015/1535 von den Mitgliedstaaten, der Kommission die Maßnahmen mitzuteilen, mit denen Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten und von Online-Suchmaschinen die Pflicht, eine Erklärung abzugeben, die relevante Informationen über ihre eigenen Einnahmen enthält, auferlegt wird und deren Nichteinhaltung zur Verhängung finanzieller Sanktionen führt? Falls ja, kann sich eine Privatperson unter Berufung auf die Richtlinie dem widersetzen, dass ihr gegenüber Maßnahmen angewendet werden, die der Kommission nicht mitgeteilt wurden?

4.

Steht Art. 3 der Richtlinie 2000/31 dem entgegen, dass nationale Behörden Bestimmungen erlassen, die mit dem erklärten Ziel, die Durchführung der Verordnung 2019/1150 zu gewährleisten, für Marktteilnehmer, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen, aber in Italien tätig sind, zusätzliche administrative und finanzielle Belastungen wie die Übermittlung einer Erklärung, die relevante Informationen über ihre eigenen Einnahmen enthält, vorsehen und deren Nichteinhaltung zur Verhängung finanzieller Sanktionen führt?

5.

Steht der in Art. 56 AEUV und Art. 16 der Richtlinie 2006/123 und der Richtlinie 2000/31 niedergelegte Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs dem entgegen, dass nationale Behörden Bestimmungen erlassen, die mit dem erklärten Ziel, die Durchführung der Verordnung 2019/1150 zu gewährleisten, für in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Marktteilnehmer administrative und finanzielle Belastungen wie die Übermittlung einer Erklärung, die relevante Informationen über ihre eigenen Einnahmen enthält, vorsehen und deren Nichteinhaltung zur Verhängung finanzieller Sanktionen führt?

6.

Verlangt Art. 3 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2000/31 von den Mitgliedstaaten, der Kommission Maßnahmen mitzuteilen, mit denen Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten und von Online-Suchmaschinen die Pflicht zur Abgabe einer Erklärung, die relevante Informationen über ihre eigenen Einnahmen enthält, auferlegt wird und deren Nichteinhaltung zur Verhängung finanzieller Sanktionen führt? Falls ja, kann sich eine Privatperson unter Berufung auf die Richtlinie dem widersetzen, dass ihr gegenüber Maßnahmen angewendet werden, die der Kommission nicht mitgeteilt wurden?

Zu den Vorlagefragen

Zur Zulässigkeit der zweiten Frage

39

Die italienische Regierung hält die zweite Frage für unzulässig, da das vorlegende Gericht den Gerichtshof um eine Prüfung der Relevanz und des Nutzens der in die IES aufzunehmenden Informationen im Hinblick auf die Zielsetzung der Verordnung 2019/1150 ersuche, was darauf hinausliefe, dass der Gerichtshof Tatsachenwürdigungen vornehmen müsse, die in die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts fielen, das überdies nicht ausgeführt habe, inwieweit diese Informationen nicht einschlägig oder nicht nützlich seien.

40

Es ist daran zu erinnern, dass in einem Verfahren nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, jede Beurteilung des Sachverhalts in die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts fällt. Um diesem eine sachdienliche Antwort zu geben, kann ihm der Gerichtshof jedoch im Geist der Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten alle Hinweise geben, die er für erforderlich hält (Urteil vom 1. Juli 2008, MOTOE, C‑49/07, EU:C:2008:376, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41

Zudem kann der Gerichtshof, obgleich die Auslegung von Vorschriften des innerstaatlichen Rechts eines Mitgliedstaats nicht seine Aufgabe ist, dem vorlegenden Gericht dennoch die erforderlichen Hinweise in Bezug auf die Bestimmungen des Unionsrechts geben, die diesen Vorschriften möglicherweise entgegenstehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. November 2016, Lesoochranárske zoskupenie VLK, C‑243/15, EU:C:2016:838, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 8. Mai 2019, Rossato und Conservatorio di Musica F. A. Bonporti, C‑494/17, EU:C:2019:387, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die zweite Frage mit der ersten eine Einheit bildet und dass das vorlegende Gericht den Gerichtshof mit diesen Fragen um eine Auslegung der Verordnung 2019/1150 in dem tatsächlichen und rechtlichen Kontext bittet, den es in seinem Vorabentscheidungsersuchen darstellt.

43

Folglich ist die zweite Frage zulässig.

Zur Beantwortung der Fragen

Zur ersten, zur zweiten, zur vierten und zur fünften Frage

44

Mit seinen Fragen 1, 2, 4 und 5, die zusammen und an erster Stelle zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 56 AEUV, Art. 16 der Richtlinie 2006/123 bzw. Art. 3 der Richtlinie 2000/31 dahin auszulegen sind, dass sie Maßnahmen entgegenstehen, die ein Mitgliedstaat mit dem erklärten Ziel erlassen hat, für eine angemessene und wirksame Durchsetzung der Verordnung 2019/1150 zu sorgen und nach denen unter Androhung von Sanktionen in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten im Hinblick auf die Erbringung ihrer Dienstleistungen im erstgenannten Mitgliedstaat der Verpflichtung unterliegen, regelmäßig ein Dokument über ihre wirtschaftliche Lage an eine Behörde dieses Mitgliedstaats zu übermitteln, in dem zahlreiche Informationen, u. a. zu den Einnahmen des Anbieters, detailliert aufzuführen sind.

45

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die auf Grundlage von Art. 47 Abs. 2 EG und Art. 55 EG – deren Wortlaut im Wesentlichen in Art. 53 Abs. 1 AEUV bzw. Art. 62 AEUV übernommen wurde – erlassene Richtlinie 2006/123, wie sich aus ihrem Art. 1 Abs. 1 ergibt, namentlich zum Ziel hat, den freien Dienstleistungsverkehr zu erleichtern. Die auf Grundlage von Art. 47 Abs. 2 EG, Art. 55 EG und Art. 95 EG – deren Wortlaut im Wesentlichen in Art. 53 Abs. 1 AEUV, Art. 62 AEUV und Art. 114 AEUV übernommen wurde – erlassene Richtlinie 2000/31 hat, wie sich aus ihrem Art. 1 Abs. 1 ergibt, ihrerseits zum Ziel, einen Beitrag zum einwandfreien Funktionieren des Binnenmarkts zu leisten, indem sie den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellt.

46

Da diese beiden Richtlinien die in Art. 56 AEUV verankerte Dienstleistungsfreiheit konkretisieren, wären die Fragen 1, 2, 4 und 5 nicht anhand von Art. 56 zu prüfen, falls sich erwiese, dass die eine oder die andere Richtlinie nationalen Maßnahmen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht.

47

Art. 56 AEUV ist zwar, wie der Generalanwalt in Nr. 6 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nach der Rechtsprechung auf Maßnahmen im Bereich der Besteuerung anwendbar, der vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/31 gemäß deren Art. 1 Abs. 5 Buchst. a ausgenommen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2022, Airbnb Ireland und Airbnb Payments UK,C‑83/21, EU:C:2022:1018, Rn. 38). Im vorliegenden Fall machen jedoch weder das vorlegende Gericht noch die italienische Regierung geltend, dass die streitigen nationalen Maßnahmen mit der Notwendigkeit in Verbindung stünden, die Erfüllung von Steuerpflichten sicherzustellen.

48

Außerdem ist darauf zu verweisen, dass Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 für den Fall, dass ihre Bestimmungen einer Bestimmung eines anderen Unionsrechtsakts widersprechen, der spezifische Aspekte der Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in bestimmten Bereichen regelt, u. a. vorsieht, dass die Bestimmung dieses anderen Unionsrechtsakts Vorrang hat und auf die betreffenden Bereiche Anwendung findet.

49

In Anbetracht dessen, dass Art. 3 der Richtlinie 2000/31 spezifische Aspekte der Aufnahme und der Ausübung der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft betrifft, wären die Fragen 1, 2, 4 und 5, wie der Generalanwalt im Wesentlichen in den Nrn. 204 bis 207 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht anhand der Richtlinie 2006/123 zu prüfen, falls sich zum einen erweisen sollte, dass nationale Maßnahmen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden unter Art. 3 der Richtlinie 2000/31 fallen, und zum anderen, dass dieser den Maßnahmen entgegensteht.

50

Daher ist als Erstes Art. 3 der Richtlinie 2000/31 auszulegen.

51

Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie trägt jeder Mitgliedstaat dafür Sorge, dass die Dienste der Informationsgesellschaft, die von einem in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter erbracht werden, den in diesem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften entsprechen, die in den koordinierten Bereich fallen. In Art. 3 Abs. 2 wird klargestellt, dass die Mitgliedstaaten den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus Gründen einschränken dürfen, die in den koordinierten Bereich fallen.

52

Zudem können die Mitgliedstaaten gemäß Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2000/31 unter bestimmten kumulativen Voraussetzungen Maßnahmen ergreifen, die im Hinblick auf einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft, der in den koordinierten Bereich fällt, von dem Grundsatz des freien Verkehrs von Diensten der Informationsgesellschaft abweichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2019, Airbnb Ireland, C‑390/18, EU:C:2019:1112, Rn. 83).

53

Was den in Art. 3 der Richtlinie 2000/31 genannten „koordinierten Bereich“ betrifft, so ist darauf zu verweisen, dass Art. 2 Buchst. h der Richtlinie diesen Bereich als die für die Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft und die Dienste der Informationsgesellschaft in den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten festgelegten Anforderungen definiert, ungeachtet der Frage, ob sie allgemeiner Art oder speziell für sie bestimmt sind. Dieser Bereich betrifft Anforderungen, die der Diensteanbieter einzuhalten hat und die sich auf die Aufnahme der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft – wie etwa die Anforderungen hinsichtlich Qualifikation, Genehmigung oder Anmeldung – und deren Ausübung beziehen, wie etwa die das Verhalten des Diensteanbieters, die Qualität oder den Inhalt des Dienstes betreffenden Anforderungen.

54

Die Richtlinie 2000/31 beruht somit auf der Anwendung der Grundsätze der Aufsicht im Herkunftsmitgliedstaat und der gegenseitigen Anerkennung, so dass im Rahmen des koordinierten Bereichs, der in Art. 2 Buchst. h dieser Richtlinie definiert ist, die Dienste der Informationsgesellschaft nur durch Vorschriften des Mitgliedstaats geregelt werden, in dessen Hoheitsgebiet die Anbieter dieser Dienste niedergelassen sind (Urteil vom 9. November 2023, Google Ireland u. a., C‑376/22, EU:C:2023:835, Rn. 42).

55

Folglich obliegt es zum einen jedem Mitgliedstaat als Herkunftsmitgliedstaat von Diensten der Informationsgesellschaft, diese Dienste durch Vorschriften zu regeln und damit die in Art. 3 Abs. 4 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2000/31 genannten Ziele des Allgemeininteresses zu schützen (Urteil vom 9. November 2023, Google Ireland u. a., C‑376/22, EU:C:2023:835, Rn. 43).

56

Zum anderen ist es nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung Sache jedes Mitgliedstaats als Bestimmungsmitgliedstaat von Diensten der Informationsgesellschaft, den freien Verkehr dieser Dienste nicht dadurch einzuschränken, dass er die Einhaltung zusätzlicher, in den koordinierten Bereich fallender Verpflichtungen vorschreibt, die er erlassen haben mag (Urteil vom 9. November 2023, Google Ireland u. a., C‑376/22, EU:C:2023:835, Rn. 44).

57

Demnach verbietet es Art. 3 der Richtlinie 2000/31 – vorbehaltlich der Abweichungen, die unter den in Art. 3 Abs. 4 vorgesehenen Bedingungen gestattet sind –, dass einem Anbieter eines Dienstes der Informationsgesellschaft, der diesen Dienst in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen erbringen möchte, in dessen Hoheitsgebiet er niedergelassen ist, von diesem anderen Mitgliedstaat in den koordinierten Bereich fallende Anforderungen auferlegt werden.

58

Im vorliegenden Fall steht fest, dass die streitigen nationalen Maßnahmen insoweit, als sie von in anderen Mitgliedstaaten als der Italienischen Republik niedergelassenen Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten unter Androhung von Sanktionen die Übersendung der IES an die AGCOM verlangen, von diesen Anbietern verlangen, Bedingungen zu erfüllen, die in ihrem Niederlassungsmitgliedstaat nicht erforderlich sind.

59

Außerdem wird nicht bestritten, dass diese Dienste zu den „Diensten der Informationsgesellschaft“ nach Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/31 zählen.

60

Die italienische Regierung macht hingegen geltend, dass die Verpflichtung, die IES an die AGCOM zu übersenden, nicht in den „koordinierten Bereich“ im Sinne von Art. 2 Buchst. h dieser Richtlinie falle, da diese Verpflichtung darauf gerichtet sei, der AGCOM die Erhebung von Informationen von den betroffenen Diensteanbietern zu ermöglichen, die es ihr erlaubten, ihre Überwachungsaufgaben wahrzunehmen. Damit sei diese Verpflichtung nicht darauf gerichtet, dass die Anbieter dieser Dienste eine Zulassung im Hinblick auf die Aufnahme oder die Ausübung der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft erhielten.

61

Insoweit lässt der Umstand, dass die sanktionsbewehrte Verpflichtung zur regelmäßigen Übermittlung von Informationen über die wirtschaftliche Lage des betreffenden Unternehmens an eine Behörde eines Mitgliedstaats deshalb auferlegt wird, um seitens der Behörde die ordnungsgemäße Ausübung der Tätigkeit von Diensten der Informationsgesellschaft zu überwachen, die Tragweite der genannten Verpflichtung gänzlich unberührt: Anbieter solcher Dienste, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind und diese Dienste im erstgenannten Mitgliedstaat erbringen möchten, haben ebendiese Verpflichtungen zu erfüllen. Des Weiteren ist der Umstand, dass ein Diensteanbieter de facto die Erbringung eines Dienstes der Informationsgesellschaft aufnehmen und fortsetzen kann, ohne dieser Verpflichtung nachzukommen, dafür ohne Belang, dass er gleichwohl diese Verpflichtung einzuhalten hat, um die in Rede stehende Tätigkeit rechtmäßig ausüben zu können.

62

Folglich stellt eine Verpflichtung wie diejenige, regelmäßig die IES an die AGCOM zu übermitteln, entgegen dem Vorbringen der italienischen Regierung eine Anforderung dar, die die Ausübung der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft betrifft, so dass diese Verpflichtung in den „koordinierten Bereich“ im Sinne von Art. 2 Buchst. h der Richtlinie 2000/31 fällt.

63

Daher steht Art. 3 der Richtlinie 2000/31 von einem Mitgliedstaat erlassenen Maßnahmen entgegen, nach denen unter Androhung von Sanktionen in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten im Hinblick auf die Erbringung ihrer Dienstleistungen im erstgenannten Mitgliedstaat der Verpflichtung unterliegen, einer Behörde dieses Mitgliedstaats regelmäßig ein Dokument über ihre wirtschaftliche Lage zu übermitteln, in dem zahlreiche Informationen, u. a. zu den Einnahmen des Anbieters, detailliert aufzuführen sind, sofern diese Maßnahmen nicht die in Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen erfüllen.

64

Diese Auslegung kann nicht mit dem Vorbringen der tschechischen Regierung in Frage gestellt werden, wonach Art. 3 der Richtlinie solchen Maßnahmen unter Berücksichtigung der entsprechend anwendbaren Rechtsprechung zu Art. 56 AEUV nicht entgegenstehen könne, nach der nationale Rechtsvorschriften nicht gegen das in diesem Art. 56 aufgestellte Verbot verstießen, die für alle im Inland tätigen Wirtschaftsteilnehmer gälten, nicht die Regelung der Bedingungen für die Erbringung der Dienstleistungen der betreffenden Unternehmen bezweckten und deren beschränkende Wirkungen, die sie für den freien Dienstleistungsverkehr haben könnten, zu ungewiss und zu mittelbar seien, als dass die in ihnen aufgestellte Verpflichtung als geeignet angesehen werden könnte, diese Freiheit zu behindern (Urteil vom 22. Dezember 2022, Airbnb Ireland und Airbnb Payments UK, C‑83/21, EU:C:2022:1018, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

65

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 166 und 167 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, können nämlich zum einen Anforderungen, die in den koordinierten Bereich fallen, die sich aus dieser Rechtsprechung ergebenden Voraussetzungen nicht erfüllen, da sie per definitionem bezwecken, die Aufnahme einer Tätigkeit, die in der Erbringung eines Dienstes der Informationsgesellschaft besteht, sowie die Ausübung dieser Tätigkeit zu regeln. Zum anderen kann der Unionsgesetzgeber eine im AEU-Vertrag verankerte Grundfreiheit durch einen Akt des abgeleiteten Unionsrechts konkretisieren, indem er für ein ordnungsgemäßes Funktionieren des Binnenmarkts noch günstigere Voraussetzungen als diejenigen schafft, die sich aus dem Primärrecht ergeben (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 16. Juni 2015, Rina Services u. a., C‑593/13, EU:C:2015:399, Rn. 40).

66

Somit ist zu prüfen, ob nationale Maßnahmen wie die in Rn. 63 des vorliegenden Urteils angeführten die in Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2000/31 vorgesehenen Voraussetzungen erfüllen.

67

Hierzu ist erstens festzustellen, dass – wie sich schon aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt – nur Maßnahmen „betreffen[d] einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft“ unter sie fallen können.

68

Hierzu hat der Gerichtshof im Urteil vom 9. November 2023, Google Ireland u. a. (C‑376/22, EU:C:2023:835), für Recht erkannt, dass Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2000/31 dahin auszulegen ist, dass generell-abstrakte Maßnahmen, die sich auf eine allgemein umschriebene Kategorie bestimmter Dienste der Informationsgesellschaft beziehen und unterschiedslos für alle Anbieter dieser Kategorie von Diensten gelten, nicht unter den Begriff der „Maßnahmen … betreffen[d] einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft“ im Sinne dieser Bestimmung fallen.

69

Im vorliegenden Fall scheinen die streitigen nationalen Maßnahmen vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht eine allgemeine und abstrakte Geltung zu haben, so dass sie nicht als „Maßnahmen … betreffen[d] einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft“ im Sinne von Art. 3 Abs. 4 Buchst. a der Richtlinie 2000/31 eingestuft werden können.

70

Zudem müssen nationale Maßnahmen nach dieser Bestimmung, um als mit ihr vereinbar angesehen zu werden, erforderlich sein, um den Schutz der öffentlichen Ordnung, den Schutz der öffentlichen Gesundheit, den Schutz der öffentlichen Sicherheit oder den Schutz der Verbraucher zu gewährleisten.

71

Somit ist zu prüfen, ob dies bei nationalen Maßnahmen der Fall ist, die mit dem erklärten Ziel erlassen wurden, die Durchsetzung der Verordnung 2019/1150 zu gewährleisten.

72

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung 2019/1150 nach ihrem Art. 1 Abs. 5 unbeschadet der Rechtsvorschriften der Union, insbesondere jener für den Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs, gilt.

73

Da die Richtlinie 2000/31 offenkundig in diesen Bereich fällt, können Maßnahmen wie die streitigen nationalen Maßnahmen nur dann mit der Begründung als mit Art. 3 Abs. 4 Buchst. a dieser Richtlinie vereinbar angesehen werden, dass mit ihnen die Durchsetzung der Verordnung 2019/1150 gewährleistet werden soll, wenn sich erweist, dass ihr Ziel einem der in dieser Bestimmung aufgezählten Ziele entspricht.

74

Den Erwägungsgründen 7 und 51 der Verordnung 2019/1150 lässt sich aber entnehmen, dass mit dieser gezielte Vorschriften auf Ebene der Union verbindlich festgelegt werden sollen, um ein faires, vorhersehbares, tragfähiges und vertrauenswürdiges Online-Geschäftsumfeld im Binnenmarkt zu schaffen. Insbesondere sollten gewerblichen Nutzern in der gesamten Union eine angemessene Transparenz und wirksame Abhilfemöglichkeiten geboten werden, um grenzüberschreitende Geschäfte innerhalb der Union zu erleichtern und auf diese Weise das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern.

75

Art. 1 Abs. 1 der genannten Verordnung führt aus, dass mit ihr zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts beigetragen werden soll, indem Vorschriften festgelegt werden, mit denen sichergestellt wird, dass für gewerbliche Nutzer und Nutzer mit Unternehmenswebsite im Hinblick auf Suchmaschinen eine angemessene Transparenz, Fairness und wirksame Abhilfemöglichkeiten geschaffen werden.

76

Wie der Generalanwalt im Wesentlichen in den Nrn. 186 bis 190 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, besteht, selbst wenn nationale Maßnahmen wie die streitigen nationalen Maßnahmen der Verwirklichung des Ziels der Verordnung 2019/1150 dienen sollten, kein direkter Zusammenhang zwischen diesem Ziel und den in Art. 3 Abs. 4 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2000/31 bezeichneten und in Rn. 70 des vorliegenden Urteils angeführten Zielen.

77

Denn es steht fest, dass sich das Ziel der Verordnung 2019/1150 weder auf die öffentliche Ordnung noch auf den Schutz der öffentlichen Gesundheit noch auf die öffentliche Sicherheit bezieht.

78

Was den Schutz der Verbraucher betrifft, so ist zunächst darauf hinzuweisen, dass dieser den Schutz von Unternehmen nicht einschließt. Die Verordnung 2019/1150 stellt aber Regeln für die Beziehungen zwischen Anbietern von Online-Vermittlungsdiensten und gewerblichen Nutzern auf.

79

Sodann lässt sich dem dritten Erwägungsgrund der Verordnung 2019/1150 entnehmen, dass zwischen „Transparenz und Vertrauen in die Online-Plattformwirtschaft in den Beziehungen zwischen den Unternehmen“ und „[erhöhtem] Vertrauen der Verbraucher in die Online-Plattformwirtschaft“ nur ein indirekter Zusammenhang besteht.

80

Schließlich wird im dritten Erwägungsgrund der Verordnung ausgeführt, dass sich „[m]it den direkten Auswirkungen, die die Entwicklung der Online-Plattformwirtschaft auf die Verbraucher hat, … hingegen andere Rechtsvorschriften der Union [befassen], vor allem der Besitzstand für Verbraucherschutz“.

81

Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2000/31 ist zudem als Ausnahme vom Grundsatz der Aufsicht im Herkunftsmitgliedstaat eng auszulegen (vgl. entsprechend Urteile vom 22. November 2012, Probst, C‑119/12, EU:C:2012:748, Rn. 23, und vom 21. Juni 2022, Ligue des droits humains, C‑817/19, EU:C:2022:491, Rn. 70). Deswegen kann diese Ausnahme nicht für Maßnahmen gelten, die allenfalls in einem lediglich indirekten Zusammenhang mit einem der in dieser Bestimmung genannten Ziele stehen können.

82

Daraus, dass nationale Maßnahmen mit dem erklärten Ziel erlassen wurden, die Durchsetzung der Verordnung 2019/1150 sicherzustellen, kann mithin nicht abgeleitet werden, dass diese Maßnahmen erforderlich sind, um eines der in Art. 3 Abs. 4 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2000/31 aufgezählten Ziele zu gewährleisten.

83

Von einem Mitgliedstaat erlassene Maßnahmen, nach denen unter Androhung von Sanktionen in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten im Hinblick auf die Erbringung ihrer Dienstleistungen im erstgenannten Mitgliedstaat der Verpflichtung unterliegen, einer Behörde dieses Mitgliedstaats regelmäßig ein Dokument über ihre wirtschaftliche Lage zu übermitteln, in dem zahlreiche Informationen, u. a. zu den Einnahmen des Anbieters, detailliert aufzuführen sind, erfüllen folglich nicht die in Art. 3 Abs. 4 Buchst. a der Richtlinie 2000/31 vorgesehenen Voraussetzungen.

84

Da die streitigen nationalen Maßnahmen in den in der Richtlinie 2000/31 genannten koordinierten Bereich fallen und die Auslegung dieser Richtlinie eine Beantwortung der Fragen 1, 2, 4 und 5 in ihrer in Rn. 44 des vorliegenden Urteils umformulierten Form ermöglicht, besteht aus den in den Rn. 45 bis 49 des vorliegenden Urteils dargestellten Erwägungen keine Veranlassung, auch Art. 56 AEUV oder die Richtlinie 2006/123 auszulegen.

85

Nach alledem ist auf die Fragen 1, 2, 4 und 5 zu antworten, dass Art. 3 der Richtlinie 2000/31 dahin auszulegen ist, dass er Maßnahmen entgegensteht, die ein Mitgliedstaat mit dem erklärten Ziel erlassen hat, für eine angemessene und wirksame Durchsetzung der Verordnung 2019/1150 zu sorgen und nach denen unter Androhung von Sanktionen in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten im Hinblick auf die Erbringung ihrer Dienstleistungen im erstgenannten Mitgliedstaat der Verpflichtung unterliegen, regelmäßig ein Dokument über ihre wirtschaftliche Lage an eine Behörde dieses Mitgliedstaats zu übermitteln, in dem zahlreiche Informationen, u. a. zu den Einnahmen des Anbieters, detailliert aufzuführen sind.

Zur dritten und zur sechsten Frage

86

Die Fragen 3 und 6 beziehen sich auf die in den Richtlinien 2000/31 und 2015/1535 vorgesehenen Pflichten zur vorherigen Unterrichtung, deren Nichtbeachtung dazu führt, dass Maßnahmen, über die eine Unterrichtung hätte erfolgen müssen und bei denen dies nicht der Fall war, Privatpersonen nicht entgegengehalten werden können.

87

In Anbetracht der Antworten auf die Fragen 1, 2, 4 und 5 erübrigt sich indessen eine Beantwortung der Fragen 3 und 6.

Kosten

88

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 3 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“)

 

ist dahin auszulegen, dass

 

er Maßnahmen entgegensteht, die ein Mitgliedstaat mit dem erklärten Ziel erlassen hat, für eine angemessene und wirksame Durchsetzung der Verordnung (EU) 2019/1150 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten zu sorgen und nach denen unter Androhung von Sanktionen in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten im Hinblick auf die Erbringung ihrer Dienstleistungen im erstgenannten Mitgliedstaat der Verpflichtung unterliegen, regelmäßig ein Dokument über ihre wirtschaftliche Lage an eine Behörde dieses Mitgliedstaats zu übermitteln, in dem zahlreiche Informationen, u. a. zu den Einnahmen des Anbieters, detailliert aufzuführen sind.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.

Top