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Document 62022CC0752

Schlussanträge des Generalanwalts J. Richard de la Tour vom 26. Oktober 2023.
EP gegen Maahanmuuttovirasto.
Vorabentscheidungsersuchen des Korkein hallinto-oikeus.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Einwanderungspolitik – Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen – Richtlinie 2003/109/EG – Art. 12 und 22 – Verstärkter Ausweisungsschutz – Anwendbarkeit – Drittstaatsangehöriger, der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen aufhält, der ihm die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zuerkannt hat – Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit durch den anderen Mitgliedstaat in den Mitgliedstaat, der ihm diesen Status zuerkannt hat – Von diesem anderen Mitgliedstaat verhängtes vorübergehendes Einreiseverbot in das Hoheitsgebiet – Verstoß gegen die Verpflichtung, bei diesem anderen Mitgliedstaat einen Aufenthaltstitel nach Kapitel III der Richtlinie 2003/109 zu beantragen – Von letzterem Mitgliedstaat aus den gleichen Gründen verfügte Ausweisung dieses Drittstaatsangehörigen in sein Herkunftsland.
Rechtssache C-752/22.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:819

 SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JEAN RICHARD DE LA TOUR

vom 26. Oktober 2023 ( 1 )

Rechtssache C‑752/22

EP

gegen

Maahanmuuttovirasto

(Vorabentscheidungsersuchen des Korkein hallinto-oikeus [Oberstes Verwaltungsgericht, Finnland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Asylpolitik – Richtlinie 2003/109/EG – Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen – Voraussetzungen für den Aufenthalt des langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat – Art. 22 Abs. 3 – Verstärkter Ausweisungsschutz – Im ersten Mitgliedstaat langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger, der sich illegal im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält – Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot in das nationale Hoheitsgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit – Richtlinie 2008/115/EG – Gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger – Art. 6 Abs. 2 – Drittstaatsangehöriger mit einem von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitel“

I. Einführung

1.

Genießt ein Drittstaatsangehöriger, der in einem Mitgliedstaat gemäß der Richtlinie 2003/109/EG ( 2 ) die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erworben hat, in einem anderen Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet er sich unter Missachtung eines gegen ihn verhängten Einreiseverbots begibt, den verstärkten Ausweisungsschutz aus Art. 12 und Art. 22 Abs. 3 dieser Richtlinie?

2.

Dies ist im Wesentlichen die Frage, die das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen aufwirft.

3.

Es ist Teil eines Rechtsstreits zwischen EP, einem russischen Staatsangehörigen, der in Estland die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erworben hat, und dem Maahanmuuttovirasto (Nationale Einwanderungsbehörde, Finnland) (im Folgenden: Behörde) betreffend die Rechtmäßigkeit der gegen ihn erlassenen Entscheidung über die Ausweisung in die Russische Föderation, verbunden mit einem Einreiseverbot in den Schengen-Raum (im Folgenden: streitige Entscheidung), die anschließend auf das nationale Hoheitsgebiet beschränkt wurde. Während die Behörde ihre Entscheidung auf die in der Richtlinie 2008/115/EG ( 3 ) vorgesehenen Bestimmungen stützte, fragt sich das Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht, Finnland), ob die Behörde nicht vielmehr verpflichtet gewesen sei, die in Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 2003/109 für langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige vorgesehenen Maßnahmen für einen verstärkten Ausweisungsschutz umzusetzen.

4.

In der vorliegenden Rechtssache wird der Gerichtshof daher erneut mit der Frage befasst, ob in Bezug auf ein und denselben Drittstaatsangehörigen ein von einem Mitgliedstaat verhängtes Einreiseverbot und ein von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellter gültiger Aufenthaltstitel nebeneinander bestehen können ( 4 ). Insbesondere zeigen sich vorliegend Schwierigkeiten bei der Beurteilung der jeweiligen Anwendungsbereiche der Richtlinien 2003/109 und 2008/115, auf die die Europäische Kommission bereits im Rahmen ihres aktuellen Vorschlags für eine Neufassung der Richtlinie 2003/109 ( 5 ) hingewiesen hat Die Vorschläge, die die Kommission nunmehr zu diesem Thema formuliert, zielen darauf ab, eine größere Kohärenz und bessere Vollständigkeit zwischen den beiden Gesetzestexten zu gewährleisten ( 6 ).

5.

In den vorliegenden Schlussanträgen, die sich auf Ersuchen des Gerichtshofs auf die erste Vorlagefrage konzentrieren werden, werde ich die Gründe darlegen, aus denen ich der Ansicht bin, dass das aus der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten, die ein in einem ersten Mitgliedstaat aufhältiger Drittstaatsangehöriger genießt, abgeleitete Aufenthaltsrecht und der Schutz, der sich daraus in einem anderen Mitgliedstaat ergibt, nur ausgeübt bzw. in Anspruch genommen werden können, wenn der Drittstaatsangehörige in dem letztgenannten Mitgliedstaat einen Aufenthaltstitel erlangt hat. Ich werde in meiner Prüfung herausarbeiten, dass Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 2003/109 dahin auszulegen ist, dass er nicht die Voraussetzungen regelt, unter denen ein Mitgliedstaat eine Entscheidung über die Rückführung eines solchen Staatsangehörigen erlassen kann, wenn sich dieser unter Missachtung eines Einreiseverbots, das aus Gründen der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit gegen ihn verhängt wurde, in dessen Hoheitsgebiet begeben hat.

II. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

1. Richtlinie 2003/109

6.

Art. 1 („Gegenstand“) der Richtlinie 2003/109 lautet:

„Ziel dieser Richtlinie ist die Festlegung

a)

der Bedingungen, unter denen ein Mitgliedstaat einem Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig in seinem Hoheitsgebiet aufhält, die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erteilen oder entziehen kann, sowie der mit dieser Rechtsstellung verbundenen Rechte und

b)

der Bedingungen für den Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen, der die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, der ihm diese Rechtsstellung zuerkannt hat.“

7.

Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) Buchst. b bis d der Richtlinie 2003/109 sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

b)

‚langfristig Aufenthaltsberechtigter‘ jeden Drittstaatsangehörigen, der die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten im Sinne der Artikel 4 bis 7 besitzt;

c)

‚erster Mitgliedstaat‘ den Mitgliedstaat, der einem Drittstaatsangehörigen erstmals die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zuerkannt hat;

d)

‚zweiter Mitgliedstaat‘ einen anderen Mitgliedstaat als den, der einem Drittstaatsangehörigen erstmals die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zuerkannt hat … und in dem dieser langfristig Aufenthaltsberechtigte sein Aufenthaltsrecht ausübt.“

8.

In Art. 3 („Anwendungsbereich“) Abs. 1der Richtlinie 2003/109 heißt es:

„Diese Richtlinie findet auf Drittstaatsangehörige Anwendung, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten.“

9.

Kapitel II der Richtlinie 2003/109 umfasst die Art. 4 bis 13. In diesem Kapitel werden die Bedingungen für die Erteilung und den Entzug der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten, die ein Mitgliedstaat einem sich rechtmäßig in seinem Hoheitsgebiet aufhaltenden Drittstaatsangehörigen gewährt, sowie die damit verbundenen Rechte festgelegt, was zur Integration dieser Staatsangehörigen beitragen soll, um den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt gemäß den Erwägungsgründen 4 und 6 dieser Richtlinie zu fördern.

10.

Art. 12 („Ausweisungsschutz“) der Richtlinie 2003/109 bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten können nur dann gegen einen langfristig Aufenthaltsberechtigten eine Ausweisung verfügen, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt.

(3)   Bevor sie gegen einen langfristig Aufenthaltsberechtigten eine Ausweisung verfügen, berücksichtigen die Mitgliedstaaten Folgendes:

a)

Dauer des Aufenthalts in ihrem Hoheitsgebiet,

b)

Alter der betreffenden Person,

c)

Folgen für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen,

d)

Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat.

…“

11.

Kapitel III („Aufenthalt in anderen Mitgliedstaaten“) der Richtlinie 2003/109 umfasst die Art. 14 bis 23. Dieses Kapitel soll die Bedingungen für die Ausübung des Aufenthaltsrechts einer Person, die die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, in anderen Mitgliedstaaten als demjenigen, der ihr diese Rechtsstellung gewährt hat, festlegen, damit gemäß dem 18. Erwägungsgrund der Richtlinie der Binnenmarkt als Raum, in dem Freizügigkeit für jedermann gewährleistet ist, Realität wird.

12.

Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109 bestimmt:

„Ein langfristig Aufenthaltsberechtigter erwirbt das Recht, sich länger als drei Monate im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten als desjenigen, der ihm die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zuerkannt hat, aufzuhalten, sofern die in diesem Kapitel festgelegten Bedingungen erfüllt sind.“

13.

Art. 15 („Bedingungen für den Aufenthalt in einem zweiten Mitgliedstaat“) Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/109 bestimmt:

„Der langfristig Aufenthaltsberechtigte beantragt unverzüglich, spätestens jedoch drei Monate nach seiner Einreise in den zweiten Mitgliedstaat, einen Aufenthaltstitel bei den zuständigen Behörden jenes Mitgliedstaats.“

14.

Art. 22 („Entzug des Aufenthaltstitels und Verpflichtung zur Rückübernahme“) der Richtlinie 2003/109 bestimmt:

„(1)   Bis der Drittstaatsangehörige die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erlangt hat, kann der zweite Mitgliedstaat die Verlängerung des Aufenthaltstitels versagen oder den Aufenthaltstitel entziehen und die betreffende Person und ihre Familienangehörigen gemäß den Verfahren des nationalen Rechts einschließlich der Rückführungsverfahren zur Ausreise aus seinem Hoheitsgebiet verpflichten, wenn

a)

Gründe der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit im Sinne des Artikels 17 vorliegen;

b)

die Voraussetzungen der Artikel 14, 15 und 16 nicht mehr vorliegen;

c)

sich der Drittstaatsangehörige unrechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhält.

(2)   Trifft der zweite Mitgliedstaat eine der Maßnahmen nach Absatz 1, so nimmt der erste Mitgliedstaat den langfristig Aufenthaltsberechtigten und seine Familienangehörigen unverzüglich und ohne Formalitäten zurück. Der zweite Mitgliedstaat teilt dem ersten Mitgliedstaat seine Entscheidung mit.

(3)   Bis der Drittstaatsangehörige die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erlangt hat, kann der zweite Mitgliedstaat unbeschadet der Verpflichtung zur Rückübernahme nach Absatz 2 aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit die Rückführung des Drittstaatsangehörigen aus dem Gebiet der Union und unter Beachtung der Garantien des Artikels 12 verfügen.

In diesen Fällen konsultiert der zweite Mitgliedstaat beim Erlass dieser Verfügung den ersten Mitgliedstaat.

Fasst der zweite Mitgliedstaat einen Beschluss zur Rückführung des betreffenden Drittstaatsangehörigen, so trifft er alle geeigneten Maßnahmen, um den Beschluss tatsächlich durchzuführen. In diesen Fällen übermittelt der zweite Mitgliedstaat dem ersten Mitgliedstaat geeignete Informationen bezüglich der Durchführung des Rückführungsbeschlusses.

(4)   In den in Absatz 1 Buchstaben b) und c) genannten Fällen darf die Entscheidung über die Rückführung nicht mit einem dauerhaften Aufenthaltsverbot verbunden werden.

(5)   Die in Absatz 2 genannte Verpflichtung zur Rückübernahme lässt die Möglichkeit unberührt, dass sich der langfristig Aufenthaltsberechtigte und seine Familienangehörigen in einen dritten Mitgliedstaat begeben.“

2. Richtlinie 2008/115

15.

Art. 3 der Richtlinie 2008/115 bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnen die Ausdrücke

2.

‚illegaler Aufenthalt‘: die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht oder nicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 5 [der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 ( 7 )] oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen, im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats;

3.

‚Rückkehr‘: die Rückreise von Drittstaatsangehörigen – in freiwilliger Erfüllung einer Rückkehrverpflichtung oder erzwungener Rückführung – in

deren Herkunftsland oder

ein Transitland gemäß gemeinschaftlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder

ein anderes Drittland, in das der betreffende Drittstaatsangehörige freiwillig zurückkehren will und in dem er aufgenommen wird;

4.

‚Rückkehrentscheidung‘: die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme[,] mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird;

5.

‚Abschiebung‘: die Vollstreckung der Rückkehrverpflichtung, d. h. die tatsächliche Verbringung aus dem Mitgliedstaat;

6.

‚Einreiseverbot‘: die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht;

8.

‚freiwillige Ausreise‘: die Erfüllung der Rückkehrverpflichtung innerhalb der dafür in der Rückkehrentscheidung gesetzten Frist;

…“

16.

In Art. 6 der Richtlinie 2008/115, der Rückkehrentscheidungen zur Beendigung eines illegalen Aufenthalts betrifft, heißt es:

„(1)   Unbeschadet der Ausnahmen nach den Absätzen 2 bis 5 erlassen die Mitgliedstaaten gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung.

(2)   Drittstaatsangehörige, die sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten und Inhaber eines gültigen Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaats sind, sind zu verpflichten, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaats zu begeben. Kommen die betreffenden Drittstaatsangehörigen dieser Verpflichtung nicht nach, oder ist die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit geboten, so findet Absatz 1 Anwendung.

…“

B.   Finnisches Recht

17.

Voraussetzung für die Einreise nach Finnland ist nach § 11 Abs. 1 Ulkomaalaislaki 301/2004 (Ausländergesetz) vom 30. April 2004, dass ein Ausländer keinem Einreiseverbot unterliegt (Nr. 4) und er nicht als Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit angesehen wird (Nr. 5).

18.

Nach Art. 149b dieses Gesetzes ist ein Drittstaatsangehöriger, der sich illegal im Land aufhält oder dessen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt worden ist und der Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat erteilten gültigen Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung ist, zu verpflichten, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaats zu begeben. Kommt der Drittstaatsangehörige dieser Verpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit geboten, wird seine Abschiebung angeordnet.

III. Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

19.

Der Sachverhalt gliedert sich in zwei unterschiedliche Zeitabschnitte.

20.

Der erste Zeitabschnitt umfasst den Zeitraum, bevor die Republik Estland dem Betroffenen, der russischer Staatsangehöriger ist und einen gültigen Reisepass besitzt, am 12. Juli 2019 die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zuerkannte.

21.

In diesem Zeitraum begab er sich mehrfach in finnisches Hoheitsgebiet, wo gegen ihn vier Entscheidungen (vom 9. Februar 2017, vom 16. März 2017, vom 26. November 2018 und schließlich vom 8. Juli 2019) über die Ausweisung nach Estland ergingen. Diese Entscheidungen wurden erlassen, nachdem der Betroffene mehrere Straftaten begangen hatte; im Einzelnen schwere Trunkenheit im Verkehr, Fahren ohne Fahrerlaubnis und schließlich Verstoß gegen ein Einreiseverbot. Er ist außerdem des schweren Diebstahls sowie der Fälschung von Identitätsdokumenten verdächtig. Aufgrund der Art und der Wiederholung seiner kriminellen Aktivitäten stuften die zuständigen nationalen Behörden den Betroffenen als eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und die öffentliche Sicherheit ein, weshalb drei dieser Entscheidungen mit einem Einreiseverbot in das Hoheitsgebiet Finnlands verbunden wurden.

22.

Der zweite Zeitabschnitt umfasst den Zeitraum, in dem die Republik Estland dem Betroffenen die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten und ein damit verbundenes Aufenthaltsrecht für fünf Jahre, d. h. vom 12. Juli 2019 bis zum 12. Juli 2024, erteilt hat. Diese Rechtsstellung wurde demnach zu einem Zeitpunkt erteilt, als der finnische Staat bereits ein gültiges Einreiseverbot gegen diese Person verhängt hatte ( 8 ).

23.

Nach einer umfassenden Beurteilung der Situation des Betroffenen – deren Einzelheiten in der dem Gerichtshof vorliegenden nationalen Akte enthalten sind – gestattete die Behörde ihm am 19. November 2019 nicht, freiwillig nach Estland zurückzukehren, und erließ die streitige Entscheidung ( 9 ). Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die streitige Entscheidung die Verpflichtung enthält, den Betroffenen in sein Herkunftsland, die Russische Föderation, abzuschieben, und dass sie mit einem Einreiseverbot für den gesamten Schengen-Raum für einen Zeitraum von vier Jahren verbunden ist, da der Betroffene eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und die öffentliche Sicherheit darstelle. Diese Entscheidung wurde auf Grundlage der Richtlinie 2008/115 erlassen, da die Behörde der Ansicht war, dass EP sich im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie „illegal“ im nationalen Hoheitsgebiet aufhalte, weil er sich unter Verstoß gegen die zuvor gegen ihn verhängten Einreiseverbote in dieses Gebiet begeben habe. Ich stelle bereits jetzt klar, dass eine solche Entscheidung meiner Ansicht nach als „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie anzusehen ist. Die Rückkehr wird nämlich in Art. 3 Nr. 3 der Richtlinie definiert als Vorgang, durch den sich ein Drittstaatsangehöriger in ein Drittland, ein Transitland oder zurück in sein Herkunftsland, d. h. außerhalb des Hoheitsgebiets der Union, begeben muss.

24.

Aus der nationalen Akte geht außerdem hervor, dass die Behörde am selben Tag, dem 19. November 2019, das Konsultationsverfahren nach Art. 25 Abs. 2 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen ( 10 ) mit der Republik Estland einleitete, in dessen Rahmen dieser Mitgliedstaat um Stellungnahme zu einer möglichen Einziehung der langfristigen Aufenthaltsberechtigung des Betroffenen ersucht wurde. Am 9. Dezember 2019 teilte die Republik Estland mit, dass diese Berechtigung nicht eingezogen werde. Angesichts dessen wandelte die Behörde das Einreiseverbot für den gesamten Schengen-Raum in ein rein nationales Einreiseverbot nach Art. 25 Abs. 2 Unterabs. 2 des Übereinkommens um ( 11 ).

25.

Die Abschiebung von EP in die Russische Föderation wurde am 24. März 2020 vollzogen. Am 8. August 2020 und am 16. November 2020 reiste EP erneut nach Finnland ein, von wo aus er nach Estland abgeschoben wurde.

26.

Nachdem die Beschwerde des Rechtsmittelführers gegen die streitige Entscheidung vom Helsingin hallinto-oikeus (Verwaltungsgericht Helsinki, Finnland) zurückgewiesen worden war, rief er das Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht) an, um die Aufhebung dieser Entscheidung zu erreichen.

27.

In Anbetracht des sachlichen Kontexts der vorliegenden Rechtssache und insbesondere der Rechtsstellung von EP als langfristig Aufenthaltsberechtigter in Estland fragt sich das vorlegende Gericht, ob die Behörde nicht verpflichtet gewesen sei, beim Erlass der streitigen Entscheidung die in der Richtlinie 2003/109 festgelegten Maßnahmen für einen verstärkten Ausweisungsschutz umzusetzen.

28.

Erstens ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109 nicht eindeutig entnommen werden könne, ob eine Situation wie die vorliegende in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie falle. Der Aufenthalt von EP in Estland sei zwar rechtmäßig, da er sich auf seine von diesem Mitgliedstaat verliehene Rechtsstellung als langfristig Aufenthaltsberechtigter stütze, dagegen gelte dies nicht für seinen Aufenthalt in Finnland, da er keinen Aufenthaltstitel nach Kapitel III der Richtlinie beantragt habe und ihm die Einreise in diesen Mitgliedstaat untersagt worden sei.

29.

Zweitens ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass das Ausländergesetz keine ausdrücklichen Bestimmungen zur Umsetzung von Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 2003/109 enthalte, was die Ausweisung eines Drittstaatsangehörigen, dem ein anderer Mitgliedstaat eine langfristige Aufenthaltsberechtigung erteilt habe, aus Finnland in ein Gebiet außerhalb der Europäischen Union angehe. Es stelle sich daher die Frage, ob Art. 12 Abs. 1 und 3 sowie Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie inhaltlich dergestalt unbedingt und hinreichend genau im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs seien, dass sich ein Drittstaatsangehöriger gegenüber einem Mitgliedstaat auf diese Bestimmungen berufen könne.

30.

Unter diesen Umständen hat das Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Gilt für die Ausweisung einer Person, die während der Geltung eines gegen sie verhängten Einreiseverbots in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eingereist und deren Aufenthalt in dem Mitgliedstaat daher nach nationalem Recht illegal gewesen ist und die in diesem Mitgliedstaat keinen Aufenthaltstitel beantragt hat, aus dem Gebiet der Europäischen Union die Richtlinie 2003/109, wenn der Person in einem anderen Mitgliedstaat eine langfristige Aufenthaltsberechtigung für Drittstaatsangehörige erteilt worden ist?

Falls die erste Frage bejaht wird:

2.

Sind Art. 12 Abs. 1 und 3 und Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 2003/109 inhaltlich dergestalt unbedingt und hinreichend genau, dass sich ein Drittstaatsangehöriger gegenüber einem Mitgliedstaat auf sie berufen kann?

31.

Schriftliche Erklärungen haben die finnische Regierung und die Kommission eingereicht.

IV. Würdigung

32.

Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 2003/109, wonach ein Drittstaatsangehöriger, der in einem ersten Mitgliedstaat die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, im zweiten Mitgliedstaat einen verstärkten Ausweisungsschutz nach Art. 12 dieser Richtlinie genießt, anwendbar ist, wenn sich dieser Staatsangehörige unter Missachtung eines aus Gründen der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit gegen ihn verhängten Einreiseverbots in das Hoheitsgebiet des letztgenannten Mitgliedstaats begeben hat.

33.

Bevor ich mit der Prüfung des Wortlauts von Art. 22 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/109 sowie der Systematik und des Zwecks von Kapitel III der Richtlinie, in welches sich dieser Artikel einfügt, beginne, sind zunächst die jeweiligen Anwendungsbereiche der Richtlinien 2008/115 und 2003/109 näher zu erläutern.

A.   Die jeweiligen Anwendungsbereiche der Richtlinien 2008/115 und 2003/109

34.

Sowohl aus der Überschrift als auch aus dem Wortlaut von Art. 1 geht hervor, dass die Richtlinie 2008/115 gemeinsame Normen und Verfahren festlegt, die in den Mitgliedstaaten bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger anzuwenden sind.

35.

So geht aus Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie unmissverständlich hervor, dass sie auf „illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige“ Anwendung findet ( 12 ).

36.

Der Begriff „illegaler Aufenthalt“ wird in Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie 2008/115 definiert als „die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht oder nicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 5 [der Verordnung Nr. 562/2006 ( 13 )] oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen, im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats“. Sofern sich ein Drittstaatsangehöriger, der sich unter Missachtung eines gegen ihn verhängten Einreiseverbots in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats begibt, tatsächlich in diesem Hoheitsgebiet befindet, ist er schon allein deswegen dort im Sinne von Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie illegal aufhältig und fällt gemäß Art. 2 der Richtlinie in deren Anwendungsbereich ( 14 ). Art. 6 der Richtlinie 2008/115 legt sodann die Normen und das Verfahren für die „Rückkehrentscheidung“ fest, mit der der Drittstaatsangehörige verpflichtet wird, entweder freiwillig oder gezwungenermaßen insbesondere in sein Herkunftsland zurückzukehren ( 15 ). Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie enthält besondere Bestimmungen für Drittstaatsangehörige, die Inhaber eines gültigen Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaats sind.

37.

Gleichwohl geht aus Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 hervor, dass von dieser Richtlinie „jede im gemeinschaftlichen Besitzstand auf dem Gebiet Asyl und Einwanderung festgelegte Bestimmung, die für Drittstaatsangehörige günstiger sein kann[, unberührt bleibt]“. Wie der Gerichtshof festgestellt hat, hat die Richtlinie nämlich nicht zum Ziel, die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Aufenthalt von Ausländern insgesamt zu harmonisieren ( 16 ).

38.

In dieser Hinsicht besteht kein Zweifel daran, dass die Vorschriften der Richtlinie 2003/109 unter diesen Besitzstand fallen und günstigere Bestimmungen für langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige enthalten, indem sie ihnen einen verstärkten Ausweisungsschutz und ein Rückübernahmeverfahren zwischen Mitgliedstaaten in bestimmten Fällen der Mobilität innerhalb der Union gewähren. Wie die Kommission in ihrem Rückkehr-Handbuch betont, stellt die Richtlinie 2003/109 eine lex specialis dar, „die in den von de[r] genannten Richtlini[e] abgedeckten Fällen vorrangig anzuwenden [ist]“ ( 17 ).

39.

Der Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/109 ist in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie festgelegt, wonach sie „auf Drittstaatsangehörige Anwendung findet, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten“. Solange ein Drittstaatsangehöriger in einem Mitgliedstaat die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten genießt, die zudem durch den entsprechenden Aufenthaltstitel belegt wird, und solange diese Rechtsstellung nicht förmlich entzogen wurde, hält er sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats auf. Im vorliegenden Fall fällt EP in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie und darf daher in Estland die mit seiner Rechtsstellung als langfristig Aufenthaltsberechtigter verbundenen Rechte genießen, die in Kapitel II der Richtlinie aufgeführt sind, darunter das Recht auf verstärkten Ausweisungsschutz nach Art. 12 der Richtlinie ( 18 ).

40.

Die Bedingungen für den Aufenthalt des Drittstaatstaatsangehörigen in anderen Mitgliedstaaten als dem, der ihm diese Rechtsstellung gewährt hat, sind dagegen in Kapitel III der Richtlinie 2003/109 geregelt. Allerdings betrifft keine dieser Bedingungen einen Fall wie den vorliegend in Rede stehenden, in dem ein Drittstaatsangehöriger, der sich langfristig in einem ersten Mitgliedstaat aufhält, in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet er sich unter Missachtung eines gegen ihn aus Gründen der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit verhängtes Einreiseverbot begibt, kein abgeleitetes Aufenthaltsrecht besitzt

41.

Diese Beurteilung beruht sowohl auf einer Untersuchung des Wortlauts von Art. 22 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/109 als auch auf einer systemischen, kontextuellen und teleologischen Analyse dieser Richtlinie.

B.   Wortlaut von Art. 22 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/109

42.

Art. 22 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/109 legt folgenden Grundsatz fest: „Bis der Drittstaatsangehörige[ ( 19 )] die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erlangt hat, kann der zweite Mitgliedstaat unbeschadet der Verpflichtung zur Rückübernahme nach Absatz 2[ ( 20 )] aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit die Rückführung des Drittstaatsangehörigen aus dem Gebiet der Union und unter Beachtung der Garantien des Artikels 12 verfügen.“

43.

Die Verwendung der Konjunktion „bis“ in der Formulierung „[b]is der Drittstaatsangehörige die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erlangt hat“ lässt es nicht zu, den persönlichen Anwendungsbereich von Art. 22 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/109 genau zu bestimmen.

44.

Zwar zeugt diese Formulierung von der klaren Absicht des Unionsgesetzgebers, vom Anwendungsbereich dieser Bestimmung einen Drittstaatsangehörigen auszuschließen, der in einem ersten Mitgliedstaat die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten genießt und diese Rechtsstellung im zweiten Mitgliedstaat erlangt ( 21 ). Allerdings lässt sich aus dieser Formulierung nicht ableiten, ab wann der Drittstaatsangehörige diesen Schutz im Hoheitsgebiet des anderen Mitgliedstaats in Anspruch nehmen kann: Genügt es, dass der Drittstaatsangehörige in einem ersten Mitgliedstaat langfristig aufenthaltsberechtigt ist, und zwar unabhängig von der Dauer und den Modalitäten seines Aufenthalts im Hoheitsgebiet des anderen Mitgliedstaats, oder muss er in diesem letztgenannten Mitgliedstaat einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt haben oder diesen innehaben?

45.

Ich denke, dass auch der persönliche Anwendungsbereich von Art. 22 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie in diesem Sinne auszulegen ist.

46.

Erstens bezieht sich der Unionsgesetzgeber im Wortlaut dieser Bestimmung selbst auf die Verpflichtungen des „zweiten Mitgliedstaats“. Dieser Begriff bezeichnet nach der Definition in Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2003/109 „einen anderen Mitgliedstaat als den, der einem Drittstaatsangehörigen erstmals die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zuerkannt hat, und in dem dieser langfristig Aufenthaltsberechtigte sein Aufenthaltsrecht ausübt“ ( 22 ). Die Verwendung des Präsens („ausübt“) und nicht des Konjunktivs („ausüben würde“) zeigt, dass der Drittstaatsangehörige sein abgeleitetes Aufenthaltsrecht im zweiten Mitgliedstaat tatsächlich ausüben muss. Wie aus Art. 14 Abs. 1 und dem 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/109 hervorgeht, setzt die Ausübung dieses Aufenthaltsrechts jedoch voraus, dass der Drittstaatsangehörige die in Kapitel III dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen erfüllt ( 23 ).

47.

Zweitens geht aus dem Wortlaut von Art. 22 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/109 hervor, dass die Verfügung über „die Rückführung des Drittstaatsangehörigen aus dem Gebiet der Union [aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit] und unter Beachtung der Garantien des Artikels 12“ erfolgen soll. Das bedeutet, dass der Drittstaatsangehörige nur ausgewiesen werden kann, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt, dass die Ausweisungsverfügung nicht auf wirtschaftlichen Überlegungen beruhen darf und dass die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats, bevor sie eine solche Verfügung erlassen, die Dauer des Aufenthalts der betreffenden Person im Hoheitsgebiet dieses Staates, ihr Alter, die Folgen einer Ausweisung für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen sowie ihre Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen haben ( 24 ). Folglich beruht die Gewährung dieses erheblich verstärkten Schutzniveaus gegen Ausweisung auf objektiven Rechtfertigungen, die mit dem Grad der Integration des langfristig Aufenthaltsberechtigten zusammenhängen – im ersten betroffenen Mitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsstellung als langfristig Aufenthaltsberechtigter (Art. 12 der Richtlinie 2003/109) und im zweiten Mitgliedstaat aufgrund der Ausübung des abgeleiteten Aufenthaltsrechts, das er aus seiner Rechtsstellung ableitet (Art. 22 dieser Richtlinie). In Bezug auf einen langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen, der in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet er sich begibt, wegen eines aus Gründen der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit gegen ihn verhängten Einreiseverbots nicht über ein solches abgeleitetes Aufenthaltsrecht verfügt, lässt sich ein solcher Schutz daher nicht rechtfertigen.

48.

Diese Auslegung wird durch die Systematik und den Zweck der Bestimmungen in Kapitel III der Richtlinie 2003/109 gestützt.

C.   Systematik und Zweck von Kapitel III der Richtlinie 2003/109

49.

Wie aus seiner Überschrift hervorgeht, soll Kapitel III der Richtlinie 2003/109 die Bedingungen festlegen, unter denen ein Drittstaatsangehöriger, der die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, das Recht hat, sich in anderen Mitgliedstaaten als demjenigen, der ihm diese Rechtsstellung gewährt hat, aufzuhalten, um dazu beizutragen, dass der Binnenmarkt als Raum, in dem Freizügigkeit für jedermann gewährleistet ist, Realität wird ( 25 ). Dieses Kapitel sieht ein abgestuftes System in Bezug auf das Recht dieses Drittstaatsangehörigen in anderen Mitgliedstaaten vor, das durch die Gewährung der betreffenden Rechtsstellung in einem dieser Staaten zu einem langfristigen Aufenthaltsrecht führen kann.

50.

Das Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten ( 26 ), das im zweiten Mitgliedstaat gewährt wird, ist ein abgeleitetes Recht der im ersten Mitgliedstaat erlangten Rechtsstellung des langfristig Aufenthaltsberechtigten. Gerade weil ein erster Mitgliedstaat der betreffenden Person diese Rechtsstellung gemäß Art. 4 der Richtlinie 2003/109 zuerkannt hat, kann ein zweiter Mitgliedstaat dieses abgeleitete Aufenthaltsrecht verbriefen, indem er ihr gemäß Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie einen Aufenthaltstitel erteilt ( 27 ). Zu diesem Zweck muss der langfristig Aufenthaltsberechtigte einen Antrag gemäß Art. 15 der Richtlinie stellen, der die in den Art. 16 bis 19 der Richtlinie genannten Bedingungen erfüllt. Zu diesen Bedingungen gehört, dass er keine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt ( 28 ). Während Art. 20 der Richtlinie 2003/109 die Verfahrensgarantien festlegt, die dem langfristig Aufenthaltsberechtigten im Fall der Versagung seines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gewährt werden müssen, regelt Art. 21 der Richtlinie die ihm im Fall der Gewährung vom zweiten Mitgliedstaat zuteilzuwerdende Behandlung.

51.

In der logischen Folge dieser Bestimmungen steht Art. 22 der Richtlinie 2003/109 mit der unmissverständlichen Überschrift „Entzug des Aufenthaltstitels und Verpflichtung zur Rückübernahme“. Die Kommission führt in ihrem Bericht über die Anwendung der Richtlinie 2003/109 aus, dass dieser Artikel die Bedingungen festlegt, unter denen der zweite Mitgliedstaat eine Ausweisungsverfügung gegen einen langfristig Aufenthaltsberechtigten erlassen kann, der in diesem Mitgliedstaat über einen Aufenthaltstitel verfügt, aber noch nicht die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten ( 29 ) nach Art. 23 der Richtlinie erlangt hat.

52.

Art. 22 der Richtlinie 2003/109 erfasst also eindeutig einen langfristig Aufenthaltsberechtigten, der sich durch die Ausübung des abgeleiteten Aufenthaltsrechts, das er auf seine Rechtsstellung stützt, in einen echten Integrationsprozess im zweiten Mitgliedstaat begeben hat. Abs. 3 des Artikels zielt darauf ab, die Wirksamkeit dieses Aufenthaltsrechts zu gewährleisten, indem er den zweiten Mitgliedstaat verpflichtet, dem langfristig Aufenthaltsberechtigten einen verstärkten Ausweisungsschutz zu gewähren, wenn er eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder öffentliche Sicherheit darstellt, und zwar nach dem Vorbild des Schutzes, den er aufgrund seiner Rechtsstellung im ersten Mitgliedstaat genießt.

53.

In einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden hat ein langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger aufgrund der Rechtswirkungen eines gegen ihn verhängten Einreiseverbots jedoch kein Recht auf Einreise in den betreffenden Mitgliedstaat. Erst recht kann er aufgrund der Gefahr, die er für die öffentliche Ordnung und die öffentliche Sicherheit darstellt, nach Art. 17 der Richtlinie 2003/109 keinen abgeleiteten Aufenthaltstitel in diesem Mitgliedstaat erhalten. Unter diesen Umständen bin ich der Ansicht, dass er nicht in den Genuss des in Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie vorgesehenen erheblich erhöhten Schutzniveaus gegen Ausweisung kommen kann.

54.

Eine solche Auslegung scheint mir mit dem Zweck der Richtlinie 2003/109 in Einklang zu stehen. Wie aus den Erwägungsgründen 4, 6 und 12 der Richtlinie hervorgeht, sollte die Rechtsstellung des langfristig Aufenthaltsberechtigten nämlich ein echtes Instrument zur Integration in die Gesellschaft, in der der Drittstaatsangehörige lebt, darstellen, wobei diese Integration im Übrigen ein Schlüsselelement zur Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts, eines grundlegenden Ziels der Union, darstellt ( 30 ). Darüber hinaus erinnere ich daran, dass nach dem 18. Erwägungsgrund der Richtlinie das Recht des langfristig Aufenthaltsberechtigten auf Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem, der ihm seine Rechtsstellung gewährt hat, zur tatsächlichen Verwirklichung des Binnenmarkts als Raum, in dem die Freizügigkeit für jedermann gewährleistet ist, beitragen soll.

55.

Es liegt jedoch auf der Hand, dass in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Situation die Gewährung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten durch die estnischen Behörden es dem Betroffenen nicht ermöglichen kann, sich gegenüber den finnischen Behörden auf das in Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie vorgesehene, erheblich verbesserte Schutzniveau gegen Ausweisung zu berufen, obwohl er sich unter grober Missachtung eines gegen ihn aus Gründen der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit verhängten Einreiseverbots in das Hoheitsgebiet Finnlands begeben hat und daher nicht über ein Aufenthaltsrecht in diesem Mitgliedstaat verfügt. Wenn dies der Fall wäre, würde dies darauf hinauslaufen, dass sowohl das durch die Richtlinie 2003/109 eingeführte System, wonach der Drittstaatsangehörige Rechte und Vorteile genießt, die von seiner Integration in die Gesellschaft sowohl des ersten als auch des zweiten Mitgliedstaats abhängen, als auch die mit den von einem Mitgliedstaat verhängten Einreiseverboten verbundenen Rechtswirkungen missachtet würden.

56.

Nach alledem bin ich der Auffassung, dass Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 2003/109 dahin auszulegen ist, dass er nicht für einen Drittstaatsangehörigen gilt, der zwar in einem ersten Mitgliedstaat die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, aber kein Aufenthaltsrecht in dem Mitgliedstaat hat, in dessen Hoheitsgebiet er sich unter Missachtung eines aus Gründen der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit gegen ihn verhängten Einreiseverbots begibt.

57.

Dieser Drittstaatsangehörige behält das Recht, die aus seiner langfristigen Aufenthaltsberechtigung abgeleiteten Rechte geltend zu machen, indem er sich dann in das Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats begibt.

58.

Der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Drittstaatsangehörige befindet, muss demnach das in der Richtlinie 2008/115, speziell in Art. 6 Abs. 2, vorgesehene Rückkehrverfahren anwenden.

59.

Ich möchte nämlich daran erinnern, dass Art. 6 dieser Richtlinie die Normen und das Verfahren für Entscheidungen über die Rückführung eines sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältigen Drittstaatsangehörigen festlegen soll. Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 betrifft die besondere Situation, in der dieser Drittstaatsangehörige über einen gültigen Aufenthaltstitel oder eine andere Erlaubnis, die ein Aufenthaltsrecht verleiht, verfügt, die von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wurden. Nach dieser Bestimmung muss der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Drittstaatsangehörige illegal aufhält, nur dann eine Rückkehrentscheidung erlassen, wenn die betreffende Person es ablehnt, sich unverzüglich in den Mitgliedstaat zu begeben, der ihm den Aufenthaltstitel erteilt hat, oder wenn die sofortige Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit erforderlich ist ( 31 ).

V. Ergebnis

60.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die erste Vorlagefrage des Korkein hallinto-oikeus (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Finnland) wie folgt zu beantworten:

Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen in der durch die Richtlinie 2011/51/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2011 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

er nicht für einen Drittstaatsangehörigen gilt, der in einem ersten Mitgliedstaat die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, aber kein Aufenthaltsrecht in dem Mitgliedstaat hat, in dessen Hoheitsgebiet er sich unter Missachtung eines aus Gründen der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit gegen ihn verhängten Einreiseverbots begibt;

der Drittstaatsangehörige die Möglichkeit behält, die aus seinem langfristigen Aufenthaltsrecht abgeleiteten Rechte geltend zu machen, indem er sich dann in das Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats begibt.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) Richtlinie des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44) in der durch die Richtlinie 2011/51/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2011 (ABl. 2011, L 132, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2003/109).

( 3 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98).

( 4 ) Der vorliegende Fall knüpft an den dem Urteil vom 16. Januar 2018, E (C‑240/17, EU:C:2018:8), zugrunde liegenden ähnlichen Fall an, in dem der betroffene Drittstaatsangehörige im Besitz eines gültigen, in Spanien erteilten Aufenthaltstitels war, als die finnischen Behörden gegen ihn eine Rückkehrentscheidung in sein Herkunftsland und ein Einreiseverbot in den Schengen-Raum erließen.

( 5 ) Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates, vorgelegt am 27. April 2022, betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (COM[2022] 650 final).

( 6 ) Die Kommission betont insbesondere, dass die Neufassung der Richtlinie 2003/109 „den durch die Richtlinie [2008/115] eingeführten gemeinsamen Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger“ Rechnung tragen sollte (21. Erwägungsgrund), und schlägt daher vor, ausdrücklich auf letztere Richtlinie zu verweisen, wodurch eine bessere Unterscheidung zwischen dem Anwendungsbereich der beiden Gesetzestexte möglich wäre.

( 7 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. 2006, L 105, S. 1). Diese Verordnung wurde durch die Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. 2016, L 77, S. 1) aufgehoben und ersetzt.

( 8 ) Nach Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 waren die estnischen Behörden verpflichtet, die finnischen Behörden zu konsultieren, um deren Interessen zu berücksichtigen, bevor sie die in Frage stehende Rechtsstellung erteilten.

( 9 ) Im Urteil vom 16. Januar 2018, E (C‑240/17, EU:C:2018:8, Rn. 46), hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Drittstaatsangehöriger, der über einen von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Aufenthaltstitel verfügt, in die Lage versetzt werden muss, in den Mitgliedstaat auszureisen, der ihm den Aufenthaltstitel erteilt hat, statt von vornherein in sein Herkunftsland zurückkehren zu müssen, es sei denn, die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit erfordern dies.

( 10 ) Übereinkommen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, das am 19. Juni 1990 in Schengen unterzeichnet wurde und am 26. März 1995 in Kraft trat (ABl. 2000, L 239, S. 19).

( 11 ) Vgl. auch Urteil vom 16. Januar 2018, E (C‑240/17, EU:C:2018:8, Rn. 58).

( 12 ) In Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 sind zwar die Gründe aufgeführt, aus denen die Mitgliedstaaten beschließen können, einen illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen, doch ist festzustellen, dass der Besitz eines in einem anderen Mitgliedstaat gültigen Aufenthaltstitels nicht zu diesen Gründen gehört.

( 13 ) Siehe Nr. 7 der vorliegenden Schlussanträge.

( 14 ) Vgl. Urteil vom 7. Juni 2016, Affum (C‑47/15, EU:C:2016:408, Rn. 48).

( 15 ) Vgl. Art. 3 Nrn. 3 und 4 der Richtlinie 2008/115.

( 16 ) Vgl. Urteil vom 8. Mai 2018, K. A. u. a. (Familienzusammenführung in Belgien) (C‑82/16, EU:C:2018:308, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 17 ) Vgl. Abschnitt 5.8 des Rückkehr-Handbuchs, das im Anhang der Empfehlung (EU) 2017/2338 der Kommission vom 16. November 2017 für ein gemeinsames „Rückkehr-Handbuch“, das von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben heranzuziehen ist (ABl. 2017, L 339, S. 83), enthalten ist. Wie in Abschnitt 2 der Empfehlung dargelegt, stellt das Handbuch das wichtigste Instrument für die Behörden der Mitgliedstaaten dar, die für die Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben zuständig sind.

( 18 ) Vgl. auch 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/109.

( 19 ) Hervorhebung nur hier. Die französische Sprachfassung dieser Bestimmung verwendet den Ausdruck „résident de pays tiers“, während sie sich in Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie auf „ressortissant d'un pays tiers“ bezieht. In anderen Sprachfassungen wird in jedem der beiden Absätze ein und derselbe Ausdruck verwendet, wie etwa in der spanischen („el nacional de un tercer país“), der deutschen („der Drittstaatsangehörige“), der englischen („the third-country national“), der italienischen („il cittadino di un paese terzo“) oder der slowenischen („državljan tretje države“) Sprachfassung.

( 20 ) Die Kommission hat in ihrem Bericht an das Europäische Parlament und den Rat über die Anwendung der [Richtlinie 2003/109] vom 28. September 2011 (KOM[2011] 585 endgültig) betont, dass „die [Richtlinie 2008/115] … Auswirkungen auf Artikel 22 Absatz 2 und 3 [hatte], da gemäß Artikel 6 dieser Richtlinie Drittstaatsangehörige, die sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten und Inhaber eines gültigen Aufenthaltstitels eines anderen Mitgliedstaats sind, zu verpflichten sind, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaats zu begeben. Nur wenn der betreffende Drittstaatsangehörige dieser Verpflichtung nicht nachkommt, kann der Mitgliedstaat eine Rückkehrentscheidung erlassen“ (Punkt 3.9).

( 21 ) Letzterer genießt den mit der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten verbundenen Schutz, den Art. 12 der Richtlinie 2003/109 vorsieht.

( 22 ) Hervorhebung nur hier.

( 23 ) Vgl. meine Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen Stadt Frankfurt am Main und Stadt Offenbach am Main (Verlängerung eines Aufenthaltstitels im zweiten Mitgliedstaat) (C‑829/21 und C‑129/22, EU:C:2023:244, Nrn. 40 und 41), sowie Urteil vom 29. Juni 2023, Stadt Frankfurt am Main und Stadt Offenbach am Main (Verlängerung eines Aufenthaltstitels im zweiten Mitgliedstaat) (C‑829/21 und C‑129/22, EU:C:2023:525, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 24 ) Vgl. Urteil vom 9. Februar 2023, Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid u. a. (Entzug des Aufenthaltsrechts eines türkischen Arbeitnehmers) (C‑402/21, EU:C:2023:77, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 25 ) Vgl. 18. Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/109.

( 26 ) Vgl. Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109.

( 27 ) Vgl. meine Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen Stadt Frankfurt am Main und Stadt Offenbach am Main (Verlängerung eines Aufenthaltstitels im zweiten Mitgliedstaat) (C‑829/21 und C‑129/22, EU:C:2023:244, Nrn. 40 und 41), sowie Urteil vom 29. Juni 2023, Stadt Frankfurt am Main und Stadt Offenbach am Main (Verlängerung eines Aufenthaltstitels im zweiten Mitgliedstaat) (C‑829/21 und C‑129/22, EU:C:2023:525, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 28 ) Wie der Unionsgesetzgeber im 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/109 betont, sollte der Mitgliedstaat, in dem der langfristig Aufenthaltsberechtigte sein Aufenthaltsrecht ausüben möchte, überprüfen können, ob diese Person die Voraussetzungen erfüllt, um sich in seinem Hoheitsgebiet aufzuhalten, und ob sie keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die öffentliche Gesundheit darstellt.

( 29 ) Siehe den in Fn. 20 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Bericht, Punkt. 3.9.

( 30 ) Aus dem 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/109 geht hervor, dass der Unionsgesetzgeber, um die Wirksamkeit dieses abgeleiteten Aufenthaltsrechts zu gewährleisten, vom zweiten Mitgliedstaat verlangt, dem langfristig Aufenthaltsberechtigten die gleiche Behandlung zu garantieren, die ihm im ersten Mitgliedstaat gewährt wird. Vgl. auch Urteil vom 4. Juni 2015, P und S (C‑579/13, EU:C:2015:369, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 31 ) Vgl. hierzu Urteil vom 16. Januar 2018, E (C‑240/17, EU:C:2018:8, Rn. 45), und Beschluss vom 26. April 2023, Migrationsverket (C‑629/22, EU:C:2023:365, Rn. 20, 22 und 33 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

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