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Document 62022CC0252

    Schlussanträge der Generalanwältin L. Medina vom 13. Juli 2023.
    Societatea Civilă Profesională de Avocaţi AB & CD gegen Consiliul Judeţean Suceava u. a.
    Vorabentscheidungsersuchen der Curtea de Apel Târgu-Mureş.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Übereinkommen von Aarhus – Art. 9 Abs. 3 bis 5 – Zugang zu Gerichten – Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts – Rechtsbehelf zur Anfechtung von Verwaltungshandlungen – Zulässigkeit – Voraussetzungen nach nationalem Recht – Keine Beeinträchtigung der Rechte und berechtigten Interessen – Nicht übermäßig teure Gerichtsverfahren – Kostenverteilung – Kriterien.
    Rechtssache C-252/22.

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:592

     SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

    LAILA MEDINA

    vom 13. Juli 2023 ( 1 )

    Rechtssache C‑252/22

    Societatea Civilă Profesională de Avocaţi AB & CD

    gegen

    Consiliul Judeţean Suceava,

    Preşedintele Consiliului Judeţean Suceava,

    Agenţia pentru Protecţia Mediului Bacău,

    Consiliul Local al Comunei Pojorâta,

    Beteiligter:

    QP

    (Vorabentscheidungsersuchen der Curtea de Apel Târgu Mureş [Berufungsgericht Târgu Mureş, Rumänien])

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Übereinkommen von Aarhus – Art. 2 Nr. 4 – Begriff ‚Öffentlichkeit‘ – Zugang zu Gerichten – Art. 9 Abs. 3 – Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts – Anerkennung der Prozessführungsbefugnis bei durch die Ausübung der Berufstätigkeit entstehenden Rechtsstreitigkeiten – Anfechtung der die Anlegung einer Deponie betreffenden Verwaltungsakte durch eine Rechtsanwaltsgesellschaft – Fehlende Verletzung von Rechten oder berechtigten Interessen – Begriff ‚nicht übermäßig teures Verfahren‘“

    1.

    Der frühere Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, bezeichnete einmal das Übereinkommen von Aarhus ( 2 ) als „das ehrgeizigste Projekt der ökologischen Demokratie, das unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen verwirklicht worden ist“ ( 3 ). Den Verfassern zufolge ist dieses Übereinkommen „mehr als ein Umweltabkommen“, da es „grundlegende Aspekte der Menschenrechte und der Demokratie anspricht, einschließlich der Transparenz, Reaktionsbereitschaft und Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der Gesellschaft“ ( 4 ). Diese Aussage trägt, wie in der wissenschaftlichen Literatur hervorgehoben wurde, zu „einem breitgefächerten Erklärungsansatz [bei], wie das Übereinkommen zu interpretieren und zu verstehen ist“ ( 5 ).

    2.

    Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen fragt die Curtea de Apel Târgu Mureş (Berufungsgericht Târgu Mureş, Rumänien; im Folgenden: vorlegendes Gericht) nach der Parteifähigkeit und der Prozessführungsbefugnis einer Anwaltssozietät, die Zugang zur Umweltgerichtsbarkeit fordert, um die Interessen ihrer Mitglieder und das Allgemeininteresse zu wahren. Die aufgeworfenen Fragen geben dem Gerichtshof erneut Gelegenheit, die Verfahrensvorschriften, die die Mitgliedstaaten bei der Einlegung von Rechtsbehelfen auf dem Gebiet des Umweltrechts der Union für Mitglieder der „Öffentlichkeit“ festlegen können, unter Berücksichtigung der Pflicht der Mitgliedstaaten zur Gewährleistung eines effektiven Umweltschutzes zu prüfen.

    I. Rechtlicher Rahmen

    Übereinkommen von Aarhus

    3.

    Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) Nr. 4 des Übereinkommens von Aarhus bestimmt, dass der Begriff „Öffentlichkeit“ Folgendes bedeutet: „eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und, in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis, deren Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen“.

    4.

    Art. 9 („Zugang zu Gerichten“) Abs. 2, 3 und 4 des Übereinkommens von Aarhus bestimmt:

    „(2)   Jede Vertragspartei stellt im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit,

    a)

    die ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ

    b)

    eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsprozessrecht einer Vertragspartei dies als Voraussetzung erfordert, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht und/oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die Artikel 6 und – sofern dies nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht vorgesehen ist und unbeschadet des Absatzes 3 – sonstige einschlägige Bestimmungen dieses Übereinkommens gelten.

    Was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung gilt, bestimmt sich nach den Erfordernissen innerstaatlichen Rechts und im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit im Rahmen dieses Übereinkommens einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Zu diesem Zweck gilt das Interesse jeder nichtstaatlichen Organisation, welche die in Artikel 2 Nummer 5 genannten Voraussetzungen erfüllt, als ausreichend im Sinne des Buchstaben a. Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die im Sinne des Buchstaben b verletzt werden können.

    (3)   Zusätzlich und unbeschadet der in den Absätzen 1 und 2 genannten Überprüfungsverfahren stellt jede Vertragspartei sicher, dass Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen.

    (4)   Zusätzlich und unbeschadet des Absatzes 1 stellen die in den Absätzen 1, 2 und 3 genannten Verfahren angemessenen und effektiven Rechtsschutz und, soweit angemessen, auch vorläufigen Rechtsschutz sicher; diese Verfahren sind fair, gerecht, zügig und nicht übermäßig teuer. Entscheidungen nach diesem Artikel werden in Schriftform getroffen oder festgehalten. …“

    Unionsrecht

    5.

    Art. 8 („Voraussetzungen für die Genehmigung“) Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 1999/31/EG des Rates ( 6 ) sieht vor:

    „Die Mitgliedstaaten treffen Maßnahmen, durch die Folgendes sichergestellt wird:

    a)

    Die zuständige Behörde erteilt nur dann eine Genehmigung für eine Deponie, wenn gewährleistet ist, dass

    i)

    das Deponievorhaben unbeschadet des Artikels 3 Absätze 4 und 5 alle maßgeblichen Anforderungen dieser Richtlinie einschließlich der Anhänge erfüllt.“

    Rumänisches Recht

    Gesetz Nr. 51/1995 über die Organisation und Ausübung des Rechtsanwaltsberufs

    6.

    Art. 5 Abs. 5 des Legea nr. 51/1995 pentru organizarea și exercitarea profesiei de avocat (Gesetz Nr. 51/1995 über die Organisation und Ausübung des Rechtsanwaltsberufs, im Folgenden: Gesetz Nr. 51/1995) sieht vor:

    „Die Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts besteht aus zwei oder mehr niedergelassenen Rechtsanwälten. Für die Gesellschaft können auch als freie Mitarbeiter tätige Rechtsanwälte oder angestellte Rechtsanwälte arbeiten. …“

    Rechtsanwaltsordnung

    7.

    Art. 196 Abs. 3 des Statutul profesiei de avocat din 3 decembrie 2011 (Rechtsanwaltsordnung vom 3. Dezember 2011, im Folgenden: Rechtsanwaltsordnung), verabschiedet von der Uniunea Națională a Barourilor din România (rumänische Rechtsanwaltskammer), bestimmt:

    „(3)   Bei durch die Ausübung der Berufstätigkeit entstehenden Rechtsstreitigkeiten kann die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Rechtsbehelfsführer oder Rechtsbehelfsgegner auftreten, auch wenn sie keine Rechtspersönlichkeit besitzt.“

    Gesetz Nr. 554/2004 über das verwaltungsgerichtliche Verfahren

    8.

    Die Legea contenciosului administrativ nr. 554/2004 (Gesetz Nr. 554/2004 über das verwaltungsgerichtliche Verfahren) sieht in Art. 1 Abs. 1 und 2 vor:

    „(1)   Jede Person, die sich durch eine Behörde aufgrund eines Verwaltungsakts oder der Nichtprüfung eines Antrags innerhalb der gesetzlichen Frist in einem ihrer Rechte oder berechtigten Interessen für verletzt hält, kann vor dem zuständigen Verwaltungsgericht Klage auf Nichtigerklärung des Verwaltungsakts, auf Anerkennung des geltend gemachten Rechts oder berechtigten Interesses und auf Ersatz des erlittenen Schadens erheben. Das berechtigte Interesse kann sowohl privat als auch öffentlich sein.

    (2)   Eine Person, deren Rechte oder berechtigte Interessen durch einen an eine andere Person gerichteten Verwaltungsakt zur Regelung eines Einzelfalls beeinträchtigt worden sind, kann vor dem Verwaltungsgericht Klage erheben.“

    9.

    Art. 2 Abs. 1 Buchst. p, r und s des Gesetzes Nr. 554/2004 über das verwaltungsgerichtliche Verfahren bestimmt:

    „(1)   Im Sinne dieses Gesetzes sind die anschließenden Begriffe und Ausdrücke wie folgt zu verstehen:

    p)

    berechtigtes privates Interesse – Zur Verwirklichung eines vorhersehbaren künftigen subjektiven Rechts bestehende Möglichkeit, ein bestimmtes Verhalten zu verlangen;

    r)

    berechtigtes öffentliches Interesse – Interesse, das die Rechtsordnung und die verfassungsmäßige Demokratie, die Gewährleistung der Grundrechte, ‑freiheiten und ‑pflichten der Bürger, die Befriedigung der Bedürfnisse der Gemeinschaft und die Wahrnehmung der Befugnisse der öffentlichen Behörden betrifft;

    s)

    betroffene soziale Organisationen – Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften, Vereinigungen, Stiftungen und dergleichen, deren Ziel es ist, die Rechte der verschiedenen Kategorien von Bürgern oder gegebenenfalls das ordnungsgemäße Funktionieren der öffentlichen Verwaltungsdienste zu schützen.“

    10.

    In Art. 8 Abs. 1bis des Gesetzes Nr. 554/2004 über das verwaltungsgerichtliche Verfahren heißt es:

    „Natürliche und juristische Personen des Privatrechts können Rechtsbehelfe zur Wahrung eines berechtigten öffentlichen Interesses nur hilfsweise einlegen, wenn die Verletzung des berechtigten öffentlichen Interesses in einem logischen Zusammenhang mit der Verletzung des subjektiven Rechts oder des berechtigten privaten Interesses steht.“

    Dringlichkeitsverordnung Nr. 195/2005 der Regierung zum Umweltschutz

    11.

    Die Ordonanța de urgență a Guvernului nr. 195/2005 privind protecția mediului (Dringlichkeitsverordnung Nr. 195/2005 der Regierung zum Umweltschutz, im Folgenden: OUG Nr. 195/2005) bestimmt in Art. 5 Buchst. d:

    „Der Staat erkennt das Recht jeder Person auf eine ‚gesunde und ökologisch ausgewogene Umwelt‘ an und garantiert insofern

    d)

    das Recht, sich in Umweltangelegenheiten direkt oder über Umweltschutzorganisationen an die Verwaltungs- und/oder Justizbehörden zu wenden, unabhängig davon, ob ein Schaden eingetreten ist.“

    12.

    In Art. 20 Abs. 5 und 6 OUG Nr. 195/2005 steht:

    „(5)   Der Zugang der Öffentlichkeit zu Gerichten erfolgt auf der Grundlage der geltenden Vorschriften.

    (6)   Nichtregierungsorganisationen zur Förderung des Umweltschutzes haben das Recht, in Umweltangelegenheiten den Rechtsweg zu beschreiten und sind in Rechtsstreitigkeiten über Umweltangelegenheiten prozessfähig.“

    II. Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

    13.

    Die Rechtsmittelführerin ist eine Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts. Sie legte beim Tribunalul Cluj (Regionalgericht Cluj, Rumänien) einen Rechtsbehelf gegen die belangten lokalen Behörden ein, mit dem sie erstens die Nichtigerklärung der Verwaltungsentscheidungen zur Genehmigung des Bauleitplans und der Baugenehmigung in Bezug auf die Deponie Pojorâta (im Folgenden: Deponie) (im Folgenden: angefochtene Verwaltungsakte) und zweitens die Beseitigung der Deponie beantragte.

    14.

    Die Rechtsmittelführerin begründete die Prozessführungsbefugnis unter Berufung auf die Interessen der drei Rechtsanwälte, die diese Sozietät bilden. Dieses Interesse bestehe im Wesentlichen in dem, was die Rechtsmittelführerin als „die starke Auswirkung“ bezeichnete, die die Deponie aufgrund der von ihr ausgelösten Irritation auf ihre Mitglieder habe. Die Rechtsmittelführerin machte außerdem geltend, sie handele zum Schutz des Allgemeininteresses der Region Bukowina und ihrer Bevölkerung. Sie erklärte, dass ihre Mitglieder die ihnen aufgrund ihres Berufs zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel einsetzten, um die Umwelt und die menschliche Gesundheit zu schützen. Zur Begründetheit der Klage hat die Rechtsmittelführerin mehrere Argumente vorgebracht, die die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte betreffen.

    15.

    Die Rechtsmittelgegner wandten ein, dass die Rechtsmittelführerin weder parteifähig noch prozessführungsbefugt sei. Zur Begründetheit der Klage trugen sie vor, dass der Bau der Deponie alle technischen Anforderungen der Richtlinie 1999/31 erfülle.

    16.

    Mit Urteil vom 7. Februar 2019 vertrat das Tribunalul Cluj (Regionalgericht Cluj) die Auffassung, dass die Rechtsanwaltsgesellschaft nach nationalem Recht rechtsfähig sei und daher auch parteifähig sein müsse. Daher wies es die Einrede zurück, soweit diese die fehlende Parteifähigkeit der Sozietät betraf. Das Tribunalul Cluj (Regionalgericht Cluj) gab dagegen der Einrede der fehlenden Prozessführungsbefugnis und des fehlenden Rechtsschutzinteresses der Rechtsanwaltssozietät statt. Es stellte insbesondere fest, dass sich ein Kläger gemäß Art. 8 Abs. 1bis des Gesetzes Nr. 554/2004 über das verwaltungsgerichtliche Verfahren nur hilfsweise auf das öffentliche Interesse berufen könne, nämlich dann, wenn die Verletzung des öffentlichen Interesses mit der Verletzung eines Rechts oder eines berechtigten privaten Interesses in einem Zusammenhang stehe. Es befand, dass im Rahmen der OUG Nr. 195/2005, die den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten regelt, zwischen Umwelt-NRO und allen anderen Personen unterschieden werden müsse. Denn im Gegensatz zu Umwelt-NRO, die in Umweltrechtsstreitigkeiten prozessführungsbefugt seien, müssten alle anderen Personen, wie die Rechtsmittelführerin des Ausgangsverfahrens, die allgemeinen Vorschriften über die Prozessführungsbefugnis befolgen, für die es auf den Nachweis der Verletzung eines Rechts oder eines berechtigten Interesses ankomme. Da die Rechtsmittelführerin einen „objektiven“ Rechtsstreit geführt habe, d. h. einen Rechtsstreit, der auf den Schutz des öffentlichen Interesses gerichtet sei, ohne die Verletzung eines Rechts oder eines berechtigten privaten Interesses geltend zu machen, gelangte das Tribunalul Cluj (Regionalgericht Cluj) zu dem Ergebnis, dass die Rechtsmittelführerin nicht prozessführungsbefugt sei.

    17.

    Die Rechtsmittelführerin und der Consiliul Judeţean Suceava (Kreisrat Suceava) haben dieses Urteil des Tribunalul Cluj (Regionalgericht Cluj) vor der Curtea de Apel Cluj (Berufungsgericht Cluj, Rumänien) angefochten. Dieses Gericht hat, nachdem es das Anschlussrechtsmittel des Bezirksrats Suceava zurückgewiesen und dem Rechtsmittel der Rechtsmittelführerin stattgegeben hatte, das angefochtene Urteil mit seiner Entscheidung Nr. 1195 vom 26. September 2019 aufgehoben und die Sache an das Tribunalul Cluj (Regionalgericht Cluj) zurückverwiesen.

    18.

    Im Rechtsmittelverfahren beantragte der Bezirksrat Suceava bei der Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof, Rumänien), die Sache an ein anderes Gericht zu verweisen. Diesem Antrag wurde stattgegeben. Die Sache wurde daraufhin an das vorlegende Gericht, die Curtea de Apel Târgu Mureș (Berufungsgericht Târgu Mureș) verwiesen. Die Stattgabe des Antrags auf Verweisung setzte das Urteil der Curtea de Apel Cluj (Berufungsgericht Cluj) automatisch außer Kraft.

    19.

    Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die Prozessführungsbefugnis in verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach allgemeiner Regel an einen „Rechtsstreit subjektiver Art“ anknüpfe, d. h. einen Rechtsstreit, in dem die Rechte oder Interessen einer Person geltend gemacht werden. Es führt aus, dass derjenige, dessen Rechte oder berechtigte Interessen verletzt worden seien, ein eigenes Interesse geltend machen müsse, das der Gesetzgeber als „berechtigtes privates Interesse“ bezeichne. Nur hilfsweise, und nachdem ein berechtigtes privates Interesse geltend gemacht worden sei, könne eine natürliche oder juristische Person oder eine interessierte Organisation einen „objektiven Rechtsstreit“ durch Einlegung eines Rechtsbehelfs zum Schutz eines berechtigten öffentlichen Interesses führen.

    20.

    Insbesondere für den Bereich des Umweltschutzes stellt das vorlegende Gericht fest, dass die OUG Nr. 195/2005 die Möglichkeit eines objektiven Rechtsstreits anerkenne. Der Personenkreis, der in erster Linie und unmittelbar ein berechtigtes öffentliches Interesse geltend machen könne, sei jedoch auf Umwelt-NRO beschränkt. Für alle anderen Mitglieder der Öffentlichkeit richte sich der Zugang zu Gerichten nach den allgemeinen Regeln für verwaltungsgerichtliche Verfahren.

    21.

    Im Ausgangsverfahren ist die Rechtsmittelführerin eine Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts, die in Bezug auf Rechtsstreitigkeiten, die sich aus der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit ergeben, nach dem Gesetz nur beschränkt parteifähig ist.

    22.

    Das vorlegende Gericht führt aus, dass die Rechtsmittelführerin die Klage im eigenen Namen erhoben habe, um die Interessen der drei Rechtsanwälte, aus denen sie bestehe, zu vertreten. In diesem Zusammenhang erläutert das vorlegende Gericht, dass seine erste Frage zwei Aspekte umfasse. Der erste Aspekt betreffe die Frage, ob die Rechtsmittelführerin als „Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 4 und Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens angesehen werden könne. Beim zweiten Aspekt gehe es darum, ob die Rechtsmittelführerin zu demselben Zweck die Rechte und Interessen der natürlichen Personen, aus denen sie bestehe, geltend machen könne.

    23.

    Für den Fall, dass der Gerichtshof in Bezug auf einen oder beide Aspekte der ersten Frage eine positive Antwort gibt, stellt das vorlegende Gericht die zweite Frage, nämlich ob Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus – ausgelegt im Licht des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz nach Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) – dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, die den Zugang einer Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts zu Gerichten vom Nachweis eines eigenen Interesses oder davon abhängig macht, dass die Einlegung des Rechtsbehelfs dem Schutz einer rechtlichen Situation dient, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem spezifischen Zweck steht, zu dem diese Gesellschaft gegründet wurde.

    24.

    Die dritte Vorlagefrage betrifft die Regel, dass das gerichtliche Verfahren nach Art. 9 Abs. 4 des Übereinkommens von Aarhus nicht übermäßig teuer sein darf. Hierzu weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass in den Art. 451 bis 453 des Codul de proecudură civilă (im Folgenden: Zivilprozessordnung) detailliert geregelt ist, worin die Kosten des Verfahrens bestehen (d. h. dem Staat zustehende Gerichtsgebühren, Anwaltshonorare, Beraterhonorare, an Zeugen zu zahlende Beträge usw.), die Verfahrenspartei, der die Kosten auferlegt werden können (d. h. die unterlegene Partei auf Antrag der obsiegenden Partei), sowie bestimmte Kriterien, anhand deren das Gericht die Anwaltshonorare unter Angabe von Gründen herabsetzen kann. Die Möglichkeit einer Herabsetzung der Honorare besteht insbesondere dann, wenn diese angesichts der Umstände der Rechtssache in einem offensichtlichen Missverhältnis zum Wert oder zur Komplexität dieser Rechtssache oder der vom Anwalt geleisteten Arbeit stehen.

    25.

    Das vorlegende Gericht bezweifelt jedoch, ob die genannten Vorschriften des nationalen Rechts ausreichende Kriterien enthalten, die es einer dem Privatrecht unterliegenden Person ermöglichen, die hohen Kosten der Prozesse, die sich aus der Nichteinhaltung der Umweltschutzvorschriften ergeben, zu beurteilen. Es weist darauf hin, dass solche Kosten eine Person davon abhalten können, in diesem Bereich einen Rechtsbehelf einzulegen.

    26.

    In diesem tatsächlichen und rechtlichen Kontext hat die Curtea de Apel Târgu Mureș (Berufungsgericht Târgu Mureș) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.

    Sind Art. 47 Abs. 1 der Charta in Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und Art. 2 Nr. 4 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus dahin auszulegen, dass der Begriff der Öffentlichkeit eine rechtliche Körperschaft wie eine Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts erfasst, die nicht zur Wahrnehmung eines Rechts oder Interesses dieser rechtlichen Körperschaft, sondern von Rechten und Interessen der natürlichen Personen – die diese Form der Berufsorganisation bildenden Rechtsanwälte – tätig wird, und dass eine solche Körperschaft einer Gruppe natürlicher Personen im Sinne von Art. 2 Nr. 4 des Übereinkommens, die über eine Vereinigung oder Organisation handelt, gleichgestellt werden kann?

    2.

    Falls die erste Frage bejaht wird: Sind im Hinblick auf die Ziele von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens und auf das Ziel eines wirksamen gerichtlichen Schutzes der durch das Unionsrecht garantierten Rechte Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens und Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta in Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift entgegenstehen, die den Zugang einer solchen Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts zu Gerichten vom Nachweis eines eigenen Interesses oder davon abhängig macht, dass die Einlegung des Rechtsbehelfs dem Schutz einer rechtlichen Situation dient, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Zweck steht, zu dem diese Organisationsform – im vorliegenden Fall eine Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts – gegründet wurde?

    3.

    Falls die erste und die zweite Frage bejaht werden oder unabhängig von der Beantwortung dieser beiden Fragen: Sind Art. 9 Abs. 3, 4 und 5 des Übereinkommens und Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta in Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV dahin auszulegen, dass die Wendung, dass der angemessene und effektive Rechtsschutz einschließlich des Erlasses einer gerichtlichen Entscheidung „nicht übermäßig teuer“ ist, Regeln und/oder Kriterien zur Begrenzung der von der unterlegenen Verfahrenspartei zu tragenden Kosten in dem Sinne voraussetzt, dass das nationale Gericht die Einhaltung der Anforderung, dass die Kosten nicht übermäßig teuer sein dürfen, unter Berücksichtigung sowohl des Interesses der Person, die ihre Rechte wahren möchte, als auch des allgemeinen Interesses am Umweltschutz sicherstellen muss?

    27.

    Der Bezirksrat Suceava, Irland, die polnische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Die Rechtsmittelführerin des Ausgangsverfahrens, der Bezirksrat Suceava, Irland und die Kommission haben in der Sitzung vom 4. Mai 2023 mündlich verhandelt.

    III. Würdigung

    Vorbemerkungen

    Rechte der Rechtsmittelführerin aus dem Unionsrecht

    28.

    In ihren schriftlichen Erklärungen hat die Kommission darauf hingewiesen, dass der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens vom Umweltrecht der Union erfasst wird. Sie stellt in diesem Zusammenhang fest, dass das Vorabentscheidungsersuchen sowohl auf die Richtlinie 1999/31 als auch auf die Richtlinie 2011/92/EU ( 7 ) verweist und dass die angefochtenen Verwaltungsakte in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen.

    29.

    Die Kommission hat jedoch, was die Klarheit des Vorabentscheidungsersuchens betrifft, einige Zweifel geäußert. Konkret hat sie geltend gemacht, dass das vorlegende Gericht weder erläutert habe, welche Rechte die Rechtsmittelführerin aus dem Unionsrecht ableite, noch, wie die„starke Auswirkung“ – die die Deponie nach Auffassung der Rechtsmittelführerin auf ihre Mitglieder habe – aus der Sicht des Unionsrechts relevant sein könne ( 8 ). Abgesehen davon, gelangt die Kommission jedoch unter Berufung auf die ständige Rechtsprechung, wonach für Fragen zum Unionsrecht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit bestehe ( 9 ), zu dem Ergebnis, dass die Fragen zulässig seien.

    30.

    Ich stimme der Kommission zu, dass das Ausgangsverfahren in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt. Zunächst ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung des von der Gemeinschaft unterzeichneten und anschließend durch den Beschluss 2005/370 genehmigten Übereinkommens von Aarhus entscheidet, dessen Bestimmungen daher Bestandteil der Rechtsordnung der Union sind ( 10 ). Weiter ergibt sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen, dass die betreffende Deponie gemäß den Anforderungen der Richtlinie 1999/31 errichtet wurde und Gegenstand einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach der Richtlinie 2011/92 war.

    31.

    Das vorlegende Gericht hat allerdings nicht dargelegt, welche Rechte die Rechtsmittelführerin aus dem Unionsrecht herleitet. Auf eine diesbezügliche Frage in der mündlichen Verhandlung hat die Rechtsmittelführerin vorgetragen, dass sie Verfahrensrechte aus dem Unionsrecht ableite, die sich aus der Richtlinie 1999/31, der Richtlinie 2001/42/EG ( 11 ) und der Richtlinie 2011/92 ergäben. In Bezug auf die Richtlinie 2001/42 hat die Rechtsmittelführerin ausgeführt, dass dem Erlass des Bauleitplans in Bezug auf die Deponie keine Umweltverträglichkeitsprüfung vorausgegangen und das Recht der Öffentlichkeit auf Information verletzt worden sei. Im Hinblick auf die Richtlinie 2011/92 hat die Rechtsmittelführerin geltend gemacht, dass zwar eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgenommen worden sei, das angewandte Verfahren jedoch fehlerhaft gewesen und das Recht der Öffentlichkeit auf Information nach Art. 11 der Richtlinie 2011/92 verletzt worden sei. Auf die Richtlinie 1999/31 ist die Rechtsmittelführerin nicht näher eingegangen.

    32.

    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Vorlagefragen nur Art. 9 Abs. 3 und 4 des Übereinkommens von Aarhus betreffen. Sodann ergibt sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen, dass die Rechtsmittelführerin in der Sache mehrere Argumente für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte vorgetragen hat, während die Rechtsmittelgegner geltend gemacht haben, dass die Deponie alle technischen Anforderungen der Richtlinie 1999/31 erfülle.

    33.

    Insoweit ist daran zu erinnern, dass die zuständigen Behörden eine Genehmigung für eine Deponie gemäß Art. 8 der Richtlinie 1999/31 nur dann erteilen, wenn gewährleistet ist, dass alle maßgeblichen Anforderungen erfüllt sind. Soweit die Klage mögliche Verstöße gegen die Verpflichtungen aus dieser Richtlinie betrifft ( 12 ), stimme ich mit der polnischen Regierung darin überein, dass für die Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens davon ausgegangen werden kann, dass die Rechtsmittelführerin u. a. eine Verletzung von Verpflichtungen aus der Richtlinie 1999/31 geltend macht. Dies sollte genügen, damit der Gerichtshof die Vorlagefragen beantworten kann, ohne die Relevanz anderer unionsrechtlicher Umweltrichtlinien näher prüfen zu müssen.

    34.

    Die Vorlagefragen sind daher aus der Perspektive des Unionsrechts insoweit relevant, als die gerichtliche Überprüfung der angefochtenen Verwaltungsakte mögliche Verstöße gegen die Verpflichtungen aus der Richtlinie 1999/31 zum Gegenstand hat. Diese Fragen werden entsprechend umformuliert ( 13 ).

    Art. 19 EUV und Art. 47 der Charta

    35.

    Mit seinen Vorlagefragen ersucht das vorlegende Gericht um eine Auslegung von Art. 2 Nr. 4 und Art. 9 Abs. 3 und 4 des Übereinkommens von Aarhus im Licht von Art. 19 EUV und Art. 47 der Charta. Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, ergibt sich jedoch die in Art. 19 Abs. 1 EUV vorgesehene Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist, auch aus Art. 47 der Charta. Unter diesen Voraussetzungen stützt sich die Prüfung der zweiten und der dritten Vorlagefrage nur auf Art. 47 der Charta, da eine gesonderte Prüfung des Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV für die Beantwortung der Fragen des vorlegenden Gerichts und für die Entscheidung über die bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten nicht erforderlich erscheint ( 14 ). Was die erste Vorlagefrage betrifft, so ist aus den Gründen, die ich im Rahmen dieser Frage erläutern werde, keine Prüfung im Hinblick auf eine dieser beiden Bestimmungen erforderlich.

    Zur ersten Frage

    36.

    Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob eine Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts in einem Verfahren, das eine Verletzung des Umweltrechts der Union zum Gegenstand hat, als Mitglied der „Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 4 des Übereinkommens von Aarhus in Verbindung mit Art. 9 Abs. 3 dieses Übereinkommens und im Licht von Art. 47 der Charta angesehen werden kann, wenn diese Rechtsanwaltsgesellschaft nicht die Verletzung eines spezifischen Rechts oder Interesses dieser rechtlichen Körperschaft, sondern von Rechten und Interessen ihrer Mitglieder geltend macht. Ferner wird gefragt, ob die natürlichen Personen, die diese Rechtsanwaltsgesellschaft bilden, nämlich die Rechtsanwälte, einer „Gruppe“ natürlicher Personen gleichgestellt werden können, die über eine Vereinigung oder Organisation im Sinne von Art. 2 Nr. 4 des Übereinkommens von Aarhus handelt.

    Vorüberlegungen zu der Frage, wer als ein Mitglied der Öffentlichkeit angesehen werden kann

    37.

    Zunächst sei in Erinnerung gerufen, dass der Begriff der Öffentlichkeit in Art. 2 Nr. 4 des Übereinkommens von Aarhus als „eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und, in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis, deren Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen“ definiert wird. Die Definition dieses Begriffs ist so weit gefasst, dass sie, wie die Kommission und Irland bemerkt haben, im Wesentlichen jeden einschließt, sofern die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Diese Auslegung wird durch den Leitfaden zur Durchführung des Übereinkommens von Aarhus bestätigt, in dem es heißt, dass der Begriff der „Öffentlichkeit“ so auszulegen ist, dass darunter „jede Person“ gefasst wird ( 15 ).

    38.

    Was speziell die Definition der „Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen“ natürlicher oder juristischer Personen betrifft, die gemäß Art. 2 Nr. 4 des Übereinkommens von Aarhus Teil der Öffentlichkeit sind, so ist darauf hinzuweisen, dass diese „Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen“, wenn sie Rechtspersönlichkeit besitzen, in jedem Fall unter den Begriff der juristischen Person fallen. Im Leitfaden zur Durchführung des Übereinkommens von Aarhus heißt es, dass „der Wortlaut daher nur so verstanden werden kann, dass auch Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen ohne Rechtspersönlichkeit als Mitglieder der Öffentlichkeit im Sinne des Übereinkommens angesehen werden können“ ( 16 ). Die Einbeziehung von „Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen“ ohne Rechtspersönlichkeit in die Definition des Begriffs der Öffentlichkeit wird jedoch durch den Verweis auf die innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder die innerstaatliche Praxis näher bestimmt. So heißt es im Leitfaden zur Durchführung des Übereinkommens von Aarhus: „Ad-hoc-Gruppierungen können nur dann als Mitglieder der Öffentlichkeit angesehen werden, wenn die gegebenenfalls in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis festgelegten Anforderungen erfüllt sind“, aber „diese gegebenenfalls festgelegten Anforderungen müssen mit dem Ziel des Übereinkommens, einen breiten Zugang zu seinen Rechten zu gewährleisten, in Einklang stehen“ ( 17 ). Darüber hinaus sollte bei der Umsetzung dieser Anforderungen Art. 3 Abs. 4 des Übereinkommens von Aarhus beachtet werden, wonach jede Vertragspartei verpflichtet ist, „für angemessene Anerkennung und Unterstützung von Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen, die sich für den Umweltschutz einsetzen, [zu sorgen] und [sicherzustellen], dass ihr innerstaatliches Rechtssystem mit dieser Verpflichtung vereinbar ist“.

    39.

    Daraus folgt, dass eine „Vereinigung, Organisation oder Gruppe“, die die im innerstaatlichen Recht festgelegten Anforderungen erfüllt, ein Mitglied der Öffentlichkeit ist und befähigt ist, die der Öffentlichkeit durch das Übereinkommen verliehenen Rechte auszuüben.

    40.

    Zweitens ist daran zu erinnern, dass Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus Mitgliedern der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, das Recht verleiht, die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts verstoßen. Art. 9 Abs. 3 verleiht dieses Recht den Mitgliedern der Öffentlichkeit, „ohne den Kreis der Mitglieder der Öffentlichkeit, die sich auf dieses Recht berufen können, weiter ausdrücklich einzuschränken“ ( 18 ). Der persönliche Anwendungsbereich dieser Bestimmung erstreckt sich daher auf alle„Mitglieder der Öffentlichkeit, die „etwaige [im] innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen“.

    41.

    Insoweit ist eine Vereinigung, Organisation oder Gruppe, die die im nationalen Recht festgelegten Anforderungen erfüllt, im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 parteifähig, um die unter diese Bestimmung fallenden Handlungen oder Unterlassungen gerichtlich überprüfen zu lassen. Die Frage, ob ein solches Mitglied der Öffentlichkeit die für das Recht auf Zugang zu Gerichten im nationalen Recht festgelegten Anforderungen erfüllt, ist eine Frage der Prozessführungsbefugnis und wird im Rahmen der zweiten Frage erörtert.

    42.

    Folglich ist für die Bestimmung der Parteifähigkeit eines Mitglieds der Öffentlichkeit, wie die polnische Regierung vorgetragen hat, die Form oder der Zweck einer „Vereinigung, Organisation oder Gruppe“ nicht von Bedeutung, solange sie die im innerstaatlichen Recht festgelegten Anforderungen erfüllt. Aus demselben Grund ist es, wie die Kommission geltend gemacht hat, unerheblich, ob dieses Mitglied der Öffentlichkeit seine eigenen Interessen, die Interessen seiner Mitglieder oder die Interessen der Allgemeinheit vertritt.

    Eine Rechtsanwaltsgesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit als Mitglied der „Öffentlichkeit“

    43.

    Unter den Umständen des Ausgangsverfahrens handelt es sich bei der AB & CD um eine Rechtsanwaltsgesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit. Ungeachtet des Fehlens eigener Rechtspersönlichkeit ergibt sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen, dass eine Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts in Bezug auf Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Ausübung ihrer Berufstätigkeit gemäß Art. 196 Abs. 3 der Rechtsanwaltsordnung parteifähig ist.

    44.

    In Anbetracht des oben dargestellten weiten Anwendungsbereichs des Begriffs der „Öffentlichkeit“ kann die Beschränkung der Parteifähigkeit einer Rechtsanwaltsgesellschaft auf Angelegenheiten, die mit der Ausübung ihrer Berufstätigkeit im Zusammenhang stehen, ihre Befugnis als Mitglied der „Öffentlichkeit“ gemäß Art. 2 Nr. 4 nicht ausschließen. Diese Beschränkung bezieht sich jedoch auf die Kriterien, die das nationale Recht für die Prozessfähigkeit einer solchen Gesellschaft nach Art. 9 Abs. 3 aufstellt. Darüber hinaus kann auch der Umstand, dass diese Rechtsanwaltsgesellschaft nicht die Verletzung eines spezifischen Rechts oder Interesses dieser rechtlichen Körperschaft, sondern von Rechten und Interessen der Mitglieder, die sie bilden, geltend macht, nicht ihre Befugnis als Mitglied der „Öffentlichkeit“ in Frage stellen.

    Mitglieder einer Rechtsanwaltsgesellschaft als „Gruppe“ natürlicher Personen

    45.

    In Bezug auf den zweiten Aspekt der ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht meines Erachtens im Wesentlichen wissen, ob natürliche Personen, die eine Rechtsanwaltsgesellschaft bilden, unabhängig von der verwendeten Form als eine „Gruppe“ natürlicher Personen angesehen werden können, die über eine Vereinigung oder Organisation im Sinne von Art. 2 Nr. 4 des Übereinkommens von Aarhus handelt. In Anbetracht der oben dargelegten Vorüberlegungen könnten diese Personen einer „Gruppe“ natürlicher Personen gleichgestellt werden, die über eine Vereinigung oder Organisation handelt, sofern die im nationalen Recht festgelegten Anforderungen erfüllt sind. Dies bedeutet, dass es, wenn diese Personen als Ad-hoc-Gruppierung oder -Gruppe zum Schutz der Umwelt handeln, Sache des nationalen Gerichts wäre, zu prüfen, ob eine solche Gruppe etwaige im innerstaatlichen Recht festgelegte Anforderungen erfüllt, um als Mitglied der „Öffentlichkeit“ zu angesehen werden zu können.

    Auslegung im Licht des Ziels, einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewährleisten

    46.

    Das vorlegende Gericht hat eine Auslegung von Art. 2 Nr. 4 des Übereinkommens von Aarhus im Licht von Art. 47 der Charta erbeten. Art. 47 der Charta ist jedoch nicht für die Definition der Öffentlichkeit als solche von Bedeutung, sondern für die Beurteilung der gemäß Art. 9 Abs. 3 dieses Übereinkommens im innerstaatlichen Recht festgelegten Kriterien für die Einlegung eines Rechtsbehelfs, und diese Beurteilung ist Gegenstand der zweiten Frage. Die in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis festgelegten Anforderungen für „Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen“, die als Mitglieder der „Öffentlichkeit“ gelten können, müssen jedoch dem allgemeinen Ziel des Übereinkommens von Aarhus entsprechen, einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewährleisten. Obwohl das Ziel eines „weiten Zugangs zu Gerichten“ nur ausdrücklich in Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens und den entsprechenden Richtlinienbestimmungen im Zusammenhang mit der Feststellung eines „ausreichenden Interesses und einer Rechtsverletzung“ als Voraussetzung für die Einlegung eines Rechtsbehelfs genannt ist, ist allgemein anerkannt, dass es sich bei dieser Erwägung um ein „übergreifendes Ziel“ des Übereinkommens von Aarhus handelt, die nicht auf Art. 9 Abs. 2 dieses Übereinkommens beschränkt ist ( 19 ).

    47.

    In Anbetracht des Vorstehenden bin ich der Auffassung, dass eine Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts in einem Verfahren, das eine Verletzung des Umweltrechts der Union zum Gegenstand hat, als ein Mitglied der „Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 4 des Übereinkommens von Aarhus in Verbindung mit Art. 9 Abs. 3 dieses Übereinkommens angesehen werden kann, wenn diese Rechtsanwaltsgesellschaft nicht die Verletzung eines spezifischen Rechts oder Interesses dieser rechtlichen Körperschaft, sondern von Rechten und Interessen der natürlichen Personen, nämlich der diese Gesellschaft bildenden Rechtsanwälte, geltend macht. Die diese Rechtsanwaltsgesellschaft bildenden natürlichen Personen können als eine „Gruppe“ natürlicher Personen angesehen werden, die über eine Vereinigung oder Organisation im Sinne der genannten Bestimmungen handelt, sofern die in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis festgelegten Anforderungen erfüllt sind. Diese Anforderungen müssen einen weiten Zugang zu Gerichten gewährleisten.

    Zur zweiten Frage

    48.

    Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob in einem Verfahren, das eine Verletzung des Umweltrechts der Union zum Gegenstand hat, Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus – ausgelegt im Licht von Art. 47 der Charta – dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, die die Prozessführungsbefugnis einer Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts von der Prüfung des Vorliegens eines eigenen Interesses oder davon abhängig macht, dass die Einlegung eines Rechtsbehelfs dem Schutz einer rechtlichen Situation dient, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem spezifischen Zweck steht, zu dem diese Gesellschaft gegründet wurde.

    49.

    Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die Frage damit begründet wird, dass die geltenden nationalen Rechtsvorschriften die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs gegen einen Verwaltungsakt davon abhängig machen, dass der Rechtsbehelfsführer nachweist, dass der angefochtene Rechtsakt ein ihm zustehendes Recht oder berechtigtes Interesse beeinträchtigt, das der Gesetzgeber als ein „berechtigtes privates Interesse“ bezeichnet. Nach diesen Rechtsvorschriften kann eine natürliche oder juristische Person oder eine interessierte Organisation nur hilfsweise, nachdem sie ein berechtigtes privates Interesse geltend gemacht hat, einen „objektiven Rechtsstreit“ führen, der in der Einlegung eines Rechtsbehelfs zum Schutz eines berechtigten öffentlichen Interesses besteht. Im Bereich der Umweltrechtsstreitigkeiten erkennt die OUG Nr. 195/2005 die Möglichkeit eines solchen objektiven Rechtsstreits an. Der Personenkreis, der in erster Linie und unmittelbar ein berechtigtes öffentliches Interesse geltend machen kann, ist jedoch auf Umwelt-NRO beschränkt. Andere Personen, darunter die Rechtsmittelführerin des Ausgangsverfahrens, müssen die allgemeinen Vorschriften über die Prozessführungsbefugnis beachten. Konkreter ausgedrückt kann die Rechtsmittelführerin als Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts einen Rechtsbehelf einlegen, um eine rechtliche Situation zu schützen, die mit ihrem spezifischen Gründungszweck zusammenhängt. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob Art. 9 Abs. 3 solche im nationalen Recht aufgestellten Voraussetzungen der Prozessführungsbefugnis ausschließt.

    Voraussetzungen der Prozessführungsbefugnis und wirksamer Umweltschutz nach Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus

    50.

    Insoweit ist daran zu erinnern, dass Art. 9 Abs. 3 den Mitgliedern der Öffentlichkeit das Recht zuerkennt, die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen. Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass ein Rechtsbehelfsführer, um von den darin vorgesehenen Rechten Gebrauch machen zu können, u. a. ein „Mitglied der Öffentlichkeit“ sein und „etwaige [im] innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen“ muss ( 20 ).

    51.

    Im Hinblick auf die „Kriterien“, die für die Überprüfungsverfahren maßgeblich sein können, hat der Gerichtshof entschieden, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen des ihnen insoweit zustehenden Gestaltungsspielraums verfahrensrechtliche Vorschriften über die Voraussetzungen der Einlegung solcher Rechtsbehelfe durch die Mitglieder der Öffentlichkeit erlassen können ( 21 ).

    52.

    Der Gerichtshof hat jedoch auch festgestellt, dass zwar Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus als solcher keine unmittelbare Wirkung im Unionsrecht hat, diese Bestimmung in Verbindung mit Art. 47 der Charta jedoch die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, einen wirksamen gerichtlichen Schutz der durch das Recht der Union garantierten Rechte, insbesondere der Vorschriften des Umweltrechts, zu gewährleisten ( 22 ).

    53.

    Der in Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus vorgesehene Rechtsbehelf, der einen wirksamen Umweltschutz gewährleisten soll, hätte aber keine praktische Wirksamkeit, sondern würde ausgehöhlt, wenn zugelassen würde, dass durch im innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien bestimmte Kategorien der „Mitglieder der Öffentlichkeit“, erst recht der „betroffenen Öffentlichkeit“ wie Umweltvereinigungen, die die Voraussetzungen von Art. 2 Nr. 5 des Übereinkommens von Aarhus erfüllen, ein Rechtsbehelf gegen die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen, die gegen bestimmte Kategorien von Bestimmungen des Umweltrechts der Union verstoßen, gänzlich verwehrt würde ( 23 ).

    54.

    Der Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 erlaubt es den Mitgliedstaaten nicht, Kriterien – auch für die Prozessführungsbefugnis – aufzustellen, die so streng sind, dass es Umweltvereinigungen faktisch unmöglich wäre, die Einhaltung der Vorschriften des Umweltrechts der Union überprüfen zu lassen ( 24 ). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass solche Rechtsvorschriften in den meisten Fällen auf das allgemeine Interesse und nicht auf den alleinigen Schutz der Rechtsgüter Einzelner gerichtet sind und Aufgabe besagter Umweltorganisationen der Schutz des Allgemeininteresses ist ( 25 ).

    55.

    Obwohl sich die Rechtsprechung des Gerichtshofs auf die Anforderungen an die Prozessführungsbefugnis von Umweltvereinigungen fokussiert, die die Anforderungen des Art. 2 Nr. 5 erfüllen, soll Art. 9 Abs. 3 – ausgelegt im Licht von Art. 47 der Charta – einen wirksamen gerichtlichen Schutz aller Mitglieder der Öffentlichkeit in Umweltangelegenheiten gewährleisten. Dieser allgemeine Grundsatz gilt auch für andere Kategorien von Mitgliedern der Öffentlichkeit, insbesondere für Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen, die sich wirklich für den Umweltschutz einsetzen, auch wenn sie förmlich (noch) nicht als Umweltorganisationen im Sinne von Art. 2 Nr. 5 gelten.

    56.

    Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass Art. 9 Abs. 3, wie in der juristischen Literatur zutreffend festgestellt wurde, „keine Privilegierung von NRO gegenüber Einzelpersonen vorsieht“ ( 26 ). Im 18. Erwägungsgrund des Übereinkommens wird betont, dass „die Öffentlichkeit, einschließlich Organisationen, Zugang zu wirkungsvollen gerichtlichen Mechanismen haben soll, damit ihre berechtigten Interessen geschützt werden und das Recht durchgesetzt wird“. Darüber hinaus sind die Vertragsparteien nach Art. 3 Abs. 4 verpflichtet, für „angemessene Anerkennung und Unterstützung von Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen, die sich für den Umweltschutz einsetzen“, zu sorgen.

    57.

    Zweitens unterscheidet Art. 9 Abs. 3 – ausgelegt im Licht des 18. Erwägungsgrunds – zwar nicht die Anforderungen an die Prozessführungsbefugnis je nach der Kategorie des Mitglieds der Öffentlichkeit, doch erlaubt diese Bestimmung den Mitgliedstaaten, Kriterien einzuführen. Wie bereits erwähnt, müssen diese Kriterien jedoch das Recht auf wirksamen gerichtlichen Schutz gemäß Art. 47 der Charta wahren. Außerdem sollten die Mitgliedstaaten bei der Festlegung dieser Kriterien das Ziel, einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewährleisten, nicht beeinträchtigen.

    58.

    Insoweit hat der Gerichtshof festgestellt, dass das Ziel eines weiten Zugangs zu Gerichten, „[nach] dem Willen des Unionsgesetzgebers … dazu beitragen [soll], die Qualität der Umwelt zu erhalten, zu schützen und zu verbessern und der Öffentlichkeit dabei eine aktive Rolle zukommen zu lassen“ ( 27 ). Dies ist eine Anerkennung des auf dem Gebiet der Umweltgerechtigkeit bestehenden „inneren Zusammenhangs“ ( 28 ) zwischen dem hohen Umweltschutzniveau sowohl nach Art. 191 Abs. 2 AEUV als auch nach Art. 37 der Charta und dem Zugang der Öffentlichkeit zu Gerichten ( 29 ).

    59.

    In ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Edwards ( 30 ) hat Generalanwältin Kokott darauf hingewiesen, dass der Rechtsschutz nach dem Übereinkommen von Aarhus weiter geht als der wirksame gerichtliche Schutz nach Art. 47 der Charta. Während die letztgenannte Bestimmung nämlich „ausdrücklich auf den Schutz eigener Rechte [abzielt]“, dient der Rechtsschutz in Umweltfragen „in der Regel nicht nur den Individualinteressen der Kläger, sondern auch oder sogar ausschließlich der Allgemeinheit“ ( 31 ). Sie wies auch zu Recht darauf hin, dass „[die] Anerkennung des Allgemeininteresses am Umweltschutz … umso wichtiger [ist], als es viele Fälle geben mag, in denen die rechtlich geschützten Interessen bestimmter Individuen nicht oder nur am Rande berührt werden“ ( 32 ). Da sich in solchen Fällen „[die] Umwelt aber … nicht selbst vor Gericht verteidigen [kann], … bedarf [sie] der Vertretung, z. B. durch engagierte Bürger oder Nichtregierungsorganisationen“ ( 33 ).

    60.

    In Anbetracht des Ziels, einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewährleisten, lässt die Rechtsprechung des Gerichtshofs Spielraum dafür zu, auf die sich wandelnde Dynamik von Umweltrechtsstreitigkeiten zu reagieren. Der Gerichtshof erkennt die Rolle an, die aktiven Bürgern für den Schutz der Umwelt zukommt, indem er festgestellt hat, dass „Einzelpersonen und Vereinigungen … natürlich dazu berufen sind, eine aktive Rolle beim Umweltschutz zu spielen“ ( 34 ).

    61.

    Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Prozessführungsbefugnis an keine Voraussetzungen gebunden ist. Der Überwachungsausschuss hat nämlich befunden, dass „die Vertragsparteien nicht verpflichtet sind, in ihren nationalen Rechtsordnungen ein System der Popularklage (actio popularis) einzuführen, wonach jeder jede Entscheidung, Handlung oder Unterlassung, die sich auf die Umwelt bezieht, anfechten kann“ ( 35 ). Es liegt im Ermessen der Mitgliedstaaten, Kriterien für die Voraussetzungen festzulegen, unter denen Mitglieder der Öffentlichkeit zum Schutz der Umwelt tätig werden können. Wie die Kommission und Irland im Wesentlichen betont haben, stellt die Vereinfachung von Umweltrechtsstreitigkeiten ein legitimes Ziel zur Vermeidung einer Situation dar, die sich für die Gerichte möglicherweise als schwierig erweist. Wie jedoch bereits oben ausgeführt, würde es eine zu strikte Regelung des Zugangs im Sinne des Übereinkommens darstellen, wenn aufgrund der Ausgestaltung der Prozessführungsbefugnis bestimmten „Mitgliedern der Öffentlichkeit“ das Recht auf Einlegung eines Rechtsbehelfs nach Art. 9 Abs. 3 verweigert würde.

    62.

    Um zu beurteilen, ob die Anforderungen an die Prozessführungsbefugnis bestimmte „Mitglieder der Öffentlichkeit“de facto daran hindern, eine Klage zu erheben, ist das Rechtssystem als Ganzes in den Blick zu nehmen und zu beurteilen, inwieweit das nationale Recht eine solche „Sperrwirkung“ hat ( 36 ).

    63.

    Nach den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts verleihen die im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Rechtsvorschriften Umwelt-NRO in Umweltrechtsstreitigkeiten Prozessführungsbefugnis. Andere Mitglieder der Öffentlichkeit müssen die Anforderungen an die Prozessführungsbefugnis nach dem jeweils geltenden Recht erfüllen. Insbesondere müssen sie ein berechtigtes privates Interesse geltend machen und nur hilfsweise ein berechtigtes öffentliches Interesse. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist die Entscheidung für ein Klagemodell, das auf einer subjektiven Streitigkeit beruht, nicht von vornherein mit Art. 9 Abs. 3 unvereinbar. In Anbetracht des in Umweltrechtsstreitigkeiten überwiegenden öffentlichen Interesses ist es jedoch Sache des nationalen Gerichts, die Verfahrensvorschriften betreffend die Voraussetzungen für die Einlegung eines Rechtsbehelfs im Einklang mit den Zielen von Art. 9 Abs. 3 möglichst weit auszulegen und einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewährleisten. Diese Vorschriften dürfen es bestimmten Kategorien von Mitgliedern „der Öffentlichkeit“, darunter insbesondere Organisationen, Vereinigungen oder Gruppen, die sich wirklich für den Umweltschutz einsetzen und die alle nach nationalem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, nicht de facto unmöglich machen, eine im Anschluss an ein Verwaltungsverfahren getroffene Entscheidung anzufechten, die möglicherweise gegen das Umweltrecht der Union verstößt. Insoweit könnte das vorlegende Gericht prüfen, ob es für die Auslegung der Vorschriften über die Prozessführungsbefugnis von Bedeutung ist, dass das Recht jeder Person auf eine „gesunde und ökologisch ausgewogene Umwelt“ im nationalen Recht anerkannt wird.

    Zur Prozessführungsbefugnis einer Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts nach Art. 9 Abs. 3

    64.

    Was speziell die Prozessführungsbefugnis der klagenden Rechtsanwaltsgesellschaft betrifft, so ist daran zu erinnern, dass die Rechtsmittelführerin geltend gemacht hat, im Namen ihrer Mitglieder und im öffentlichen Interesse Klage zu erheben. Es ist jedoch festzuhalten, dass die Voraussetzungen der Prozessführungsbefugnis im Hinblick auf den Kläger zu bestimmen sind. Wie Irland und im Wesentlichen auch die polnische Regierung und die Kommission festgestellt haben, sollte ein nationales Gericht nicht aufgefordert werden, zur Feststellung der Prozessführungsbefugnis auf die „hinter“ einer Einrichtung stehenden natürlichen Personen zu schauen. Im Allgemeinen kann das Gesetz die Voraussetzungen festlegen, unter denen Rechtssuchende berechtigt sind, einen Rechtsbehelf einzulegen, um die Interessen oder Rechte anderer Personen oder das öffentliche Interesse zu wahren (assoziative Prozessführungsbefugnis oder repräsentative Prozessführungsbefugnis) ( 37 ). Eine solche Situation scheint jedoch hinsichtlich der Rechtsmittelführerin des Ausgangsverfahrens nicht vorzuliegen. Aus den Akten geht auch nicht hervor, dass die Rechtsmittelführerin von ihren Mitgliedern oder den Anwohnern der betroffenen Region bevollmächtigt worden wäre, einen Rechtsbehelf in deren Namen einzulegen.

    65.

    Das vorlegende Gericht möchte außerdem wissen, ob den Mitgliedern dieser Gesellschaft die Prozessführungsbefugnis als einer „Gruppe“ von Personen zustehen kann. In diesem Zusammenhang scheint die Rechtsmittelführerin das Medium einer Rechtsanwaltsgesellschaft zu nutzen, um in Form einer Ad-hoc-Gruppierung dem Umweltschutz zu dienen. Wenn diese Personen als „Gruppe“ einen Anspruch geltend machen wollen, müssten sie in dieser Eigenschaft handeln. Sofern das nationale Recht nichts anderes vorsieht, kann ein Gericht erst zum Zeitpunkt der Einlegung eines Rechtsbehelfs durch eine „Gruppe“ beurteilen, ob eine solche „Gruppe“ die im nationalen Recht geregelten Anforderungen an ein Mitglied der Öffentlichkeit erfüllt und ob sie im Licht des Ziels, einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewährleisten, die Kriterien der Prozessführungsbefugnis erfüllen kann.

    66.

    In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen bin ich der Auffassung, dass in einem Verfahren, das eine Verletzung des Umweltrechts der Union zum Gegenstand hat, Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus – ausgelegt im Licht von Art. 47 der Charta – einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs einer Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts vom Nachweis eines eigenen Interesses oder davon abhängig macht, dass die Einlegung des Rechtsbehelfs dem Schutz einer rechtlichen Situation dient, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem spezifischen Zweck steht, zu dem diese Organisationsform gegründet wurde. In Anbetracht des in Umweltrechtsstreitigkeiten überwiegenden öffentlichen Interesses ist es jedoch Sache des nationalen Gerichts, die Verfahrensvorschriften betreffend die Voraussetzungen für die Einlegung eines Rechtsbehelfs im Einklang mit den Zielen von Art. 9 Abs. 3 möglichst weit auszulegen und einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewährleisten. Diese Vorschriften sollten es bestimmten Kategorien von Mitgliedern „der Öffentlichkeit“, darunter insbesondere Organisationen, Vereinigungen oder Gruppen, die sich wirklich für den Umweltschutz einsetzen und die alle nach nationalem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, nicht de facto unmöglich machen, eine im Anschluss an ein Verwaltungsverfahren getroffene Entscheidung anzufechten, die möglicherweise gegen das Umweltrecht der Union verstößt.

    Zur dritten Frage

    67.

    Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob in einem Verfahren, das eine Verletzung des Umweltrechts der Union zum Gegenstand hat, Art. 9 Abs. 3, 4 und 5 des Übereinkommens von Aarhus – ausgelegt im Licht von Art. 47 der Charta – dahin auszulegen ist, dass das Erfordernis, dass bestimmte gerichtliche Verfahren „angemessenen und effektiven Rechtsschutz“ sicherstellen sollen und „nicht übermäßig teuer“ sind, spezifische Regeln und/oder Kriterien zur Begrenzung der von der unterlegenen Partei des Verfahrens zu tragenden Kosten in dem Sinne voraussetzt, dass das nationale Gericht sicherstellen muss, dass das Erfordernis, dass die Bedingung eines nicht übermäßig teuren Verfahrens erfüllt ist, unter Berücksichtigung sowohl des Interesses der Person, die ihre Rechte wahren möchte, als auch das allgemeine Interesse am Umweltschutz.

    68.

    Insoweit ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass in den rumänischen Rechtsvorschriften, nämlich in den Art. 451 bis 453 der Zivilprozessordnung, die Kosten des Verfahrens und die verschiedenen Kriterien, die das Gericht für eine legitime Herabsetzung der Anwaltskosten heranziehen kann, detailliert geregelt sind. Das vorlegende Gericht hat jedoch Zweifel, ob sich aus den im nationalen Recht festgelegten allgemeinen Kriterien hinreichend spezifische Regeln und Voraussetzungen ableiten lassen, die es ermöglichen, die erheblichen Kosten von Umweltrechtsstreitigkeiten abzuschätzen und vorherzusehen. Dies gelte umso mehr, so das vorlegende Gericht, wenn die Klage wegen fehlender Parteifähigkeit oder mangelnder Erfüllung der für die Prozessführungsbefugnis und das Rechtsschutzinteresse geltenden Voraussetzungen als unzulässig abgewiesen werden könnte. Schließlich möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2011/92 über die Öffentlichkeitsbeteiligung im Urteil North East Pylon Pressier Campaign and Sheehy ( 38 ) auf Art. 9 Abs. 4 des Übereinkommens von Aarhus anwendbar ist.

    69.

    Was zunächst die Frage nach der Anwendung der Rechtsprechung zur Auslegung der in Art. 9 Abs. 4 des Übereinkommens von Aarhus verankerten Regel eines „nicht übermäßig teuren Verfahrens“ (im Folgenden: NÜT‑Regel) betrifft, so gibt das Urteil North East Pylon Pressier Campaign und Sheehy hierauf bereits die Antwort. In diesem Urteil hat der Gerichtshof festgestellt, dass Art. 9 Abs. 4, der die Merkmale aufführt, die diese Verfahren aufweisen müssen, insbesondere dasjenige, nicht übermäßig teuer zu sein, ausdrücklich sowohl für die in Abs. 3 als auch für die namentlich in Abs. 2 dieses Artikels genannten Verfahren gilt ( 39 ).

    70.

    Folglich ist die NÜT‑Regel als auf ein Verfahren wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende anwendbar anzusehen, in dem es um die Anwendung von Art. 9 Abs. 3 geht.

    71.

    Was zweitens die Kriterien für die Beurteilung der Kosten und die Berücksichtigung des privaten Interesses sowie des allgemeinen Interesses am Schutz der Umwelt betrifft, so ist zunächst festzustellen, dass Art. 3 Abs. 8 des Übereinkommens von Aarhus angemessene Gerichtskosten ausdrücklich zulässt. Art. 9 Abs. 4 steht einer Verurteilung zur Tragung der Kosten nicht entgegen, sofern der Betrag nicht übermäßig hoch ist ( 40 ). Da diese Bestimmung keine spezifischen Kriterien enthält, ist die Beurteilung der Kosten nicht im Voraus festgelegt, sondern hängt von den Umständen des jeweiligen Falles bzw. des innerstaatlichen Rechtssystems ab ( 41 ).

    72.

    In seinem Urteil in der Rechtssache Edwards und Pallikaropoulos ( 42 ) hat der Gerichtshof die maßgebenden Kriterien für die Auslegung der NÜT‑Regel aufgestellt. Diese Kriterien weisen auf eine generelle und umfassende Behandlung des Problems übermäßiger Kosten hin. Konkret ergibt sich aus diesem Urteil, dass die nationalen Gerichte alle einschlägigen Bestimmungen des nationalen Rechts berücksichtigen müssen, dass sie sowohl das Interesse desjenigen, der seine Rechte verteidigen möchte, als auch das mit dem Umweltschutz verbundene Allgemeininteresse berücksichtigen müssen und dass die Kosten eines Verfahrens somit nicht die finanziellen Möglichkeiten des Betroffenen übersteigen und in keinem Fall objektiv unangemessen sein dürfen ( 43 ). Was die Untersuchung der wirtschaftlichen Lage des Betroffenen betrifft, kann das nationale Gericht auch die Lage der betroffenen Parteien, die begründeten Erfolgsaussichten des Antragstellers, die Bedeutung des Rechtsstreits für diesen sowie für den Umweltschutz, die Komplexität des geltenden Rechts und des anwendbaren Verfahrens sowie den möglicherweise mutwilligen Charakter des Rechtsbehelfs in seinen verschiedenen Verfahrensabschnitten berücksichtigen ( 44 ).

    73.

    Darüber hinaus hat der Gerichtshof festgestellt, dass die NÜT‑Regel zur Wahrung des in Art. 47 der Charta verankerten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf in Umweltangelegenheiten sowie des Effektivitätsgrundsatzes beitragen soll, nach dem die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen ( 45 ).

    74.

    Unter Berücksichtigung von Art. 47 der Charta sollten die Kosten eines Überprüfungsverfahrens im Sinne des Übereinkommens von Aarhus oder für die Durchsetzung des Umweltrechts der Union nicht so hoch sein, dass Mitglieder der Öffentlichkeit daran gehindert werden, eine Überprüfung zu beantragen, wenn sie dies für erforderlich halten ( 46 ).

    75.

    Unter den im Ausgangsverfahren gegebenen Umständen legen die nationalen Rechtsvorschriften keine genauen Kriterien fest, die speziell für Umweltrechtsstreitigkeiten gelten. In Anbetracht des weiten Gestaltungsspielraums, über den die Mitgliedstaaten im Rahmen von Art. 9 Abs. 4 verfügen, kann das Fehlen einer detaillierten Festlegung der Kosten in Umweltrechtsstreitigkeiten nicht per se als mit der NÜT‑Regel unvereinbar angesehen werden.

    76.

    Aus Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens von Aarhus ergibt sich jedoch, dass die Vertragsparteien dieses Übereinkommens einen „klaren, transparenten und einheitlichen Rahmen“ zur Durchführung dieses Übereinkommens herzustellen und aufrechtzuerhalten haben. Darüber hinaus ergibt sich aus Art. 9 Abs. 5, dass die Vertragsparteien die Schaffung angemessener Unterstützungsmechanismen zu prüfen haben, um Hindernisse finanzieller und anderer Art für den Zugang zu Gerichten zu beseitigen oder zu verringern. Das nationale Gericht hat unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Kriterien zu prüfen, ob die im nationalen Recht bestehenden Mechanismen diesen Anforderungen entsprechen, und es hat sein nationales Verfahrensrecht so auszulegen, dass es so weit wie möglich mit den in Art. 9 Abs. 3 und 4 des Übereinkommens von Aarhus niedergelegten Zielen im Einklang steht, damit gerichtliche Verfahren insgesamt nicht übermäßig teuer sind ( 47 ).

    77.

    Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass in Anbetracht der generellen und umfassenden Beurteilung, die das nationale Gericht im Hinblick auf die im Urteil Edwards und Pallikaropoulos aufgestellten Kriterien vorzunehmen hat, die etwaige fehlende Prozessführungsbefugnis der Rechtsmittelführerin als solche der Anwendung der NÜT‑Regel nicht entgegensteht.

    78.

    In Anbetracht der obigen Ausführungen bin ich der Auffassung, dass in einem Verfahren, das eine Verletzung des Umweltrechts der Union zum Gegenstand hat, Art. 9 Abs. 3, 4 und 5 des Übereinkommens von Aarhus – ausgelegt im Licht von Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta – dahin auszulegen ist, dass das Erfordernis, dass bestimmte gerichtliche Verfahren „angemessenen und effektiven Rechtsschutz“ sicherstellen und „nicht übermäßig teuer“ sind, keine spezifischen Regeln und/oder Kriterien zur Begrenzung der von der unterlegenen Partei des Verfahrens zu tragenden Kosten voraussetzt. Es ist jedoch Sache des nationalen Gerichts, sein innerstaatliches Verfahrensrecht so auszulegen, dass es so weit wie möglich mit den in Art. 9 Abs. 3 und 4 des Übereinkommens von Aarhus festgelegten Zielen in Einklang steht, damit gerichtliche Verfahren insgesamt nicht übermäßig teuer sind.

    IV. Ergebnis

    79.

    Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen wie folgt zu beantworten:

    1.

    In einem Verfahren, das eine Verletzung des Umweltrechts der Union zum Gegenstand hat, kann eine Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts als ein Mitglied der Öffentlichkeit im Sinne von Art. 2 Nr. 4 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus angesehen werden, wenn diese Rechtsanwaltsgesellschaft nicht die Verletzung eines spezifischen Rechts oder Interesses dieser rechtlichen Körperschaft, sondern von Rechten und Interessen der natürlichen Personen, nämlich der diese Gesellschaft bildenden Rechtsanwälte, geltend macht. Die diese Rechtsanwaltsgesellschaft bildenden natürlichen Personen können als eine „Gruppe“ natürlicher Personen angesehen werden, die über eine Vereinigung oder Organisation im Sinne der genannten Vorschriften handelt, sofern die in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis festgelegten Anforderungen erfüllt sind. Diese Anforderungen müssen jedoch einen weiten Zugang zu Gerichten gewährleisten.

    2.

    In einem Verfahren, das eine Verletzung des Umweltrechts der Union zum Gegenstand hat, steht Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus – ausgelegt im Licht von Art. 47 der Charta – einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegen, die die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs einer Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts vom Nachweis eines eigenen Interesses oder davon abhängig macht, dass die Einlegung des Rechtsbehelfs dem Schutz einer rechtlichen Situation dient, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem spezifischen Zweck steht, zu dem diese Organisationsform gegründet wurde. In Anbetracht des in Umweltrechtsstreitigkeiten überwiegenden öffentlichen Interesses ist es jedoch Sache des nationalen Gerichts, die Verfahrensvorschriften betreffend die Voraussetzungen für die Einlegung eines Rechtsbehelfs im Einklang mit den Zielen von Art. 9 Abs. 3 möglichst weit auszulegen und einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewährleisten. Diese Vorschriften sollten es bestimmten Kategorien von „Mitgliedern der Öffentlichkeit“, darunter insbesondere Organisationen, Vereinigungen oder Gruppen, die sich wirklich für den Umweltschutz einsetzen und die alle nach nationalem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, nicht de facto unmöglich machen, eine im Anschluss an ein Verwaltungsverfahren getroffene Entscheidung anzufechten, die möglicherweise gegen das Umweltrecht der Union verstößt.

    3.

    In einem Verfahren, das eine Verletzung des Umweltrechts der Union zum Gegenstand hat, ist Art. 9 Abs. 3, 4 und 5 des Übereinkommens von Aarhus – ausgelegt im Licht von Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta – dahin auszulegen, dass das Erfordernis, dass bestimmte gerichtliche Verfahren „angemessenen und effektiven Rechtsschutz“ sicherstellen und „nicht übermäßig teuer“ sind, keine spezifischen Regeln und/oder Kriterien zur Begrenzung der von der unterlegenen Partei des Verfahrens zu tragenden Kosten voraussetzt. Es ist jedoch Sache des nationalen Gerichts, sein innerstaatliches Verfahrensrecht so auszulegen, dass es so weit wie möglich mit den in Art. 9 Abs. 3 und 4 des Übereinkommens von Aarhus niedergelegten Zielen in Einklang steht, damit gerichtliche Verfahren insgesamt nicht übermäßig teuer sind.


    ( 1 ) Originalsprache: Englisch

    ( 2 ) Das Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten wurde am 25. Juni 1998 in Aarhus unterzeichnet und trat am 30. Oktober 2001 in Kraft. Alle Mitgliedstaaten sind Vertragsparteien dieses Übereinkommens. Es wurde mit dem Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt (ABl. 2005, L 124, S. 1; im Folgenden: Übereinkommen von Aarhus).

    ( 3 ) Erklärung des ehemaligen Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Kofi Annan, im Rahmen des ersten Treffens der Parteien in Lucca, Italien, vom 21. bis 23. Oktober 2002 (im Folgenden: erstes Treffen der Parteien).

    ( 4 ) Erklärung von Lucca, angenommen auf dem ersten Treffen der Parteien, Addendum, ECE/MP.PP/2/Add.1, 2. April 2004.

    ( 5 ) Barritt, E., The Foundations of the Aarhus Convention, Hart Publishing, 2020, London, S. 12.

    ( 6 ) Richtlinie vom 26. April 1999 über Abfalldeponien (ABl. 1999, L 182, S. 1).

    ( 7 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 2012, L 26, S. 1).

    ( 8 ) Die Kommission zitiert in diesem Sinne das Urteil vom 8. März 2011, Lesoochranárske zoskupenie (C‑240/09, EU:C:2011:125, Rn. 47).

    ( 9 ) Die Kommission zitiert das Urteil vom 7. Juli 2022, Coca-Cola European Partners Deutschland (C‑257/21 und C‑258/21, EU:C:2022:529, Rn. 35).

    ( 10 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2022, Deutsche Umwelthilfe (Genehmigung von Kraftfahrzeugen) (C‑873/19, EU:C:2022:857, Rn. 48).

    ( 11 ) Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. 2001, L 197, S. 30).

    ( 12 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Protect Natur‑, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation (C‑664/15, EU:C:2017:987, Rn. 34).

    ( 13 ) Insoweit ist daran zu erinnern, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof dessen Aufgabe ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegte Frage gegebenenfalls umzuformulieren (Urteil vom 17. November 2022, Porr Bau, C‑238/21, EU:C:2022:885, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 14 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts) (C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 169).

    ( 15 ) Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa, Das Übereinkommen von Aarhus: Ein Leitfaden zur Durchführung, 2. Aufl., 2014 (im Folgenden: Leitfaden zur Durchführung des Übereinkommens von Aarhus), S. 55. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann dieser Leitfaden als ein erläuterndes Dokument betrachtet werden, das gegebenenfalls neben anderen relevanten Gesichtspunkten für die Auslegung des Übereinkommens herangezogen werden kann, auch wenn die darin enthaltenen Analysen nicht bindend sind und nicht die normative Geltung haben, die den Vorschriften des Übereinkommens von Aarhus zukommt (Urteil vom 8. November 2022, Deutsche Umwelthilfe [Genehmigung von Kraftfahrzeugen], C‑873/19, EU:C:2022:857, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 16 ) Leitfaden zur Durchführung des Übereinkommens von Aarhus, S. 55 (Hervorhebung nur hier). Vgl. Jendroska, J., „Access to Justice in the Aarhus Convention – Genesis, Legislative History and Overview of the Main Interpretation Dilemmas“, Journal for European Environmental & Planning Law, 2020 (17), S. 372-408 (S. 386), der anmerkt, dass der „Kompromisswortlaut“ des Art. 2 Nr. 4 jede Form umfassen sollte, „in der sich natürliche oder juristische Personen in einem gegebenen rechtlichen Rahmen rechtmäßig zusammenschließen können, so dass Nichtregierungsorganisationen nicht unbedingt Rechtspersönlichkeit besitzen müssen“.

    ( 17 ) Leitfaden zur Durchführung des Übereinkommens von Aarhus, S. 55.

    ( 18 ) Leitfaden zur Durchführung des Übereinkommens von Aarhus, S. 55.

    ( 19 ) Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Edwards (C‑260/11, EU:C:2012:645, Nr. 48). Vgl. auch Sikora, A., Constitutionalisation of Environmental Protection in EU law, Europa Law Publishing, Zutphen, 2020, S. 281.

    ( 20 ) Urteil vom 8. November 2022, Deutsche Umwelthilfe (Genehmigung von Kraftfahrzeugen) (C‑873/19, EU:C:2022:857, Rn. 59).

    ( 21 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2022, Deutsche Umwelthilfe (Genehmigung von Kraftfahrzeugen) (C‑873/19, EU:C:2022:857, Rn. 63).

    ( 22 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2022, Deutsche Umwelthilfe (Genehmigung von Kraftfahrzeugen) (C‑873/19, EU:C:2022:857, Rn. 66).

    ( 23 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2022, Deutsche Umwelthilfe (Genehmigung von Kraftfahrzeugen) (C‑873/19, EU:C:2022:857, Rn. 67) (Hervorhebung nur hier).

    ( 24 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2022, Deutsche Umwelthilfe (Genehmigung von Kraftfahrzeugen) (C‑873/19, EU:C:2022:857, Rn. 69).

    ( 25 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2022, Deutsche Umwelthilfe (Genehmigung von Kraftfahrzeugen) (C‑873/19, EU:C:2022:857, Rn. 68).

    ( 26 ) Sobotta, C., „New Cases on Article 9 of the Aarhus Convention“, Journal for European Environmental & Planning Law, 2018, S. 241-258 (S. 244). Im Gegensatz dazu wird in Art. 9 Abs. 2, der den Zugang der „betroffenen Öffentlichkeit“ zu Gerichten regelt, zwischen Umweltvereinigungen und allen anderen Mitgliedern der „betroffenen Öffentlichkeit“ unterschieden.

    ( 27 ) Urteil vom 11. April 2013, Edwards und Pallikaropoulos (C‑260/11, EU:C:2013:221, Rn. 32).

    ( 28 ) Sikora, A., Constitutionalisation of Environmental Protection in EU law, Europa Law Publishing, 2020, S. 280.

    ( 29 ) In der wissenschaftlichen Literatur wurde auch vorgeschlagen, dass ein weiter Zugang zu Gerichten als „verfahrensrechtliche Dimension“ eines hohen Umweltschutzniveaus betrachtet und in den Rang eines „übergreifenden Prinzips“ in Umweltrechtsstreitigkeiten erhoben werden könnte. Sikora, A., a.a.O. Fußnote 29, S. 282.

    ( 30 ) Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Edwards (C‑260/11, EU:C:2012:645).

    ( 31 ) Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Edwards (C‑260/11, EU:C:2012:645, Nr. 39 und 40).

    ( 32 ) Ebd., Nr. 42.

    ( 33 ) Ebd.

    ( 34 ) Urteil vom 11. April 2013, Edwards und Pallikaropoulos (C‑260/11, EU:C:2013:221, Rn. 40).

    ( 35 ) Leitfaden zur Durchführung des Übereinkommens von Aarhus, S. 198. Wie in der Literatur zu lesen ist, blieb die Frage des Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten „im Allgemeinen fast bis zum Ende der Verhandlungen heftig umstritten“, während der endgültige Text zu diesem Thema das Ergebnis „vieler Kompromisslösungen zwischen den sehr unterschiedlichen Ansichten und Zielen ist und daher eher das widerspiegelt, was erreichbar war, als das, was benötigt oder gewünscht wurde“. Jendroska, J., a.a.O. Fn. 16, S. 398 und S. 407.

    ( 36 ) Bericht des Komitees zur Überwachung der Einhaltung des Übereinkommens (Überwachungsausschuss), ACCC/C/2006/18 (Dänemark), Nr. 30.

    ( 37 ) Vgl. vertiefend Cane, P., Administrative law, Oxford University Press, Oxford, 2011, S. 285 ff., und Cadiet, L., Normand, J., Amrani Mekki, S., Théorie générale du procès, PUF, 3. Aufl. 2020, Rn. 171 ff.

    ( 38 ) Urteil vom 15. März 2018 (C‑470/16, EU:C:2018:185).

    ( 39 ) Urteil vom 15. März 2018, North East Pylon Pressure Campaign und Sheehy (C‑470/16, EU:C:2018:185, Rn. 48).

    ( 40 ) Urteil vom 16. Juli 2009, Kommission/Irland (C‑427/07, EU:C:2009:457, Rn. 92), und Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Edwards (C‑260/11, EU:C:2012:645, Nr. 34).

    ( 41 ) Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Edwards (C‑260/11, EU:C:2012:645, Nr. 36) mit Bezugnahmen auf verschiedene Feststellungen und Empfehlungen des Überwachungsausschusses.

    ( 42 ) Urteil vom 11. April 2013, Edwards und Pallikaropoulos (C‑260/11, EU:C:2013:221).

    ( 43 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. April 2013, Edwards und Pallikaropoulos (C‑260/11, EU:C:2013:221, Rn. 38 bis 40).

    ( 44 ) Ebd., Rn. 41 und 42.

    ( 45 ) Urteil vom 11. April 2013, Edwards und Pallikaropoulos (C‑260/11, EU:C:2013:221, Rn. 33).

    ( 46 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. April 2013, Edwards und Pallikaropoulos (C‑260/11, EU:C:2013:221, Rn. 34).

    ( 47 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. März 2018, North East Pylon Pressure Campaign und Sheehy (C‑470/16, EU:C:2018:185, Rn. 57).

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