EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62022CC0125

Schlussanträge des Generalanwalts P. Pikamäe vom 8. Juni 2023.
X u. a. gegen Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid.
Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats 's-Hertogenbosch.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsame Politik im Bereich Asyl und subsidiärer Schutz – Richtlinie 2011/95/EU – Art. 15 – Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes – Berücksichtigung von Anhaltspunkten, die sich auf die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers sowie die allgemeine Lage im Herkunftsland beziehen – Humanitäre Lage.
Rechtssache C-125/22.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:469

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PRIIT PIKAMÄE

vom 8. Juni 2023(1)

Rechtssache C125/22

X,

Y

und ihre sechs minderjährigen Kinder

gegen

Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid

(Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats ’s‑Hertogenbosch [Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort ’s‑Hertogenbosch, Niederlande])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsame Politik im Bereich Asyl und subsidiärer Schutz – Richtlinie 2011/95/EU – Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz – Art. 15 – Berücksichtigung der Umstände, die der individuellen Lage und der persönlichen Situation des Antragstellers innewohnen, sowie der allgemeinen Situation im Herkunftsland – Humanitäre Umstände“






I.      Einleitung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats ’s‑Hertogenbosch (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort ’s‑Hertogenbosch, Niederlande) nach Art. 267 AEUV betrifft die Auslegung von Art. 15 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes(2).

2.        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einerseits den Eheleuten X und Y sowie ihren sechs minderjährigen Kindern, die alle lybische Staatsangehörige sind (im Folgenden zusammen: die Kläger), und andererseits dem Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid (Staatssekretär für Justiz und Sicherheit, Niederlande, im Folgenden: Staatssekretär) über dessen Entscheidungen, die Anträge der Kläger auf internationalen Schutz abzulehnen. Im Mittelpunkt dieses Rechtsstreits steht die Frage, ob die Kläger Anspruch auf subsidiären Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95 haben.

3.        Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen geklärt wissen, wie die individuelle Lage und die persönlichen Umstände eines Antragstellers einerseits und die allgemeine Situation im Herkunftsland andererseits bei der Prüfung des Antrags im Hinblick auf Art. 15 der Richtlinie 2011/95 zu berücksichtigen sind. Zudem möchte es wissen, ob bei der Prüfung des Anspruchs auf subsidiären Schutz unter gewissen Voraussetzungen auch humanitäre Umstände zu berücksichtigen sind. Mit seinem Urteil, in dem die gemeinsamen Kriterien auszulegen sind, die als Grundlage für die Anerkennung von Personen, die internationalen Schutz beantragen, als Anspruchsberechtigte auf subsidiären Schutz dienen, wird der Gerichtshof zur Rechtssicherheit und zu größerer Kohärenz bei der Anwendung der Vorschriften für das Gemeinsame Europäische Asylsystem beitragen.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Charta der Grundrechte der Europäischen Union

4.        Art. 1 („Würde des Menschen“) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) bestimmt:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.“

5.        Art. 4 („Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung“) der Charta sieht vor:

„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“

6.        Art. 19 („Schutz bei Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung“) Abs. 2 der Charta bestimmt:

„Niemand darf in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.“

2.      Richtlinie 2011/95

7.        Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2011/95 sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a)      ‚internationaler Schutz‘ die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus im Sinne der Buchstaben e und g;

b)      ‚Person, der internationaler Schutz zuerkannt wurde‘ eine Person, der die Flüchtlingseigenschaft gemäß Buchstabe e oder der subsidiäre Schutzstatus gemäß Buchstabe g zuerkannt wurde;

f)      ‚Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz‘ einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt, der aber stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland oder, bei einem Staatenlosen, in das Land seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Artikel 15 zu erleiden, und auf den Artikel 17 Absätze 1 und 2 keine Anwendung findet und der den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Gefahr nicht in Anspruch nehmen will;

g)      ‚subsidiärer Schutzstatus‘ die Anerkennung eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen durch einen Mitgliedstaat als Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat;

h)      ‚Antrag auf internationalen Schutz‘ das Ersuchen eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen um Schutz durch einen Mitgliedstaat, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Antragsteller die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus anstrebt, und wenn er nicht ausdrücklich um eine andere, gesondert zu beantragende Form des Schutzes außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Richtlinie ersucht;

i)      ‚Antragsteller‘ einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, über den noch keine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist;

…“

8.        Art. 4 („Prüfung der Tatsachen und Umstände“) der Richtlinie 2011/95, der sich in deren Kapitel II („Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz“) befindet, bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten können es als Pflicht des Antragstellers betrachten, so schnell wie möglich alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte darzulegen. Es ist Pflicht des Mitgliedstaats, unter Mitwirkung des Antragstellers die für den Antrag maßgeblichen Anhaltspunkte zu prüfen.

(3)      Die Anträge auf internationalen Schutz sind individuell zu prüfen, wobei Folgendes zu berücksichtigen ist:

a)      alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind …;

b)      die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er verfolgt worden ist bzw. verfolgt werden könnte oder einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. erleiden könnte;

c)      die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind;

(4)      Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

(5)      Wenden die Mitgliedstaaten den Grundsatz an, wonach der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz begründen muss, und fehlen für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise, so bedürfen diese Aussagen keines Nachweises, wenn

a)      der Antragsteller sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen;

b)      alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde;

c)      festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen;

e)      die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist.“

9.        Art. 6 („Akteure, von denen die Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden ausgehen kann“) der Richtlinie 2011/95 lautet:

„Die Verfolgung bzw. der ernsthafte Schaden kann ausgehen von

a)      dem Staat;

b)      Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil seines Hoheitsgebiets beherrschen;

c)      nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden im Sinne des Artikels 7 zu bieten.“

10.      Art. 8 („Interner Schutz“) Abs. 2 der Richtlinie 2011/95 bestimmt:

„Bei Prüfung der Frage, ob ein Antragsteller begründete Furcht vor Verfolgung hat oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht, oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden in einem Teil seines Herkunftslandes gemäß Absatz 1 in Anspruch nehmen kann, berücksichtigen die Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers gemäß Artikel 4. Zu diesem Zweck stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, eingeholt werden.“

11.      Art. 15 („Ernsthafter Schaden“) der Richtlinie 2011/95, der sich in deren Kapitel V („Voraussetzungen für den subsidiären Schutz“) befindet, lautet:

„Als ernsthafter Schaden gilt

a)      die Todesstrafe oder Hinrichtung oder

b)      Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland oder

c)      eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.“

12.      Art. 18 („Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus“) der Richtlinie 2011/95 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten erkennen einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen, der die Voraussetzungen der Kapitel II und V erfüllt, den subsidiären Schutzstatus zu.“

B.      Niederländisches Recht

13.      Art. 29 Abs. 1 der Wet tot algehele herziening van de Vreemdelingenwet (Vreemdelingenwet 2000) (Gesetz über die vollständige Reform des Ausländergesetzes [Ausländergesetz 2000]) vom 23. November 2000 (Stb. 2000, Nr. 495) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung bestimmt:

„(1)      Die befristete Aufenthaltserlaubnis … kann einem Ausländer erteilt werden, der

a)      Flüchtlingsstatus hat oder

b)      nachgewiesen hat, dass er stichhaltige Gründe für die Annahme hat, dass er im Fall einer Ausweisung tatsächlich Gefahr läuft, dass

1.      gegen ihn die Todesstrafe verhängt oder vollstreckt wird,

2.      er Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt ist oder

3.      er einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

(2)      Die befristete Aufenthaltserlaubnis nach Artikel 28 kann ferner den nachstehend aufgeführten Familienangehörigen erteilt werden, wenn diese zum Zeitpunkt der Einreise des betreffenden Ausländers zu seiner Familie gehörten und gleichzeitig mit ihm in die Niederlande eingereist sind oder innerhalb von drei Monaten, nachdem ihm eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde, nachgereist sind …

(4)      Die befristete Aufenthaltserlaubnis … kann auch einem Familienangehörigen im Sinne von Absatz 2 erteilt werden, der nicht spätestens innerhalb von drei Monaten, nachdem dem Ausländer gemäß Absatz 1 eine Aufenthaltserlaubnis … erteilt wurde, nachgereist ist, wenn innerhalb dieser drei Monate von diesem Familienangehörigen oder für ihn ein Visum für einen Aufenthalt von mehr als drei Monaten beantragt wurde.“

III. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

14.      Die Eheleute X und Y, Kläger des Ausgangsverfahrens, stammen aus Libyen. Am 28. Januar 2018 stellten sie, zugleich im Namen ihrer sechs minderjährigen Kinder, in den Niederlanden Anträge auf internationalen Schutz.

15.      Sie begründeten ihre Anträge mit folgenden Angaben: X habe mehrere Jahre lang in Tripolis als Leibwächter für hochrangige Politiker gearbeitet. Einmal sei er angeschossen worden, als er nach der Arbeit joggen gegangen sei. Er sei am Kopf getroffen und durch einen Kugelsplitter in der linken Wange verletzt worden. In der Folgezeit sei X zweimal telefonisch bedroht worden, das erste Mal etwa fünf Monate und das zweite Mal ein bis zwei Jahre, nachdem auf ihn geschossen worden sei. In diesen Telefongesprächen sei unter anderem gesagt worden, dass X für die Regierung arbeite und dass man ihn töten und seine Kinder entführen werde. X habe einen Verdacht, wer für die Schießerei und die Drohungen verantwortlich sei, könne dies aber nicht beweisen. Darüber hinaus machten die Kläger geltend, dass im Rahmen der Beurteilung im Hinblick auf Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 neben den humanitären Umständen in Libyen (insbesondere dem fehlenden Zugang zu Trinkwasser und Elektrizität) auch der Umstand von Bedeutung sei, dass sie sechs minderjährige Kinder hätten.

16.      Mit gesonderten Bescheiden vom 24. Dezember 2020 lehnte der Staatssekretär die Anträge auf internationalen Schutz als unbegründet ab. In diesen Bescheiden wurde außerdem verfügt, dass den Klägern keine reguläre Aufenthaltserlaubnis erteilt und ihnen kein Aufschub der Ausreisepflicht gewährt werde. Der Staatssekretär verfügte schließlich, dass diese Bescheide als Rückkehrentscheidungen anzusehen seien und die Kläger innerhalb von vier Wochen ausreisen müssten.

17.      Die Kläger erhoben bei der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats ’s‑Hertogenbosch (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort ’s‑Hertogenbosch) Klage gegen die auf die Unbegründetheit ihrer Anträge auf internationalen Schutz gestützte Ablehnung.

18.      Dieses Gericht äußert Zweifel an der Auslegung von Art. 15 der Richtlinie 2011/95. Es fragt sich, ob die Bestimmungen ihres Art. 15 Buchst. b einerseits und ihres Art. 15 Buchst. c andererseits strikt getrennt voneinander zu beurteilen sind oder ob Art. 15 stattdessen dahin auszulegen ist, dass alle relevanten Umstände, die sich sowohl auf die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers als auch auf die allgemeine Situation im Herkunftsland beziehen, immer vollständig und gemeinsam beurteilt werden müssen, bevor geklärt wird, welche Erscheinungsform eines ernsthaften Schadens anhand dieser Umstände belegt werden kann. Es führt aus, dass die Entscheidung, ob den Klägern des Ausgangsverfahrens Schutz zu gewähren sei oder nicht, davon abhängig sei, wie diese Bestimmungen auszulegen seien.

19.      Aus diesem Grund hat die Rechtbank Den Haag, zittingsplaats ’s‑Hertogenbosch (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort ’s‑Hertogenbosch) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 15 der Richtlinie 2011/95 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. g und Art. 4 dieser Richtlinie sowie Art. 4 und Art. 19 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen, dass bei der Frage, ob ein Antragsteller subsidiären Schutz benötigt, alle relevanten Aspekte, die sich sowohl auf die individuelle Situation und die persönlichen Umstände des Antragstellers als auch auf die allgemeine Situation im Herkunftsland beziehen, immer vollständig und im wechselseitigen Zusammenhang geprüft und beurteilt werden müssen, bevor geklärt wird, welche befürchtete Erscheinungsform eines ernsthaften Schadens anhand dieser Aspekte belegt werden kann?

2.      Ist bei Verneinung der ersten Frage durch den Gerichtshof die Beurteilung der individuellen Situation und der persönlichen Umstände des Antragstellers im Rahmen der Beurteilung gemäß Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95, zu der der Gerichtshof bereits klargestellt hat, dass diese dabei zu berücksichtigen sind, umfassender als die Prüfung anhand des Individualisierungserfordernisses im Sinne des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte [vom 17. Juli 2008], NA./Vereinigtes Königreich [(CE:ECHR:2008:0717JUD002590407)](3)? Können diese Aspekte im Rahmen desselben Antrags auf subsidiären Schutz sowohl bei der Beurteilung gemäß Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95 als auch gemäß Art. 15 Buchst. c dieser Richtlinie berücksichtigt werden?

3.      Ist Art. 15 der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen, dass bei der Beurteilung des subsidiären Schutzbedürfnisses die sogenannte gleitende Skala, zu der der Gerichtshof bereits klargestellt hat, dass sie bei der Beurteilung einer behaupteten Furcht, einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 Buchst. c dieser Richtlinie zu erleiden, anzuwenden ist, auch bei der Beurteilung einer behaupteten Furcht, einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 Buchst. b dieser Richtlinie zu erleiden, angewandt werden muss?

4.      Ist Art. 15 der Richtlinie 2011/95 in Verbindung mit den Art. 1, 4 und Art. 19 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen, dass humanitäre Umstände, die eine (un)mittelbare Folge des Handelns und/oder Unterlassens eines Akteurs sind, von dem ein ernsthafter Schaden ausgeht, bei der Beurteilung zu berücksichtigen sind, ob ein Antragsteller subsidiären Schutz benötigt?

IV.    Verfahren vor dem Gerichtshof

20.      Die Vorlageentscheidung vom 22. Februar 2022 ist am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

21.      Die Kläger des Ausgangsverfahrens, die niederländische, die belgische, die deutsche und die französische Regierung sowie die Europäische Kommission haben innerhalb der in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union genannten Frist schriftliche Erklärungen eingereicht.

22.      In der mündlichen Verhandlung vom 23. März 2023 haben die Prozessbevollmächtigten der Kläger des Ausgangsverfahrens sowie der niederländischen Regierung und der Kommission Erklärungen abgegeben.

V.      Rechtliche Würdigung

A.      Vorbemerkungen

23.      Das Genfer Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge(4) und das dazugehörige Protokoll vom 31. Januar 1967 sind die wichtigsten völkerrechtlichen Rechtsinstrumente im Bereich des internationalen Schutzes, insbesondere was die Rechtsstellung der Flüchtlinge und den Grundsatz der Nichtzurückweisung betrifft. Mit der Annahme der Richtlinie 2011/95 wurde in der Union eine neue Form des Schutzes, der „subsidiäre Schutz“, eingeführt. Diese vom Unionsgesetzgeber insbesondere auf der Grundlage von Art. 78 Abs. 2 Buchst. b AEUV erlassene Richtlinie fügt sich in den Rahmen der Maßnahmen in Bezug auf ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem ein, das „einen einheitlichen subsidiären Schutzstatus für Drittstaatsangehörige, die zwar kein europäisches Asyl erhalten, aber internationalen Schutz benötigen“, vorsieht (Hervorhebung nur hier).

24.      Der Ausdruck „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz“ im Sinne von Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2011/95 bezeichnet „einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt, der aber stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland oder, bei einem Staatenlosen, in das Land seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Artikel 15 zu erleiden“ (Hervorhebung nur hier). Diese Bestimmung sieht drei Arten eines „ernsthaften Schadens“ vor, deren Vorliegen zur Folge hat, dass der Person, die ihnen ausgesetzt ist, subsidiärer Schutz zu gewähren ist. Konkret handelt es sich dabei um die Todesstrafe (Buchst. a), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland (Buchst. b) und eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Buchst. c).

25.      Somit legt die Richtlinie 2011/95 die gemeinsamen Kriterien fest, die Personen, die internationalen Schutz beantragen, erfüllen müssen, um Anspruch auf subsidiären Schutz zu haben, und stellt damit sicher, dass alle Mitgliedstaaten diese Kriterien anwenden. Wie der Gerichtshof zutreffend festgestellt hat, zielt diese Richtlinie darauf ab, eine einheitliche Regelung für den subsidiären Schutz einzuführen(5). Es ist Sache der nationalen Behörden, den Sachverhalt zu beurteilen und festzustellen, ob diese Kriterien im Einzelfall erfüllt sind, wobei sie den Hinweisen zu folgen haben, die sich aus der Rechtsprechung ergeben. Da das vorlegende Gericht Zweifel an der Auslegung von Art. 15 dieser Richtlinie äußert und eine uneinheitliche Praxis bei der Anwendung dieser Kriterien beklagt, halte ich es für unerlässlich, dass sich der Gerichtshof zu den vorgelegten Fragen in klaren Worten äußert, um eine kohärente Anwendung der Regeln des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zu gewährleisten.

26.      Das vorlegende Gericht ersucht den Gerichtshof im Wesentlichen um Klärung, wie die individuelle Lage und die persönlichen Umstände eines Antragstellers einerseits und die allgemeine Situation im Herkunftsland andererseits bei der Prüfung, ob diesem Antragsteller der in Art. 15 der Richtlinie 2011/95 vorgesehene subsidiäre Schutz zu gewähren ist, zu berücksichtigen sind (erste bis dritte Vorlagefrage). Ferner möchte es wissen, ob unter gewissen Voraussetzungen auch humanitäre Umstände bei der Prüfung eines Anspruchs auf subsidiären Schutz zu berücksichtigen sind (vierte Vorlagefrage). Ich werde diese Fragen in der Reihenfolge untersuchen, in der sie gestellt wurden.

B.      Erste Vorlagefrage

27.      Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 15 der Richtlinie 2011/95 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. g und Art. 4 dieser Richtlinie sowie Art. 4 und Art. 19 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen ist, dass die zuständigen Behörden zum Zweck der Feststellung, ob ein Antragsteller der Gefahr ausgesetzt ist, einen der in diesem Art. 15 genannten ernsthaften Schäden zu erleiden, systematisch alle relevanten Aspekte zu prüfen haben, die sich sowohl auf die „individuelle Lage“ und die „persönlichen Umstände“ des Antragstellers als auch auf die „allgemeine Situation“ im Herkunftsland beziehen, bevor geklärt wird, welche Erscheinungsform eines ernsthaften Schadens anhand dieser Aspekte belegt werden kann.

1.      Zur Verpflichtung, eine individuelle Bewertung des Antrags auf internationalen Schutz vorzunehmen, die alle relevanten Aspekte des Herkunftslands sowie die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers berücksichtigt

28.      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es, wie aus Art. 10 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU(6) hervorgeht, der Asylbehörde des betreffenden Mitgliedstaats obliegt, über einen Antrag auf internationalen Schutz nach einer angemessenen Prüfung, wie sie insbesondere in diesem Absatz beschrieben ist, zu entscheiden. Die Prüfung des Antrags durch die Asylbehörde, die über besondere Mittel und Fachpersonal verfügen muss, ist eine wesentliche Phase der mit dieser Richtlinie eingeführten gemeinsamen Verfahren(7).

29.      Sodann ist zu beachten, dass gemäß Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 die Bewertung eines Antrags auf internationalen Schutz auf „individueller“ Grundlage erfolgen muss, wobei u. a. die in diesem Artikel genannten Umstände zu berücksichtigen sind(8). Buchst. a dieser Bestimmung bezieht sich auf „alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die … relevant sind“, während Buchst. c auf die „individuelle Lage“ und die „persönlichen Umstände“ des Antragstellers verweist. Diese Bestimmung gilt auch für die Beurteilung der Frage, ob dem Antragsteller der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist, wenn er nicht als Flüchtling anzusehen ist. Mit anderen Worten: Selbst wenn in einem Antrag auf internationalen Schutz keine der Situation des Antragstellers innewohnenden Umstände geltend gemacht werden, verlangt diese Bestimmung, dass die „individuelle Lage“ sowie die „persönlichen Umstände“ des Antragstellers berücksichtigt werden.

30.      Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass es entgegen dem Vorbringen der französischen Regierung keine hierarchische oder chronologische Reihenfolge zwischen den verschiedenen Arten des ernsthaften Schadens gibt, die in Art. 15 der Richtlinie 2011/95 definiert sind(9), so dass sich daraus kein Argument für eine fehlende Relevanz der „individuellen Lage“ und der „persönlichen Umstände“ des Antragstellers (im Vergleich zur Situation im Herkunftsland) als Aspekt, der bei der Beurteilung seines Antrags auf internationalen Schutz im Licht von Art. 15 Buchst. c dieser Richtlinie zu berücksichtigen ist, ableiten lässt. Im Gegenteil stützt diese Feststellung meines Erachtens eine Auslegung, die gerade verlangt, dass dieser Aspekt im Rahmen der von der zuständigen Behörde vorzunehmenden Bewertung berücksichtigt wird.

31.      Daher geht aus den oben genannten Bestimmungen meines Erachtens hervor, dass bei der Beurteilung, ob der Antragsteller bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von Art. 15 der Richtlinie 2011/95 ausgesetzt wäre, immer sowohl die „individuelle Lage“ und die „persönlichen Umstände“ des Antragstellers als auch alle relevanten Tatsachen, die mit dem Herkunftsland verbunden sind, und damit gegebenenfalls auch die „allgemeine Situation im [betreffenden] Land“ berücksichtigt werden müssen.

2.      Die Erscheinungsformen eines ernsthaften Schadens können gleichzeitig mehrere Kriterien erfüllen, die bei der Beurteilung ein und desselben Antrags auf internationalen Schutz zu bewerten sind

32.      Dies vorausgeschickt, ist jedoch klarzustellen, dass diese Feststellung nicht bedeutet, dass den beiden oben genannten Aspekten (der individuellen Lage und den persönlichen Umständen des Antragstellers einerseits und der allgemeinen Situation im Herkunftsland andererseits) im Rahmen einer Beurteilung nach Art. 15 Buchst. a, b und c der Richtlinie 2011/95 notwendigerweise dieselbe Bedeutung zukommt. In seiner Rechtsprechung hat der Gerichtshof darauf aufmerksam gemacht, dass es zwischen diesen Aspekten Unterschiede gibt, die im Interesse eines besseren Verständnisses der Analyse kurz angesprochen werden sollen.

33.      Was zum einen die Gründe in Buchst. a, „Todesstrafe oder Hinrichtung“, und in Buchst. b, Gefahr von „Folter oder unmenschliche[r] Behandlung“, betrifft, so erfassen diese Fälle eines „ernsthaften Schadens“ Situationen, in denen der den subsidiären Schutz Beantragende spezifisch der Gefahr ausgesetzt ist, einen Schaden ganz bestimmter Art zu erleiden(10). Zum anderen umfasst der in Art. 15 Buchst. c dieser Richtlinie definierte Schaden, der in „einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit“ des Antragstellers besteht, eine Schadensgefahr allgemeinerer Art. So ist dort nämlich in einem weiteren Sinne von „eine[r] … Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit“ einer Zivilperson statt von bestimmten Gewalteinwirkungen die Rede. Außerdem ergibt sich diese Bedrohung aus einer allgemeinen Lage eines bewaffneten Konflikts, die zu „willkürlicher Gewalt“ führt, was impliziert, dass sie sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann(11).

34.      Diese Unterschiede schließen jedoch nicht aus, dass es Überschneidungen gibt, so dass die Erscheinungsformen eines ernsthaften Schadens in bestimmten Fällen gleichzeitig mehrere Kriterien erfüllen können, die bei der Beurteilung ein und desselben Antrags auf internationalen Schutz zu bewerten sind(12). Aus diesem Grund bin ich der Ansicht, dass alle relevanten Aspekte, die sich sowohl auf die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers als auch auf die allgemeine Situation im Herkunftsland beziehen, gemeinsam geprüft und bewertet werden müssen, bevor geklärt wird, welche Erscheinungsform des ernsthaften Schadens den in Art. 15 Buchst. a, b oder c der Richtlinie 2011/95 aufgeführten Fällen am ehesten entspricht.

35.      Darüber hinaus möchte ich darauf hinweisen, dass der Verweis auf eine „ernsthafte individuelle Bedrohung“ (Hervorhebung nur hier) in Art. 15 Buchst. c dieser Richtlinie, wie der Gerichtshof entschieden hat, dahin zu verstehen ist, dass er sich auf schädigende Eingriffe bezieht, die sich gegen Zivilpersonen ungeachtet ihrer Identität richten, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt nach der Beurteilung der zuständigen nationalen Behörden, die mit einem Antrag auf subsidiären Schutz befasst sind, oder der Gerichte eines Mitgliedstaats, bei denen eine Klage gegen die Ablehnung eines solchen Antrags anhängig ist, ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung im Sinne von Art. 15 Buchst. c dieser Richtlinie ausgesetzt zu werden(13).

36.      Auch wenn es zutrifft, dass Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 eine Ausnahmesituation erfassen kann, wie sie in der vorstehenden Nummer beschrieben ist, hat der Gerichtshof jedoch klargestellt, dass diese Bestimmung auch andere Situationen erfassen kann, die durch einen geringeren Grad willkürlicher Gewalt gekennzeichnet sind, in denen sich jedoch eine solche Gefahr aus der persönlichen Situation des Antragstellers ergibt. Wie der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung festgestellt hat, gilt nämlich für die Anwendung von Art. 15 Buchst. c dieser Richtlinie, dass „der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist“(14) (Hervorhebung nur hier).

37.      All diese Erwägungen führen zu der Schlussfolgerung, dass im Rahmen der Prüfung, ob dem Antragsteller subsidiärer Schutz im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 zu gewähren ist, nicht zwangsläufig allein die „allgemeine Situation“ im Herkunftsland, sondern gegebenenfalls auch Aspekte zu berücksichtigen sind, die sich auf die „individuelle Lage“ und die „persönlichen Umstände“ des Antragstellers beziehen.

3.      Einige Grundsätze, die den nationalen Behörden bei der Erfüllung ihrer Aufgaben als Leitlinien dienen können

38.      Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass weder die Richtlinie 2011/95 noch die Richtlinie 2013/32 noch irgendeine andere Vorschrift des Unionsrechts ausdrückliche und detaillierte Regeln darüber enthält, wie der Beurteilungsprozess in Bezug auf die Interdependenz und den sequenziellen Ablauf der Bewertung der verschiedenen Formen eines ernsthaften Schadens im Sinne von Art. 15 der Richtlinie 2011/95 strukturell und organisatorisch zu gestalten ist, und dass die Mitgliedstaaten daher in dieser Hinsicht grundsätzlich über einen gewissen Ermessensspielraum verfügen.

39.      Meines Erachtens lassen sich aus den oben dargelegten Erwägungen, die auf einer Auslegung der einschlägigen Bestimmungen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs beruhen, gleichwohl eine Reihe von Grundsätzen ableiten, die den Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten einschränken können. Da diese Grundsätze den nationalen Behörden bei der Erfüllung ihrer Aufgaben als Leitlinien dienen können, halte ich es für angebracht, sie im Folgenden darzustellen.

40.      Erstens geht aus Art. 15 der Richtlinie 2011/95 hervor, dass der Unionsgesetzgeber bewusst zwischen den verschiedenen möglichen Erscheinungsformen eines ernsthaften Schadens unterschieden hat. Jede der drei in diesem Artikel genannten Formen eines ernsthaften Schadens ist ein eigenständiger Grund für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Folglich müssen alle Anforderungen, die sich aus dem einschlägigen Buchstaben dieses Art. 15 ergeben, erfüllt sein, bevor dieser Status gewährt werden kann. Es reicht daher nicht aus, wenn teilweise die Anforderungen eines Buchstabens und teilweise die eines anderen Buchstabens dieses Art. 15 erfüllt sind. Dies ändert jedoch nichts daran, dass gegebenenfalls gleichzeitig eine tatsächliche Gefahr mehrerer ernsthafter Schäden im Sinne dieser Bestimmung bestehen kann.

41.      Zweitens und unbeschadet des Vorstehenden können in einem Fall, in dem mehrere ernsthafte Schäden im Sinne von Art. 15 der Richtlinie 2011/95 in Betracht kommen, bestimmte Aspekte gleichzeitig für mehrere Erscheinungsformen solcher ernsthafter Schäden relevant sein. In diesem Fall müssen die betreffenden relevanten Aspekte bei der Beurteilung aller in Betracht kommenden Erscheinungsformen ernsthafter Schäden berücksichtigt werden. Wie ich in Nr. 29 der vorliegenden Schlussanträge erläutert habe, verlangt Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 nämlich, stets „alle … Tatsachen, die … relevant sind“ zu berücksichtigen, die dort genannt werden, einschließlich der individuellen Lage und der persönlichen Umstände des Antragstellers sowie der allgemeinen Lage im Herkunftsland. Im Einklang mit dieser Anforderung darf es nicht zugelassen werden, dass in einem Mitgliedstaat bestimmte möglicherweise relevante Aspekte von der Asylbehörde allein aus dem formalen Grund nicht geprüft und bewertet werden, dass der Antragsteller diese Aspekte im Hinblick auf eine der möglicherweise relevanten Erscheinungsformen befürchteter ernsthafter Schäden vorgebracht hat, nicht aber im Hinblick auf eine andere.

42.      Drittens geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass bei der Beurteilung eines Antrags auf internationalen Schutz zwischen zwei Abschnitten unterschieden werden muss(15). Der erste Abschnitt betrifft die Feststellung der tatsächlichen Umstände, die Beweise zur Stützung des Antrags darstellen können, während der zweite Abschnitt die rechtliche Würdigung dieser Umstände betrifft, die in der Entscheidung besteht, ob die materiellen Voraussetzungen für die Gewährung internationalen Schutzes in Anbetracht der Umstände, die einen konkreten Fall auszeichnen, erfüllt sind. Das in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95 vorgesehene Erfordernis der Mitwirkung gilt für den ersten Abschnitt, nicht aber für den zweiten. Diese Unterscheidung zwischen den beiden Abschnitten der Beurteilung – mit unterschiedlichen Verantwortlichkeiten für den Antragsteller und die Asylbehörde – bestätigt, dass es dieser Behörde verwehrt ist, im Vorgriff auf die in Betracht kommende rechtliche Einstufung bestimmte möglicherweise relevante Aspekte auszuschließen. Dies würde dem Grundsatz widersprechen, dass es zwei getrennte Abschnitte gibt, die logischerweise nacheinander durchlaufen werden müssen.

43.      Viertens betrifft ein besonders wichtiger Aspekt, der bei der Beurteilung eines Antrags auf internationalen Schutz im Licht von Art. 15 der Richtlinie 2011/95 zu berücksichtigen ist – und den ich im Rahmen der Prüfung der zweiten Vorlagefrage ausführlich erläutern werde –, die Frage, inwieweit der Antragsteller der Gefahr, eine bestimmte Art von Schaden zu erleiden, spezifisch ausgesetzt ist. Wie der Gerichtshof festgestellt hat, ist diese „Individualisierung“ nicht nur wichtig, um feststellen zu können, ob die Situation des Antragstellers unter die in Buchst. a und b dieses Artikels definierten ernsthaften Schäden fällt,  sondern auch unter die in Buchst. c dieses Artikels genannten. Gemäß der sogenannten „gleitenden Skala“, die von der Rechtsprechung entwickelt wurde und im Hinblick auf Buchst. c anzuwenden ist, wird der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein …, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist“(16) (Hervorhebung nur hier). Folglich muss die zuständige Behörde den im Einzelfall erforderlichen Grad der „Individualisierung“ bestimmen.

44.      Gemäß der Aufteilung der Zuständigkeiten im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob der Ansatz, den die zuständige Behörde im vorliegenden Fall bei der Prüfung des Antrags der Kläger des Ausgangsverfahrens auf internationalen Schutz gewählt hat, den oben dargelegten Anforderungen des Unionsrechts genügt.

4.      Antwort auf die erste Vorlagefrage

45.      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich vor, auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 15 der Richtlinie 2011/95 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in Bezug auf jeden der in einem bestimmten Fall in Betracht kommenden Buchstaben dieses Art. 15 insbesondere alle in Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie aufgeführten Aspekte berücksichtigen muss, zu denen die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers sowie alle relevanten Tatsachen gehören, die mit dem Herkunftsland verbunden sind, und dass diese Prüfung in einer Weise durchgeführt werden muss, die zwischen den beiden Abschnitten der Feststellung der tatsächlichen Umstände, die Beweise zur Stützung des Antrags darstellen können, und der rechtlichen Würdigung dieser Umstände unterscheidet, ohne dass eine gemeinsame Beurteilung der verschiedenen Buchstaben dieses Art. 15 erforderlich ist.

C.      Zweite Vorlagefrage

1.      Die Relevanz der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK

46.      Mit seiner zweiten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen ist, dass im Rahmen der Analyse zur Feststellung der Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne dieser Bestimmung die Aspekte zu beurteilen sind, die sich auf die individuelle Situation und die persönlichen Umstände dieses Antragstellers beziehen, und ob diese Beurteilung umfassender ist als die Prüfung anhand des Erfordernisses der „Individualisierung“, wie es im Urteil NA./Vereinigtes Königreich erwähnt wird.

47.      Insbesondere geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass das vorlegende Gericht unter anderem Aufschluss über die Frage erhalten möchte, ob andere individuelle Umstände als die bloße Herkunft aus einem Gebiet, in dem „die extremsten Fälle allgemeiner Gewalt“ im Sinne dieses Urteils auftreten – d. h. in denen der Grad der Gewalt in einem bestimmten Land ein solches Ausmaß erreicht, dass die Ausweisung einer Person in dieses Land gegen das in Art. 3 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) verankerte Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verstoßen würde – als relevanter Aspekt dienen können, der erforderlich ist, um eine Furcht vor ernsthaften Schäden im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 zu begründen.

48.      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 nicht nur Situationen erfassen kann, die durch ein gewisses Ausmaß an willkürlicher Gewalt gekennzeichnet sind, sondern auch andere Situationen, die durch ein geringeres Ausmaß an Gewalt gekennzeichnet sind, in denen sich eine solche Gefährdung jedoch aus Aspekten ergibt, die mit der persönlichen Situation des Antragstellers zusammenhängen. Wie ich im Rahmen der Prüfung der ersten Vorlagefrage ausgeführt habe(17), hat der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung klargestellt, dass „der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist“ (Hervorhebung nur hier). Daraus folgt, dass bei der nach dieser Bestimmung durchzuführenden Prüfung eine „gleitende Skala“ angewandt werden kann, die auf einer Differenzierung nach dem möglichen Ausmaß an willkürlicher Gewalt und nach der individuellen Situation des Antragstellers beruht, um zu beurteilen, ob der Antragsteller Anspruch auf Schutz nach dieser Bestimmung hat.

49.      Zu der Frage, ob die Beurteilung der individuellen Situation und der persönlichen Umstände des Antragstellers, die im Rahmen der Prüfung zum Zweck der Feststellung der Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 vorgenommen wird, umfassender ist als die Prüfung anhand des Erfordernisses der „Individualisierung“, wie es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil NA./Vereinigtes Königreich erwähnt hat, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Urteil vom 17. Februar 2009, Elgafaji (C‑465/07, EU:C:2009:94), festgestellt hat, dass Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95 im Wesentlichen Art. 3 EMRK entspricht. Hingegen ist Art. 15 Buchst. c dieser Richtlinie wegen seines von dieser Bestimmung der EMRK abweichenden Inhalts unbeschadet der Wahrung der durch die EMRK gewährleisteten Grundrechte autonom auszulegen(18). Unter Bezugnahme auf das oben genannte Urteil NA./Vereinigtes Königreich hat der Gerichtshof hinzugefügt, dass die darin vorgenommene Auslegung von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. e dieser Richtlinie in vollem Umfang mit der EMRK einschließlich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK vereinbar ist(19).

50.      Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ist die Charta rechtsverbindlich geworden und hat den gleichen rechtlichen Rang wie die Verträge, wie dies in Art. 6 Abs. 1 EUV festgelegt ist. Daher ist die Charta nunmehr der wichtigste Bezugspunkt für den Schutz der Grundrechte in der Rechtsordnung der Union. Genau dies ergibt sich aus dem 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95. Es ist jedoch wichtig, klarzustellen, dass die durch die EMRK – und damit auch durch die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – garantierten Grundrechte in der Rechtsordnung der Union ihre uneingeschränkte Bedeutung behalten. Art. 52 Abs. 3 der Charta bestimmt nämlich, dass, soweit die Charta Rechte enthält, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, ihnen die gleiche Bedeutung und Tragweite zukommt, wie sie ihnen in der EMRK verliehen wird.

51.      Was speziell Art. 3 EMRK betrifft, so entspricht das darin enthaltene Grundrecht dem in Art. 4 der Charta verankerten Grundrecht. Wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Bundesrepublik Deutschland (Begriff „ernsthafte individuelle Bedrohung“) dargelegt habe, hat die letztgenannte Bestimmung als solche die gleiche Bedeutung und Tragweite wie die erstgenannte(20). Somit kann die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, insbesondere zu Art. 3 EMRK, zu der auch das Urteil NA./Vereinigtes Königreich gehört, für die Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2011/95 relevant sein.

2.      Weitere zu berücksichtigende Aspekte im Zusammenhang mit der „individuellen Lage“ oder der „persönlichen Situation“ des Antragstellers

52.      Dies vorausgeschickt, ist klarzustellen, dass – da die Auslegung von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 autonom erfolgen muss, wie der Gerichtshof festgestellt hat – die Beurteilung der persönlichen Umstände im Hinblick auf diese Bestimmung nicht auf die Kontrolle des Erfordernisses der „Individualisierung“, wie es im oben angeführten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erwähnt wird, beschränkt ist. Folglich geht die Beurteilung der persönlichen Umstände im Hinblick auf Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 meines Erachtens über die Kontrolle der Einhaltung des genannten Erfordernisses der „Individualisierung“ hinaus.

53.      Wie ich bereits in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Bundesrepublik Deutschland (Begriff „ernsthafte individuelle Bedrohung“)(21) ausgeführt habe, geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs eindeutig hervor, dass die Anwendung von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 zwar in einem ersten Schritt keine Prüfung der persönlichen Situation des Antragstellers voraussetzt, diese Bestimmung aber in einem zweiten Schritt in Verbindung mit Art. 4 Abs. 4 dieser Richtlinie zu lesen ist, so dass den Antragsteller betreffende Umstände persönlicher Art gegebenenfalls bei der Beurteilung des Vorliegens einer ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne dieses Art. 15 Buchst. c berücksichtigt werden können(22).

54.      Gemäß Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95 ist „[d]ie Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, … ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird“ (Hervorhebung nur hier). Folglich ist es nicht ausgeschlossen, dass die Feststellung einer möglichen „ernsthaften individuellen Bedrohung“ im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 auf den gleichen Aspekten wie denen beruht, die bei der Feststellung von „Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung“ berücksichtigt werden, wobei der Antragsteller nachzuweisen hat, dass er ihnen im Sinne von Buchst. b dieses Art. 15 spezifisch ausgesetzt ist.

55.      Darüber hinaus räume ich ein, für die von der deutschen Regierung vorgeschlagene Auslegung empfänglich zu sein, wonach auch bestimmte Faktoren im Zusammenhang mit der individuellen Lage oder der persönlichen Situation des Antragstellers berücksichtigt werden sollten, sofern sie im Fall eines innerstaatlichen oder internationalen bewaffneten Konflikts die Gefahr, Opfer von Gewalt zu werden, erhöhen können(23). Zu diesen Faktoren gehört u. a. der Beruf, wenn z. B. ein Arzt, ein Anwalt oder ein Dolmetscher aufgrund seiner Tätigkeit besonderen Risiken ausgesetzt ist. Auch wenn es unmöglich ist, alle Faktoren erschöpfend aufzuzählen, die das Risiko einer Person erhöhen können, Opfer von Gewalt zu werden, bin ich der Auffassung, dass der zu verfolgende Ansatz klar genug ist, um die Wahrnehmung durch die zuständigen Behörden zu schärfen.

3.      Antwort auf die zweite Vorlagefrage

56.      Aus den oben dargelegten Gründen ist auf die zweite Frage meines Erachtens zu antworten, dass Art. 15 der Richtlinie 2011/95 in Verbindung mit ihrem Art. 4 Abs. 3 und 4 dahin auszulegen ist, dass die individuelle Lage und die persönliche Situation des Antragstellers, einschließlich seines Berufs, bei der Prüfung im Hinblick auf diesen Art. 15 Buchst. c der Richtlinie zu berücksichtigen sind, sofern diese Faktoren im Fall eines innerstaatlichen oder internationalen bewaffneten Konflikts das spezifische Risiko erhöhen, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt zu sein.

D.      Dritte Vorlagefrage

57.      Mit seiner dritten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen ist, dass die oben erwähnte „gleitende Skala“, die bei der Beurteilung im Hinblick auf Buchst. c dieses Artikels angewandt wird, auch bei der Beurteilung im Hinblick auf dessen Buchst. b angewandt werden muss.

58.      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass sich diese „gleitende Skala“ auf das Ausmaß willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen bewaffneten Konflikts bezieht und die Feststellung ermöglicht, ob in einem bestimmten Fall das Ausmaß einer solchen willkürlichen Gewalt, die zu einer ernsthaften und individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson führen kann, so erheblich ist, dass in Bezug auf die betroffene Person ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass diese Person bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2011/95 in Verbindung mit ihrem Art. 15 Buchst. c zu erleiden.

59.      Dagegen erfassen die in Art. 15 Buchst. a und b dieser Richtlinie aufgeführten ernsthaften Schäden unterschiedliche Situationen, in denen der Antragsteller spezifisch der Gefahr ausgesetzt ist, einen Schaden zu erleiden, was einen gewissen Grad an Individualisierung auf der Grundlage von Aspekten erfordert, die seiner persönlichen Situation eigen sind.

60.      Angesichts der Tatsache, dass dieser Art. 15 Buchst. b keine Anforderung in Bezug auf eine Situation enthält, die mit einem bestimmten Maß an willkürlicher Gewalt einhergeht, halte ich diese „gleitende Skala“ für die Beurteilung im Hinblick auf diesen Buchst. b für irrelevant.

61.      Aus diesen Gründen ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU dahin auszulegen ist, dass die „gleitende Skala“, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Zwecke der Beurteilung im Hinblick auf Buchst. c dieses Artikels angewandt wird, nicht auf die erstgenannte Bestimmung anwendbar ist.

E.      Vierte Vorlagefrage

62.      Mit seiner vierten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob im Rahmen der Prüfung, ob dem Antragsteller der in Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 vorgesehene Schutz gewährt werden soll, eine humanitäre Notlage, die sich im Herkunftsland manifestiert, berücksichtigt werden kann.

63.      Nach ständiger Rechtsprechung ist das Verfahren nach Art. 267 AEUV ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen(24). Im Rahmen dieser Zusammenarbeit ist das mit dem Rechtsstreit befasste nationale Gericht am besten in der Lage, im Hinblick auf den Einzelfall sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der Fragen, die es dem Gerichtshof vorlegt, zu beurteilen. Gleichwohl obliegt es dem Gerichtshof gegebenenfalls, zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er vom nationalen Gericht angerufen wird, und insbesondere festzustellen, ob die erbetene Auslegung des Unionsrechts einen Bezug zu den tatsächlichen Gegebenheiten und dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits aufweist, um nicht Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abgeben zu müssen. Stellt sich heraus, dass die vorgelegte Frage für die in diesem Rechtsstreit zu treffende Entscheidung offensichtlich nicht erheblich ist, muss der Gerichtshof feststellen, dass er keine Entscheidung treffen kann(25). Wie ich im Folgenden erläutern werde, bereitet die Prüfung der vierten Frage Schwierigkeiten, die ich für unüberwindbar halte und die es trotz einer aufmerksamen und wohlwollenden Lektüre der Vorlageentscheidung nicht ermöglichen, diese Frage als zulässig anzusehen.

64.      Erstens gibt das vorlegende Gericht nicht ausdrücklich an, auf welchen Buchstaben von Art. 15 der Richtlinie 2011/95 sich diese Frage bezieht. Aus dem Zusammenhang, in dem die Frage gestellt wurde, geht jedoch hervor, dass sie sich auf die Auslegung von Buchst. c dieses Artikels beziehen soll. Darüber hinaus erläutert das vorlegende Gericht nicht, was unter dem Verweis auf „humanitäre Umstände“ zu verstehen ist. Aus den Erläuterungen in der Vorlageentscheidung lässt sich jedoch ableiten, dass sich das vorlegende Gericht auf Situationen bezieht, die durch einen eklatanten Mangel an Grundversorgungsleistungen wie Nahrung, Wasser oder medizinischer Versorgung gekennzeichnet sind, so dass es sich offenbar um eine „humanitäre Notlage“ handelt. Selbst wenn davon auszugehen sein sollte, dass dem vorlegenden Gericht derartige Umstände vorschwebten, wäre zudem festzustellen, dass aus der Vorlageentscheidung nicht hervorgeht, dass sich die Kläger genau in der beschriebenen Situation befinden. Ein bloßer allgemeiner Verweis auf von internationalen Organisationen erstellte Berichte über die Gesamtsituation im Herkunftsland kann eine Einzelfallbeurteilung der Situation des Antragstellers nicht ersetzen.

65.      Die Kläger haben zwar erklärt, dass „die schwierigen Lebensbedingungen, wie der fehlende Zugang zu Brennstoff, Trinkwasser und Strom, einer der Gründe für [ihre] Ausreise gewesen“ seien, aber die Richtlinie 2011/95 stellt hohe Anforderungen an die Gefahr, ernsthafte Schäden zu erleiden(26). Wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, erlegt diese Richtlinie den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auf, „die Personen, die tatsächlich internationalen Schutz benötigen, zu bestimmen“(27) (Hervorhebung nur hier). In diesem Sinne hat der Gerichtshof im Hinblick auf die Gefahr einer Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Drittstaatsangehörigen befunden, dass „allgemeine Unzulänglichkeiten des Gesundheitssystems des Herkunftslands“ nicht in den Anwendungsbereich von Art. 15 Buchst. c dieser Richtlinie fallen(28). Ebenso hat der Gerichtshof festgestellt, dass die objektive Feststellung einer „Gefahr, die mit der allgemeinen Lage eines Landes im Zusammenhang steht“, allein grundsätzlich nicht genügt, um den Tatbestand dieser Bestimmung hinsichtlich einer bestimmten Person als erfüllt anzusehen(29).

66.      Diese Auslegung wird durch den 35. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95 gestützt, aus dem hervorgeht, dass „Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, … für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung dar[stellen], die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre“ (Hervorhebung nur hier). Aus dem Vorstehenden folgt, dass eine Situation, wie die Kläger sie beschreiben, unabhängig davon, wie schwierig die Umstände für die betroffenen Personen sein mögen, nicht als einer der in Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 genannten Fälle angesehen werden kann. Aus diesen Gründen erscheint der Zusammenhang zwischen der vom vorlegenden Gericht gestellten Frage und dem zugrunde liegenden Sachverhalt zumindest fragwürdig. Daher ist die vierte Frage meines Erachtens hypothetischer Natur.

67.      Zweitens ist festzustellen, dass aus der Vorlageentscheidung nicht hervorgeht, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden humanitären Umstände die unmittelbare oder mittelbare Folge des Handelns und/oder Unterlassens eines Akteurs sind, von dem ein ernsthafter Schaden ausgeht, wie die Vorlagefrage nahelegt. In der Vorlageentscheidung wird nicht angegeben, wer der betreffende Akteur ist, worin die konkreten Handlungen und/oder Unterlassungen dieses Akteurs bestehen, ob diese vorsätzlich oder unbeabsichtigt begangen wurden oder welcher genaue Zusammenhang zwischen den humanitären Umständen und diesen Handlungen und/oder Unterlassungen besteht. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass subsidiärer Schutz nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nur gewährt werden kann, wenn die Gefahr Folge eines vorsätzlichen Verhaltens eines der in Art. 6 der Richtlinie 2011/95 genannten Akteure ist(30). Nach Ansicht des Gerichtshofs spricht der Umstand, dass diese Bestimmung eine Liste der Akteure enthält, von denen ein ernsthafter Schaden ausgehen kann, „dafür …, dass solche Schäden durch das Verhalten eines Dritten verursacht werden müssen“(31) (Hervorhebung nur hier).

68.      Im Rahmen von Art. 15 Buchst. c dieser Richtlinie bedeutet dies, dass ein solcher Schutz gewährt werden kann, wenn die ernsthafte und individuelle Bedrohung eine hinreichend direkte Folge willkürlicher Gewalt ist. Im vorliegenden Fall ist es aufgrund des Fehlens der notwendigen Angaben zur spezifischen Situation der Kläger, insbesondere hinsichtlich der genauen Identität der mutmaßlich beteiligten Akteure, nicht möglich, die gestellte Frage zu beantworten, es sei denn, man würde sich von hypothetischen Überlegungen leiten lassen, was die in Nr. 63 der vorliegenden Schlussanträge angeführte Rechtsprechung nicht zulässt.

69.      Drittens kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Vorabentscheidungsersuchen in Wirklichkeit darauf abzielt, den Gerichtshof aufzufordern, in Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 trotz des klaren und erschöpfenden Wortlauts dieser Bestimmung zusätzliche Anforderungen einzubeziehen. Es ist nämlich unbestreitbar, dass diese Bestimmung die „humanitäre Notlage“ als solche nicht als einen der Fälle erwähnt, die einen Anspruch auf subsidiären Schutz begründen können. Zunächst spricht schon der Wortlaut dieser Bestimmung gegen eine Auslegung, die einen solchen Fall umfassen könnte. Ich bin daher der Ansicht, dass eine „humanitäre Notlage“ nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fällt(32).

70.      Darüber hinaus wäre eine solche Auslegung, sollte der Gerichtshof sie in Betracht ziehen, meines Erachtens nicht nur aufgrund der oben dargelegten Erwägungen problematisch, sondern würde auch zu Anwendungsschwierigkeiten für die nationalen Behörden führen, zumal nicht klar wäre, wie sich die zusätzlichen – im Wege richterlicher Auslegung einzubeziehenden – Anforderungen in Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 einfügen würden. Insbesondere würde das Verhältnis zwischen der „humanitären Notlage“ und den in dieser Bestimmung ausdrücklich genannten Anforderungen zahlreiche Fragen aufwerfen. Die mit einem solchen Ansatz verbundenen Schwierigkeiten scheinen mir deutlich zu machen, dass es nicht die Absicht des Unionsgesetzgebers gewesen sein kann, eine solche Erweiterung des Anwendungsbereichs der oben genannten Bestimmung zu akzeptieren, ohne eine Reform vorzusehen(33). Meiner Auffassung nach ist es allein Sache des Unionsgesetzgebers, für Rechtssicherheit zu sorgen, indem er die Richtlinie 2011/95 bei Bedarf ändert.

71.      Aus den in den vorstehenden Nummern dargelegten Gründen schlage ich dem Gericht vor, die vierte Frage für unzulässig zu erklären.

F.      Ergebnis

72.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats ’s‑Hertogenbosch (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort ’s‑Hertogenbosch, Niederlande) wie folgt zu beantworten:

1.      Art. 15 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 dieser Richtlinie

ist dahin auszulegen,

dass die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in Bezug auf jeden der in einem bestimmten Fall in Betracht kommenden Buchstaben dieses Art. 15  insbesondere alle in Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie aufgeführten Aspekte berücksichtigen muss, zu denen die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers sowie alle relevanten Tatsachen gehören, die mit dem Herkunftsland verbunden sind, und dass diese Prüfung in einer Weise durchgeführt werden muss, die zwischen den beiden Abschnitten der Feststellung der tatsächlichen Umstände, die Beweise zur Stützung des Antrags darstellen können, und der rechtlichen Würdigung dieser Umstände unterscheidet, ohne dass eine gemeinsame Beurteilung der verschiedenen Buchstaben dieses Art. 15 erforderlich ist.

2.      Art. 15 der Richtlinie 2011/95 in Verbindung mit ihrem Art. 4 Abs. 3 und 4

ist dahin auszulegen,

dass die individuelle Lage und die persönliche Situation des Antragstellers, einschließlich seines Berufs, bei der Prüfung im Hinblick auf diesen Art. 15 Buchst. c zu berücksichtigen sind, sofern diese Faktoren im Fall eines innerstaatlichen oder internationalen bewaffneten Konflikts das spezifische Risiko erhöhen, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt zu sein.

3.      Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95

ist dahin auszulegen,

dass die „gleitende Skala“, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Zwecke der Beurteilung im Hinblick auf Buchst. c dieses Artikels angewandt wird, nicht auf die erstgenannte Bestimmung anwendbar ist.

4.      Die vierte Vorlagefrage ist unzulässig.


1      Originalsprache: Französisch.


2      ABl. 2011, L 337, S. 9, berichtigt in ABl. 2017, L 167, S. 58.


3      Im Folgenden: Urteil NA./Vereinigtes Königreich.


4      Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, unterzeichnet in Genf am 28. Juli 1951 (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 150, Nr. 2545 [1954]) in der durch das am 31. Januar 1967 in New York geschlossene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge geänderten Fassung.


5      Urteil vom 10. Juni 2021, Bundesrepublik Deutschland (Begriff „ernsthafte individuelle Bedrohung“) (C‑901/19, EU:C:2021:472, Rn. 22).


6      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60).


7      Urteil vom 29. Juli 2019, Torubarov (C‑556/17, EU:C:2019:626, Rn. 64).


8      Urteil vom 10. Juni 2021, Bundesrepublik Deutschland (Begriff „ernsthafte individuelle Bedrohung“) (C‑901/19, EU:C:2021:472, Rn. 41).


9      Vgl. hierzu Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO), EASO-Praxisleitfaden: Anerkennung als international Schutzberechtigte/r, April 2018, S. 27.


10      Urteil vom 10. Juni 2021, Bundesrepublik Deutschland (Begriff „ernsthafte individuelle Bedrohung“) (C‑901/19, EU:C:2021:472, Rn. 25).


11      Urteil vom 17. Februar 2009, Elgafaji (C‑465/07, EU:C:2009:94, Rn. 32 bis 34).


12      Vgl. in diesem Sinne EASO, Artikel 15 Buchstabe c der Anerkennungsrichtlinie (2011/95/EU) – Eine richterliche Analyse, Dezember 2014, S. 15.


13      Urteile vom 17. Februar 2009, Elgafaji (C‑465/07, EU:C:2009:94, Rn. 35), und vom 10. Juni 2021, Bundesrepublik Deutschland (Begriff „ernsthafte individuelle Bedrohung“) (C‑901/19, EU:C:2021:472, Rn. 28).


14      Urteile vom 17. Februar 2009, Elgafaji (C‑465/07, EU:C:2009:94, Rn. 39), und vom 30. Januar 2014, Diakité (C‑285/12, EU:C:2014:39, Rn. 31).


15      Urteile vom 22. November 2012, M. (C‑277/11, EU:C:2012:744, Rn. 44 ff.), und vom 2. Dezember 2014, A u. a. (C‑148/13 bis C‑150/13, EU:C:2014:2406, Rn. 58).


16      Siehe Nr. 36 der vorliegenden Schlussanträge.


17      Siehe Nr. 36 der vorliegenden Schlussanträge.


18      Urteil vom 17. Februar 2009, Elgafaji (C‑465/07, EU:C:2009:94, Rn. 28).


19      Urteil vom 17. Februar 2009, Elgafaji (C‑465/07, EU:C:2009:94, Rn. 44).


20      C‑901/19, EU:C:2021:116, Nr. 49.


21      C‑901/19, EU:C:2021:116, Nr. 24.


22      Urteil vom 17. Februar 2009, Elgafaji (C‑465/07, EU:C:2009:94, Rn. 39 und 40).


23      Vgl. in diesem Sinne Storey, H., EU immigration and asylum law, Kay Hailbronner/Daniel Thym (Hrsg.), München 2016, Teil D III, Art. 15, S. 1238, Rn. 16, der die Auffassung vertritt, dass Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 zum Schutz von Personen dienen kann, denen der Nachweis gelingt, dass sie aufgrund ihrer „individuellen Merkmale“ einer Bedrohung ausgesetzt sind.


24      Urteil vom 20. Dezember 2017, Global Starnet (C‑322/16, EU:C:2017:985, Rn. 17).


25      Urteil vom 24. Oktober 2013, Stoilov i Ko (C‑180/12, EU:C:2013:693, Rn. 38).


26      Urteil vom 17. Februar 2009, Elgafaji (C‑465/07, EU:C:2009:94, Rn. 37).


27      Urteile vom 30. Januar 2014, Diakité (C‑285/12, EU:C:2014:39, Rn. 33), vom 18. Dezember 2014, M'Bodj (C‑542/13, EU:C:2014:2452, Rn. 37), und vom 10. Juni 2021, Bundesrepublik Deutschland (Begriff „ernsthafte individuelle Bedrohung“) (C‑901/19, EU:C:2021:472, Rn. 44).


28      Urteil vom 18. Dezember 2014, M’Bodj (C‑542/13, EU:C:2014:2452, Rn. 31).


29      Urteil vom 17. Februar 2009, Elgafaji (C‑465/07, EU:C:2009:94, Rn. 37).


30      Urteil vom 18. Dezember 2014, M’Bodj (C‑542/13, EU:C:2014:2452, Rn. 31).


31      Urteil vom 18. Dezember 2014, M’Bodj (C‑542/13, EU:C:2014:2452, Rn. 35).


32      Es lässt sich eine gewisse Analogie zu der in Nr. 65 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtsprechung erkennen, wonach spezifische Fallkonstellationen nicht in den Anwendungsbereich von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 fallen.


33      In meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Bundesrepublik Deutschland (Begriff „ernsthafte individuelle Bedrohung“) (C‑901/19, EU:C:2021:116, Nr. 56) habe ich darauf hingewiesen, dass der Wortlaut von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95 das Ergebnis eines Kompromisses zwischen den Mitgliedstaaten ist. Die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung zeigt nämlich, dass sie Gegenstand kontroverser Erörterungen im Rat war (vgl. hierzu Storey, H., a. a. O., S. 1235, Rn. 6).

Top