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Document 62021CJ0522

    Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 16. März 2023.
    MS gegen Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH.
    Vorabentscheidungsersuchen des Pfälzischen Oberlandesgerichts.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges Eigentum – Sortenschutz – Verordnung (EG) Nr. 2100/94 – Ausnahmeregelung gemäß Art. 14 Abs. 3 – Art. 94 Abs. 2 – Verletzung – Schadensersatzanspruch – Verordnung (EG) Nr. 1768/95 – Art. 18 Abs. 2 – Ersatz des Schadens – Auf der Grundlage der vierfachen Lizenzgebühr berechneter Mindestpauschalbetrag – Befugnis der Europäischen Kommission – Ungültigkeit.
    Rechtssache C-522/21.

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:218

     URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

    16. März 2023 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges Eigentum – Sortenschutz – Verordnung (EG) Nr. 2100/94 – Ausnahmeregelung gemäß Art. 14 Abs. 3 – Art. 94 Abs. 2 – Verletzung – Schadensersatzanspruch – Verordnung (EG) Nr. 1768/95 – Art. 18 Abs. 2 – Ersatz des Schadens – Auf der Grundlage der vierfachen Lizenzgebühr berechneter Mindestpauschalbetrag – Befugnis der Europäischen Kommission – Ungültigkeit“

    In der Rechtssache C‑522/21

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Pfälzischen Oberlandesgericht Zweibrücken (Deutschland) mit Beschluss vom 18. August 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 24. August 2021, in dem Verfahren

    MS

    gegen

    Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos, der Richterin L. S. Rossi, der Richter J.‑C. Bonichot und S. Rodin sowie der Richterin O. Spineanu-Matei (Berichterstatterin),

    Generalanwalt: M. Szpunar,

    Kanzler: S. Beer, Verwaltungsrätin,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juli 2022,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    von MS, vertreten durch Rechtsanwalt N. Küster,

    der Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH, vertreten durch Rechtsanwältin E. Trauernicht und Rechtsanwalt K. von Gierke,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch A. C. Becker, B. Eggers und G. Koleva als Bevollmächtigte,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Oktober 2022

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Gültigkeit von Art. 18 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24. Juli 1995 über die Ausnahmeregelung gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (ABl. 1995, L 173, S. 14) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2605/98 der Kommission vom 3. Dezember 1998 (ABl. 1998, L 328, S. 6) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1768/95) im Hinblick auf Art. 94 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (ABl. 1994, L 227, S. 1).

    2

    Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen MS und der Saatgut Treuhandverwaltungs GmbH (im Folgenden: STV) über die Berechnung der Höhe des Ersatzes für den STV durch den unberechtigten Nachbau der Wintergerstensorte KWS Meridian durch MS entstandenen Schaden.

    Rechtlicher Rahmen

    Verordnung Nr. 2100/94

    3

    Art. 11 („Recht auf den gemeinschaftlichen Sortenschutz“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 sieht vor:

    „Das Recht auf den gemeinschaftlichen Sortenschutz steht der Person zu, die die Sorte hervorgebracht oder entdeckt und entwickelt hat bzw. ihrem Rechtsnachfolger; diese Person und ihr Rechtsnachfolger werden im folgenden ‚Züchter‘ genannt.“

    4

    Art. 13 („Rechte des Inhabers des gemeinschaftlichen Sortenschutzes und verbotene Handlungen“) der Verordnung Nr. 2100/94 bestimmt in den Abs. 1 bis 3:

    „(1)   Der gemeinschaftliche Sortenschutz hat die Wirkung, dass allein der oder die Inhaber des gemeinschaftlichen Sortenschutzes, im folgenden ‚Inhaber‘ genannt, befugt sind, die in Absatz 2 genannten Handlungen vorzunehmen.

    (2)   Unbeschadet der Artikel 15 und 16 bedürfen die nachstehend aufgeführten Handlungen in Bezug auf Sortenbestandteile oder Erntegut der geschützten Sorte – beides im folgenden ‚Material‘ genannt – der Zustimmung des Inhabers:

    a)

    Erzeugung oder Fortpflanzung (Vermehrung),

    Der Inhaber kann seine Zustimmung von Bedingungen und Einschränkungen abhängig machen.

    (3)   Auf Erntegut findet Absatz 2 nur Anwendung, wenn es dadurch gewonnen wurde, dass Sortenbestandteile der geschützten Sorte ohne Zustimmung verwendet wurden, und wenn der Inhaber nicht hinreichend Gelegenheit hatte, sein Recht im Zusammenhang mit den genannten Sortenbestandteilen geltend zu machen.“

    5

    In Art. 14 („Abweichung vom gemeinschaftlichen Sortenschutz“) dieser Verordnung heißt es:

    „(1)   Unbeschadet des Artikels 13 Absatz 2 können Landwirte zur Sicherung der landwirtschaftlichen Erzeugung zu Vemehrungszwecken im Feldanbau in ihrem eigenen Betrieb das Ernteerzeugnis verwenden, das sie in ihrem eigenen Betrieb durch Anbau von Vermehrungsgut einer unter den gemeinschaftlichen Sortenschutz fallenden Sorte gewonnen haben, wobei es sich nicht um eine Hybride oder eine synthetische Sorte handeln darf.

    (2)   Absatz 1 gilt nur für folgende landwirtschaftliche Pflanzenarten:

    b) Getreide:

    Hordeum vulgare L. – Gerste

    (3)   Die Bedingungen für die Wirksamkeit der Ausnahmeregelung gemäß Absatz 1 sowie für die Wahrung der legitimen Interessen des Pflanzenzüchters und des Landwirts werden vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung in einer Durchführungsordnung gemäß Artikel 114 nach Maßgabe folgender Kriterien festgelegt:

    Es gibt keine quantitativen Beschränkungen auf der Ebene des Betriebs des Landwirts, soweit es für die Bedürfnisse des Betriebs erforderlich ist;

    das Ernteerzeugnis kann von dem Landwirt selbst oder mittels für ihn erbrachter Dienstleistungen für die Aussaat vorbereitet werden, und zwar unbeschadet einschränkender Bestimmungen, die die Mitgliedstaaten in Bezug auf die Art und Weise, in der dieses Ernteerzeugnis für die Aussaat vorbereitet wird, festlegen können, insbesondere um sicherzustellen, dass das zur Vorbereitung übergebene Erzeugnis mit dem aus der Vorbereitung hervorgegangenen Erzeugnis identisch ist;

    Kleinlandwirte sind nicht zu Entschädigungszahlungen an den Inhaber des Sortenschutzes verpflichtet. …

    andere Landwirte sind verpflichtet, dem Inhaber des Sortenschutzes eine angemessene Entschädigung zu zahlen, die deutlich niedriger sein muss als der Betrag, der im selben Gebiet für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial derselben Sorte in Lizenz verlangt wird; die tatsächliche Höhe dieser angemessenen Entschädigung kann im Laufe der Zeit Veränderungen unterliegen, wobei berücksichtigt wird, inwieweit von der Ausnahmeregelung gemäß Absatz 1 in Bezug auf die betreffende Sorte Gebrauch gemacht wird;

    verantwortlich für die Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen dieses Artikels oder der aufgrund dieses Artikels erlassenen Bestimmungen sind ausschließlich die Inhaber des Sortenschutzes; bei dieser Überwachung dürfen sie sich nicht von amtlichen Stellen unterstützen lassen;

    die Landwirte sowie die Erbringer vorbereitender Dienstleistungen übermitteln den Inhabern des Sortenschutzes auf Antrag relevante Informationen; auch die an der Überwachung der landwirtschaftlichen Erzeugung beteiligten amtlichen Stellen können relevante Informationen übermitteln, sofern diese Informationen im Rahmen der normalen Tätigkeit dieser Stellen gesammelt wurden und dies nicht mit Mehrarbeit oder zusätzlichen Kosten verbunden ist. …“

    6

    Art. 94 („Verletzung“) der Verordnung sieht vor:

    „(1)   Wer

    a)

    hinsichtlich einer Sorte, für die ein gemeinschaftlicher Sortenschutz erteilt wurde, eine der in Artikel 13 Absatz 2 genannten Handlungen vornimmt, ohne dazu berechtigt zu sein, …

    kann vom Inhaber auf Unterlassung der Verletzung oder Zahlung einer angemessenen Vergütung oder auf beides in Anspruch genommen werden.

    (2)   Wer vorsätzlich oder fahrlässig handelt, ist dem Inhaber darüber hinaus zum Ersatz des weiteren aus der Verletzung entstandenen Schadens verpflichtet. Bei leichter Fahrlässigkeit kann sich dieser Anspruch entsprechend dem Grad der leichten Fahrlässigkeit, jedoch nicht unter die Höhe des Vorteils, der dem Verletzer aus der Verletzung erwachsen ist, vermindern.“

    7

    Art. 114 („Sonstige Durchführungsvorschriften“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 bestimmt:

    „Die Einzelheiten der Anwendung dieser Verordnung werden in einer Durchführungsordnung geregelt. …“

    Verordnung Nr. 1768/95

    8

    Die Verordnung Nr. 1768/95 wurde auf der Grundlage von Art. 114 der Verordnung Nr. 2100/94 erlassen.

    9

    Art. 5 („Höhe der Entschädigung“) der Verordnung Nr. 1768/95 bestimmt:

    „(1)   Die Höhe der dem Sortenschutzinhaber zu zahlenden angemessenen Entschädigung gemäß Artikel 14 Absatz 3 vierter Gedankenstrich der [Verordnung Nr. 2100/94] kann zwischen dem Betriebsinhaber und dem betreffenden Landwirt vertraglich vereinbart werden.

    (2)   Wurde ein solcher Vertrag nicht geschlossen oder ist ein solcher nicht anwendbar, so muss der Entschädigungsbetrag deutlich niedriger sein als der Betrag, der im selben Gebiet für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial in Lizenz derselben Sorte der untersten zur amtlichen Zertifizierung zugelassenen Kategorie verlangt wird.

    (4)   Ist im Falle von Absatz 2 die Höhe der Entschädigung durch Vereinbarungen zwischen Vereinigungen von Sortenschutzinhabern und von Landwirten … festgesetzt, … so werden die vereinbarten Beträge in den betreffenden Gebieten und für die betreffenden Arten als Leitlinien für die Festsetzung der Entschädigung verwendet, wenn diese der Kommission zusammen mit den einschlägigen Bedingungen schriftlich von bevollmächtigten Vertretern der entsprechenden Vereinigungen mitgeteilt und daraufhin … veröffentlicht wurden.

    (5)   Liegt im Falle von Absatz 2 keine Vereinbarung im Sinne von Absatz 4 vor, so beläuft sich die Entschädigung auf 50 % des Betrags, der für die Erzeugung des Vermehrungsmaterials in Lizenz gemäß Absatz 2 verlangt wird.

    Hat ein Mitgliedstaat der Kommission jedoch vor [dem] 1. Januar 1999 den unverzüglich bevorstehenden Abschluss einer Vereinbarung gemäß Absatz 4 zwischen den betreffenden Vereinigungen auf nationaler oder regionaler Ebene mitgeteilt, so beläuft sich die Entschädigung in dem betreffenden Gebiet und für die betreffende Art auf 40 % anstelle des vorstehenden Prozentsatzes von 50 %, jedoch nur hinsichtlich der Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung vor der Umsetzung der Vereinbarung und nicht nach dem 1. April 1999.

    …“

    10

    Art. 17 („Verletzung“) der Verordnung Nr. 1768/95 lautet:

    „Der Sortenschutzinhaber kann seine Rechte aus dem gemeinschaftlichen Sortenschutzrecht gegen jedermann geltend machen, der … die in dieser Verordnung verankerten Bedingungen bzw. Beschränkungen hinsichtlich der Ausnahmeregelung gemäß Artikel 14 der [Verordnung Nr. 2100/94] verletzt.“

    11

    Art. 18 („Besondere privatrechtliche Klage“) dieser Verordnung bestimmt:

    „(1)   Der Sortenschutzinhaber kann den Verletzer gemäß Artikel 17 auf Erfüllung seiner Pflichten gemäß Artikel 14 Absatz 3 der [Verordnung Nr. 2100/94] nach den Bestimmungen dieser Verordnung verklagen.

    (2)   Hat der Betreffende im Hinblick auf eine oder mehrere Sorten desselben Sortenschutzinhabers wiederholt vorsätzlich die Pflicht gemäß Artikel 14 Absatz 3 vierter Gedankenstrich der [Verordnung Nr. 2100/94] verletzt, so ist er gegenüber dem Sortenschutzinhaber zum Ersatz des weiteren Schadens gemäß Artikel 94 Absatz 2 der [Verordnung Nr. 2100/94] verpflichtet; diese Ersatzpflicht umfasst mindestens einen Pauschalbetrag, der auf der Grundlage des Vierfachen des Durchschnittsbetrages der Gebühr berechnet wird, die im selben Gebiet für die Erzeugung einer entsprechenden Menge in Lizenz von Vermehrungsmaterial der geschützten Sorten der betreffenden Pflanzenarten verlangt wird, unbeschadet des Ausgleichs eines höheren Schadens.“

    Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

    12

    STV ist eine Vereinigung von Sortenschutzinhabern geschützter Pflanzensorten, die von ihren Mitgliedern mit der Wahrnehmung ihrer Schutzrechte, insbesondere mit der Geltendmachung von Auskunfts- und Zahlungsansprüchen in eigenem Namen, betraut wurde.

    13

    MS ist Landwirt. In den vier Wirtschaftsjahren 2012/2013 bis 2015/2016 hatte er Nachbau bezüglich der nach der Verordnung Nr. 2100/94 geschützten Wintergerstensorte KWS Meridian betrieben.

    14

    STV begehrte im Klagewege u. a. Auskunft über diesen Nachbau. MS legte erstmals vor dem erstinstanzlichen Gericht Zahlen zur Aufbereitung des Saatguts der Wintergerstensorte KWS Meridian für die betreffenden vier Wirtschaftsjahre vor. Danach betrug der Umfang jeweils 24,5, 26, 34 und 45,4 Dezitonnen (dt).

    15

    MS zahlte daraufhin für die Wirtschaftsjahre 2013/14 bis 2015/2016 Beträge, die der Gebühr entsprachen, die für die Verwendung von Saatgut der Wintergerstensorte KWS Meridian in Lizenz geschuldet war und wie ebendiese Gebühr für das Wirtschaftsjahr 2015/16 berechnet wurde; dieser Betrag entsprach dabei der angemessenen Vergütung im Sinne von Art. 94 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94.

    16

    STV verlangte als Entschädigung gemäß Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 in Verbindung mit Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1768/95 (im Folgenden: streitige Bestimmung) für die drei in Rede stehenden Wirtschaftsjahre die Zahlung eines weiter gehenden Schadensersatzes in Höhe des Vierfachen dieser Gebühr, abzüglich des dieser Gebühr entsprechenden Betrags, den MS für die drei Wirtschaftsjahre entrichtet hatte.

    17

    MS stellte in Abrede, dass STV ein Anspruch auf eine solche Zahlung zustehe. Der bei STV eingetretene Schaden sei durch die Zahlung der angemessenen Vergütung im Sinne von Art. 94 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 statt der gemäß Art. 5 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1768/95 bestimmten Nachbaugebühr kompensiert worden. Die Verhängung eines zusätzlichen pauschalierten Strafschadensersatzes sei mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht vereinbar.

    18

    Mit Urteil vom 4. Dezember 2020 gab das Landgericht Kaiserslautern (Deutschland) der Klage von STV im Wesentlichen statt und stellte klar, dass dabei auf den eindeutigen Wortlaut der streitigen Bestimmung Bezug genommen worden sei.

    19

    Gegen dieses Urteil legte MS Berufung beim Pfälzischen Oberlandesgericht Zweibrücken (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, ein. Nach Auffassung von MS ist die streitige Bestimmung für ungültig zu erklären, weil sie nicht mit Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 vereinbar sei. Die letztgenannte Bestimmung erlaube es nämlich nicht, zugunsten des Sortenschutzinhabers einen pauschalierten Strafschadensersatz, hier in Form der vierfachen für die Lizenzerzeugung zu zahlenden Gebühr (im Folgenden: Lizenzgebühr), festzulegen.

    20

    STV meint, die streitige Bestimmung verstoße nicht gegen Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 und stehe mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Einklang.

    21

    Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts hängt die von ihm zu erlassende Entscheidung ausschließlich davon ab, ob die streitige Bestimmung gültig ist. Unter Hinweis darauf, dass eine Verordnung, die aufgrund einer Ermächtigung in einer Grundverordnung erlassen worden sei, von deren Bestimmungen nicht abweichen dürfe und anderenfalls für ungültig zu erklären sei, führt es aus, dass die streitige Bestimmung, mit der die Kommission eine pauschalierte Mindestentschädigung in Höhe der vierfachen Lizenzgebühr festgelegt habe, gegen Art. 94 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 2100/94 verstoßen und deshalb ungültig sein könnte.

    22

    Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass Art. 94 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94, um den dem Verletzer erwachsenen Vorteil auszugleichen, eine angemessene Vergütung vorsehe, die dem Betrag der Lizenzgebühr entspreche. In diesem Kontext sei Art. 94 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 2100/94 möglicherweise dahin zu verstehen, dass der Sortenschutzinhaber bei einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung einen Anspruch auf Ersatz eines weiter gehenden Schadens nur haben solle, wenn er einen solchen Schaden konkret darlegen könne. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs scheine hervorzugehen, dass eine normative Pauschalierung eines Mindestschadens nicht mit Art. 94 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 2100/94 vereinbar sei.

    23

    In diesem Zusammenhang hat das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    Ist Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1768/95, soweit unter den dort genannten Voraussetzungen ein Mindestschadensersatz in Höhe der vierfachen Lizenzgebühr verlangt werden kann, vereinbar mit der Verordnung Nr. 2100/94, insbesondere mit Art. 94 Abs. 2 Satz 1?

    Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

    24

    In ihren Erklärungen weist die Kommission darauf hin, dass die Umstände des Ausgangsverfahrens, wie sie sich aus dem Vorlagebeschluss ergäben, unklar seien, ohne jedoch eindeutig geltend zu machen, dass das Vorabentscheidungsersuchen unzulässig sei. Sie stellt sich die Frage, ob im vorliegenden Fall die in Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 genannten Voraussetzungen (insbesondere Verwendung des Ernteerzeugnisses einer geschützten Sorte zur Sicherung der landwirtschaftlichen Erzeugung, zu Vermehrungszwecken, im Feldanbau, im Betrieb des Landwirts) in den Wirtschaftsjahren 2013/2014 bis 2015/2016 vorlagen. Wenn dies nicht der Fall sei, seien diese Bestimmung und die streitige Bestimmung für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht einschlägig, und die Antwort auf die Vorlagefrage sei insoweit nicht entscheidungserheblich. Es sei jedoch allein Sache des vorlegenden Gerichts, dem die Feststellung aller erheblichen Tatsachen obliege, zu beurteilen, ob die tatsächlichen Voraussetzungen von Art. 14 der Verordnung Nr. 2100/94 erfüllt seien.

    25

    Es ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache des nationalen Gerichts, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, ist, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der Frage zu beurteilen, die es dem Gerichtshof vorlegt. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn sie die Gültigkeit einer Vorschrift des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 16. Juli 2020, Facebook Ireland und Schrems, C‑311/18, EU:C:2020:559, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    26

    Folglich spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen zum Unionsrecht. Der Gerichtshof kann es nur dann ablehnen, über eine Vorlagefrage eines nationalen Gerichts zu befinden, wenn die erbetene Auslegung oder Beurteilung der Gültigkeit einer unionsrechtlichen Regelung offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 28. April 2022, Caruter, C‑642/20, EU:C:2022:308, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    27

    Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorlagebeschluss hervor, dass das nationale Gericht keine Zweifel hinsichtlich der Anwendbarkeit der streitigen Bestimmung auf den Ausgangsrechtsstreit hegt, sondern Zweifel hinsichtlich ihrer Gültigkeit im Hinblick auf die Verordnung Nr. 2100/94, insbesondere deren Art. 94 Abs. 2 Satz 1, hat. Ausweislich des Vorlagebeschlusses hat des Weiteren MS im ersten Rechtszug vorgebracht, dass der bei STV eingetretene Schaden durch die Zahlung der angemessenen Vergütung im Sinne von Art. 94 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 statt der gemäß Art. 5 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1768/95 bestimmten Nachbaugebühr kompensiert worden sei. Die letztgenannte Bestimmung betreffe die Höhe der dem Sortenschutzinhaber nach Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 zu zahlenden angemessenen Entschädigung, was voraussetze, dass die in Art. 14 Abs. 1 dieser Verordnung genannten Bedingungen (insbesondere die Verwendung des Ernteerzeugnisses einer geschützten Sorte zur Sicherung der landwirtschaftlichen Erzeugung, zu Vermehrungszwecken, im Feldanbau, im Betrieb des Landwirts) erfüllt seien. Schließlich ergibt sich aus dem Vorlagebeschluss, dass zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens nur die Höhe des Schadensersatzes in Streit steht, der aufgrund eines nicht genehmigten Nachbaus zu zahlen ist.

    28

    Mithin ist nicht erkennbar – geschweige denn offensichtlich –, dass die vom vorlegenden Gericht erbetene Beurteilung der Gültigkeit in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder dass das Problem hypothetischer Natur ist.

    29

    Das Vorabentscheidungsersuchen ist daher zulässig.

    Zur Vorlagefrage

    30

    Mit seiner einzigen Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die streitige Bestimmung im Hinblick auf Art. 94 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 2100/94 gültig ist, soweit sie bei einer wiederholten vorsätzlichen Verletzung der Pflicht zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung gemäß Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 einen Ersatz des dem Sortenschutzinhabers entstandenen Schadens vorsieht, der mindestens einen Pauschalbetrag umfasst, der auf der Grundlage des Vierfachen des Durchschnittsbetrags der Gebühr berechnet wird, die im selben Gebiet für die Erzeugung einer entsprechenden Menge in Lizenz von Vermehrungsmaterial der geschützten Sorten der betreffenden Pflanzenarten verlangt wird.

    31

    Es ist darauf hinzuweisen, dass es nach Art. 13 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 in Bezug auf Sortenbestandteile oder Erntegut der geschützten Sorte u. a. für die Erzeugung oder Fortpflanzung (Vermehrung) der Zustimmung des Inhabers des Sortenschutzes bedarf.

    32

    Zur Sicherung der landwirtschaftlichen Erzeugung sieht Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 jedoch vor, dass Landwirte in Abweichung von der Pflicht, die Zustimmung des Sortenschutzinhabers einzuholen, zu Vermehrungszwecken im Feldanbau in ihrem eigenen Betrieb das Ernteerzeugnis verwenden können, das sie in ihrem eigenen Betrieb durch Anbau von Vermehrungsgut einer in Art. 14 Abs. 2 dieser Verordnung aufgelisteten geschützten Sorte gewonnen haben. Die Anwendung dieser Ausnahmeregelung ist von bestimmten Bedingungen abhängig.

    33

    Nach Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 werden diese Bedingungen in einer Durchführungsordnung gemäß Art. 114 der Verordnung Nr. 2100/94 nach Maßgabe von Kriterien für die Wirksamkeit dieser Ausnahmeregelung und für die Wahrung der in Art. 11 Abs. 1 dieser Verordnung definierten legitimen Interessen des Pflanzenzüchters und des Landwirts festgelegt. Die verschiedenen Kriterien werden in Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 genannt. Hierzu zählt das in im vierten Gedankenstrich dieses Abs. 3 festgelegte Kriterium, an den Sortenschutzinhaber eine angemessene Ausnahmeentschädigung für diese Verwendung zu zahlen (im Folgenden: angemessene Ausnahmeentschädigung). Diese Entschädigung muss deutlich niedriger sein als der Betrag der Lizenzgebühr.

    34

    Einem Landwirt, der unter Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 fällt, aber dem Sortenschutzinhaber die dort genannte Entschädigung nicht zahlt, kann die Ausnahmeregelung des Art. 14 Abs. 1 dieser Verordnung nicht zugutekommen; es ist dann davon auszugehen, dass er eine der in Art. 13 Abs. 2 dieser Verordnung genannten Handlungen vornimmt, ohne dazu berechtigt zu sein. Nach Art. 94 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 kann dieser Landwirt vom Sortenschutzinhaber auf Unterlassung der Verletzung oder Zahlung einer angemessenen Vergütung oder auf beides in Anspruch genommen werden. Handelt der Landwirt vorsätzlich oder fahrlässig, so ist er darüber hinaus gemäß Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 zum Ersatz des dem Sortenschutzinhaber entstandenen Schadens verpflichtet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juni 2015, Saatgut-Treuhandverwaltung, C‑242/14, EU:C:2015:422, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    35

    Da mit der Verordnung Nr. 1768/95 die in Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 genannten Kriterien präzisiert werden sollen und die Kommission in Ausübung ihrer Durchführungsbefugnisse berechtigt ist, alle für die Durchführung der Verordnung Nr. 2100/94 erforderlichen oder zweckmäßigen Maßnahmen zu ergreifen, sofern sie insbesondere nicht gegen diese Verordnung verstoßen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Oktober 2014, Parlament/Kommission, C‑65/13, EU:C:2014:2289, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung), ist zu prüfen, ob die Kommission dadurch, dass sie in der streitigen Bestimmung einen Mindestpauschalbetrag für den Ersatz des dem Sortenschutzinhaber entstandenen Schadens vorgesehen hat, gegen Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 in seiner Auslegung durch den Gerichtshof verstoßen hat.

    36

    Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich, dass Art. 94 der Verordnung Nr. 2100/94 zugunsten des Inhabers des gemeinschaftlichen Sortenschutzrechts einen Entschädigungsanspruch begründet, der nicht nur vollständig ist, sondern zudem auf einer objektiven Grundlage beruht, denn er erfasst allein den Schaden, der dem Inhaber aus der Verletzungshandlung entstanden ist, ohne dass auf der Grundlage dieses Artikels ein pauschaler Verletzerzuschlag angesetzt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juni 2016, Hansson, C‑481/14, EU:C:2016:419, Rn. 33 und 43).

    37

    Art. 94 der Verordnung Nr. 2100/94 kann daher nicht so ausgelegt werden, dass der Inhaber auf dieser Rechtsgrundlage die Verurteilung des Verletzers zu einem pauschal festgesetzten Strafschadensersatz erwirken kann (Urteil vom 9. Juni 2016, Hansson, C‑481/14, EU:C:2016:419, Rn. 34).

    38

    Vielmehr muss der Umfang des nach Art. 94 dieser Verordnung zu zahlenden Schadensersatzes möglichst genau den Schäden entsprechen, die dem Inhaber des Sortenschutzrechts tatsächlich und sicher durch die Verletzung entstanden sind (Urteil vom 9. Juni 2016, Hansson, C‑481/14, EU:C:2016:419, Rn. 35).

    39

    Zum einen dient Art. 94 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 nämlich zum finanziellen Ausgleich des Vorteils, den der Verletzer aus der Verletzung gezogen hat und der dem Betrag der von ihm nicht entrichteten Lizenzgebühr entspricht. Der Gerichtshof hat insoweit klargestellt, dass diese Bestimmung nicht den Ersatz anderer als der mit der unterbliebenen Zahlung der „angemessenen Vergütung“ im Sinne dieser Bestimmung zusammenhängenden Schäden vorsieht (Urteil vom 9. Juni 2016, Hansson, C‑481/14, EU:C:2016:419, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    40

    Zum anderen betrifft Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 den „weiteren“ Schaden, den der Verletzer dem Inhaber darüber hinaus zu ersetzen verpflichtet ist, wenn die Verletzung „vorsätzlich oder fahrlässig“ begangen worden ist (Urteil vom 9. Juni 2016, Hansson, C‑481/14, EU:C:2016:419, Rn. 32).

    41

    Zum Umfang des Ersatzes des entstandenen Schadens nach Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 hat der Gerichtshof ausgeführt, dass der Inhaber der verletzten Sorte Nachweise dafür beibringen muss, dass sein Schaden über das hinausgeht, was von der angemessenen Vergütung nach Abs. 1 dieses Artikels gedeckt ist (Urteil vom 9. Juni 2016, Hansson, C‑481/14, EU:C:2016:419, Rn. 56).

    42

    Insoweit kann der Betrag der Lizenzgebühr für sich allein nicht als Grundlage für die Bemessung dieses Schadens dienen. Diese Gebühr ermöglicht nämlich die Berechnung der angemessenen Vergütung nach Art. 94 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 und steht nicht zwangsläufig in Zusammenhang mit dem noch nicht ersetzten Schaden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juni 2016, Hansson, C‑481/14, EU:C:2016:419, Rn. 57).

    43

    Jedenfalls obliegt es dem mit der Sache befassten Gericht zu beurteilen, ob die vom Inhaber der verletzten Sorte geltend gemachten Schäden genau nachgewiesen werden können oder ob ein Pauschalbetrag festzusetzen ist, der den tatsächlichen Verhältnissen in Bezug auf diese Schäden möglichst nahekommt (Urteil vom 9. Juni 2016, Hansson, C‑481/14, EU:C:2016:419, Rn. 59).

    44

    Die Gültigkeit der streitigen Bestimmung im Hinblick auf Art. 94 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 2100/94 ist im Licht dieser Erwägungen zu prüfen.

    45

    Als Erstes ist festzustellen, dass die streitige Bestimmung einen Mindestpauschalbetrag festlegt, der unter Bezugnahme auf den Durchschnittsbetrag der Lizenzgebühr berechnet wird, obwohl der Betrag dieser Gebühr, wie in Rn. 42 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, für sich allein nicht als Grundlage für die Bemessung des Schadens nach Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 dienen kann.

    46

    Als Zweites bedeutet die Einführung eines Mindestpauschalbetrags für den Ersatz des dem Sortenschutzinhaber entstandenen Schadens, wie die Kommission in Beantwortung einer Frage des Gerichtshofs ausgeführt hat, dass der Sortenschutzinhaber nicht verpflichtet ist, den Umfang des erlittenen Schadens nachzuweisen, sondern nur, dass seine Rechte wiederholt vorsätzlich verletzt worden sind. Wie in den Rn. 38 und 41 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, muss der Schadensersatz nach Art. 94 der Verordnung Nr. 2100/94 aber möglichst genau den Schäden entsprechen, die dem Inhaber des Sortenschutzrechts tatsächlich und sicher entstanden sind; der Inhaber muss Nachweise dafür beibringen, dass der in Art. 94 Abs. 2 dieser Verordnung angesprochene Schaden über das hinausgeht, was von der angemessenen Vergütung nach Abs. 1 dieses Artikels gedeckt ist.

    47

    Die Einführung eines Mindestpauschalbetrags für den Schadensersatz impliziert auch die Aufstellung einer unwiderlegbaren Vermutung hinsichtlich des Mindestumfangs des Schadens und schränkt das Ermessen des Gerichts ein. Denn dieses kann den in der streitigen Bestimmung festgesetzten Mindestpauschalbetrag allenfalls erhöhen, ihn aber nicht herabsetzen; dies gilt, wie die Kommission in Beantwortung einer zu diesem Gesichtspunkt vom Gerichtshof in der mündlichen Verhandlung gestellten Frage eingeräumt hat, selbst dann, wenn der tatsächliche Schaden leicht festgestellt werden kann und sich herausstellt, dass er niedriger ist als der Mindestpauschalbetrag.

    48

    Schließlich kann nach der in Rn. 43 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung der Schadensersatz nach Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 nur auf der Grundlage einer Beurteilung des mit der Sache befassten Gerichts pauschal festgesetzt werden. Folglich schränkt die streitige Bestimmung, indem sie einen Mindestpauschalbetrag für den Ersatz des dem Sortenschutzinhaber entstandenen Schadens vorsieht, insoweit auch das Ermessen dieses Gerichts ein.

    49

    Als Drittes kann, obwohl – wie in den Rn. 37 und 38 des vorliegenden Urteils sowie den Ausführungen des Generalanwalts in Nr. 83 seiner Schlussanträge dargelegt worden ist – der Umfang des nach Art. 94 der Verordnung Nr. 2100/94 geschuldeten Schadensersatzes möglichst genau den Schäden entsprechen muss, die dem Inhaber des Sortenschutzrechts tatsächlich und sicher entstanden sind, ohne zu einer Verurteilung zu Strafschadensersatz zu führen, die streitige Bestimmung dadurch, dass sie die Höhe des Ersatzes für einen solchen Schaden auf einen Mindestpauschalbetrag festlegt, der auf der Grundlage des vierfachen Durchschnittsbetrags der Lizenzgebühr berechnet wird, zur Gewährung von Strafschadensersatz führen.

    50

    Was als Viertes das Vorbringen der Kommission betrifft, das auf das Urteil vom 25. Januar 2017, Stowarzyszenie Oławska Telewizja Kablowa (C‑367/15, EU:C:2017:36), gestützt wird, so ging es, wie der Generalanwalt in den Nrn. 87 und 88 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, in der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, um die Auslegung der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. 2004, L 157, S. 45), während der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache die Gültigkeit einer Bestimmung der Verordnung Nr. 1768/95 zu beurteilen hat, die eine Maßnahme zur Durchführung der Verordnung Nr. 2100/94 darstellt und daher, wie in Rn. 35 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, mit dieser Verordnung und insbesondere deren Art. 94 Abs. 2 im Einklang stehen muss. Darüber hinaus betrifft diese Richtlinie sämtliche Rechte des geistigen Eigentums, nicht nur den gemeinschaftlichen Sortenschutz; es kommen vielfältige und zahlreiche Verletzungen und Beeinträchtigungen der von ihr erfassten Rechte in Betracht. Zwar kann diese Richtlinie gegebenenfalls einen relevanten Aspekt des Kontexts darstellen, der bei der Auslegung der Verordnung Nr. 2100/94 zu berücksichtigen ist; dabei darf der Verordnung jedoch nicht unter dem Deckmantel ihrer kontextabhängigen Auslegung eine Tragweite beigemessen werden, die ihrem Wortlaut und ihrem Zweck in Bezug auf den gemeinschaftlichen Sortenschutz nicht entspricht.

    51

    Wie sich aus den Rn. 45 bis 49 des vorliegenden Urteils ergibt, verstößt die streitige Bestimmung, soweit sie den Betrag der geschuldeten Entschädigung im Verhältnis zur Lizenzgebühr festsetzt, eine unwiderlegbare Vermutung hinsichtlich des Mindestumfangs des dem Sortenschutzinhaber entstandenen Schadens einführt und das Ermessen des mit der Sache befassten Gerichts einschränkt, gegen Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 in seiner Auslegung durch den Gerichtshof. Der von STV und der Kommission vorgebrachte Umstand, dass diese Bestimmung nur im Fall einer wiederholten vorsätzlichen Verletzung der in Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 vorgesehenen Pflicht zur Zahlung der angemessenen Ausnahmeentschädigung anwendbar sei, kann an diesem Ergebnis nichts ändern. Daher hat die Kommission mit dem Erlass der streitigen Bestimmung im Hinblick auf Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 die Grenzen ihrer Durchführungsbefugnis überschritten.

    52

    Nach alledem ist die streitige Bestimmung im Hinblick auf Art. 94 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 2100/94 ungültig, soweit sie bei einer wiederholten vorsätzlichen Verletzung der Pflicht zur Zahlung einer angemessenen Ausnahmeentschädigung gemäß Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 einen Ersatz des dem Sortenschutzinhabers entstandenen Schadens vorsieht, der mindestens einen Pauschalbetrag umfasst, der auf der Grundlage des Vierfachen des Durchschnittsbetrags der Gebühr berechnet wird, die im selben Gebiet für die Erzeugung einer entsprechenden Menge in Lizenz von Vermehrungsmaterial der geschützten Sorten der betreffenden Pflanzenarten verlangt wird.

    Kosten

    53

    Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

     

    Art. 18 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24. Juli 1995 über die Ausnahmeregelung gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2605/98 der Kommission vom 3. Dezember 1998 geänderten Fassung ist ungültig.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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