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Document 62021CJ0438

Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 16. März 2023.
Europäische Kommission u. a. gegen Pharmaceutical Works Polpharma S.A.
Rechtsmittel – Öffentliche Gesundheit – Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83/EG – Verordnung (EG) Nr. 726/2004 – Antrag auf Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Generikums des Arzneimittels Tecfidera – Entscheidung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), mit der die Validierung des Antrags auf Genehmigung für das Inverkehrbringen abgelehnt wurde – Früherer Beschluss der Europäischen Kommission, in dem angenommen wurde, dass Tecfidera nicht unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen falle wie Fumaderm – Wirkstoffkombination, für die bereits eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt worden ist – In der Folge für einen Wirkstoff der Wirkstoffkombination erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen – Beurteilung des Vorliegens einer umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen.
Verbundene Rechtssachen C-438/21 P bis C-440/21 P.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:213

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

16. März 2023 ( *1 )

„Rechtsmittel – Öffentliche Gesundheit – Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83/EG – Verordnung (EG) Nr. 726/2004 – Antrag auf Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Generikums des Arzneimittels Tecfidera – Entscheidung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), mit der die Validierung des Antrags auf Genehmigung für das Inverkehrbringen abgelehnt wurde – Früherer Beschluss der Europäischen Kommission, in dem angenommen wurde, dass Tecfidera nicht unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen falle wie Fumaderm – Wirkstoffkombination, für die bereits eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt worden ist – In der Folge für einen Wirkstoff der Wirkstoffkombination erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen – Beurteilung des Vorliegens einer umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen“

In den verbundenen Rechtssachen C‑438/21 P bis C‑440/21 P

betreffend drei Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 14. Juli 2021 (C‑438/21 P und C‑439/21 P) bzw. 15. Juli 2021 (C‑440/21 P),

Europäische Kommission, zunächst vertreten durch S. Bourgois, L. Haasbeek und A. Sipos als Bevollmächtigte, dann durch L. Haasbeek und A. Sipos als Bevollmächtigte,

Rechtsmittelführerin,

andere Parteien des Verfahrens:

Pharmaceutical Works Polpharma S.A. mit Sitz in Starogard Gdański (Polen), vertreten durch N. Carbonnelle, Avocat, S. Faircliffe, Solicitor, und M. Martens, Advocaat,

Klägerin im ersten Rechtszug,

Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), vertreten durch S. Drosos, H. Kerr und S. Marino als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

Biogen Netherlands BV mit Sitz in Badhoevedorp (Niederlande), vertreten durch C. Schoonderbeek, Advocaat,

Streithelferin im ersten Rechtszug (C‑438/21 P),

und

Biogen Netherlands BV mit Sitz in Badhoevedorp, vertreten durch C. Schoonderbeek, Advocaat,

Rechtsmittelführerin,

andere Parteien des Verfahrens:

Pharmaceutical Works Polpharma S.A. mit Sitz in Starogard Gdański, vertreten durch N. Carbonnelle, Avocat, S. Faircliffe, Solicitor, M. Martens, Advocaat,

Klägerin im ersten Rechtszug,

Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), vertreten durch S. Drosos und S. Marino als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

Europäische Kommission, zunächst vertreten durch S. Bourgois, L. Haasbeek und A. Sipos als Bevollmächtigte, dann durch L. Haasbeek und A. Sipos als Bevollmächtigte,

Streithelferin im ersten Rechtszug (C‑439/21 P),

und

Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), vertreten durch S. Drosos, H. Kerr und S. Marino als Bevollmächtigte,

Rechtsmittelführerin,

andere Parteien des Verfahrens:

Pharmaceutical Works Polpharma S.A. mit Sitz in Starogard Gdański, vertreten durch N. Carbonnelle, Avocat, S. Faircliffe, Solicitor, und M. Martens, Advocaat,

Klägerin im ersten Rechtszug,

Europäische Kommission, zunächst vertreten durch S. Bourgois, L. Haasbeek und A. Sipos als Bevollmächtigte, dann durch L. Haasbeek und A. Sipos als Bevollmächtigte,

Biogen Netherlands BV mit Sitz in Badhoevedorp, vertreten durch C. Schoonderbeek, Advocaat,

Streithelferinnen im ersten Rechtszug (C‑440/21),

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos, der Richterin L. S. Rossi, der Richter J.‑C. Bonichot und S. Rodin sowie der Richterin O. Spineanu-Matei (Berichterstatterin),

Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: R. Stefanova-Kamisheva, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. Juni 2022,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 6. Oktober 2022

folgendes

Urteil

1

Mit ihren Rechtsmitteln begehren die Europäische Kommission (C‑438/21 P), die Biogen Netherlands BV (im Folgenden: Biogen) (C‑439/21 P) und die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) (C‑440/21 P) jeweils die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 5. Mai 2021, Pharmaceutical Works Polpharma/EMA (T‑611/18, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2021:241), mit dem der Beschluss der EMA vom 30. Juli 2018, mit dem die Validierung des Antrags der Pharmaceutical Works Polpharma S.A. (im Folgenden: Polpharma) auf Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Generikums des Arzneimittels Tecfidera abgelehnt wurde (im Folgenden: streitiger Beschluss), für nichtig erklärt wurde.

Rechtlicher Rahmen

Richtlinie 2001/83/EG

2

In den Erwägungsgründen 9 und 12 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 67) in der durch die Richtlinie 2012/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 (ABl. 2012, L 299, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/83) heißt es:

„(9)

Die Erfahrung hat gezeigt, dass jene Fälle noch genauer bestimmt werden müssen, in denen für die Genehmigung eines Arzneimittels, das im Wesentlichen einem bereits zugelassenen Arzneimittel gleicht, die Ergebnisse der toxikologischen und pharmakologischen Versuche und ärztlichen oder klinischen Prüfungen nicht angegeben werden brauchen, wobei darauf zu achten ist, dass innovative Unternehmen nicht benachteiligt werden.

(12)

Mit Ausnahme der Arzneimittel, die dem zentralisierten Gemeinschaftsgenehmigungsverfahren unterliegen, das durch die Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 des Rates vom 22. Juli 1993 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Humanarzneimitteln und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln [(ABl. 1993, L 214, S. 1)] festgelegt wurde, sollte eine von der zuständigen Behörde in einem Mitgliedstaat erteilte Genehmigung für ein Arzneimittel in einem Mitgliedstaat von den zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden, sofern keine schwer wiegenden Gründe die Annahme rechtfertigen, dass die Genehmigung des betreffenden Arzneimittels ein Risiko für die öffentliche Gesundheit darstellen könnte. Im Fall von Unstimmigkeiten zwischen Mitgliedstaaten über die Qualität, die Sicherheit oder die Wirksamkeit eines Arzneimittels sollte auf Gemeinschaftsebene eine wissenschaftliche Beurteilung der Angelegenheit vorgenommen werden, die zu einer einheitlichen Entscheidung über den strittigen Punkt führt, die für die betreffenden Mitgliedstaaten bindend ist. Diese Entscheidung sollte in einem raschen Verfahren erlassen werden, das eine enge Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten sicherstellt.“

3

Art. 1 der Richtlinie 2001/83 bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:

2.

Arzneimittel:

a)

Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind, oder

b)

alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen.

3a. Wirkstoff:

Jeder Stoff oder jedes Gemisch von Stoffen, der bzw. das bei der Herstellung eines Arzneimittels verwendet werden soll und im Fall der Verwendung bei seiner Herstellung zu einem Wirkstoff dieses Arzneimittels wird, das eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung ausüben soll, um die physiologischen Funktionen wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen, oder eine medizinische Diagnose erstellen soll.

…“

4

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 bestimmt:

„Ein Arzneimittel darf in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats nach dieser Richtlinie eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt hat oder wenn eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung der Verfahren der Union für die Genehmigung und Überwachung von Humanarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. 2004, L 136, S. 1)] … erteilt wurde.

Ist für ein Arzneimittel eine Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Unterabsatz 1 erteilt worden, so müssen auch alle weiteren Stärken, Darreichungsformen, Verabreichungswege und Verabreichungsformen sowie alle Änderungen und Erweiterungen gemäß Unterabsatz 1 genehmigt oder in die Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen einbezogen werden. Alle diese Genehmigungen für das Inverkehrbringen werden insbesondere für den Zweck der Anwendung des Artikels 10 Absatz 1 als Bestandteil derselben umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen angesehen.“

5

Art. 10 der Richtlinie 2001/83 bestimmt in den Abs. 1 und 2:

„(1)   Abweichend von Artikel 8 Absatz 3 Buchstabe i) und unbeschadet des Rechts über den Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums ist der Antragsteller nicht verpflichtet, die Ergebnisse der vorklinischen und klinischen Versuche vorzulegen, wenn er nachweisen kann, dass es sich bei dem Arzneimittel um ein Generikum eines Referenzarzneimittels handelt, das gemäß Artikel 6 seit mindestens acht Jahren in einem Mitgliedstaat oder in der [Union] genehmigt ist oder wurde.

Ein Generikum, das gemäß dieser Bestimmung genehmigt wurde, wird erst nach Ablauf von zehn Jahren nach Erteilung der Erstgenehmigung für das Referenzarzneimittel in Verkehr gebracht.

Der in Unterabsatz 2 vorgesehene Zeitraum von zehn Jahren wird auf höchstens elf Jahre verlängert, wenn der Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen innerhalb der ersten acht Jahre dieser zehn Jahre die Genehmigung eines oder mehrerer neuer Anwendungsgebiete erwirkt, die bei der wissenschaftlichen Bewertung vor ihrer Genehmigung als von bedeutendem klinischen Nutzen im Vergleich zu den bestehenden Therapien betrachtet werden.

(2)   Im Sinne dieses Artikels bedeutet:

a)

‚Referenzarzneimittel‘: ein gemäß Artikel 6 in Übereinstimmung mit Artikel 8 genehmigtes Arzneimittel;

b)

‚Generikum‘: ein Arzneimittel, das die gleiche qualitative und quantitative Zusammensetzung aus Wirkstoffen und die gleiche Darreichungsform wie das Referenzarzneimittel aufweist und dessen Bioäquivalenz mit dem Referenzarzneimittel durch geeignete Bioverfügbarkeitsstudien nachgewiesen wurde. Die verschiedenen Salze, Ester, Ether, Isomere, Mischungen von Isomeren, Komplexe oder Derivate eines Wirkstoffs gelten als ein und derselbe Wirkstoff, es sei denn, ihre Eigenschaften unterscheiden sich erheblich hinsichtlich der Sicherheit und/oder Wirksamkeit. In diesem Fall müssen vom Antragsteller ergänzende Daten vorgelegt werden, die die Sicherheit und/oder Wirksamkeit der verschiedenen Salze, Ester oder Derivate eines zugelassenen Wirkstoffs belegen. Die verschiedenen oralen Darreichungsformen mit sofortiger Wirkstofffreigabe gelten als ein und dieselbe Darreichungsform. Dem Antragsteller können die Bioverfügbarkeitsstudien erlassen werden, wenn er nachweisen kann, dass das Generikum die relevanten Kriterien erfüllt, die in den entsprechenden ausführlichen Leitlinien festgelegt sind.“

6

Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 bestimmt:

„Werden für ein bestimmtes Arzneimittel zwei oder mehr Anträge auf Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß den Artikeln 8, 10, 10a, 10b, 10c und 11 gestellt und haben die Mitgliedstaaten abweichende Entscheidungen bezüglich der Genehmigung des Arzneimittels oder ihrer Aussetzung oder ihrer Rücknahme getroffen, so kann ein Mitgliedstaat, die Kommission, der Antragsteller oder der Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen die Angelegenheit an den Ausschuss für Humanarzneimittel, nachstehend ‚Ausschuss‘ genannt, verweisen, um das Verfahren nach den Artikeln 32, 33 und 34 einzuleiten.“

7

Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten, die Kommission, der Antragsteller oder der Inhaber einer Genehmigung für das Inverkehrbringen befassen in besonderen Fällen von Unionsinteresse den Ausschuss mit der Anwendung des Verfahrens nach Artikel 32, 33 und 34, bevor sie über einen Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen, über die Aussetzung oder den Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen bzw. über jede andere Änderung der Genehmigung für das Inverkehrbringen, die für erforderlich gehalten wird, entscheiden.“

…“

Verordnung Nr. 726/2004

8

In der Verordnung Nr. 726/2004 heißt es in den Erwägungsgründen 17 und 19:

„(17)

Der [Union] sollten die nötigen Mittel für eine wissenschaftliche Beurteilung der Arzneimittel zur Verfügung stehen, für die eine Genehmigung gemäß den dezentralisierten [Verfahren] beantragt wird. Um eine wirksame Harmonisierung der Verwaltungsentscheidungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich Arzneimitteln zu erreichen, für die eine Genehmigung nach den dezentralisierten Verfahren beantragt wird, müssen für die [Union] zudem die nötigen Mittel bereitgestellt werden, damit sie zwischen den Mitgliedstaaten auftretende Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von Arzneimitteln ausräumen kann.

(19)

Die Hauptaufgabe der [EMA] sollte darin bestehen, den [Unionsorganen] und den Mitgliedstaaten wissenschaftliche Gutachten auf möglichst hohem Niveau bereitzustellen, damit diese die Befugnisse hinsichtlich der Genehmigung und Überwachung von Arzneimitteln ausüben können, die ihnen durch die [Unionsvorschriften] im Arzneimittelbereich übertragen wurden. Erst nachdem die [EMA] eine einheitliche wissenschaftliche Beurteilung der Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von technologisch hochwertigen Arzneimitteln auf möglichst hohem Niveau vorgenommen hat, sollte die [Union] in einem beschleunigten Verfahren, das eine enge Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten gewährleistet, eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilen.“

9

Art. 3 der Verordnung Nr. 726/2004 bestimmt in Abs. 3:

„Ein Generikum eines von der [Union] genehmigten Referenzarzneimittels kann von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten unter folgenden Bedingungen gemäß der Richtlinie 2001/83/EG und der Richtlinie 2001/82/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 1)] genehmigt werden:

a)

Der Antrag auf Genehmigung wird gemäß Artikel 10 der Richtlinie 2001/83/EG oder gemäß Artikel 13 der Richtlinie 2001/82/EG eingereicht,

b)

die Zusammenfassung der Produktmerkmale entspricht in allen einschlägigen Punkten der des von der [Union] genehmigten Arzneimittels, außer bei jenen Teilen der Zusammenfassung der Produktmerkmale, die sich auf Indikationen oder Dosierungen beziehen, die zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Generikums noch unter das Patentrecht fielen, und

c)

das Generikum wird in allen Mitgliedstaaten, in denen der Antrag gestellt wurde, unter demselben Namen genehmigt. Für die Zwecke dieser Bestimmung gelten alle sprachlichen Fassungen der internationalen Freinamen (INN) als gleich.“

10

Art. 4 der Verordnung Nr. 726/2004 bestimmt in Abs. 1:

„Anträge für die in Artikel 3 genannten Genehmigungen für das Inverkehrbringen sind bei der [EMA] einzureichen.“

11

Art. 5 der Verordnung Nr. 726/2004 bestimmt in Abs. 1:

„Es wird ein Ausschuss für Humanarzneimittel eingerichtet. Dieser Ausschuss ist Teil der [EMA].“

12

Art. 57 der Verordnung Nr. 726/2004 bestimmt in Abs. 1 Unterabs. 1:

„Die [EMA] erteilt den Mitgliedstaaten und den Organen der [Union] den bestmöglichen wissenschaftlichen Rat in Bezug auf alle Fragen der Beurteilung der Qualität, der Sicherheit und der Wirksamkeit von Humanarzneimitteln oder Tierarzneimitteln, die gemäß den Bestimmungen der … Rechtsvorschriften [der Union] über Arzneimittel an sie herangetragen werden.“

13

Art. 60 der Verordnung Nr. 726/2004 bestimmt:

„Auf Verlangen der Kommission sammelt die [EMA] in Bezug auf genehmigte Arzneimittel alle verfügbaren Informationen über die von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten verwendeten Methoden zur Bestimmung des zusätzlichen therapeutischen Nutzens neuer Arzneimittel.“

Verordnung (EG) Nr. 1234/2008

14

Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2008 der Kommission vom 24. November 2008 über die Prüfung von Änderungen der Zulassungen von Human- und Tierarzneimitteln (ABl. 2008, L 334, S. 7) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 712/2012 der Kommission vom 3. August 2012 (ABl. 2012, L 209, S. 4) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1234/2008) bestimmt:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

4.

‚Zulassungserweiterung‘ oder ‚Erweiterung‘ eine Änderung, die in Anhang I aufgeführt ist und die dort festgelegten Voraussetzungen erfüllt;

…“

15

In Anhang I („Zulassungserweiterungen“) der Verordnung Nr. 1234/2008 heißt es:

„1. Änderungen bei dem (den) Wirkstoff(en):

a)

Ersetzen eines chemischen Wirkstoffs durch einen anderen Salz/Ester-Komplex oder ein anderes Salz/Ester-Derivat mit derselben Wirkungskomponente bei nicht signifikant unterschiedlichen Wirksamkeits-/Unbedenklichkeitsmerkmalen;

…“

16

Mit der Verordnung Nr. 1234/2008 wurde die Verordnung (EG) Nr. 1085/2003 der Kommission vom 3. Juni 2003 über die Prüfung von Änderungen einer Zulassung für Human- und Tierarzneimittel gemäß der Verordnung Nr. 2309/93 (ABl. 2003, L 159, S. 24) aufgehoben.

Vorgeschichte des Rechtsstreits

17

Die Vorgeschichte des Rechtsstreits ist im angefochtenen Urteil in den Rn. 1 bis 51 dargestellt. Für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens lässt sie sich wie folgt zusammenfassen.

18

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Deutschland) (im Folgenden: BfArM) erteilte der Fumapharm AG am 9. August 1994 für zwei Dosierungen des Arzneimittels Fumaderm, eines Arzneimittels zur Behandlung der Schuppenflechte, jeweils eine Zulassung (Genehmigung für das Inverkehrbringen). Fumaderm wurde als Wirkstoffkombination aus Dimethylfumarat (im Folgenden: DMF) und verschiedenen Ethylhydrogenfumaratsalzen (Monoethylfumaratsalze, im Folgenden: MEF) zugelassen. Die Unterlagenschutzfrist gemäß Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 endete für Fumaderm im Lauf des Jahres 2004. Die betreffenden Genehmigungen für das Inverkehrbringen wurden zuletzt auf die Biogen Idec Ltd übertragen.

19

Biogen Idec beantragte bei der EMA am 28. Februar 2012 gemäß Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 726/2004, für das Humanarzneimittel Tecfidera – Dimethylfumarat (im Folgenden: Tecfidera) eine Genehmigung für das Inverkehrbringen zu erteilen.

20

Am 30. Januar 2014 erließ die Kommission den Durchführungsbeschluss K(2014)601 endg. über die Erteilung einer Zulassung für Tecfidera gemäß der Verordnung Nr. 726/2004 (im Folgenden: Durchführungsbeschluss vom 30. Januar 2014), von dem im Amtsblatt der Europäischen Union am 28. Februar 2014 eine Zusammenfassung veröffentlicht wurde (ABl. 2014, C 59, S. 1).

21

Mit dem Beschluss wurde Tecfidera als für die Behandlung der Multiplen Sklerose bestimmtes Monopräparat mit dem Wirkstoff DMF zugelassen. Die Kommission stellte außerdem fest, dass Tecfidera und Fumaderm nicht unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 fielen. Hierzu heißt es im dritten Erwägungsgrund des Beschlusses:

„[DMF], der Wirkstoff in [Tecfidera], ist Teil der Zusammensetzung des zugelassenen Arzneimittels Fumaderm desselben Zulassungsinhabers, das aus DMF und Ethylfumarat-Calciumsalz, Ethylhydrogenfumarat-Magnesiumsalz und Ethylhydrogenfumarat-Zinksalz ([MEF]) besteht. Der Ausschuss für Humanarzneimittel ist zu dem Schluss gelangt, dass es sich bei MEF und DMF um zwei eigenständige Wirkstoffe und nicht um ein und denselben Wirkstoff handelt, da sie nicht über die gleiche Wirkungskomponente verfügen. Daher wird die Auffassung vertreten, dass sich Tecfidera, das DMF enthält, von Fumaderm, dem anderen, bereits zugelassenen Arzneimittel, das aus DMF und [MEF] besteht, unterscheidet. Folglich sind [Tecfidera], für das ein Antrag gemäß Artikel 8 Absatz 3 der Richtlinie [2001/83] gestellt wurde, und das bereits zugelassene Arzneimittel Fumaderm nicht Bestandteil derselben umfassenden Zulassung gemäß Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie [2001/83].“

22

Polpharma beantragte bei der EMA am 27. November 2017, zu bestätigen, dass sie gemäß Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 726/2004 im zentralisierten Verfahren einen Antrag auf Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Generikums des Referenzarzneimittels Tecfidera mit dem Namen Dimethyl Fumarate Pharmaceutical Works Polpharma einreichen könne.

23

Am 30. Juli 2018 erließ die EMA den streitigen Beschluss, mit dem sie Polpharma mitteilte, dass sie ihren Antrag nicht validieren könne. Zur Begründung führte die EMA aus, dass Tecfidera und das bereits zugelassene Arzneimittel Fumaderm dem dritten Erwägungsgrund des Durchführungsbeschlusses vom 30. Januar 2014 zufolge nicht unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 fielen, da es sich bei MEF und DMF, weil sie nicht über die gleiche Wirkungskomponente verfügten, um zwei eigenständige Wirkstoffe und nicht um ein und denselben Wirkstoff handele. Für Tecfidera gelte eine eigenständige Unterlagenschutzfrist von acht Jahren. Diese sei noch nicht abgelaufen. Eine Bezugnahme auf die im Dossier von Tecfidera enthaltenen Daten der vorklinischen und klinischen Versuche für die Zwecke der Stellung eines Zulassungsantrags nach Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 sei daher nicht zulässig.

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

24

Mit Klageschrift, die am 9. Oktober 2018 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob Polpharma Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses.

25

Mit Beschlüssen des Gerichts vom 19. März 2019 wurden Biogen, die Gesellschaft, auf die die für Tecfidera erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen übertragen worden war, und die Kommission als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge der EMA zugelassen.

26

Polpharma machte einen einzigen Klagegrund geltend. Sie rügte, dass der Durchführungsbeschluss vom 30. Januar 2014 rechtswidrig sei. Dieser Beschluss, der die Rechtsgrundlage des streitigen Beschlusses bilde, sei gemäß Art. 277 AEUV für nicht anwendbar zu erklären. Er sei insoweit rechtswidrig, als die Kommission darin angenommen habe, dass Tecfidera und Fumaderm verschieden seien und daher nicht unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen fielen. Bei einem Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Wirkstoffs, der Bestandteil einer bereits zugelassenen Wirkstoffkombination sei, hänge die Beurteilung des Bestehens eines Unterschieds zwischen dieser Kombination und diesem Wirkstoff für sich genommen davon ab, ob die einzelnen Wirkstoffe der Wirkstoffkombination innerhalb dieser Kombination jeweils einen dokumentierten und relevanten therapeutischen Beitrag leisteten. Folglich fehle dem streitigen Beschluss, mit dem die Validierung des Antrags auf Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Generikums von Tecfidera abgelehnt worden sei, die Rechtsgrundlage. Er sei u. a. wegen fehlender Begründung gemäß Art. 296 AEUV für nichtig zu erklären.

27

Als Erstes stellt das Gericht in den Rn. 85 bis 149 des angefochtenen Urteils fest, dass die von Polpharma in Bezug auf den Durchführungsbeschluss vom 30. Januar 2014 erhobene Einrede der Rechtswidrigkeit zulässig sei. Bei diesem Beschluss handele es sich, soweit in ihm festgestellt werde, dass Tecfidera nicht unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen falle wie das bereits zugelassene Arzneimittel Fumaderm, um einen „Rechtsakt mit allgemeiner Geltung“. Zudem habe sich die Kommission bei der Feststellung, dass Tecfidera und Fumaderm nicht unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen fielen, ausdrücklich auf die Beurteilungen des durch Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 726/2004 eingerichteten Ausschusses für Humanarzneimittel, der Teil der EMA ist (im Folgenden: CHMP), gestützt. Um die Rechtswidrigkeit des Durchführungsbeschlusses vom 30. Januar 2014 darzutun, sei Polpharma daher berechtigt, die Beurteilungen zu beanstanden, die in den Dokumenten des CHMP zu Tecfidera enthalten seien. Diese lägen dem Durchführungsbeschluss zugrunde und seien integraler Bestandteil von dessen Begründung. Im Übrigen ergebe sich aus den Akten, dass die Erhebung einer Klage unmittelbar auf Nichtigerklärung des Durchführungsbeschlusses vom 30. Januar 2014 durch Polpharma nicht zulässig gewesen wäre. Zu dem Zeitpunkt, zu dem sie zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen den Durchführungsbeschluss vom 30. Januar 2014 befugt gewesen wäre, hätte Polpharma nämlich kein bestehendes und gegenwärtiges, sondern ein ungewisses und zukünftiges Rechtsschutzinteresse gehabt.

28

Als Zweites gibt das Gericht dann der Einrede der Rechtswidrigkeit statt. Es stellt fest, dass es für den streitigen Beschluss, der auf dem Durchführungsbeschluss vom 30. Januar 2014 beruhe, keine Rechtsgrundlage gebe und er deshalb für nichtig zu erklären sei.

29

Bevor es zu diesem Ergebnis gelangt, geht das Gericht in den Rn. 173 bis 180 des angefochtenen Urteils erstens auf den Begriff der umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen und deren Zweck ein. Es führt insoweit aus, dass der Begriff der umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 auf eine gefestigte Rechtsprechung des Gerichtshofs zurückgehe, der diesen Begriff insbesondere mit dem Ziel entwickelt habe, dem Zweck des sogenannten „abgekürzten“ Verfahrens Rechnung zu tragen, das es ermöglichen solle, die Zeit und die Kosten zu sparen, die für die Sammlung der Ergebnisse der pharmakologischen, toxikologischen und klinischen Versuche erforderlich seien, und zu vermeiden, dass Versuche am Menschen oder am Tier wiederholt würden. Es weist im Zusammenhang mit Art. 10 der Richtlinie 2001/83 weiter auf das Ziel hin, „die Forschung auf dem Gebiet neuer therapeutischer Indikationen zu fördern, die einen erheblichen klinischen Nutzen darstellen und zugleich eine Verbesserung des Wohlergehens und der Lebensqualität der Patienten mit sich bringen“, und gleichzeitig darauf zu achten, dass „das notwendige Gleichgewicht zwischen einer Förderung derartiger Innovationen und der Notwendigkeit einer Begünstigung der Produktion von Generika erhalten [bleibt]“.

30

Zweitens befasst sich das Gericht in den Rn. 181 bis 218 des angefochtenen Urteils mit dem anwendbaren Unionsrecht und der Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse von 1994 bis 2014. Insoweit stellt es fest, dass sich die Kommission beim Erlass des Durchführungsbeschlusses vom 30. Januar 2014 erstmals auf der Ebene der Union mit der Frage zu befassen gehabt habe, ob eine bereits zugelassene fixe Wirkstoffkombination und ein Bestandteil von ihr unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen fielen. Bei der Beantwortung der Frage, ob die Genehmigung für das Inverkehrbringen von Tecfidera, dessen einziger Wirkstoff ein Bestandteil von Fumaderm sei, Bestandteil derselben umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen sei, habe die Kommission zu berücksichtigen gehabt, dass der Stand des Unionsrechts zu den Wirkstoffkombinationen und die wissenschaftlichen Kenntnisse erheblich anders gewesen seien als im Jahr 1994, als die nationale Behörde die Genehmigung für das Inverkehrbringen von Fumaderm erteilt habe. In diesem besonderen Kontext habe die Kommission das CHMP zu Recht um die Überprüfung der Frage gebeten, ob sich DMF, aus dem Tecfidera bestehe, von dem aus DMF und MEF bestehenden Fumaderm unterscheide.

31

Ohne auf die Frage einzugehen, ob im vorliegenden Fall Art. 31 der Richtlinie 2001/83 anwendbar ist, stellt das Gericht in den Rn. 219 bis 238 des angefochtenen Urteils drittens fest, dass der EMA und der Kommission im Rahmen der auf Unionsebene oder in den Mitgliedstaaten geschaffenen Zulassungsverfahren eine besondere Funktion zukomme, die mit derjenigen der nationalen Behörden nicht vergleichbar sei. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung hindere das CHMP mithin nicht daran, nach Stellung eines Antrags auf Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen im zentralisierten Verfahren die zuvor von einer nationalen Behörde vorgenommene Beurteilung zu prüfen oder selbst eine unabhängige Beurteilung vorzunehmen.

32

Viertens stellt das Gericht in den Rn. 239 bis 273 des angefochtenen Urteils fest, dass die EMA und die Kommission bei Erlass des Durchführungsbeschlusses vom 30. Januar 2014 über Daten verfügt hätten, die geeignet gewesen seien, die Hypothese, dass MEF in Fumaderm eine Rolle spiele, nicht plausibel erscheinen zu lassen, oder über solche Daten hätte verfügen können.

33

Fünftens gelangt das Gericht nach alledem in Rn. 281 des angefochtenen Urteils zu dem Schluss, dass aus dem dritten Erwägungsgrund des Durchführungsbeschlusses vom 30. Januar 2014 klar hervorgehe, dass die Beurteilung, dass sich Tecfidera von Fumaderm unterscheide und nicht unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen falle wie Fumaderm, auf die Feststellung des CHMP, dass es sich bei MEF und DMF um zwei eigenständige Wirkstoffe und nicht um ein und denselben Wirkstoff handele, und auf die Feststellung, dass für Fumaderm als aus DMF und MEF zusammengesetzte Wirkstoffkombination bereits eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt worden sei, gestützt sei.

34

Diese Feststellungen reichten jedoch nicht für den Schluss aus, dass Tecfidera unter eine andere umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen falle als die, die für Fumaderm erteilt worden sei. In Rn. 282 des angefochtenen Urteils stellt das Gericht insoweit fest, dass die Kommission in Anbetracht der Ziele der umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen, des 1994 für Arzneimittelkombinationen geltenden Unionsrechts und der Entwicklung der wissenschaftlichen Kenntnisse von 1994 bis 2014, der besonderen Funktion der EMA und der Kommission sowie der Daten, über die Letztere verfügt hätten oder hätten verfügen können und die geeignet gewesen seien, die Hypothese, dass MEF in Fumaderm eine Rolle spiele, nicht plausibel erscheinen zu lassen, nicht zu dem Schluss berechtigt gewesen sei, dass Tecfidera unter eine andere umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen falle als das bereits zugelassene Fumaderm, ohne geprüft oder das CHMP um die Prüfung ersucht zu haben, ob und gegebenenfalls wie das BfArM die Rolle von MEF in Fumaderm beurteilt habe, und auch ohne das CHMP um die Prüfung der Rolle von MEF in Fumaderm ersucht zu haben.

35

In den Rn. 289 und 293 des angefochtenen Urteils folgert das Gericht daraus, dass die Kommission nicht sämtliche relevanten Daten analysiert habe, die für die Schlussfolgerung zu berücksichtigen gewesen seien, dass Tecfidera und Fumaderm nicht unter dieselbe Genehmigung für das Inverkehrbringen fielen, so dass der Durchführungsbeschluss vom 30. Januar 2014 unter einem offensichtlichen Beurteilungsfehler leide. In den Rn. 295 und 296 des angefochtenen Urteils gibt das Gericht der von Polpharma erhobenen Einrede der Rechtswidrigkeit statt und stellt deshalb fest, dass dem streitigen Beschluss, der auf dem Durchführungsbeschluss vom 30. Januar 2014 beruhe, damit die Grundlage entzogen sei und er deshalb für nichtig zu erklären sei.

Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

36

Mit Schriftsatz, der am 4. Mai 2022 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat Biogen beantragt, über die Rechtssache C‑439/21 P gemäß Art. 53 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs mit Vorrang zu entscheiden. Der Präsident des Gerichtshofs hat am 6. Mai 2022 entschieden, dass über die Rechtssache nicht mit Vorrang zu entscheiden ist.

37

Mit Entscheidung vom 10. Mai 2022 sind die Rechtssachen C‑438/21 P bis C‑440/21 P zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamem Urteil verbunden worden.

38

Mit dem Rechtsmittel in der Rechtssache C‑438/21 P beantragt die Kommission, unterstützt durch Biogen,

das angefochtene Urteil aufzuheben;

die Klage abzuweisen;

Polpharma die Kosten aufzuerlegen.

39

Mit dem Rechtsmittel in der Rechtssache C‑439/21 P beantragt Biogen, unterstützt durch die Kommission im Wesentlichen,

das angefochtene Urteil aufzuheben;

die Klage abzuweisen oder die Rechtssache, falls erforderlich, an das Gericht zurückzuverweisen;

Polpharma die Kosten aufzuerlegen.

40

Mit dem Rechtsmittel in der Rechtssache C‑440/21 P beantragt die EMA, unterstützt durch die Kommission und Biogen,

das angefochtene Urteil aufzuheben;

die Klage abzuweisen;

Polpharma die Kosten des ersten Rechtszugs und des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.

41

Polpharma beantragt in den Rechtssachen C‑438/21 P bis C‑440/21 P,

die Rechtsmittel zurückzuweisen;

das angefochtene Urteil zu bestätigen;

der Kommission, Biogen und der EMA die Kosten des jeweiligen Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.

Zu den Anträgen auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens

42

Nach der Verlesung der Schlussanträge der Generalanwältin hat Polpharma mit Schriftsätzen, die am 24. November 2022 bzw. 20. Januar 2023 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen sind, gemäß Art. 83 der Verfahrensordnung die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beantragt.

43

Nach Art. 83 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält, wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist, oder wenn ein nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist.

44

Polpharma begründet ihre Anträge damit, dass die Schlussanträge der Generalanwältin, was das Verfahren der Verlängerung der für Fumaderm erteilten Genehmigung für das Inverkehrbringen im Jahr 2013 angeht, auf der unzutreffenden Annahme beruhten, dass das BfArM einen therapeutischen Beitrag von MEF bestätigt hätte.

45

Hierzu ist festzustellen, dass der Generalanwalt nach Art. 252 Abs. 2 AEUV öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen stellt, in denen seine Mitwirkung nach der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union erforderlich ist. Es handelt sich somit nicht um eine an die Richter oder die Parteien gerichtete Stellungnahme, die von einer Behörde außerhalb des Gerichtshofs herrührt, sondern um die individuelle, begründete und öffentlich dargelegte Auffassung eines Mitglieds des Organs selbst. Die Schlussanträge des Generalanwalts können daher von den Parteien nicht erörtert werden. Im Übrigen ist der Gerichtshof weder an sie selbst noch an ihre Begründung gebunden. Dass ein Beteiligter nicht mit den Schlussanträgen des Generalanwalts einverstanden ist, kann folglich unabhängig von den darin untersuchten Fragen für sich genommen kein Grund sein, der die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens rechtfertigt (Urteil vom 9. Juni 2022, Préfet du Gers et Institut national de la statistique et des études économiques, C‑673/20, EU:C:2022:449, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Anträgen auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens, dass es Polpharma damit eigentlich darum geht, dazu Stellung zu nehmen, wie die Generalanwältin die tatsächlichen Umstände und die rechtlichen Gesichtspunkte beurteilt, um die es in dem ersten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑438/21 P, dem dritten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑439/21 P und dem ersten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑440/21 P geht. Nach Art. 83 der Verfahrensordnung und der oben in Rn. 45 angeführten Rechtsprechung ist dies aber kein Grund, der die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens rechtfertigte. Im Übrigen ist der Gerichtshof, da die betreffenden tatsächlichen Umstände und rechtlichen Gesichtspunkte im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung zwischen den Parteien des Rechtsmittelverfahrens eingehend erörtert worden sind, nach Anhörung der Generalanwältin der Auffassung, dass er für die Entscheidung über das Rechtsmittel über die erforderlichen Informationen verfügt und dass weder eine neue Tatsache, die für seine Entscheidung von entscheidender Bedeutung wäre, noch ein vor ihm nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich sind.

47

Folglich ist die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens nicht zu beschließen.

Zu den Rechtsmitteln

48

Die Kommission, Biogen und die EMA (im Folgenden: Rechtsmittelführerinnen) machen in den Rechtssachen C‑438/21 P, C‑439/21 P bzw. C‑440/21 P jeweils vier Rechtsmittelgründe geltend, die einander ähneln.

49

Mit dem ersten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑438/21 P, dem dritten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑439/21 P bzw. dem ersten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑440/21 P machen die Kommission, Biogen und die EMA im Wesentlichen geltend, dass die Beurteilung von Fumaderm, die das BfArM 2013 im Zuge der Verlängerung der für dieses Arzneimittel erteilten Genehmigung für das Inverkehrbringen vorgenommen habe, nicht berücksichtigt worden sei und die Tatsachen verfälscht worden seien.

50

Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑438/21 P, dem zweiten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑439/21 P bzw. dem dritten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑440/21 P rügen die Kommission, Biogen und die EMA im Wesentlichen einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 und ein unrichtiges Verständnis des Begriffes der umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen.

51

Mit dem dritten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑438/21 P, dem vierten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑439/21 P bzw. dem zweiten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑440/21 P rügen die Kommission, Biogen und die EMA im Wesentlichen eine Missachtung des durch die Verordnung Nr. 726/2004 und die Richtlinie 2001/83 geschaffenen Systems der dezentralisierten Anwendung der unionsrechtlichen Vorschriften über pharmazeutische Erzeugnisse und einen Verstoß gegen die in Art. 5 EUV genannten Grundsätze der begrenzten Einzelermächtigung und der Subsidiarität und gegen den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens.

52

Mit dem vierten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑438/21 P, dem fünften Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑439/21 P bzw. dem vierten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑440/21 P machen die Kommission, Biogen und die EMA im Wesentlichen geltend, dass das Gericht dadurch, dass es die von den zuständigen Behörden vorgenommene wissenschaftliche Beurteilung durch seine eigene ersetzt habe, die Grenzen der gerichtlichen Kontrolle überschritten habe.

53

Schließlich macht Biogen über diese vier ähnlichen Rechtsmittelgründe hinaus mit dem ersten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑439/21 P geltend, dass das Gericht, indem es festgestellt habe, dass die von Polpharma gegen den Durchführungsbeschluss vom 30. Januar 2014 erhobene Einrede der Rechtswidrigkeit zulässig sei, Art. 277 AEUV nicht richtig angewandt habe.

Zum ersten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑439/21 P

Vorbringen der Parteien

54

Mit dem ersten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑439/21 P macht Biogen geltend, dass das Gericht rechtsfehlerhaft festgestellt habe, dass die gegen den Durchführungsbeschluss vom 30. Januar 2014 erhobene Einrede der Rechtswidrigkeit zulässig sei, obwohl Polpharma 2014 unmittelbar gegen diesen Beschluss hätte vorgehen können.

55

Zum einen habe das Gericht in Rn. 137 des angefochtenen Urteils zu Unrecht angenommen, dass der Durchführungsbeschluss vom 30. Januar 2014 Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehe und der streitige Beschluss eine dieser Maßnahmen darstelle. Zum anderen habe es sich zu Unrecht auf die in Rn. 136 des angefochtenen Urteils getroffene Feststellung gestützt, dass der streitige Beschluss eine notwendige Durchführungsmaßnahme gewesen sei, da Polpharma nur durch die Stellung eines Antrags auf Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Generikums in der Lage gewesen sei, darzutun, dass sich der Durchführungsbeschluss vom 30. Januar 2014 unmittelbar auf ihre Rechtsstellung habe auswirken können.

56

Polpharma tritt diesem Vorbringen entgegen.

Würdigung durch den Gerichtshof

57

Mit dem ersten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑439/21 P greift Biogen die Rn. 136 und 137 des angefochtenen Urteils an. Biogen wendet sich insbesondere dagegen, dass das Gericht dort im Wesentlichen angenommen habe, dass der Durchführungsbeschluss vom 30. Januar 2014 Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehe und dass der streitige Beschluss eine dieser Maßnahmen darstelle.

58

Aus den Rn. 138 bis 147 des angefochtenen Urteils geht aber hervor, dass der Schluss, zu dem das Gericht in Rn. 148 des angefochtenen Urteils gelangt, nämlich, dass die Erhebung einer Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Durchführungsbeschlusses vom 30. Januar 2014 durch Polpharma nicht zulässig gewesen wäre, jedenfalls auf der Feststellung beruht, dass Polpharma insoweit kein bestehendes und gegenwärtiges Rechtsschutzinteresse gehabt habe.

59

Der erste Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑439/21 P ist daher als ins Leere gehend zurückzuweisen.

Zu dem zweiten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑438/21 P, dem zweiten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑439/21 P und dem dritten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑440/21 P

Vorbringen der Parteien

60

Mit ihren Rechtsmittelgründen, mit denen die Rn. 173 bis 180, 236 bis 238, 274, 275, 280 bis 282, 288, 289 und 292 angegriffen werden, rügen die Kommission, Biogen und die EMA jeweils im Wesentlichen einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83. Sie machen insbesondere geltend, dass das Gericht den Begriff der umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen im Sinne dieser Bestimmung nicht richtig aufgefasst habe.

61

Das Gericht habe gegen Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 in seiner Auslegung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs verstoßen, indem es festgestellt habe, dass die EMA und die Kommission bei der Prüfung der Frage, ob Fumaderm und Tecfidera unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen fielen, die qualitative Wirkstoffzusammensetzung des Arzneimittels, für das die Erstgenehmigung erteilt worden sei, nämlich des Kombinationspräparats Fumaderm, hätten erneut bewerten müssen, um festzustellen, ob MEF und DMF in der betreffenden Wirkstoffkombination jeweils eine therapeutischen Beitrag leisteten.

62

Das Kriterium, auf das das Gericht auf diese Weise abgestellt habe, sei weder durch Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 noch durch die Ziele, die der Gesetzgeber mit dem Begriff der umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen verfolgt habe, gerechtfertigt.

63

Zum einen seien in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83, dessen Wortlaut eindeutig sei, abschließend alle möglichen Weiterentwicklungen eines Arzneimittels aufgeführt, die unter eine bestehende umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen fielen, nämlich andere Stärken, Darreichungsformen, Verabreichungswege und Verabreichungsformen eines Arzneimittels, für das eine Erstgenehmigung erteilt worden sei, sowie alle Änderungen und Erweiterungen der für dieses erteilten Genehmigung für das Inverkehrbringen. Die Begriffe der Änderung und der Erweiterung seien in der Verordnung Nr. 1234/2008 ausdrücklich definiert. Es stehe außer Frage, dass bei einem Arzneimittel, für das eine Erstgenehmigung erteilt worden sei, die Entfernung des Wirkstoffs oder dessen Ersetzung durch einen anderen nicht als unter die umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels fallende Weiterentwicklung angesehen werden könnten.

64

Es ergebe sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83, dass bei zwei Arzneimitteln, deren Wirkstoffe nicht dieselbe therapeutisch wirksame Komponente hätten, die also unterschiedlich seien, nicht davon ausgegangen werden könne, dass sie unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen fielen. Die Bedeutung der therapeutisch wirksamen Komponente für die Frage, ob Stoffe oder Erzeugnisse verschieden seien, sei auch in dem Urteil vom 20. Januar 2005, SmithKline Beecham (C‑74/03, EU:C:2005:39), anerkannt worden. Zu vergleichen seien mithin die qualitative Wirkstoffzusammensetzung des Arzneimittels, für das die Erstgenehmigung erteilt worden sei, wie sie in der Genehmigung für das Inverkehrbringen angegeben sei, und die qualitative Wirkstoffzusammensetzung des zweiten Arzneimittels.

65

Das Gericht habe in die Beurteilung des Vorliegens einer umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen zu Unrecht eine Beurteilung aufgenommen, die das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Arzneimittels, für das die Erstgenehmigung erteilt worden sei, betreffe, das zu dem Verfahren der Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen für dieses Arzneimittel gehöre. Die Feststellung der qualitativen Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels falle in die Zuständigkeit der national oder auf der Ebene der Union zuständigen Behörde, die die Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen erteile. Dabei sei bei einem Kombinationspräparat zu prüfen, ob die beiden Wirkstoffe in der Wirkstoffkombination jeweils einen dokumentierten therapeutischen Beitrag leisteten. Wenn dies nicht der Fall sei, sei das Arzneimittel als Monopräparat zuzulassen. Die Beurteilung der qualitativen Wirkstoffzusammensetzung des Arzneimittels, für das die Erstgenehmigung erteilt worden sei, gehöre aber nicht zu der Beurteilung der umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen. Der Ansatz des Gerichts leiste einer systematischen Neubewertung vorausgegangener Entscheidungen Vorschub.

66

Zum anderen werde die nach dem Wortlaut vorgenommene Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 durch die Ziele, die mit dem Begriff der umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen verfolgt würden, und den systematischen Zusammenhang, in dem dieser Begriff stehe, gestützt. Nach ständiger Rechtsprechung solle mit diesem Begriff und der mit ihm zusammenhängenden Unterlagenschutzfrist ein angemessener Ausgleich zwischen dem Schutz der innovativen Unternehmen und den Interessen des Wettbewerbs, denen das Inverkehrbringen von Generika diene, gewährleistet werden. Ziel des Begriffs der umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen sei es, zu einem solchen Ausgleich zu gelangen und gleichzeitig ein praktikables Kriterium dafür zu liefern, ob zwei Arzneimittel unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen fielen, wie es der neunte Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83 vorsehe. Im vorliegenden Fall könnten Fumaderm und Tecfidera daher, da Fumaderm als Kombinationspräparat mit zwei Wirkstoffen zugelassen worden sei, nur dann unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen fallen, wenn diese beiden Wirkstoffe nicht verschieden seien. Das CHMP sei aber zu dem Schluss gelangt, dass dies nicht der Fall sei, da sie nicht dieselbe therapeutisch wirksame Komponente enthielten.

67

Die EMA macht darüber hinaus weiter geltend, dass das vom Gericht aufgestellte Kriterium auch nicht mit Art. 10 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 vereinbar sei. Es könne nämlich bedeuten, dass bei einem Generikum zur Bestimmung des Endes der Unterlagenschutzfrist als Referenzarzneimittel de facto ein Arzneimittel mit einer anderen qualitativen Wirkstoffzusammensetzung herangezogen werde.

68

Biogen macht schließlich noch geltend, dass zwei verglichene Arzneimittel, deren Wirkstoffe nach Art. 10 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 verschieden seien, nicht als bloße Varianten ein und desselben Erzeugnisses angesehen werden und nicht unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen fallen könnten. Und wenn das Gericht bezweifele, dass bei der für Fumaderm erteilten Genehmigung für das Inverkehrbringen der therapeutische Beitrag von MEF richtig beurteilt worden sei, bezweifele es in Wirklichkeit, dass diese Genehmigung für das Inverkehrbringen im Einklang mit den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Union erteilt worden sei. Als Referenzarzneimittel und damit als Ausgangspunkt einer umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen kämen aber nur Arzneimittel in Frage, für die eine Genehmigung für das Inverkehrbringen im Einklang mit diesen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erteilt worden sei.

69

Polpharma tritt dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen entgegen.

70

Sie macht geltend, dass die öffentlich zugänglichen wissenschaftlichen Beweise die Feststellung stützten, dass der für ein Monopräparat aus der Wirkstoffkombination herausgenommene Bestandteil MEF in der Wirkstoffkombination keinen signifikanten oder relevanten therapeutischen Beitrag leiste. In Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 sei dieser Fall nicht speziell geregelt. Dem Wortlaut dieser Bestimmung sei nicht eindeutig zu entnehmen sei, worauf sich die umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen von Fumaderm erstrecke.

71

Es sei wesentlich, dass der Unterlagenschutz mit der Erforderlichkeit in Ausgleich gebracht werde, ein wirksames System einzurichten, mit dem ermöglicht werde, dass nach Ablauf eines angemessenen Zeitraums des Schutzes des den innovativen Unternehmen gewährten Marktes günstigere Generika innovativer Arzneimittel in den Verkehr gebracht würden.

72

Insoweit räumt Polpharma als Erstes ein, dass Änderungen des Wirkstoffprofils nicht zu den Änderungen gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 gehören. Sie meint aber, dass Fumaderm und Tecfidera dasselbe Wirkstoffprofil hätten. Die Frage einer „Änderung“ der Wirkstoffe stelle sich deshalb überhaupt nicht, und die Verordnung Nr. 1085/2003 sei im vorliegenden Fall nicht einschlägig.

73

Bei zwei Arzneimitteln, die einen oder mehrere identische oder hinsichtlich der Unterlagenschutzfrist als identisch angesehene Wirkstoffe enthielten und ein und demselben Inhaber einer Genehmigung für das Inverkehrbringen gehörten, handele es sich, was die umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen angehe, schlicht und einfach um „dasselbe“ Arzneimittel. Das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines nicht wirksamen Arzneiträgerstoffs in einem Arzneimittel oder eines Bestandteils, der klinisch keine signifikante oder relevante Wirkung habe, sei insoweit unerheblich. Erst wenn feststehe, dass es sich bei Tecfidera und Fumaderm im Hinblick auf die umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen um ein und dasselbe Arzneimittel handele, komme der Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 zum Tragen, nämlich um zu bestätigen, dass die Unterschiede, die zum Beispiel hinsichtlich der Anwendungsgebiete bestünden, nichts daran änderten, dass sie unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen fielen.

74

Die Überprüfung des therapeutischen Beitrags von MEF in Fumaderm sei daher die richtige und verhältnismäßige Methode gewesen, anhand derer habe festgestellt werden können, dass zwischen Fumaderm und Tecfidera im Hinblick auf die Unterlagenschutzfrist ein Unterschied bestehe.

75

Das Kriterium, wonach es genüge, die zugelassenen qualitativen Wirkstoffzusammensetzungen von Tecfidera und Fumaderm zu vergleichen, um einen relevanten Unterschied nachzuweisen, der ein Recht auf Unterlagenschutz rechtfertige, sei hingegen zu einfach, um eine richtige Bestimmung eines solchen Rechts gewährleisten zu können. Das Gericht habe in Rn. 292 des angefochtenen Urteils zu Recht darauf hingewiesen, dass bei einem solchen Ansatz die Gefahr bestanden hätte, dass es im vorliegenden Fall zur Gewährung einer Unterlagenschutzfrist gekommen wäre, die nicht mit den mit dem Begriff der umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen verfolgten Zielen vereinbar gewesen wäre.

76

Insoweit sei auch die Annahme des Gerichts zutreffend, dass sich der Sachverhalt, der dem Urteil vom 28. Juni 2017, Novartis Europharm/Kommission (C‑629/15 P und C‑630/15 P, EU:C:2017:498, Rn. 72), zugrunde gelegen habe, von dem des vorliegenden Falls unterscheide.

77

Auch dem Urteil vom 20. Januar 2005, SmithKline Beecham (C‑74/03, EU:C:2005:39), auf das sich die Kommission berufe, habe ein ganz anderer Sachverhalt zugrunde gelegen. Es werde dort aber ein wichtiger Grundsatz aufgestellt, nämlich, dass die „Gleichheit“ der Wirkstoffe für die Zwecke der Unterlagenschutzfrist im Hinblick auf das mit den Bestimmungen über diese Frist verfolgte Ziel zu beurteilen sei, damit gewährleistet sei, dass der Wortlaut der Rechtsvorschriften richtig angewandt werde.

78

Als Zweites macht Polpharma geltend, dass bei einem Kombinationspräparat das Nutzen-Risiko-Verhältnis nicht unbedingt Aufschluss darüber gebe, welche Wirkung oder welche speziellen therapeutischen Risiken die betreffenden Stoffe hätten, wenn sie als Monopräparat verabreicht würden. Deshalb sei es irreführend, zu behaupten, dass der Ansatz des Gerichts darin bestehe, in den Begriff der umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen eine Beurteilung einzubeziehen, die sich auf die Beurteilung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses des Arzneimittels beziehe, für das die Erstgenehmigung erteilt worden sei. Die Beurteilung des relevanten therapeutischen Beitrags von MEF in Fumaderm für die Zwecke der Unterlagenschutzfrist sei für die Beurteilung des Antrags auf Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Arzneimittels nämlich nicht erforderlich. Es sei nicht bestritten worden, dass das BfArM für Fumaderm wirksam eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt habe. Das Gericht habe sich auf die Frage konzentriert, ob es für die Zwecke der umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen erforderlich sei, zu prüfen, ob die Bestandteile von Fumaderm einen relevanten und signifikanten therapeutischen Beitrag leisteten.

79

Als Drittes macht Polpharma geltend, dass das Kriterium, auf das das Gericht abgestellt habe, nicht gegen Art. 10 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 verstoße, da es erforderlich sein könne, mehr als eine Version des Referenzarzneimittels darzutun. Im vorliegenden Fall sei Tecfidera das Referenzarzneimittel, das in dem Antrag auf Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Generikum angegeben sei, Fumaderm hingegen das Referenzarzneimittel, das herangezogen worden sei, um nachzuweisen, dass die Unterlagenschutzfrist abgelaufen sei. Im Übrigen werde bei diesen beiden Arzneimitteln, wenn sie unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen fielen, davon ausgegangen, dass die qualitative Wirkstoffzusammensetzung von Fumaderm für die Zwecke dieser umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen und des Unterlagenschutzes mit der von Tecfidera übereinstimme.

Würdigung durch den Gerichtshof

80

Mit ihren Rechtsmittelgründen machen die Rechtsmittelführerinnen jeweils im Wesentlichen geltend, dass das Gericht rechtsfehlerhaft festgestellt habe, dass die Kommission bei der Prüfung der Frage, ob zwei Arzneimittel unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 fallen, die Beurteilung der qualitativen Wirkstoffzusammensetzung des Arzneimittels, für das von einer zuständigen nationalen Behörde eine Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen als Kombinationspräparat erteilt worden sei, habe überprüfen müssen, um nachzuweisen, dass die betreffenden Wirkstoffe in der Wirkstoffkombination jeweils einen therapeutischen Beitrag leisteten.

81

Nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/83 ist Voraussetzung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels in einem Mitgliedstaat die Erteilung einer entsprechenden Genehmigung. Die Genehmigung für das Inverkehrbringen kann entweder gemäß der Richtlinie 2001/83 von den zuständigen nationalen Behörden oder gemäß der Verordnung Nr. 726/2004 von der Kommission erteilt werden.

82

In Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 in Verbindung mit dem neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83 sind abschließend die möglichen Weiterentwicklungen eines Arzneimittels, für das eine Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde, genannt, bei denen die entsprechenden Genehmigungen als Bestandteil derselben umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen angesehen werden, und zwar wie der Gerichtshof in dem Urteil vom 28. Juni 2017, Novartis Europharm/Kommission (C‑629/15 P und C‑630/15 P, EU:C:2017:498, Rn. 72), klargestellt hat, unabhängig von den jeweiligen Genehmigungsverfahren, sei es eine Änderung der für das Arzneimittel erteilten Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen oder die Erteilung einer gesonderten Genehmigung für das Inverkehrbringen. Bei diesen Weiterentwicklungen handelt es sich um alle weiteren Stärken, Darreichungsformen, Verabreichungswege und Verabreichungsformen sowie alle Änderungen und Erweiterungen des Arzneimittels, für das eine Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen erteilt worden ist.

83

Im vorliegenden Fall ist im Hinblick auf das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen zu prüfen, ob eine Änderung der qualitativen Zusammensetzung eines zugelassenen Arzneimittels, was die Wirkstoffe im Sinne von Art. 1 Nr. 3a der Richtlinie 2001/83 angeht, zu den in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie genannten Weiterentwicklungen gehört.

84

Als Erstes ist festzustellen, dass unstreitig ist, dass eine solche Änderung der qualitativen Zusammensetzung eines zugelassenen Arzneimittels keine weitere Stärke, keine weitere Darreichungsform, keinen weiteren Verabreichungsweg und keine weitere Verabreichungsform darstellt.

85

Als Zweites ist zu dem Ausdruck „alle Änderungen und Erweiterungen“ in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 festzustellen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass damit eine Änderung oder eine Erweiterung einer Zulassung im Sinne der Verordnung Nr. 1085/2003 gemeint ist (Urteil vom 28. Juni 2017, Novartis Europharm/Kommission, C‑629/15 P und C‑630/15 P, EU:C:2017:498, Rn. 66).

86

Die Verordnung Nr. 1085/2003 wurde durch die Verordnung Nr. 1234/2008 ersetzt, die zum einen die „Änderungen“ und die „Änderungen einer Zulassung“ und zum anderen die „Erweiterungen“ betrifft, bei denen es sich – abgesehen von den Notfallmaßnahmen – um die wichtigsten Änderungen handelt. Nach Art. 2 der Verordnung Nr. 1234/2008 ist mit „Zulassungserweiterung“ eine Änderung gemeint, die in Anhang I der Verordnung aufgeführt ist und die dort festgelegten Voraussetzungen erfüllt. Nach Abschnitt 1 Buchst. a des Anhangs I der Verordnung Nr. 1234/2008 ergibt sich eine Zulassungsänderung aus dem „Ersetzen eines chemischen Wirkstoffs durch einen anderen Salz/Ester-Komplex oder ein anderes Salz/Ester-Derivat mit derselben Wirkungskomponente bei nicht signifikant unterschiedlichen Wirksamkeits-/Unbedenklichkeitsmerkmalen“.

87

Wie die Generalanwältin in den Nrn. 55 und 56 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, gehört der Unterschied in der qualitativen Zusammensetzung eines Arzneimittels, der darauf zurückzuführen ist, dass der oder die Wirkstoffe des Arzneimittels durch einen oder mehrere andere Stoffe mit einer anderen therapeutisch wirksamen Komponente ersetzt werden, mithin nicht zu den „Änderungen und Erweiterungen“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83.

88

Wie in den Rn. 16 bis 38 des angefochtenen Urteils ausgeführt wird, hatte das CHMP im vorliegenden Fall, bevor der Durchführungsbeschluss vom 30. Januar 2014 erlassen wurde, untersucht, ob sich DMF von dem aus DMF und MEF bestehenden Fumaderm unterscheidet. Das CHMP war zu dem Schluss gelangt, dass das aus DMF und MEF bestehende Fumaderm und das aus DMF bestehende Monopräparat Tecfidera verschieden seien, da DMF und MEF nicht dieselbe therapeutisch wirksame Komponente hätten und damit nicht derselbe Wirkstoff seien.

89

In Anbetracht des oben dargestellten rechtlichen Rahmens genügte eine solche Beurteilung des CHMP, anders als das Gericht entschieden hat, um festzustellen, ob die betreffenden Arzneimittel unter „[die]selbe umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 fallen. Indem es in den Rn. 280 bis 289 und in Rn. 293 des angefochtenen Urteils angenommen hat, dass die Kommission darüber hinaus zu prüfen habe, ob der in dem Arzneimittel, für das die Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen erteilt worden sei, nicht aber in dem zweiten Arzneimittel, für das eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt worden sei, enthaltene Wirkstoff einen „therapeutischen Beitrag“ leiste, und dass sie zur Klärung der Frage, welche „Rolle“ dieser Stoff in dem Arzneimittel, für das die Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen erteilt worden sei, habe, zu prüfen habe, ob und wie diese Rolle von der nationalen Behörde, die für dieses Arzneimittel eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt habe, beurteilt worden sei, oder das CHMP darum zu ersuchen habe, zu prüfen, welche Rolle MEF in Fumaderm habe, hat das Gericht den oben dargestellten rechtlichen Rahmen daher nicht beachtet.

90

Im Übrigen war die Kommission auch unter Berücksichtigung der Ziele von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 nicht verpflichtet, die oben in Rn. 89 beschriebene Prüfung vorzunehmen.

91

Nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 werden die Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen und die für die Weiterentwicklungen des ursprünglichen Arzneimittels erteilten Genehmigungen für das Inverkehrbringen als Bestandteil derselben umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen angesehen, insbesondere im Hinblick auf den Rückgriff auf das verkürzte Verfahren nach Ablauf der Unterlagenschutzfrist, wie aus Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie hervorgeht. Wegen des Zusammenhangs, den Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 zwischen der Unterlagenschutzfrist und der umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen herstellt, ist dieser letztgenannte Begriff für die Bestimmung der Voraussetzungen, unter denen sich die Antragsteller im verkürzten Verfahren auf die im Dossier des Referenzarzneimittels enthaltenen Daten beziehen können, daher von entscheidender Bedeutung.

92

Das Vorliegen einer umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 impliziert im Wesentlichen, dass für die in Art. 6 der Richtlinie genannten Weiterentwicklungen eines Arzneimittels, für das bereits eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt worden ist, eine einzige Unterlagenschutzfrist gemäß Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie gilt, und zwar ab dem Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Arzneimittels. Indem er verhindert, dass die für ein existierendes Arzneimittel geltende Unterlagenschutzfrist auf der Grundlage bloßer Varianten, die einen solchen Schutz nicht verdienen, verlängert wird, zielt Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 somit darauf ab, einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Schutz der innovativen Unternehmen und den Interessen der Allgemeinheit am Vertrieb von Generika zu erreichen.

93

Da sich aus dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 und dem systematischen Zusammenhang, in dem diese Bestimmung steht, nicht folgern lässt, dass der Begriff der umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen auf Arzneimittel mit verschiedenen qualitativen Zusammensetzungen in dem oben in Rn. 86 dargestellten Sinne Anwendung fände, vermögen allein die Ziele, die mit dieser Bestimmung verfolgt werden, es nicht zu rechtfertigen, dass es, um festzustellen, ob die Arzneimittel unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen fallen, nicht genügte, sie in qualitativer Hinsicht zu vergleichen, sondern dass darüber hinaus zu prüfen wäre, welcher therapeutische Beitrag von dem bzw. den Wirkstoffen des Arzneimittels, für das die Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen erteilt worden ist, geleistet wird.

94

Nach alledem ist festzustellen, dass das Gericht rechtsfehlerhaft entschieden hat, dass die Kommission bei der Beurteilung der Frage, ob zwei Arzneimittel unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 in der Auslegung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs fallen, zu prüfen habe, ob der Wirkstoff, der in dem Arzneimittel enthalten ist, für das auf nationaler Ebene eine Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen erteilt worden ist, nicht aber in dem zweiten Arzneimittel, für das sie in der Folge selbst eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt hat, einen therapeutischen Beitrag leiste.

95

Folglich ist dem zweiten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑438/21 P, dem zweiten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑439/21 P und dem dritten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑440/21 P stattzugeben.

96

Da bereits der oben festgestellte Rechtsfehler zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führt, ist den Rechtsmitteln stattzugeben, ohne dass über die übrigen Rechtsmittelgründe entschieden zu werden braucht.

Zur Klage

97

Nach Art. 61 Abs. 1 Satz 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Gerichtshof, wenn er die Entscheidung des Gerichts aufhebt, den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist.

98

Im vorliegenden Fall ist der Rechtsstreit zur Entscheidung reif. Der einzige Klagegrund, der auf die Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses abzielt, ist vor dem Gericht nämlich streitig erörtert worden, und seine Prüfung erfordert keine weitere prozessleitende Maßnahme oder Beweisaufnahme (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. September 2020, Kommission und Rat/Carreras Sequeros u. a., C‑119/19 P und C‑126/19 P, EU:C:2020:676, Rn. 130).

99

Polpharma macht zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses einen einzigen Klagegrund geltend. Sie meint, dass der Durchführungsbeschluss von 30. Januar 2014 insoweit rechtswidrig sei, als die Kommission darin angenommen habe, dass Tecfidera nicht unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen falle wie Fumaderm. Der Durchführungsbeschluss vom 30. Januar 2014, der die einzige Rechtsgrundlage des streitigen Beschlusses sei, sei rechtswidrig und daher gemäß Art. 277 AEUV für nicht anwendbar zu erklären. Dem streitigen Beschluss, mit dem die Validierung des Antrags auf Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Generikums von Tecfidera abgelehnt werde, fehle damit die Rechtsgrundlage. Er sei u. a. wegen fehlender Begründung gemäß Art. 296 AEUV für nichtig zu erklären.

100

Mit der Annahme, dass Tecfidera und Fumaderm verschieden seien und Tecfidera daher nicht unter die umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen von Fumaderm falle, habe die Kommission in dem Durchführungsbeschluss vom 30. Januar 2014 ein unzutreffendes Kriterium angewandt und einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen. Erstens seien mit dem angewandten Kriterium nicht sämtliche relevanten Faktoren berücksichtigt worden. Zweitens hätten das CHMP und die Kommission, wenn sie das richtige Kriterium angewandt und sämtliche relevanten Faktoren berücksichtigt hätten, nicht entscheiden können, dass Tecfidera nicht unter die für Fumaderm erteilte umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen falle.

101

Mit beiden Rügen wird also geltend gemacht, dass der Durchführungsbeschluss vom 30. Januar 2014 unter einem offensichtlichen Beurteilungsfehler leide, weil sich die Kommission bei seinem Erlass nicht auf alle verfügbaren relevanten Daten, die zu berücksichtigen gewesen seien, sondern nur auf ganz bestimmte Gesichtspunkte gestützt habe. Bei einem Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Wirkstoffs, der Bestandteil einer bereits zugelassenen Wirkstoffkombination sei, hänge die Beurteilung des Bestehens eines Unterschieds zwischen dieser Kombination und diesem Wirkstoff für sich genommen davon ab, ob die einzelnen Wirkstoffe der Wirkstoffkombination einen dokumentierten und relevanten therapeutischen Beitrag innerhalb dieser Kombination leisteten. Bei dem Vergleich, mit dem bestimmt werden solle, ob Fumaderm und Tecfidera für die Zwecke der umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen „verschieden“ seien, seien daher nicht lediglich die beiden Wirkstoffe zu vergleichen.

102

Die EMA tritt diesem Vorbringen entgegen. Sie wird dabei von der Kommission und von Biogen unterstützt.

103

Mit dem streitigen Beschluss teilte die EMA Polpharma mit, dass sie ihren Antrag auf Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Generikums des Referenzarzneimittels Tecfidera nicht validieren könne. Zur Begründung führte sie aus, dass Tecfidera und das bereits zugelassene Arzneimittel Fumaderm nach dem dritten Erwägungsgrund des Durchführungsbeschlusses vom 30. Januar 2014 nicht unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 fielen, da es sich bei MEF und DMF, aus denen Fumaderm bestehe, weil sie nicht die gleiche therapeutisch wirksame Komponente hätten, um zwei eigenständige Wirkstoffe und nicht um ein und denselben Wirkstoff handele. Tecfidera, das DMF enthalte, unterscheide sich daher von Fumaderm, dem anderen bereits zugelassenen Arzneimittel.

104

Aus dem Durchführungsbeschluss vom 30. Januar 2014 geht also hervor, dass das CHMP die beiden betreffenden Arzneimittel hinsichtlich ihrer Wirkstoffe verglichen hat und zu dem Schluss gelangt ist, dass sich das erste Arzneimittel, da dessen Wirkstoffe nicht dieselbe therapeutisch wirksame Komponente hätten, von dem zweiten Arzneimittel, das einen seiner Wirkstoffe enthalte, unterscheide, so dass die beiden Arzneimittel nicht unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 fielen.

105

Polpharma macht geltend, dass die Kommission im vorliegenden Fall auf ein unzutreffendes Kriterium abgestellt habe. Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 86 bis 89), konnte sich die Kommission, um festzustellen, ob das Arzneimittel unter dieselbe umfassende Genehmigung gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 fällt, auf einen solchen Vergleich von Fumaderm und Tecfidera stützen. Sie war nicht verpflichtet, zu prüfen, welchen therapeutischen Beitrag MEF in Fumaderm leistet, und erst recht nicht, ob dieser Beitrag relevant ist.

106

Indem sie sich in dem Durchführungsbeschluss vom 30. Januar 2014 auf die Feststellung gestützt hat, dass MEF und DMF, aus denen Fumaderm zusammengesetzt sei, zwei Wirkstoffe mit verschiedenen therapeutisch wirksamen Komponenten seien und dass sich Tecfidera und Fumaderm hinsichtlich der Wirkstoffzusammensetzung unterschieden, hat die Kommission mithin keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, indem sie festgestellt hat, dass Tecfidera nicht unter dieselbe umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 wie Fumaderm falle.

107

Folglich ist der einzige Klagegrund, mit dem die Einrede der Rechtswidrigkeit des Durchführungsbeschlusses vom 30. Januar 2014 erhoben wird, zurückzuweisen. Die Klage ist deshalb abzuweisen.

Kosten

108

Wenn das Rechtsmittel begründet ist und der Gerichtshof den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet, so entscheidet er über die Kosten (Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung).

109

Die unterliegende Partei ist auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen (Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet).

110

Da Polpharma, nachdem den Rechtsmitteln stattgegeben wurde, mit ihrem Klagegrund unterlegen ist und die Kommission, Biogen und die EMA beantragt haben, ihr die Kosten aufzuerlegen, sind ihr sowohl im ersten Rechtszug in der Rechtssache T‑611/18 als auch in den Rechtsmittelverfahren in den Rechtssachen C‑438/21 P bis C‑440/21 P neben ihren eigenen Kosten die der Kommission, von Biogen und der EMA aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 5. Mai 2021, Pharmaceutical Works Polpharma/EMA (T‑611/18, EU:T:2021:241), wird aufgehoben.

 

2.

Die Klage der Pharmaceutical Works Polpharma S.A. in der Rechtssache T‑611/18 wird abgewiesen.

 

3.

Die Pharmaceutical Works Polpharma S.A. trägt neben ihren eigenen Kosten die der Europäischen Kommission, der Biogen Netherlands BV und der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA).

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

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