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Document 62021CJ0014

    Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 1. August 2022.
    Sea Watch e. V. gegen Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti u. a.
    Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale amministrativo regionale per la Sicilia.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Von einer Nichtregierungsorganisation (NRO) mit humanitärer Zielsetzung ausgeführte Tätigkeit der Suche und der Rettung von Personen, die auf See in Gefahr oder Not sind – Auf Schiffe anwendbare Rechtsvorschriften – Richtlinie 2009/16/EG – Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen – Internationales Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See – Jeweilige Zuständigkeiten und Befugnisse des Flaggenstaats und des Hafenstaats – Überprüfung und Festhalten von Schiffen.
    Verbundene Rechtssachen C-14/21 und C-15/21.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2022:604

     URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

    1. August 2022 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Von einer Nichtregierungsorganisation (NRO) mit humanitärer Zielsetzung ausgeführte Tätigkeit der Suche und der Rettung von Personen, die auf See in Gefahr oder Not sind – Auf Schiffe anwendbare Rechtsvorschriften – Richtlinie 2009/16/EG – Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen – Internationales Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See – Jeweilige Zuständigkeiten und Befugnisse des Flaggenstaats und des Hafenstaats – Überprüfung und Festhalten von Schiffen“

    In den verbundenen Rechtssachen C‑14/21 und C‑15/21

    betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per la Sicilia (Regionales Verwaltungsgericht Sizilien, Italien) mit Entscheidungen vom 23. Dezember 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Januar 2021, in den Verfahren

    Sea Watch e. V.

    gegen

    Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti (C‑14/21 und C‑15/21),

    Capitaneria di Porto di Palermo (C‑14/21),

    Capitaneria di Porto di Porto Empedocle (C‑15/21)

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

    unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten E. Regan, I. Jarukaitis und N. Jääskinen, der Kammerpräsidentin I. Ziemele und des Kammerpräsidenten J. Passer (Berichterstatter) sowie der Richter F. Biltgen, P. G. Xuereb und N. Piçarra, der Richterin L. S. Rossi und der Richter N. Wahl und D. Gratsias,

    Generalanwalt: A. Rantos,

    Kanzler: C. Di Bella, Verwaltungsrat,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. November 2021,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    des Sea Watch e. V., Prozessbevollmächtigte: C. L. Cecchini, G. Crescini, L. Gennari, E. Mordiglia und A. Mozzati, Avvocati,

    der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Santoro und A. Jacoangeli, Avvocati dello Stato,

    der spanischen Regierung, vertreten durch L. Aguilera Ruiz als Bevollmächtigten,

    der norwegischen Regierung, vertreten durch V. Hauan, L.‑M. Moen Jünge und K. Moe Winther als Bevollmächtigte,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Bouquet, C. Cattabriga und S. L. Kalėda als Bevollmächtigte,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. Februar 2022

    folgendes

    Urteil

    1

    Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Richtlinie 2009/16/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über die Hafenstaatkontrolle (ABl. 2009, L 131, S. 57, Berichtigung in ABl. 2013, L 32, S. 23) in der durch die Richtlinie (EU) 2017/2110 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. November 2017 (ABl. 2017, L 315, S. 61) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2009/16) und des am 1. November 1974 in London geschlossenen Internationalen Übereinkommens zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (United Nations Treaty Series, Bd. 1185, Nr. 18961, S. 3, im Folgenden: Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See).

    2

    Sie ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten zum einen zwischen dem Sea Watch e. V. auf der einen und dem Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti (Ministerium für Infrastruktur und Verkehr, Italien) sowie der Capitaneria di Porto di Palermo (Hafenbehörde Palermo, Italien) auf der anderen Seite und zum anderen zwischen dem Sea Watch e. V. auf der einen und dem genannten Ministerium sowie der Capitaneria di Porto di Porto Empedocle (Hafenbehörde Porto Empedocle, Italien) auf der anderen Seite über die jeweilige Anordnung dieser Hafenbehörden zum Festhalten der Schiffe mit der Bezeichnung Sea Watch 4 bzw. Sea Watch 3.

    Rechtlicher Rahmen

    Völkerrecht

    Seerechtsübereinkommen

    3

    Das am 10. Dezember 1982 in Montego Bay geschlossene Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (United Nations Treaty Series, Bd. 1833, 1834 und 1835, S. 3, im Folgenden: Seerechtsübereinkommen) trat am 16. November 1994 in Kraft. Es wurde mit dem Beschluss 98/392/EG des Rates vom 23. März 1998 (ABl. 1998, L 179, S. 1) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt.

    4

    Teil II („Küstenmeer und Anschlusszone“) des Seerechtsübereinkommens umfasst die Art. 2 bis 33.

    5

    Art. 2 („Rechtsstatus des Küstenmeers, des Luftraums über dem Küstenmeer und des Meeresbodens und Meeresuntergrunds des Küstenmeers“) Abs. 1 des Übereinkommens lautet:

    „Die Souveränität eines Küstenstaats erstreckt sich jenseits seines Landgebiets und seiner inneren Gewässer sowie im Fall eines Archipelstaats jenseits seiner Archipelgewässer auf einen angrenzenden Meeresstreifen, der als Küstenmeer bezeichnet wird.“

    6

    Art. 17 („Recht der friedlichen Durchfahrt“) des Übereinkommens bestimmt:

    „Vorbehaltlich dieses Übereinkommens genießen die Schiffe aller Staaten, ob Küsten- oder Binnenstaaten, das Recht der friedlichen Durchfahrt durch das Küstenmeer.“

    7

    Art. 18 („Bedeutung der Durchfahrt“) des Übereinkommens sieht vor:

    „(1)   ‚Durchfahrt‘ bedeutet die Fahrt durch das Küstenmeer zu dem Zweck,

    a)

    es ohne Einlaufen in die inneren Gewässer oder Anlaufen einer Reede oder Hafenanlage außerhalb der inneren Gewässer zu durchqueren oder

    b)

    in die inneren Gewässer einzulaufen oder sie zu verlassen oder eine solche Reede oder Hafenanlage anzulaufen oder zu verlassen.

    (2)   Die Durchfahrt muss ohne Unterbrechung und zügig erfolgen. Die Durchfahrt schließt jedoch das Anhalten und Ankern ein, aber nur insoweit, als dies zur normalen Schifffahrt gehört oder infolge höherer Gewalt oder eines Notfalls oder zur Hilfeleistung für Personen, Schiffe oder Luftfahrzeuge in Gefahr oder Not erforderlich wird.“

    8

    Art. 19 („Bedeutung der friedlichen Durchfahrt“) des Seerechtsübereinkommens bestimmt in den Abs. 1 und 2, dass die Durchfahrt eines fremden Schiffes friedlich ist, solange sie nicht den Frieden, die Ordnung oder die Sicherheit des Küstenstaats beeinträchtigt, und dass diese Durchfahrt als Beeinträchtigung eines dieser Elemente gilt, wenn das Schiff im Küstenmeer eine Reihe bestimmter Tätigkeiten vornimmt. Nach Art. 19 Abs. 2 Buchst. g des Übereinkommens zählt zu diesen Tätigkeiten die Tätigkeit des Ladens oder Entladens von Waren, Zahlungsmitteln oder Personen entgegen den Zoll- und sonstigen Finanzgesetzen, Einreise- oder Gesundheitsgesetzen und diesbezüglichen sonstigen Vorschriften des Küstenstaats.

    9

    Art. 21 („Gesetze und sonstige Vorschriften des Küstenstaats über die friedliche Durchfahrt“) des Übereinkommens bestimmt:

    „(1)   Der Küstenstaat kann in Übereinstimmung mit diesem Übereinkommen und den sonstigen Regeln des Völkerrechts Gesetze und sonstige Vorschriften über die friedliche Durchfahrt durch das Küstenmeer in Bezug auf alle oder einzelne der folgenden Bereiche erlassen:

    a)

    Sicherheit der Schifffahrt …

    h)

    Verhütung von Verstößen gegen die Zoll- und sonstigen Finanzgesetze, Einreise- oder Gesundheitsgesetze und diesbezüglichen sonstigen Vorschriften des Küstenstaats.

    (2)   Diese Gesetze und sonstigen Vorschriften dürfen sich nicht auf den Entwurf, den Bau, die Bemannung oder die Ausrüstung von fremden Schiffen erstrecken, sofern sie nicht allgemein anerkannten internationalen Regeln oder Normen Wirksamkeit verleihen.

    (4)   Fremde Schiffe, die das Recht der friedlichen Durchfahrt durch das Küstenmeer ausüben, müssen diese Gesetze und sonstigen Vorschriften … einhalten.“

    10

    Art. 24 („Pflichten des Küstenstaats“) Abs. 1 des Übereinkommens sieht vor:

    „Der Küstenstaat darf, außer in den von diesem Übereinkommen vorgesehenen Fällen, die friedliche Durchfahrt fremder Schiffe durch das Küstenmeer nicht behindern. Insbesondere darf der Küstenstaat bei der Anwendung des Übereinkommens oder der in Übereinstimmung mit ihm erlassenen Gesetze oder sonstigen Vorschriften nicht

    a)

    fremden Schiffen Auflagen machen, die im Ergebnis eine Verweigerung oder Beeinträchtigung der Ausübung des Rechts der friedlichen Durchfahrt bewirken, oder

    b)

    die Schiffe eines bestimmten Staates oder Schiffe, die Ladung nach oder von einem bestimmten Staat oder in dessen Auftrag befördern, rechtlich oder tatsächlich diskriminieren.“

    11

    Teil VII („Hohe See“) des Seerechtsübereinkommens umfasst die Art. 86 bis 120.

    12

    In Art. 86 („Anwendung dieses Teils“) des Übereinkommens heißt es:

    „Dieser Teil gilt für alle Teile des Meeres, die nicht zur ausschließlichen Wirtschaftszone, zum Küstenmeer oder zu den inneren Gewässern eines Staates oder zu den Archipelgewässern eines Archipelstaats gehören. …“

    13

    Art. 91 („Staatszugehörigkeit der Schiffe“) des Übereinkommens sieht vor:

    „(1)   Jeder Staat legt die Bedingungen fest, zu denen er Schiffen seine Staatszugehörigkeit gewährt, sie in seinem Hoheitsgebiet in das Schiffsregister einträgt und ihnen das Recht einräumt, seine Flagge zu führen. Schiffe besitzen die Staatszugehörigkeit des Staates, dessen Flagge zu führen sie berechtigt sind. …

    (2)   Jeder Staat stellt den Schiffen, denen er das Recht einräumt, seine Flagge zu führen, entsprechende Dokumente aus.“

    14

    In Art. 92 („Rechtsstellung der Schiffe“) Abs. 1 des Übereinkommens heißt es:

    „Schiffe fahren unter der Flagge eines einzigen Staates und unterstehen auf Hoher See seiner ausschließlichen Hoheitsgewalt, mit Ausnahme der besonderen Fälle, die ausdrücklich in internationalen Verträgen oder in diesem Übereinkommen vorgesehen sind. …“

    15

    Art. 94 („Pflichten des Flaggenstaats“) des Seerechtsübereinkommens sieht vor:

    „(1)   Jeder Staat übt seine Hoheitsgewalt und Kontrolle in verwaltungsmäßigen, technischen und sozialen Angelegenheiten über die seine Flagge führenden Schiffe wirksam aus.

    (2)   Insbesondere hat jeder Staat

    a)

    ein Schiffsregister zu führen, das die Namen und Einzelheiten der seine Flagge führenden Schiffe enthält, mit Ausnahme derjenigen Schiffe, die wegen ihrer geringen Größe nicht unter die allgemein anerkannten internationalen Vorschriften fallen;

    b)

    die Hoheitsgewalt nach seinem innerstaatlichen Recht über jedes seine Flagge führende Schiff sowie dessen Kapitän, Offiziere und Besatzung in Bezug auf die das Schiff betreffenden verwaltungsmäßigen, technischen und sozialen Angelegenheiten auszuüben.

    (3)   Jeder Staat ergreift für die seine Flagge führenden Schiffe die Maßnahmen, die zur Gewährleistung der Sicherheit auf See erforderlich sind, unter anderem in Bezug auf

    a)

    den Bau, die Ausrüstung und die Seetüchtigkeit der Schiffe;

    b)

    die Bemannung der Schiffe, die Arbeitsbedingungen und die Ausbildung der Besatzungen, unter Berücksichtigung der anwendbaren internationalen Übereinkünfte;

    (4)   Diese Maßnahmen umfassen solche, die notwendig sind, um sicherzustellen,

    a)

    dass jedes Schiff vor der Eintragung in das Schiffsregister und danach in angemessenen Abständen von einem befähigten Schiffsbesichtiger besichtigt wird …

    c)

    dass der Kapitän, die Offiziere und, soweit erforderlich, die Besatzung mit den anwendbaren internationalen Vorschriften zum Schutz des menschlichen Lebens auf See … vollständig vertraut und verpflichtet sind, sie zu beachten.

    (5)   Wenn ein Staat Maßnahmen nach den Absätzen 3 und 4 ergreift, ist er verpflichtet, sich an die allgemein anerkannten internationalen Vorschriften, Verfahren und Gebräuche zu halten und alle erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um ihre Beachtung sicherzustellen.

    (6)   Ein Staat, der eindeutige Gründe zu der Annahme hat, dass keine ordnungsgemäße Hoheitsgewalt und Kontrolle über ein Schiff ausgeübt worden sind, kann dem Flaggenstaat die Tatsachen mitteilen. Nach Empfang einer solchen Mitteilung untersucht der Flaggenstaat die Angelegenheit und ergreift gegebenenfalls die notwendigen Abhilfemaßnahmen.

    …“

    16

    Art. 98 („Pflicht zur Hilfeleistung“) des Übereinkommens bestimmt:

    „(1)   Jeder Staat verpflichtet den Kapitän eines seine Flagge führenden Schiffes, soweit der Kapitän ohne ernste Gefährdung des Schiffes, der Besatzung oder der Fahrgäste dazu imstande ist,

    a)

    jede Person, die auf See in Lebensgefahr angetroffen wird, Hilfe zu leisten;

    b)

    so schnell wie möglich Personen in Seenot zu Hilfe zu eilen, wenn er von ihrem Hilfsbedürfnis Kenntnis erhält, soweit diese Handlung vernünftigerweise von ihm erwartet werden kann;

    (2)   Alle Küstenstaaten fördern die Errichtung, den Einsatz und die Unterhaltung eines angemessenen und wirksamen Such- und Rettungsdienstes, um die Sicherheit auf und über der See zu gewährleisten; sie arbeiten erforderlichenfalls zu diesem Zweck mit den Nachbarstaaten mittels regionaler Übereinkünfte zusammen.“

    Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See

    17

    Das Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See trat am 25. Mai 1980 in Kraft. Die Europäische Union ist nicht Vertragspartei dieses Übereinkommens, wohl aber sämtliche Mitgliedstaaten.

    18

    Art. I („Allgemeine Verpflichtungen auf Grund des Übereinkommens“) des Übereinkommens zum Schutz des menschlichen Lebens auf See sieht vor:

    „a)

    Die Vertragsregierungen verpflichten sich, diesem Übereinkommen und seiner Anlage, die Bestandteil des Übereinkommens ist, Wirksamkeit zu verleihen. Jede Bezugnahme auf das Übereinkommen ist gleichzeitig eine Bezugnahme auf die Anlage.

    b)

    Die Vertragsregierungen verpflichten sich, alle Gesetze, Verordnungen, Ausführungsbestimmungen und sonstigen Vorschriften zu erlassen und alle sonstigen Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um diesem Übereinkommen volle Wirksamkeit zu verleihen und dadurch zu gewährleisten, dass sich im Hinblick auf den Schutz des menschlichen Lebens ein Schiff für seinen Verwendungszweck eignet.“

    19

    Art. II („Anwendungsbereich“) dieses Übereinkommens lautet:

    „Dieses Übereinkommen gilt für Schiffe, die berechtigt sind, die Flagge eines Staates zu führen, dessen Regierung Vertragsregierung ist.“

    20

    Art. IV („Fälle höherer Gewalt“) Buchst. b des Übereinkommens bestimmt:

    „Personen, die sich wegen höherer Gewalt oder wegen der Verpflichtung des Kapitäns an Bord befinden, Schiffbrüchige oder andere Personen aufzunehmen, bleiben bei der Feststellung, ob eine Bestimmung dieses Übereinkommens auf ein Schiff anzuwenden ist, außer Betracht.“

    21

    Die Vertragsparteien des Übereinkommens zum Schutz des menschlichen Lebens auf See schlossen am 11. November 1988 in London ein Protokoll zu diesem Übereinkommen, das Bestandteil des Übereinkommens ist. Dieses am 3. Februar 2000 in Kraft getretene Protokoll enthält seinerseits eine Anlage, die Bestandteil des Protokolls ist und 14 Kapitel umfasst, die ein umfassendes Regelwerk für den Bau, die Ausrüstung und den Betrieb der Schiffe, auf die dieses Übereinkommen Anwendung findet, enthalten.

    22

    Kapitel 1 Teil B dieser Anlage enthält u. a. folgende Regeln:

    „Regel 11

    Erhaltung des bei der Besichtigung festgestellten Zustands

    a)

    Der Zustand des Schiffes und seiner Ausrüstung muss so erhalten werden, dass er den Bestimmungen dieser Regeln entspricht, damit sichergestellt wird, dass das Schiff in jeder Hinsicht stets ohne Gefahr für das Schiff oder die an Bord befindlichen Personen in See gehen kann.

    Regel 17

    Anerkennung der Zeugnisse

    Zeugnisse, die im Namen einer Vertragsregierung ausgestellt sind, werden von den anderen Vertragsregierungen für alle in diesem Übereinkommen berücksichtigten Zwecke anerkannt. Die anderen Vertragsregierungen messen ihnen die gleiche Gültigkeit bei wie den von ihnen selbst ausgestellten Zeugnissen.

    Regel 19

    Kontrolle

    (a)

    Jedes Schiff unterliegt im Hafen einer anderen Vertragsregierung der Kontrolle durch ordnungsgemäß ermächtigte Bedienstete der betreffenden Regierung insoweit, als diese Kontrolle der Feststellung dient, dass die … Zeugnisse gültig sind.

    (b)

    Diese Zeugnisse sind, wenn sie gültig sind, anzuerkennen, sofern nicht triftige Gründe für die Annahme bestehen, dass der Zustand des Schiffes oder seiner Ausrüstung im Wesentlichen nicht den Angaben eines der Zeugnisse entspricht oder dass das Schiff und seine Ausrüstung nicht Regel 11 Buchstaben a und b entsprechen.

    (c)

    Unter den unter Buchstabe b genannten Umständen … trifft der die Kontrolle durchführende Bedienstete Maßnahmen, um ein Auslaufen des Schiffes so lange zu verhindern, bis es ohne Gefahr für das Schiff oder die an Bord befindlichen Personen in See gehen oder den Hafen verlassen kann, um sich zu der geeigneten Reparaturwerft zu begeben.

    …“

    Übereinkommen über den Such- und Rettungsdienst auf See

    23

    Das am 27. April 1979 in Hamburg geschlossene Internationale Übereinkommen über den Such- und Rettungsdienst auf See (United Nations Treaty Series, Bd. 1405, Nr. 23489, S. 133, im Folgenden: Übereinkommen über den Such- und Rettungsdienst auf See) trat am 22. Juni 1985 in Kraft. Die Union ist nicht Vertragspartei dieses Übereinkommens. Nur einige Mitgliedstaaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland und die Italienische Republik, sind Vertragsparteien.

    IMO-Entschließung zur Hafenstaatkontrolle

    24

    Am 4. Dezember 2019 nahm die Versammlung der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) die Entschließung A.1138(31) („Verfahren von 2019 für die Hafenstaatkontrolle“) (im Folgenden: IMO-Entschließung zur Hafenstaatkontrolle) an, der ein Anhang mit derselben Überschrift beigefügt ist.

    25

    Kapitel 1 („Allgemeines“) dieses Anhangs enthält einen Abschnitt 1.3 („Einleitung“), der vorsieht:

    „1.3.1 Nach den in Abschnitt 1.2 genannten einschlägigen Übereinkünften ist die Verwaltung (das heißt die Regierung des Flaggenstaats) für den Erlass von Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften sowie für die Ergreifung aller anderen Schritte verantwortlich, die erforderlich sein können, um der jeweiligen Übereinkunft in vollem Umfang Wirksamkeit zu verleihen und so zu gewährleisten, dass ein Schiff im Hinblick auf den Schutz des menschlichen Lebens und die Verhütung der Meeresverschmutzung für den vorgesehenen Dienst geeignet ist und dass die Seeleute über die erforderlichen Befähigungen verfügen sowie diensttüchtig sind.

    1.3.3 Die folgenden Kontrollverfahren sollen als Ergänzung zu den nationalen Maßnahmen gesehen werden, welche die Verwaltungen der Flaggenstaaten in ihren Ländern und im Ausland ergreifen, und einen gemeinsamen und einheitlichen Ansatz für die Durchführung von Überprüfungen im Rahmen der Hafenstaatkontrolle sowie von Kontrollmaßnahmen bieten, die infolge der Entdeckung schwerwiegender Mängel ergriffen werden. Die Verfahren sollen auch dazu dienen, die Verwaltungen der Flaggenstaaten bei der Gewährleistung der Einhaltung der Übereinkünfte, beim Schutz der Sicherheit der Besatzung, Fahrgäste und Schiffe sowie bei der Sicherstellung der Verhütung der Meeresverschmutzung zu unterstützen.“

    Unionsrecht

    Richtlinie 2009/16

    26

    Die Richtlinie 2009/16 wurde auf der Grundlage von Art. 80 Abs. 2 EG (jetzt Art. 100 Abs. 2 AEUV) erlassen, um die Richtlinie 95/21/EG des Rates vom 19. Juni 1995 über die Kontrolle von Schiffen durch den Hafenstaat (ABl. 1995, L 157, S. 1), die seit ihrem Erlass mehrfach geändert worden war, neu zu fassen und die durch diese Richtlinie eingeführten Mechanismen zu stärken.

    27

    Die Erwägungsgründe 2 bis 4, 6, 7, 11, 23 und 34 der Richtlinie 2009/16 lauten:

    „(2)

    Schiffsunfälle und die Verschmutzung der Meere und Küsten der Mitgliedstaaten erfüllen die Gemeinschaft mit ernster Sorge.

    (3)

    Ebenso ist die Gemeinschaft um die Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord von Schiffen besorgt.

    (4)

    Sicherheit, Verhütung von Verschmutzung sowie Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord lassen sich durch drastische Verringerung der Anzahl unternormiger Schiffe in Gemeinschaftsgewässern wirkungsvoll verbessern, wenn Übereinkommen, internationale Codes und Entschließungen strikt eingehalten werden.

    (6)

    Die Kontrolle, ob Schiffe international vereinbarte Normen für die Sicherheit, die Verhütung von Verschmutzung und die Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord einhalten, ist in erster Linie die Aufgabe des Flaggenstaats. Der Flaggenstaat, der sich gegebenenfalls der Unterstützung anerkannter Organisationen versichert, gewährleistet in jeder Hinsicht die Vollständigkeit und Wirksamkeit der Überprüfungen und Besichtigungen, die im Hinblick auf die Ausstellung der einschlägigen Zeugnisse durchgeführt werden. Das für das Schiff verantwortliche Unternehmen hat die Aufgabe, im Anschluss an die Besichtigung den Zustand des Schiffes und seiner Ausrüstung zu erhalten, um die Anforderungen der für das Schiff geltenden Übereinkommen zu erfüllen. Allerdings wies die Umsetzung und Durchsetzung internationaler Normen durch eine Reihe von Flaggenstaaten ernsthafte Mängel auf. Deshalb sollten die Hafenstaaten als zweite Verteidigungslinie gegen den Einsatz unternormiger Schiffe künftig auch die Einhaltung international vereinbarter Normen für die Sicherheit, die Verhütung von Verschmutzung und die Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord kontrollieren, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Hafenstaatkontrolle keine Besichtigung ist und die entsprechenden Überprüfungsformulare keine Seetüchtigkeitszeugnisse darstellen.

    (7)

    Durch ein einheitliches Konzept der Mitgliedstaaten für die wirkungsvolle Durchsetzung dieser internationalen Normen an Bord von Schiffen, die in den Hoheitsgewässern der Mitgliedstaaten fahren und deren Häfen anlaufen, sollten Wettbewerbsverzerrungen vermieden werden.

    (11)

    Ein effizientes Hafenstaatkontrollsystem sollte darauf abzielen, dass alle einen Hafen oder Ankerplatz in der Gemeinschaft anlaufenden Schiffe regelmäßig überprüft werden. …

    (23)

    Mängel, die auf der Nichteinhaltung der Bestimmungen der Übereinkommen beruhen, sollten beseitigt werden. Schiffe, bei denen eine Mängelbeseitigung erforderlich ist, sollten, wenn die festgestellten Mängel eindeutig eine Gefahr für die Sicherheit, Gesundheit oder Umwelt darstellen, so lange festgehalten werden, bis die Mängel behoben sind.

    (34)

    Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich die Verringerung der Anzahl unternormiger Schiffe in den Hoheitsgewässern der Mitgliedstaaten durch Verbesserung des Überprüfungssystems der Gemeinschaft für Seeschiffe und die Entwicklung von Schutzmaßnahmen gegen Meeresverschmutzung, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden kann und daher wegen des Umfangs und der Wirkungen der Maßnahme besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem … Subsidiaritätsprinzip tätig werden. …“

    28

    In Art. 1 („Zweck“) der Richtlinie 2009/16 heißt es:

    „Diese Richtlinie soll zu einer drastischen Verringerung der Anzahl unternormiger Schiffe in den Hoheitsgewässern der Mitgliedstaaten beitragen, indem

    a)

    die Einhaltung internationaler und einschlägiger gemeinschaftlicher Vorschriften für die Sicherheit auf See, die Gefahrenabwehr im Seeverkehr und den Schutz der Meeresumwelt sowie der Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord der Schiffe aller Flaggen gefördert wird;

    b)

    gemeinsame Kriterien für die Kontrolle von Schiffen durch den Hafenstaat festgelegt und die Verfahren für die Überprüfung und das Festhalten vereinheitlicht werden …

    c)

    in der Gemeinschaft ein System der Hafenstaatkontrolle durchgeführt wird, das auf den in der Gemeinschaft … durchgeführten Überprüfungen beruht und mit dem das Ziel verfolgt wird, alle Schiffe in Zeitabständen zu überprüfen, die sich nach ihrem Risikoprofil richten, wobei stärker risikobehaftete Schiffe eingehenderen Überprüfungen in kürzeren Zeitabständen unterzogen werden.“

    29

    Art. 2 dieser Richtlinie sieht vor:

    „Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

    1.

    ‚Übereinkommen‘ folgende Übereinkommen mit ihren Protokollen und Änderungen sowie die damit zusammenhängenden rechtlich bindenden Kodizes in der jeweils geltenden Fassung:

    b)

    das … Übereinkommen … zum Schutz des menschlichen Lebens auf See …,

    5.

    ‚Schiff‘ ein seegehendes Fahrzeug, auf das eines oder mehrere Übereinkommen Anwendung finden und das eine andere Flagge als diejenige des Hafenstaats führt;

    6.

    ‚Schnittstelle Schiff/Hafen‘ die Interaktionen, die auftreten, wenn ein Schiff direkt und unmittelbar von Tätigkeiten betroffen ist, die im Zusammenhang mit der Beförderung von Personen oder Gütern oder mit der Erbringung von Hafendienstleistungen vom oder zum Schiff stehen;

    7.

    ‚Schiff an einem Ankerplatz‘ ein in einem Hafen oder einem anderen Gebiet im Zuständigkeitsbereich eines Hafens, jedoch nicht an einem Liegeplatz, befindliches Schiff, bei dem eine Schnittstelle Schiff/Hafen vorliegt;

    12.

    ‚gründlichere Überprüfung‘ eine Überprüfung, bei der das Schiff, seine Ausrüstung und seine Besatzung unter den in Artikel 13 Absatz 3 genannten Umständen insgesamt oder gegebenenfalls teilweise einer ausführlichen Prüfung hinsichtlich Bau, Ausrüstung, Besatzung, Lebens- und Arbeitsbedingungen und Einhaltung der Betriebsverfahren an Bord unterzogen werden;

    15.

    ‚Festhalten‘ das förmliche Verbot, mit dem einem Schiff wegen festgestellter Mängel, die es einzeln oder zusammen seeuntüchtig machen, untersagt wird, auszulaufen;

    20.

    ‚vorgeschriebenes Zeugnis‘ ein gemäß den Übereinkommen von einem Flaggenstaat oder für ihn ausgestelltes Zeugnis;

    21.

    ‚Klassifikationszertifikat‘ ein Dokument, mit dem die Übereinstimmung mit [dem Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See] bestätigt wird.

    …“

    30

    In Art. 3 („Geltungsbereich“) der Richtlinie heißt es:

    „(1)   Diese Richtlinie gilt für Schiffe, die einen Hafen oder Ankerplatz eines Mitgliedstaats anlaufen, in dem eine Schnittstelle Schiff/Hafen erfolgen soll, und ihre Besatzung.

    Überprüft ein Mitgliedstaat ein Schiff in seinen Hoheitsgewässern außerhalb eines Hafens, so gilt dies als Überprüfung für die Zwecke dieser Richtlinie.

    (4)   Fischereifahrzeuge, Kriegsschiffe, Flottenhilfsschiffe, Holzschiffe einfacher Bauart, staatliche Schiffe, die für nichtgewerbliche Zwecke verwendet werden, und Vergnügungsjachten, die nicht dem Handelsverkehr dienen, sind vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen.

    …“

    31

    In Art. 4 („Überprüfungsbefugnisse“) Abs. 1 der Richtlinie heißt es, dass „[d]ie Mitgliedstaaten … die erforderlichen Maßnahmen [treffen], um rechtlich befugt zu sein, an Bord ausländischer Schiffe die in dieser Richtlinie genannten Überprüfungen in Einklang mit internationalem Recht durchzuführen“.

    32

    Art. 11 („Häufigkeit der Überprüfungen“) der Richtlinie 2009/16 sieht vor:

    „Schiffe, die Häfen oder Ankerplätze in der Gemeinschaft anlaufen, werden wie folgt wiederkehrenden Überprüfungen oder zusätzlichen Überprüfungen unterzogen:

    a)

    Die Schiffe werden wiederkehrenden Überprüfungen in zuvor festgelegten Abständen unterzogen, die sich nach ihrem Risikoprofil … richten. …

    b)

    Die Schiffe werden unabhängig von der Zeit, die seit der letzten wiederkehrenden Überprüfung vergangen ist, wie folgt zusätzlichen Überprüfungen unterzogen:

    Die zuständige Behörde sorgt dafür, dass Schiffe, für die in Anhang I Teil II Abschnitt 2A aufgeführte Prioritätsfaktoren gelten, überprüft werden.

    Schiffe, für die in Anhang I Teil II Abschnitt 2B aufgeführte unerwartete Faktoren gelten, können überprüft werden. Die Entscheidung, eine solche zusätzliche Überprüfung durchzuführen, unterliegt der fachlichen Beurteilung der zuständigen Behörde.“

    33

    In Art. 12 („Auswahl der zu überprüfenden Schiffe“) dieser Richtlinie heißt es:

    „Die zuständige Behörde sorgt dafür, dass Schiffe aufgrund ihres … Risikoprofils sowie bei Auftreten von Prioritätsfaktoren oder unerwarteten Faktoren gemäß Anhang I Teil II Abschnitte 2A und 2B für eine Überprüfung ausgewählt werden. …

    …“

    34

    Art. 13 („Erstüberprüfung und gründlichere Überprüfung“) der Richtlinie sieht vor:

    „Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Schiffe, die gemäß Artikel 12 … für eine Überprüfung ausgewählt werden, wie folgt einer Erstüberprüfung oder einer gründlicheren Überprüfung unterzogen werden:

    1.

    Bei jeder Erstüberprüfung eines Schiffes stellt die zuständige Behörde sicher, dass der Besichtiger mindestens

    a)

    die … Zeugnisse … überprüft, die gemäß den gemeinschaftlichen Vorschriften für den Seeverkehr und gemäß Übereinkommen über Sicherheit und Gefahrenabwehr an Bord mitzuführen sind;

    c)

    sich einen Eindruck vom Gesamtzustand des Schiffes, einschließlich der hygienischen Verhältnisse, einschließlich des Maschinenraums und der Unterkunftsräume, verschafft.

    3.

    Eine gründlichere Überprüfung einschließlich einer weiteren Kontrolle, ob die betrieblichen Anforderungen an Bord erfüllt werden, wird durchgeführt, wenn es nach der Überprüfung im Sinne von Nummer 1 triftige Gründe für die Annahme gibt, dass der Zustand eines Schiffes oder seiner Ausrüstung oder seine Besatzung die anwendbaren Vorschriften eines Übereinkommens im Wesentlichen nicht erfüllt.

    ‚Triftige Gründe‘ liegen vor, wenn der Besichtiger auf Anzeichen stößt, die nach seinem fachlichen Urteil eine gründlichere Überprüfung des Schiffes, der Ausrüstung oder der Besatzung erforderlich machen.

    Anhang V enthält Beispiele für ‚triftige Gründe‘.“

    35

    Art. 19 („Mängelbeseitigung und Festhalten“) der Richtlinie bestimmt:

    „(1)   Die zuständige Behörde muss sich davon überzeugen, dass bei der Überprüfung bestätigte oder festgestellte Mängel entsprechend den Übereinkommen beseitigt werden.

    (2)   Bei Mängeln, die eindeutig eine Gefahr für die Sicherheit, Gesundheit oder Umwelt darstellen, sorgt die zuständige Behörde des Hafenstaats, in dem das Schiff überprüft wird, dafür, dass das Schiff festgehalten oder der Betrieb, bei dem die Mängel festgestellt werden, eingestellt wird. Die Anordnung des Festhaltens oder der Einstellung des Betriebs wird so lange nicht aufgehoben, wie die Gefahr nicht beseitigt ist oder diese Behörde nicht feststellt, dass das Schiff unter den erforderlichen Auflagen auslaufen oder der Betrieb wieder aufgenommen werden kann, ohne dass dies eine Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit der Fahrgäste oder der Besatzung oder eine Gefahr für andere Schiffe oder eine unangemessene Gefährdung der Meeresumwelt darstellt.

    (3)   Bei der nach seinem fachlichen Urteil erfolgenden Entscheidung darüber, ob ein Schiff festzuhalten ist, wendet der Besichtiger die Kriterien des Anhangs X an.

    (6)   Wird das Schiff festgehalten, so unterrichtet die zuständige Behörde die Verwaltung des Flaggenstaats, oder, wenn dies nicht möglich ist, den Konsul oder, falls keine konsularische Vertretung erreichbar ist, die nächstgelegene diplomatische Vertretung dieses Staates unverzüglich schriftlich und unter Beifügung des Überprüfungsberichts über alle Umstände, derentwegen das Eingreifen für erforderlich gehalten wurde. Zusätzlich werden gegebenenfalls die bestellten Besichtiger oder anerkannten Organisationen, die für die Ausstellung der Klassifikationszertifikate oder der vorgeschriebenen Zeugnisse gemäß den Übereinkommen verantwortlich sind, benachrichtigt. …

    …“

    36

    Art. 21 („Folgemaßnahmen nach Überprüfungen und Festhaltemaßnahmen“) der Richtlinie 2009/16 sieht vor:

    „(1)   Können Mängel im Sinne von Artikel 19 Absatz 2 im Überprüfungshafen nicht beseitigt werden, so kann die zuständige Behörde des betreffenden Mitgliedstaats dem Schiff unverzüglich die Weiterfahrt zur dem Festhaltehafen nächstgelegenen geeigneten, vom Kapitän und von den betreffenden Behörden ausgewählten Reparaturwerft erlauben, wo Folgemaßnahmen getroffen werden können, sofern die Bedingungen der zuständigen Behörde des Flaggenstaats, die der betreffende Mitgliedstaat akzeptiert, eingehalten werden. Diese Bedingungen stellen sicher, dass das Schiff ohne eine Gefährdung der Sicherheit und Gesundheit der Fahrgäste und der Besatzung, ohne Gefahr für andere Schiffe und ohne eine unangemessene Gefährdung für die Meeresumwelt auslaufen kann.

    (3)   In dem in Absatz 1 bezeichneten Fall benachrichtigt die zuständige Behörde des Mitgliedstaats im Überprüfungshafen die zuständige Behörde des Staates, in dem sich die Reparaturwerft befindet, die in Artikel 19 Absatz 6 genannten Parteien und gegebenenfalls andere Behörden über alle Bedingungen für die Fahrt.

    Die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats, die diese Benachrichtigung erhält, unterrichtet die benachrichtigende Behörde von den getroffenen Maßnahmen.

    (4)   Die Mitgliedstaaten stellen durch entsprechende Maßnahmen sicher, dass der Zugang zu allen Häfen oder Ankerplätzen in der Gemeinschaft den in Absatz 1 genannten Schiffen verweigert wird, die

    a)

    auslaufen, ohne den Bedingungen der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats im Überprüfungshafen nachzukommen, oder die

    b)

    sich weigern, den anwendbaren Vorschriften der Übereinkommen nachzukommen, indem sie die angegebene Reparaturwerft nicht anlaufen.

    Diese Zugangsverweigerung gilt so lange, bis der Eigner oder Betreiber der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, in dem das Schiff für mangelhaft befunden wurde, hinreichend nachweist, dass das Schiff die anwendbaren Vorschriften der Übereinkommen vollständig erfüllt.

    (5)   Im Fall des Absatzes 4 Buchstabe a benachrichtigt die zuständige Behörde des Mitgliedstaats, in dem die Mängel des Schiffes festgestellt wurden, unverzüglich die zuständigen Behörden aller anderen Mitgliedstaaten.

    Im Fall des Absatzes 4 Buchstabe b benachrichtigt die zuständige Behörde des Mitgliedstaats, in dem sich die Reparaturwerft befindet, unverzüglich die zuständigen Behörden aller anderen Mitgliedstaaten.

    Vor der Verweigerung des Einlaufens kann der Mitgliedstaat Konsultationen mit der Verwaltung des Flaggenstaats des betreffenden Schiffes beantragen.

    (6)   Abweichend von Absatz 4 kann der Zugang zu einem bestimmten Hafen oder Ankerplatz in Fällen höherer Gewalt, aus vorrangigen Sicherheitserwägungen, zur Verringerung oder Minimierung des Verschmutzungsrisikos oder zur Beseitigung von Mängeln von der entsprechenden Behörde des betreffenden Hafenstaats gestattet werden, sofern der Eigner, der Betreiber oder der Kapitän des Schiffes der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats nachweist, dass er angemessene Maßnahmen getroffen hat, um ein sicheres Einlaufen zu gewährleisten.“

    37

    Anhang I („Bestandteile des Hafenstaatüberprüfungssystems der Gemeinschaft“) dieser Richtlinie umfasst folgende Bestimmungen:

    „…

    II. Überprüfung von Schiffen

    (1) Wiederkehrende Überprüfungen

    (2) Zusätzliche Überprüfungen

    Schiffe, für die folgende Prioritätsfaktoren oder unerwartete Faktoren gelten, werden unabhängig von der Zeit, die seit der letzten wiederkehrenden Überprüfung vergangen ist, einer Überprüfung unterzogen. Die Entscheidung, ob eine zusätzliche Überprüfung aufgrund unerwarteter Faktoren erforderlich ist, bleibt jedoch dem fachlichen Urteil des Besichtigers überlassen.

    2A. Prioritätsfaktoren

    Schiffe, für die folgende Prioritätsfaktoren gelten, werden unabhängig von der Zeit, die seit der letzten wiederkehrenden Überprüfung vergangen ist, einer Überprüfung unterzogen:

    Schiffe, deren Klasse seit der letzten Überprüfung in der Gemeinschaft … aus Sicherheitsgründen ruhte oder zurückgezogen wurde;

    Schiffe, die Gegenstand eines Berichts oder einer Mitteilung eines anderen Mitgliedstaats waren;

    Schiffe, die in der Überprüfungsdatenbank nicht identifiziert werden können;

    Schiffe,

    die auf der Fahrt zum Hafen an einem Zusammenstoß beteiligt waren, auf Grund gelaufen oder gestrandet sind,

    bei denen der Verdacht eines Verstoßes gegen die Einleitvorschriften für gefährliche Stoffe oder sonstige Stoffe besteht oder

    die Schiffsmanöver auf unberechenbare oder unsichere Weise durchgeführt haben und dabei gegen von der IMO verabschiedete Routenvorschriften oder Praktiken und Verfahren zur sicheren Navigation verstoßen haben.

    2B Unerwartete Faktoren

    Schiffe, für die folgende unerwartete Faktoren gelten, können unabhängig von der Zeit, die seit der letzten wiederkehrenden Überprüfung vergangen ist, einer Überprüfung unterzogen werden. Die Entscheidung, eine solche zusätzliche Überprüfung durchzuführen, unterliegt dem fachlichen Urteil der zuständigen Behörde.

    Schiffe, die Zeugnisse mit sich führen, die von einer ehemals anerkannten Organisation ausgestellt wurden, der seit der letzten Überprüfung in der Gemeinschaft … die Anerkennung entzogen wurde;

    Schiffe, bei denen Lotsen oder Hafenbehörden oder [‑]stellen offensichtliche Auffälligkeiten gemeldet haben, welche … die sichere Fahrt dieser Schiffe gefährden oder eine Gefährdung für die Meeresumwelt darstellen können;

    Schiffe, die die einschlägigen Meldevorschriften … nicht eingehalten haben;

    Schiffe, die Gegenstand eines Berichts oder einer Beschwerde – einschließlich einer Beschwerde an Land – von Seiten des Kapitäns, eines Besatzungsmitglieds oder einer Person oder Organisation mit berechtigtem Interesse am sicheren Betrieb des Schiffes, den Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord oder der Verhütung von Verschmutzung waren, es sei denn, der betreffende Mitgliedstaat betrachtet den Bericht oder die Beschwerde als offenkundig unbegründet;

    Schiffe, die vor mehr als drei Monaten bereits einmal festgehalten wurden;

    Schiffe, bei denen unbehobene Mängel gemeldet wurden …

    Schiffe, bei denen Probleme mit der Ladung gemeldet wurden, insbesondere mit schädlicher oder gefährlicher Ladung;

    Schiffe, die auf sonstige Weise so betrieben wurden, dass von ihnen Gefahren für Personen, Sachen oder die Umwelt ausgehen;

    Schiffe, bei denen aus verlässlicher Quelle bekannt wurde, dass ihre Risikoparameter von den verzeichneten Parametern abweichen, und deren Risikoniveau dadurch höher ausfällt;

    …“

    38

    Anhang V („Beispiele für ‚triftige Gründe‘“) der Richtlinie sieht in Abschnitt A.1 vor, dass zu den „Beispiele[n] für triftige Gründe für eine gründlichere Überprüfung“ zählt, dass „[d]as Schiff … zu den in Anhang I Teil II Abschnitte 2A und 2B genannten Schiffen [gehört]“.

    39

    In Anhang X („Kriterien für das Festhalten eines Schiffes“) der Richtlinie heißt es:

    „Vor der Entscheidung, ob die bei einer Überprüfung festgestellten Mängel das Festhalten des betreffenden Schiffes rechtfertigen, wendet der Besichtiger die unter den Nummern 1 und 2 aufgeführten Kriterien an.

    Nummer 3 enthält Beispiele von Mängeln, die für sich allein genommen das Festhalten eines Schiffes rechtfertigen können (vgl. Artikel 19 Absatz 3).

    1.

    Hauptkriterien

    Der Besichtiger legt seinem fachlichen Urteil darüber, ob ein Schiff festgehalten werden soll oder nicht, folgende Kriterien zugrunde:

    Das Schiff wird festgehalten, falls es so schwerwiegende Mängel aufweist, dass ein Besichtiger zu dem Schiff zurückkehren muss, um sich persönlich davon zu überzeugen, dass die Mängel vor dem Auslaufen beseitigt worden sind.

    Besteht die Notwendigkeit, dass der Besichtiger zu dem Schiff zurückkehrt, so werden die Mängel damit als schwerwiegend eingestuft. Jedoch erwächst daraus nicht in jedem Fall eine entsprechende Verpflichtung. Es ergibt sich daraus allerdings die Notwendigkeit, dass die Behörde auf irgendeine Weise, vorzugsweise durch eine weitere Besichtigung, feststellt, dass die Mängel vor dem Auslaufen beseitigt worden sind.

    2.

    Anwendung der Hauptkriterien

    Bei der Entscheidung, ob die bei dem Schiff festgestellten Mängel schwerwiegend genug sind, um ein Festhalten zu rechtfertigen, muss der Besichtiger für sich folgende Fragen beantworten:

    Bei der Überprüfung stellt der Besichtiger fest, ob Schiff und/oder Besatzung während der gesamten bevorstehenden Reise zu Folgendem in der Lage sind:

    3.

    sichere Navigation,

    8.

    schnelles und sicheres Verlassen des Schiffes und Durchführung von Rettungsmaßnahmen, falls erforderlich,

    9.

    Verhütung der Umweltverschmutzung,

    13.

    Vorsorge für Sicherheit und Gesundheit an Bord,

    Ergibt sich unter Berücksichtigung aller festgestellten Mängel, dass irgendeine dieser Anforderungen nicht erfüllt wird, so ist das Festhalten des Schiffes ernsthaft in Betracht zu ziehen. Ein Zusammentreffen mehrerer weniger schwerwiegender Mängel kann ebenfalls das Festhalten des Schiffes rechtfertigen.

    3.

    Als Hilfestellung für den Besichtiger bei der Anwendung dieser Richtlinien folgt eine Liste von Mängeln, die nach den einschlägigen Übereinkommen und/oder Codes angeordnet sind und die als so schwerwiegend angesehen werden, dass sie das Festhalten des betreffenden Schiffes rechtfertigen können. Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

    3.2. Bereiche, die unter das [Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See] fallen

    5.

    Fehlen, ungenügendes Fassungsvermögen oder schwere Beschädigung der persönlichen Rettungsmittel, der Überlebensfahrzeuge sowie der Aussetzvorrichtungen.

    3.10. Bereiche, die unter [Seearbeitsübereinkommen von 2006] fallen

    8.

    Die Bedingungen an Bord stellen eindeutig eine Gefahr für die Sicherheit, die Gesundheit oder den Schutz der Seeleute dar.

    9.

    Die Nichterfüllung stellt eine schwere oder wiederholte Verletzung der Anforderungen [des Seearbeitsübereinkommens von 2006] (einschließlich der Rechte der Seeleute) hinsichtlich der Lebens- und Arbeitsbedingungen für Seeleute auf dem Schiff, wie in dem Seearbeitszeugnis und in der Seearbeits-Konformitätserklärung des Schiffes festgelegt, dar.

    …“

    Empfehlung vom 23. September 2020

    40

    Am 23. September 2020 nahm die Europäische Kommission die Empfehlung (EU) 2020/1365 zur Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten bei Such- und Rettungsaktionen, für die im Eigentum privater Einrichtungen befindliche oder von solchen betriebene Schiffe eingesetzt werden (ABl. 2020, L 317, S. 23) an (im Folgenden: Empfehlung vom 23. September 2020).

    41

    In den Erwägungsgründen 1 bis 8, 11, 12, 15, 16 und 18 dieser Empfehlung werden die Gründe dargelegt, die zu ihrer Annahme führten. Erstens weist die Kommission darauf hin, dass der Kontext der Migrationskrise, die die Union von 2014 an erfahren hat, und insbesondere die sehr starke Zunahme der Zahl der Personen, die versuchen, das Mittelmeer in nicht geeigneten Schiffen zu überqueren, um ihrem Herkunftsstaat zu entfliehen und in Europa Zuflucht zu finden, mehrere Nichtregierungsorganisationen (NRO), die Schiffe betreiben, dazu veranlasst hat, eine komplexe Tätigkeit der Suche und Rettung von Personen, die sich auf See in einer Gefahren- oder Notlage befinden, aufzunehmen, um ihnen Hilfe zu leisten. Zweitens legt sie im Wesentlichen dar, dass diese Tätigkeit zwar im Licht der im Völkergewohnheits- und Völkervertragsrecht verankerten Verpflichtung der Mitgliedstaaten, solchen Personen Hilfe zu leisten, verstanden werden könne, aber eine verstärkte Koordinierung und Zusammenarbeit sowohl zwischen diesen NRO und den Mitgliedstaaten als auch zwischen den Mitgliedstaaten untereinander erfordere, unabhängig davon, ob diese die Eigenschaft als Flaggenstaat der eingesetzten Schiffe, als Hafenstaat, in dem die geretteten Personen ausgeschifft würden oder werden könnten, oder als Aufnahmestaat dieser Personen hätten. Drittens und letztens geht die Kommission im Wesentlichen davon aus, dass unbeschadet der Verpflichtungen aus dem Völkerrecht und dem Unionsrecht ein geeigneter Rahmen für die genannte Tätigkeit geschaffen werden sollte, um u. a. die Sicherheit auf See der geretteten Personen sowie der sie rettenden Besatzungen zu gewährleisten, und dass dieses Vorhaben die Einrichtung einer Kontaktgruppe bedinge, die es den Mitgliedstaaten ermögliche, in Abstimmung mit allen Interessenträgern zusammenzuarbeiten, sich zu koordinieren und bewährte Verfahren zu entwickeln.

    42

    In Anbetracht dieser Gesichtspunkte werden die Mitgliedstaaten mit dieser Empfehlung im Wesentlichen aufgefordert, ihre Zusammenarbeit in Bezug auf die private Tätigkeit der Suche und Rettung von Personen, die sich auf See in einer Gefahren- oder Notlage befinden, zu verstärken, namentlich durch die Einrichtung einer Kontaktgruppe in diesem Bereich mit der Kommission und in Absprache mit den Interessenträgern.

    Italienisches Recht

    43

    Die Richtlinie 2009/16 wurde durch das Decreto legislativo n. 53 – Attuazione della direttiva 2009/16/CE recante le norme internazionali per la sicurezza delle navi, la prevenzione dell’inquinamento e le condizioni di vita e di lavoro a bordo per le navi che approdano nei porti comunitari e che navigano nelle acque sotto la giurisdizione degli Stati membri (gesetzesvertretendes Dekret Nr. 53 – Umsetzung der Richtlinie 2009/16/EG über internationale Regeln für die Sicherheit von Schiffen, die Verhütung von Verschmutzung sowie die Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord von Schiffen, die Häfen der Union anlaufen und in Hoheitsgewässern der Mitgliedstaaten fahren) vom 24. März 2011 (GURI Nr. 96 vom 27. April 2011, S. 1, im Folgenden: gesetzesvertretendes Dekret Nr. 53/2011) in italienisches Recht umgesetzt.

    44

    In Art. 3 des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 53/2011 heißt es:

    „(1)   Dieses Dekret gilt für zu kommerziellen Zwecken verwendete und nicht unter italienischer Flagge fahrende Schiffe und Sportboote und die jeweiligen Besatzungen, die in einem nationalen Hafen für Tätigkeiten der Schnittstelle Schiff/Hafen anhalten oder ankern. Die Überprüfung eines Schiffes, die in Gewässern durchgeführt wird, die der nationalen Gerichtsbarkeit unterliegen, wird für die Zwecke dieses Dekrets als gleichwertig mit derjenigen angesehen, die im Hafenbereich durchgeführt wird.

    (5)   Dieses Dekret gilt nicht für Fischereifahrzeuge, Kriegsschiffe, Hilfsschiffe, Holzboote rudimentärer Konstruktion, Schiffe des Staates, die für nicht kommerzielle Zwecke verwendet werden, und Sportboote, die nicht für den kommerziellen Verkehr bestimmt sind.“

    Ausgangsrechtsstreitigkeiten und Vorlagefragen

    45

    Sea Watch ist eine humanitäre Organisation ohne Gewinnerzielungsabsicht mit Sitz in Berlin (Deutschland). Gemäß ihrer Satzung besteht ihr Zweck insbesondere in der Rettung von Personen aus Seenot und gefährlichen Situationen sowie im Unterhalt und Betrieb von Schiffen, Booten sowie Fluggeräten für die Zwecke dieser Rettung. Entsprechend diesem Zweck führt sie die Suche und die Rettung von Personen in den internationalen Gewässern des Mittelmeers mit Schiffen durch, die in ihrem Eigentum stehen und von ihr betrieben werden. Zu diesen Schiffen gehören zwei Schiffe mit der Bezeichnung Sea Watch 3 und Sea Watch 4, die unter deutscher Flagge fahren und von einer Klassifizierungs- und Zertifizierungsstelle in Deutschland als „general cargo/multipurpose“ zertifiziert worden sind.

    46

    Im Lauf des Sommers 2020 legten die Sea Watch 3 und die Sea Watch 4 abwechselnd vom Hafen von Burriana (Spanien) ab und retteten mehrere Hundert Personen, die sich in internationalen Gewässern des Mittelmeers in einer Gefahren- oder Notlage befanden. Die jeweiligen Kapitäne dieser Schiffe wurden sodann vom in Rom (Italien) angesiedelten Italian Maritime Rescue Coordination Centre (Italienisches Zentrum zur Koordinierung von Seenotrettungen) darüber informiert, dass das Ministero degli Interni (Innenministerium, Italien) die Ausschiffung sowie den Umstieg der betroffenen Personen auf im Hafen von Palermo, für die Sea Watch 4, sowie im Hafen von Porto Empedocle, für die Sea Watch 3, liegende Schiffe gestattet habe. Sie erhielten daher die Anweisung, ihre Schiffe in diese Häfen zu steuern und diese Vorgänge durchzuführen.

    47

    Nachdem diese Vorgänge erfolgt waren, ordnete der Ministro della Sanità (Gesundheitsminister, Italien) an, dass die Sea Watch 4 und die Sea Watch 3 in der Nähe der in Rede stehenden Häfen vor Anker liegen müssten, um erstens die Besatzung zur Verhinderung der Ausbreitung der Covid-19-Pandemie unter Quarantäne zu stellen und zweitens die Reinigung, Desinfektion und Erteilung einer Gesundheitsbescheinigung vorzunehmen.

    48

    Nach den Reinigungs- und Desinfektionsprozeduren führten die Hafenbehörden von Palermo und Porto Empedocle auf der Grundlage des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 53/2011 Überprüfungen an Bord durch und ordneten sodann jeweils das Festhalten der Sea Watch 4 und der Sea Watch 3 an. Wie sich aus den Berichten zu diesen Überprüfungen und den anschließend erlassenen Bescheiden über das Festhalten ergibt, waren diese Hafenbehörden erstens der Ansicht, dass diese Schiffe „in der Unterstützung von Migranten auf See tätig [gewesen seien], obwohl sie für die vorgesehene Tätigkeit nicht zertifiziert [gewesen seien]“. Zweitens stellten sie mehr als 20 „technische und operative Mängel“ im Hinblick auf die unionsrechtlichen Bestimmungen und die anwendbaren internationalen Übereinkommen fest, von denen neun „einzeln oder zusammen [als] eindeutig gefährlich für die Sicherheit, die Gesundheit oder die Umwelt“ und als so schwerwiegend anzusehen seien, dass sie das Festhalten der genannten Schiffe gemäß Art. 19 der Richtlinie 2009/16 rechtfertigten.

    49

    Seitdem wurden einige dieser Mängel von Sea Watch behoben. Sea Watch ist jedoch der Ansicht, dass die übrigen Mängel nicht erwiesen seien. Diese Mängel hängen im Wesentlichen damit zusammen, dass die Sea Watch 4 und die Sea Watch 3 nach den Angaben der Hafenbehörden der Häfen von Palermo und von Porto Empedocle nicht zertifiziert sind, um mehrere Hundert Personen an Bord aufzunehmen und zu befördern, wie sie es im Lauf des Sommers 2020 getan haben. Sodann seien diese beiden Schiffe nicht mit der geeigneten technischen Ausrüstung zur Ausführung solcher Tätigkeiten ausgestattet, obwohl sie in Wirklichkeit für solche Tätigkeiten bestimmt seien und tatsächlich ausschließlich hierfür verwendet würden. Insbesondere seien die Anlagen zur Abwasserbehandlung und die Rettungsausrüstungen, mit denen sie ausgestattet seien, für 22 bzw. 30 Personen und nicht für mehrere Hundert Personen konzipiert, und es seien zusätzliche Toiletten sowie Duschen direkt auf dem Deck installiert worden, deren Abwässer unmittelbar in das Meer abgelassen würden. Schließlich würden die von den Besatzungsmitgliedern durchgeführten Rettungseinsätze nicht auf ihre Arbeitszeit angerechnet.

    50

    Sea Watch erhob beim Tribunale amministrativo regionale per la Sicilia (Regionales Verwaltungsgericht Sizilien, Italien) zwei Klagen auf Nichtigerklärung der Bescheide über das Festhalten der Sea Watch 4 und der Sea Watch 3, gegen die diesen Bescheiden vorangegangenen Überprüfungsberichte sowie gegen „jede andere vorausgehende, damit zusammenhängende oder nachfolgende Handlung“ (im Folgenden: im Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahmen). Zur Stützung seiner Anträge macht Sea Watch erstens geltend, dass die Hafenbehörden, von denen diese Maßnahmen ausgegangen seien, die Befugnisse des Hafenstaats – wie sie sich aus der Richtlinie 2009/16, ausgelegt im Licht des anwendbaren Völkergewohnheitsrechts und anwendbarer internationaler Übereinkommen, insbesondere der Regel der gegenseitigen Anerkennung der von den Flaggenstaaten ausgestellten Zeugnisse zwischen Staaten, ergäben – überschritten hätten, indem sie Überprüfungen durchgeführt hätten, die bezweckt oder bewirkt hätten, dass die von den zuständigen deutschen Behörden vorgenommene Klassifizierung und Zertifizierung der Schiffe Sea Watch 4 und Sea Watch 3 in Frage gestellt worden seien. Zweitens seien diese Überprüfungen durchgeführt worden, obwohl die formellen und materiellen Voraussetzungen für ihre Durchführung, wie sie in der Richtlinie 2009/16 vorgesehen seien, nicht vorgelegen hätten. Drittens stellten diese Überprüfungen in Wirklichkeit ein missbräuchlich verwendetes Mittel dar, um ein Ziel zu erreichen, das darin bestehe, die von Sea Watch im Mittelmeer durchgeführten Such- und Rettungseinsätze zu vereiteln. Viertens rechtfertigten jedenfalls die von den betreffenden Hafenbehörden – im Übrigen allgemein – behaupteten Mängel es nicht, das Festhalten der beiden betroffenen Schiffe anzuordnen.

    51

    Außerdem beantragte Sea Watch neben seinen Klagen vorläufigen Rechtsschutz im Hinblick auf den Erlass vorsorglicher Maßnahmen, deren Notwendigkeit sie mit der Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens im Sinne der einschlägigen italienischen Rechtsvorschriften begründete.

    52

    In seinen im Rahmen des Rechtsstreits Sea Watch 4 (Rechtssache C‑14/21) und des Rechtsstreits Sea Watch 3 (Rechtssache C‑15/21) eingereichten Vorabentscheidungsersuchen führt das vorlegende Gericht u. a. aus, dass sich aus den Angaben in den jeweiligen Akten dieser Rechtsstreitigkeiten ergebe, dass das Vorliegen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden verbliebenen Mängel nicht nur von den Parteien dieser Rechtsstreitigkeiten, sondern auch von den betreffenden Behörden in Italien, dem Hafenstaat, und in Deutschland, dem Flaggenstaat, unterschiedlich beurteilt werde. Die italienischen Behörden seien nämlich im Wesentlichen der Ansicht, dass diese Mängel erwiesen seien und behoben werden müssten, während die deutschen Behörden der Auffassung seien, dass auf der Grundlage einer zutreffenden Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts und des Völkerrechts der Schluss zu ziehen sei, dass kein Mangel vorliege und dass die Situation daher von Sea Watch keine Maßnahme zur Behebung erfordere.

    53

    In Anbetracht dieser Situation ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass die Entscheidung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten es erfordere, dass es den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersuche, damit dieser die rechtliche Regelung kläre, die für Schiffe gelte, die von Nichtregierungsorganisationen mit humanitärer Zielsetzung wie Sea Watch betrieben würden, um eine systematische Tätigkeit der Suche und der Rettung von Personen durchzuführen, die sich auf See in einer Gefahren- oder Notlage befänden.

    54

    Insbesondere hat das vorlegende Gericht erstens Zweifel hinsichtlich des Geltungsbereichs der Richtlinie 2009/16, konkret hinsichtlich der Frage, ob Art. 3 dieser Richtlinie in Anbetracht seines Wortlauts, der Systematik dieser Richtlinie und der mit ihr verfolgten Ziele dahin auszulegen ist, dass er Schiffe einschließt, die zwar offiziell von einer vom Flaggenstaat ermächtigten und auf Unionsebene anerkannten Organisation als zur Verwendung für gewerbliche oder Handelszwecke vorgesehene „Frachtschiffe“ klassifiziert und zertifiziert worden sind, praktisch aber ausschließlich und systematisch für eine Tätigkeit der Suche und der Rettung von Personen bestimmt sind und eingesetzt werden, die sich auf See in einer Gefahren- oder Notlage befinden, oder dahin, dass er solche Schiffe nicht einschließt.

    55

    Hierzu weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass es zu der Auffassung neige, dass die Richtlinie 2009/16 in Anbetracht ihres Art. 3 Abs. 4, ihrer Erwägungsgründe 2 bis 4 und 6 sowie des Kontexts, in den sich diese Bestimmung und diese Erwägungsgründe einfügten, dahin auszulegen sei, dass sie auf Schiffe, die – wie die Sea Watch 4 und die Sea Watch 3 – für die Zwecke einer Tätigkeit verwendet würden, die keine gewerbliche oder Handelstätigkeit sei – wie eine Tätigkeit der Suche und der Rettung von Personen, die sich auf See in einer Gefahren- oder Notlage befänden –, nicht anwendbar sei, es sei denn, diese Schiffe könnten Fahrgastschiffen gleichgesetzt werden. Nach dieser Auslegung könnten diese Schiffe keiner Überprüfung auf der Grundlage der Art. 11 bis 13 der Richtlinie unterzogen werden. Allerdings hält das vorlegende Gericht auch die entgegengesetzte Auslegung dieser Richtlinie für möglich, insbesondere in Anbetracht von deren Art. 3 Abs. 1. Sollte diese Auslegung zugrunde gelegt werden, stelle sich jedoch die Frage, ob das gesetzesvertretende Dekret Nr. 53/2011, das von der Italienischen Republik erlassen worden sei, um die Richtlinie 2009/16 in innerstaatliches Recht umzusetzen, mit dieser vereinbar sei.

    56

    Zweitens fragt sich das vorlegende Gericht im Wesentlichen, ob das offensichtliche Missverhältnis zwischen der Höchstzahl von 22 bzw. 30 Personen, die von den Schiffen Sea Watch 4 und Sea Watch 3 gemäß ihren jeweiligen Zeugnissen befördert werden dürfen, und den Hunderten von Personen, die von diesen Schiffen während der Rettungseinsätze, die den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Maßnahmen zugrunde liegen, tatsächlich befördert wurden, einen „Prioritätsfaktor“ oder einen „unerwarteten Faktor“ im Sinne von Anhang I Teil II Abschnitte 2A und 2B der Richtlinie 2009/16 darstellen kann, der es rechtfertigt, dass diese Schiffe einer zusätzlichen Überprüfung auf der Grundlage von Art. 11 dieser Richtlinie unterzogen werden.

    57

    Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts stellt dieses offensichtliche Missverhältnis einen „unerwarteten Faktor“, konkret eine Situation dar, in der Schiffe so betrieben werden, dass „von ihnen Gefahren für Personen, Sachen oder die Umwelt ausgehen“. Hierzu führt es zunächst aus, dass die in Art. 98 des Seerechtsübereinkommens verankerte Verpflichtung der Schiffskapitäne, jedem, der sich auf See in einer Gefahren- oder Notlage befindet, Hilfe zu leisten – eine Verpflichtung, auf die auch im Übereinkommen über den Such- und Rettungsdienst auf See hingewiesen werde –, nach diesen internationalen Übereinkommen nur dann gelte, wenn ihr ohne ernste Gefährdung des Schiffes, der Besatzung oder der Fahrgäste nachgekommen werden könne. Daraus folgert es sodann, dass die Aufnahme einer Anzahl von Personen an Bord eines bestimmten Schiffes, die offensichtlich in keinem Verhältnis zu dessen Aufnahmekapazität und Ausrüstung, wie sie in seinen verschiedenen Zeugnissen angegeben seien oder sich darin widerspiegelten, sowie zur Größe seiner Besatzung stehe, eine solche Gefährdung mit sich bringen könne. Daraus schließt es letztlich, dass in dem Fall, dass diese Aufnahme die Folge einer ausschließlichen und systematischen Tätigkeit der Suche und der Rettung von Personen sei, die sich auf See in einer Gefahren- oder Notlage befänden, mittels Schiffen, deren Zeugnisse belegten, dass sie für diese Tätigkeit nicht geeignet seien, angenommen werden könne, dass eine Situation eines gefährlichen Betriebs vorliege, die die Durchführung einer zusätzlichen Überprüfung nach Art. 11 der Richtlinie 2009/16 rechtfertige.

    58

    Drittens möchte das vorlegende Gericht allgemein den Umfang und die Tragweite der Befugnisse bestimmen, die der Hafenstaat im Rahmen der auf der Grundlage von Art. 13 der Richtlinie 2009/16 durchgeführten gründlicheren Überprüfung eines Schiffes, von dem dieser Staat nicht der Flaggenstaat ist, ausüben kann. Konkret möchte es wissen, ob diese Befugnisse auch die Möglichkeit umfassen, sich zu vergewissern, dass das Schiff unabhängig von den Tätigkeiten, für die es von den zuständigen Behörden des Flaggenstaats klassifiziert und zertifiziert wurde, in dem Fall, dass mit ihm praktisch eine andere Tätigkeit ausgeübt wird, die in der ausschließlichen und systematischen Suche und Rettung von Personen besteht, die auf See in einer Gefahren- oder Notlage sind, die geltenden Anforderungen an die Sicherheit, die Verhütung von Verschmutzung sowie die Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord einhält, wie sie sich aus dem Sekundärrecht der Union und/oder dem Völkergewohnheits- oder Völkervertragsrecht im Bereich des Seerechts ergeben.

    59

    Hierzu führt das vorlegende Gericht zunächst aus, dass Art. 13 der Richtlinie 2009/16 seinem Wortlaut nach dahin zu verstehen sei, dass er dem Hafenstaat die Vornahme von Überprüfungen erlaube, die sich nicht auf die formelle Überprüfung des Vorhandenseins aller erforderlichen Zeugnisse an Bord beschränkten, sondern auch eine sachliche Kontrolle des tatsächlichen Zustands des betreffenden Schiffes umfassten. Sodann weist es darauf hin, dass diese sachliche Kontrolle in Anbetracht des Wortlauts dieser Vorschrift und der Systematik der Richtlinie 2009/16, wie sie u. a. aus ihrem sechsten Erwägungsgrund und den anwendbaren internationalen Übereinkommen hervorgehe, jedoch im Hinblick auf die vom Flaggenstaat vorgenommene Klassifizierung und Zertifizierung erfolgen müsse und daher nur darauf abzielen dürfe, zu überprüfen, ob der tatsächliche Zustand des betreffenden Schiffes die Anforderungen erfülle, die für die Tätigkeiten gälten, für die es von diesem Staat klassifiziert und zertifiziert worden sei. Eine solche Kontrolle erfolge nämlich nur „in zweiter Linie“ und könne daher die Kontrolle und die Entscheidungen, die „in erster Linie“ im Flaggenstaat getroffen worden seien, nicht aufgrund ihres Gegenstands oder ihrer Wirkungen in Frage stellen, was dann der Fall wäre, wenn sie es dem Hafenstaat erlauben würde, ein Schiff mit der Begründung festzuhalten, dass es andere Anforderungen als diejenigen, die der Tätigkeit entsprächen, für die es zertifiziert worden sei, nicht erfülle. Schließlich räumt das vorlegende Gericht zwar ein, dass eine solche Auslegung des Sekundärrechts der Union Betrügereien ermöglichen könne, weist aber im Wesentlichen darauf hin, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Tätigkeit der Suche und Rettung von Personen keinen betrügerischen Charakter habe, da sie erstens dem von Sea Watch verfolgten Zweck entspreche, zweitens den zuständigen deutschen und italienischen Behörden bekannt sei und drittens, wie die Empfehlung vom 23. September 2020 bestätige, grundsätzlich anerkannt sei.

    60

    Viertens möchte das vorlegende Gericht wissen, ob in Ermangelung einer Möglichkeit für den Hafenstaat, auf der Grundlage der Richtlinie 2009/16 im Hinblick auf die tatsächliche Tätigkeit dieses Schiffes zu kontrollieren, ob ein bestimmtes Schiff die geltenden Anforderungen an die Sicherheit, die Verhütung von Verschmutzung sowie die Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord erfüllt, sich eine solche Befugnis entweder auf Art. I Buchst. b des in Art. 2 dieser Richtlinie angeführten Übereinkommens zum Schutz des menschlichen Lebens auf See, der von den Vertragsregierungen verlangt, alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um „zu gewährleisten, dass sich im Hinblick auf den Schutz des menschlichen Lebens ein Schiff für seinen Verwendungszweck eignet“, oder auf Abschnitt 1.3.1 des Anhangs der IMO-Entschließung zur Hafenstaatkontrolle stützen kann.

    61

    Fünftens und letztens fragt sich das vorlegende Gericht zum einen, inwieweit und nach welchen Modalitäten die Behörden des Hafenstaats berechtigt sind, von einem Schiff, das vom Flaggenstaat als Frachtschiff zertifiziert worden ist, zu verlangen, dass es zusätzlich für die Durchführung einer Tätigkeit der Suche und Rettung von Personen, die sich auf See in einer Gefahren- oder Notlage befinden, zertifiziert ist und dass es die für diese Tätigkeit geltenden Bestimmungen einhält oder es ermöglicht, diese Tätigkeit unter Bedingungen durchzuführen, die geeignet sind, die Sicherheit auf See zu gewährleisten. Zum anderen fragt es sich, ob diese Behörden befugt sind, ein solches Schiff nach Art. 19 der Richtlinie 2009/16 festzuhalten, bis es mit diesen Bestimmungen in Einklang gebracht worden ist.

    62

    Im Zusammenhang mit allen diesen Fragen weist das vorlegende Gericht erstens darauf hin, dass die Empfehlung vom 23. September 2020 die Bedeutung hervorhebe, die die Union der Einhaltung der einschlägigen Sicherheitsbestimmungen durch Schiffe beimesse, die eine Tätigkeit der Suche und Rettung von Personen durchführten, die sich im Mittelmeer in einer Gefahren- oder Notlage befänden. Zweitens ist es der Ansicht, dass es jedoch keine internationale oder unionsrechtliche Regelung gebe, die eindeutig für Schiffe, die ausschließlich und systematisch diese Tätigkeit durchführten, gelte und wirklich an solche Schiffe angepasst sei. Drittens ist es im Wesentlichen der Auffassung, dass der Hafenstaat bei Fehlen einer entsprechenden Klassifizierung und Zertifizierung weder verlangen könne, dass solche Schiffe andere als die vom Flaggenstaat ausgestellten Zeugnisse besäßen, noch, dass sie andere als die diesen Zeugnissen entsprechenden Anforderungen erfüllten.

    63

    Unter diesen Umständen hat das Tribunale amministrativo regionale per la Sicilia (Regionales Verwaltungsgericht Sizilien) in beiden Ausgangsrechtsstreitigkeiten beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, die sich gleichlautend in der Rechtssache C‑14/21 auf das Schiff Sea Watch 4 und in der Rechtssache C‑15/21 auf das Schiff Sea Watch 3 beziehen:

    1.

    a)

    Umfasst der Geltungsbereich der Richtlinie 2009/16 ein Schiff, das von der Klassifizierungsstelle des Flaggenstaats als Frachtschiff eingestuft wurde, das aber im konkreten Fall ausschließlich und systematisch eine nicht gewerbliche Tätigkeit, sogenannte „search and rescue“ („SAR“ oder „Such- und Rettungseinsätze“), durchführt (wie sie von Sea Watch mit den Schiffen Sea Watch 4 und Sea Watch 3 auf der Grundlage ihrer eigenen Satzung durchgeführt werden), und kann demnach die Überprüfung durch den Hafenstaat auch bei einem solchen Schiff durchgeführt werden?

    b)

    Falls der Gerichtshof der Auffassung sein sollte, dass die betroffenen Schiffe auch vom Geltungsbereich der Richtlinie 2009/16 erfasst werden: Steht der dahin ausgelegten Richtlinie eine nationale Regelung wie die in Art. 3 des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 53/2011 enthaltene entgegen, mit der Art. 3 dieser Richtlinie umgesetzt wurde, die aber in Abs. 1 des Art. 3 des genannten gesetzesvertretenden Dekrets den Anwendungsbereich der Überprüfung durch den Hafenstaat ausdrücklich so festlegt, dass er auf die zu gewerblichen Zwecken verwendeten Schiffe beschränkt wird und nicht nur Sportboote, sondern auch Frachtschiffe ausnimmt, die im konkreten Fall keine gewerbliche Tätigkeit ausüben und somit nicht für eine solche Tätigkeit verwendet werden?

    c)

    Kann begründetermaßen auch die Auffassung vertreten werden, dass infolge der 2017 erfolgten Änderungen der Richtlinie 2009/16 in deren Geltungsbereich, soweit er auch Passagierschiffe einschließt, Frachtschiffe fallen, die systematisch sogenannte SAR-Einsätze zur Suche und Rettung von Personen, die auf See in Gefahr sind, durchführen, wodurch der Transport der aus dem Meer in Lebensgefahr geretteten Personen dem Personentransport gleichstellt wird?

    2.

    Kann der Umstand, dass das Schiff eine Zahl von Personen transportiert hat, die weit höher ist als die, die in der Bescheinigung über die Sicherheitsausrüstung vermerkt ist, auch wenn dies das Ergebnis sogenannter SAR-Einsätze war, oder dass jedenfalls eine Bescheinigung über die Sicherheitsausrüstung vorhanden ist, die auf eine Zahl von Personen Bezug nimmt, die weitaus niedriger ist als die Zahl der tatsächlich transportierten Personen, rechtmäßig unter die Prioritätsfaktoren im Sinne von Anhang I Teil II Abschnitt 2A oder die unerwarteten Faktoren im Sinne von Anhang I Teil II Abschnitt 2B, die in Art. 11 der Richtlinie 2009/16 genannt werden, fallen?

    3.

    Kann und/oder muss die Befugnis des Hafenstaats zu einer gründlicheren Überprüfung im Sinne von Art. 13 der Richtlinie 2009/16 auf Schiffen, die unter der Flagge von Mitgliedstaaten fahren, auch die Befugnis umfassen, zu überprüfen, was unabhängig von der Tätigkeit, für die ihm vom Flaggenstaat und der entsprechenden Klassifizierungsstelle die Klassenbescheinigung und die daraus folgenden Sicherheitsbescheinigungen ausgestellt wurden, konkret die tatsächlich mit dem Schiff ausgeübte Tätigkeit ist, und folglich die Befugnis, zu prüfen, ob für dieses Schiff die Bescheinigungen vorliegen und, im Allgemeinen, die Anforderungen und/oder Vorschriften erfüllt werden, die auf internationaler Ebene im Bereich der Sicherheit, der Verhütung der Verschmutzung und der Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord erlassen wurden? Falls dies bejaht wird: Kann diese genannte Befugnis auch gegenüber einem Schiff ausgeübt werden, das konkret systematisch sogenannte SAR-Einsätze durchführt?

    4.

    a)

    Wie ist Art. 1 Buchst. b des Übereinkommens zum Schutz des menschlichen Lebens auf See – das in Art. 2 der Richtlinie 2009/16 ausdrücklich genannt wird und dessen einheitliche unionsrechtliche Auslegung für die Zwecke der Überprüfung durch den Hafenstaat daher zu gewährleisten ist – auszulegen, wonach sich „[d]ie Vertragsregierungen verpflichten …, alle Gesetze, Verordnungen, Ausführungsbestimmungen und sonstigen Vorschriften zu erlassen und alle sonstigen Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um diesem Übereinkommen volle Wirksamkeit zu verleihen und dadurch zu gewährleisten, dass sich im Hinblick auf den Schutz des menschlichen Lebens ein Schiff für seinen Verwendungszweck eignet“? Insbesondere: Muss man sich in Bezug auf die Beurteilung der Geeignetheit des Schiffes für seinen Verwendungszweck, die die Hafenstaaten mittels Überprüfungen beurteilen müssen, darauf beschränken, als ausschließlichen Prüfparameter die Vorgaben heranzuziehen, die auf der Grundlage der Klassifizierung und der maßgeblichen Sicherheitszeugnisse gemacht wurden, die für das Schiff vorliegen und die auf der Grundlage der abstrakt erklärten Tätigkeit ausgestellt wurden, oder kann vielmehr auch auf den Dienst, für den das Schiff konkret bestimmt ist, abgestellt werden?

    b)

    Haben, auch in Bezug auf den genannten internationalen Parameter, die Verwaltungsbehörden der Hafenstaaten die Befugnis, nicht nur die Übereinstimmung der Bordausrüstung mit den Vorgaben zu überprüfen, die nach den Bescheinigungen vorgesehen sind, die vom Flaggenstaat erteilt wurden und sich aus der abstrakten Klassifizierung des Schiffes ergeben, sondern auch die Befugnis, zu beurteilen, ob die Bescheinigungen, die für das Schiff vorliegen, und die entsprechende Bordausrüstung mit der konkreten ausgeübten Tätigkeit, die sich von der in der Klassenzertifizierung angegebenen unterscheidet, übereinstimmen?

    c)

    Dieselben Erwägungen sind für Abschnitt 1.3.1 des Anhangs der IMO-Entschließung zur Hafenstaatkontrolle anzustellen, in dem bestimmt wird: „Nach den in Abschnitt 1.2 genannten einschlägigen Übereinkünften ist die Verwaltung (das heißt die Regierung des Flaggenstaats) für den Erlass von Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften sowie für die Ergreifung aller anderen Schritte verantwortlich, die erforderlich sein können, um der jeweiligen Übereinkunft in vollem Umfang Wirksamkeit zu verleihen und so zu gewährleisten, dass ein Schiff im Hinblick auf den Schutz des menschlichen Lebens und die Verhütung der Meeresverschmutzung für den vorgesehenen Dienst geeignet ist und dass die Seeleute über die erforderlichen Befähigungen verfügen sowie diensttüchtig sind.“

    5.

    a)

    Kann, wenn das Bestehen einer Befugnis des Hafenstaats bestätigt werden sollte, das Vorliegen der Bescheinigungen und die Erfüllung der Anforderungen und/oder Vorgaben auf der Grundlage der Tätigkeit zu überprüfen, für die das Schiff konkret bestimmt ist, der Hafenstaat, der die Überprüfung durchgeführt hat, das Vorliegen der Bescheinigungen und die Erfüllung von Anforderungen und/oder Vorgaben an die Sicherheit und die Verhütung von Meeresverschmutzung verlangen, die im Vergleich zu denjenigen, die für das Schiff vorliegen, weiter gehender sind und sich auf die konkret ausgeübte Tätigkeit beziehen, insbesondere im vorliegenden Fall von sogenannten SAR-Einsätzen, um das Festhalten des Schiffes zu vermeiden?

    b)

    Wenn Frage 5 a bejaht wird: Kann das Vorliegen von Bescheinigungen und die Erfüllung von Anforderungen und/oder Vorgaben, die im Vergleich zu denjenigen, die für das Schiff vorliegen, weiter gehender sind und sich auf die konkret ausgeübte Tätigkeit beziehen, insbesondere im vorliegenden Fall von sogenannten SAR-Einsätzen, um das Festhalten des Schiffes zu vermeiden, nur dann verlangt werden, wenn ein internationaler rechtlicher Rahmen und/oder unionsrechtlicher Rahmen besteht, der eindeutig und zuverlässig ist in Bezug auf die Klassifizierung der sogenannten SAR-Einsätze und die entsprechenden Bescheinigungen und Anforderungen und/oder Vorgaben zur Sicherheit und der Verhütung von Meeresverschmutzung?

    c)

    Wenn Frage 5 b verneint wird: Müssen das Vorliegen von Bescheinigungen und die Erfüllung von Anforderungen und/oder Vorgaben, die im Vergleich zu denjenigen, die für das Schiff vorliegen, weiter gehender sind und sich auf die konkret ausgeübte Tätigkeit beziehen, insbesondere im vorliegenden Fall von sogenannten SAR-Einsätzen, um das Festhalten des Schiffes zu vermeiden, auf der Grundlage der nationalen Vorschriften des Flaggenstaats und/oder auf der des Hafenstaats verlangt werden, und ist dafür eine gesetzliche Vorschrift erforderlich, oder ist auch eine untergesetzliche Vorschrift oder nur eine allgemeine Verwaltungsvorschrift geeignet?

    d)

    Wenn Frage 5 c bejaht wird: Obliegt es dem Hafenstaat, bei der Überprüfung punktuell und speziell anzugeben, auf der Grundlage welcher (im Sinne von Frage 5 c festgelegten) nationalen Regelung mit Gesetzes- oder Verordnungscharakter oder welcher auf einen allgemeinen Verwaltungsakt zurückführbaren Regelung die technischen Anforderungen und/oder Vorgaben an die Sicherheit und die Verhütung von Meeresverschmutzung festgestellt werden müssen, die das Schiff, das einer Überprüfung unterzogen wird, erfüllen muss, um sogenannte SAR-Einsätze durchzuführen, und welche Korrekturen oder Berichtigungen verlangt werden, um die Einhaltung der genannten Vorschriften sicherzustellen?

    e)

    Wenn es keine Regelung des Hafenstaats und/oder des Flaggenstaats gibt, die Gesetzes- oder Verordnungscharakter hat oder auf einen allgemeinen Verwaltungsakt zurückgeführt werden kann: Kann die Verwaltung des Hafenstaats für den konkreten Fall die technischen Anforderungen und/oder Vorgaben an die Sicherheit, die Verhütung von Meeresverschmutzung und den Lebens- und Arbeitsschutz an Bord festlegen, die das Schiff, das einer Überprüfung durch diesen Staat unterzogen wird, erfüllen muss, um sogenannte SAR-Einsätze durchzuführen?

    f)

    Wenn die Fragen 5 d und e verneint werden: Können sogenannte SAR-Einsätze, wenn spezifische Angaben des Flaggenstaats in diesem Rahmen fehlen, als zwischenzeitlich genehmigt angesehen werden und daher nicht durch den Erlass einer Anordnung des Festhaltens verhindert werden, wenn das Schiff, das einer Überprüfung durch den Hafenstaat unterzogen wird, die oben genannten Anforderungen und/oder Vorgaben einer anderen Kategorie (insbesondere eines Frachtschiffs) erfüllt, deren Vorliegen im konkreten Fall der Flaggenstaat bestätigt hat?

    Verfahren vor dem Gerichtshof

    64

    Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 2. Februar 2021 sind die Rechtssachen C‑14/21 und C‑15/21 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung des Gerichtshofs verbunden worden.

    65

    In seinen Vorlageentscheidungen hat das Tribunale amministrativo regionale per la Sicilia (Regionales Verwaltungsgericht Sizilien) beantragt, die vorliegenden Rechtssachen dem beschleunigten Verfahren nach Art. 105 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen. Zur Stützung dieses Antrags hat es erstens auf die erhebliche Bedeutung verwiesen, die insbesondere in den Sommermonaten den Tätigkeiten der Suche und Rettung von Personen, die sich im Mittelmeer in einer Gefahren- oder Notlage befänden, zukomme, die von humanitären Organisationen mit Hilfe von Schiffen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden durchgeführt werde, zweitens darauf, dass mehrere dieser Schiffe zum Zeitpunkt der Einreichung der den vorliegenden Rechtssachen zugrunde liegenden Vorabentscheidungsersuchen Gegenstand von Maßnahmen zum Festhalten in italienischen Häfen gewesen seien, und drittens darauf, dass bei italienischen Verwaltungsgerichten Klagen gegen einige dieser Maßnahmen anhängig seien.

    66

    Mit Beschluss vom 25. Februar 2021, Sea Watch (C‑14/21 und C‑15/21, EU:C:2021:149), hat der Präsident des Gerichtshofs diese Anträge mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Umstände, auf die sie gestützt wurden, es für sich genommen nicht rechtfertigen, die vorliegenden Rechtssachen dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, unbeschadet der Möglichkeit des vorlegenden Gerichts, erforderlichenfalls die einstweiligen Anordnungen zu erlassen, die erforderlich sind, um die volle Wirksamkeit der von ihm in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten zu erlassenden Entscheidungen sicherzustellen.

    67

    Allerdings hat der Präsident des Gerichtshofs festgestellt, dass die besonderen Umstände dieser Rechtssachen es rechtfertigen, dass der Gerichtshof sie gemäß Art. 53 Abs. 3 der Verfahrensordnung mit Vorrang behandelt.

    Zu den Vorlagefragen

    Zur ersten Frage

    68

    Mit seiner ersten Frage, die den Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/16 betrifft, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob diese Richtlinie dahin auszulegen ist, dass sie auf Schiffe anwendbar ist, die zwar vom Flaggenstaat als Frachtschiffe klassifiziert und zertifiziert sind, in der Praxis aber von einer humanitären Organisation systematisch für eine nicht gewerbliche Tätigkeit der Suche und Rettung von Personen, die sich auf See in einer Gefahren- oder Notlage befinden, verwendet werden (im Folgenden: private Schiffe, die humanitäre Hilfe leisten). Für den Fall, dass dies zu bejahen ist, möchte das vorlegende Gericht außerdem wissen, ob diese Richtlinie dahin auszulegen ist, dass sie dem entgegensteht, dass eine nationale Regelung zu ihrer Umsetzung in innerstaatliches Recht ihre Anwendbarkeit auf Schiffe beschränkt, die für eine gewerbliche Tätigkeit verwendet werden.

    69

    Hierzu ist erstens festzustellen, dass Art. 3 der Richtlinie 2009/16 den Geltungsbereich dieser Richtlinie allgemein und unbeschadet der Sonderbestimmungen für bestimmte Schiffskategorien durch Bezugnahme auf zwei kumulative Reihen von Kriterien begrenzt, von denen die erste die Schiffe betrifft, für die diese Richtlinie gilt, und die zweite die Situationen, in denen sie für solche Schiffe gilt.

    70

    Was zum einen die Schiffe betrifft, die in den Geltungsbereich der Richtlinie 2009/16 fallen, so gilt diese nach ihrem Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 allgemein für „Schiffe“, wobei der Begriff „Schiff“ selbst in Art. 2 Nr. 5 dieser Richtlinie als ein seegehendes Fahrzeug definiert ist, auf das erstens eines oder mehrere der in Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie angeführten internationalen Übereinkommen Anwendung finden und das zweitens eine andere Flagge als diejenige des Hafenstaats führt.

    71

    Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2009/16 sieht jedoch vor, dass von ihrem Anwendungsbereich Fischereifahrzeuge, Kriegsschiffe, Flottenhilfsschiffe, Holzschiffe einfacher Bauart, staatliche Schiffe, die für nicht gewerbliche Zwecke verwendet werden, und Vergnügungsjachten, die nicht dem Handelsverkehr dienen, ausgeschlossen sind.

    72

    Da die verschiedenen, auf diese Weise ausgeschlossenen Kategorien von Schiffen somit jeweils Ausnahmen von der allgemeinen Regel des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2009/16 darstellen, sind sie als abschließend anzusehen und eng auszulegen.

    73

    Daraus folgt insbesondere, dass die Begriffe „staatliche Schiffe, die für nichtgewerbliche Zwecke verwendet werden“ und „Vergnügungsjachten, die nicht dem Handelsverkehr dienen“ in Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2009/16 nicht dahin verstanden werden können, dass sie entsprechend Schiffe umfassen, die wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden in der Praxis für „nichtgewerbliche“ Zwecke verwendet werden oder „nicht dem Handelsverkehr“ dienen, ohne jedoch „staatliche Schiffe“ oder „Vergnügungsjachten“ im Sinne dieser Bestimmung zu sein.

    74

    Fällt das betreffende Schiff nicht in eine der gemäß Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2009/16 abschließend vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossenen Kategorien, so ist der Umstand, dass die tatsächliche Tätigkeit dieses Schiffes nicht mit der Tätigkeit übereinstimmt, für die es in dem Staat, dessen Flagge es führt, klassifiziert und zertifiziert wurde, für die Anwendbarkeit der Richtlinie unerheblich, wie der Generalanwalt in Nr. 35 seiner Schlussanträge im Kern ausgeführt hat. Es ist auch unerheblich, ob die tatsächliche Tätigkeit eines solchen Schiffes gewerblich oder nicht gewerblich ist. Schließlich ist es unerheblich, ob die Beförderung von Personen, denen auf See Hilfe geleistet wurde, wie die Beförderung, zu der die im Ausgangsverfahren in Rede stehende systematische Such- und Hilfstätigkeit führt, einer Tätigkeit der Personenbeförderung gleichgestellt ist oder nicht.

    75

    Was zum anderen die Situationen betrifft, die in den Geltungsbereich der Richtlinie 2009/16 fallen, so stellt deren Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 klar, dass diese Richtlinie insbesondere für Schiffe, „die einen Hafen oder Ankerplatz eines Mitgliedstaats anlaufen, in dem eine Schnittstelle Schiff/Hafen erfolgen soll“, und ihre Besatzung gilt. Wie sich aus Art. 2 Nr. 6 dieser Richtlinie ergibt, umfasst eine solche Tätigkeit jede Form der Interaktion, die auftritt, wenn ein solches Schiff direkt und unmittelbar von Tätigkeiten betroffen ist, die im Zusammenhang mit der Beförderung von Personen oder Gütern oder mit der Erbringung von Hafendienstleistungen stehen.

    76

    Allerdings gilt die Richtlinie 2009/16 nicht nur in dieser Situation, wie sich aus ihrem Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 ergibt, der sich auf die Möglichkeit für einen Mitgliedstaat bezieht, ein Schiff zu überprüfen, das sich in seinen Hoheitsgewässern befindet.

    77

    Aus den Rn. 69 bis 76 des vorliegenden Urteils ergibt sich somit, dass die Richtlinie 2009/16 dahin auszulegen ist, dass sie auf Schiffe anwendbar ist, die sich wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden in einem Hafen, an einem Ankerplatz oder in den Hoheitsgewässern eines Mitgliedstaats befinden und die Flagge eines anderen Mitgliedstaats oder eines Drittstaats führen, ohne unter eine der in Art. 3 Abs. 4 dieser Richtlinie aufgeführten Ausnahmen zu fallen (im Folgenden: der Hoheitsgewalt des Hafenmitgliedstaats unterliegende Schiffe).

    78

    Diese Auslegung des Wortlauts der Richtlinie 2009/16 steht im Einklang mit dem mit dieser Richtlinie verfolgten Ziel, das, wie aus ihrem Art. 1 hervorgeht, darin besteht, die Einhaltung der Vorschriften des Völkerrechts und des Unionsrechts im Bereich der Sicherheit auf See, des Schutzes der Meeresumwelt sowie der Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord durch eine Kontroll‑, Überprüfungs- und Festhalteregelung zu fördern, die auf gemeinsamen Kriterien und einem einheitlichen Verfahren beruht und vorbehaltlich der vom Unionsgesetzgeber ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen auf alle Schiffe anwendbar ist, die der Hoheitsgewalt des Hafenmitgliedstaats unterliegen.

    79

    Diese Auslegung steht im Übrigen im Einklang mit Art. 80 Abs. 2 EG, jetzt Art. 100 Abs. 2 AEUV, der die Rechtsgrundlage der Richtlinie 2009/16 darstellt. Diese Bestimmung erlaubt es dem Unionsgesetzgeber nämlich, allgemeine Vorschriften zur Verbesserung der Verkehrssicherheit und damit der Seeschifffahrt zu erlassen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Oktober 2007, Kommission/Rat, C‑440/05, EU:C:2007:625, Rn. 58 und 59 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), ohne dass diese Vorschriften auf Schiffe beschränkt werden müssten, die für eine gewerbliche oder Handelstätigkeit bestimmt sind oder in der Praxis dafür verwendet werden.

    80

    Nach alledem ist festzustellen, dass die Richtlinie 2009/16 für private Schiffe, die humanitäre Hilfe leisten, gilt, wenn die in Rn. 77 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

    81

    Zweitens geht aus der Richtlinie 2009/16 klar hervor, dass alle Schiffe im Sinne ihres Art. 3 Abs. 1 unter die in ihren Art. 11 bis 13 und 19 vorgesehene Kontroll‑, Überprüfungs- und Festhalteregelung fallen.

    82

    Folglich müssen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die die Mitgliedstaaten gemäß der Richtlinie 2009/16 zu erlassen haben, um ihr innerstaatliches Recht mit dieser Richtlinie in Einklang zu bringen, vorsehen, dass der Anwendungsbereich dieser Regelung alle diese Schiffe umfasst, einschließlich der in Rn. 80 des vorliegenden Urteils genannten, so dass diese Richtlinie dem entgegensteht, dass die Anwendbarkeit dieser Vorschriften auf Schiffe beschränkt ist, die für eine gewerbliche Tätigkeit verwendet werden.

    83

    In Anbetracht der in den Rn. 55 und 68 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Fragen des vorlegenden Gerichts ist hinzuzufügen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts alle mitgliedstaatlichen Stellen verpflichtet, diesem Recht volle Wirksamkeit zu verschaffen, und insbesondere den nationalen Gerichten auferlegt, ihr nationales Recht so weit wie möglich unionsrechtskonform auszulegen. Dieser Grundsatz gebietet die Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und die Anwendung der nach diesem anerkannten Auslegungsmethoden, um die volle Wirksamkeit des Rechtsakts der Union, der in einem bestimmten Fall betroffen ist, zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das im Einklang mit dem mit ihm verfolgten Zweck steht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski, C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 53, 54, 57 und 77).

    84

    Der genannte Grundsatz hat jedoch bestimmte Grenzen. Insbesondere kann er nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski, C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 74 und 76 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    85

    Im vorliegenden Fall ist es Sache des vorlegenden Gerichts, die nationale Regelung, die die Umsetzung der Bestimmungen zur Festlegung des Geltungsbereichs der Richtlinie 2009/16 gewährleistet, und konkret die in den Art. 11 bis 13 und 19 dieser Richtlinie vorgesehene Kontroll‑, Überprüfungs- und Festhalteregelung unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der nach diesem Recht anerkannten Auslegungsmethoden so weit wie möglich im Einklang mit diesen Bestimmungen auszulegen, was einige der Beteiligten, die am Verfahren vor dem Gerichtshof beteiligt waren, für möglich erachtet haben.

    86

    Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Richtlinie 2009/16 dahin auszulegen ist, dass

    sie auf Schiffe anwendbar ist, die zwar vom Flaggenstaat als Frachtschiffe klassifiziert und zertifiziert sind, in der Praxis aber von einer humanitären Organisation systematisch für eine nicht gewerbliche Tätigkeit der Suche und Rettung von Personen, die sich auf See in einer Gefahren- oder Notlage befinden, verwendet werden, und

    sie dem entgegensteht, dass eine nationale Regelung zu ihrer Umsetzung in innerstaatliches Recht ihre Anwendbarkeit auf Schiffe beschränkt, die für eine gewerbliche Tätigkeit verwendet werden.

    Zu den Fragen 2 bis 5

    Vorbemerkungen

    87

    Die Fragen 2 bis 5 betreffen die Voraussetzungen für die Umsetzung der in den Art. 11 bis 13 und 19 der Richtlinie 2009/16 vorgesehenen Kontroll‑, Überprüfungs- und Festhalteregelung in Bezug auf Schiffe, die der Hoheitsgewalt des Hafenmitgliedstaats unterliegen, insbesondere auf private Schiffe, die humanitäre Hilfe leisten.

    88

    Mit dieser Richtlinie wird, wie in Rn. 78 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, das Ziel verfolgt, die Einhaltung der Vorschriften des Völkerrechts und des Unionsrechts im Bereich der Sicherheit auf See, des Schutzes der Meeresumwelt sowie der Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord zu fördern.

    89

    Zu diesem Zweck soll die Richtlinie es speziell der Union und den Mitgliedstaaten ermöglichen, sicherzustellen, dass die der Hoheitsgewalt des Hafenmitgliedstaats unterliegenden Schiffe den Bestimmungen der in ihrem Art. 2 Nr. 1 aufgeführten internationalen Übereinkommen entsprechen. Zu diesen zählt das Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See, dem sämtliche Mitgliedstaaten der Union, nicht aber die Union, als Vertragsparteien angehören, wie in Rn. 17 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist.

    90

    Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass, auch wenn die Union nicht Vertragspartei eines internationalen Übereinkommens ist und dieses sie daher nicht bindet, sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, dass dieses Übereinkommen im Rahmen der Auslegung von Bestimmungen des Sekundärrechts der Union, die in seinen Anwendungsbereich fallen, berücksichtigt werden kann, wenn sämtliche Mitgliedstaaten Vertragsparteien dieses Übereinkommens sind (Urteile vom 3. Juni 2008, Intertanko u. a., C‑308/06, EU:C:2008:312, Rn. 47 bis 52, vom 23. Januar 2014, Manzi und Compagnia Naviera Orchestra, C‑537/11, EU:C:2014:19, Rn. 45, und vom 11. Juli 2018, Bosphorus Queen Shipping, C‑15/17, EU:C:2018:557, Rn. 45).

    91

    Im vorliegenden Fall ist das Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See, dem alle Mitgliedstaaten als Vertragsparteien angehören, bei der Auslegung der Richtlinie 2009/16 zu berücksichtigen. Diese Richtlinie bringt nämlich die Entscheidung des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, die Durchsetzung der Bestimmungen dieses Übereinkommens innerhalb der Union zu verbessern, auch wenn die Union selbst nicht Vertragspartei ist. Außerdem hat sich das in Rn. 89 des vorliegenden Urteils genannte Ziel, das der Unionsgesetzgeber mit dem Erlass der Richtlinie verfolgte, im Wesentlichen darin niedergeschlagen, dass in einigen ihrer Anhänge ein Teil der Vorschriften des Protokolls zu diesem Übereinkommen im Wesentlichen übernommen wurde.

    92

    Zum anderen ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Bestimmungen des Sekundärrechts der Union so weit wie möglich im Einklang sowohl mit den für die Union verbindlichen internationalen Übereinkommen als auch mit den einschlägigen Regeln und Grundsätzen des allgemeinen Völkerrechts auszulegen sind, unter deren Beachtung die Union ihre Befugnisse auszuüben hat, wenn sie solche Bestimmungen erlässt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission, C‑402/05 P und C‑415/05 P, EU:C:2008:461, Rn. 291, sowie vom 27. Februar 2018, Western Sahara Campaign UK, C‑266/16, EU:C:2018:118, Rn. 43 bis 47).

    93

    Im vorliegenden Fall ist die Richtlinie 2009/16 in Anbetracht ihres Ziels und ihres Inhalts unter Berücksichtigung nicht nur des Übereinkommens zum Schutz des menschlichen Lebens auf See, sondern auch des Seerechtsübereinkommens auszulegen.

    94

    Wie nämlich in Rn. 3 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, wurde das Seerechtsübereinkommen von der Union abgeschlossen, so dass es für sie verbindlich ist und seine Bestimmungen integraler Bestandteil der Rechtsordnung der Union sind. Ferner hat es innerhalb dieser Rechtsordnung Vorrang vor den Bestimmungen des Sekundärrechts der Union, so dass diese im Rahmen des Möglichen im Einklang mit seinen Bestimmungen auszulegen sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. Mai 2006, Kommission/Irland, C‑459/03, EU:C:2006:345, Rn. 82, vom 3. Juni 2008, Intertanko u. a., C‑308/06, EU:C:2008:312, Rn. 42 und 53, sowie vom 11. Juli 2018, Bosphorus Queen Shipping, C‑15/17, EU:C:2018:557, Rn. 44).

    95

    Insoweit sind für die Beantwortung der Vorlagefragen 2 bis 5 zwei Reihen von Erwägungen relevant.

    96

    Erstens besteht das Hauptziel des Seerechtsübereinkommens darin, die Regeln des allgemeinen Völkerrechts über die friedliche Zusammenarbeit der internationalen Gemeinschaft bei der Erforschung, der Nutzung und der Ausbeutung der Meeresräume zu kodifizieren und weiterzuentwickeln. Zu diesem Zweck legt dieses Übereinkommen die rechtliche Regelung der verschiedenen von ihm bezeichneten Meeresgebiete fest – zu denen u. a. das Küstenmeer und die hohe See gehören –, indem es die materiellen und territorialen Grenzen der souveränen Rechte und des Hoheitsbereichs festlegt, über die die Staaten in diesen verschiedenen Meeresgebieten verfügen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juni 2008, Intertanko u. a., C‑308/06, EU:C:2008:312, Rn. 55, 57 und 58).

    97

    Mit dieser rechtlichen Regelung soll ein gerechter Ausgleich zwischen den jeweiligen und potenziell widerstreitenden Interessen der Staaten als Küstenstaaten und als Flaggenstaaten geschaffen werden (vgl. u. a. Urteile vom 3. Juni 2008, Intertanko u. a., C‑308/06, EU:C:2008:312, Rn. 58, und vom 11. Juli 2018, Bosphorus Queen Shipping, C‑15/17, EU:C:2018:557, Rn. 63).

    98

    Dieser gerechte Ausgleich ist zum einen durch die jedem Staat nach Art. 91 des Seerechtsübereinkommens zuerkannte ausschließliche Zuständigkeit gekennzeichnet, die Bedingungen festzulegen, zu denen er Schiffen seine Staatszugehörigkeit gewährt, sie in seinem Hoheitsgebiet in das Schiffsregister einträgt und ihnen das Recht einräumt, seine Flagge zu führen. Die Ausübung dieser Zuständigkeit erfolgt u. a. dadurch, dass der Flaggenstaat die Schiffe, die seine Flagge führen, klassifiziert und zertifiziert oder von einer hierzu ermächtigten Stelle klassifizieren und zertifizieren lässt, nachdem er geprüft hat, ob diese Schiffe sämtliche in den geltenden internationalen Übereinkommen vorgesehenen Anforderungen erfüllen (vgl. u. a. Urteile vom 3. Juni 2008, Intertanko u. a., C‑308/06, EU:C:2008:312, Rn. 59, und vom 7. Mai 2020, Rina, C‑641/18, EU:C:2020:349, Rn. 43, 44 und 46).

    99

    Zudem verfügt jeder Staat gemäß Art. 92 des Seerechtsübereinkommens über die ausschließliche Hoheitsgewalt über die Schiffe, die unter seiner Flagge fahren und sich auf hoher See befinden. Daraus ergibt sich für den Flaggenstaat eine Reihe von Pflichten, die, wie sich aus Art. 94 Abs. 1 bis 3 des Übereinkommens ergibt, die Pflichten umfassen, seine Hoheitsgewalt und Kontrolle über diese Schiffe wirksam auszuüben sowie alle zur Gewährleistung der Sicherheit auf See erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, u. a. in Bezug auf die Ausrüstung, die Seetüchtigkeit, die Ausbildung und die Arbeitsbedingungen. Außerdem muss der Flaggenstaat nach Art. 94 Abs. 4 des Übereinkommens u. a. sicherstellen, dass der Kapitän, die Offiziere und, soweit erforderlich, die Besatzung die anwendbaren internationalen Vorschriften zum Schutz des menschlichen Lebens auf See beachten.

    100

    Daraus folgt u. a., dass ein Schiff auf hoher See der ausschließlichen Hoheitsgewalt und dem Recht des Flaggenstaats unterliegt (Urteile vom 24. November 1992, Poulsen und Diva Navigation, C‑286/90, EU:C:1992:453, Rn. 22, und vom 25. Februar 2016, Stroumpoulis u. a., C‑292/14, EU:C:2016:116, Rn. 59), was u. a. die Sicherheit auf See und den Schutz des menschlichen Lebens auf See anbelangt. Allgemein unterliegt ein Schiff, das sich in einem anderen Meeresgebiet als der hohen See befindet, in diesem Gebiet weiterhin der Hoheitsgewalt des Flaggenstaats (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juni 2018, Deutscher Naturschutzring, C‑683/16, EU:C:2018:433, Rn. 53 und 54), kann dabei aber gleichzeitig Gegenstand von Kontrollen sein, die von dem Staat, der Souveränität oder Hoheitsbefugnisse über dieses Gebiet hat, innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten und Befugnisse dieses Staates durchgeführt werden.

    101

    Der gerechte Ausgleich zwischen den jeweiligen Interessen der Küstenstaaten und der Flaggenstaaten ist zum anderen dadurch gekennzeichnet, dass sich die Souveränität jedes Küstenstaats, wie sich aus Art. 2 Abs. 1 des Seerechtsübereinkommens ergibt, jenseits seines Landgebiets, einschließlich seiner Häfen, und seiner inneren Gewässer (Urteile vom 24. November 1992, Poulsen und Diva Navigation, C‑286/90, EU:C:1992:453, Rn. 28, sowie vom 25. Februar 2016, Stroumpoulis u. a., C‑292/14, EU:C:2016:116, Rn. 59), auf den angrenzenden Meeresstreifen erstreckt, der als „Küstenmeer“ bezeichnet wird.

    102

    Der Begriff „Küstenstaat“ im Sinne des Seerechtsübereinkommens überschneidet sich teilweise mit dem Begriff „Hafenstaat“ im Sinne der Richtlinie 2009/16, der, obwohl er in dieser Richtlinie nicht formal definiert ist, nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1, 5 und 6 der Richtlinie jeden Mitgliedstaat der Union erfasst, der über einen See- oder einen Flusshafen verfügt.

    103

    Die Souveränität, über die der Küstenstaat über sein Küstenmeer verfügt, gilt jedoch unbeschadet der diesem Staat nach Art. 24 Abs. 1 des Seerechtsübereinkommens auferlegte Pflicht, das Recht fremder Schiffe auf friedliche Durchfahrt durch sein Küstenmeer – außer in den von diesem Übereinkommen vorgesehenen Fällen – nicht zu behindern, worunter nach den Art. 17 und 18 des genannten Übereinkommens u. a. das Recht zu verstehen ist, dieses Küstenmeer zu durchfahren, um in die inneren Gewässer des Küstenstaats einzulaufen, einen von dessen Häfen anzulaufen und diesen Hafen, diese Gewässer oder dieses Küstenmeer zu verlassen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. November 1992, Poulsen und Diva Navigation, C‑286/90, EU:C:1992:453, Rn. 25).

    104

    Allerdings verfügt der Küstenstaat über die Befugnis, gemäß Art. 21 Abs. 1 und 4 des Seerechtsübereinkommens Gesetze und sonstige Vorschriften über die friedliche Durchfahrt fremder Schiffe durch sein Küstenmeer, insbesondere betreffend die Sicherheit der Schifffahrt, zu erlassen, an die sich die Schiffe, die diese Durchfahrt durchführen, halten müssen. Außerdem muss diese Durchfahrt, um als „friedlich“ angesehen werden zu können, die in Art. 19 des Übereinkommens genannten Merkmale erfüllen.

    105

    Zweitens ist in Art. 98 Abs. 1 – in dem die hohe See betreffenden Teil VII – des Seerechtsübereinkommens eine „Pflicht zur Hilfeleistung“ verankert, die ihren Ursprung im Seegewohnheitsrecht hat und wonach jeder Staat jeden Kapitän eines seine Flagge führenden Schiffes verpflichten muss, Personen, die sich auf See in einer Gefahren- oder Notlage befinden, Hilfe zu leisten, soweit der Kapitän ohne ernste Gefährdung des Schiffes, der Besatzung oder der Fahrgäste dazu imstande ist und diese Handlung vernünftigerweise von ihm erwartet werden kann (im Folgenden: Pflicht zur Hilfeleistung auf See). Außerdem wird in Art. 18 Abs. 2 des Übereinkommens klargestellt, dass der Umstand, dass ein Schiff solchen Personen Hilfe geleistet hat, die Durchfahrt dieses Schiffes durch das Küstenmeer eines Küstenstaats, einschließlich des Anhaltens und Ankerns in einem solchen Gebiet, soweit dies erforderlich ist, mit sich bringen kann.

    106

    Daraus folgt, dass die Umsetzung dieser Pflicht zur Hilfeleistung auf See rechtliche Folgen für die jeweiligen Befugnisse der Flaggenstaaten und der Küstenstaaten im Bereich der Kontrolle der Einhaltung der Sicherheitsvorschriften auf See – wie sie in den Rn. 99, 100, 103 und 104 des vorliegenden Urteils dargelegt worden sind – hat.

    107

    Insoweit ist entsprechend den Ausführungen in den Rn. 90 und 91 des vorliegenden Urteils bei der Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2009/16 Art. IV Buchst. b des Übereinkommens zum Schutz des menschlichen Lebens auf See zu berücksichtigen, wonach Personen, die sich wegen höherer Gewalt oder wegen der Verpflichtung des Kapitäns an Bord befinden, Schiffbrüchige oder andere Personen aufzunehmen, bei der Feststellung, ob eine Bestimmung dieses Übereinkommens auf ein Schiff anzuwenden ist, außer Betracht bleiben.

    108

    Folglich kann in dem Fall, dass der Kapitän eines Schiffes, das unter der Flagge eines Vertragsstaats des Übereinkommens zum Schutz des menschlichen Lebens auf See fährt, der in Rn. 105 des vorliegenden Urteils genannten Pflicht zur Hilfeleistung auf See nachgekommen ist, weder der Küstenstaat, der ebenfalls Vertragspartei dieses Übereinkommens ist, noch im Übrigen der Flaggenstaat von seinen jeweiligen Befugnissen zur Kontrolle der Einhaltung der Sicherheitsvorschriften auf See, wie sie in den Rn. 99, 100, 103 und 104 des vorliegenden Urteils dargelegt worden sind, Gebrauch machen, um zu überprüfen, ob die Anwesenheit der genannten Personen an Bord dazu führen kann, dass das betreffende Schiff gegen irgendeine Bestimmung des genannten Übereinkommens verstößt.

    109

    Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen sind die Fragen 2 bis 5 des vorlegenden Gerichts zu beantworten.

    Zur zweiten Frage

    110

    Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 11 Buchst. b der Richtlinie 2009/16 in Verbindung mit Anhang I Teil II dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die Verwendung von Frachtschiffen für eine systematische Tätigkeit der Suche und Rettung von Personen, die sich auf See in einer Gefahren- oder Notlage befinden, aus dem Grund, dass sie dazu führt, dass diese Schiffe eine Anzahl von Personen befördern, die in keinem Verhältnis zu ihren Beförderungskapazitäten steht, wie sie sich aus ihrer Klassifikation und aus ihren die Ausrüstung betreffenden Zeugnissen ergeben, als ein Faktor angesehen werden kann, der es rechtfertigt, dass diese Schiffe einer zusätzlichen Überprüfung unterzogen werden.

    111

    Wie in den Rn. 78 und 81 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, ist Art. 11 der Richtlinie 2009/16 integraler Bestandteil einer allgemeinen Kontroll‑, Überprüfungs- und Festhalteregelung, die – von Ausnahmen abgesehen – auf alle der Hoheitsgewalt des Hafenmitgliedstaats unterliegenden Schiffe angewandt werden kann, um die Einhaltung der Vorschriften des Völkerrechts und des Unionsrechts im Bereich der Sicherheit auf See, des Schutzes der Meeresumwelt sowie der Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord zu fördern.

    112

    Zu diesem Zweck verpflichtet diese Vorschrift in Verbindung mit Art. 12 der Richtlinie 2009/16 die Mitgliedstaaten, die die Eigenschaft als Hafenstaat haben, solche Schiffe sowohl wiederkehrenden Überprüfungen zu unterziehen, die in festgelegten, sich nach ihrem Risikoprofil richtenden Abständen durchzuführen sind, als auch – unabhängig von der Zeit, die seit der letzten wiederkehrenden Überprüfung vergangen ist – zusätzlichen Überprüfungen. In Art. 11 Buchst. b der Richtlinie wird außerdem klargestellt, dass diese Mitgliedstaaten verpflichtet sind, zusätzliche Überprüfungen bei Schiffen vorzunehmen, die einen der in Anhang I Teil II Abschnitt 2A dieser Richtlinie aufgeführten „Prioritätsfaktoren“ aufweisen, und dass sie bei Schiffen, die einen der in Anhang I Teil II Abschnitt 2B dieser Richtlinie aufgeführten „unerwarteten Faktoren“ aufweisen, die Möglichkeit dazu haben.

    113

    Im vorliegenden Fall geht aus den in den Rn. 48, 56 und 57 des vorliegenden Urteils zusammengefassten Begründungen der Vorlageentscheidungen hervor, dass die zuständigen Behörden zwar der Auffassung waren, dass diese Schiffe „in der Unterstützung von Migranten auf See tätig [gewesen seien], obwohl sie für den vorgesehenen Dienst nicht zertifiziert [gewesen seien]“, letztlich aber das Vorliegen einer Reihe von Mängeln festgestellt haben, von denen einige „einzeln oder zusammen [als] eindeutig gefährlich für die Sicherheit, die Gesundheit oder die Umwelt“ anzusehen seien. Außerdem geht daraus hervor, dass diese Mängel nach Ansicht des vorlegenden Gerichts insgesamt mit dem offensichtlichen Missverhältnis zwischen der Anzahl der Personen, die von diesen Schiffen aufgrund von deren jeweiligen Zeugnissen befördert werden dürfen, und der Anzahl der Personen zusammenhängen, die diese Schiffe während der Rettungseinsätze, die den Ausgangsrechtsstreitigkeiten zugrunde liegen, tatsächlich befördert haben.

    114

    Da die Vorlageentscheidungen keine Angaben enthalten, die es erlauben würden, diese Situation einem „Prioritätsfaktor“ im Sinne von Teil II Abschnitt 2A des Anhangs I der Richtlinie 2009/16 zuzuordnen, wie etwa das Vorliegen einer Maßnahme des Ruhens oder des Rückzugs der Klasse aus Sicherheitsgründen oder eines Berichts, einer Mitteilung oder eines Verdachts eines Verstoßes gegen die Einleitvorschriften für gefährliche Stoffe oder sonstige Stoffe, kommt für diese Situation nur ein „unerwarteter Faktor“ im Sinne von Teil II Abschnitt 2B des genannten Anhangs in Betracht. Außerdem geht aus den Vorlageentscheidungen nicht hervor, dass die italienischen Behörden die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Maßnahmen entweder aufgrund einer Meldung, eines Berichts oder einer Beschwerde betreffend die Sicherheit der Schifffahrt, die Meeresumwelt oder die Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord oder aufgrund dessen, dass die Schiffe von Sea Watch vor mehr als drei Monaten bereits einmal festgehalten wurden, oder weil aus verlässlicher Quelle bekannt wurde, dass die Risikoparameter dieser Schiffe von den verzeichneten Parametern abweichen, und deren Risikoniveau dadurch höher ausfällt, getroffen haben. In Anbetracht dieser Umstände scheint sich eine solche Situation im vorliegenden Fall nur im Hinblick auf den „unerwarteten Faktor“ betreffend den Umstand prüfen zu lassen, dass diese Schiffe – im Sinne des neunten Gedankenstrichs von Abschnitt 2B, der im Übrigen vom vorlegenden Gericht in seinen Vorlageentscheidungen hervorgehoben wird – möglicherweise „auf sonstige Weise so betrieben wurden, dass von ihnen Gefahren für Personen, Sachen oder die Umwelt ausgehen“.

    115

    Um festzustellen, ob dies der Fall sein kann, sind bei der Auslegung dieser Vorschrift nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch der Zusammenhang, in den sie sich einfügt, und die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgten Ziele zu berücksichtigen (Urteile vom 7. Juni 2005, VEMW u. a., C‑17/03, EU:C:2005:362, Rn. 41, und vom 21. Januar 2021, Deutschland/Esso Raffinage, C‑471/18 P, EU:C:2021:48, Rn. 81).

    116

    Hierzu ist erstens festzustellen, dass bereits aus dem Wortlaut von Anhang I Teil II Abschnitt 2B neunter Gedankenstrich der Richtlinie 2009/16 hervorgeht, dass der unerwartete Faktor im Sinne dieser Bestimmung in einem konkreten Fall nur festgestellt werden kann, wenn feststeht, dass ein Schiff so betrieben wurde, dass von ihm Gefahren für Personen, Sachen oder die Umwelt ausgehen.

    117

    In Anbetracht des rechtlichen Zusammenhangs, in den sich diese Bestimmung einfügt, kann die Verwendung von Frachtschiffen für eine systematische Tätigkeit der Suche und Rettung von Personen, die sich auf See in einer Gefahren- oder Notlage befinden, nicht allein aus dem Grund, dass dies dazu führt, dass diese Schiffe eine Anzahl von Personen befördern, die in keinem Verhältnis zu ihren Kapazitäten, wie sie sich aus ihrer Klassifizierung und Zertifizierung ergeben, und unabhängig von allen anderen Umständen als unerwarteter Faktor im Sinne des genannten Gedankenstrichs angesehen werden, der es dem Hafenstaat gestatten würde, eine zusätzliche Überprüfung vorzunehmen.

    118

    Eine solche Auslegung verstieße nämlich gegen die Bestimmungen des Seerechtsübereinkommens, da sie geeignet wäre, die wirksame Durchführung der in Art. 98 dieses Übereinkommens verankerten Pflicht zur Hilfeleistung auf See zu behindern. Außerdem wäre sie nicht mit Art. IV Buchst. b des Übereinkommens zum Schutz des menschlichen Lebens auf See vereinbar.

    119

    Hingegen steht der Wortlaut von Art. 11 Buchst. b der Richtlinie 2009/16 in Verbindung mit Anhang I Teil II Abschnitt 2B neunter Gedankenstrich dieser Richtlinie in Anbetracht dessen, dass er allgemein gehalten ist, dem nicht entgegen, dass je nach den Umständen des Einzelfalls in Bezug auf Schiffe, die eine systematische Such- und Rettungstätigkeit ausüben und sich in einem Hafen oder in Gewässern befinden, die der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaats unterstehen, nach ihrer Einfahrt in diese Gewässer und nach Abschluss aller Maßnahmen zum Umsteigen oder zur Ausschiffung der Personen, denen Hilfe zu leisten sich ihr jeweiliger Kapitän entschlossen hat, während sie sich auf See in Gefahr oder Not befanden, angenommen werden kann, dass diese Schiffe „so betrieben wurden, dass von ihnen Gefahren für Personen, Sachen oder die Umwelt ausgehen“, wie der Generalanwalt in den Nrn. 43 und 46 seiner Schlussanträge ausgeführt hat. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Art. 11 und 13 sowie Anhang I Teil II der Richtlinie der zuständigen Behörde des betreffenden Mitgliedstaats mit der Klarstellung, dass die Entscheidung, eine zusätzliche Überprüfung vorzunehmen, „der fachlichen Beurteilung der zuständigen Behörde [unterliegt]“, für die Feststellung, ob diese Umstände einen „unerwarteten Faktor“ darstellen können, der eine solche Überprüfung rechtfertigt, einen weiten Ermessensspielraum einräumen.

    120

    Die von dieser Behörde getroffene Entscheidung muss jedoch gleichwohl begründet und inhaltlich sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht gerechtfertigt sein. Um in dieser Weise gerechtfertigt zu sein, muss die Entscheidung auf belastbare Anhaltspunkte gestützt werden, die das Vorliegen einer Gefahr für die Gesundheit, die Sicherheit, die Arbeitsbedingungen an Bord oder die Umwelt im Hinblick auf die einschlägigen Bestimmungen des Völkerrechts und des Unionsrechts unter Berücksichtigung der Bedingungen, unter denen der fragliche Betrieb erfolgt ist, belegen können. Im vorliegenden Fall ist es Sache des vorlegenden Gerichts, die Einhaltung dieser Anforderungen zu kontrollieren. Zu den Faktoren, die bei dieser Kontrolle berücksichtigt werden können, gehören erstens die Tätigkeit, für die das betreffende Schiff in der Praxis verwendet wird, zweitens der etwaige Unterschied zwischen dieser Tätigkeit und der Tätigkeit, für die das Schiff zertifiziert und ausgerüstet ist, drittens die Häufigkeit, mit der die Tätigkeit ausgeübt wird, und viertens die Ausrüstung des Schiffes im Hinblick auf die vorgesehene, aber auch die tatsächliche Zahl der Personen an Bord.

    121

    Bezüglich des letztgenannten Faktors ist festzustellen, dass der Umstand, dass die Sicherheits- oder Rettungsausrüstung auf dem betreffenden Schiff im Hinblick auf die Anzahl der Personen, die dieses Schiff im Rahmen einer systematischen Such- und Hilfstätigkeit zu retten veranlasst sein kann, eindeutig unzureichend ist, für sich allein für die Beurteilung, ob das Schiff so betrieben wurde, dass von ihm Gefahren für Personen, Sachen oder die Umwelt ausgehen, von entscheidender Bedeutung sein kann. Hingegen kann die Bedeutung, die sowohl einzeln als auch insgesamt Feststellungen wie der der Unzulänglichkeit der Abwasserbehandlungsanlagen, des Vorhandenseins zusätzlicher Toiletten und Duschen mit direkter Einleitung ins Meer oder der fehlenden Anrechnung der Rettungseinsätze auf die bei den Arbeitszeiten der Besatzung zukommt, in jedem Einzelfall mehr oder weniger groß sein. Sie kann nämlich variieren, je nachdem, wie häufig das betreffende Schiff tatsächlich tätig ist und wie groß der Unterschied zwischen der Zahl der bei Such- und Rettungseinsätzen auf See tatsächlich beförderten Personen und der Zahl der Personen ist, die das Schiff gemäß den vom Flaggenstaat ausgestellten Zeugnissen aufnehmen darf.

    122

    Zweitens ergibt sich aus dem rechtlichen Zusammenhang, in dem Art. 11 Buchst. b und Abschnitt 2B von Anhang I Teil II der Richtlinie 2009/16 stehen, dass die Kontrolle eines solchen Betriebs und die Überprüfung des betreffenden Schiffes durch den Hafenstaat in einer solchen Situation geeignet sind, zur wirksamen Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen der Normen des Völkerrechts beizutragen.

    123

    Zum einen ergibt sich nämlich aus Regel 11 Buchst. a in Kapitel I Teil B des Anhangs des Protokolls zum Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See, dass ein Schiff, nachdem es unter der Kontrolle des Flaggenstaats besichtigt, klassifiziert und zertifiziert worden ist, in jeder Hinsicht in einem Zustand gehalten werden muss, der gewährleistet, dass es stets „ohne Gefahr für das Schiff oder die an Bord befindlichen Personen in See gehen kann“. Außerdem ergibt sich aus Regel 19 Buchst. a und b des genannten Kapitels, dass diese Eignung zu den Gesichtspunkten gehört, die der Hafenstaat kontrollieren darf, wenn sich ein Schiff in einem seiner Häfen befindet, sofern triftige Gründe für die Annahme bestehen, dass sie nicht sichergestellt ist. Schließlich verpflichtet Art. I Buchst. b des Übereinkommens dessen Vertragsparteien ganz allgemein dazu, alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um „zu gewährleisten, dass sich im Hinblick auf den Schutz des menschlichen Lebens ein Schiff für seinen Verwendungszweck eignet“.

    124

    Zum anderen ergibt sich, wie in Rn. 107 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, aus Art. IV Buchst. b des Übereinkommens zum Schutz des menschlichen Lebens auf See, dass die Anwesenheit von Personen an Bord eines Schiffes, die auf einem Fall höherer Gewalt oder darauf beruht, dass der Kapitän dieses Schiffes der ihm obliegenden Pflicht zur Hilfeleistung auf See nachkommt, als solche bei der Prüfung, ob das Schiff den Bestimmungen dieses Übereinkommens entspricht, nicht berücksichtigt werden kann. Jedoch ist dieser Pflicht gemäß Art. 98 Abs. 1 des Seerechtsübereinkommens, wie in Rn. 105 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, nur nachzukommen, „soweit [dies] ohne ernste Gefährdung des Schiffes, der Besatzung oder der Fahrgäste [möglich] ist“.

    125

    Drittens und letztens steht die in den Rn. 119 bis 124 des vorliegenden Urteils vorgenommene Auslegung im Einklang mit dem mit der Richtlinie 2009/16 verfolgten Ziel, wie es in den Rn. 78, 88 und 89 dieses Urteils dargelegt worden ist, da gerade dieses Ziel den Unionsgesetzgeber dazu veranlasst hat, den in ihrer Eigenschaft als Hafenstaaten handelnden Mitgliedstaaten die Verantwortung für die Gewährleistung einer „zweiten Verteidigungslinie“ in Bezug auf „unternormige Schiffe“ als Ergänzung zur „Hauptverantwortung“ der Flaggenstaaten in diesem Bereich zu übertragen, wie sich aus dem sechsten Erwägungsgrund dieser Richtlinie ergibt.

    126

    Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 11 Buchst. b der Richtlinie 2009/16 in Verbindung mit Anhang I Teil II dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass der Hafenstaat Schiffe, die eine systematische Such- und Rettungstätigkeit ausüben und sich in einem seiner Häfen oder in Gewässern befinden, die seiner Hoheitsgewalt unterstehen, nach ihrer Einfahrt in diese Gewässer und nach Abschluss aller Maßnahmen zum Umsteigen oder zur Ausschiffung der Personen, denen Hilfe zu leisten sich ihr jeweiliger Kapitän entschlossen hat, einer zusätzlichen Überprüfung unterziehen kann, wenn dieser Staat auf der Grundlage detaillierter rechtlicher und tatsächlicher Gesichtspunkte festgestellt hat, dass belastbare Anhaltspunkte vorlagen, die eine Gefahr für die Gesundheit, die Sicherheit, die Arbeitsbedingungen an Bord oder die Umwelt unter Berücksichtigung der Betriebsbedingungen dieser Schiffe belegen können.

    Zu den Fragen 3 und 4

    127

    Mit seinen Fragen 3 und 4 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 13 der Richtlinie 2009/16 dahin auszulegen ist, dass der Hafenstaat bei nach dieser Vorschrift durchgeführten gründlicheren Überprüfungen befugt ist, zum einen den Umstand zu berücksichtigen, dass Schiffe, die vom Flaggenstaat als Frachtschiffe klassifiziert und zertifiziert worden sind, in der Praxis für eine systematische Tätigkeit der Suche und Rettung von Personen verwendet werden, die auf See in einer Gefahren- oder Notlage sind, und zum anderen einen Nachweis dafür zu verlangen, dass diese Schiffe über andere als die vom Flaggenstaat ausgestellten Zeugnisse verfügen oder die für eine andere Klassifikation geltenden Anforderungen erfüllen.

    128

    Insoweit verpflichtet Art. 13 der Richtlinie 2009/16 die Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass Schiffe, die gemäß Art. 12 dieser Richtlinie für eine Überprüfung ausgewählt werden, einer Erstüberprüfung oder einer gründlicheren Überprüfung unterzogen werden. Art. 13 Nr. 1 der Richtlinie bestimmt, dass die Erstüberprüfung eines Schiffes mindestens darauf gerichtet sein muss, die Zeugnisse zu überprüfen, die gemäß dem Unionsrecht und gemäß den internationalen Übereinkommen über Sicherheit und Gefahrenabwehr an Bord mitzuführen sind, und sich einen Eindruck vom Gesamtzustand des betreffenden Schiffes zu verschaffen. Art. 13 Nr. 3 der Richtlinie sieht ferner vor, dass eine gründlichere Überprüfung einschließlich einer weiteren Kontrolle, ob die betrieblichen Anforderungen an Bord erfüllt werden, durchgeführt wird, wenn es nach der Erstüberprüfung „triftige Gründe für die Annahme gibt, dass der Zustand eines Schiffes oder seiner Ausrüstung oder seine Besatzung die anwendbaren Vorschriften eines Übereinkommens im Wesentlichen nicht erfüllt“. Schließlich verweist Art. 13 der Richtlinie für Beispiele solcher triftigen Gründe auf Anhang V der Richtlinie.

    129

    Dieser Anhang V führt in der Liste von Beispielen triftiger Gründe, die eine gründlichere Überprüfung rechtfertigen, u. a. die „in Anhang I Teil II Abschnitte 2A und 2B [der Richtlinie 2009/16] genannten [Schiffe]“ auf, d. h. Schiffe, die durch das Vorliegen eines der in Abschnitt 2A bzw. 2B genannten Prioritätsfaktoren oder unerwarteten Faktoren gekennzeichnet sind.

    130

    In Anbetracht dieser Bestimmungen ist erstens festzustellen, dass die in Art. 13 Nr. 3 der Richtlinie 2009/16 vorgesehene Befugnis zur Durchführung einer gründlicheren Überprüfung die Verpflichtung oder die Befugnis der Mitgliedstaaten, denen die Eigenschaft als Hafenstaaten zukommt, konkretisiert, die ihrer Hoheitsgewalt unterliegenden Schiffe in den in Rn. 112 des vorliegenden Urteils genannten Fällen nach den Art. 11 und 12 dieser Richtlinie einer zusätzlichen Überprüfung zu unterziehen. Wie jede zusätzliche Überprüfung kann eine solche gründlichere Überprüfung bei privaten Schiffen, die humanitäre Hilfe leisten und eine systematische Such- und Rettungstätigkeit ausüben, somit erst am Ende der vom Kapitän des betreffenden Schiffes beschlossenen Maßnahmen durchgeführt werden, wie in Rn. 119 dieses Urteils ausgeführt worden ist.

    131

    Zweitens ergibt sich aus dem klaren Wortlaut von Art. 13 der Richtlinie 2009/16, dass die Ausübung dieser Befugnis zur gründlicheren Überprüfung zum einen voraussetzt, dass der Hafenstaat eine Erstüberprüfung gemäß Art. 13 Nr. 1 der Richtlinie durchgeführt hat, und zum anderen, dass er nach Abschluss dieser Erstüberprüfung der Auffassung war, dass es „triftige Gründe für die Annahme [gab], dass der Zustand eines Schiffes oder seiner Ausrüstung oder seine Besatzung die anwendbaren Vorschriften eines Übereinkommens im Wesentlichen nicht erfüllt[e]“. Wie sich aus Rn. 114 des vorliegenden Urteils ergibt, zählt der Umstand, dass ein Schiff so betrieben wurde, dass von ihm Gefahren für Personen, Sachen oder die Umwelt ausgehen, zu diesen Gründen.

    132

    Daraus folgt, dass die gründlichere Überprüfung eines Schiffes zwingend bezweckt, es dem Hafenstaat zu ermöglichen, eine Kontrolle dieses Schiffes durchzuführen, die sowohl umfassender als auch eingehender ist als diejenige, die im Rahmen der Erstüberprüfung durchgeführt wurde. Diese Kontrolle kann sich daher, wie aus Art. 13 Nr. 3 der Richtlinie 2009/16 in Verbindung mit Art. 2 Nr. 12 dieser Richtlinie, der die „gründlichere Überprüfung“ definiert, hervorgeht, auf alles beziehen, was „Bau, Ausrüstung, Besatzung, Lebens- und Arbeitsbedingungen und Einhaltung der Betriebsverfahren an Bord“ anbelangt.

    133

    Daraus folgt, dass, falls eine gründlichere Überprüfung durchgeführt wird, weil es triftige Gründe für die Annahme gibt, dass ein Schiff „so betrieben wurde, dass von ihm Gefahren für Personen, Sachen oder die Umwelt ausgehen“, all diese Faktoren vom Hafenstaat berücksichtigt werden können, um das Vorliegen einer solchen Gefahr unter Berücksichtigung der Vorschriften der geltenden internationalen Übereinkommen zu beurteilen.

    134

    Wie in den Rn. 120 und 121 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, gehören zu diesen Faktoren die Tätigkeit, für die das betreffende Schiff in der Praxis verwendet wird, der etwaige Unterschied zwischen dieser Tätigkeit und der Tätigkeit, für die das Schiff zertifiziert und ausgerüstet ist, die Häufigkeit, mit der die Tätigkeit ausgeübt wird, sowie die sich daraus ergebenden Folgen für die Betriebsbedingungen dieses Schiffes, u. a. im Hinblick auf die Ausrüstungen, mit denen es ausgestattet ist.

    135

    Folglich kann u. a. der Umstand berücksichtigt werden, dass bestimmte Schiffe, obwohl sie vom Flaggenstaat als Frachtschiffe klassifiziert und zertifiziert worden sind, in der Praxis für eine systematische Tätigkeit der Suche und Rettung von Personen verwendet werden, die auf See in einer Gefahren- oder Notlage sind. Es obliegt jedoch dem Hafenstaat, detaillierte rechtliche und tatsächliche Gesichtspunkte darzulegen, die die Gründe belegen können, aus denen dieser Umstand allein oder zusammen mit anderen Faktoren eine Gefahr für die Gesundheit, die Sicherheit, die Arbeitsbedingungen an Bord oder die Umwelt darstellt.

    136

    Drittens und letztens zeigen die in den Rn. 123 bis 125 des vorliegenden Urteils dargelegten systematischen und teleologischen Gesichtspunkte, dass eine solche Auslegung mit den Regeln des Völkerrechts im Einklang steht, in deren Rahmen die Richtlinie 2009/16 angesiedelt ist und deren Wirksamkeit sie erhöhen soll.

    137

    Der Umstand, dass die Kontrolle, die der Hafenstaat durchführen kann, vom Vorliegen triftiger Gründe für die Annahme abhängig gemacht wird, dass ein Schiff oder seine Ausrüstung dem Grundsatz nicht gerecht wird, wonach ein Schiff in jeder Hinsicht in einem Zustand gehalten werden muss, der gewährleistet, dass es stets ohne Gefahr für das Schiff oder die an Bord befindlichen Personen in See gehen kann, steht nämlich im Einklang mit den Regeln des Völkerrechts, die die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen diesem Staat und dem Flaggenstaat regeln.

    138

    Hingegen verstieße eine Kontrolle, die diese Aufteilung der Zuständigkeiten missachten würde, wie etwa dann, wenn der Hafenstaat verlangt, dass die einer gründlicheren Überprüfung unterzogenen Schiffe über andere als die vom Flaggenstaat ausgestellten Zeugnisse verfügen oder dass sie sämtliche Anforderungen erfüllen, die für Schiffe einer anderen Klassifikation gelten, nicht nur gegen die einschlägigen Regeln des Völkerrechts, wie sich aus den Rn. 98 bis 100 des vorliegenden Urteils ergibt, sondern auch gegen die Richtlinie 2009/16. Eine solche Kontrolle liefe nämlich letztlich darauf hinaus, die Art und Weise in Frage zu stellen, in der der Flaggenstaat seine Zuständigkeit für die Gewährung seiner Staatszugehörigkeit an Schiffe sowie für deren Klassifikation und Zertifizierung ausgeübt hat.

    139

    Nach alledem ist auf die Fragen 3 und 4 zu antworten, dass Art. 13 der Richtlinie 2009/16 dahin auszulegen ist, dass der Hafenstaat bei nach dieser Vorschrift durchgeführten gründlicheren Überprüfungen befugt ist, im Rahmen einer Kontrolle – die bezweckt, auf der Grundlage detaillierter rechtlicher und tatsächlicher Gesichtspunkte das Vorliegen einer Gefahr für Personen, Sachen oder die Umwelt im Hinblick auf die Betriebsbedingungen dieser Schiffe zu beurteilen – den Umstand zu berücksichtigen, dass Schiffe, die vom Flaggenstaat als Frachtschiffe klassifiziert und zertifiziert worden sind, in der Praxis für eine systematische Tätigkeit der Suche und Rettung von Personen verwendet werden, die auf See in einer Gefahren- oder Notlage sind. Hingegen ist der Hafenstaat nicht befugt, den Nachweis zu verlangen, dass diese Schiffe über andere als die vom Flaggenstaat ausgestellten Zeugnisse verfügen oder dass sie sämtliche für eine andere Klassifikation geltenden Anforderungen erfüllen.

    Zur fünften Frage

    140

    Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 19 der Richtlinie 2009/16 dahin auszulegen ist, dass, wenn erwiesen ist, dass Schiffe, die, obwohl sie von einem Mitgliedstaat, dem die Eigenschaft als Flaggenstaat zukommt, als Frachtschiffe klassifiziert und zertifiziert worden sind, in der Praxis für eine systematische Tätigkeit der Suche und Rettung von Personen verwendet werden, die auf See in einer Gefahren- oder Notlage sind, so betrieben wurden, dass von ihnen Gefahren für Personen, Sachen oder die Umwelt ausgehen, der Mitgliedstaat, dem die Eigenschaft als Hafenstaat zukommt, das Nichtfesthalten dieser Schiffe oder die Aufhebung einer Festhalteanordnung davon abhängig machen darf, dass die Schiffe über Zeugnisse verfügen, die für diese Tätigkeit geeignet sind, und dass sie die entsprechenden Anforderungen erfüllen, oder, wenn dies nicht der Fall ist, davon, dass sie bestimmte Abhilfemaßnahmen in Bezug auf die Sicherheit, die Verhütung von Verschmutzung sowie die Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord befolgen.

    141

    Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2009/16 vorsieht, dass sich die zuständige Behörde des Hafenstaats davon überzeugen muss, dass bei der Überprüfung, die sie vorgenommen hat, bestätigte oder festgestellte Mängel entsprechend den internationalen Übereinkommen beseitigt werden.

    142

    In Art. 19 Abs. 2 der Richtlinie heißt es ferner, dass diese Behörde dann, wenn solche Mängel eindeutig eine Gefahr für die Sicherheit, Gesundheit oder Umwelt darstellen, dafür sorgt, dass das betreffende Schiff festgehalten oder der Betrieb, bei dem diese Mängel festgestellt werden, eingestellt wird, und weiter heißt es dort, dass die Anordnung des Festhaltens oder der Einstellung des Betriebs so lange nicht aufgehoben wird, wie die Gefahr nicht beseitigt ist oder diese Behörde nicht feststellt, dass das Schiff unter den erforderlichen Auflagen auslaufen oder der Betrieb wieder aufgenommen werden kann, ohne dass dies eine Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit der Fahrgäste oder der Besatzung oder eine Gefahr für andere Schiffe oder eine unangemessene Gefährdung der Meeresumwelt darstellt.

    143

    Art. 19 Abs. 3 der Richtlinie bestimmt außerdem, dass die zuständige Behörde des Hafenstaats bei der nach ihrem fachlichen Urteil erfolgenden Entscheidung darüber, ob ein Schiff festzuhalten ist, die Kriterien des Anhangs X anwendet. In Nr. 2 dieses Anhangs wird klargestellt, dass diese Entscheidung u. a. die Prüfung erfordert, ob ein „schnelles und sicheres Verlassen des Schiffes und [die] Durchführung von Rettungsmaßnahmen, falls erforderlich“, die „Verhütung der Umweltverschmutzung“ und die „Vorsorge für Sicherheit und Gesundheit an Bord“ möglich sind. Darüber hinaus enthält dieser Anhang eine nicht erschöpfende Liste von Mängeln, die für sich allein genommen das Festhalten des betreffenden Schiffes rechtfertigen können, u. a. das „Fehlen, [ein] ungenügendes Fassungsvermögen oder [eine] schwere Beschädigung der persönlichen Rettungsmittel, der Überlebensfahrzeuge sowie der Aussetzvorrichtungen“ und die schwere oder wiederholte Missachtung der Lebens- und Arbeitsbedingungen für Seeleute auf dem Schiff.

    144

    Aus dem Wortlaut und der Systematik dieser verschiedenen Bestimmungen geht klar hervor, dass sich der Hafenstaat zwar vergewissern muss, dass alle Mängel, die durch eine nach den Art. 11 bis 13 der Richtlinie 2009/16 durchgeführte Überprüfung bestätigt oder aufgedeckt worden sind, insbesondere diejenigen, die die Sicherheitsausrüstungen an Bord betreffen, gemäß den internationalen Übereinkommen, deren Wirksamkeit diese Richtlinie erhöhen soll, beseitigt worden sind oder beseitigt werden, er ein Schiff jedoch nur dann festhalten darf, wenn solche Mängel eindeutig eine Gefahr für die Sicherheit, Gesundheit oder Umwelt darstellen.

    145

    Außerdem geht daraus hervor, dass eine Festhalteanordnung erst aufgehoben werden kann, wenn die Gefahr beseitigt ist oder wenn die zuständige Behörde des Hafenstaats entweder feststellt, dass das betreffende Schiff unter den erforderlichen Auflagen auslaufen kann oder dass der Betrieb wieder aufgenommen werden kann, ohne dass dies eine Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit der Fahrgäste oder der Besatzung oder eine Gefahr für andere Schiffe oder eine unangemessene Gefährdung der Meeresumwelt darstellt.

    146

    Diese Auslegung ergibt sich auch aus dem Begriff „Festhalten“, wie er in Art. 2 Nr. 15 der Richtlinie 2009/16 definiert wird, der klarstellt, dass unter diesem Begriff das förmliche Verbot zu verstehen ist, mit dem einem Schiff wegen Mängeln, die es einzeln oder zusammen seeuntüchtig machen, untersagt wird, auszulaufen, und aus dem 23. Erwägungsgrund dieser Richtlinie, wonach „Schiffe, bei denen eine Mängelbeseitigung erforderlich ist, [dann], wenn die festgestellten Mängel eindeutig eine Gefahr für die Sicherheit, Gesundheit oder Umwelt darstellen, so lange festgehalten werden [sollten], bis die Mängel behoben sind“.

    147

    Daraus folgt, dass ein solches Festhalten nicht allein deshalb angeordnet werden kann, weil eine nach den Art. 11 bis 13 der Richtlinie 2009/16 durchgeführte Überprüfung dem Hafenstaat die sichere Feststellung ermöglicht hat, dass ein Schiff so betrieben wurde, dass von ihm Gefahren für Personen, Sachen oder die Umwelt ausgehen. Dieser Staat muss nämlich in einem bestimmten Fall außerdem zum einen nachweisen, dass eine solche Gefahr oder ein solches künftiges Risiko offenkundig ist, und zum anderen, dass die dem zugrunde liegenden Mängel einzeln oder zusammen das betreffende Schiff seeuntüchtig machen.

    148

    Das letztgenannte Erfordernis ist wiederum im Licht der in den Rn. 123, 124 und 137 des vorliegenden Urteils angeführten Regel auszulegen, wonach Schiffe unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit auf See für den Dienst, für den sie bestimmt sind, sowie dafür geeignet sein müssen, ohne Gefahr für das jeweilige Schiff oder die an Bord befindlichen Personen in See zu gehen. Es ist daher so zu verstehen, dass es sich nicht auf eine absolute Seeuntüchtigkeit des Schiffes bezieht, sondern allgemeiner auf eine Seeuntüchtigkeit dieses Schiffes in Anbetracht u. a. seiner gemeldeten Tätigkeit sowie seiner tatsächlichen Tätigkeit, unter Bedingungen, die geeignet sind, die Sicherheit auf See für Personen, Sachen und die Umwelt zu gewährleisten. Diese Situation entspricht im Übrigen derjenigen, in der Regel 19 Buchst. c in Kapitel I Teil B des Anhangs zum Protokoll zum Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See den Staat, in dessen Hafen sich ein Schiff befindet, dazu ermächtigt, die Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, damit das Schiff nicht ausläuft. Die Richtlinie 2009/16 übernimmt somit in diesem Punkt im Wesentlichen die genannte Regel.

    149

    Im vorliegenden Fall ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die in den beiden vorstehenden Randnummern genannten Erfordernisse von den zuständigen Behörden des Hafenstaats beachtet wurden, als sie das Festhalten der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Schiffe anordneten.

    150

    Was zweitens die Abhilfemaßnahmen betrifft, die diese Behörden auferlegen dürfen, wenn sie festgestellt haben, dass Mängel vorliegen, die eindeutig eine Gefahr oder ein Risiko für die Sicherheit, die Gesundheit oder die Umwelt darstellen und einzeln oder zusammen das betreffende Schiff seeuntüchtig machen, so ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Regeln des Völkerrechts, in deren Rahmen sich die Richtlinie 2009/16 einfügt und deren Wirksamkeit sie gewährleisten soll, einer Auslegung dieser Richtlinie dahin entgegenstehen, dass der Mitgliedstaat, der nach Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie die Eigenschaft als Hafenstaat hat, verlangen kann, dass die seiner Hoheitsgewalt unterliegenden Schiffe über andere als die vom Flaggenstaat ausgestellten Zeugnisse verfügen oder sämtliche für Schiffe einer anderen Klassifikation geltenden Anforderungen erfüllen, wie in Rn. 138 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist.

    151

    Daraus folgt, dass der Hafenstaat das Nichtfesthalten dieser Schiffe oder die Aufhebung einer Festhalteanordnung nicht von solchen Erfordernissen abhängig machen darf.

    152

    Nach dieser Klarstellung ist darauf hinzuweisen, dass Art. 19 Abs. 2 der Richtlinie 2009/16 im Licht des 23. Erwägungsgrundes dieser Richtlinie es dem Hafenstaat erlaubt, die von ihm für erforderlich gehaltenen Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, deren Befolgung die Voraussetzung dafür ist, dass das Schiff, das festgehalten worden ist, den Hafen verlassen oder seinen Betrieb wieder aufnehmen kann. Aus dieser Bestimmung geht ferner hervor, dass mit diesen Abhilfemaßnahmen sichergestellt werden soll, dass das Schiff auslaufen oder seinen Betrieb wieder aufnehmen kann, ohne dass dies eine Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit der Fahrgäste oder der Besatzung oder eine Gefahr für andere Schiffe oder eine unangemessene Gefährdung der Meeresumwelt darstellt.

    153

    Die Abhilfemaßnahmen, die somit in einem bestimmten Fall getroffen werden können, hängen zwangsläufig von den tatsächlichen Umständen und den rechtlichen Gründen ab, die die zusätzlichen und gründlicheren Überprüfungen sowie das Festhalten des betreffenden Schiffes gerechtfertigt haben. Sie müssen jedoch in jedem Fall nicht nur geeignet und erforderlich sein, um die Mängel, die eindeutig eine Gefahr für die Sicherheit, Gesundheit oder Umwelt darstellen und das Schiff seeuntüchtig machen und die das Festhalten gerechtfertigt haben, zu beheben, sondern auch in einem angemessenen Verhältnis zu diesem Zweck stehen; es ist Sache der zuständigen Behörde, dies unter der Kontrolle des zuständigen nationalen Gerichts und unter Berücksichtigung u. a. der in Rn. 121 des vorliegenden Urteils dargelegten Erwägungen festzustellen.

    154

    Schließlich ergibt sich sowohl aus Art. 19 Abs. 6 der Richtlinie 2009/16 als auch aus Art. 21 Abs. 1, 3 und 5 dieser Richtlinie und aus den Regeln des Völkerrechts, in deren Licht diese Bestimmungen auszulegen sind, dass der Hafenstaat, bevor er die Abhilfemaßnahmen festlegt, die er auferlegen will, den Flaggenstaat schriftlich über die Umstände und die Gründe zu unterrichten hat, die zur Überprüfung und zum Festhalten eines dessen Flagge führenden Schiffes geführt haben, indem er ihm den oder die am Schluss dieser Überprüfung erstellten Berichte übermittelt. Dieses Erfordernis gilt unabhängig davon, welcher Staat Flaggenstaat ist, also unabhängig davon, ob es sich dabei um einen anderen Mitgliedstaat oder einen Drittstaat handelt.

    155

    Aus Art. 94 Abs. 6 des Seerechtsübereinkommens geht nämlich klar hervor, dass ein Staat, der eindeutige Gründe zu der Annahme hat, dass keine ordnungsgemäße Hoheitsgewalt und Kontrolle über ein Schiff ausgeübt worden sind, dem Flaggenstaat die Tatsachen mitteilen kann und dass es dem Flaggenstaat obliegt, nach Empfang einer solchen Mitteilung im Rahmen seiner Zuständigkeiten und Befugnisse die Angelegenheit zu untersuchen und gegebenenfalls die notwendigen Abhilfemaßnahmen zu ergreifen. Diese Bestimmung impliziert, dass der Flaggenstaat gegenüber den Schiffen, die seine Flagge führen, alle Maßnahmen ergreift, die notwendig sind, um die Interessen des Küstenstaats, von dem die Mitteilung ausgeht, zu schützen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Juni 2008, Intertanko u. a., C‑308/06, EU:C:2008:312, Rn. 62, und vom 26. November 2014, Parlament und Kommission/Rat, C‑103/12 und C‑165/12, EU:C:2014:2400, Rn. 63).

    156

    Außerdem ist in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zu berücksichtigen, der die Mitgliedstaaten allgemein und damit u. a. im Rahmen der durch die Richtlinie 2009/16 geregelten Sachverhalte verpflichtet, sich bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben, gegenseitig zu achten und zu unterstützen, alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung der Verpflichtungen zu treffen, die sich u. a. aus den Rechtsakten der Organe der Union ergeben, sowie alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten.

    157

    In Anbetracht dieses Grundsatzes sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, sich bei der Ausübung ihrer jeweiligen Kontrollbefugnisse abzustimmen und loyal zusammenzuarbeiten, so dass die Verpflichtungen aus der Richtlinie 2009/16 vom zuständigen Staat unter Wahrung ihrer praktischen Wirksamkeit erfüllt werden. Somit ist davon festzustellen, dass in dem Fall, dass das Schiff, das überprüft und festgehalten worden ist, unter der Flagge eines anderen Mitgliedstaats als der des Hafenstaats fährt, der Hafenstaat, der im Rahmen der durch die Richtlinie 2009/16 geschaffenen Regelung allein dafür zuständig ist, unter den in den Rn. 150 bis 153 des vorliegenden Urteils genannten Bedingungen Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, dabei die vom Flaggenstaat erteilte Klassifikation und erteilten Zeugnisse beachten muss. Der Flaggenstaat muss seinerseits die Gründe berücksichtigen, die den Hafenstaat dazu veranlasst haben, dieses Schiff zu überprüfen und anschließend festzuhalten, und den Hafenstaat bei der Suche nach den Abhilfemaßnahmen unterstützen, die am besten geeignet sind, die festgestellten Mängel sowie die damit verbundenen Gefahren oder offenkundigen Risiken zu beseitigen. Beide Mitgliedstaaten müssen sich außerdem jeweils bemühen, zu einer abgestimmten Position hinsichtlich der Maßnahmen zu gelangen, die jeder von ihnen im Rahmen seiner jeweiligen Befugnisse sowie bei der Durchführung dieser Maßnahmen zu ergreifen hat.

    158

    Diesen verschiedenen Erfordernissen kommt umso größere Bedeutung zu, als es beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts keine Bestimmungen gibt, die speziell die im Ausgangsverfahren in Rede stehende systematische Tätigkeit der Suche und Rettung von Personen regeln, die sich auf See in einer Gefahren- oder Notlage befinden.

    159

    Nach alledem ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass Art. 19 der Richtlinie 2009/16 dahin auszulegen ist, dass, wenn erwiesen ist, dass Schiffe, die, obwohl sie von einem Mitgliedstaat, dem die Eigenschaft als Flaggenstaat zukommt, als Frachtschiffe klassifiziert und zertifiziert worden sind, in der Praxis für eine systematische Tätigkeit der Suche und Rettung von Personen verwendet werden, die auf See in einer Gefahren- oder Notlage sind, so betrieben wurden, dass von ihnen Gefahren für Personen, Sachen oder die Umwelt ausgehen, der Mitgliedstaat, dem die Eigenschaft als Hafenstaat zukommt, das Nichtfesthalten dieser Schiffe oder die Aufhebung einer Festhalteanordnung nicht davon abhängig machen darf, dass die Schiffe über Zeugnisse verfügen, die für diese Tätigkeit geeignet sind, und sämtliche entsprechenden Anforderungen erfüllen. Hingegen kann dieser Staat bestimmte Abhilfemaßnahmen im Bereich der Sicherheit, der Verhütung von Verschmutzung sowie der Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord auferlegen, sofern diese Abhilfemaßnahmen durch das Vorliegen von Mängeln gerechtfertigt sind, die eindeutig eine Gefahr für die Sicherheit, Gesundheit oder Umwelt darstellen und eine Fahrt unter Bedingungen, die geeignet sind, die Sicherheit auf See zu gewährleisten, unmöglich machen. Solche Abhilfemaßnahmen müssen außerdem zu diesem Zweck geeignet, erforderlich und angemessen sein. Zudem müssen ihr Erlass und ihre Durchführung durch den Hafenstaat Gegenstand einer loyalen Zusammenarbeit mit dem Flaggenstaat sein, wobei die jeweiligen Befugnisse dieser beiden Staaten zu beachten sind.

    Kosten

    160

    Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

     

    1.

    Die Richtlinie 2009/16/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über die Hafenstaatkontrolle in der durch die Richtlinie (EU) 2017/2110 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. November 2017 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass

    sie auf Schiffe anwendbar ist, die zwar vom Flaggenstaat als Frachtschiffe klassifiziert und zertifiziert sind, in der Praxis aber von einer humanitären Organisation systematisch für eine nicht gewerbliche Tätigkeit der Suche und Rettung von Personen, die sich auf See in einer Gefahren- oder Notlage befinden, verwendet werden, und

    sie dem entgegensteht, dass eine nationale Regelung zu ihrer Umsetzung in innerstaatliches Recht ihre Anwendbarkeit auf Schiffe beschränkt, die für eine gewerbliche Tätigkeit verwendet werden.

     

    2.

    Art. 11 Buchst. b der Richtlinie 2009/16 in der durch die Richtlinie 2017/2110 geänderten Fassung in Verbindung mit Anhang I Teil II der Richtlinie 2009/16 in geänderter Fassung ist dahin auszulegen, dass der Hafenstaat Schiffe, die eine systematische Such- und Rettungstätigkeit ausüben und sich in einem seiner Häfen oder in Gewässern befinden, die seiner Hoheitsgewalt unterstehen, nach ihrer Einfahrt in diese Gewässer und nach Abschluss aller Maßnahmen zum Umsteigen oder zur Ausschiffung der Personen, denen Hilfe zu leisten sich ihr jeweiliger Kapitän entschlossen hat, einer zusätzlichen Überprüfung unterziehen kann, wenn dieser Staat auf der Grundlage detaillierter rechtlicher und tatsächlicher Gesichtspunkte festgestellt hat, dass belastbare Anhaltspunkte vorlagen, die eine Gefahr für die Gesundheit, die Sicherheit, die Arbeitsbedingungen an Bord oder die Umwelt unter Berücksichtigung der Betriebsbedingungen dieser Schiffe belegen können.

     

    3.

    Art. 13 der Richtlinie 2009/16 in der durch die Richtlinie 2017/2110 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass der Hafenstaat bei nach dieser Vorschrift durchgeführten gründlicheren Überprüfungen befugt ist, im Rahmen einer Kontrolle – die bezweckt, auf der Grundlage detaillierter rechtlicher und tatsächlicher Gesichtspunkte das Vorliegen einer Gefahr für Personen, Sachen oder die Umwelt im Hinblick auf die Betriebsbedingungen dieser Schiffe zu beurteilen – den Umstand zu berücksichtigen, dass Schiffe, die vom Flaggenstaat als Frachtschiffe klassifiziert und zertifiziert worden sind, in der Praxis für eine systematische Tätigkeit der Suche und Rettung von Personen verwendet werden, die auf See in einer Gefahren- oder Notlage sind. Hingegen ist der Hafenstaat nicht befugt, den Nachweis zu verlangen, dass diese Schiffe über andere als die vom Flaggenstaat ausgestellten Zeugnisse verfügen oder dass sie sämtliche für eine andere Klassifikation geltenden Anforderungen erfüllen.

     

    4.

    Art. 19 der Richtlinie 2009/16 in der durch die Richtlinie 2017/2110 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass, wenn erwiesen ist, dass Schiffe, die, obwohl sie von einem Mitgliedstaat, dem die Eigenschaft als Flaggenstaat zukommt, als Frachtschiffe klassifiziert und zertifiziert worden sind, in der Praxis für eine systematische Tätigkeit der Suche und Rettung von Personen verwendet werden, die auf See in einer Gefahren- oder Notlage sind, so betrieben wurden, dass von ihnen Gefahren für Personen, Sachen oder die Umwelt ausgehen, der Mitgliedstaat, dem die Eigenschaft als Hafenstaat zukommt, das Nichtfesthalten dieser Schiffe oder die Aufhebung einer Festhalteanordnung nicht davon abhängig machen darf, dass die Schiffe über Zeugnisse verfügen, die für diese Tätigkeit geeignet sind, und sämtliche entsprechenden Anforderungen erfüllen. Hingegen kann dieser Staat bestimmte Abhilfemaßnahmen im Bereich der Sicherheit, der Verhütung von Verschmutzung sowie der Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord auferlegen, sofern diese Abhilfemaßnahmen durch das Vorliegen von Mängeln gerechtfertigt sind, die eindeutig eine Gefahr für die Sicherheit, Gesundheit oder Umwelt darstellen und eine Fahrt unter Bedingungen, die geeignet sind, die Sicherheit auf See zu gewährleisten, unmöglich machen. Solche Abhilfemaßnahmen müssen außerdem zu diesem Zweck geeignet, erforderlich und angemessen sein. Zudem müssen ihr Erlass und ihre Durchführung durch den Hafenstaat Gegenstand einer loyalen Zusammenarbeit mit dem Flaggenstaat sein, wobei die jeweiligen Befugnisse dieser beiden Staaten zu beachten sind.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.

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