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Document 62021CC0510

Schlussanträge des Generalanwalts N. Emiliou vom 12. Januar 2023.
DB gegen Austrian Airlines AG.
Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Luftverkehr – Übereinkommen von Montreal – Art. 17 Abs. 1 – Haftung von Luftfrachtführern für Tod und Körperverletzung von Reisenden – Begriff ‚Unfall‘ – An einen Unfall an Bord eines Luftfahrzeugs anschließende medizinische Erstversorgung, durch die die Körperverletzung verschlimmert wurde.
Rechtssache C-510/21.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:19

 SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NICHOLAS EMILIOU

vom 12. Januar 2023 ( 1 )

Rechtssache C‑510/21

DB

gegen

Austrian Airlines AG

(Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs [Österreich])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Luftverkehr – Übereinkommen von Montreal – Haftung von Luftfahrtunternehmen für Tod oder Körperverletzung von Reisenden – Ausschließlichkeit des Übereinkommens – Art. 29 – Reichweite – Ansprüche wegen Körperverletzung Reisender infolge von ‚Unfällen‘ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 – Schadenersatzforderung aufgrund einer innerstaatlichen zivilrechtlichen Haftungsregelung wegen einer Körperverletzung, die durch eine unzureichende medizinische Erstversorgung durch Flugbegleiter nach einem Unfall verursacht worden sein soll- Hinreichender Kausalzusammenhang zwischen Körperverletzung und Unfall – Ausschließlich Art. 17 Abs. 1 unterliegender Anspruch – Durch das Übereinkommen präkludierter Anspruch“

I. Einleitung

1.

Das Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr ( 2 ) (im Folgenden: Übereinkommen von Montreal) und seine Vorgängerregelung, das Warschauer Abkommen ( 3 ), waren über viele Jahre ihrer Geltung Gegenstand eines erheblichen Meinungsstreits in der Rechtsprechung. Eine der im Mittelpunkt der Diskussion stehenden Fragen ist insbesondere, inwieweit durch diese Übereinkommen, die vor allem auch die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Tod oder Körperverletzung von Fluggästen regeln, Schadenersatzansprüche, die nicht auf ihre Bestimmungen, sondern auf innerstaatliches Recht gestützt sind, ausgeschlossen – oder, mit anderen Worten – „präkludiert“ sind.

2.

Dieser Meinungsstreit tritt in der vorliegenden Rechtssache, die eine Schadenersatzklage von DB gegen die Austrian Airlines AG (im Folgenden: Austrian Airlines) betrifft, erneut in Erscheinung. DB fordert auf der Grundlage der österreichischen zivilrechtlichen Haftungsregelung Schadenersatz für eine Körperverletzung, die er als Fluggast auf einem von dieser Fluggesellschaft durchgeführten internationalen Flug infolge dessen erlitten haben soll, dass die Flugbegleiter ihm keine ordnungsgemäße medizinische Erstversorgung leisteten, nachdem während des Fluges eine Kanne mit kochend heißem Kaffee über ihn verschüttet worden sei. Da er seinen Anspruch nicht nach dem Übereinkommen von Montreal geltend gemacht hat und jedenfalls nach Ablauf der dort geregelten Ausschlussfrist – aber innerhalb der nach österreichischem Recht für zivilrechtliche Haftungsklagen vorgesehenen längeren Verjährungsfrist – Klage erhoben hat, ist die zentrale Frage, die im Mittelpunkt der beiden Fragen steht, die der Oberste Gerichtshof (Österreich) dem Gerichtshof vorgelegt hat, ob dieser Anspruch durch dieses Übereinkommen präkludiert ist. Ich werde in den vorliegenden Schlussanträgen erläutern, warum dies in der Tat der Fall ist.

II. Rechtlicher Rahmen

A.   Übereinkommen von Montreal

3.

Aus dem dritten Erwägungsgrund des Übereinkommens von Montreal ergibt sich, dass die Vertragsstaaten „[die] Bedeutung des Schutzes der Verbraucherinteressen bei der Beförderung im internationalen Luftverkehr und eines angemessenen Schadenersatzes nach dem Grundsatz des vollen Ausgleichs [anerkennen]“.

4.

Im fünften Erwägungsgrund dieses Übereinkommens heißt es, dass „gemeinsames Handeln der Staaten zur weiteren Harmonisierung und Kodifizierung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr durch ein neues Übereinkommen das beste Mittel ist, um einen gerechten Interessenausgleich zu erreichen“.

5.

Art. 17 („Tod und Körperverletzung von Reisenden – Beschädigung von Reisegepäck“) des Übereinkommens von Montreal sieht in seinem Abs. 1 vor, dass „[d]er Luftfrachtführer den Schaden zu ersetzen [hat], der dadurch entsteht, dass ein Reisender getötet oder körperlich verletzt wird, jedoch nur, wenn sich der Unfall, durch den der Tod oder die Körperverletzung verursacht wurde, an Bord des Luftfahrzeugs oder beim Ein- oder Aussteigen ereignet hat“.

6.

Nach Art. 29 („Grundsätze für Ansprüche“) dieses Übereinkommens „[kann] bei der Beförderung von Reisenden, Reisegepäck und Gütern … ein Anspruch auf Schadenersatz … auf welchem Rechtsgrund er auch beruht, sei es dieses Übereinkommen, ein Vertrag, eine unerlaubte Handlung oder ein sonstiger Rechtsgrund, nur unter den Voraussetzungen und mit den Beschränkungen geltend gemacht werden, die in diesem Übereinkommen vorgesehen sind; die Frage, welche Personen zur Klage berechtigt sind und welche Rechte ihnen zustehen, wird hierdurch nicht berührt. …“

7.

Nach Art. 35 („Ausschlussfrist“) Abs. 1 dieses Übereinkommens „[kann d]ie Klage auf Schadenersatz … nur binnen einer Ausschlussfrist von zwei Jahren erhoben werden; die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Luftfahrzeug am Bestimmungsort angekommen ist …“.

B.   Unionsrecht

8.

Nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr ( 4 ) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 889/2002 ( 5 ) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 2027/97) „[gelten f]ür die Haftung eines Luftfahrtunternehmens der Gemeinschaft für Fluggäste und deren Gepäck … alle einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens von Montreal“.

III. Sachverhalt, nationales Verfahren und Vorlagefragen

9.

DB reiste am 18. Dezember 2016 mit einem von Austrian Airlines durchgeführten Flug im Rahmen eines mit diesem Unternehmen geschlossenen Luftbeförderungsvertrags von Tel Aviv (Israel) nach Wien (Österreich).

10.

Während des Fluges fiel eine Kanne Kaffee von einem Servierwagen, der von den Flugbegleitern durch die Sitzreihen manövriert wurde. Heißer Kaffee wurde verschüttet und verbrühte DB. Die Flugbegleiter leisteten anschließend in irgendeiner Form ( 6 ) medizinische Erstversorgung seiner Verletzungen.

11.

DB erhob am 31. Mai 2019 beim Handelsgericht Wien (Österreich) nach österreichischem zivilrechtlichen Haftungsrecht und innerhalb der dort vorgesehenen dreijährigen Verjährungsfrist ( 7 ) Klage gegen Austrian Airlines auf Schadenersatz in Höhe von 10196 Euro und auf Feststellung der Haftung des Luftfahrtunternehmens für alle zukünftigen Schäden aus diesem Unfallereignis. DB machte im Wesentlichen geltend, dass er schwere Verbrennungen erlitten habe und dass Austrian Airlines nach österreichischem Recht nicht nur für die zum Umfallen der Kanne führende Fahrlässigkeit seines Personals, sondern auch für die anschließende angeblich unzureichende und unangemessene medizinische Erstversorgung seiner Verletzungen hafte ( 8 ).

12.

Mit Urteil vom 17. Juni 2020 wies das Handelsgericht Wien die Klage in vollem Umfang ab. Das vorgenannte Gericht war im Wesentlichen der Auffassung, dass für den streitigen Anspruch ausschließlich das Warschauer Abkommen maßgeblich und der Anspruch gemäß diesem Abkommen verjährt sei. Nach Art. 29 jenes Abkommens gelte nämlich für jeden Schadenersatzanspruch gegen ein Luftfahrtunternehmen eine zweijährige Ausschlussfrist, und DB habe nach Ablauf dieser Frist Klage erhoben.

13.

Diese Entscheidung wurde vom Oberlandesgericht Wien (Österreich) mit Urteil vom 28. Oktober 2020 bestätigt. Es war der Auffassung, dass auf den Sachverhalt das Übereinkommen von Montreal anzuwenden sei ( 9 ) und der von DB geltend gemachte Anspruch unter Art. 17 Abs.1 dieses Übereinkommens falle. Es sei nämlich davon auszugehen, dass die von DB erlittenen Verletzungen im Sinne dieser Bestimmung durch einen „Unfall“, der sich an Bord des Flugzeugs ereignet habe, nämlich das Umfallen der Kanne mit kochend heißem Kaffee, verursacht worden seien, auch wenn diese Verletzungen möglicherweise durch eine fachgerechte Erstversorgung hätten abgemildert oder vermieden werden können. Dieser Anspruch sei dementsprechend verjährt, da er außerhalb der zweijährigen Ausschlussfrist nach Art. 35 dieses Übereinkommens erhoben worden sei.

14.

Gegen dieses Urteil hat DB Revision beim Obersten Gerichtshof eingelegt. DB hat zwar eingeräumt, dass das Umfallen der Kaffeekanne einen „Unfall“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal dargestellt habe, seiner Ansicht nach soll jedoch die anschließende angeblich unzureichende medizinische Erstversorgung seiner Verletzungen eine hiervon zu trennende und eigenständige Schadensursache gewesen sein, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung falle. Soweit sein Anspruch auf diese konkrete Grundlage gestützt werde, sei auf diesen Anspruch daher nicht dieses Übereinkommen, sondern österreichisches Recht anwendbar, wonach er nicht verjährt sei.

15.

Vor diesem Hintergrund hat der Oberste Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist die an einen Unfall im Sinn von Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal anschließende medizinische Erstversorgung an Bord des Luftfahrzeugs, die zu einer von den eigentlichen Unfallfolgen abgrenzbaren weiteren Körperverletzung des Reisenden führt, gemeinsam mit dem auslösenden Ereignis als einheitliches Unfallgeschehen anzusehen?

2.

Wenn Frage 1 verneint wird:

Steht Art. 29 des Übereinkommens von Montreal einem Anspruch auf Ersatz des durch die medizinische Erstversorgung verursachten Schadens entgegen, wenn dieser zwar innerhalb der Verjährungsfrist des nationalen Rechts, aber bereits außerhalb der Ausschlussfrist des Art. 35 dieses Übereinkommens geltend gemacht wird?

16.

Das Vorabentscheidungsersuchen vom 5. August 2021 ist am 19. August 2021 eingegangen. DB, Austrian Airlines, die deutsche Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Eine mündliche Verhandlung hat nicht stattgefunden.

IV. Würdigung

17.

Das Übereinkommen von Montreal ist ein Vertrag, mit dem bestimmte einheitliche Vorschriften für den internationalen Luftverkehr festgelegt werden. Da dieses Übereinkommen u. a. von der Europäischen Union geschlossen wurde ( 10 ), ist es integraler Bestandteil der Unionsrechtsordnung ab dem Zeitpunkt, in dem es in Bezug auf die Europäische Union in Kraft getreten ist, d. h. ab dem 28. Juni 2004. Daher ist der Gerichtshof ab diesem Zeitpunkt dafür zuständig, im Wege der Vorabentscheidung über seine Auslegung zu entscheiden ( 11 ).

18.

Wie vom vorlegenden Gericht festgestellt, fällt der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Flug in den allgemeinen Anwendungsbereich des Übereinkommens von Montreal. DB hat nämlich mit Austrian Airlines einen Beförderungsvertrag geschlossen, und dieser Vertrag betraf eine „internationale Beförderung“ im Sinne von Art. 1 dieses Übereinkommens, weil der Abflugort und der Bestimmungsort dieses Fluges im Hoheitsgebiet zweier Vertragsstaaten, nämlich des Staates Israel und der Republik Österreich, liegen ( 12 ).

19.

Kapitel III dieses Übereinkommens enthält mehrere Bestimmungen über die Haftung der Luftfahrtunternehmen. Insbesondere ist in Art. 17 Abs. 1 ihre Haftung für den Fall geregelt, dass Reisende, wie DB, an Bord eines Luftfahrzeugs ( 13 ) während eines internationalen Fluges getötet oder „körperlich verletzt“ werden.

20.

Schadenersatzklagen nach dieser Bestimmung unterliegen nach Art. 35 Abs. 1 dieses Übereinkommens einer zweijährigen Ausschlussfrist, die mit dem Tag der Ankunft des fraglichen Fluges am Bestimmungsort beginnt ( 14 ). In der vorliegenden Rechtssache ist unstreitig, dass DB annähernd drei Jahre nach dem Zeitpunkt, zu dem der Flug, während dessen er Verletzungen erlitt, in Wien landete, Klage gegen Austrian Airlines erhob ( 15 ). Dementsprechend hätte DB nach den Vorschriften des Übereinkommens, unabhängig von der Begründetheit seines Anspruchs, keinen Anspruch, da dieser schlicht verjährt wäre.

21.

Wie in der Einleitung der vorliegenden Schlussanträge erwähnt, ist die zentrale Frage jedoch, ob das Übereinkommen von Montreal auch ausschließt, dass DB gegen Austrian Airlines eine Klage wegen eines Anspruchs aus zivilrechtlicher Haftung auf der Grundlage seines innerstaatlichen Rechts erheben kann.

22.

Das vorlegende Gericht führt hierzu aus, dass die für Ansprüche aus zivilrechtlicher Haftung allgemein geltende Verjährungsfrist nach österreichischem Recht drei Jahre betrage ( 16 ). Nach diesem Recht wäre der von DB geltend gemachte Anspruch nicht verjährt, so dass seine Begründetheit geprüft werden könnte, die dann anhand der dort vorgesehenen Haftungsvoraussetzungen zu beurteilen wäre. Somit könnte der Kläger nach innerstaatlichem Recht einen Anspruch gegen die Beklagte haben.

23.

Vor diesem Hintergrund, und um so umfassend wie möglich Stellung zu nehmen, werde ich meine Würdigung mit der zweiten Frage des vorlegenden Gerichts beginnen, die im Wesentlichen die Reichweite der sogenannten „Ausschluss-“ und „Präklusions-“Wirkung des Übereinkommens von Montreal betrifft (A). Klarstellungen zu dieser Frage sollten meines Erachtens vorangestellt werden, weil dies das Verständnis der Bedeutung der ersten Frage erleichtert, in der es im Wesentlichen darum geht, ob anzunehmen ist, dass die von DB erlittenen Verletzungen im Sinne von Art. 17 Abs. 1 dieses Übereinkommens durch einen „Unfall“ verursacht wurden. Diese erste Frage wird daher anschließend erörtert werden (B).

A.   Reichweite der Präklusionswirkung des Übereinkommens von Montreal (zweite Frage)

24.

Wie aus dem vorstehenden Abschnitt hervorgeht, ergibt sich für Fluggäste, die während eines internationalen Fluges eine Köperverletzung erleiden, unter bestimmten Umständen eine Anspruchsgrundlage, d. h. eine Rechtsgrundlage für die Haftung des Luftfahrtunternehmens, aus dem Übereinkommen von Montreal. Art. 17 Abs. 1 ( 17 ) dieses Übereinkommens bezieht sich insbesondere auf den Fall, dass ein Reisender aufgrund eines „Unfalls“ ( 18 ), der sich an Bord des Luftfahrzeugs ereignet hat, getötet oder „körperlich verletzt“ wird. In diesem Fall kann nach dieser Vorschrift gegen das für den in Rede stehenden Flug verantwortliche Luftfahrtunternehmen ein Anspruch geltend gemacht werden, dessen Erfolg von den in diesem Übereinkommen festgelegten Voraussetzungen, u. a. der Ausschlussfrist nach Art. 35 Abs. 1 des Übereinkommens, abhängig ist.

25.

Außerdem können bei Körperverletzungen von Reisenden auf internationalen Flügen möglicherweise Anspruchsgrundlagen nach innerstaatlichem Recht gegeben sein. Es können nämlich verschiedene schädigende Ereignisse, die sich an Bord eines Luftfahrzeugs ereignen, theoretisch als Verstöße gegen den Beförderungsvertrag oder unerlaubte Handlungen nach den allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsregelungen usw. angesehen werden – wobei jede dieser Anspruchsgrundlagen natürlich ihre eigenen Voraussetzungen hat, einschließlich Verjährungsfristen für die Klageerhebung.

26.

Diese verschiedenen Anspruchsgrundlagen beziehen sich bisweilen auf verschiedene Umstände. Wenn ein Fluggast im Voraus eine während des Fluges zu servierende Mahlzeit bestellt und das Luftfahrtunternehmen diese nicht bereitstellt, liegt in der Regel eine einklagbare Vertragsverletzung nach innerstaatlichem Recht vor. In dieser Fallgestaltung liegt jedoch weder eine „Körperverletzung“ noch ein „Unfall“ vor, so dass ein Anspruch nach Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal nicht gegeben ist. Demgegenüber können Anspruchsgrundlagen unter bestimmten Umständen auch „kumuliert“ vorliegen. Ein und dasselbe schädigende Ereignis, wie etwa das versehentliche Verschütten eines kochend heißen Getränks durch Flugbegleiter auf einen Fluggast, das bei Letzterem zu einer Körperverletzung führt, kann gleichzeitig beispielsweise als i) Fahrlässigkeit nach innerstaatlichem Deliktsrecht, ii) Verletzung der sich aus dem Beförderungsvertrag ergebenden Verkehrssicherungspflicht und iii) als „Unfall“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden ( 19 ). In einer solchen Fallgestaltung hätte der Kläger für eine Klage gegen das Luftfahrtunternehmen theoretisch die Wahl zwischen verschiedenen Rechtsgrundlagen, und sein versierter Rechtsberater würde sich natürlich für diejenige entscheiden, die für seine Interessen am günstigsten ist – eine Wahl, die dann am offensichtlichsten ausfällt, wenn beispielsweise für eine der Anspruchsgrundlagen Verjährung eingetreten ist und für eine oder mehrere andere nicht.

27.

Die Problematik verschiedener und bisweilen konkurrierender, auf Luftfahrtunternehmen im Fall der Körperverletzung von Reisenden anwendbarer Haftungsregelungen wurde von den Verfassern des Übereinkommens von Montreal geregelt. Um sie zu lösen, wollten diese den darin enthaltenen Regelungen, insbesondere auch Art. 17 Abs. 1, eine gewisse „ausschließliche“ Wirkung verleihen. Um dies klarzustellen, wurde in dieses Übereinkommen eine besondere Bestimmung aufgenommen, nämlich Art. 29, wonach, soweit vorliegend relevant, „[b]ei der Beförderung von Reisenden … ein Anspruch auf Schadenersatz …, auf welchem Rechtsgrund er auch beruht, sei es dieses Übereinkommen, ein Vertrag, eine unerlaubte Handlung oder ein sonstiger Rechtsgrund, nur unter den Voraussetzungen und mit den Beschränkungen geltend gemacht werden [kann], die in diesem Übereinkommen vorgesehen sind“.

28.

Allerdings wurde in dieser Frage, vorsichtig formuliert, keine endgültige Klarheit erzielt. Denn die letztgenannte Bestimmung, wie vor ihr Art. 24 des Warschauer Abkommens ( 20 ), ist Gegenstand eines intensiven Meinungsstreits, wie das vorlegende Gericht in der vorliegenden Rechtssache betont.

29.

Kurz angesprochen sei ein erster, die Auslegung betreffender Meinungsstreit über die Methodik der Ausschließlichkeit. Zum einen kann Art. 29 dahin verstanden werden, dass danach bei ausschließlicher Anwendbarkeit des Übereinkommens von Montreal ein Anspruch allein nach diesem Übereinkommen unter völligem Ausschluss innerstaatlicher Anspruchsgrundlagen geltend gemacht werden kann. Zum anderen kann er auch dahin verstanden werden, dass ein Anspruchsinhaber in einer solchen Situation einen Anspruch aufgrund einer innerstaatlichen Anspruchsgrundlage geltend machen kann, dass in diesem Fall aber die im Übereinkommen festgelegten Haftungsvoraussetzungen und ‑beschränkungen weiter zu beachten sind. Auch wenn meines Erachtens die zweite Auslegung dieser Bestimmung die naheliegendste ist ( 21 ), entspricht die erste Auslegung offenbar der herrschenden Meinung ( 22 ). Dieser Meinungsstreit hat indes, wenn überhaupt, nur geringe praktische Auswirkungen. Nach beiden Methoden kommt dem Übereinkommen die gleiche zwingende Wirkung zu: Wenn es ausschließlich Anwendung findet, kann eine Haftung des Luftfahrtunternehmens nur bestehen, wenn und soweit dieser Rechtsakt sie vorsieht, und ein Anspruchsberechtigter kann es nicht dadurch umgehen, dass er seinen Anspruch nach innerstaatlichem Recht geltend macht.

30.

Von weitaus größerer Bedeutung ist der Meinungsstreit um die Reichweite der Ausschließlichkeit des Übereinkommens von Montreal, d. h. die Frage, welche Haftungsansprüche gegen Luftfahrtunternehmen in seinen ausschließlichen Geltungsbereich fallen. Dies erfordert eine eingehendere Prüfung.

31.

Wie vom vorlegenden Gericht festgestellt, gibt es in dieser Frage zwei gegensätzliche Ansichten. Nach einer ersten Ansicht, die ich im Folgenden als „weite“ Ansicht bezeichnen werde, werden durch das Übereinkommen von Montreal sämtliche potenziellen Ansprüche gegen Luftfahrtunternehmen wegen jedweder Körperverletzung von Reisenden während eines internationalen Fluges, der in den allgemeinen Anwendungsbereich dieses Übereinkommens fällt ( 23 ), unabhängig davon, wie sie geltend gemacht werden, und ungeachtet ihrer Ursache, ausschließlich geregelt. Nach dieser Ansicht können Luftfahrtunternehmen nur im Fall des Art. 17 Abs. 1 haftbar gemacht werden, d. h. bei Tod oder „Körperverletzung“ eines Reisenden, der oder die durch einen „Unfall“ verursacht worden ist. In anderen Fällen, beispielsweise wenn ein Reisender einen Vermögensschaden erlitten hat oder wenn die Ursache der Verletzung etwas anderes als ein „Unfall“ war, besteht nicht nur kein Anspruch nach dieser Bestimmung, sondern ist auch jedweder etwaige Rechtsschutz nach innerstaatlichem Recht durch Art. 29 dieses Übereinkommens ausgeschlossen.

32.

Nach einer zweiten Ansicht, die ich im Folgenden als „enge“ Ansicht bezeichnen werde, werden durch das Übereinkommen von Montreal nicht sämtliche Ansprüche gegen Luftfahrtunternehmen geregelt, die sich aus einer internationalen Flugreise ergeben können, sondern nur solche im Sinne von Art. 17 Abs. 1 wegen Tod oder „Körperverletzung“ eines Reisenden, der oder die durch einen „Unfall“ verursacht worden ist. Soweit ein Anspruch, unabhängig davon, wie er geltend gemacht wird, diese Definition objektiv erfüllt, ist dem Anspruchsinhaber nach Art. 29 dieses Übereinkommens eine Berufung auf günstigere Haftungsvoraussetzungen und ‑beschränkungen des innerstaatlichen Rechts verwehrt. Dagegen liegen sonstige Arten von Körperverletzungen von Reisenden an Bord eines Luftfahrzeugs außerhalb des Anwendungsbereichs des Übereinkommens: Zwar besteht nach diesem Übereinkommen kein Anspruch, es steht einem Anspruchsinhaber aber frei, das Luftfahrtunternehmen nach innerstaatlichem Recht in Anspruch zu nehmen.

33.

In der vorliegenden Rechtssache hat die Frage, ob die erste oder die zweite Ansicht richtig ist, unmittelbare Auswirkungen auf die Erheblichkeit der ersten Frage des vorlegenden Gerichts für den Ausgang des Rechtsstreits im Ausgangsverfahren.

34.

Würde man nämlich der weiten Ansicht zur Ausschließlichkeit des Übereinkommens von Montreal folgen, wäre es für die Entscheidung, ob der Anspruch von DB nach österreichischem Recht geltend gemacht werden könnte, unerheblich, ob seine Verletzungen durch einen „Unfall“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 oder durch etwas anderes verursacht wurden. Nach dieser Ansicht wäre davon auszugehen, dass dieser Anspruch durch dieses Übereinkommen ausschließlich geregelt – und danach als verjährt präkludiert – ist, und zwar aus dem einfachen Grund, dass er eine Körperverletzung eines Reisenden während eines in den allgemeinen Anwendungsbereich dieses Übereinkommens fallenden internationalen Fluges betrifft, ungeachtet dessen, welche Ursache sie tatsächlich hatte ( 24 ).

35.

Würde man hingegen der engen Ansicht folgen, wäre die Frage nach der Ursache der Verletzungen von DB für das Schicksal seiner Klage von entscheidender Bedeutung. Nach dieser Ansicht wäre davon auszugehen, dass dieser Anspruch nur dann durch das Übereinkommen von Montreal geregelt und präkludiert wäre, wenn seine Verletzungen „unfall“-bedingt waren. Wäre dies nicht der Fall, könnte er nach nationalem Recht geltend gemacht werden.

36.

Logisch betrachtet, hätte also die zweite Frage nach der Reichweite der Ausschließlichkeit des Übereinkommens von Montreal zuerst gestellt werden können. Allerdings ist die vom vorlegenden Gericht gewählte Reihenfolge seiner Fragen, pragmatisch betrachtet, durchaus sinnvoll. Diese komplexe und sensible Frage (1) bedarf nämlich in der vorliegenden Rechtssache keiner abschließenden Entscheidung, weil, wie ich erläutern werde, ein Anspruch, wie der von DB geltend gemachte Anspruch, jedenfalls präkludiert ist (2).

1. Komplexität und Sensibilität der Frage

37.

Man mag auf Nachsicht hoffen können, wenn man die Frage der Reichweite der Ausschließlichkeit des Übereinkommens von Montreal für geklärt hielte. Zwar hat der Gerichtshof hierzu bisher noch nicht Stellung genommen ( 25 ), wohl aber die Gerichte anderer Vertragsstaaten. Der weiten Ansicht gefolgt sind nicht zuletzt der Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) in seinem Urteil Sidhu ( 26 ) und der Supreme Court of the United States (Oberster Gerichtshof der Vereinigten Staaten) in seinem Urteil Tseng; dem haben sich bald weltweit zahlreiche andere Oberste Gerichte und hohe Gerichte angeschlossen ( 27 ). Zwar betrafen die Urteile Sidhu und Tseng das Warschauer Abkommen, das Ergebnis ist jedoch bereits auf das Übereinkommen von Montreal übertragen ( 28 ) worden. Auch im Schrifttum ist dies vielfach auf Zustimmung gestoßen ( 29 ). Naheliegenderweise wird auch von Austrian Airlines im Verfahren vor dem Gerichtshof vertreten, dass dies die richtige und gefestigte Ansicht zu dieser Frage sei.

38.

Wie bereits in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Austrian Airlines (Haftungsbefreiung des Luftfahrtunternehmens) ( 30 ) ausgeführt, tut der Gerichtshof angesichts dessen, dass er nur eines von vielen Gerichten in der Welt ist, die für die Auslegung des Übereinkommens von Montreal zuständig sind, und dass die einheitliche Anwendung dieses Übereinkommens in allen Vertragsstaaten ein anzustrebendes Ziel ist, gut daran, die Entscheidungen der Gerichte dieser Vertragsstaaten gebührend zu berücksichtigen und ihnen das erforderliche Gewicht beizumessen.

39.

Selbstverständlich sollte der Gerichtshof solchen nationalen Präzedenzentscheidungen indes nicht unbesehen folgen ( 31 ). Es ist stets eine sorgfältige Prüfung der den in anderen Vertragsstaaten gefolgten Lösungen zugrunde liegenden ratio decidendi und der sich daraus ergebenden praktischen Konsequenzen geboten.

40.

Insoweit ist die durch die Urteile Sidhu und Tseng vorgegebene Tendenz nicht unumstritten geblieben. Als das Urteil Tseng erging, wurde darin von einigen eine bedeutsame Abkehr von einer ganzen Reihe in die entgegengesetzte Richtung weisender Entscheidungen von Gerichten niedrigerer Instanzen in den Vereinigten Staaten gesehen ( 32 ). Außerdem werden diese Urteile, wie von DB vorgetragen, von einem Teil des Schrifttums weiterhin kritisiert ( 33 ). In der Tat vertreten DB, die deutsche Regierung und die Kommission – ausdrücklich oder implizit – die Ansicht, dass der Gerichtshof, soweit er hierauf in der vorliegenden Rechtssache eingehe, von diesen nationalen Präzedenzentscheidungen abweichen und stattdessen der engen Ansicht folgen sollte.

41.

Dieser Meinungsstreit rührt zweifellos erstens daher, dass die Reichweite der Ausschließlichkeit des Übereinkommens von Montreal, theoretisch betrachtet, eine komplexe Frage ist. Die anwendbaren, im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 ( 34 ) kodifizierten Auslegungsregeln führen nicht zu einer eindeutigen Antwort. Einerseits wird die weite Ansicht, der in den Urteilen Sidhu und Tseng gefolgt wird, auf eine fundierte Auslegung der Bestimmungen des Übereinkommens von Montreal nach Treu und Glauben, in ihrem Zusammenhang und im Licht seines Ziels und Zwecks gestützt. Diese beiden obersten Gerichtshöfe haben für diese Auslegung auch die Travaux préparatoires herangezogen. Andererseits lässt sich auf eben diese Gesichtspunkte meines Erachtens vernünftigerweise auch die gegenteilige Auslegung stützen.

42.

Was den Wortlaut des Übereinkommens von Montreal, insbesondere des Art. 29, angeht, verweisen die Befürworter der weiten Ansicht darauf, dass der Wortlaut des Übereinkommens nicht auf durch „Unfälle“ verursachte Körperverletzungen beschränkt sei, sondern sich ganz allgemein auf Ansprüche auf Schadenersatz aus der „Beförderung von Reisenden“ beziehe; diesem Ausdruck sei zu entnehmen, dass alle Ansprüche wegen Körperverletzung von Reisenden umfasst seien ( 35 ). Im Gegensatz dazu betonen Vertreter der engen Ansicht wie auch DB vor dem Gerichtshof, dass dem Wortlaut von Art. 29 nichts dafür zu entnehmen sei, dass, zum Nachteil von Reisenden, innerstaatliche Anspruchsgrundlagen ausdrücklich ausgeschlossen werden sollten, auch wenn kein „Unfall“ vorliege. Ein derart drastisches Ergebnis könne sich nur aus einer klaren und eindeutigen Formulierung ( 36 ), nicht aber implizit herleiten lassen.

43.

Ziel und Zweck des Übereinkommens von Montreal sind ebenso nicht eindeutig. Es ist unstreitig, dass dieser Rechtsakt nach seinem Titel und seiner Präambel ( 37 ) nur „bestimmte Vorschriften“ über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vereinheitlichen soll -also einige der sich im Zusammenhang mit dem internationalen Luftverkehr ergebenden Fragen regelt, aber nicht alle. Es besteht jedoch ein grundlegender Dissens darüber, was genau sein Zweck ist, soweit es um die Haftung von Luftfahrtunternehmen geht.

44.

Nach Auffassung der Befürworter der weiten Ansicht sollte die Haftung von Luftfahrtunternehmen im Allgemeinen durch das Übereinkommen von Montreal geregelt werden. Die in seinem Kapitel III enthaltenen Vorschriften stellten eine umfassende Regelung für Ansprüche aus dem internationalen Luftverkehr dar. Der Hauptzweck dieses Übereinkommens bestehe darin, insoweit zu einer einheitlichen Rechtslage zu gelangen. Diese Vorschriften legten die Umstände – d. h. die alleinigen Umstände – fest, unter denen Luftfahrtunternehmen für Reisenden verursachte Körperverletzungen haften sollten. Indem die Arten von Ansprüchen, die gegen sie geltend gemacht werden könnten, beschränkt würden, schaffe das Übereinkommen, insbesondere Art. 29, für Luftfahrtunternehmen Sicherheit. Es stelle sicher, dass die ihnen auferlegte Ersatzpflicht für sie im Voraus bestimmbar und berechenbar sei, was u. a. für Versicherungszwecke von wesentlicher Bedeutung sei. Dieses Ziel der Einheitlichkeit und Sicherheit würde vereitelt, wenn Reisende andere Ansprüche gegen sie geltend machen könnten ( 38 ).

45.

Die Befürworter der engen Ansicht, ebenso wie DB und die deutsche Regierung, halten dem entgegen, dass mit dem Übereinkommen von Montreal die Haftung der Luftfahrtunternehmen tatsächlich nur in bestimmten Fällen habe vereinheitlicht werden sollen, nämlich im Fall von luftfahrzeugbezogenen Unfällen. Das Risiko, dass Luftfahrtführer im Fall von Flugzeugabstürzen einer erdrückenden Haftung ausgesetzt sein würden, sei nämlich eine der Besorgnisse gewesen, die zur Annahme des Warschauer Abkommens im Jahr 1929 geführt hätten ( 39 ). Luftfahrtunternehmen sollten nicht vor einer Haftung unter sonstigen Umständen geschützt werden. In diesem Licht betrachtet, liege das alleinige Ziel von Art. 29 des Übereinkommens von Montreal darin, zu verhindern, dass der Anspruchsinhaber, soweit er einen Anspruch erhebe, der objektiv „unfall-“bedingt sei, die dort geregelten Haftungsvoraussetzungen und ‑beschränkungen umgehe, indem er seinen Anspruch nach innerstaatlichem Recht geltend mache. Mehr erfordere die einheitliche Anwendung des Übereinkommens nicht ( 40 ).

46.

Befürworter der engen Ansicht betonen ferner einen Unterschied zwischen dem Warschauer Abkommen und dem Übereinkommen von Montreal im Hinblick auf den Zweck. Wie von DB und der Kommission vorgetragen, habe mit der Annahme des erstgenannten Abkommens die im Entstehen begriffene Luftfahrtbranche, mit dem letztgenannten Übereinkommen jedoch der Verbraucherschutz im internationalen Luftverkehr gefördert werden sollen ( 41 ). Unabhängig davon, welcher Ansatz im Rahmen des Warschauer Übereinkommens richtig gewesen wäre, könne die weite Ansicht zur Ausschließlichkeit, jedenfalls mit dieser Begründung, auf das Übereinkommen von Montreal nicht übertragen werden ( 42 ). Die Befürworter der weiten Ansicht entgegnen, dass mit dem Übereinkommen von Montreal über den reinen Verbraucherschutz hinaus ein „gerechter Ausgleich“ zwischen den Interessen der Reisenden und der Luftfahrtunternehmen habe erreicht werden sollen ( 43 ). Dieser Ausgleich sei der Haftungsregelung des Übereinkommens inhärent. Die Ansprüche, die Reisende gegen Luftfahrtunternehmen hätten, seien beschränkt. Soweit solche Ansprüche jedoch gegeben seien, seien sie vor allem aufgrund der dort vorgesehenen Regelung einer verschuldensunabhängigen Haftung einfach und schnell durchzusetzen ( 44 ).

47.

Durch die Vorarbeiten zu beiden Übereinkommen wird der Meinungsstreit nicht abgeschwächt, da auch sie in Bezug auf die Absicht ihrer Verfasser in der Frage der Ausschließlichkeit nicht eindeutig sind. Den Travaux préparatoires des Warschauer Abkommens ist nämlich nicht eindeutig zu entnehmen, dass die Verhandlungsteilnehmer in dieser Frage eine definitive Absicht verfolgt hätten ( 45 ). Auch diejenigen zum Übereinkommen von Montreal sind nicht hilfreich. Die einzige unmittelbare und substanzielle Aussage hierzu, die vom Konferenzvorsitzenden stammt, lässt Raum für Interpretation ( 46 ).

48.

Zweitens ergibt sich der Meinungsstreit um die Reichweite der Ausschließlichkeit des Übereinkommens von Montreal aus den erheblichen – und häufig fatalen – praktischen Konsequenzen, die mit der weiten Ansicht verbunden sind. In der Rechtssache Sidhu wurde Reisenden, die nach der Landung ihres Flugzeugs auf dem Kuwait International Airport im August 1990, nur wenige Stunden nach dem Einmarsch irakischer Streitkräfte in Kuwait, drei Wochen lang von irakischen Streitkräften festgehalten wurden, ein Anspruch verwehrt. Gleiches gilt für die Rechtssache Tseng, in der es um eine Reisende ging, die am John F. Kennedy International Airport in New York einer möglicherweise missbräuchlichen Sicherheitskontrolle durch das Personal des Luftfahrtunternehmens unterzogen wurde, bevor sie sich an Bord eines Fluges nach Tel Aviv begab. In anderen Entscheidungen wurde Reisenden, deren Behinderung von der Fluggesellschaft unter unmittelbarem Verstoß gegen die Anforderungen des Unionsrechts ( 47 ) nicht angemessen berücksichtigt wurde oder die angeblich von Luftfahrtunternehmen aus verbotenen Gründen, wie etwa ihrer ethnischen Zugehörigkeit, diskriminiert wurden, ebenfalls ein Anspruch verwehrt ( 48 ). Auch eindeutige Vertragsverletzungen, wie die oben in Nr. 26 genannte, von Fluggesellschaften versäumte Bereitstellung einer vorbestellten Mahlzeit blieben ohne Entschädigung ( 49 ). In sämtlichen dieser Fälle wurde nämlich angenommen, dass die gegen die verantwortlichen Luftfahrtunternehmen gerichteten Ansprüche ausschließlich durch das Warschauer Abkommen oder das Übereinkommen von Montreal geregelt seien, da sie sich aus dem internationalen Luftverkehr ergäben. Da jedoch weder eine „Körperverletzung“ noch ein „Unfall“ vorlag, bestand nach dem einschlägigen Übereinkommen kein Anspruch. Gleichwohl durften Anspruchsinhaber nicht nach innerstaatlichem Recht vorgehen.

49.

Befürworter der engen Ansicht verweisen auf die Ungerechtigkeit dieser Ergebnisse. Die weite Ansicht laufe in vielen Fällen auf eine Rechtsverweigerung gegenüber Reisenden hinaus. Von den wenigen, im Übereinkommen von Montreal selbst vorgesehenen Fallgestaltungen abgesehen, seien Luftfahrtunternehmen vor jeder Art von Haftung geschützt, unabhängig davon, woraus sie sich ergebe und wozu sie diene, und zwar selbst vor einer Haftung, die sich sonst aus Verstößen gegen gesetzliche Pflichten und/oder Grundrechte von Reisenden ergäbe. Diese Pflichten und Rechte könnten gegen sie nämlich – privatrechtlich – nicht durchgesetzt werden ( 50 ). Die Befürworter der weiten Ansicht bringen vor, dass diese Ergebnisse lediglich notwendige Folge der Einheitlichkeit und Sicherheit seien, die mit dem Übereinkommen hätten erreicht werden sollen. Auch wenn sie bisweilen die Ungerechtigkeit für Reisende, insbesondere in Diskriminierungsfällen, anerkennen, betonen sie nicht zu Unrecht, dass es nicht Sache der Gerichte sei, einen völkerrechtlichen Vertrag umzugestalten, um ihn gerechter zu machen ( 51 ).

50.

Alles in allem erscheint es geboten, dass sich der Gerichtshof mit der Frage der Reichweite der Ausschließlichkeit des Übereinkommens von Montreal ernsthaft auseinandersetzt. Zwar hat der Gerichtshof, wie von der Kommission vorgetragen, in seinen Urteilen IATA und ELFAA ( 52 ) sowie Nelson u. a. ( 53 ) das Thema bereits leicht gestreift und eine eher zurückhaltende Haltung eingenommen. Soweit der Gerichtshof in diesen Urteilen festgestellt hat, dass zwischen dem Übereinkommen von Montreal und der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 ( 54 ) kein Widerspruch bestehe, ist er der Frage jedoch durch die Feststellung weitgehend ausgewichen, dass der erstgenannte Rechtsakt nur individuelle Schadenersatzansprüche erfasse, während der letztgenannte Rechtsakt Verpflichtungen zu Unterstützungsleistungen für Fluggäste und einer standardisierten Ausgleichsleistung enthalte. Die heftige Ablehnung, auf die diese Urteile in großen Teilen des Schrifttums gestoßen sind, unterstreichen jedoch noch weiter den sensiblen Charakter der Debatte ( 55 ).

2. Eine Stellungnahme des Gerichtshofs ist in der vorliegenden Rechtssache nicht erforderlich

51.

Bei aller Unklarheit durch diesen Meinungsstreit scheint gleichwohl etwas hindurch: Wie bereits erwähnt, ist eine umfassende Stellungnahme des Gerichtshofs zur Reichweite der Ausschließlichkeit des Übereinkommens von Montreal in der vorliegenden Rechtssache nicht erforderlich.

52.

Da die weite Ansicht die enge Ansicht einschließt, stimmen sie nämlich in einem Aspekt überein: Zumindest unterliegen nach Art. 29 des Übereinkommens von Montreal Ansprüche gegen ein Luftfahrtunternehmen, unabhängig davon, wie sie geltend gemacht werden, zweifelsfrei ausschließlich diesem Rechtsakt, wenn sie sich im Sinne von Art. 17 Abs. 1 dieses Übereinkommens objektiv auf den Tod oder die Körperverletzung eines Reisenden während eines in den allgemeinen Anwendungsbereich dieses Übereinkommens fallenden internationalen Fluges wegen eines Unfalls, der sich an Bord des Luftfahrzeugs ereignet hat, beziehen. In einem solchen Fall besteht Einigkeit, dass der Anspruchsinhaber die in diesem Rechtsakt festgelegten Haftungsvoraussetzungen und ‑beschränkungen nicht umgehen darf, indem er seinen Anspruch nach innerstaatlichem Recht geltend macht ( 56 ). Die beiden Ansichten unterscheiden sich nämlich nur im Hinblick auf Ansprüche, bei denen weder Tod oder Körperverletzung eines Reisenden noch ein Unfall vorliegt: Nach der engen Ansicht kann der Anspruchsinhaber nach innerstaatlichem Recht vorgehen. Nach der weiten Ansicht wird ihm jedweder etwaige Rechtsschutz verwehrt ( 57 ).

53.

In der vorliegenden Rechtssache bezieht sich, wie ich im folgenden Abschnitt erläutern werde, ein Anspruch der von DB gegen Austrian Airlines geltend gemachten Art meines Erachtens objektiv auf eine durch einen Unfall verursachte Körperverletzung eines Reisenden im Sinne von Art. 17 Abs. 1. Der Gerichtshof braucht also zwischen der weiten und der engen Ansicht keine Wahl zu treffen. Unabhängig davon, welche Ansicht richtig ist, unterliegt dieser Anspruch in jedem Fall ausschließlich diesem Übereinkommen und ist durch dieses als verjährt präkludiert ( 58 ).

54.

Meines Erachtens wäre es ein anerkennenswerter Ausdruck richterlicher Zurückhaltung, wenn der Gerichtshof sich vorliegend auf diese offenkundige Feststellung beschränken und davon absehen würde, zu der umfassenderen Frage der Reichweite der Ausschließlichkeit des Übereinkommens von Montreal abschließend Stellung zu nehmen. Es mag in der Zukunft Fälle geben, in denen der Gerichtshof nicht mehr umhinkommt, dies zu tun. Er mag künftig mit den beispielhaft genannten Diskriminierungsansprüchen von Reisenden gegen Luftfahrtunternehmen befasst werden. Wenn und sobald dieser Fall eintritt, wäre darüber am besten von der Großen Kammer, nach sorgfältiger Prüfung aller oben genannten Aspekte, zu entscheiden.

B.   Verletzungen der von DB erlittenen Art sind als durch einen „Unfall“ verursacht im Sinne von Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal anzusehen (erste Frage)

55.

Ich habe im vorstehenden Abschnitt bereits darauf hingewiesen, dass ein Anspruch wie derjenige, der von DB gegen Austrian Airlines geltend gemacht wird, meines Erachtens ausschließlich dem Übereinkommen von Montreal unterliegt, da er sich objektiv auf die in Art. 17 Abs. 1 dieses Übereinkommens geregelte Situation bezieht. Folglich kann der Anspruchsinhaber die dort festgelegte zweijährige Ausschlussfrist nicht umgehen, indem er seinen Anspruch nach innerstaatlichem Recht geltend macht. Meine Ansicht hierzu werde ich jetzt darlegen.

56.

Im Ausgangsverfahren ist unstreitig, dass der von DB geltend gemachte Anspruch sich auf „Körperverletzungen“ – nämlich schwere Verbrennungen – bezieht, die ein Reisender – nämlich er selbst – während eines internationalen Fluges erlitten hat, der in den allgemeinen Anwendungsbereich des Übereinkommens von Montreal fällt – wie oben in Nr. 18 erläutert –, und dass das Ereignis bzw. die Ereignisse, die zu diesen Verletzungen geführt haben, an Bord des Luftfahrzeugs stattgefunden haben. Streitig ist allein, ob diese Verletzungen rechtlich im Sinne von Art. 17 Abs. 1 als durch einen „Unfall“ verursacht anzusehen sind oder nicht.

57.

Erinnert sei hierzu noch einmal daran, dass während des Fluges, auf dem DB nach Wien befördert wurde, versehentlich eine Kanne von einem Servierwagen fiel, der von den Flugbegleitern durch die Sitzreihen manövriert wurde. Kochend heißer Kaffee wurde verschüttet, wodurch DB schwere Verbrennungen erlitt ( 59 ).

58.

Wie vom vorlegenden Gericht festgestellt, ist ein solcher Unglücksfall zweifelsfrei als „Unfall“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal anzusehen. Dies gilt unabhängig davon, ob man die vor vielen Jahren vom United States Supreme Court (Oberster Gerichtshof der Vereinigten Staaten) in der Entscheidung Air France/Saks ( 60 ) aufgestellte Definition dieses Begriffs – als „unerwartetes oder ungewöhnliches Ereignis oder Geschehen außerhalb der Sphäre des Fluggastes“ – oder die neue, vom Gerichtshof im Urteil Niki Luftfahrt aufgestellte Definition – als „unvorhergesehenes, unbeabsichtigtes, schädigendes Ereignis“ – zugrunde legt ( 61 ). Wenn eine Person sich an Bord eines Luftfahrzeugs begibt, erwartet sie nicht/sieht sie nicht vorher, während des Fluges mit einer Kanne mit heißem Kaffee übergossen zu werden ( 62 ).

59.

Diese Feststellung wird von DB nicht bestritten ( 63 ). Der Kläger hat seinen Anspruch vor dem Berufungsgericht und dem vorlegenden Gericht jedoch dahin präzisiert, dass er sich nicht auf diesen „Unfall“, sondern auf das beziehe, was danach geschehen sei. Nach dem theoretischen schadenersatzrechtlichen Ansatz, auf den DB sich stützt, beruht sein Anspruch nämlich auf einer anderen Ursache, und zwar auf der behaupteten ( 64 ) unzureichenden und unangemessenen medizinischen Erstversorgung seiner Verletzungen ( 65 ) durch die Flugbegleiter, die eine Verletzung der Sorgfaltspflicht der Luftfahrtunternehmen gegenüber ihren Fluggästen darstelle. Diese Ursache soll von dem ursprünglichen „Unfall“abgrenzbar sein und zu einer hiervon zu trennenden Verletzung, nämlich der Aggravierung seiner Verbrennungen, geführt haben. Nur für diese konkrete Verletzung begehrt er Schadenersatz.

60.

Nach Ansicht von DB soll sein Klageanspruch – nach seinem Vortrag – daher ausschließlich Körperverletzungen betreffen, die nicht durch den „Unfall“ des Umfallens der Kanne mit kochend heißem Kaffee, sondern durch die anschließende Reaktion des Kabinenpersonals verursacht worden sind. Demnach soll dieser Anspruch nicht unter Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal fallen und somit nach österreichischem Recht und den dort geregelten Voraussetzungen – insbesondere der Verjährungsfrist – geltend gemacht werden können.

61.

Angesichts dieses Vorbringens möchte das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage wissen, ob das Umfallen der Kanne mit kochend heißem Kaffee und die danach vom Kabinenpersonal geleistete medizinische Erstversorgung der Verbrennungen als getrennte Verletzungsursachen oder als Teil eines einheitlichen „Unfallgeschehens“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal zu behandeln sind.

62.

Meines Erachtens sollte diese erste Frage leicht umformuliert werden. Der Fall des Ausgangsverfahrens wirft nämlich im Licht des Vorbringens von DB ganz deutlich die Frage der Kausalität auf. Ob der Anspruch des Klägers unter Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal fällt und somit ausschließlich durch diesen Rechtsakt geregelt ist, hängt im Wesentlichen davon ab, ob angenommen werden kann, dass der ursprüngliche Unfall, der sich an Bord des Luftfahrzeugs ereignete, nämlich das Umfallen der Kanne, die Verletzungen, derentwegen er Schadenersatz begeht, im Sinne dieser Bestimmung in Anbetracht dessen „verursacht“ hat, dass die medizinische Erstversorgung durch das Kabinenpersonal dazwischentrat. In diesem Sinne sollte diese Frage behandelt werden ( 66 ). Demgegenüber wäre es nicht sachgerecht, sie eher mittelbar im Rahmen des Begriffs „Unfall“ zu behandeln, indem danach gefragt wird, ob diese beiden unterschiedlichen Faktoren als ein Ereignis im Sinne dieser Bestimmung zu behandeln sind ( 67 ).

63.

Dementsprechend werde ich in den folgenden Abschnitten erläutern, warum der „Unfall“ des Umfallens der Kanne die Körperverletzungen, die Gegenstand des von DB geltend gemachten Anspruchs sind, im Rechtssinne „verursacht“ hat, auch wenn zu diesen Verletzungen anschließend möglicherweise auch die medizinische Erstversorgung beigetragen hat (1) ( 68 ). Da ferner Austrian Airlines vor dem Gerichtshof die Frage aufgeworfen hat, ob dieses zweite Ereignis jedenfalls auch für sich genommen als „Unfall“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden könnte, werde ich der Vollständigkeit halber kurz darauf eingehen (2).

1. Die Körperverletzungen wurden im Rechtssinne durch den „Unfall“ des Umfallens der Kanne im Sinne von Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal „verursacht“

64.

Als Ausgangspunkt der Frage ist darauf hinzuweisen, dass, auch wenn in Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal nicht konkretisiert wird, unter welchen Umständen angenommen werden kann, dass ein bestimmter Unfall den Tod oder die Körperverletzung eines Reisenden „verursacht“ hat, dieses Übereinkommen, auch wenn es diesen Begriff allgemein nicht definiert, nicht anhand des innerstaatlichen Rechts auszulegen ist, das auf den in Rede stehenden Beförderungsvertrag anwendbar ist ( 69 ), wie von DB und Austrian Airlines vorgetragen. In Anbetracht des mit diesem Übereinkommen verfolgten Ziels der Einheitlichkeit ( 70 ), und da das Übereinkommen nichts anderes vorsieht ( 71 ), ist dieser Begriff vielmehr im Licht der Auslegungsregeln des Wiener Übereinkommens autonom auszulegen ( 72 ). Aus der Unabhängigkeit vom innerstaatlichen Recht folgt jedoch nicht, dass dieses völlig außer Acht zu lassen wäre. Bei einem Grundbegriff des Haftungsrechts wie der Kausalität, dessen Merkmale sich im Einzelnen in intellektuell redlicher Weise kaum allein aus der „üblichen Bedeutung“ dieses Begriffs, dem „Kontext“, in dem er verwendet wird, und dem „Ziel und Zweck“ des Übereinkommens von Montreal herleiten lassen, muss die Auslegung sich auch von allgemeinen Grundsätzen leiten lassen, die dem Recht der Vertragsstaaten gemeinsam sind ( 73 ).

65.

Nach diesen Auslegungsregeln und im Licht dieser Grundsätze sind meines Erachtens, und ich stimme darin mit allen sonstigen Beteiligten im Verfahren vor dem Gerichtshof überein, für die im Einzelfall vorzunehmende Beurteilung, ob angenommen werden kann, dass der in Rede stehende „Unfall“ die Körperverletzung des Reisenden, die Gegenstand des Anspruchs ist, „verursacht“ hat, nacheinander zwei einander ergänzende Kriterien anzuwenden.

66.

Wie von Austrian Airlines, der deutschen Regierung und der Kommission vorgetragen, ergibt sich das erste Kriterium unmittelbar aus der üblichen Bedeutung des in Art. 17 Abs. 1 verwendeten Verbs „verursachen“, nämlich „etwas bewirken“. Hierbei handelt es sich um ein Kriterium tatsächlicher Natur. Es entspricht dem, was im Recht der Vertragsstaaten als Kausalität im Sinne von „sine qua non“, „kann etwas hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg entfiele“ oder „Äquivalenz der Voraussetzungen“ bekannt ist. Nach diesem Kriterium gilt jedes Verhalten oder Ereignis, das tatsächlich eine notwendige Voraussetzung für einen bestimmten Schaden darstellt, d. h., das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass dieser Schaden nicht eingetreten wäre, als dessen Ursache. Da jeder Schaden das Ergebnis einer Kombination von Faktoren ist, von denen jeder zu seinem Eintritt beigetragen hat ( 74 ), wird nach dem Kriterium „kann etwas hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg entfiele“ davon ausgegangen, dass er nicht eine, sondern mehrere Ursachen hat. Alle diese Faktoren werden nämlich als tatsächliche Ursachen dieses Schadens angesehen – oder als „Glieder“ in der „Ursachenkette“, die zu ihm führt ( 75 ).

67.

Somit ist für Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal die erste Voraussetzung erfüllt, wenn der in Rede stehende „Unfall“ tatsächlich eine notwendige Voraussetzung für die Körperverletzung des Reisenden ist, die Gegenstand des Anspruchs ist, d. h., wenn dieses Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Verletzung nicht eingetreten wäre. Das heißt auch, dass es ausreicht, wenn der „Unfall“einer der Faktoren ist, die zum Eintreten dieser Körperverletzung beigetragen haben – ein „Glied“ in der „Ursachenkette“, die zu ihr geführt hat. Wie vom vorlegenden Gericht angeführt, hat sich diesem Ansatz insbesondere der United States Supreme Court (Oberster Gerichtshof der Vereinigten Staaten) in der Entscheidung Air France/Saks ausdrücklich angeschlossen ( 76 ).

68.

Meines Erachtens steht dieses erste Kriterium sowohl mit dem Ziel des Verbraucherschutzes ( 77 ) als auch mit dem vom Übereinkommen von Montreal verfolgten Ziel der Einheitlichkeit im Einklang. Lassen Sie uns hierzu das hypothetische Beispiel der Körperverletzung eines Reisenden bilden, die durch die Kombination – mindestens – zweier Faktoren herbeigeführt wird, nämlich i) den vorbestehenden Gesundheitszustand des betreffenden Reisenden, aufgrund dessen er einem erhöhten Risiko für Herzinfarkte ausgesetzt ist, und ii) den durch den „Unfall“ einer Notlandung des Flugzeugs hervorgerufenen extremen Stress, der einen Herzinfarkt ausgelöst hat. In einem solchen Fall trägt zum einen das oben genannte erste Kriterium dazu bei, dass der Geschädigte ohne Weiteres nach Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal entschädigt werden kann ( 78 ), da der bloße Umstand ausreicht, dass der „Unfall“ ein „Glied“ in der „Ursachenkette“ ist, die zum Tod oder zur Körperverletzung des Reisenden geführt hat. Müsste dagegen der „Unfall“ die „einzige/ausreichende Ursache“ oder gar die „Hauptursache“ für die Verletzung des Reisenden sein, stände dies seinem Anspruch erheblich entgegen. Das erste alternative Kriterium könnte einen Anspruch in dem genannten Beispiel völlig ausschließen ( 79 ). Das zweite würde zu Unsicherheit führen. Es könnte nämlich mit Blick auf die beiden oben genannten Faktoren mehr als eine Entscheidung vertretbar sein, so dass sie wahrscheinlich zwischen den Parteien des Rechtsstreits heftige Kontroversen auslösen würde und die vom Richter letztlich getroffene Entscheidung eher willkürlich wäre ( 80 ). Zum anderen trägt das Kriterium des „Kann etwas hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg entfiele“ auch zur einheitlichen Anwendung dieses Übereinkommens bei: Ob ein Anspruch unter Art. 17 Abs. 1 fällt, hängt von einem bestimmten objektiven Verhältnis zwischen der Körperverletzung eines Reisenden und einem „Unfall“ ab und nicht davon, wie die Ursache der Ersteren vom Anspruchsinhaber geltend gemacht oder wie dem vom Luftfahrtunternehmen entgegengetreten worden ist – auf diesen Punkt komme ich später zurück.

69.

Wie von allen Parteien und Beteiligten im Verfahren vor dem Gericht übereinstimmend betont, kann indes das vorstehend erörterte Kriterium „kann etwas hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg entfiele“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal nicht ohne Einschränkung angewendet werden. Andernfalls würde der Anwendungsbereich dieser Bestimmung und letztlich auch der danach bestehende Umfang der Haftung des Luftfahrtunternehmens überdehnt.

70.

Betrachten wir hierzu folgenden hypothetischen Fall: An einem Flugzeug, das eine Fußballnationalmannschaft zu einer Weltmeisterschaft befördert, ereignet sich der „Unfall“ eines Schadens an einem seiner Triebwerke, und es muss notlanden. Die Spieler werden während dieses Vorfalls nicht verletzt, stehen aber verständlicherweise hierdurch unter Schock. Das Trauma dieses „Unfalls“ baut sich eine Woche lang auf, bis während eines Spiels einer der Spieler, davon abgelenkt, den Ball verfehlt, sein Gleichgewicht verliert, stürzt und sich das Fußgelenk verstaucht – eine Verletzung, die angesichts der nachteiligen Auswirkungen, die sie gewiss auf die Möglichkeit dieses Spielers hätte, weiter an diesem Sportereignis teilzunehmen, erheblichen Schadenersatz nach sich ziehen könnte.

71.

Möglicherweise hätte der Spieler, wenn der ursprüngliche „Unfall“ hinweggedacht würde, die in Rede stehende Körperverletzung nicht erlitten. Die Bestimmung des Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal würde jedoch überdehnt, wenn angenommen werden sollte, dass Verletzungen wie die vorgenannte, die nur sehr entfernt mit einem „Unfall“ zusammenhängt, unter diese Bestimmung fielen. Hafteten Luftfahrtunternehmen danach für derart fernliegende Folgen eines Unfalls, der sich an Bord ihrer Luftfahrzeuge ereignet hat, würde ihnen möglicherweise eine übermäßige, schwer bestimmbare und berechenbare Ersatzpflicht aufgebürdet. Der von den Verfassern des Übereinkommens angestrebte „gerechte Interessenausgleich“ zwischen Reisenden und Luftfahrtunternehmen wäre nicht gewahrt ( 81 ). Entsprechend ist, wie von DB vorgetragen, im Recht der Vertragsstaaten allgemein anerkannt, dass das Kriterium „kann etwas hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg entfiele“ nicht ausreicht, um die Haftung in angemessenen Grenzen zu halten ( 82 ).

72.

Daher muss stets ein zweites Kriterium angewendet werden. Hierbei handelt es sich um ein Kriterium rechtlicher Natur, das somit mit einer rechtspolitischen Entscheidung verbunden ist. Danach ist zu prüfen, ob der Kausalzusammenhang zwischen einem „Unfall“ und der Körperverletzung eines Reisenden, über die bloße Erfüllung des Kriteriums „kann etwas hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg entfiele“ hinaus, hinreichend erheblich ist, so dass es im Licht des Ziels und Zwecks des Übereinkommens von Montreal gerechtfertigt und vernünftig erscheint, Art. 17 Abs. 1 anzuwenden und das Luftfahrtunternehmen nach dieser Bestimmung haftbar zu machen. Dieses Kriterium entspricht dem, was in den Ländern des Civil Law als „adäquate Ursache“ und in den Ländern des Common Law als „proximate cause“ („unmittelbare Ursache“) bezeichnet wird.

73.

Im Allgemeinen wird im Recht der Vertragsstaaten ( 83 ) unter allen Faktoren, die zu einem Schaden beigetragen haben, ein Verhalten oder Ereignis als eine ( 84 )„adäquate“/„unmittelbare“ ( 85 ) und damit anspruchsbegründende Ursache dieses Schadens angesehen, wenn Letzterer eine natürliche Folge des Ersteren ist. Das klassische Unterkriterium besteht darin, zu prüfen, ob der in Rede stehende Schaden eine vorhersehbare Folge dieses Verhaltens oder Ereignisses war, d. h., ob rückblickend ein hypothetischer unbeteiligter Betrachter unter Berücksichtigung aller Umstände und bisherigen Erfahrung vernünftigerweise hätte vorhersehen können, dass es einen solchen Schaden verursachen würde. Ein weiteres, damit eng zusammenhängendes Unterkriterium, auf das die deutsche Regierung hinweist, besteht darin, zu prüfen, ob der Schaden als Verwirklichung eines Risikos betrachtet werden kann, das dem in Rede stehenden Verhalten oder Ereignis inhärent ist ( 86 ). Beide Unterkriterien sind nicht erfüllt, wenn es unwahrscheinlich erscheint, dass das in Rede stehende Verhalten oder Ereignis zu diesem Schaden führen würde, und er nur wegen einer besonders atypischen oder ganz außergewöhnlichen Verkettung von Ereignissen eingetreten ist. Diese rechtliche Prüfung darf nicht abstrakt, sondern muss im Hinblick auf ihre eindeutige und fundierte rechtspolitische Zielsetzung durchgeführt werden: Zwar muss jeder allgemein für sein schädigendes Handeln verantwortlich sein, die zivilrechtliche Haftung kann jedoch vernünftigerweise nicht auf fernliegende Folgen des Letzteren ausgedehnt werden.

74.

Im Kontext von Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal bedeutet dies, wie von allen Beteiligten übereinstimmend vorgetragen ( 87 ), dass die Reichweite dieser Bestimmung und der Umfang der danach bestehenden Haftung des Luftfahrtunternehmens auf Körperverletzungen begrenzt sind, die vorhersehbare Folgen des in Rede stehenden „Unfalls“ oder, anders formuliert, Verletzungen sind, die die Verwirklichung eines diesem Ereignis inhärenten Risikos darstellen. Bei diesen ist rechtlich betrachtet anzunehmen, dass sie im Sinne dieser Bestimmung durch den in Rede stehenden „Unfall“„verursacht“ worden sind. Nicht anzunehmen ist dies dagegen bei Verletzungen, die sich rückblickend als unwahrscheinliche Folgen des „Unfalls“ darstellen und sich aus ihm nur wegen einer besonders atypischen oder ganz außergewöhnlichen Verkettung von Ereignissen ergeben haben. Auch diesem Ansatz folgen insbesondere die Gerichte der Vereinigten Staaten. Ihrer Auffassung nach setzt das Kausalitätserfordernis des Art. 17 Abs. 1 voraus, dass ein Anspruchsinhaber nicht nur nachweist, dass ein „Unfall“ Teil der „Ursachenkette“ ist, die zu seiner Schädigung führt, sondern auch, dass Letztere durch Ersteren in adäquater („unmittelbarer“) Weise verursacht worden ist ( 88 ).

75.

Im Ausgangsverfahren ist unstreitig, dass das oben dargestellte erste Kriterium erfüllt ist. Dies wurde vom vorlegenden Gericht bereits festgestellt. Es liegt, tatsächlich betrachtet, auf der Hand, dass DB, wenn der „Unfall“ des Umfallens der Kanne mit Kaffee hinweggedacht wird, die Verletzungen, für die er Schadenersatz begehrt, nicht erlitten hätte – und dies gilt auch dann, wenn man der Argumentation von DB folgt, dass seine ursprünglichen Verbrennungen insoweit von ihrer späteren „Aggravierung“ abzugrenzen seien ( 89 ). Streicht man nämlich, wie von diesem Gericht und allen Beteiligten angeführt, das Umfallen der Kaffeekanne aus der Gleichung, hätte DB keine Verbrennung erlitten und seine (dann) nicht existierenden Verbrennungen hätten sich selbstverständlich anschließend nicht möglicherweise „aggravieren“ können.

76.

Sicherlich könnten die angeblichen Versäumnisse des Kabinenpersonals bezüglich der ordnungsgemäßen medizinischen Erstversorgung, soweit sie erwiesen wären, als ein weiteres „Glied“ in der „Kette von Ursachen“ angesehen werden, die zu dieser sogenannten „Aggravierung“ geführt haben. Ausgehend von der Annahme, i) dass das Kabinenpersonal rechtlich verpflichtet war, auf die von DB erlittene Verbrühung in bestimmter Weise zu reagieren, weil es einer Sorgfaltspflicht gegenüber Reisenden ( 90 ) und/oder branchenüblichen Standards ( 91 ) unterlag, ii) dass es diese Reaktion unterließ und iii) dass es, wenn es dies nicht unterlassen hätte, die von DB erlittenen Verbrennungen hätte lindern können, könnte man wohl davon ausgehen, dass diese Verletzungen dann, wenn man dieses Unterlassen hinwegdenkt, nicht in der Form eingetreten wären, in der sie letztlich eintraten – und sie sich nicht, wie von DB vorgetragen, „aggraviert“ hätten. Diese Erwägung ist jedoch unerheblich. Wie oben in Nr. 67 ausgeführt, ist es zur Erfüllung des ersten Kriteriums ausreichend, wenn der „Unfall“einer der Faktoren ist, die zum Eintreten der in Rede stehenden Verletzung beigetragen haben; er braucht nicht die einzige Ursache zu sein.

77.

Das zweite Kriterium ist vorliegend ungeachtet der Bemühungen DBs, den Gerichtshof vom Gegenteil zu überzeugen, ebenso eindeutig erfüllt. Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der „Unfall“ des Umfallens der Kaffeekanne die geltend gemachten Verletzungen als „adäquate“/„unmittelbare“ Ursache verursacht habe, da sie keine vorhersehbaren Folgen dieses „Unfalls“ seien. Nach Ansicht von DB ist diese Aggravierung nur aufgrund einer atypischen Verkettung von Ereignissen eingetreten. Typischerweise erhalte nämlich eine Person nach einer Verbrühung an Bord eines Flugzeugs eine hinreichende und angemessene medizinische Erstversorgung, die eine Aggravierung ihrer Verletzungen verhindere. Das hier vorliegende außergewöhnliche Versäumnis eines solchen Handelns durch das Bordpersonal wirke als „überlagernde Ursache“, die die zum ursprünglichen „Unfall“ zurückführende „Kette“ unterbreche.

78.

Dieses Vorbringen hält jedoch einer näheren Prüfung nicht stand. Erstens wäre auch hier die „Aggravierung“, selbst wenn die von DB erlittenen ursprünglichen Verbrennungen von ihrer „Aggravierung“ zu trennen wären, offenkundig eine vorhersehbare Folge der Verbrühung, da diese „Aggravierung“ das darstellt, was sich aus dem natürlichen Verlauf der Verletzung ergeben hätte – oder vorliegend möglicherweise ergeben hat. Mit anderen Worten war, wie von der deutschen Regierung formuliert, die Gefahr einer „Aggravierung“ der Verbrennungen im „Unfall“ des Umfallens der Kanne bereits angelegt. Die von der Besatzung geleistete medizinische Erstversorgung diente gerade dazu, die Verwirklichung dieser Gefahr zu verhindern. Es besteht also ein eindeutiger und enger „Ursache-Wirkungs“-Zusammenhang zwischen den von DB erlittenen Verletzungen – wie gesagt, auch wenn sie abgrenzbar/abzugrenzen wären – und dem in Rede stehenden „Unfall“.

79.

Stellen wir uns in diesem Zusammenhang eine Fallgestaltung vor, die nichts mit der Beförderung von Reisenden zu tun hat, die aber meines Erachtens recht anschaulich ist. Eine Person lässt fahrlässig eine brennende Kerze auf den Vorhang des Hauses ihres Nachbarn fallen. Es kommt zu einem Brand. Die zum Einsatz gerufenen Feuerwehrleute verfügen fahrlässig nicht über die erforderliche Ausrüstung und gehen nicht ordnungsgemäß gegen die Flammen vor. Am Ende brennt das Haus ab. Folgt man der Argumentation von DB, wäre dies als unwahrscheinliche Folge des Fallenlassens der Kerze anzusehen, denn wenn die Feuerwehrleute ihre Sorgfaltspflicht erfüllt und es geschafft hätten, das Feuer zu löschen, wäre der Schaden am Haus gemildert worden. Es ist offensichtlich, dass hier ein logischer Irrtum vorliegt. Es war eindeutig vorhersehbar, dass das Fallenlassen einer Kerze auf einen Vorhang möglicherweise zum Abbrennen des Hauses führen konnte. Anders ausgedrückt, lag dieses Endergebnis eindeutig „innerhalb des Risikos“, das diesem Handeln inhärent war.

80.

Zweitens mag in der vorliegenden Rechtssache, entgegen dem Vorbringen von DB, die Reaktion des Bordpersonals auf das Umfallen der Kanne, wenn sie sich als nicht normgerecht erweisen sollte, wie schon ausgeführt, sicherlich als weitere Ursache der „Aggravierung“ seiner Verletzungen angesehen werden, dies kann jedoch nicht so weit gehen, dass sie die „Kette unterbricht“, die zum auslösenden „Unfall“ zurückführt. Dies wäre, wie sich aus den Nrn. 73 und 74 oben ergibt, nur dann der Fall, wenn das Verhalten des Bordpersonals derart besonders atypisch oder ganz außergewöhnlich gewesen wäre, dass dieses Verhalten – und die letztlich erlittenen Verletzungen – sich für einen hypothetischen unbeteiligten Betrachter rückblickend als unwahrscheinlich darstellen würde ( 92 ). Nur dann wäre es, rechtspolitisch betrachtet, unvernünftig, diese Verletzungen diesem „Unfall“ zuzurechnen. Dies ist eine hohe Messlatte, die in einem Fall wie demjenigen des Ausgangsverfahrens ganz einfach nicht erreicht wird.

81.

Wie nämlich von Austrian Airlines, der deutschen Regierung und der Kommission treffend bemerkt, kann es sich einem solchen unbeteiligten Betrachter rückblickend kaum als unwahrscheinlich darstellen, dass ein Flugbegleiter, der möglicherweise nur eine begrenzte medizinische Schulung erhalten hat und andere Aufgaben und Reisende zu betreuen hat, es versäumt, einem verletzten Reisenden in der potenziell stressbelasteten Situation nach einem „Unfall“ die erforderliche medizinische Versorgung und Betreuung zukommen zu lassen ( 93 ). Dies ist nicht so „atypisch“ oder „außergewöhnlich“. Dass so etwas passieren kann, ist nicht fernliegend, denn erfahrungsgemäß machen Menschen in solchen Situationen Fehler. Entsprechend stellt es sich dar, wenn vor einem Flug fahrlässig versäumt wird, eine Notfallausrüstung aufzufüllen ( 94 ).

82.

Ein ähnliches Beispiel wäre der Fall einer Person, die von einem von einer anderen Person fahrlässig gesteuerten Auto angefahren wird und sich dabei einen Arm bricht, der operiert werden muss. Bei der Operation lässt der Chirurg die nötige Sorgfalt außer Acht und schafft es nicht, die Verletzung zu lindern, verschlimmert sie oder verursacht sogar eine andere Verletzung. In der Regel unterbrechen nach den Rechtsordnungen der Vertragsstaaten solche ärztlichen Fehler nicht die Kette, die zu der ursprünglichen Fahrlässigkeit des Fahrers zurückführt, da sie nicht so besonders „atypisch“ oder ganz „außergewöhnlich“ sind, dass sie sich rückblickend als unwahrscheinlich darstellen, weil sie leider regelmäßig vorkommen ( 95 ).

83.

Meines Erachtens steht diese Auslegung des Kausalitätserfordernisses nach Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal in einem Fall wie demjenigen des Ausgangsverfahrens mit der Systematik, dem Ziel und dem Zweck dieses Übereinkommens voll im Einklang.

84.

Erstens soll im Rahmen der Haftungsregelung des Übereinkommens von Montreal bei „Körperverletzung“ eines Reisenden die Frage, ob die Beschäftigten des Luftfahrtunternehmens im Fall eines „Unfalls“ die erforderlichen Maßnahmen ergriffen haben, um die Verletzung abzuwenden, erst auf der Ebene der Verteidigungsmittel nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a dieses Übereinkommens im Hinblick auf die Begrenzung der Haftung des Luftfahrtunternehmens nach Art. 17 Abs. 1 eine Rolle spielen ( 96 ). Daher ist dieser Aspekt, aller Logik nach, zu einem vorgelagerten Zeitpunkt, bei der Beurteilung der Frage, ob angenommen werden kann, dass dieser „Unfall“ diese Verletzung „verursacht“ hat, und somit, ob der streitige Anspruch unter die letztgenannte Vorschrift fällt, nicht zu berücksichtigen.

85.

Zweitens trägt diese Auslegung zu dem von den Verfassern des Übereinkommens von Montreal angestrebten „gerechten Interessenausgleich“ zwischen Reisenden und Luftfahrtunternehmen bei. Sie stellt sicher, dass ein Anspruchsinhaber dann, wenn ein Schadenersatzanspruch nach Art. 17 Abs. 1 dieses Übereinkommens innerhalb der dort vorgesehenen zweijährigen Ausschlussfrist geltend gemacht wird, nach dieser Vorschrift für sämtliche nachteiligen Folgen entschädigt werden kann, die sich in adäquater („unmittelbarer“) Weise aus dem in Rede stehenden „Unfall“ ergeben, und zwar auch für solche, die möglicherweise zum Teil aufgrund der späteren unangemessenen oder unzureichenden medizinischen Erstversorgung entstanden sind ( 97 ). Zugleich wäre eine solche Haftung nicht überzogen, sondern vielmehr angesichts der Bedeutung des „Unfalls“ im Gesamtbild gerechtfertigt angemessen ( 98 ).

86.

Drittens bin ich mit dem vorlegenden Gericht und der Kommission der Ansicht, dass diese Auslegung auch zur einheitlichen Anwendung des Übereinkommens von Montreal beiträgt. Wie im ersten Abschnitt meiner Würdigung ausgeführt, sieht dieser Rechtsakt insoweit eine zwingende Haftungsregelung vor. Wie oben in Nr. 68 erwähnt, ist demnach die Frage, ob ein Anspruch unter Art. 17 Abs. 1 fällt, nicht danach zu beurteilen, wie er geltend gemacht wurde, sondern vielmehr objektiv anhand des tatsächlichen Sachverhalts. Die von mir vertretene Auslegung stellt gerade auch sicher, dass, wann immer ein Anspruch Verletzungen betrifft, die in einem objektiven und engen Zusammenhang mit einem „Unfall“ stehen, eine geschickte Anwältin oder ein geschickter Anwalt das Übereinkommen und insbesondere die zweijährige Ausschlussfrist für die Klageerhebung nicht dadurch umgehen kann, dass sie oder er ( 99 ) diese Verletzungen raffiniert von diesem Ereignis trennt, worum DB vorliegend bemüht war ( 100 ).

2. Könnte das Versäumnis einer angemessenen und hinreichenden medizinischen Erstversorgung durch das Bordpersonal für sich genommen einen „Unfall“ darstellen?

87.

Austrian Airlines hat in seinen Erklärungen die Ansicht vertreten, dass, selbst wenn das Umfallen der Kaffeekanne rechtlich nicht als „Ursache“ der von DB geltend gemachten Verletzungen angesehen werden könne, dieser Umstand unerheblich sei. Nach Ansicht des Luftfahrtunternehmens soll nämlich der Faktor, den der Kläger als eigentliche „Ursache“ dieser Verletzungen vorbringe, also die von den Flugbegleitern geleistete medizinische Erstversorgung, für sich genommen als „Unfall“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal anzusehen sein. Somit fiele der von DB geltend gemachte Anspruch jedenfalls, selbst bei enger Auslegung der Ausschließlichkeit dieses Rechtsakts ( 101 ), in dessen Anwendungsbereich und sei als verjährt präkludiert.

88.

Diese Frage unterscheidet sich wesentlich von derjenigen, die das vorlegende Gericht stellt. Es handelt sich nicht mehr um eine Frage der Kausalität als solche, sondern um die rechtliche Einstufung eines bestimmten Verhaltens des Bordpersonals. Diese Frage ist ferner vor dem Gerichtshof inhaltlich nicht erörtert worden. Sie wurde vielmehr von DB und Austrian Airlines in ihren Erklärungen lediglich oberflächlich angesprochen. Vor allem aber ist es, wie ich im nächsten Absatz erläutern werde, im Rahmen der vorliegenden Rechtssache nicht erforderlich, darauf einzugehen. Aus all diesen Gründen würde ich dem Gerichtshof dringend empfehlen, in diese Erörterung nicht einzutreten. Für den Fall, dass er sich dennoch entscheiden sollte, dies zu tun, werde ich hilfsweise kurz darauf eingehen.

89.

Wenn sich – wie dies im Ausgangsverfahren der Fall ist – während eines internationalen Fluges ein „Unfall“ ereignet, wie etwa das versehentliche Umkippen einer Kanne mit kochendem Kaffee auf einen Fluggast, das zu Körperverletzungen führt, braucht man sich im Allgemeinen nicht zu fragen, ob das anschließende Versäumnis einer ordnungsgemäßen medizinischen Erstversorgung der Verletzungen durch das Bordpersonal ebenfalls als solcher zu qualifizieren ist. Wie im vorstehenden Abschnitt dargelegt, reicht der Umstand, dass der ursprüngliche „Unfall“ zu diesen Verletzungen in „adäquater“/„unmittelbarer“ Weise beigetragen hat, für Art. 17 Abs. 1 aus, sei es, um das Luftfahrtunternehmen zur Entschädigung des Geschädigten zu verurteilen, oder, wie dies im Ausgangsverfahren der Fall ist, um dessen Anspruch als durch das Übereinkommen präkludiert abzuweisen. Eine weitere Prüfung der „Ursachenkette“, die zu den Verletzungen geführt hat, um dort einen oder mehrere weitere „Unfälle“ auszumachen, wäre überflüssig ( 102 ).

90.

Diese Frage wird nur in Fällen relevant, in denen, anders als im Ausgangsverfahren, Fluggäste während eines internationalen Fluges medizinische Probleme wie einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt erleiden, die nicht durch ein außergewöhnliches Ereignis, sondern ausschließlich durch einen vorbestehenden Gesundheitszustand hervorgerufen werden, der sich zufällig an Bord manifestiert. Diese medizinischen Probleme sind nämlich in der Regel nicht als „Unfälle“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal anzusehen, da sie nicht „außerhalb der Sphäre“ des betreffenden Reisenden ( 103 ), sondern vielmehr rein „innerhalb der Sphäre“ des Reisenden ( 104 ) stehen. In diesem Zusammenhang ist, je nach Kontext ( 105 ) entweder von Reisenden oder von Fluggesellschaften, vorgebracht worden, dass das Versäumnis des Bordpersonals, angemessen auf das betreffende medizinische Problem zu reagieren – weil es von ihm ignoriert wurde, weil von ihm keine hinreichende medizinische Erstversorgung geleistet wurde oder weil die dafür erforderliche Ausrüstung nicht an Bord war, weil zu Unrecht beschlossen wurde, das Flugzeug nicht zur sofortigen Behandlung zu einem nahe gelegenen Flughafen umzuleiten, usw. –, für sich genommen einen solchen „Unfall“ darstellen könnte, der schließlich zur Körperverletzung oder zum Tod des Reisenden beigetragen habe.

91.

Es gibt zahlreiche Entscheidungen zu dieser konkreten Frage, insbesondere von Gerichten der Vereinigten Staaten. Diese Rechtsprechung ist jedoch nicht ganz gefestigt. So haben DB und Austrian Airlines jeweils ihre gegenteiligen Ansichten stützende Entscheidungen angeführt.

92.

In einer ersten Rechtsprechungslinie, die von DB als „herrschende Meinung“ angeführt wird, ist von diesen Gerichten das Vorbringen abgelehnt worden, dass Versäumnisse des Bordpersonals im Hinblick auf die Leistung einer ordnungsgemäßen medizinischen Erstversorgung, die Vorhaltung angemessener medizinischer Ausrüstung an Bord oder die Umleitung des Flugzeugs zu einem nahe gelegenen Flughafen für sich genommen „Unfälle“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 darstellen könnten ( 106 ).

93.

Nach einer zweiten Rechtsprechungslinie, die von Austrian Airlines als „eigentliche“ herrschende Meinung angeführt wird und mit der richtungweisenden Entscheidung des United States Supreme Court (Oberster Gerichtshof der Vereinigten Staaten) in der Rechtssache Husain ( 107 ) beginnt, kann dagegen die Reaktion des Bordpersonals auf ein medizinisches Problem eines Reisenden in bestimmten Fällen als ein „Unfall“ anzusehen sein. Dies ist dann der Fall, wenn das Personal des Luftfahrtunternehmens von branchenüblichen Sorgfaltsstandards und/oder Grundsätzen und Verfahren der Fluggesellschaft abweicht, nach denen von ihm unter bestimmten Umständen ein bestimmtes Verhalten verlangt wird, etwa die Bereitstellung von Sauerstoff bei einem Herzinfarkt usw., und der Umfang dieser Abweichung so erheblich ist, dass seine Reaktion als „ungewöhnlich“ und/oder „unerwartet“ angesehen werden kann ( 108 ).

94.

Wie oben erwähnt, sollte der Gerichtshof meines Erachtens zu dieser Frage in der vorliegenden Rechtssache nicht Stellung nehmen, insbesondere weil sie, dies sei wiederholt, für den Fall des Ausgangsverfahrens unerheblich ist. Für den Fall, dass er dennoch Stellung nehmen sollte, würde ich ein gewisses Maß an Zurückhaltung empfehlen. Durch die Begründung des United States Supreme Court (Oberster Gerichtshof der Vereinigten Staaten) in der Rechtssache Husain wird der Begriff des „Unfalls“ meines Erachtens nicht unerheblich ausgedehnt. Dass das Verhalten des Bordpersonals für sich genommen als ein „Ereignis“ angesehen werden könnte, wirft schon gewisse begriffliche Schwierigkeiten auf ( 109 ). Der Aspekt dieser Auslegung, der die größte Herausforderung darstellt, ist jedoch der zugrunde liegende Gedanke, dass die „Ungewöhnlichkeit oder Unerwartetheit“ (oder „Unvorhergesehenheit“) eines solchen „Ereignisses“ davon abhängen soll, ob das Personal von einem rechtlich vorgeschriebenen Verhalten abgewichen ist – mit anderen Worten, ob es fahrlässig gehandelt hat.

95.

Dieser Ansatz kann nämlich möglicherweise dazu führen, dass die Prüfung, ob ein „Unfall“ vorliegt, also etwas, das eher einfach sein sollte, zu einer langwierigen Erörterung mit komplexen Beurteilungen von Tatsachen und Rechtsfragen wird. Insoweit lässt, wenngleich in vielen Rechtsordnungen anerkannt ist, dass Luftfahrtunternehmen gegenüber Reisenden eine Sorgfaltspflicht haben, und obwohl es branchenübliche Standards im Hinblick auf medizinische Probleme gibt ( 110 ), die Frage, was genau in einer bestimmten Situation erforderlich ist, von den seltenen offensichtlichen Fällen wie der Rechtssache Husain abgesehen, oft Raum für verschiedene Ansichten ( 111 ). Hinzuweisen ist vor allem darauf, dass der Begriff „Unfall“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal ein objektiver Begriff sein soll. Für die Entscheidung, ob ein bestimmtes Ereignis als solcher anzusehen ist, kommt es normalerweise nicht auf eine Fahrlässigkeit des Luftfahrtunternehmens an ( 112 ). Wie oben in Nr. 84 erwähnt, sollte dies erst auf der Ebene der Verteidigungsmittel nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a dieses Übereinkommens eine Rolle spielen. In dieser Hinsicht könnte die Entscheidung Husain dafür kritisiert werden, dass sie den Schwerpunkt der „Unfall“-Prüfung von der Art des die Körperverletzung verursachenden Ereignisses zu dem angeblichen Versäumnis seiner Abwendung durch das Luftfahrtunternehmen verlagert.

96.

Was den Gerichtshof alles in allem bei der Auslegung des Begriffs „Unfall“ in solchen Fällen ( 113 ) meines Erachtens letztlich leiten sollte – und was einen weiteren Grund dafür darstellt, eine Entscheidung über diese Frage einer künftigen Rechtssache vorzubehalten –, ist die Auffassung, die er irgendwann zur Reichweite der Ausschließlichkeit des Übereinkommens von Montreal vertreten wird.

97.

Zum einen sollte der Gerichtshof, für den Fall, dass er sich der weiten Ansicht zu dieser Ausschließlichkeit anschließen sollte, feststellen, dass ein Versäumnis des Bordpersonals, auf ein medizinisches Problem eines Reisenden angemessen zu reagieren, ungeachtet der durch diese Auslegung aufgeworfenen begrifflichen Schwierigkeiten, in der Tat einen „Unfall“ darstellt. Andernfalls würde den geschädigten Reisenden nämlich jedweder Anspruch genommen – da kein Anspruch nach Art. 17 Abs. 1 bestünde und Ansprüche wegen Fahrlässigkeit nach innerstaatlichem Recht durch das Übereinkommen präkludiert wären –, obwohl sie eine Körperverletzung erlitten haben, die zum Teil dem Verhalten des Personals des Luftfahrtunternehmens zuzurechnen ist. Ein solches Ergebnis könnte kaum dem „gerechten Interessenausgleich“ zwischen Luftfahrtunternehmen und Reisenden entsprechen. Außerdem würde es auch einen gewichtigen Anreiz für Fluggesellschaften entfallen lassen, ihrer Sorgfaltspflicht und den einschlägigen branchenüblichen Standards nachzukommen, da sie im Fall eines Verstoßes gegenüber den Geschädigten keine Haftung träfe.

98.

Die Entscheidung Husain sollte vor allem in diesem Licht betrachtet werden. Sie erging nach der Entscheidung desselben Supreme Court in der Rechtssache Tseng, wonach ein Reisender entweder einen Anspruch nach dem Übereinkommen von Montreal oder überhaupt keinen Anspruch hat. Durch die Einbeziehung von Fällen einer fahrlässigen Reaktion des Bordpersonals auf medizinische Probleme in den Begriff „Unfall“ stellte dieses Gericht sicher, dass die Geschädigten eines solchen Verhaltens Rechtsschutz erhalten können ( 114 ).

99.

Zum anderen sollte der Gerichtshof für den Fall, dass er sich der engen Ansicht zur Reichweite der Ausschließlichkeit des Übereinkommens von Montreal anschließen sollte, meines Erachtens an der „herkömmlichen“ Auslegung des Begriffs „Unfall“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 festhalten. Dann wäre im Fall der Feststellung, dass die Fahrlässigkeit des Bordpersonals im Umgang mit kranken Reisenden für sich genommen nicht als solcher anzusehen ist, ein Anspruch nach diesem Rechtsakt gewiss ausgeschlossen. Gleichzeitig wäre damit jedoch der Weg für Ansprüche wegen Fahrlässigkeit nach innerstaatlichem Recht eröffnet. Diese Fälle blieben somit nicht ungeregelt.

V. Ergebnis

100.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Obersten Gerichtshof (Österreich) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.

Art. 29 des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, das am 28. Mai 1999 in Montreal geschlossen, am 9. Dezember 1999 von der Europäischen Gemeinschaft unterzeichnet und durch den Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 in ihrem Namen genehmigt wurde (Übereinkommen von Montreal),

ist dahin auszulegen, dass

ein Anspruch gegen ein Luftfahrtunternehmen, unabhängig davon, wie er geltend gemacht wird, ausschließlich diesem Übereinkommen unterliegt, wenn er sich im Sinne von Art. 17 Abs. 1 dieses Übereinkommens objektiv auf die Körperverletzung eines Reisenden während eines in den allgemeinen Anwendungsbereich dieses Übereinkommens fallenden internationalen Fluges wegen eines Unfalls, der sich an Bord des Luftfahrzeugs ereignet hat, bezieht. Folglich gelten für einen solchen Anspruch zwingend die in diesem Übereinkommen festgelegten Haftungsvoraussetzungen und ‑beschränkungen, einschließlich der zweijährigen Ausschlussfrist nach Art. 35 Abs. 1 dieses Übereinkommens. Diese Antwort lässt die Frage unberührt, ob andere Arten von Körperverletzungen von Reisenden ebenfalls ausschließlich diesem Übereinkommen unterliegen.

2.

Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal

ist dahin auszulegen, dass

im Sinne von Art. 17 Abs. 1 dieses Übereinkommens angenommen werden kann, dass die Körperverletzung eines Reisenden durch einen „Unfall“„verursacht“ worden ist, wenn i) dieses Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Verletzung nicht eingetreten wäre, und ii) Letztere eine vorhersehbare Folge von Ersterem war, auch wenn zu dieser Körperverletzung möglicherweise auch ein anderer Faktor, wie etwa die anschließend von den Flugbegleitern nicht ordnungsgemäß geleistete medizinische Erstversorgung, beigetragen hat.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Dieses am 28. Mai 1999 in Montreal geschlossene Übereinkommen wurde von der Europäischen Gemeinschaft am 9. Dezember 1999 unterzeichnet und in ihrem Namen durch den Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 (ABl. 2001, L 194, S. 38) genehmigt.

( 3 ) Am 12. Oktober 1929 in Warschau unterzeichnetes Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (im Folgenden: Warschauer Abkommen).

( 4 ) Verordnung des Rates vom 9. Oktober 1997 (ABl. 1997, L 285, S. 1).

( 5 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Mai 2002 (ABl. 2002, L 140, S. 2).

( 6 ) Ob das, was getan wurde, ausreichend und angemessen war, ist zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens streitig (siehe unten, Fn. 8).

( 7 ) Vgl. § 1489 des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs.

( 8 ) DB behauptet, dass die Flugbegleiter seine Verbrennungen nicht mit kaltem Wasser gekühlt, sondern ihm lediglich eine kleine Tube Salbe zum Auftragen auf die Verbrennungen gegeben hätten. Außerdem habe die Erste-Hilfe-Ausrüstung nicht in ausreichender Menge Salbe zur Behandlung der Verbrennungen oder Verbände enthalten. Diese tatsächlichen Umstände werden von Austrian Airlines offenbar bestritten.

( 9 ) Das erstinstanzliche Gericht war der Auffassung, dass das Warschauer Abkommen und nicht das Übereinkommen von Montreal anzuwenden sei, weil es annahm, dass Israel lediglich Vertragsstaat des ersteren Abkommens sei. Wie jedoch vom Berufungsgericht festgestellt, hinterlegte Israel am 19. Januar 2011 eine Beitrittsurkunde zum Übereinkommen von Montreal, so dass dieses Übereinkommen für diesen Staat am 20. März desselben Jahres in Kraft trat (siehe https://www.icao.int/secretariat/legal/List%20of%20Parties/Mtl99_EN.pdf).

( 10 ) Siehe oben, Fn. 2.

( 11 ) Vgl. insbesondere Urteil vom 19. Dezember 2019, Niki Luftfahrt (C‑532/18, EU:C:2019:1127, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung, im Folgenden: Urteil Niki Luftfahrt).

( 12 ) Siehe oben, Nr. 9. Da des Weiteren Austrian Airlines offenbar ein „Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2027/97 ist, ist diese Verordnung ebenfalls anwendbar. Hinsichtlich der Haftung eines solchen Luftfahrtunternehmens für Körperverletzungen von Fluggästen verweist Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung jedoch einfach auf die Bestimmungen des Übereinkommens von Montreal.

( 13 ) Oder „beim Ein- oder Aussteigen“. In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich mich jedoch auf an Bord des Flugzeugs eintretende Verletzungen konzentrieren.

( 14 ) Oder alternativ mit dem Tag, an dem das Flugzeug hätte ankommen sollen oder an dem die Beförderung abgebrochen worden ist.

( 15 ) Vgl. oben, Nrn. 9 und 11.

( 16 ) Vgl. § 1489 des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs.

( 17 ) Auf die Art. 18 und 19 des Übereinkommens von Montreal gehe ich im Folgenden in den vorliegenden Schlussanträgen nicht ein, da sie für die vorliegende Rechtssache nicht relevant sind.

( 18 ) Zu der/den Definition/en dieses Begriffs, siehe unten, Nr. 58.

( 19 ) Zu letzterer Frage siehe unten, Nr. 58.

( 20 ) Diese beiden Bestimmungen sind trotz einiger Unterschiede im Wortlaut allgemein gleichbedeutend. Die Rechtsprechung und Literatur zu Art. 24 des Warschauer Abkommens sind daher für die Auslegung von Art. 29 des Übereinkommens von Montreal relevant. Entsprechendes gilt für Art. 17 des erstgenannten Abkommens und Art. 17 Abs. 1 des letztgenannten Abkommens (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe in der Rechtssache Niki Luftfahrt, C‑532/18, EU:C:2019:788, Nrn. 26, 27 und 43). Ich werde daher unterschiedslos auf Entscheidungen sowohl zum einen als auch zum anderen Übereinkommen verweisen.

( 21 ) Vgl. mit derselben Ansicht Chapman, M., Prager, S., Harding, J., Saggerson on Travel Law and Litigation, 5. Aufl., Wildy, Simmonds & Hill Publishing, London, 2013, S. 513, § 10.103, sowie Giemulla, E., „Article 29 – Principles for claims“, in Montreal Convention, Kluwer, Niederlande, 2006, S. 5 bis 7, §§ 10 bis 13.

( 22 ) Vgl. insbesondere Urteil des Supreme Court of the United States (Oberster Gerichtshof der Vereinigten Staaten) vom 12. Januar 1999, El Al Israel Airlines, Ltd./Tsui Yuan Tseng, 525 US 155 (im Folgenden: Urteil Tseng). Vgl. ferner die Ansicht von G. N. Tompkins, insbesondere in Hobe, S., von Ruckteschell, N., Heffernan, D. (Hrsg.), Cologne compendium on air law in Europe, Carl Heymanns Verlag KG, 2013, S. 1004 bis 1005, §§ 143 bis 148.

( 23 ) Siehe hierzu oben, Nr. 18.

( 24 ) Hätte DB seine Klage innerhalb der zweijährigen Ausschlussfrist nach Art. 35 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal erhoben, wäre die Frage, ob seine Verletzungen durch einen „Unfall“ verursacht wurden, nach der weiten Ansicht zwar zu prüfen gewesen, jedoch nur, um darüber zu entscheiden, ob überhaupt ein Anspruch bestanden hätte.

( 25 ) Vgl. jedoch die in unten in Nr. 50 erörterten Urteile. Diese Frage stellte sich auch in der Rechtssache, in der das Urteil vom 20. Oktober 2022, Laudamotion (C‑111/21, EU:C:2022:808), erging. Der Gerichtshof stellte jedoch fest, dass sie in jener Rechtssache nicht beantwortet werden musste (vgl. Rn. 34 jenes Urteils).

( 26 ) Urteil des House of Lords (Schottland) vom 12. Dezember 1996, Abnett/British Airways Plc ([1997] A.C. 430, im Folgenden: Urteil Sidhu).

( 27 ) Den Urteilen Sidhu und/oder Tseng haben sich insbesondere der Court of Appeal of New Zealand (Berufungsgericht Neuseeland) in seinem Urteil Emery Air Freight Corp./Nerine Nurseries Ltd ([1997] 3 NZLR 723), der Federal Court of Australia (Bundesgericht Australien) in seinem Urteil vom 9. September 1998, South Pacific Air Motive Pty Ltd/Magnus (157 ALR 443 [1998]), und der Supreme Court of Canada (Oberster Gerichtshof Kanada) in seinem Urteil vom 28. Oktober 2014, Thibodeau/Air Canada ([2014] 3 S.C.R. 340), angeschlossen. Die weite Ansicht wurde auch vom Bundesgerichtshof (Deutschland) in seinem Urteil vom 15. März 2011 (Az. X ZR 99/10) übernommen.

( 28 ) Vgl. insbesondere Urteil des Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) vom 5. März 2014, Hook/British Airways Plc ([2014] WL 795206).

( 29 ) Vgl. insbesondere die Nachweise unten in Fn. 55.

( 30 ) Schlussanträge in der Rechtssache C‑589/20 (im Folgenden: meine Schlussanträge in der Rechtssache Austrian Airlines [Haftungsbefreiung des Luftfahrtunternehmens], EU:C:2022:47, Nr. 29). Vgl. entsprechend Urteil vom 6. Oktober 2020, Kommission/Ungarn (Hochschulbildung) (C‑66/18, EU:C:2020:792, Rn. 92). Demnach werde ich in den vorliegenden Schlussanträgen auf einschlägige nationale Entscheidungen verweisen.

( 31 ) Dass er dies nicht beabsichtigt, hat der Gerichtshof bereits klargestellt, vgl. insbesondere die unten in Nr. 58 wiedergegebenen verschiedenen Definitionen des Begriffs „Unfall“.

( 32 ) Vgl. unter vielen die Entscheidungen des United States Court of Appeals, Third Circuit (Berufungsgericht der Vereinigten Staaten, 3. Bezirk), vom 19. Juli 1984, Stanley Abramson/Japan Airlines Co., Ltd (739 F.2d 130), und des US District Court, S.D. New York (Bundesbezirksgericht der Vereinigten Staaten für den Südbezirk des Bundesstaats New York) vom 24. September 1991, Walker/Eastern Air Lines, Inc. (775 F. Supp. 111) (mit der Feststellung, dass die enge Ansicht zur Ausschließlichkeit vor dem Urteil Tseng „der ganz herrschenden einhelligen Auffassung der Gerichte entsprach, die sich mit dieser Frage auseinandergesetzt haben“), sowie des United States Court of Appeals, Eleventh Circuit (Berufungsgericht der Vereinigten Staaten, 11. Bezirk), vom 25. August 1997, Krys/Lufthansa German Airlines (119 F.3d 1515).

( 33 ) Vgl. insbesondere Giemulla, E., a. a. O., S. 5, § 9, S. 8, § 15, mit weiteren Nachweisen im Schrifttum; McDonald, M., „The Montreal Convention and the Preemption of Air Passenger harm Claims“, The Irish Jurist, Vol. XLIV, 2010, S. 203 bis 238, sowie Bernard, N., „Taking Air Passenger Rights Seriously: the Case Against the Exclusivity of the Montreal Convention“, International Community Law Review, Vol. 23, Issue 4, 2021, S. 313 bis 343.

( 34 ) United Nations Treaty Series, Vol. 1155, S. 331 (im Folgenden: Wiener Übereinkommen). Siehe die Art. 31 und 32 dieses Übereinkommens.

( 35 ) Dieses Argument wird durch die zeitliche Entwicklung dieser Bestimmung bestärkt. Die ursprüngliche Fassung des (damaligen) Art. 24 des Warschauer Abkommens sah im Wesentlichen vor, dass „in den Fällen des Artikels 17“ Schadenersatzklagen nur unter den Voraussetzungen geltend gemacht werden können, die in jenem Abkommen vorgesehen sind. Der Wortlaut von Art. 24 wurde jedoch später durch das Protokoll von Montreal Nr. 4 zur Änderung des Abkommens zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr geändert. Dort wurde die Formulierung „in den Fällen des Artikels 17“ durch den – wohl umfassenderen – Ausdruck „[b]ei der Beförderung von Reisenden“ ersetzt.

( 36 ) Die Verfasser des Übereinkommens hätten beispielsweise festlegen können, dass „für Schäden oder Verletzungen jedweder Art, die sich aus der Beförderung im internationalen Luftverkehr ergeben …, unabhängig davon, wie sie verursacht worden sind, keine andere als die nach diesem Übereinkommen vorgesehenen Arten von Anspruchsgrundlagen in Anspruch genommen werden können“, vgl. McDonald, M., a. a. O., S. 205 und 227.

( 37 ) Vgl. fünfter Erwägungsgrund des Übereinkommens von Montreal.

( 38 ) Vgl. insbesondere Urteile Sidhu und Tseng.

( 39 ) Vgl. insbesondere Bernard, N., a. a. O., S. 313 bis 343.

( 40 ) Vgl. insbesondere Entscheidung des United States Court of Appeals, Third Circuit (Berufungsgericht der Vereinigten Staaten, 3. Bezirk), vom 19. Juli 1984, Stanley Abramson/Japan Airlines Co., Ltd (739 F.2d 130 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Giemulla, E., a. a. O., S. 5, § 9, S. 8, § 15, mit verschiedenen Nachweisen im Schrifttum.

( 41 ) Vgl. dritter Erwägungsgrund des Übereinkommens von Montreal.

( 42 ) Vgl. insbesondere McDonald, M., a. a. O., und Bernard N., a. a. O.

( 43 ) Vgl. fünfter Erwägungsgrund des Übereinkommens von Montreal.

( 44 ) Vgl. insbesondere Urteile Sidhu und Tseng.

( 45 ) Dies wurde von Lord Hope im Urteil Sidhu sehr aufrichtig anerkannt: „Es finden sich im [Protokoll der Zweiten Internationalen Konferenz zum privaten Luftfahrtrecht vom 4. bis 12. Oktober 1929 in Warschau] verschiedene Passagen, in denen von den Delegierten geäußerte Ansichten zum Gegenstand der Konferenz festgehalten sind. … Es handelt sich jedoch lediglich um flüchtige Äußerungen, die sich über mehrere Tage eingehender Beratung ergaben, zu der viele Delegierte beitrugen. Zu der Frage, um die es hier geht, … finde ich keine hinreichend klare und übereinstimmende Meinungsäußerung.“

( 46 ) „Mit Art. [29] soll sichergestellt werden, dass in dem Fall, dass das Übereinkommen Anwendung findet, keine Möglichkeit besteht, seine Bestimmungen dadurch zu umgehen, dass eine Klage auf Schadenersatz … aus Vertrag, unerlaubter Handlung oder sonstiger Grundlage erhoben wird. Sobald das Übereinkommen Anwendung findet, waren seine Haftungsvoraussetzungen und ‑beschränkungen anwendbar“ (vgl. Internationale Konferenz über Luftrecht, Protokoll der siebzehnten Sitzung, S. 3, § 10). Leider wurde von dem Vorsitzenden der „Fall, dass das Übereinkommen Anwendung findet“, nicht näher erläutert.

( 47 ) Vgl. Entscheidung des Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) vom 5. März 2014, Stott/Thomas Cook Tour Operators Limited ([2014] UKSC 2015) zur Verordnung (EG) Nr. 1107/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 über die Rechte von behinderten Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität (ABl. 2006, L 204, S. 1).

( 48 ) Vgl. insbesondere Entscheidung des United States Court of Appeals, Second Circuit (Berufungsgericht der Vereinigten Staaten, 2. Bezirk), vom 22. März 2002, King/American Airlines, Inc. (284 F.3d 352).

( 49 ) Vgl. insbesondere United States District Court, D. Maryland (Bundesbezirksgericht der Vereinigten Staaten für den Bezirk des Bundesstaats Maryland), vom 31. Januar 2007, Knowlton/American Airlines, Inc. (31 Avi 18.486). Zu weiteren Beispielen von Reisenden, denen ein Anspruch vorenthalten wurde, vgl. McDonald, M., a. a. O., S. 220 bis 223.

( 50 ) Vgl. insbesondere Giemulla, E., a. a. O., S. 5, § 9, und McDonald, M., a. a. O.

( 51 ) Vgl. insbesondere Entscheidung des Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) vom 5. März 2014, Stott/Thomas Cook Tour Operators Limited ([2014] WL 795206, § 63 bis 65).

( 52 ) Urteil vom 10. Januar 2006 (C‑344/04, EU:C:2006:10, Rn. 33 bis 48).

( 53 ) Urteil vom 23. Oktober 2012 (C‑581/10 und C‑629/10, EU:C:2012:657, Rn. 41 bis 60).

( 54 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs[‑] und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).

( 55 ) Vgl. insbesondere Wegter, J. J., „The ECJ Decision of 10 January 2006 on the Validity of Regulation 261/2004: Ignoring the Exclusivity of the Montreal Convention“, Air & Space Law, Vol. 31, Nr. 2, 2006, S. 133 bis 148, Radošević, S., „CJEU’s Decision in Nelson and Others in Light of the Exclusivity of the Montreal Convention“, Air & Space Law Vol. 38, Nr. 2, 2013, S. 95 bis 110, und Tompkins, G. N., „Are the Objectives of the 1999 Montreal Convention in Danger of Failure?“, Air & Space Law, Vol. 39, Nr. 3 (2014), S. 203 bis 214.

( 56 ) Das heißt, bei einer „Kumulierung“ von Anspruchsgrundlagen (siehe Nr. 26).

( 57 ) Vgl. oben, Nrn. 31 und 32.

( 58 ) Wie soeben erläutert, wäre eine Stellungnahme des Gerichtshofs zur Reichweite der Ausschließlichkeit nur dann erforderlich gewesen, wenn Körperverletzungen der von DB erlittenen Art nicht als Folge eines „Unfalls“ angesehen werden könnten. Aus diesem Grund hat das vorlegende Gericht die Fragestellung pragmatischerweise subsidiär aufgeworfen.

( 59 ) Siehe oben, Nr. 10.

( 60 ) Entscheidung des Supreme Court of the United States (Oberster Gerichtshof der Vereinigten Staaten) vom 4. März 1985 (470 U.S. 392 [1985]) (im Folgenden: Entscheidung Air France/Saks).

( 61 ) Rn. 35.

( 62 ) Vgl. entsprechend Urteil Niki Luftfahrt (Rn. 14 und 43).

( 63 ) Siehe oben, Nr. 14.

( 64 ) Zu betonen ist, dass dieser Gesichtspunkt zum gegenwärtigen Stand des Ausgangsverfahrens nicht erwiesen ist. Er wird nämlich von Austrian Airlines bestritten (siehe Fn. 8), und das vorlegende Gericht hat darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass er für den Erfolg des von DB geltend gemachten Klageanspruchs erheblich sei, weitere Beweise und Feststellungen hierzu erforderlich seien.

( 65 ) Zu weiteren Einzelheiten siehe oben, Fn. 8.

( 66 ) An dieser Stelle mag die Frage berechtigt sein, inwieweit der Gerichtshof sich im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV, das auf Fragen der Auslegung des Unionsrechts beschränkt ist, mit der Frage befassen kann, ob anzunehmen ist, dass ein bestimmter Unfall eine bestimmte Körperverletzung im Sinne von Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal „verursacht“ hat. Meines Erachtens kann er sich damit befassen, allerdings nur in bestimmtem Umfang. Wie ich im nächsten Abschnitt erläutern werde, läuft die Kausalität auf zwei Fragen hinaus. Erstens ist zu beurteilen, ob der „Unfall“ zum Eintritt der Körperverletzung beigetragen hat oder nicht (siehe Nrn. 66 bis 68). Dies ist offenkundig eine Tatsachenfrage, die in jedem Einzelfall vom nationalen Gericht zu klären ist. In der vorliegenden Rechtssache ist diese Frage unstreitig (siehe Nr. 75). Ein zweiter Aspekt der Kausalität ist die Frage, ob der „Unfall“ in einem hinreichenden Zusammenhang zu der in Rede stehenden Körperverletzung steht, um, rechtspolitisch betrachtet, die Anwendung von Art. 17 Abs. 1 zu rechtfertigen (siehe Nrn. 69 bis 74). Dies ist eine Frage des (Unions‑)Rechts und die einzige, um die es vorliegend geht (siehe Nrn. 77 ff.). Es mag auch die Frage gestellt werden, ob der Gerichtshof dies tun sollte. In meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Austrian Airlines (Haftungsbefreiung des Luftfahrtunternehmens) (Nr. 77) habe ich bereits im Einzelnen meine Bedenken dagegen dargestellt, dass der Gerichtshof im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens Fragen beantwortet, die auf einen sehr detailreichen und konkreten Sachverhalt zugeschnitten sind. Da es sich vorliegend jedoch um die erste Rechtssache handelt, in der es um das Kausalitätserfordernis in Art. 17 Abs. 1 geht, und da sie beispielhaften Charakter für künftige Verfahren hat, halte ich dies vorliegend für sinnvoll und sachgerecht.

( 67 ) Dass dieser Ansatz künstlich ist, zeigt sich meines Erachtens darin, dass Austrian Airlines und die Kommission die Frage, ob das Umfallen der Kanne und die anschließende medizinische Erstversorgung als einheitlicher „Unfall“ zu behandeln sind, dahin beantworten, dass sie eine ihrem Wesen nach kausalitätsbezogene Begründung vortragen – auf die ich, soweit relevant. zurückkommen werde. Auch die deutsche Regierung, die sich zum einen mit der Frage befasst, ob die beiden Ereignisse als einheitlicher „Unfall“ angesehen werden können, und zum anderen mit der Frage, ob die Verletzungen von DB als durch das Umfallen der Kanne „verursacht“ angesehen werden können, trägt in beiden Abschnitten im Wesentlichen dieselbe Begründung vor. Tatsächlich erörtert auch das vorlegende Gericht selbst die Frage im Vorabentscheidungsersuchen unter dem Gesichtspunkt der Kausalität.

( 68 ) Ich stimme insoweit mit der Auffassung des Berufungsgerichts im Ausgangsverfahren überein (siehe oben, Nr. 13).

( 69 ) Vorliegend wäre dies nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. 2008, L 177, S. 6) österreichisches Recht.

( 70 ) Die Voraussetzungen für die Haftung des Luftfahrtunternehmens, zumindest im Fall von Unfällen, gehören sicherlich zu den Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, die durch das Übereinkommen von Montreal vereinheitlicht werden sollten (siehe oben, Nrn. 44 und 45). Eine dieser Voraussetzungen anhand des lex contractus (Vertragsstatut) zu beurteilen, würde das Ziel der Einheitlichkeit beeinträchtigen, da die Haftung dann unterschiedlich ausfallen könnte, je nachdem, an welchem Gerichtsstand ein Anspruch geltend gemacht wird – da die verschiedenen Rechtswahlregeln der Vertragsstaaten möglicherweise auf unterschiedliche leges contractus (Vertragsstatute) verweisen können –, und letztlich je nachdem, welchen Inhalt dieses Recht hat.

( 71 ) Das Übereinkommen von Montreal verweist in bestimmten Fragen ausdrücklich – vgl. insbesondere Art. 33 Abs. 4 – oder implizit – vgl. Art. 29 Satz 1 a. E. („… wird hierdurch nicht berührt“) – auf das innerstaatliche Recht. Dies gilt nicht für das Kausalitätserfordernis nach Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens.

( 72 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 20. Oktober 2022, Laudamotion (C‑111/21, EU:C:2022:808, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 73 ) Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Austrian Airlines (Haftungsbefreiung des Luftfahrtunternehmens) (Nr. 72).

( 74 ) Ein typisches Beispiel wäre der Zusammenstoß eines Radfahrers mit einem Fußgänger. Dieser geschah aufgrund einer Kombination aus der Geschwindigkeit des Fahrrads, der Mangelhaftigkeit seiner Bremsen, der Unachtsamkeit des Fußgängers usw.

( 75 ) Vgl. insbesondere mit einer vergleichenden Analyse des Rechts der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und des Vereinigten Königreichs von Bar, C., u. a. (Hrsg.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law. Draft Common Frame of Reference (DCFR); prepared by the Study Group on a European Civil Code and the Research Group on EC Private Law (Acquis Group), Sellier, European Law Publishers, München, 2008, Vol. IV, Book VI („Non contractual liability arising out of damage caused to another“), Chapter 4: Causation, S. 3566 bis 3608.

( 76 )

( 77 ) Vgl. dritter Erwägungsgrund des Übereinkommens von Montreal.

( 78 ) Es kann jedoch Situationen geben, in denen schwer nachzuweisen sein könnte, dass dann, wenn ein bestimmter „Unfall“„hinweggedacht“ würde, der in Rede stehende Schaden nicht eingetreten wäre. Vgl. hierzu insbesondere Defossez, D., „Contaminated Air: Is the ‚But For‘ Test Saving Air Carriers?“, Air & Space Law Vol. 44, Nr. 2, 2019, S. 185 bis 202.

( 79 ) Denn der Herzinfarkt und die Körperverletzung des Reisenden hätten durch den „Unfall“ der Landung für sich genommen nicht verursacht werden können, sondern nur in Verbindung mit dessen vorbestehenden Gesundheitszustand.

( 80 ) Vgl. in diesem Sinne Entscheidung des United States Supreme Court (Oberster Gerichtshof der Vereinigten Staaten) vom 24. Februar 2004, Olympic Airways/Husain (124 S.Ct. 1221).

( 81 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil Niki Luftfahrt (Rn. 40).

( 82 ) Vgl. insbesondere von Bar, C., u. a. (Hrsg.), a. a. O., S. 3570, und, mit einer vergleichenden Analyse des Rechts der Mitgliedstaaten hierzu, S. 3574 bis 3585.

( 83 ) Vgl. insbesondere mit einer vergleichenden Analyse des Rechts der Mitgliedstaaten hierzu von Bar, C., u. a. (Hrsg.), a. a. O., S. 3574 bis 3585.

( 84 ) Es kann mehr als eine „adäquate“/„unmittelbare“ Ursache für einen Schaden geben.

( 85 ) Im Rahmen der vorliegenden Rechtssache werden die Begriffe „adäquat“ und „unmittelbar“ ungeachtet aller nach nationalem Recht bestehenden Nuancen synonym verwendet.

( 86 ) Vgl. zum US-amerikanischen Recht Restatement (Third) of Torts: liability for physical harm (Basic Principles), „Scope of liability – Proximate cause“, § 29. Betrachten wir das Beispiel eines Studenten, der die Universität verspätet verließ, weil seine Lehrveranstaltung verspätet endete, und der beim Überqueren der Straße von einem Auto erfasst wird und infolgedessen verstirbt. Das Führen eines Kraftfahrzeugs für sich genommen birgt eine Unfallgefahr. Bei dem Zeitpunkt der Beendigung der Lehrveranstaltung ist das nicht der Fall. Während der erstere Faktor eine „adäquate“/„unmittelbare“ Ursache für den Schaden ist, ist dies bei dem letzteren Faktor, auch wenn er eine notwendige Voraussetzung (eine tatsächliche Ursache) für diesen ist, nicht der Fall.

( 87 ) Vgl. mit gleicher Ansicht auch Giesmulla, E., a. a. O., S. 19, § 45.

( 88 ) Vgl., unter vielen, Entscheidung des United States District Court, S.D. New York (Bundesbezirksgericht der Vereinigten Staaten für den Südbezirk des Bundesstaats New York), vom 6. September 2007, Zarlin/Air France (2007 WL 2585061 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 89 ) Siehe oben, Nr. 59. Auch wenn das vorlegende Gericht in diesem Aspekt offenbar der Argumentation von DB folgt – es geht hiervon nämlich als Prämisse in seiner ersten Frage aus –, bereitet mir dies einige Schwierigkeiten. Das, was nach dem Vortrag von DB zwei voneinander verschiedene Körperverletzungen sein sollen, ist nämlich ein und dasselbe, nämlich die Verbrennungen, die er erlitten hat. Die angeblichen Versäumnisse des Kabinenpersonals bei der medizinischen Erstversorgung haben nicht im eigentlichen Sinne zu „voneinander zu trennenden“ Verletzungen geführt – dies wäre beispielsweise der Fall gewesen, wenn der Flugbegleiter bei der Versorgung der Verbrennungen von DB auf seinen Fuß getreten wäre und ihm die Zehen gebrochen hätte. Die Verbrennungen wurden auch nicht durch das Verhalten des Kabinenpersonals in dem eigentlichen Sinne „aggraviert“, dass sie „schwerwiegender gemacht wurden, als sie vorher waren“. Wie unten in Nr. 76 erläutert, ist die Frage, um die es vorliegend geht, nämlich, ob das Kabinenpersonal es fahrlässig unterlassen hat, seine Verbrennungen zu lindern, d. h., sie weniger schwerwiegend zu machen, als sie ursprünglich waren, oder sie gegenüber ihrem natürlichen Verlauf in einen günstigeren Zustand zu versetzen. Wie oben angedeutet, würde die in den vorliegenden Schlussanträgen vertretene Begründung indes entsprechend auch dann gelten, wenn die medizinische Erstversorgung zu einer echten hiervon zu trennenden Verletzung geführt hätte.

( 90 ) In vielen Rechtsordnungen ist anerkannt, dass Luftfahrtunternehmen gegenüber Reisenden eine Sorgfaltspflicht haben. Insbesondere entsteht nach dem auf den in Rede stehenden Beförderungsvertrag anwendbaren österreichischen Recht (siehe Fn. 69) mit dem Abschluss eines solchen Beförderungsvertrags für das Luftfahrtunternehmen eine Pflicht, ihre Verkehrssicherheit zu gewährleisten (vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Austrian Airlines [Haftungsbefreiung des Luftfahrtunternehmens], Fn. 5).

( 91 ) In der Union ergeben sich branchenübliche Standards aus Anhang III der Verordnung (EWG) Nr. 3922/91 des Rates vom 16. Dezember 1991 zur Harmonisierung der technischen Vorschriften und der Verwaltungsverfahren in der Zivilluftfahrt (ABl. 1991, L 373, S. 4) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1899/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 (ABl. 2006, L 377, S. 1) geänderten Fassung. Vgl. insbesondere OPS 1.745 (Verpflichtung zur Ausstattung mit leicht zugänglichen Bordapotheken); OPS 1.755 (Verpflichtung zur Ausstattung mit Medizinischer Notfallausrüstung); OPS 1.760 (Verpflichtung zur Ausstattung mit Sauerstoff für Erste Hilfe); OPS 1.1005 und OPS 1.1010 (Sicherheitsgrundschulung und fortlaufende Schulung der Flugbesatzung insbesondere im Hinblick auf Inhalt und Gebrauch der Bordapotheke(n), des Sauerstoffs für Erste Hilfe und der medizinischen Notfallausrüstung).

( 92 ) Entsprechend wird auch im innerstaatlichen Recht der Vertragsstaaten dann, wenn das Verhalten eines Dritten zwischen das ursprüngliche rechtswidrige Handeln des Beklagten und den dem Geschädigten letztlich entstandenen Schaden tritt, dieses Verhalten nur dann als „überlagernde Ursache“ angesehen, wenn es sich im Nachhinein als unvorhersehbar oder unwahrscheinlich darstellt. Ist dies nicht der Fall, wird hierdurch die „Ursachenkette“, die zu den Handlungen des Beklagten geführt hat, nicht unterbrochen. Ein klassisches Beispiel ist eine Person, die fahrlässig eine geladene Pistole auf einem Schulhof zurücklässt, wo ein Kind sie anschließend aufhebt und auf seinen Freund abfeuert. In einem solchen Fall wird durch das Verhalten des Kindes die „Ursachenkette“, die zu der Fahrlässigkeit der ursprünglichen Person zurückführt, nicht unterbrochen. Wenn man nämlich eine Schusswaffe auf dem Schulhof liegen lässt, kann man schlicht und einfach vernünftigerweise voraussehen, dass ein Kind sie aufheben und benutzen wird. Vgl. insbesondere von Bar, C., u. a. (Hrsg.), a.a.O., S. 3571 bis 3572 und 3578 bis 3581.

( 93 ) Um jedes Missverständnis zu vermeiden, möchte ich betonen, dass die Frage, ob das angebliche Versäumnis einer ordnungsgemäßen medizinischen Erstversorgung durch das Bordpersonal im Hinblick darauf „vorhersehbar“ war, ob angenommen werden kann, dass die Verletzungen von DB durch den „Unfall“ des Umfallens der Kaffeekanne adäquat „verursacht“ wurden, deutlich von der Frage zu unterscheiden ist, ob dieses Versäumnis für sich genommen einen „Unfall“ darstellen könnte – d. h. im Sinne der vom Gerichtshof aufgestellten Definition dieses Begriffs (siehe Nr. 58) ein „unvorhergesehenes“ Ereignis (vgl. Abschnitt B.2. der vorliegenden Schlussanträge). Stellen Sie sich vor, ein Flugbegleiter serviert einem Reisenden eine Tasse heißen Kaffee. Diese Tasse rutscht schließlich vom Abstellbrett am Platz des Reisenden ab und führt zu einer Verbrühung. Zum einen ist dies ein „vorhersehbarer“ Geschehensablauf im Sinne der Kausalität. Ein vernünftiger Beobachter hätte mit diesem Ereignis rechnen können. Dem Servieren von Heißgetränken ist die Gefahr von Verbrühungen inhärent. Dass ein Becher von einem Tablett fällt, kann unter Berücksichtigung üblicher Umstände wie der Bewegung des Flugzeugs naheliegenderweise vorkommen und kommt tatsächlich auch vor. Deshalb werden Kaffeebecher manchmal mit einem Deckel serviert. Zum anderen kann das Umfallen des Bechers, wenn es sich tatsächlich ereignet, gleichwohl als „unvorhergesehenes Ereignis“ und damit als „Unfall“ angesehen werden, da der verletzte Fluggast (sofern er nicht allwissend ist) vor dem Ereignis nicht wusste, dass es sich in dem Moment ereignen würde, in dem es eintrat. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass viele „Unfälle“ zwar „unvorhergesehen“, aber „vorhersehbar“ waren.

( 94 ) Hätte dagegen, wie von der deutschen Regierung in ihrem Vorbringen angedeutet, der Flugbegleiter, der die Verletzungen von DB betreute, nach dem Umfallen der Kaffeekanne aus unerklärlichen Gründen einen Wutanfall bekommen und den Reisenden vorsätzlich geschlagen, hätte sich dieses Verhalten rückblickend zweifellos als unvorhersehbar/unwahrscheinlich dargestellt.

( 95 ) In dieser Fallgestaltung könnte der Fahrer für alle Verletzungen haftbar gemacht werden (vgl. insbesondere Entscheidung der Cour de cassation [Frankreich] vom 27. Januar 2000, Nr. 97-20.889), unbeschadet dessen, dass der Geschädigte möglicherweise – ausschließlich in Bezug auf die zweite Verletzung – auch einen Anspruch gegen den Arzt hätte. Zu einer vergleichenden Analyse des Rechts der Mitgliedstaaten zu dieser Frage vgl. z. B. von Bar, C. u. a. (Hrsg.), a.a.O., S. 3574 bis 3585.

( 96 ) Nach dieser Bestimmung „[haftet d]er Luftfrachtführer … nicht für Schäden nach Artikel 17 Absatz 1, soweit sie 100000 Sonderziehungsrechte je Reisenden übersteigen, wenn er nachweist, dass … dieser Schaden nicht auf eine unrechtmäßige Handlung … seiner Leute, sei sie auch nur fahrlässig begangen, zurückzuführen ist“. Ob die Beschäftigten des Luftfahrtunternehmens ihre Sorgfaltspflicht und branchenübliche Standards erfüllt haben, nachdem sich ein „Unfall“ ereignet hat, wird in der Tat üblicherweise im Rahmen dieser Bestimmung geprüft. Vgl. z. B. Entscheidung des United States District Court, S.D. Florida (Bundesbezirksgericht der Vereinigten Staaten für den Südbezirk des Bundesstaats Florida), vom 10. März 2018, Quevedo/Iberia Lineas Aereas de España, Socidad Anónima Operadora Co. (2018 WL 776754).

( 97 ) Konkret bedeutet dies z. B., dass DB dann, wenn er seinen Anspruch innerhalb der Ausschlussfrist nach dem Übereinkommen von Montreal geltend gemacht hätte, nach Art. 17 Abs. 1 Schadenersatz für den vollen Umfang seiner Verletzungen hätte erhalten können, da selbst die angeblich hiervon zu trennenden Folgen der medizinischen Erstversorgung gleichwohl mit dem „Unfall“ des Umfallens der Kaffeekanne in einem „adäquaten“/„unmittelbaren“ Zusammenhang standen. Die gegenteilige Auslegung wäre hingegen belastender für Fluggäste. Sie hätte zur Folge, dass ein Fluggast, um in einer ähnlichen Situation eine volle Entschädigung zu erhalten, nicht nur eine, sondern zwei Handlungen darlegen und beweisen müsste. Statt bloß dartun zu müssen, dass ein heißes Getränk verschüttet wurde, müsste er beweisen, dass die Reaktion des Bordpersonals fahrlässig war – eine Aufgabe, die nicht immer einfach sein dürfte, wie unten in Nr. 95 erläutert.

( 98 ) Dies erscheint umso naheliegender, soweit die unzureichende medizinische Erstversorgung durch Beschäftigte des Luftfahrtunternehmens geleistet wurde. Aber selbst in dem Fall, dass die medizinische Erstversorgung beispielsweise von einer zufällig an Bord befindlichen Krankenpflegerin/einem Krankenpfleger geleistet worden wäre, müsste das Luftfahrtunternehmen nach Art. 17 Abs. 1 gleichwohl für die gesamte Verletzung der Reisenden haften, da, wie ich in diesen Schlussanträgen dargelegt habe, angenommen werden kann, dass diese als Ganzes im Sinne dieser Bestimmung durch den „Unfall“„verursacht“ wurde. Zwar könnte der Reisende in diesem Fall auch einen Anspruch gegen die Krankenpflegerin/den Krankenpfleger haben, da die Verletzung auch durch ihr/sein Verhalten verursacht worden wäre. Dies wäre jedoch eine Frage des innerstaatlichen Rechts, da das Übereinkommen von Montreal nur Haftungsansprüche gegen Luftfahrtunternehmen regelt.

( 99 ) Solche anwaltlichen Kunstgriffe zeigen sich vorliegend darin, dass DB offenbar zwischen der ersten und der zweiten Instanz des Verfahrens seine Anträge geändert hat, möglicherweise um das Übereinkommen zu umgehen (vgl. oben, Nrn. 11 und 14).

( 100 ) Vgl. den sehr ähnlichen Fall der Entscheidung des United States Court of Appeals, Second Circuit (Berufungsgericht der Vereinigten Staaten, 2. Bezirk), vom 5. Januar 1998, Fishman by Fishman/Delta Air Lines, Inc. (132 F.3d 138). In jenem Fall erlitt ein Kind während eines Fluges eine Verbrühung, nachdem eine Flugbegleiterin versehentlich kochendes Wasser über ihm verschüttet hatte. Es handelte sich eindeutig um einen „Unfall“ im Sinne von Art. 17 des (damaligen) Warschauer Abkommens. Die Reisende und ihre Mutter machten Ansprüche wegen Fahrlässigkeit gegen das Luftfahrtunternehmen geltend, allerdings erst mehr als zwei Jahre nach dem Ereignis. Um die Feststellung einer Präklusion durch dieses Übereinkommen zu vermeiden, stützten die Klägerinnen sich, ganz ähnlich wie DB im Ausgangsverfahren, als „Ursache“ für die Körperverletzung nicht auf den „Unfall“ selbst, sondern auf die angeblich fahrlässige Weigerung des Kabinenpersonals, anschließend eine medizinische Erstversorgung zu leisten. Das nationale Gericht wies dieses Vorbringen zurück und stellte fest, dass „Grundlage der Ansprüche … die von dem Kind erlittene Verbrühung [war] … Die auslösende Ursache, der ‚Unfall‘, kann nicht künstlich von seinen Folgen getrennt werden, … um das Warschauer Abkommen zu umgehen“.

( 101 ) Erinnert sei daran, dass dann, wenn man einem „weiten“ Verständnis der Ausschließlichkeit des Übereinkommens folgen würde, der von DG geltend gemachte Anspruch schon deshalb präkludiert wäre, weil er eine Körperverletzung betrifft, die an Bord des Luftfahrzeugs eingetreten ist, unabhängig davon, ob sie durch einen „Unfall“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 verursacht wurde oder nicht.

( 102 ) Insbesondere hätte die Feststellung, dass nicht nur ein, sondern zwei „Unfälle“ die Köperverletzung eines Reisenden verursacht haben, keinen Einfluss auf die Höhe des Schadenersatzes, die Letzterer nach Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal erhalten könnte. Dieser Schadenersatz soll nämlich den entstandenen Schaden ausgleichen. Seine Höhe richtet sich daher nach dem Umfang dieser Verletzung und nicht danach, wie viele „Unfälle“ zu ihrem Eintreten beigetragen haben.

( 103 ) Relevantes Kriterium, jedenfalls nach der Definition des Begriffs „Unfall“ in der Entscheidung Air France/Saks (siehe oben, Nr. 58).

( 104 ) Vgl. insbesondere Entscheidung des United States Court of Appeals, Eleventh Circuit (Berufungsgericht der Vereinigten Staaten, 11. Bezirk), vom 25. August 1997, Krys/Lufthansa German Airlines (119 F.3d 1515).

( 105 ) Vor den Urteilen Sidhu und Tseng, als eine enge Ansicht zur Ausschließlichkeit des Warschauer Abkommens/Übereinkommens von Montreal vertreten wurde, lag es nämlich im Interesse der Kläger, in solchen Fällen die Ansicht zu vertreten, dass kein „Unfall“ vorliege, weil eine dementsprechende Feststellung dazu führte, dass das Übereinkommen als nicht anwendbar anzusehen war, so dass Ansprüche nach nationalem Recht geltend gemacht werden konnten, die für sie vielfach günstiger waren. Dagegen hatten Fluggesellschaften ein Interesse daran, die Ansicht zu vertreten, dass ein „Unfall“ vorliege, weil die Rechtssache damit wieder in den ausschließlichen Geltungsbereich dieses Übereinkommens zurückgebracht werden konnte. Seit den Urteilen Sidhu und Tseng, als eine weite Ansicht zur Ausschließlichkeit zur Regel wurde, liegt es auch im Interesse des Reisenden, die Ansicht zu vertreten, dass ein „Unfall“ vorliege, weil dies der einzige Weg ist, zu einem Anspruch zu gelangen. Dagegen liegt es nun im Interesse der Luftfahrtunternehmen, die Ansicht zu vertreten, dass kein „Unfall“ vorliege, weil eine dementsprechende Feststellung sie vor jeglicher Haftung schützt.

( 106 ) Vgl. insbesondere Entscheidungen des United States Court of Appeals, Third Circuit (Berufungsgericht der Vereinigten Staaten, 3. Bezirk), vom 19. Juli 1984, Stanley Abramson/Japan Airlines Co., Ltd (739 F.2d 130), des United States District Court, S.D. New York (Bundesbezirksgericht der Vereinigten Staaten für den Südbezirk des Bundesstaats New York), vom 22. Februar 1996, Tandon/United Air Lines (926 F.Supp. 366), und des United States Court of Appeals, Eleventh Circuit (Berufungsgericht der Vereinigten Staaten, 11. Bezirk), vom 25. August 1997, Krys/Lufthansa German Airlines (119 F.3d 1515).

( 107 ) In dem diesem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt wurde ein Reisender zu Unrecht im Raucherbereich des Flugzeugs platziert, obwohl er an einer vorbestehenden Asthmaerkrankung litt, aufgrund derer er sehr sensibel auf Tabakrauch in der Umgebungsluft reagierte. Die Ehefrau des Reisenden richtete wiederholt die Bitte an ein Mitglied der Kabinenbesatzung, ihren Ehemann in einen anderen Bereich des Flugzeugs umzusetzen, was auf Ablehnung stieß. Als das Rauchen während des Fluges zunahm, fühlte er sich schlecht; er erhielt etwas medizinische Unterstützung von einem mitreisenden Arzt, verstarb jedoch anschließend. Der Supreme Court (Oberster Gerichtshof) entschied, dass die Weigerung des Mitglieds der Kabinenbesatzung, dem Reisenden einen anderen Platz zuzuweisen, als „Unfall“ anzusehen sei, da es sich um ein „Ereignis“ gehandelt habe, das eindeutig „außerhalb der Sphäre“ des Reisenden gelegen habe und auch „unerwartet und ungewöhnlich“ gewesen sei, da es eine Abweichung von branchenüblichen Standards und von der Praxis der Fluggesellschaft dargestellt habe.

( 108 ) Vgl. z. B. Entscheidung des United States District Court, S.D. Indiana, Indianapolis Division (Bundesbezirksgericht der Vereinigten Staaten für den Südbezirk des Bundesstaats Indiana, Abteilung Indianapolis), vom 10. Oktober 2007, Watts/American Airlines, Inc. (2007 WL 3019344).

( 109 ) Es könnte sehr gut die Ansicht vertreten werden, dass Handlungen oder Unterlassungen des Bordpersonals für sich genommen nicht als „Unfälle“ angesehen werden können, da sie streng betrachtet keine „Ereignisse“ darstellen, auch wenn sie zu solchen Unfallereignissen führen können. So besteht z. B. in der vorliegenden Rechtssache der „Unfall“ nicht darin, dass die Flugbegleiter es versäumt haben, den Wagen, auf dem die Kaffeekanne stand, sorgfältig zu bewegen, sondern in dem daraus folgenden Umfallen dieser Kanne.

( 110 ) Siehe oben, Fn. 90 und 91.

( 111 ) Hier z. B. ist dieser Punkt im Ausgangsverfahren offenbar zwischen den Parteien stark umstritten (siehe oben, Fn. 8). Was als Reaktion auf die Verbrennungen von DB angemessen war, könnte insbesondere davon abhängen, wie schwerwiegend sie vor Ort erschienen, wozu verschiedene Ansichten vertreten werden könnten. Vgl. insbesondere auch Entscheidung des United States District Court, S.D. Florida (Bundesbezirksgericht der Vereinigten Staaten für den Südbezirk des Bundesstaats Florida), vom 15. Juni 2011, Cardoza/Spirit Airlines, Inc. (2011 WL 2447523). In jener Rechtssache wurde die Frage, ob die Entscheidung des Piloten, den Flug auch angesichts des medizinischen Problems eines Reisenden nicht zu einem nahegelegenen Flughafen umzuleiten, unter den gegebenen Umständen angemessen und somit im Sinne von Art. 17 Abs. 1 „gewöhnlich“ und „erwartet“ war, zwischen den Parteien ausführlich und einschließlich aufwendiger Sachverhaltsfragen erörtert, wie etwa der Frage, i) wie schwerwiegend der Zustand des Reisenden tatsächlich war und inwieweit der Pilot hierüber tatsächlich informiert war, ii) was nach den branchenüblichen Standards und Verfahren tatsächlich erforderlich war und iii) was der Pilot tatsächlich getan hatte.

( 112 ) Vgl. insbesondere Urteil vom 2. Juni 2022, Austrian Airlines (Haftungsbefreiung des Luftfahrtunternehmens) (C‑589/20, EU:C:2022:424, Rn. 22 und 23).

( 113 ) Zur Klarstellung sei noch einmal darauf hingewiesen, dass diese Diskussion nur für Fälle relevant ist, in denen das medizinische Problem des Reisenden ausschließlich durch einen vorbestehenden Gesundheitszustand hervorgerufen worden ist, der sich zufällig während eines internationalen Fluges manifestiert hat. Wird dieses Problem hingegen, wie in der vorliegenden Rechtssache, durch einen „Unfall“ hervorgerufen, fällt der Anspruch allein deshalb schon unter Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal und die Haftung des Luftfahrtunternehmens nach dieser Bestimmung (siehe oben, Nrn. 89 und 90).

( 114 ) Dagegen ergingen die Entscheidungen in den in Fn. 106 genannten Rechtssachen vor dem Urteil Tseng. Dort bedeutete die Feststellung, dass kein „Unfall“ vorlag, auch, dass Ansprüche wegen Fahrlässigkeit nach innerstaatlichem Recht geltend gemacht werden konnten und häufig erfolgreich waren. In nach dem Urteil Tseng ergangenen Entscheidungen führte diese Feststellung dazu, dass Rechtsuchenden jedweder Rechtsschutz genommen wurde (vgl. insbesondere Entscheidung des United States District Court, E.D. New York [Bundesbezirksgericht der Vereinigten Staaten für den Ostbezirk des Bundesstaats New York], vom 13. März 2000, Rajcooar/Air India Ltd. [89 F.Supp.2d 324]). Die Entscheidung Husain kann als Reaktion auf diese unbefriedigende Situation betrachtet werden.

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