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Document 62021CC0364

    Schlussanträge des Generalanwalts M. Campos Sánchez-Bordona vom 12. Januar 2023.
    Ferrovienord SpA gegen Istituto Nazionale di Statistica - ISTAT und Federazione Italiana Triathlon gegen Istituto Nazionale di Statistica - ISTAT und Ministero dell'Economia e delle Finanze.
    Vorabentscheidungsersuchen der Corte dei Conti.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV – Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist – Wirtschaftspolitik – Verordnung (EU) Nr. 549/2013 – Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen auf nationaler und regionaler Ebene in der Europäischen Union (ESVG) – Richtlinie 2011/85/EU – Anforderungen an die haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedstaaten – Nationale Rechtsvorschrift, die die Zuständigkeit des Rechnungshofs beschränkt – Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.
    Verbundene Rechtssachen C-363/21 und C-364/21.

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:7

     SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

    vom 12. Januar 2023 ( 1 )

    Verbundene Rechtssachen C‑363/21 und C‑364/21

    Ferrovienord SpA

    gegen

    Istituto Nazionale di Statistica – ISTAT (C‑363/21),

    Beteiligte:

    Procura generale della Corte dei conti,

    Ministero dell’Economia e delle Finanze

    und

    Federazione Italiana Triathlon

    gegen

    Istituto Nazionale di Statistica – ISTAT,

    Ministero dell’Economia e delle Finanze (C‑364/21),

    Beteiligte:

    Procura generale della Corte dei conti

    (Vorabentscheidungsersuchen der Corte dei conti [Rechnungshof, Italien])

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EU) Nr. 549/2013 – Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen auf nationaler und regionaler Ebene in der Europäischen Union (ESVG 2010) – Klassifikation der institutionellen Einheiten im Sektor S.13 (Staat) – Statistische Vorschriften der Union – Kontrollmechanismen – Unmittelbare Wirkung – Richtlinie 2011/85/EU – Nationale haushaltspolitische Rahmen – Unmittelbare Wirkung – Wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz – Gerichtliche Überprüfung durch den Rechnungshof oder durch Verwaltungsgerichte“

    1.

    Die vorliegenden (verbundenen) Vorabentscheidungsersuchen bieten dem Gerichtshof ( 2 ) die Möglichkeit, die Reichweite der Vorschriften über das mit der Verordnung (EU) Nr. 549/2013 ( 3 ) eingeführte Europäische System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen 2010 zu klären. Mit den beiden Vorabentscheidungsersuchen wird konkret danach gefragt,

    ob die Verordnung und die Richtlinie 2011/85/EU ( 4 ) in einem Rechtsstreit zwischen verschiedenen staatlichen Stellen untereinander bzw. zwischen Privatpersonen und statistischen Behörden geltend gemacht werden können;

    welche Form des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes von den Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Rechtsbehelfe, mit denen die Anwendung der Unionsvorschriften in diesem Bereich kontrolliert werden kann, einzuführen ist.

    I. Rechtlicher Rahmen

    A.   Unionsrecht

    1. Verordnung Nr. 549/2013

    2.

    Art. 1 bestimmt:

    „(1)   Mit dieser Verordnung wird das Europäische System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen 2010 (im Folgenden ,ESVG 2010‘ oder ,ESVG‘) eingeführt.

    (2)   Das ESVG 2010 legt Folgendes fest:

    a)

    eine Methodik (Anhang A) für die gemeinsamen Normen, Definitionen, Klassifikationen und Buchungsregeln, die zur Erstellung von Konten und Tabellen auf vergleichbaren Grundlagen für die Zwecke der Union sowie der Ergebnisse nach Artikel 3 verwendet wird;

    b)

    ein Programm (Anhang B) mit den Fristen, innerhalb deren die Mitgliedstaaten der Kommission (Eurostat) die nach der unter Buchstabe a genannten Methodik zu erstellenden Konten und Tabellen übermitteln.

    (4)   Diese Verordnung verpflichtet keinen Mitgliedstaat dazu, für seine eigenen Zwecke die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen nach dem ESVG 2010 zu erstellen.“

    3.

    In Anhang A (SEC 2010) Kapitel 1 (Allgemeine Merkmale und Grundprinzipien) heißt es:

    „1.01

    Das Europäische System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen … ist ein international vereinheitlichtes Rechnungssystem, das systematisch und detailliert eine Volkswirtschaft (Region, Land, Ländergruppe) mit ihren wesentlichen Merkmalen und den Beziehungen zu anderen Volkswirtschaften beschreibt.

    1.57

    Institutionelle Einheiten sind wirtschaftliche Einheiten, die Eigentümer von Waren und Vermögenswerten sein können und eigenständig Verbindlichkeiten eingehen, wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben und Transaktionen mit anderen Einheiten vornehmen können. Im ESVG 2010 sind die institutionellen Einheiten zu den fünf inländischen institutionellen Sektoren zusammengefasst:

    a)

    nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften,

    b)

    finanzielle Kapitalgesellschaften,

    c)

    Staat,

    d)

    private Haushalte,

    e)

    private Organisationen ohne Erwerbszweck.

    Die fünf Sektoren bilden zusammen die inländische Volkswirtschaft. Jeder Sektor ist in Teilsektoren untergliedert. Das ESVG 2010 ermöglicht es, dass für jeden Sektor (und Teilsektor) sowie für die Volkswirtschaft ein vollständiger Satz von Transaktionskonten und Vermögensbilanzen erstellt wird. Gebietsfremde Einheiten können mit diesen fünf inländischen Sektoren in Beziehung treten, wobei diese Interaktionen zwischen den fünf inländischen Sektoren und einem sechsten institutionellen Sektor ausgewiesen werden: dem Sektor übrige Welt.

    …“

    4.

    In Anhang 1 (SEC 2010) Kapitel 2 (Einheiten und ihre Zusammenfassungen) ist festgelegt:

    „…

    2.12

    Definition: Eine institutionelle Einheit ist eine wirtschaftliche Einheit, die durch Entscheidungsfreiheit in der Ausübung ihrer Hauptfunktion gekennzeichnet ist. …

    2.32

    Die Sektoren und Teilsektoren fassen jeweils die institutionellen Einheiten zusammen, die ein gleichartiges wirtschaftliches Verhalten aufweisen.

    Staat (S.13)

    2.111

    Definition: Der Sektor Staat (S.13) umfasst institutionelle Einheiten, die zu den Nichtmarktproduzenten zählen, deren Produktionswert für den Individual- und den Kollektivkonsum bestimmt ist, und die sich mit Zwangsabgaben von Einheiten anderer Sektoren finanzieren, sowie institutionelle Einheiten, die hauptsächlich Einkommen und Vermögen umverteilen.

    …“

    5.

    In Anhang 1 Kapitel 20 (Die Konten des Sektors Staat) wird festgelegt:

    „…

    20.05

    Der Sektor Staat (S.13) besteht aus allen staatlichen Einheiten und allen nichtmarktbestimmten Organisationen ohne Erwerbszweck, die von staatlichen Einheiten kontrolliert werden. Er umfasst außerdem sonstige Nichtmarktproduzenten gemäß den Nummern 20.18 bis 20.39.

    …“

    2. Richtlinie 2011/85

    6.

    Art. 1 lautet:

    „Diese Richtlinie legt detaillierte Vorschriften fest, die bestimmen, welchen Anforderungen die haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedstaaten genügen müssen. Diese Vorschriften sind notwendig, um zu gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten den vertraglichen Verpflichtungen des AEUV hinsichtlich der Vermeidung übermäßiger öffentlicher Defizite entsprechen.“

    7.

    Art. 2 bestimmt:

    „Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten die in Artikel 2 des dem EUV und dem AEUV beigefügten Protokolls (Nr. 12) über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit[ ( 5 )] enthaltenen Definitionen der Begriffe ,öffentlich‘, ,Defizit‘ und ,Investitionen‘. Ferner gilt die in der Verordnung (EG) Nr. 2223/96 Anhang A Nummer 2.70 enthaltene Definition der Teilsektoren des Staates.

    Außerdem gelten folgende Begriffsbestimmungen:

    Der ,haushaltspolitische Rahmen‘ ist die Gesamtheit der Regelungen, Verfahren und Institutionen, die die Grundlage für die Durchführung der Haushaltspolitik des Staates bilden, insbesondere:

    f)

    die Regelungen für eine unabhängige Überwachung und Durchführung von Analysen zur Erhöhung der Transparenz einzelner Elemente des Haushaltsprozesses;

    …“

    8.

    Art. 3 Abs. 1 sieht vor:

    „Die Mitgliedstaaten verfügen über nationale Systeme des öffentlichen Rechnungswesens, die sämtliche Teilsektoren des Staates umfassend und kohärent abdecken und die zur Erhebung von periodengerechten Daten im Hinblick auf die Vorbereitung von Daten nach dem ESVG-95-Standard erforderlichen Informationen liefern. Diese Systeme des öffentlichen Rechnungswesens unterliegen einer internen Kontrolle und unabhängigen Rechnungsprüfung.“

    3. Verordnung (EU) Nr. 473/2013 ( 6 )

    9.

    In Art. 2 heißt es:

    „(1)   Für die Zwecke dieser Verordnung gelten folgende Begriffsbestimmungen:

    a)

    ,unabhängige Einrichtungen‘ bezeichnet strukturell unabhängige Einrichtungen oder Einrichtungen, deren funktionelle Eigenständigkeit gegenüber den Haushaltsbehörden des Mitgliedstaats gegeben ist, und denen nationale Rechtsvorschriften zugrunde liegen, mit denen ein hohes Maß an funktioneller Eigenständigkeit und Rechenschaftspflicht sichergestellt ist, …

    (2)   Ferner finden auch die Begriffsbestimmungen für den Sektor Staat und die Teilsektoren des Sektors Staats in Abschnitt 2.70 des Anhangs A der Verordnung (EG) Nr. 2223/96 vom 25. Juni 1996 zum Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen auf nationaler und regionaler Ebene in der Europäischen Gemeinschaft auf diese Verordnung Anwendung.

    …“

    10.

    Art. 5 bestimmt:

    „(1)   Die Mitgliedstaaten verfügen über unabhängige Einrichtungen zur Überwachung der Einhaltung

    a)

    der numerischen Haushaltsregeln, mit denen ihr mittelfristiges Haushaltsziel nach Artikel 2a der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 in die nationalen Haushaltsverfahren einbezogen wird;

    b)

    der in Artikel 5 der Richtlinie 2011/85/EU genannten numerischen Haushaltsregeln.

    …“

    B.   Nationales Recht

    1. Gesetz Nr. 196/2009 ( 7 )

    11.

    Art. 1 legt fest:

    „(1)   Die staatlichen Stellen tragen zur Erreichung der im nationalen Rahmen im Einklang mit den von der Europäischen Union festgelegten Verfahren und Kriterien für die öffentlichen Finanzen festgelegten Ziele bei und teilen sich die daraus folgende Verantwortung …

    (2)   … [A]ls staatliche Stellen [gelten] … ab dem Jahr 2012 die Stellen und Rechtssubjekte, die vom [Istituto Nazionale di Statistica (Nationales Statistikinstitut (Italien), im Folgenden: ISTAT] für statistische Zwecke in der Liste … aufgeführt werden, die … in der Gazzetta ufficiale della Repubblica italiana [(Amtsblatt der Italienischen Republik)] … veröffentlicht wurde – einschließlich der nachfolgenden Aktualisierungen dieser Liste nach Abs. 3 des vorliegenden Artikels, die auf der Grundlage der Definitionen in den besonderen Verordnungen der Europäischen Union vorgenommen werden …

    (3)   Die Bestandsaufnahme der staatlichen Stellen nach Abs. 2 wird jährlich vom ISTAT mit einer bis zum 30. September im Amtsblatt veröffentlichten Entscheidung vorgenommen.

    …“

    2. Gesetz Nr. 243/2012 ( 8 )

    12.

    Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a bezeichnet der Begriff „,staatliche Stellen‘ die Stellen, die im Einklang mit dem Recht der Europäischen Union nach den in den Vorschriften über das öffentliche Rechnungswesen und öffentliche Finanzen vorgesehenen Verfahren und Rechtsakten bestimmt werden und in die Teilsektoren des Zentralstaates, der Gemeinden und der nationalen Sozialversicherung untergliedert sind“.

    13.

    Gemäß Art. 20 übt die Corte dei conti (Rechnungshof, Italien) die nachträgliche Prüfung der Haushaltsführung der staatlichen Stellen zum Zwecke der Koordinierung der öffentlichen Finanzen und des Haushaltsgleichgewichts in Übereinstimmung mit den gesetzlich festgelegten Formen und Methoden aus.

    3. Gesetz Nr. 161/2014 ( 9 )

    14.

    Nach Art. 30 („Umsetzung der nicht unmittelbar anwendbaren Bestimmungen der Richtlinie 2011/85/EU und der Verordnung Nr. 473/2013“) Abs. 1 prüft die Corte dei conti (Rechnungshof), um den nicht unmittelbar anwendbaren Teilen der Richtlinie 2011/85 und der Verordnung Nr. 473/2013 hinsichtlich der Überwachung der Einhaltung der Haushaltsvorschriften volle Wirksamkeit zu verleihen, die Übereinstimmung der Haushaltsdaten der staatlichen Stellen mit den Rechnungslegungsvorschriften.

    4. Codice della giustizia contabile ( 10 )

    15.

    Art. 11 Abs. 6 Buchst. b schreibt nach der Änderung durch das Gesetzesdekret Nr. 137/2020, umgewandelt in das Gesetz Nr. 176/2020 ( 11 ), vor:

    „In Ausübung ihrer ausschließlichen Gerichtsbarkeit im Bereich des öffentlichen Rechnungswesens entscheiden die vereinigten Sektionen [des Rechnungshofs] in besonderer Zusammensetzung in einer einzigen Instanz über … Verfahren im Bereich der Bestandsaufnahme der staatlichen Stellen durch das ISTAT, und zwar ausschließlich für die Zwecke der Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften über die Begrenzung der öffentlichen Ausgaben ( 12 ).“

    II. Sachverhalt der Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    16.

    Am 30. September 2020 nahm das ISTAT die Ferrovienord SpA (im Folgenden: Ferrovienord) und die Federazione Italiana Triathlon (im Folgenden: FITRI) in die Liste der staatlichen Stellen, die in die konsolidierte Gewinn-und-Verlust-Rechnung des italienischen Staates einbezogen werden, (im Folgenden: ISTAT 2020-Liste) auf ( 13 ).

    17.

    Ferrovienord und FITRI haben die Entscheidung bei der Corte dei conti (Rechnungshof) angefochten und ihre Aufhebung beantragt. Ihrer Ansicht nach liegen die Voraussetzungen, um sie in die ISTAT 2020-Liste aufzunehmen, nicht vor.

    18.

    Das ISTAT beantragt die Abweisung der Klage und betont die Richtigkeit der Aufnahme in die Liste. Die Procura generale della Corte dei conti (Generalstaatsanwaltschaft am Rechnungshof) hat im Wege der Vorabentscheidung die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit von Art. 23quater des Gesetzesdekrets Nr. 137/2020 aufgeworfen ( 14 ).

    19.

    Die Corte dei conti (Rechnungshof) hat das Ministero dell’Economia e delle Finanze (Wirtschafts- und Finanzministerium, Italien) beigeladen und betont, dass sich Probleme mit der Vereinbarkeit der neuen Norm mit dem Unionsrecht stellten. Daneben hat sie die Parteien aufgefordert, sich speziell zu diesem Gesichtspunkt zu äußern.

    20.

    Die Corte dei conti (Rechnungshof) vertritt folgenden Standpunkt:

    Gemäß Art. 11 Abs. 6 Buchst. b der Prozessordnung des Rechnungshofs sei sie zuständig für Rechtsstreitigkeiten in Zusammenhang mit Entscheidungen des ISTAT über die Zuordnung als staatliche Stellen.

    Diese Bestimmung sei jedoch durch Art. 23quater Abs. 2 des Gesetzesdekrets Nr. 137/2020 geändert worden, indem die gerichtliche Kontrolle der ISTAT‑Liste durch den Rechnungshof „ausschließlich für die Zwecke der Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften über die Begrenzung der öffentlichen Ausgaben“ begrenzt worden sei ( 15 ).

    Bei der Kohärenz zwischen innerstaatlichem Haushaltsrecht und den sich aus dem Unionsrecht ergebenden Anforderungen handele es sich um einen Grundsatz des innerstaatlichen Verfassungsrechts, wie auch die Grundsätze der Transparenz und des Haushaltsgleichgewichts (Art. 81 und 97 der Verfassung).

    Diese Kohärenz werde im innerstaatlichen Recht durch eine Saldierung sichergestellt, die als „Haushaltsgleichgewicht“ bezeichnet werde und die Aufnahme von Schulden durch die verschiedenen Stellen des Staates begrenze (Art. 4 Abs. 4, Art. 9 und 10 des Gesetzes Nr. 243/2012). Die Ermittlung der Salden und ihrer etwaigen nachfolgenden Korrekturen ergebe sich aus den Daten, die die staatlichen Stellen einreichten und die die konsolidierte Gewinn-und-Verlust-Rechnung bildeten.

    Daraus folge, dass die ordnungsgemäße Erstellung der ISTAT‑Liste, in der diejenigen staatlichen Stellen bezeichnet seien, die zur Umsetzung des Haushaltsgleichgewichts verpflichtet seien, eine Voraussetzung für die Beachtung der Ziele der Konvergenz der Wirtschaftspolitik im Sinne von Art. 121 AEUV darstelle.

    Die Aufnahme einer Einrichtung in die ISTAT‑Liste könne gemäß italienischem Verfassungsrecht (Art. 24 Abs. 1 und Art. 113 Abs. 1 der Verfassung) vor Gericht angefochten werden. Bis 2012 sei für diese Entscheidungen das Verwaltungsgericht zuständig gewesen, seitdem liege die Zuständigkeit bei der Corte dei conti (Rechnungshof). Die Corte dei conti (Rechnungshof) übe die gerichtliche Kontrolle über die Einhaltung des nationalen Rechts und des Unionsrechts im Bereich des Haushaltsrechts aus, gewährleiste unter Androhung von Sanktionen im Sinne von Art. 8 der Verordnung (EU) Nr. 1173/2011 ( 16 ) aus subjektiver Sicht eine Überprüfung der Richtigkeit der wirtschaftlichen Gewinn-und-Verlust-Rechnung und damit die tatsächliche Erreichung der Ziele der öffentlichen Finanzen.

    Infolge der mit Art. 23quater des Gesetzesdekrets Nr. 137/2020 durchgeführten Reform könnten mit dieser Kontrolle zwei mit inbegriffene notwendige Wirkungen, die vorher in die Zuständigkeit ebendieses Gerichts fielen, nicht mehr positiv (oder negativ) festgestellt werden, nämlich die (positive oder negative) Feststellung der Verpflichtung, für den Bereich der öffentlichen Finanzen relevante Daten und Informationen in Ausführung und Umsetzung des Gesetzes Nr. 243/2012 und des Gesetzes Nr. 196/2009 (Pflicht zur Umsetzung der Verordnung Nr. 549/2013 und der Richtlinie 2011/85) mitzuteilen, und die konsequente Anwendung (oder Nichtanwendung) der Bestimmungen im Bereich des Haushaltsgleichgewichts und der Tragfähigkeit der öffentlichen Verschuldung im Sinne der Art. 3 und 4 des Gesetzes Nr. 243/2012 (ebenfalls zur Umsetzung der Verordnung Nr. 549/2013 und der Richtlinie 2011/85).

    21.

    Die Gesetzesänderung aus dem Jahr 2020 habe zu einer absoluten Lücke in der Gerichtsbarkeit und folglich zu einem mangelnden Rechtsschutz hinsichtlich der genauen Eingrenzung der Stellen geführt, die unter den Sektor S.13 (staatliche Stellen ohne Gebietskörperschaften) und in der Folge unter den öffentlichen Finanzhaushalt fielen, was verhindere, dass das ESVG 2010 und die Richtlinie 2011/85 ihre volle Wirksamkeit entfalten könnten. Über die ISTAT‑Liste lege der italienische Staat den Anwendungsbereich des ESVG 2010 auch im Hinblick auf die Einhaltung von Art. 126 AEUV und des Protokolls Nr. 12 zu übermäßigen Defiziten fest.

    22.

    Das vorlegende Gericht ist außerdem der Auffassung, dass ein Verstoß gegen den verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 EUV) vorliege und Einrichtungen, die als staatliche Stelle in die ISTAT‑Liste aufgenommen worden seien, unter Verstoß gegen Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) die Möglichkeit verwehrt werde, die Klassifizierung anzufechten.

    23.

    Auch unter der vom ISTAT und dem Wirtschafts- und Finanzministerium vertretenen Annahme, dass die neue Norm eine Ausweitung der allgemeinen Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte festlege, bleiben nach Ansicht des vorlegenden Gerichts Zweifel, ob die Vorschrift

    mit dem Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes und dem der praktischen Wirksamkeit sowie der Rechtssicherheit des Unionsrechts vereinbar ist ( 17 ),

    gegen die Grundsätze der Gleichwertigkeit der Rechtsbehelfe und der Rechtsstaatlichkeit (Art. 2 und 19 EUV) verstößt, und zwar auch im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Letzterem und dem in der Verordnung 2020/2092 verankerten Schutz der finanziellen Interessen der Union ( 18 ).

    24.

    Vor diesem Hintergrund hat die Corte dei conti (Rechnungshof, Italien) dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1.

    Stehen die Regel der unmittelbaren Anwendbarkeit des [Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG)] 2010 und der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit der Verordnung [Nr. 549/2013] und der Richtlinie [2011/85] einer nationalen Rechtsvorschrift entgegen, die die Gerichtsbarkeit des für die ordnungsgemäße Anwendung des ESVG 2010 zuständigen nationalen Gerichts ausschließlich auf die Zwecke der nationalen Rechtsvorschriften zur Begrenzung der öffentlichen Ausgaben beschränkt, womit die grundlegende praktische Wirksamkeit der Regelung [des Unionsrechts] ausgehebelt wird, nämlich die Überprüfung der Transparenz und der Zuverlässigkeit der Haushaltssalden, durch die die Einhaltung des [mittelfristigen Haushaltsziels (MHZ)] durch Italien festgestellt werden kann?

    2.

    Stehen die Regel der unmittelbaren Anwendbarkeit des ESVG 2010 sowie der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit der Verordnung [Nr. 549/2013] und der Richtlinie [2011/85] hinsichtlich der organisatorischen Trennung zwischen Haushaltsbehörde und Kontrollorganen einer nationalen Rechtsvorschrift entgegen, die die Wirkungen der Entscheidung des zuständigen nationalen Gerichts über die korrekte Anwendung des [Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen] 2010 ausschließlich auf die Zwecke der nationalen Rechtsvorschriften zur Begrenzung der öffentlichen Ausgaben beschränkt und damit jegliche unabhängige Kontrolle über die Abgrenzung derjenigen Stellen ausschließt, die zum Haushalt der italienischen öffentlichen Verwaltung (entsprechend der Einstufung für die Zwecke [des Unionsrechts]) gezählt werden, durch die die Einhaltung des mittelfristigen Haushaltsziels (MHZ) durch Italien überprüft werden kann?

    3.

    Steht das Rechtsstaatsprinzip in der Ausprägung der Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes und der Gleichwertigkeit der Rechtsbehelfe einer nationalen Rechtsvorschrift entgegen, die

    a)

    jegliche gerichtliche Überprüfung der korrekten Anwendung des ESVG 2010 durch das ISTAT für die Zwecke der Abgrenzung des Sektors S.13 und damit der Korrektheit, Transparenz und Zuverlässigkeit der Haushaltssalden ausschließt, durch die die Einhaltung des MHZ durch Italien überprüft werden kann (Verstoß gegen den Grundsatz der Wirksamkeit des Rechtsschutzes);

    b)

    die Klägerin, sofern sich die von den beklagten Behörden vorgeschlagene Normauslegung – auch durch ein Gesetz zur authentischen Interpretation – als richtig erweisen sollte, der doppelten Belastung einer gerichtlichen Anfechtung und der daraus resultierenden Gefahr einander widersprechender Urteile zum Vorliegen eines [unionsrechtlichen] Status aussetzt, und damit den wirksamen Schutz ihres Rechts innerhalb einer für die Erfüllung der sich aus diesem Status ergebenden Verpflichtungen rechtzeitigen Frist (d. h. im Haushaltsjahr) faktisch unmöglich macht und die Rechtssicherheit bezogen auf das Vorliegen des Status als öffentliche Verwaltung entfallen lässt;

    c)

    sofern sich die von den beklagten Behörden vorgeschlagene Normauslegung – auch durch ein Gesetz zur authentischen Interpretation – als richtig erweisen sollte, vorsieht, dass über die Korrektheit der haushaltsrechtlichen Abgrenzung ein anderes Gericht als dasjenige urteilt, dem die italienische Verfassung die Gerichtsbarkeit über das Haushaltsrecht vorbehält?

    III. Verfahren vor dem Gerichtshof

    25.

    Die Vorabentscheidungsersuchen sind am 9. Juni 2021 beim Gerichtshof eingegangen. Die Durchführung eines beschleunigten Verfahrens wurde abgelehnt.

    26.

    Ferrovienord, FITRI, die Staatsanwaltschaft bei der Corte dei conti (Rechnungshof), die italienische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Sie alle haben an der mündlichen Verhandlung vom 19. Oktober 2022 teilgenommen.

    IV. Würdigung

    A.   Vorbemerkung

    27.

    Wie bereits dargestellt, betreffen die Vorlagefragen die Vereinbarkeit einer einzelnen Bestimmung einer italienischen Vorschrift (im Folgenden: strittige Bestimmung), nämlich von Art. 23quater Abs. 2 des Gesetzesdekrets Nr. 137/2020, mit dem Unionsrecht.

    28.

    Nach dieser Bestimmung kontrolliert die Corte dei conti (Rechnungshof) die Entscheidungen des ISTAT über die Klassifikation der „institutionellen Einheiten“ als staatliche Stellen „ausschließlich für die Zwecke der Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften über die Begrenzung der öffentlichen Ausgaben“. Der hervorgehobene Satzteil wurde durch das Gesetzesdekret Nr. 137/2020 in die Prozessordnung des Rechnungshofs aufgenommen.

    29.

    Die italienische Regierung vertritt den Standpunkt, das vorlegende Gericht lege die strittige Bestimmung falsch aus, wenn es davon ausgehe, dass die Bestimmung keine gerichtliche Kontrolle der Entscheidungen des ISTAT über die Aufnahme von Einrichtungen in die Liste der staatlichen Stellen mehr vorsehe.

    30.

    Die italienische Regierung macht geltend, die Bestimmung beschränke sich vielmehr darauf, die Kontrolle den Verwaltungsgerichten zuzuweisen, während die Corte dei conti (Rechnungshof) weiterhin für die gerichtliche Kontrolle der Rechtsfolgen der Aufnahme der institutionellen Einheiten in die ISTAT‑Liste zuständig sei.

    31.

    Im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens ist der Gerichtshof nicht zur Auslegung von internen Rechtsvorschriften befugt. Es ist allein Sache des nationalen Gerichts, die genaue Bedeutung der nationalen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften zu bestimmen ( 19 ).

    32.

    Der Gerichtshof kann jedoch die Vorschriften des Unionsrechts auslegen und Vorlagefragen auf der Grundlage der einen oder der anderen Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften beantworten. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das vorlegende Gericht selbst, wie in der vorliegenden Rechtssache, die Argumente der „beklagten Behörden“ (d. h. der italienischen Regierung) als einen Ansatz aufgreift, der Erfolg haben könne ( 20 ).

    B.   Zulässigkeit

    1. Gerichtseigenschaft

    33.

    Zunächst ist zu prüfen, ob es sich bei dem Organ, das dem Gerichtshof die zwei Vorabentscheidungsersuchen vorlegt, um ein „Gericht eines Mitgliedstaats“ im Sinne von Art. 267 AEUV handelt.

    34.

    Der Gerichtshof hat Vorabentscheidungsersuchen regionaler Rechnungskammern des italienischen Rechnungshofs, die als Verwaltungsbehörden tätig waren ( 21 ), und der Corte dei conti (Rechnungshof) im Rahmen von zwei Verfahren zur nachträglichen Kontrolle der Finanzführung verschiedener öffentlicher Einrichtungen für unzulässig erklärt ( 22 ).

    35.

    Mit dem Urteil FIG und FISE hat der Gerichtshof indessen auf Vorabentscheidungsersuchen der Corte dei conti (Rechnungshof) geantwortet ( 23 ), ohne in den mit der vorliegenden Rechtssache vergleichbaren Fällen ihre Stellung als „Gericht" in Frage zu stellen.

    36.

    In der vorliegenden Rechtssache hat das vorlegende Gericht in Ausübung der ihm durch die italienischen Rechtsvorschriften übertragenen gerichtlichen Funktionen und nicht in Ausübung seiner nachträglichen Kontroll- und Überwachungsfunktionen zu entscheiden. Der Gegenstand des Rechtsstreits steht in Zusammenhang mit dem Umfang seiner gerichtlichen Zuständigkeit nach der durch Art. 23quater des Gesetzesdekrets Nr. 137/2020 eingeführten Beschränkung.

    37.

    In der mündlichen Verhandlung wurde geklärt, dass die Gesetzesänderung die gerichtliche Zuständigkeit der Corte dei conti (Rechnungshof) nicht aufhebt, sondern nur einschränkt: Die Corte dei conti (Rechnungshof) kann die ISTAT‑Liste zwar nicht mehr mit Wirkung erga omnes aufheben, jedoch kann sie in einem konkreten Rechtsstreit mit Wirkung nur für die klagende Einrichtung und in Bezug auf die nationalen Rechtsvorschriften über die Begrenzung der öffentlichen Ausgaben von der Liste abweichen.

    38.

    Somit übt die Corte dei conti (Rechnungshof) gerichtliche Befugnisse aus, in deren Rahmen sie dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorlegen kann, wenn sie über Rechtsstreitigkeiten wie in den Ausgangsverfahren zu entscheiden hat.

    2. Unzulässigkeit aufgrund einer fehlerhaften Auslegung des nationalen Rechts?

    39.

    Die italienische Regierung stellt aus den oben dargestellten Gründen ( 24 ) die Zulässigkeit der ersten und der zweiten Vorlagefrage sowie der dritten Vorlagefrage (Buchst. b) in Frage, da sie ihrer Ansicht nach auf der „falschen Annahme beruhen, nach der Änderung von Art. 11 der Prozessordnung des Rechnungshofs sei es nicht mehr möglich, die Erstellung von Sektor S.13 der ISTAT‑Liste vor einem nationalen Gericht anzufechten“.

    40.

    Dieser Einwand ist zurückzuweisen:

    Zum einen ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese, wie es vorliegend der Fall ist, die Auslegung des Unionsrechts betreffen, da eine Vermutung für die Erheblichkeit des Vorabentscheidungsersuchens spricht ( 25 ).

    Zum anderen hat die Antwort des Gerichtshofs auf die Fragen des vorlegenden Gerichts, wie ich bereits dargelegt habe, auf der Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften, die das vorlegende Gericht vorgibt, zu beruhen, obgleich der Gerichtshof auch Ansätze für eine andere Auslegung der Vorschriften nennen kann, und zwar insbesondere dann, wenn das vorlegende Gericht selbst diese alternative Auslegung als hypothetisch zulässig ansieht.

    41.

    Im Ergebnis kann der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht im Rahmen der Auslegung der Verordnung Nr. 549/2013, der Richtlinie 2011/85 und der Verordnung Nr. 473/2013 mit den über das innerstaatliche italienische Recht verfügbaren Informationen eine sachdienliche Antwort geben.

    C.   Erste Vorlagefrage

    42.

    Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob die strittige nationale Vorschrift mit der Regel der unmittelbaren Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 549/2013 und dem Grundsatz der praktischen Wirksamkeit dieser Verordnung und der Richtlinie 2011/85 vereinbar ist.

    43.

    Um diese Frage beantworten zu können, sind meines Erachtens zunächst folgende Punkte zu klären: a) ob die in der Verordnung Nr. 549/2013 festgelegten Pflichten der Mitgliedstaaten zur Mitteilung von Buchhaltungsdaten an die Kommission bindende und möglicherweise unmittelbare Wirkung entfalten, und b) ob die Richtlinie 2011/85 lediglich den statistischen Behörden und den Regierungen, nicht aber anderen staatlichen Stellen Pflichten auferlegt oder ob sie hingegen Rechte und Pflichten für Private begründet und unmittelbare Wirkung entfalten kann.

    44.

    Auf die Frage der fehlenden gerichtlichen Kontrolle, die die Corte dei conti (Rechnungshof) in diesen beiden Vorlagefragen ebenfalls aufwirft, werde ich im Rahmen der dritten Vorlagefrage eingehen.

    1. Möglichkeit der Geltendmachung der Verordnung Nr. 549/2013

    45.

    Die Durchsetzung des Verbots übermäßiger öffentlicher Defizite ( 26 ) erfolgt mit einem Verfahren, an dem die Kommission und der Rat beteiligt sind. Mit diesem Verfahren werden die Haushaltslage der Mitgliedstaaten und ihr Schuldenstand überwacht.

    46.

    Für die Überwachung benötigt die Union zuverlässige Statistiken ( 27 ) über die wirtschaftliche Lage der Mitgliedstaaten, insbesondere über ihr öffentliches Defizit und ihre Staatsschulden.

    47.

    Die Befugnisse der Kommission zur Überprüfung der statistischen Daten wurden mit der Verordnung (EG) Nr. 479/2009 ( 28 ) gestärkt, in der die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Mitteilung der Höhe ihres Defizits und ihres Schuldenstands (Art. 3 des Protokolls Nr. 12 zu übermäßigem Defizit) konkretisiert und Eurostat ( 29 ) bestimmte Überwachungsbefugnisse in Bezug auf die von den Mitgliedstaaten mitgeteilten statistischen Daten übertragen wurden.

    48.

    Für die Durchsetzung der Mitteilungspflicht ist, da eine Vereinheitlichung unabdingbar ist, die Verwendung einer einzigen und einheitlichen Klassifikation für die gesamte Union erforderlich. Gegenwärtig handelt es sich bei dieser Klassifikation um das ESVG 2010, an das die Verordnung Nr. 479/2009 angepasst wurde.

    49.

    Das ESVG 2010 gilt grundsätzlich für alle Rechtsakte der Union, in denen auf das ESVG oder dessen Definitionen verwiesen wird. Jedoch ist kein Mitgliedstaat dazu verpflichtet, für seine eigenen Zwecke die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen nach dem ESVG 2010 zu erstellen (Art. 1 Abs. 3 und 4 der Verordnung Nr. 549/2013).

    50.

    Gemäß der Verordnung Nr. 549/2013 übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission (Eurostat) die in Anhang B aufgeführten Konten und Tabellen innerhalb der darin für die einzelnen Tabellen vorgesehenen Fristen (Art. 3 Abs. 1), und die Kommission (Eurostat) bewertet die Qualität der übermittelten Daten (Art. 4 Abs. 4).

    51.

    Der Gerichtshof hat entschieden, dass „mit dem ESVG 2010 ein Bezugsrahmen geschaffen [wird], der im Interesse sowohl der Unionsbürger als auch der Union selbst dazu dient, die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Mitgliedstaaten zu erstellen. Damit diese Gesamtrechnungen zu vergleichbaren Ergebnissen führen, müssen sie nach einheitlichen Grundsätzen erstellt werden, die keine unterschiedlichen Auslegungen zulassen ( 30 ).“

    52.

    Konkret haben die Mitgliedstaaten den Sektor S.13 (Staat) gemäß ESVG 2010, Anhang A, Nr. 2.111 ( 31 ) zu ermitteln, indem sie ihn in vier Teilsektoren untergliedern, denen die entsprechenden institutionellen Einheiten zuzuordnen sind. Sie erheben die Buchhaltungsdaten dieser Einrichtungen und bereiten sie nach der Methodik des ESVG 2010 auf, um sie der Kommission mitzuteilen.

    53.

    Um eine ordnungsgemäße Anwendung des ESVG 2010 auf den Sektor S.13 sicherzustellen, sind in den Unionsvorschriften verschiedene Kontrollmechanismen für die Beziehungen zwischen Eurostat und den Mitgliedstaaten (insbesondere ihren nationalen statistischen Ämtern) vorgesehen:

    das Konsultationsverfahren zwischen der Kommission (Eurostat) und den Mitgliedstaaten (Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 549/2013 und Art. 10 der Verordnung Nr. 479/2009);

    der Mechanismus des ständigen Dialogs zwischen Eurostat und den nationalen statistischen Ämtern (Art. 11, 11a und 11b der Verordnung Nr. 479/2009);

    die Veröffentlichung der nationalen statistischen Daten mit Vorbehalt (Art. 15 der Verordnung Nr. 479/2009): gegebenenfalls kann Eurostat die von einem Mitgliedstaat gemeldeten Daten abändern und die geänderten Daten bereitstellen, wenn die gemeldeten Daten nicht den Erfordernissen der Verordnung entsprechen;

    das Sanktionsverfahren bei Manipulation von Statistiken (Art. 8 der Verordnung 1173/2011).

    54.

    Die Kommission vertritt den Standpunkt ( 32 ), die korrekte Zuordnung der institutionellen Einheiten zum Sektor S.13 sei durch diese Kontrollmechanismen gewährleistet. Mit den Mechanismen stelle Eurostat sicher, dass die Mitgliedstaaten ihre Verpflichtung zur Erhebung und Übermittlung der Buchhaltungsdaten gemäß dem ESVG 2010 in ausreichender Qualität erfüllten.

    55.

    Die Kommission fügt Folgendes hinzu:

    – Eurostat könne bei einer fehlerhaften Zuordnung einer institutionellen Einheit zum Sektor Staat durch die nationalen Behörden den Fehler korrigieren und die richtigen Daten veröffentlichen.

    – Die Verordnung Nr. 549/2013 beschränke sich darauf, die nationalen Behörden, insbesondere die nationalen statistischen Ämter, zur Mitteilung der statistischen Daten zu verpflichten; für Private ergebe sich jedoch keine Pflicht.

    56.

    Daher kommt die Kommission zu dem Schluss, dass die Verordnung Nr. 549/2013 von Privaten nicht unmittelbar geltend gemacht werden könne. Institutionelle Einheiten (wie Ferrovienord und FITRI), die ihrer Auffassung nach zu Unrecht vom ISTAT zum Sektor S.13 zugeordnet worden seien, könnten daher die Entscheidungen des ISTAT nicht wegen Unvereinbarkeit mit der Verordnung Nr. 549/2013 anfechten. Sie könnten lediglich einen Verstoß gegen italienische interne Rechtsvorschriften geltend machen.

    57.

    Der Standpunkt der Kommission überzeugt mich nicht.

    58.

    Zunächst ist die Verordnung Nr. 549/2013 in Rechtssachen wie den vorliegenden auf jeden Fall anwendbar, sei es unmittelbar oder sei es aufgrund unbedingter Verweisung durch das innerstaatliche italienische Recht. Der Gerichtshof ist auch dann für die Auslegung der Verordnung zuständig, wenn es sich um rein interne Sachverhalte handelt und „… die Vorschriften des Unionsrechts durch das nationale Recht, das sich zur Regelung rein innerstaatlicher Sachverhalte, deren Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen, nach den im Unionsrecht getroffenen Regelungen richtete, für anwendbar erklärt wurden“ ( 33 ).

    59.

    Das vorlegende Gericht erläutert hinreichend die sich aus der Verweisung durch die italienischen Rechtsvorschriften ergebende Anwendung der statistischen Vorschriften der Union auf die Beziehungen zwischen den italienischen Behörden und den nationalen Einrichtungen.

    60.

    In den Rechtsstreitigkeiten, die zu den beiden Vorabentscheidungsersuchen geführt haben, ordnet das ISTAT Ferrovienord und FITRI den staatlichen Stellen zu und nimmt sie in die ISTAT 2020-Liste auf. Hierfür wendet sie bestimmte Bestimmungen der Verordnung Nr. 549/2013 an, und aus der Aufnahme ergeben sich rechtliche Folgen für die Einrichtungen.

    61.

    Sodann sind zwei Hypothesen zu unterscheiden, die allerdings zum gleichen Ergebnis führen.

    Wenn es sich bei Ferrovienord und FITRI um private Einrichtungen (d. h. Private im Sinne der Geltendmachung der Verordnung Nr. 549/2013) handelt, worüber das vorlegende Gericht zu entscheiden hat, können sie sich gegenüber dem ISTAT, das eindeutig eine Behörde des italienischen Staats ist, auf die unmittelbare Wirkung der Verordnung berufen. Es liegt in diesem Fall eine vertikale Beziehung vor, in der ein Privater eine Verordnung der Union gegenüber einer staatlichen Stelle geltend macht.

    Entscheidet das vorlegende Gericht hingegen, dass es sich bei Ferrovienord und FITRI um staatliche Stellen handelt, kann, da die Verordnung Nr. 549/2013 für den italienischen Staat in allen ihren Teilen verbindlich und von allen seinen staatlichen Stellen zu erfüllen ist, eine institutionelle Einheit des öffentlichen Sektors, die zur Anfechtung einer Entscheidung des ISTAT berechtigt ist, die Verordnung in einem Rechtsstreit gegenüber dem ISTAT geltend machen.

    62.

    Wenn das ISTAT als italienische Statistikbehörde bestimmt, welche Einrichtungen dem Sektor S.13 zuzuordnen sind, wendet es die Klassifikation des ESVG 2010 und somit die Verordnung Nr. 549/2013 an.

    63.

    Die Einrichtungen, über die das ISTAT entscheidet und auf die die Verordnung Nr. 549/2013 angewandt wird, können, sofern sie nach den nationalen Rechtsvorschriften dazu berechtigt sind, diese Entscheidungen vor den nationalen Gerichten anfechten, wenn sie der Ansicht sind, dass das ISTAT nicht richtig entschieden habe.

    64.

    Mit anderen Worten können institutionelle Einheiten, die vor ihren nationalen Gerichten klagebefugt sind, sich zur Verteidigung des Vorbringens, dass das ISTAT das ESVG 2010 fehlerhaft angewandt habe, auf die Verordnung Nr. 549/2013 berufen.

    65.

    Letztlich wird bei den jeweiligen Klagen gegen die Entscheidungen des ISTAT eine Berufung auf die Verordnung Nr. 549/2013 unabhängig von der Frage möglich sein, ob das vorlegende Gericht Ferrovienord und FITRI als private oder staatliche Stellen einstuft.

    66.

    Der Gerichtshof hat die Anwendbarkeit und unmittelbare Wirkung der Verordnung Nr. 549/2013 in Rechtsstreitigkeiten, in denen es um die Frage ging, wie verschiedene Einrichtungen den jeweiligen Kapiteln des Anhangs A der Verordnung zuzuordnen sind, implizit anerkannt.

    In der Rechtssache FIG und FISE ( 34 ) ging es um die Frage, ob das italienische Nationale Olympische Komitee eine öffentliche Kontrolle über die italienischen Golf- und Pferdesportverbände ausübt oder nicht. Die unmittelbare und bindende Wirkung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 549/2013 wurde von niemandem bestritten, und beide Sportverbände konnten in den Ausgangsverfahren ihre Klassifikation in der ISTAT‑Liste als staatliche Stellen anfechten.

    In der Rechtssache Fonds du Logement de la Région de Bruxelles-Capitale ( 35 ) hatte der Fonds die Zuordnung zum Sektor Staat gemäß ESVG 2010 durch die belgische Statistikbehörde angefochten. Für die Entscheidung über den Rechtsstreit wurden die bindende Wirkung und die unmittelbare Wirkung der Verordnung Nr. 549/2013 implizit und unbestritten akzeptiert.

    Dies war auch in der vor Kurzem entschiedenen Rechtssache SeGEC u. a. ( 36 ) der Fall, in der im Bereich des Unterrichtswesens in Belgien tätige Vereinigungen ihre Zuordnung zum Sektor Staat angefochten haben.

    67.

    Von der Anwendung der Bestimmungen des ESVG 2010 durch die statistischen Behörden sind nicht nur die statistischen Behörden selbst, sondern auch die Einrichtungen (institutionelle Einheiten) des Mitgliedstaats betroffen ( 37 ). Sowohl das vorlegende Gericht als auch die italienische Regierung ( 38 ) erkennen an, dass eine Aufnahme in die ISTAT 2020-Liste zur Folge hat, dass die betroffene juristische Person zur Einhaltung der nationalen Vorschriften zur Begrenzung der öffentlichen Ausgaben verpflichtet ist.

    68.

    Das ESVG 2010 regelt zwar die Statistiken der staatlichen Stellen, berücksichtigt aber auch die wirtschaftliche Tätigkeit von Privaten, und die entsprechende Einstufung durch das ISTAT kann rechtliche Folgen für diese haben.

    69.

    Folglich kann sich jede private institutionelle Einheit unmittelbar auf die einschlägigen Nummern der Klassifikation des ESVG 2010 berufen und ein nationales Gericht zwecks Klärung der Frage anrufen, ob die nationalen Behörden die Nummern bei ihrer Einstufung korrekt angewendet haben. Ebenso kann sich eine staatliche Stelle in einem Rechtsstreit gegen das ISTAT auf die bindende Wirkung der Verordnung Nr. 549/2013 berufen, sofern die internen Rechtsvorschriften eine Klagemöglichkeit vorsehen ( 39 ).

    70.

    Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass ein Mitgliedstaat nach Art. 1 Abs. 4 der Verordnung Nr. 549/2013 „für seine eigenen Zwecke die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen“ nach einer anderen statistischen Systematik als dem ESVG 2010 erstellen kann. Macht ein Mitgliedstaat von dieser Möglichkeit Gebrauch, müssen seine statistischen Ämter die erhobenen Daten anschließend neu aufbereiten, um sie der Kommission in Übereinstimmung mit dem ESVG 2010 mitteilen zu können.

    71.

    Das ISTAT ist verpflichtet, die Liste des Sektors S.13 unter Verwendung der Klassifikation der Verordnung Nr. 549/2013 aufzustellen. Wird eine Einrichtung als institutionelle Einheit dieses Sektors eingestuft, so ist sie verpflichtet, dem ISTAT ihre Wirtschaftsdaten gemäß der vom Staat festgelegten Klassifikation mitzuteilen. Wie bereits dargestellt, hat Italien für die institutionellen Einheiten seiner öffentlichen Verwaltung die Verwendung der Klassifikation des ESVG 2010 festgelegt ( 40 ). Aufgrund dieser Festlegung hat das ISTAT die Verordnung Nr. 549/2013 bei der Einstufung von Einrichtungen wie Ferrovienord oder FITRI in den Sektor „Staat“ unmittelbar anzuwenden ( 41 ).

    2. Möglichkeit der Geltendmachung der Richtlinie 2011/85

    72.

    In der vorliegenden Rechtssache gilt hinsichtlich der Richtlinie 2011/85 Folgendes:

    „Diese Richtlinie legt detaillierte Vorschriften fest, die bestimmen, welchen Anforderungen die haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedstaaten genügen müssen. Diese Vorschriften sind notwendig, um zu gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten den vertraglichen Verpflichtungen des AEUV hinsichtlich der Vermeidung übermäßiger öffentlicher Defizite entsprechen“ (Art. 1).

    Die Richtlinie übernimmt die Definitionen des ESVG 2010 für die öffentliche Verwaltung und ihre verschiedenen Teilsektoren und verwendet sie im Zusammenhang mit den haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedstaaten (Art. 2) ( 42 ).

    Die Richtlinie legt fest, dass „[d]ie Mitgliedstaaten über … Systeme des … Rechnungswesens [verfügen], die sämtliche Teilsektoren des Staates umfassend und kohärent abdecken und die zur Erhebung von periodengerechten Daten im Hinblick auf die Vorbereitung von Daten nach dem [ESVG-2010]-Standard erforderlichen Informationen liefern. Diese Systeme des öffentlichen Rechnungswesens unterliegen einer internen Kontrolle und unabhängigen Rechnungsprüfung“ (Art. 3).

    73.

    Die mittelfristigen Haushaltsrahmen sowie die in der Richtlinie 2011/85 geregelten Prognosen und numerischen Haushaltsregeln werden von den nationalen Behörden der Mitgliedstaaten erstellt und der Kommission mitgeteilt und betreffen im Wesentlichen die statistischen Ämter und die Wirtschaftsministerien. Meiner Ansicht nach finden sich in der Richtlinie keine Bestimmungen, die sich an andere staatliche Stellen richten oder die unmittelbar die rechtliche Situation von Privaten betreffen.

    74.

    Folglich enthält die Richtlinie 2011/85 keine Bestimmungen, die unmittelbare Wirkung entfalten können und für Private oder andere staatliche Stellen als Statistikbehörden oder Wirtschaftsministerien Rechte oder Pflichten begründen können.

    75.

    Diesen Erwägungen steht nicht entgegen, dass die italienischen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Verpflichtungen aus der Richtlinie 2011/85 in internes Recht zusätzliche Bestimmungen enthalten, die über die Bestimmungen der Richtlinie hinausgehen. Es ist Sache der nationalen Gerichte, diese zusätzlichen Bestimmungen, die den nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2011/85 zu entnehmen sind, auszulegen und anzuwenden.

    3. Zwischenergebnis

    76.

    Zusammenfassend vertrete ich folgenden Standpunkt:

    Die Verordnung Nr. 549/2013 kann von einer institutionellen Einheit (staatliche oder private Einrichtung) im Zusammenhang mit ihrer Aufnahme durch das ISTAT in den Sektor S.13 (Staat) des ESVG 2010 geltend gemacht werden.

    Die Richtlinie 2011/85 regelt nur die Beziehungen der nationalen Statistik- und Haushaltsbehörden zu den Organen der Union und enthält keine Bestimmungen, die auf andere Arten von staatlichen oder privaten Einrichtungen anwendbar wären, und kann daher nicht von solchen Einrichtungen geltend gemacht werden.

    D.   Zweite Vorlagefrage

    77.

    Die Corte dei conti (Rechnungshof) möchte wissen, ob die Beschränkung ihrer gerichtlichen Kontrolle über die ISTAT 2020-Liste mit der Richtlinie 2011/85 und der Verordnung Nr. 473/2013 vereinbar ist. Ihrer Auffassung nach weicht die strittige nationale Vorschrift die in den Unionsvorschriften vorgesehene unabhängige Kontrolle der Haushaltsbehörden auf und hindert sie daran, die Anwendung der Haushaltsvorschriften zu überwachen.

    78.

    Die Richtlinie 2011/85 verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu,

    haushaltspolitische Rahmen aufzustellen, die u. a. „Regelungen für eine unabhängige Überwachung und Durchführung von Analysen zur Erhöhung der Transparenz einzelner Elemente des Haushaltsprozesses“ enthalten (Art. 2 Buchst. f),

    „… Systeme des öffentlichen Rechnungswesens [einzuführen, die] einer internen Kontrolle und unabhängigen Rechnungsprüfung [unterliegen]“ (Art. 3 Abs. 1 a. E.),

    „die länderspezifischen numerischen Haushaltsregeln“ einzuführen, die „genaue Angaben zu Folgendem [enthalten]: effektive und zeitnahe Überwachung der Einhaltung der Regeln, die auf verlässlichen unabhängigen Analysen beruhen, die von unabhängigen Einrichtungen oder Einrichtungen vorgenommen werden, deren funktionelle Eigenständigkeit gegenüber den Haushaltsbehörden des Mitgliedstaats gegeben ist“ (Art. 6 Abs. 1 Buchst. b).

    79.

    Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und Art. 5 der Verordnung Nr. 473/2013 verfügen die Mitgliedstaaten über von der Haushaltsbehörde unabhängige Einrichtungen, um eine wirksame Überwachung der Einhaltung der Haushaltsvorschriften der Union sicherzustellen. Diese nationalen unabhängigen Einrichtungen sind auch an der Erstellung der Haushaltsprognosen zu beteiligen (Art. 2 Abs. 1 Buchst. b).

    80.

    Die Richtlinie 2011/85 und die Verordnung Nr. 473/2013 schreiben den Mitgliedstaaten nicht vor, welche unabhängigen Einrichtungen die tatsächliche Einhaltung der Haushaltsvorschriften der Union zu überwachen haben.

    81.

    Im dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/85 wird auf die Möglichkeit Bezug genommen, dass die unabhängigen Rechnungsprüfungen durch öffentliche Institutionen, wie etwa Rechnungshöfe, durchgeführt werden ( 43 ). Die Mitgliedstaaten werden jedoch nicht daran gehindert, sich für andere Arten von Einrichtungen zu entscheiden oder die Aufgabe zwischen ihrem Rechnungshof und anderen Organen aufzuteilen. Dies geht auch aus dem 17. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 473/2013 hervor ( 44 ).

    82.

    Vorbehaltlich der Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften durch die nationalen Gerichte scheinen die strittigen Funktionen in Italien vom Rechnungshof und dem Ufficio Parlamentare di Bilancio (Parlamentarische Haushaltsstelle) ausgeübt zu werden ( 45 ).

    83.

    Die Schaffung von unabhängigen Überwachungseinrichtungen ist in der Richtlinie 2011/85 und der Verordnung Nr. 473/2013 nur in Verbindung mit der Überwachung der Einhaltung der Haushaltsvorschriften der Union vorgeschrieben.

    84.

    Weder diese Unionsvorschriften noch die Verordnung Nr. 549/2013 sehen indessen eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten vor, über unabhängige Einrichtungen für die Aufbereitung der an die Kommission (Eurostat) zu übermittelnden statistischen Daten zu verfügen. Diese Aufgabe übernehmen, wie ich bereits erläutert habe, die nationalen statistischen Ämter, deren Unabhängigkeit keine der Unionsvorschriften fordert.

    85.

    Im Ergebnis stellen die Richtlinie 2011/85 und die Verordnung Nr. 473/2013 den Mitgliedstaaten anheim, die in Bezug auf die Anwendung des ESVG 2010 ausgeübte Kontrolle der Rechnungshöfe auf staatliche Stellen zu beschränken und diese Aufgabe ganz oder teilweise an eine andere unabhängige Einrichtung zu übertragen.

    E.   Dritte Vorlagefrage

    86.

    Die Corte dei conti (Rechnungshof) möchte wissen, ob „das Rechtsstaatsprinzip in der Ausprägung der Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes und der Gleichwertigkeit der Rechtsbehelfe“ der strittigen nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht.

    87.

    Aus den in den Akten enthaltenen Informationen, den Stellungnahmen der Parteien und den Antworten auf die in der mündlichen Verhandlung gestellten Fragen geht hervor, dass die Verwaltungsgerichte für die Kontrolle der Entscheidungen des ISTAT über die Klassifikation der staatlichen Stellen in Anwendung des ESVG 95 (Vorgängerin des ESVG 2010) zuständig waren, bis die Zuständigkeit durch das Gesetz Nr. 228/2012 ( 46 ) an den Rechnungshof übertragen wurde.

    88.

    Mit Gesetz Nr. 228/2012 wurde der folgende Abs. 6 zum Art. 11 der Prozessordnung des Rechnungshofs hinzugefügt: „In Ausübung ihrer ausschließlichen Gerichtsbarkeit im Bereich des öffentlichen Rechnungswesens entscheiden die vereinigten Sektionen [des Rechnungshofs] in besonderer Zusammensetzung in einer einzigen Instanz über … Verfahren im Bereich der Bestandsaufnahme der staatlichen Stellen durch das ISTAT“.

    89.

    Durch die neue Vorschrift (Gesetzesdekret 137/2020, bestätigt durch Gesetz Nr. 176/2020) wurde am Ende dieser Bestimmung der Satzteil „und zwar ausschließlich für die Zwecke der Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften über die Begrenzung der öffentlichen Ausgaben“ eingefügt.

    90.

    Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass die strittige Bestimmung

    „jegliche gerichtliche Überprüfung der korrekten Anwendung des ESVG 2010 durch das [ISTAT] für die Zwecke der Abgrenzung des Sektors S.13 …“ ausschließe,

    die Klägerin der doppelten Belastung einer gerichtlichen Anfechtung aussetze und damit den wirksamen und rechtzeitigen Schutz ihres Rechts faktisch unmöglich mache und die Rechtssicherheit, bezogen auf das Vorliegen des Status als staatliche Stelle, aushöhle,

    (sofern das Vorbringen des ISTAT und des Wirtschafts- und Finanzministeriums zutreffend sei) zur Folge habe, dass „ein anderes Gericht als dasjenige …, dem die italienische Verfassung die Gerichtsbarkeit über das Haushaltsrecht vorbehält“, „über die Korrektheit der haushaltsrechtlichen Abgrenzung“ urteile.

    91.

    Die italienische Regierung hingegen macht geltend, die Beschränkung der Zuständigkeit der Corte dei conti (Rechnungshof) auf die Kontrolle der Entscheidungen des ISTAT über die Klassifikation der staatlichen Stellen führe nur zu einer Übertragung (Verschiebung) der Zuständigkeit auf die Verwaltungsgerichte. Es handele sich somit um eine Rückkehr zur Situation vor 2012, und in Bezug auf den effektiven gerichtlichen Rechtsschutz der von den Unionsvorschriften verliehenen Rechte lägen keine Mängel vor.

    92.

    Der Gerichtshof kann nicht über den Umfang der Gesetzesänderung von 2020 entscheiden; dies ist Sache der zuständigen italienischen Gerichte. Noch weniger kann er sich mit der Frage befassen, ob die Gesetzesänderung gegen die italienische Verfassung verstößt oder nicht. Der Gerichtshof kann jedoch feststellen, ob die Änderung in einer bestimmten Auslegung dem Unionsrecht zuwiderläuft.

    93.

    Die Mitgliedstaaten sind nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verpflichtet, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit den Einzelnen die Wahrung ihres in Art. 47 der Charta verankerten Anspruchs auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist ( 47 ).

    94.

    Logischerweise kann Art. 47 der Charta nur nach Maßgabe von Art. 51 Abs. 1 der Charta greifen. In den vorliegenden Rechtssachen handelt es sich, wie ich bereits dargelegt habe, bei dem anwendbaren Unionsrecht um die Verordnung Nr. 549/2013. Da es sich um eine Rechtslage handelt, die in materieller Hinsicht durch das von den italienischen Behörden anzuwendende Unionsrecht geregelt wird, kommen die Bestimmungen der Charta zur Anwendung.

    95.

    Allerdings ist weder in der Verordnung noch in sonstigen Unionsvorschriften festgelegt, welche nationalen Gerichte den effektiven gerichtlichen Rechtsschutz konkret zu gewähren haben. Die Mitgliedstaaten können diesbezüglich frei entscheiden, sind jedoch an den Äquivalenz- und den Effektivitätsgrundsatz gebunden ( 48 ).

    96.

    Vor diesem Hintergrund sind die beiden Hypothesen, die das vorlegende Gericht darstellt, zu prüfen.

    97.

    Wäre nach den nationalen Rechtsvorschriften nur eines der Gerichte, anstelle eines anderen, für einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte zuständig, so läge weder ein Verstoß gegen Art. 47 der Charta noch ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV vor.

    98.

    Beschließt ein Mitgliedstaat, die gerichtliche Kontrolle der Entscheidungen über die Anwendung des ESVG 2010 entweder an seinen Rechnungshof oder an seine Verwaltungsgerichte zu übertragen, so nimmt er seine Verfahrensautonomie in einem Bereich wahr, in dem das Unionsrecht weder die eine noch die andere Option vorschreibt oder verbietet. Sofern der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz eingehalten werden, verstößt eine solche Entscheidung nicht gegen das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz.

    99.

    Sollte die Gesetzesänderung von 2020 hingegen zu einem vollständigen Wegfall der gerichtlichen Kontrolle der Entscheidungen des ISTAT über die Aufnahme von institutionellen Einheiten in den Sektor S.13 des ESVG 2010 führen, käme es zu einer Lücke im effektiven gerichtlichen Rechtsschutz bei der Anwendung der Verordnung Nr. 549/2013. Denn die institutionellen Einheiten könnten in einem solchen Fall bei keinem Gericht die Kontrolle der Handlungen des ISTAT beantragen, mit denen die Verordnung angewendet wird.

    100.

    In der mündlichen Verhandlung hat die Mehrheit der Parteien und Beteiligten ausgeführt, dass durch die Gesetzesänderung lediglich die Modalitäten des gerichtlichen Rechtsschutzes für die in die ISTAT 2020-Liste aufgenommenen Einrichtungen geändert worden seien. Seit 2020 sind die Verwaltungsgerichte dafür zuständig, direkt über die Gültigkeit von Entscheidungen des ISTAT zu urteilen, mit denen institutionelle Einheiten dem Sektors S.13 zugeordnet werden ( 49 ).

    101.

    Für die Entscheidung über die Klassifikation der Einrichtungen durch das ISTAT ist das vorlegende Gericht allerdings weiterhin zuständig, wenn auch für die Zwecke der Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften über die Begrenzung der öffentlichen Ausgaben. Die italienische Regierung macht geltend, die Corte dei conti (Rechnungshof) könne im Rahmen dieser Zuständigkeit inzident die Gültigkeit der Entscheidungen des ISTAT überprüfen und sie im konkreten Fall unangewandt lassen ( 50 ).

    102.

    Steht die doppelte Anfechtungsmöglichkeit mit dem Äquivalenz- und dem Effektivitätsgrundsatz im Einklang?

    103.

    Ein Verstoß gegen den Äquivalenzgrundsatz könnte vorliegen, wenn das interne Verfahrensrecht für vergleichbare Fälle nur Direktklagen vorsähe. Die italienische Regierung hat jedoch in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, die italienischen Rechtsvorschriften (z. B. aus dem Steuerrecht) sähen vergleichbare inzidente Rechtsbehelfe vor ( 51 ). Der Äquivalenzgrundsatz scheint folglich nicht betroffen zu sein.

    104.

    In Bezug auf den Effektivitätsgrundsatz hat der Gerichtshof Folgendes entschieden:

    – „Das Unionsrecht zwingt die Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht dazu, vor ihren nationalen Gerichten neben den nach nationalem Recht bereits bestehenden Rechtsbehelfen neue zu schaffen, um den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte zu gewährleisten … ( 52 ).“

    – „Etwas anderes gilt nur, wenn es nach dem System der betreffenden nationalen Rechtsordnung keinen Rechtsbehelf gibt, mit dem wenigstens inzident die Wahrung der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleistet werden könnte, oder wenn die einzige Möglichkeit für den Einzelnen, Zugang zu einem Gericht zu erlangen, darin bestünde, eine Rechtsverletzung begehen zu müssen ( 53 ).“

    105.

    Das vorlegende Gericht führt in Bezug auf die strittige Bestimmung aus, dass sie zu einer doppelten Belastung einer gerichtlichen Anfechtung (vor den Verwaltungsgerichten und vor der Corte dei Conti [Rechnungshof]) führe. Diese Doppelbelastung könne sich widersprechende Urteile zur Folge haben, worunter der Grundsatz der Rechtssicherheit litte.

    106.

    Die italienische Regierung hat in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, Einrichtungen, die in die ISTAT 2020-Liste aufgenommen seien und ihre Klassifikation als staatliche Stellen anfechten wollten, seien nicht verpflichtet, doppelt Klage zu erheben. Ihnen stehe der Rechtsweg offen, den sie je nach ihren Interessen bevorzugten.

    Vor den Verwaltungsgerichten könnten sie mit einer Klage die Nichtigerklärung der Entscheidung des ISTAT erga omnes erwirken.

    Vor der Corte dei conti (Rechnungshof) könnten sie die Folgen ihrer Klassifikation in der ISTAT‑Liste als staatliche Stellen (in Bezug auf Maßnahmen zur Begrenzung der öffentlichen Ausgaben) anfechten und gegebenenfalls, wenn auch immer nur inzident, die Nichtanwendung der Einstufung erreichen.

    107.

    Wenn die so beschriebene Situation der Realität entspricht (worüber das vorlegende Gericht zu entscheiden hat), bin ich nicht der Auffassung, dass das durch Erlass der strittigen Bestimmung eingeführte Rechtsbehelfssystem keinen effektiven Rechtsschutz bietet. Die betroffenen institutionellen Einheiten können nach den italienischen Rechtsvorschriften einen, zumindest inzidenten, effektiven gerichtlichen Rechtsschutz erhalten, der mit dem von den Unionsvorschriften geforderten Standard vereinbar zu sein scheint, da ihnen nicht die Pflicht auferlegt wird, einen doppelten Rechtsweg auszuschöpfen, um ihre Ansprüche durchsetzen zu können.

    108.

    Das so gestaltete System garantiert als solches zwar nicht, dass es nicht zu sich widersprechenden Gerichtsentscheidungen kommt, die, wenn sie nebeneinander bestehen, die Rechtssicherheit beeinträchtigen könnten. Es ist jedoch Sache der italienischen Verfahrensordnung, geeignete Mechanismen zur Beilegung möglicher Konflikte zwischen internen gerichtlichen Zuständigkeiten einzuführen, sofern es diese nicht bereits gibt. Die bloße Möglichkeit, dass es zu Konflikten kommen kann, ist meines Erachtens jedoch nicht ausreichend für die Feststellung, dass ein solches System gegen Art. 47 der Charta verstoße.

    V. Ergebnis

    109.

    Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, der Corte dei conti (Rechnungshof, Italien) wie folgt zu antworten:

    1.

    Bei der Verordnung (EU) Nr. 549/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 zum Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen auf nationaler und regionaler Ebene in der Europäischen Union (ESVG 2010) handelt es sich um eine Regelung mit bindender und unmittelbarer Wirkung, die von einer institutionellen Einheit (staatliche oder private Einrichtung) im Zusammenhang damit, dass die fragliche Einheit vom nationalen Statistikinstitut in den Sektor S.13 (Staat) des ESVG 2010 aufgenommen worden ist, geltend gemacht werden kann.

    Die Richtlinie 2011/85/EU des Rates vom 8. November 2011 über die Anforderungen an die haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedstaaten regelt lediglich die Beziehungen der nationalen Statistik- und Haushaltsbehörden zu den Organen der Union, enthält keine Bestimmungen, die auf andere Arten von staatlichen oder privaten Einrichtungen anwendbar wären, und hat somit für diese keine unmittelbare Wirkung.

    2.

    Die Richtlinie 2011/85 und die Verordnung (EU) Nr. 473/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über gemeinsame Bestimmungen für die Überwachung und Bewertung der Übersichten über die Haushaltsplanung und für die Gewährleistung der Korrektur übermäßiger Defizite der Mitgliedstaaten im Euro-Währungsgebiet stellen es den Mitgliedstaaten anheim, welche unabhängigen Einrichtungen die tatsächliche Einhaltung der Haushaltsvorschriften der Union zu überwachen haben.

    3.

    Eine nationale gesetzliche Regelung, die die gerichtliche Kontrolle, die der nationale Rechnungshof über die Liste ausübt, die von einem nationalen Statistikinstitut erstellt worden ist und die in Anwendung des ESVG 2010 als staatliche Stellen eingestufte institutionelle Einheiten enthält, auf eine inzidente Überprüfung reduziert und die unmittelbare gerichtliche Kontrolle dieser Entscheidung den Verwaltungsgerichten zuweist, verletzt nicht das in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz.


    ( 1 ) Originalsprache: Spanisch.

    ( 2 ) Die Rechtsprechung des Gerichtshofs ist in diesem Bereich noch spärlich und in der Entwicklung. Hervorzuheben ist das Urteil vom 11. September 2019, FIG und FISE (C‑612/17 und C‑613/17, EU:C:2019:705, im Folgenden: Urteil FIG und FISE).

    ( 3 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 zum Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen auf nationaler und regionaler Ebene in der Europäischen Union (ABl. 2013 L 174, S. 1).

    ( 4 ) Richtlinie des Rates vom 8. November 2011 über die Anforderungen an die haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedstaaten (ABl. 2011, L 306, S. 41).

    ( 5 ) Im Folgenden: Protokoll Nr. 12 zu übermäßigen Defiziten.

    ( 6 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über gemeinsame Bestimmungen für die Überwachung und Bewertung der Übersichten über die Haushaltsplanung und für die Gewährleistung der Korrektur übermäßiger Defizite der Mitgliedstaaten im Euro-Währungsgebiet (ABl. 2013, L 140, S. 11).

    ( 7 ) Legge n. 196 del 31 dicembre 2009, di contabilità e finanza pubblica (Gesetz Nr. 196 vom 31. Dezember 2009 über öffentliches Rechnungswesen und Finanzen) (GURI Nr. 303 vom 31. Dezember 2009, Suplemento ordinario Nr. 245).

    ( 8 ) Legge n. 243, del 24 dicembre 2012, disposizioni per l’attuazione del principio del pareggio di bilancio ai sensi dell’articolo 81, sesto comma, della Costituzione (Gesetz Nr. 243 vom 24. Dezember 2012 mit Bestimmungen zur Anwendung des Grundsatzes eines ausgeglichenen Haushalts im Sinne von Art. 81 Abs. 6 der Verfassung) (GURI Nr. 12 vom 15. Januar 2013).

    ( 9 ) Legge n. 161 – Disposizioni per l’adempimento degli obblighi derivanti dall’appartenenza dell’Italia all’Unione europea – Legge europea 2013bis, del 30 ottobre 2014 (Bestimmungen für die Umsetzung der Verpflichtungen aus der Mitgliedschaft Italiens in der Union – Europäisches Gesetz 2013a) (GURI Nr. 261 vom 10. November 2014 – Suppl. Ordinario Nr. 83).

    ( 10 ) Decreto legislativo n. 174, del 26 agosto 2016, Codice di giustizia contabile, adottato ai sensi dell’articolo 20 della legge 7 agosto 2015, n. 124 (Prozessordnung des Rechnungshofs, die gemäß Art. 20 des Gesetzes vom 7. August 2015 angenommen wurde, im Folgenden: Prozessordnung des Rechnungshofs) (GURI Nr. 209 vom 7. September 2016 – Suppl. Ordinario Nr. 41).

    ( 11 ) Decreto legge n. 137, del 28 ottobre 2020, Ulteriori misure urgenti in materia di tutela della salute, sostegno ai lavoratori e alle imprese, giustizia e sicurezza, connesse all’emergenza epidemiologica da COVID-19, convertito con modificazioni dalla Legge n. 176, del 18 dicembre 2020 (Gesetzesdekret Nr. 137 vom 28. Oktober 2020 mit dringenden Maßnahmen in den Bereichen Gesundheitsschutz, Unterstützung von Arbeitnehmern und Unternehmen, Justiz und Sicherheit im Zusammenhang mit der epidemiologischen Notfallsituation COVID-19) (GURI Nr. 269 vom 28. Oktober 2020), mit Änderungen umgewandelt in das Gesetz Nr. 176 vom 18. Dezember 2020) (GURI Nr. 319 vom 24. Dezember 2020 – Suppl. Ordinario Nr. 43) (im Folgenden: Gesetzesdekret Nr. 137/2020).

    ( 12 ) Hervorhebung nur hier.

    ( 13 ) Das ISTAT erstellt die Liste jährlich in Anwendung der Verordnung Nr. 549/2013 gemäß Art. 1 Abs. 3 des Gesetzes Nr. 196/2009.

    ( 14 ) Dem Antrag wurde nicht stattgegeben.

    ( 15 ) Das vorlegende Gericht hebt hervor, die Änderung sei durch Art. 5 Abs. 2 eines anderen Gesetzesdekrets (Nr. 154/2020 vom 23. November 2020) vorgenommen worden. Dieser Artikel sei durch das Gesetz Nr. 176/2020 zur Umwandlung des Gesetzesdekrets Nr. 137/2020 in ein Gesetz aufgehoben, sein Inhalt jedoch in Art. 23quater des Gesetzesdekrets Nr. 137/2020 übernommen worden.

    ( 16 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet (ABl. 2011, L 306, S. 1).

    ( 17 ) Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts besteht, wenn beide Gerichte (Rechnungshof und Verwaltungsgericht) die ordnungsgemäße Anwendung des ESVG 2010 gegenüber einer bestimmten Stelle feststellen müssen, die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen über ein und dasselbe Begehren sowie über die korrekte Abgrenzung der Stellen, die unter den Sektor S.13 fallen, mit der Folge, dass die Effizienz des Unionsrechts verringert werde.

    ( 18 ) Verordnung (EU, Euratom) 2020/2092 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2020 über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union (ABl. 2020, L 433I, S. 1).

    ( 19 ) Urteile vom 28. April 2022, SeGEC u. a. (C‑277/21, EU:C:2022:318, Rn. 21), und vom 4. März 2020, Schenker (C‑655/18, EU:C:2020:157, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 20 ) Dritte Vorlagefrage, Buchst. b und c.

    ( 21 ) Beschluss vom 4. Oktober 2021, Comune di Camerota (C‑161/21, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:833).

    ( 22 ) Beschlüsse vom 26. November 1999, RAI (C‑440/98, EU:C:1999:590, Rn. 14), und ANAS (C‑192/98, EU:C:1999:589, Rn. 23).

    ( 23 ) In den Ausgangsverfahren ging es um die Aufnahme für das Jahr 2017 von zwei Einrichtungen (die Federazione Italiana Golf und die Federazione Italiana Sport Equestri) in die vom ISTAT festgelegte Liste der staatlichen Stellen, die in die konsolidierte Gewinn-und-Verlust-Rechnung des italienischen Staates einbezogen werden.

    ( 24 ) Nrn. 30 ff. der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 25 ) Urteile vom 17. März 2022, Daimler (C‑232/20, EU:C:2022:196, Rn. 44), und vom 25. November 2021, job-medium (C‑233/20, EU:C:2021:960, Rn. 17).

    ( 26 ) Grundsätzlich dürfen die Mitgliedstaaten kein öffentliches Defizit von mehr als 3 % ihres BIP und keinen öffentlichen Schuldenstand von mehr als 60 % ihres BIP aufweisen (Art. 126 AEUV und Protokoll Nr. 12 zu übermäßigen Defiziten).

    ( 27 ) Die allgemeine Unionsregelung im Bereich Statistik ist die Verordnung (EG) Nr. 223/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2009 über europäische Statistiken und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1101/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Übermittlung von unter die Geheimhaltungspflicht fallenden Informationen an das Statistische Amt der Europäischen Gemeinschaften, der Verordnung (EG) Nr. 322/97 des Rates über die Gemeinschaftsstatistiken und des Beschlusses 89/382/EWG, Euratom des Rates zur Einsetzung eines Ausschusses für das Statistische Programm der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 2009, L 87, S. 164). Nach dieser Verordnung ist das Europäische Statistische System eine Partnerschaft zwischen der statistischen Stelle der Gemeinschaft, d. h. der Kommission (Eurostat), den nationalen statistischen Ämtern (im Folgenden: NSÄ) und anderen einzelstaatlichen Stellen, die in den einzelnen Mitgliedstaaten für die Entwicklung, Erstellung und Verbreitung europäischer Statistiken zuständig sind.

    ( 28 ) Verordnung des Rates vom 25. Mai 2009 über die Anwendung des dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolls über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit (ABl. 2009, L 145, S. 1).

    ( 29 ) Gemäß dem Beschluss 97/281/EG der Kommission vom 21. April 1997 über die Rolle von Eurostat bei der Erstellung von Gemeinschaftsstatistiken (ABl. 1997, L 112, S. 56) nimmt Eurostat im Namen der Kommission die Aufgaben einer für die Statistiken zuständigen Stelle wahr. Eurostat ist ebenfalls im Namen der Kommission dafür verantwortlich, die Datenqualität zu bewerten und die Daten bereitzustellen, die im Zusammenhang mit dem Verfahren bei einem übermäßigen Defizit verwendet werden.

    ( 30 ) Urteile FIG und FISE, Rn. 32, vom 3. Oktober 2019, Fonds du Logement de la Région de Bruxelles-Capitale (C‑632/18, EU:C:2019:833, Rn. 32), und vom 28. April 2022, SeGEC u. a. (C‑277/21, EU:C:2022:318, Rn. 23).

    ( 31 ) Vgl. den Wortlaut in Nr. 4 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 32 ) Schriftliche Erklärungen der Kommission, Rn. 29.

    ( 33 ) Vgl. in diesem Sinne die Urteile vom 18. Oktober 1990, Dzodzi (C‑297/88 und C‑197/89, EU:C:1990:360, Rn. 36, 37 und 41), vom 15. November 2016, Ullens de Schooten (C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 53), und vom 27. Juni 2018, SGI und Valériane (C‑459/17 und C‑460/17, EU:C:2018:501, Rn. 28).

    ( 34 ) Die Zuordnungsmethode ergibt sich insbesondere aus der Gesamtbetrachtung von Anhang A Nrn. 1.35, 2.34, 2.130, 3.31, 20.05, 20.13 und 20.17 der Verordnung Nr. 549/2013. Der allgemeine Begriff „Kontrolle“ wird in Anhang A Nrn. 1.36, 20.15, 20.18, 20.306 und 20.309 der Verordnung jeweils in ähnlicher Weise definiert.

    ( 35 ) Urteil vom 3. Oktober 2019 (C‑632/18, EU:C:2019:833).

    ( 36 ) Urteil vom 28. April 2022 (C‑277/21, EU:C:2022:318).

    ( 37 ) Urteil FIG und FISE, Rn. 32: „Wie sich aus den Erwägungsgründen 1 und 3 sowie aus Anhang A Nrn. 1.01 und 1.19 der Verordnung Nr. 549/2013 ergibt, wird mit dem ESVG 2010 ein Bezugsrahmen geschaffen, der im Interesse sowohl der Unionsbürger als auch der Union selbst dazu dient, die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Mitgliedstaaten zu erstellen“ (Hervorhebung nur hier).

    ( 38 ) Schriftliche Erklärungen der italienischen Regierung, Rn. 13 und 14. Die italienische Regierung betont, eine Einrichtung, die auf der ISTAT 2020-Liste stehe, dürfe z. B. ihren Beschäftigten bestimmte Sozialleistungen nicht gewähren und sei beim Kauf und Verkauf bestimmter Waren Beschränkungen unterworfen.

    ( 39 ) In einigen Mitgliedstaaten sind für Streitigkeiten zwischen staatlichen Stellen oder Institutionen andere Wege als eine gerichtliche Beilegung vorgeschrieben.

    ( 40 ) Die Kommission teilt mit, es gebe Mitgliedstaaten, die mit den italienischen Rechtsvorschriften vergleichbare Vorschriften erlassen hätten und die Klassifikation des ESVG 2010 für die Lieferung von Daten an ihre statistischen Ämter vorschrieben, während andere Mitgliedstaaten andere Klassifikationen verwendeten.

    ( 41 ) Siehe Nrn. 39 bis 41 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 42 ) Die haushaltspolitischen Rahmen beinhalten insbesondere: die Systeme des öffentlichen Rechnungswesens und der statistischen Berichterstattung, die Vorschriften und Verfahren zur Erstellung von Prognosen für die Haushaltsplanung; die länderspezifischen numerischen Haushaltsregeln, die Haushaltsverfahren, mittelfristige Haushaltsrahmen, die Regelungen für eine unabhängige Überwachung und Durchführung von Analysen zur Erhöhung der Transparenz einzelner Elemente des Haushaltsprozesses und die Mechanismen und Vorschriften zur Regelung der Finanzbeziehungen zwischen Behörden in den verschiedenen Teilsektoren des Staates.

    ( 43 )

    ( 44 )

    ( 45 ) In Kapitel VII des Gesetzes 243/2012 sind die Funktionen dieser unabhängigen Einrichtung geregelt, die für die Analyse und Überwachung der Entwicklung der öffentlichen Finanzen und die Beurteilung der Einhaltung der Haushaltsvorschriften zuständig ist.

    ( 46 ) Legge n. 228 del 24 dicembre 2012, disposizioni per la formazione del bilancio annuale e pluriennale dello Stato (Legge di stabilità 2013) (Gesetz Nr. 228 vom 24. Dezember 2012 mit Bestimmungen für die Aufstellung des jährlichen und mehrjährigen Staatshaushalts [Stabilitätsgesetz 2013]) (GURI Nr. 302, 29. Dezember 2012, Suplemento ordinario Nr. 212).

    ( 47 ) Urteil vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny (C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 48 ) „Gleichwohl ist es – vorbehaltlich des Bestehens einschlägiger Unionsregeln – nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, die verfahrensrechtlichen Modalitäten der … Rechtsbehelfe festzulegen, vorausgesetzt allerdings, dass diese Modalitäten, wenn sie dem Unionsrecht unterliegende Sachverhalte regeln, nicht ungünstiger sind als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte regeln, die dem innerstaatlichen Recht unterliegen (Äquivalenzgrundsatz), und dass sie die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz).“ Urteile vom 21. Dezember 2021, Randstad Italia (C‑497/20, EU:C:2021:1037, Rn. 58), und vom 10. März 2021, Konsul Rzeczypospolitej Polskiej w N. (C‑949/19, EU:C:2021:186, Rn. 43).

    ( 49 ) Wie in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben wurde, haben die Verwaltungsgerichte die allgemeine Zuständigkeit wiedererlangt, die ihnen, sofern keine besondere Vorschrift zur Anwendung kommt, gemäß Art. 7 des Codice del processo amministrativo, Decreto Legislativo (Gesetzesdekret) Nr. 104 vom 2. Juli 2010 (GURI vom 7. Juli 2010, S. 1) (Verwaltungsprozessordnung) zusteht. Von 2012 bis 2020 stand diese Befugnis zur Nichtigerklärung, wie ich bereits ausgeführt habe, der Corte dei conti (Rechnungshof) zu.

    ( 50 ) Es handele sich um einen Zwischenstreit, der mit der Einrede der Rechtswidrigkeit gemäß Art. 277 AEUV vergleichbar sei.

    ( 51 ) Vgl. Art. 7 Abs. 5 des Decreto Legislativo n. 546, di 31 dicembre 1992, Disposizioni sul processo tributario in attuazione della delega al Governo contenuta nell'art. 30 della legge 30 dicembre 1991, n. 413 (Gesetzesdekret Nr. 546 vom 31. Dezember 1992 mit Vorschriften über das abgabenrechtliche Verfahren in Ausübung der Befugnis der Regierung nach Art. 30 des Gesetzes Nr. 413 vom 30. Dezember 1991) (GU Nr. 9 vom 13. Januar 1993 – Suppl. Ordinario Nr. 8).

    ( 52 ) Urteile vom 14. Mai 2020, Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság (C‑924/19 PPU und C‑925/19 PPU, EU:C:2020:367, Rn. 143), vom 21. Dezember 2021, Randstad Italia (C‑497/20, EU:C:2021:1037, Rn. 62), und vom 7. Juli 2022, F. Hoffmann-La Roche u. a. (C‑261/21, EU:C:2022:534, Rn. 47).

    ( 53 ) Ebd. (Hervorhebung nur hier).

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