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Document 62021CC0268

Schlussanträge der Generalanwältin T. Ćapeta vom 6. Oktober 2022.
Norra Stockholm Bygg AB gegen Per Nycander AB.
Vorabentscheidungsersuchen des Högsta domstol.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Schutz personenbezogener Daten – Verordnung (EU) 2016/679 – Art. 6 Abs. 3 und 4 – Rechtmäßigkeit der Verarbeitung – Vorlegung eines Dokuments mit personenbezogenen Daten im Rahmen eines Zivilgerichtsverfahrens – Art. 23 Abs. 1 Buchst. f und j – Schutz der Unabhängigkeit der Justiz und Schutz von Gerichtsverfahren – Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche – Zu erfüllende Anforderungen – Berücksichtigung des Interesses betroffener Personen – Abwägung der widerstreitenden Interessen – Art. 5 – Datenminimierung – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 7 – Recht auf Schutz der Privatsphäre – Art. 8 – Recht auf Schutz personenbezogener Daten – Art. 47 – Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Rechtssache C-268/21.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2022:755

 SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

TAMARA ĆAPETA

vom 6. Oktober 2022 ( 1 )

Rechtssache C‑268/21

Norra Stockholm Bygg AB

gegen

Per Nycander AB,

Beteiligte:

Entral AB

(Vorabentscheidungsersuchen des Högsta domstolen [Oberstes Gericht, Schweden])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EU) 2016/679 – Schutz personenbezogener Daten – Art. 6 Abs. 3 und Abs. 4 – Verarbeitung personenbezogener Daten – Art. 23 Abs. 1 Buchst. f – Schutz der Unabhängigkeit der Justiz und Schutz von Gerichtsverfahren – Antrag der Rechtsmittelgegnerin in einem Zivilverfahren anzuordnen, dass die Rechtsmittelführerin Informationen über die von deren Arbeitnehmern gearbeiteten Stunden vorlegt“

I. Einleitung

1.

Your privacy is important for us. We use cookies to improve the user experience. Please review privacy preferences. Accept all/Settings. Check our privacy policy and cookies policy’. [„Ihre Privatsphäre ist uns wichtig. Zur Verbesserung des Nutzererlebnisses verwenden wir Cookies. Überprüfen Sie bitte die Präferenzen bezüglich der Privatsphäre. Alle annehmen/Einstellungen. Prüfen Sie unsere Grundsätze bezüglich der Privatsphäre und der Verwendung von Cookies.“] ( 2 )

2.

Beim Aufruf jeder Internetseite wird eine ähnliche Nachricht auftauchen.

3.

Dies ist auf die Datenschutz-Grundverordnung (im Folgenden: DSGVO) ( 3 ) zurückzuführen, die zum Hauptinstrument für den Schutz personenbezogener Daten in der Europäischen Union geworden ist.

4.

Taucht die DSGVO auch vor den nationalen Gerichten auf? Genauer gesagt, gilt sie für Offenlegungspflichten in einem Zivilverfahren vor einem nationalen Gericht? Wenn dem so ist, welche Verpflichtungen entstehen daraus für diese Gerichte? Dies sind die Fragen, zu deren Klärung dem Gerichtshof in dieser Rechtssache Gelegenheit gegeben wird.

II. Der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und die zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen

5.

Diese Fragen stellen sich in einem Fall vor dem vorlegenden Gericht, dem Högsta domstolen (Oberstes Gericht, Schweden). Der Sachverhalt dieses Falles kann wie folgt zusammengefasst werden. Die Norra Stockholm Bygg AB (im Folgenden: Fastec), die Rechtsmittelführerin im Ausgangsverfahren, führte den Neubau eines Bürogebäudes für die Per Nycander AB (im Folgenden: Nycander) aus, die Rechtsmittelgegnerin im Ausgangsverfahren. Die Arbeitnehmer, die diesen Bauauftrag ausführten, erfassten für Steuerzwecke ihre Anwesenheitszeiten in einem elektronischen Personalverzeichnis. Das Personalverzeichnis wurde im Auftrag von Fastec durch die Entral AB (im Folgenden: Entral) bereitgestellt.

6.

Das Ausgangsverfahren begann mit einem Streit über die Vergütung für die ausgeführten Arbeiten. Nycander trat dem Zahlungsverlangen von Fastec (das sich auf etwas mehr als zwei Millionen schwedische Kronen [SEK], ungefähr 190133 Euro, belief) entgegen und machte geltend, die von Fastec für die Arbeiten aufgewendete Zeit sei kürzer gewesen, als der Zeitraum, für den Fastec Zahlung verlange.

7.

Zum Nachweis, dass dies der Fall sei, beantragte Nycander, Entral die Vorlage des von ihr im Auftrag von Fastec gespeicherten Personalverzeichnisses aufzugeben. Fastec trat diesem Antrag entgegen und führte zur Begründung aus, eine solche Offenlegung verstieße gegen die DSGVO, da die angeforderten Daten zu einem anderen Zweck erhoben worden seien und nicht als Beweis im Ausgangsverfahren verwendet werden dürften.

8.

Das Tingsrätt (Gericht erster Instanz, Schweden) gab Entral auf, das Verzeichnis vorzulegen. Diese Entscheidung wurde in der Berufungsinstanz durch das Svea hovrätt (Berufungsgericht für Svealand, Schweden) bestätigt.

9.

Fastec legte gegen die Entscheidung des Svea hovrätt (Berufungsgericht für Svealand) Rechtsmittel beim Högsta domstolen (Oberstes Gericht) ein und beantragte, den Offenlegungsantrag von Nycander abzuweisen oder hilfsweise die Vorlage einer anonymisierten Fassung des Personalverzeichnisses anzuordnen. Im Zusammenhang mit diesem Verfahren hat der Högsta domstolen (Oberstes Gericht) dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Sind Art. 6 Abs. 3 und 4 DSGVO auch Anforderungen an das nationale Verfahrensrecht in Bezug auf die Vorlegungspflicht zu entnehmen?

2.

Falls Frage 1 zu bejahen ist: Sind nach der DSGVO auch die Interessen der betroffenen Personen zu berücksichtigen, wenn über die Vorlegung von Unterlagen mit personenbezogenen Daten entschieden wird? Enthält das Unionsrecht in einem solchen Fall Vorgaben dafür, wie im Einzelnen diese Entscheidung zu treffen ist?

10.

Im Lauf des Verfahrens haben Fastec, die tschechische, die polnische und die schwedische Regierung sowie die Europäische Kommission schriftliche Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht. In der Sitzung vom 27. Juni 2022 haben Nycander, die polnische und die schwedische Regierung sowie die Kommission mündlich verhandelt.

III. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

11.

Art. 5 DSGVO legt die Grundsätze fest, denen jede Verarbeitung personenbezogener Daten entsprechen muss:

„(1)   Personenbezogene Daten müssen:

a)

auf rechtmäßige Weise, nach Treu und Glauben und in einer für die betroffene Person nachvollziehbaren Weise verarbeitet werden (‚Rechtmäßigkeit, Verarbeitung nach Treu und Glauben, Transparenz‘);

b)

für festgelegte, eindeutige und legitime Zwecke erhoben werden und dürfen nicht in einer mit diesen Zwecken nicht zu vereinbarenden Weise weiterverarbeitet werden; eine Weiterverarbeitung für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, für wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke gilt gemäß Artikel 89 Absatz 1 nicht als unvereinbar mit den ursprünglichen Zwecken (‚Zweckbindung‘);

c)

dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein (‚Datenminimierung‘);

d)

sachlich richtig und erforderlichenfalls auf dem neuesten Stand sein; es sind alle angemessenen Maßnahmen zu treffen, damit personenbezogene Daten, die im Hinblick auf die Zwecke ihrer Verarbeitung unrichtig sind, unverzüglich gelöscht oder berichtigt werden (‚Richtigkeit‘);

e)

in einer Form gespeichert werden, die die Identifizierung der betroffenen Personen nur so lange ermöglicht, wie es für die Zwecke, für die sie verarbeitet werden, erforderlich ist; personenbezogene Daten dürfen länger gespeichert werden, soweit die personenbezogenen Daten vorbehaltlich der Durchführung geeigneter technischer und organisatorischer Maßnahmen, die von dieser Verordnung zum Schutz der Rechte und Freiheiten der betroffenen Person gefordert werden, ausschließlich für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke oder für wissenschaftliche und historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke gemäß Artikel 89 Absatz 1 verarbeitet werden (‚Speicherbegrenzung‘);

f)

in einer Weise verarbeitet werden, die eine angemessene Sicherheit der personenbezogenen Daten gewährleistet, einschließlich Schutz vor unbefugter oder unrechtmäßiger Verarbeitung und vor unbeabsichtigtem Verlust, unbeabsichtigter Zerstörung oder unbeabsichtigter Schädigung durch geeignete technische und organisatorische Maßnahmen (‚Integrität und Vertraulichkeit‘).

(2)   Der Verantwortliche ist für die Einhaltung des Absatzes 1 verantwortlich und muss dessen Einhaltung nachweisen können (‚Rechenschaftspflicht‘).“

12.

Art. 6 („Rechtmäßigkeit der Verarbeitung“) DSGVO sieht in den Abs. 1, 3 und 4 Folgendes vor:

„(1)   Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist:

c)

die Verarbeitung ist zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich, der der Verantwortliche unterliegt;

e)

die Verarbeitung ist für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde;

(3)   Die Rechtsgrundlage für die Verarbeitungen gemäß Absatz 1 Buchstaben c und e wird festgelegt durch

a)

Unionsrecht oder

b)

das Recht der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt.

Der Zweck der Verarbeitung muss in dieser Rechtsgrundlage festgelegt oder hinsichtlich der Verarbeitung gemäß Absatz 1 Buchstabe e für die Erfüllung einer Aufgabe erforderlich sein, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde. Diese Rechtsgrundlage kann spezifische Bestimmungen zur Anpassung der Anwendung der Vorschriften dieser Verordnung enthalten, unter anderem Bestimmungen darüber, welche allgemeinen Bedingungen für die Regelung der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung durch den Verantwortlichen gelten, welche Arten von Daten verarbeitet werden, welche Personen betroffen sind, an welche Einrichtungen und für welche Zwecke die personenbezogenen Daten offengelegt werden dürfen, welcher Zweckbindung sie unterliegen, wie lange sie gespeichert werden dürfen und welche Verarbeitungsvorgänge und ‑verfahren angewandt werden dürfen, einschließlich Maßnahmen zur Gewährleistung einer rechtmäßig und nach Treu und Glauben erfolgenden Verarbeitung, wie solche für sonstige besondere Verarbeitungssituationen gemäß Kapitel IX. Das Unionsrecht oder das Recht der Mitgliedstaaten müssen ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Zweck stehen.

(4)   Beruht die Verarbeitung zu einem anderen Zweck als zu demjenigen, zu dem die personenbezogenen Daten erhoben wurden, nicht auf der Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer Rechtsvorschrift der Union oder der Mitgliedstaaten, die in einer demokratischen Gesellschaft eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme zum Schutz der in Artikel 23 Absatz 1 genannten Ziele darstellt, so berücksichtigt der Verantwortliche – um festzustellen, ob die Verarbeitung zu einem anderen Zweck mit demjenigen, zu dem die personenbezogenen Daten ursprünglich erhoben wurden, vereinbar ist – unter anderem

a)

jede Verbindung zwischen den Zwecken, für die die personenbezogenen Daten erhoben wurden, und den Zwecken der beabsichtigten Weiterverarbeitung,

b)

den Zusammenhang, in dem die personenbezogenen Daten erhoben wurden, insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses zwischen den betroffenen Personen und dem Verantwortlichen,

c)

die Art der personenbezogenen Daten, insbesondere ob besondere Kategorien personenbezogener Daten gemäß Artikel 9 verarbeitet werden oder ob personenbezogene Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten gemäß Artikel 10 verarbeitet werden,

d)

die möglichen Folgen der beabsichtigten Weiterverarbeitung für die betroffenen Personen,

e)

das Vorhandensein geeigneter Garantien, wozu Verschlüsselung oder Pseudonymisierung gehören.“

13.

Weiterhin regelt Art. 23 Abs. 1 DSGVO Beschränkungen der Rechte und Pflichten nach der DSGVO:

„(1)   Durch Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, denen der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter unterliegt, können die Pflichten und Rechte gemäß den Artikeln 12 bis 22 und Artikel 34 sowie Artikel 5, insofern dessen Bestimmungen den in den Artikeln 12 bis 22 vorgesehenen Rechten und Pflichten entsprechen, im Wege von Gesetzgebungsmaßnahmen beschränkt werden, sofern eine solche Beschränkung den Wesensgehalt der Grundrechte und Grundfreiheiten achtet und in einer demokratischen Gesellschaft eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme darstellt, die Folgendes sicherstellt:

f)

den Schutz der Unabhängigkeit der Justiz und den Schutz von Gerichtsverfahren;

…“

B.   Schwedisches Recht

14.

Kap. 38 § 2 Abs. 1 des Rättegångsbalken (Prozessordnung; im Folgenden: PO) sieht vor, dass jede Person, die ein schriftliches Dokument besitzt, das als Beweismittel in Betracht kommt, dieses vorlegen muss. Abs. 2 dieser Bestimmung legt die Ausnahmen von dieser Verpflichtung fest, die Rechtsanwälte, Ärzte, Psychologen, Priester und andere Berufsträger umfasst, denen die Informationen in Ausübung ihrer Tätigkeit oder in vergleichbaren Situationen anvertraut wurden. Kap. 38 § 4 PO verleiht einem Gericht die Befugnis, die Vorlage eines schriftlichen Dokuments als Beweismittel anzuordnen.

15.

Dem vorlegenden Gericht zufolge hat ein Gericht bei der Prüfung, ob eine Person zur Vorlage eines Dokuments zu verpflichten ist, die Erheblichkeit des Beweismittels gegen das Interesse der anderen Partei abzuwägen, diese Informationen nicht freizugeben. Wie das vorlegende Gericht erläutert, beinhaltet dies jedoch nicht die Berücksichtigung der privaten Natur der Informationen, die offengelegt werden.

IV. Analyse

A.   Einleitung

16.

Die DSGVO stellt den Hauptrechtsakt der Union zur Regelung des Schutzes natürlicher Personen in Hinblick auf die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten dar. Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin, der Richtlinie 95/46/EG ( 4 ), wurde die DSGVO auf der Grundlage des Art. 16 AEUV erlassen ( 5 ). Diese Rechtsgrundlage befugt den Unionsgesetzgeber, das Grundrecht auf Schutz personenbezogener Daten zu schützen, das in Art. 8 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) vorgesehen ist ( 6 ).

17.

Werden personenbezogene Daten verarbeitet, erlegt die DSGVO dem „Verantwortlichen“ die Verantwortung für die Einhaltung dieses Rechtsakts auf ( 7 ). Bei jeder Verarbeitung personenbezogener Daten ist es daher wichtig festzustellen, wer der Verantwortliche ist.

18.

Gemäß Art. 4 Nr. 7 DSGVO ist der Verantwortliche die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet.

19.

In der vorliegenden Rechtssache sind zwei eigenständige Fälle der Verarbeitung personenbezogener Daten gegeben. Die erste Verarbeitung betrifft das elektronische Personalverzeichnis, das von Entral im Auftrag von Fastec unterhalten wird, da Letztere nach schwedischem Recht verpflichtet ist, für Steuerzwecke Daten über Arbeitsstunden zu erheben. In diesem Zusammenhang ist Fastec der Verantwortliche und Entral der Auftragsverarbeiter ( 8 ).

20.

Es ist unstreitig, dass die erste Verarbeitung im Einklang mit der DSVGO stand. Deren Art. 6 Abs. 1 Buchst. c gestattet insbesondere die Verarbeitung personenbezogener Daten, die zur Erfüllung rechtlicher Verpflichtungen erforderlich ist, der der Verantwortliche, hier Fastec, unterliegt ( 9 ). Würde festgestellt, dass diese erste Datenverarbeitung nach der DSGVO unrechtmäßig war, wäre sicherlich die Verarbeitung solcher Daten zu einem anderen Zweck folgerichtig auch unrechtmäßig ( 10 ).

21.

Die vorliegende Rechtssache betrifft jedoch die zweite Verarbeitung derselben Daten, die ursprünglich für Steuerzwecke erhoben wurden, zu einem anderen Zweck. Der neue Zweck liegt in der Offenlegung des Personalverzeichnisses durch Entral als Beweismittel im Zivilverfahren zwischen Fastec und Nycander. Die Vorlage dieses Verzeichnisses zu seiner Verwendung in einem Zivilverfahren brächte notwendigerweise die Verarbeitung personenbezogener Daten mit sich.

22.

Bei dieser zweiten Verarbeitung ändern sich gegenüber der ersten Verarbeitung die Rollen nach der DSGVO. Insbesondere ist das nationale Gericht, indem es Entral aufgibt, das Personalverzeichnis vorzulegen (im Folgenden: Offenlegungsanordnung) die Einrichtung, die über die Zwecke und Mittel der zweiten Datenverarbeitung entscheidet ( 11 ). Daher wird dieses Gericht zum Verantwortlichen ( 12 ).

23.

Im Rahmen dieser zweiten Verarbeitung könnte man annehmen, dass Fastec der Verantwortliche bleibt oder die Rolle dergestalt gewechselt hat, dass sie nunmehr zusammen mit Nycander der Datenempfänger ist ( 13 ). Selbst wenn Fastec gemeinsam mit dem nationalen Gericht der Verantwortliche bliebe ( 14 ), hätte dies jedoch keinen Einfluss auf die Verpflichtungen des nationalen Gerichts als Verantwortlicher ( 15 ). Schließlich ist noch festzustellen, dass sich die Rolle von Entral nicht ändert. Sie verbleibt der Auftragsverarbeiter und verarbeitet weiterhin dieselben personenbezogenen Daten, nun jedoch im Auftrag des neuen Verantwortlichen, des nationalen Gerichts.

24.

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob das nationale Gericht in der Tat ein Verantwortlicher nach der DSGVO werden kann, und ob dieser Verordnung in diesem Fall Anforderungen an das nationale Verfahrensrecht in Bezug auf die Befugnisse und Verpflichtungen der Gerichte in Zivilverfahren zu entnehmen sind. Wenn die DSGVO Anwendung findet und das nationale Gericht der Verantwortliche ist, möchte das vorlegende Gericht mit seiner zweiten Frage wissen, wie ein solches Gericht über die Offenlegung personenbezogener Daten zu entscheiden hat, wenn sie in einem Zivilverfahren als Beweismittel verwendet werden sollen.

25.

Zur Beantwortung der Fragen des vorlegenden Gerichts werde ich wie folgt vorgehen. Zunächst werden ich erläutern, warum ich der Auffassung bin, dass die DSGVO in Zivilverfahren vor Gerichten der Mitgliedstaaten anwendbar ist, und welchen Einfluss dies auf das bestehende Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten hat (B). Nachfolgend werde ich die Methodik behandeln, der nationale Gerichte als Verantwortliche folgen sollten, um die Anforderungen der DSGVO zu erfüllen (C).

B.   Die DSGVO ist in Zivilverfahren vor nationalen Gerichten anwendbar und ergänzt die Verfahrensregeln der Mitgliedstaaten

26.

Die erste Frage des vorlegenden Gerichts ist im Wesentlichen darauf gerichtet, ob die DSGVO in Zivilgerichtsverfahren anwendbar ist und welchen Einfluss sie auf die einschlägigen Verfahrensregeln hat. Genauer wird gefragt, ob sie die nationalen Vorschriften berührt, die die Befugnisse und Verpflichtungen von Gerichten bei der Anordnung der Offenlegung von Dokumenten als Beweismittel regeln. Diese Frage werde ich in drei Schritten beantworten.

1. Die DSGVO enthält keine Ausnahme für die Tätigkeiten nationaler Gerichte in Zivilverfahren

27.

Der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO wird in ihrem Art. 2 Abs. 1 definiert und folgt einem funktionalem und nicht einem institutionellen Ansatz. Die Anwendbarkeit der DSGVO wird durch die Antwort auf die Frage was (die Tätigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten) ausgelöst und nicht durch die Antwort auf die Frage wer ( 16 ).

28.

Die Ausnahmen vom Anwendungsbereich der DSGVO, die in ihrem Art. 2 Abs. 2 aufgeführt sind, haben ebenfalls funktionalen Charakter. Angesichts dessen, dass sie die Ausnahme von der Anwendung der DSGVO darstellen, war der Gerichtshof der Auffassung, dass sie eng auszulegen sind ( 17 ).

29.

Die Tätigkeiten von Behörden sind daher nicht als solche vom Anwendungsbereich der DSGVO ausgenommen, sondern nur in Bezug auf die in Art. 2 Abs. 2 DSGVO aufgeführten Tätigkeiten ( 18 ). In dieser Hinsicht nimmt dieser Artikel gerichtliche Tätigkeiten in Zivilverfahren nicht vom sachlichen Anwendungsbereich der DSGVO aus.

30.

Das Ergebnis, dass die DSGVO auf Tätigkeiten der Justiz Anwendung findet, wird durch den 20. Erwägungsgrund der DSGVO ( 19 ) bestätigt, in dem es heißt, dass dieser Rechtsakt für die Tätigkeiten der Gerichte und anderer Justizbehörden gilt ( 20 ).

31.

Die in Art. 55 Abs. 3 DSGVO enthaltene Ausnahme von der Zuständigkeit der Aufsichtsbehörden für Gerichte, wenn diese im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit handeln, berührt dieses Ergebnis nicht. Ganz im Gegenteil bestätigt diese Bestimmung meines Erachtens, dass Gerichte, die im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit handeln, den Verpflichtungen der DSGVO unterliegen. Sie gewährleistet ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, indem sie die Aufsicht über die von ihnen vorgenommenen Verarbeitungen durch die Aufsichtsbehörden untersagt.

32.

In der vorliegenden Rechtssache geht es um die Verarbeitung personenbezogener Daten, die in den sachlichen Anwendungsbereich der DSGVO fällt. Die Erstellung und der Unterhalt des elektronischen Personalverzeichnisses betreffen die Verarbeitung personenbezogener Daten ( 21 ). Auch die Anordnung der Offenlegung solcher personenbezogenen Daten im Zusammenhang mit einem Zivilverfahren stellt eine Verarbeitung dieser Daten dar ( 22 ). Somit fällt der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens in den sachlichen Anwendungsbereich der DSGVO.

33.

Was bedeutet dies für die Anwendung nationaler Verfahrensvorschriften wie der PO?

2. Das nationale Recht stellt die Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung durch nationale Gerichte dar

34.

Die Rechtsgrundlage für den Erlass der in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehenden Offenlegungsanordnung ist die PO.

35.

Die DSGVO erfordert in der Tat, dass die Datenverarbeitung in einem Sachverhalt wie dem in der vorliegenden Rechtssache ihre Rechtsgrundlage im Recht der Mitgliedstaaten (oder der Union) hat ( 23 ).

36.

Ursprünglich für Steuerzwecke erhoben und verarbeitet sind die in Rede stehenden Daten nun gemäß der Offenlegungsanordnung in der vorliegenden Rechtssache zu Beweiszwecken in einem Gerichtsverfahren zu verarbeiten.

37.

Art. 6 Abs. 4 DSGVO gestattet die Datenverarbeitung zu einem anderen Zweck, wenn diese auf einer Rechtsvorschrift der Mitgliedstaaten beruht, die in einer demokratischen Gesellschaft eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme zum Schutz der in Art. 23 Abs. 1 DSGVO genannten Ziele darstellt. Unter diesen Zielen führt Art. 23 Abs. 1 Buchst. f „den Schutz der Unabhängigkeit der Justiz und den Schutz von Gerichtsverfahren“ auf.

38.

Alle Beteiligten an dem vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren stimmen darin überein, dass Art. 23 Abs. 1 Buchst. f DSGVO die richtige Bestimmung zur Rechtfertigung der Datenverarbeitung zu einem anderen Zweck auf der Grundlage der PO darstellt ( 24 ).

39.

Die PO befugt die nationalen Gerichte, die Offenlegung von Dokumenten anzuordnen, wenn diesen in Zivilverfahren Beweiswirkung zukommt. Wie erläutert, wird das Gericht, das die Offenlegung eines Dokuments anordnet, das personenbezogene Daten enthält, zum Verantwortlichen nach der DSGVO.

40.

Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, ist das nationale Gericht lediglich in einem gewissen Umfang ein normaler Verantwortlicher. Nationale Gerichte können nämlich Daten nur in Ausübung ihrer öffentlichen Gewalt verarbeiten.

41.

Findet die Datenverarbeitung in Ausübung öffentlicher Gewalt statt ( 25 ), erfordert Art. 6 Abs. 3 DSGVO, dass sie auf dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten beruht.

42.

Daher verlangen sowohl Art. 6 Abs. 4 DSGVO (der die Verarbeitung zu einem anderen Zweck gestattet) als auch ihr Art. 6 Abs. 3 (der die Datenverarbeitung in Ausübung öffentlicher Gewalt gestattet) das Vorliegen nationaler (oder von Unions‑) Rechtsvorschriften als Rechtsgrundlage für die Verarbeitung ( 26 ).

43.

Daher ist es eine notwendige Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der in Rede stehenden Verarbeitung, dass die PO das Gericht befugt, die Offenlegungsanordnung zu erlassen.

3. Die DSGVO ergänzt die nationalen Verfahrensvorschriften

44.

Sind die Anforderungen der DSGVO an die rechtmäßige Verarbeitung erfüllt, wenn die von der DSGVO verlangte Rechtsgrundlage besteht und die Anordnung, die zur Verarbeitung personenbezogener Daten führt, im Einklang mit diesen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten erlassen wird?

45.

Meines Erachtens ist das Bestehen einer Rechtsgrundlage im nationalen Recht zwar erforderlich, reicht aber nicht aus, damit die Anordnung der Offenlegung im Einklang mit der DSGVO steht.

46.

Das vorlegende Gericht erläutert, dass nach der PO bei der Entscheidung über die Offenlegung von Beweismitteln die private Natur der Information grundsätzlich keine Berücksichtigung findet. Zwar sind Gerichte verpflichtet, die Interessen der Streitparteien zu berücksichtigen, doch findet im Gesetz selbst keine Erwähnung, dass die Interessen der betroffenen Personen eine Rolle spielen.

47.

Ist die PO unvereinbar mit der DSGVO, weil sie Gerichte, wenn sie zu Verantwortlichen werden, nicht ausdrücklich dazu verpflichtet, die Interessen betroffener Personen beim Erlass von Entscheidungen zu berücksichtigen, die Einfluss auf deren personenbezogene Daten haben können?

48.

Meiner Auffassung nach ist dies nicht der Fall. Es ist zu berücksichtigen, dass die unterschiedlichen nationalen Rechtsakte, die als Rechtsgrundlagen für die Datenverarbeitung dienen, nicht spezifisch im Rahmen der Umsetzung der DSGVO erlassen wurden, sondern ihre eigenen Zwecke verfolgen. Außerdem ist die DSGVO in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar und bedarf keiner Umsetzung. Worauf es daher ankommt, ist, dass die nationalen Verfahrensvorschriften der gleichzeitigen Anwendung der DSGVO Raum geben, wenn beide aufeinandertreffen.

49.

In der mündlichen Verhandlung hat die schwedische Regierung bestätigt, dass die PO die Gerichte weder verpflichtet, noch es ihnen untersagt, die Interessen der betroffenen Personen zu berücksichtigen. Sie steht daher der unmittelbaren Anwendung der DSGVO in den durch dieses Gesetz geregelten Gerichtsverfahren nicht entgegen.

50.

Nationale Gerichte unterliegen daher nebeneinander den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften und der DSGVO, wobei Letztere die nationalen Vorschriften ergänzt, wenn die Verfahrenstätigkeiten der Gerichte die Verarbeitung personenbezogener Daten mit sich bringen.

51.

Abschließend lässt sich feststellen, dass die nationalen Rechtsvorschriften nicht ausdrücklich auf die DSGVO verweisen oder Gerichte verpflichten müssen, die Interessen der betroffenen Personen zu berücksichtigen. Es genügt, dass diese Rechtsvorschriften die ergänzende Anwendung der DSGVO zulassen. Der nationale Rechtsakt verstieße nur dann gegen die DSGVO, wenn dies nicht der Fall wäre. Die PO scheint jedoch die ergänzende Anwendung der DSGVO zuzulassen ( 27 ).

52.

In Beantwortung der ersten Frage des vorlegenden Gerichts gelange ich daher zu dem Ergebnis, dass Art. 6 Abs. 3 und 4 DSGVO Anforderungen an das nationale Verfahrensrecht in Bezug auf Offenlegungspflichten stellt, wann immer diese zur Verarbeitung personenbezogener Daten führen. Die nationalen Verfahrensvorschriften dürfen in einem solchen Fall kein Hindernis dafür sein, dass die Interessen der betroffenen Personen berücksichtigt werden. Diese Interessen werden gewährleistet, wenn nationale Gerichte die Regelungen der DSGVO bei der Entscheidung über die Offenlegung von Dokumenten als Beweismittel in einem Einzelfall beachten.

C.   Die Verpflichtungen des nationalen Gerichts hinsichtlich der Interessen der betroffenen Personen

53.

Da sie der DSGVO unterliegen, müssen nationale Gerichte als Verantwortliche die Interessen der betroffenen Personen in Betracht ziehen. Wie sind diese Interessen beim Erlass einer konkreten Entscheidung über die Offenlegung zu berücksichtigen? Das ist der Kern der zweiten Frage des vorlegenden Gerichts.

1. Verhältnismäßigkeit

54.

Die Interessen der betroffenen Personen werden geschützt, wenn die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten im Einklang mit den Art. 5 und 6 DSGVO erfolgt ( 28 ). Um es mit Generalanwalt Pikamäe zu sagen, gewährleistet die Einhaltung der Art. 5 und 6 DSGVO den Schutz des Rechts auf ein Privat- und Familienleben und den Schutz personenbezogener Daten, die durch Art. 7 bzw. Art. 8 der Charta garantiert werden ( 29 ).

55.

Die legitimen Ziele der Verarbeitung sind in Art. 6 DSGVO aufgeführt ( 30 ). Wie im vorangehenden Abschnitt dieser Schlussanträge erläutert, verfolgt die Verarbeitung in der vorliegenden Rechtssache einen rechtmäßigen Zweck, da das Gericht bei der Anordnung der Offenlegung seine öffentliche Gewalt auf der Grundlage des nationalen Rechts ausgeübt hat, das der Gewährleistung der ordnungsgemäßen Durchführung von Gerichtsverfahren dient. Sowohl Art. 6 als auch Art. 5 DSGVO erfordern jedoch nicht nur ein legitimes Ziel, sondern auch, dass die konkrete Verarbeitung zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.

56.

Die DSGVO erfordert daher, dass das Gericht bei der Entscheidung, ob die Offenlegung personenbezogener Daten in einer konkreten Situation für Beweiszwecke in einem Gerichtsverfahren erforderlich ist, die Verhältnismäßigkeit prüft ( 31 ).

57.

In dieser Hinsicht verlangt Art. 6 Abs. 4 DSGVO, dass die nationale Rechtsvorschrift, auf der die Verarbeitung zu einem anderen Zweck beruht, eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme zum Schutz eines der in Art. 23 Abs. 1 DSGVO genannten Ziele darstellt, in der vorliegenden Rechtssache des Schutzes der Unabhängigkeit der Justiz und des Schutzes von Gerichtsverfahren. Ferner erfordert Art. 6 Abs. 3 DSGVO, dass die Verarbeitung in Ausübung öffentlicher Gewalt für die Ausübung solcher öffentlichen Gewalt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde, erforderlich ist.

58.

Die nationale Rechtsvorschrift, die die Rechtsgrundlage für die Verarbeitung darstellt, mag in abstracto die Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 und 4 DSGVO erfüllen. Die Rechtmäßigkeit jeder einzelnen Verarbeitung (einschließlich einer konkreten gerichtlichen Offenlegungsanordnung) hängt jedoch von der konkreten Abwägung aller betroffenen Interessen unter Berücksichtigung des legitimen Ziels ab, zu dem die Offenlegung beantragt wird ( 32 ). Nur auf diese Weise kann das nationale Gericht entscheiden, ob und in welchem Umfang die Offenlegung erforderlich ist.

59.

Somit ist klar, dass die DSGVO eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordert. Gibt die DSGVO weitere Hinweise, wie das Gericht im Rahmen dieser Prüfung konkret vorgehen muss?

2. Die konkrete Vorgehensweise, der das nationale Gericht folgen muss

60.

Die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist, wie erläutert, in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung aller betroffenen Interessen vorzunehmen. In Situationen wie der in der vorliegenden Rechtssache ist das Interesse an der Offenlegung gegen den Eingriff in das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten abzuwägen ( 33 ).

61.

Das Interesse an der Offenlegung spiegelt das Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz wider (Art. 47 der Charta). Die Interessen der betroffenen Personen, mit denen das Interesse an der Offenlegung kollidiert, spiegeln das Recht auf ein Privat- und Familienleben (Art. 7 der Charta) sowie das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 der Charta) wider. Es sind diese Rechte, die gegeneinander abzuwiegen sind, um zu entscheiden, ob die Offenlegung personenbezogener Daten erforderlich ist.

62.

Nachfolgend werde ich einige Hinweise geben, die die konkrete Vorgehensweise betreffen, der zu folgen vom nationalen Gericht erwartet werden kann.

63.

Zunächst kann immer davon ausgegangen werden, dass es im Interesse der betroffenen Personen liegt, die keine Einwilligung zur Verarbeitung gegeben haben, die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten zu beschränken. Daher stellt die Rechtfertigung, warum in dieses Interesse eingegriffen werden sollte, für das nationale Gericht den Ausgangspunkt dar.

64.

Meines Erachtens können Art. 5 DSGVO, der die Grundsätze enthält, die der Verantwortliche bei der Verarbeitung personenbezogener Daten einzuhalten hat, Hinweise für die Durchführung dieser Prüfung entnommen werden.

65.

In dieser Hinsicht ist der Grundsatz der Datenminimierung in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c DSGVO von entscheidender Bedeutung. Dieses Erfordernis verleiht, wie der Gerichtshof ausgeführt hat ( 34 ), dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Ausdruck. Es verlangt, dass die personenbezogenen Daten dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein müssen.

66.

Daher ist zunächst die Frage zu stellen, ob die Daten im von Entral vorgehaltenen Personalverzeichnis angemessen sind. Sie werden für den Zweck, zu dem sie offenzulegen sind, angemessen sein, wenn sie in der Tat die Anzahl der Arbeitsstunden belegen, die von den Arbeitnehmern von Fastec auf der Baustelle verbracht worden sind.

67.

Die zweite Frage lautet, ob die Daten im von Entral vorgehaltenen Personalverzeichnis für den Zweck, zu dem sie angefordert werden, erheblich sind. Der Zweck scheint im Interesse von Nycander zu liegen, ihr Vorbringen zu beweisen, dass die Arbeitnehmer von Fastec weniger Stunden gearbeitet haben, als in der Rechnung angegeben sind. Unter solchen Umständen wäre das Personalverzeichnis erheblich, wenn es ein solches Vorbringen in der Tat beweisen oder widerlegen könnte. Das nationale Gericht hat die Erheblichkeit unter Berücksichtigung anderer Tatsachen des Falles zu beurteilen (z. B. des Vorbringens von Fastec, das Personalverzeichnis enthalte lediglich einen Teil der erheblichen Arbeitsstunden, während weitere außerhalb der Baustelle geleistet worden seien).

68.

In Hinblick auf das dritte Erfordernis der Datenminimisierung hat das nationale Gericht festzustellen, ob zu Beweiszwecken alle in dem Verzeichnis enthaltenen Daten erforderlich sind oder auch schon einige von ihnen ausreichen. Außerdem verlangt die Datenminimisierung, dass, wenn andere Mittel zum Beweis derselben Tatsache zur Verfügung stehen, diese anderen Mittel verwendet werden. Beispielsweise könnte das nationale Gericht das Vorbringen von Fastec zu beurteilen haben, dass die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden anhand von Dokumenten überprüft werden könnten, die bereits in der Verfahrensakte des vorlegenden Gerichts enthalten seien. Stellt es fest, dass dieses Vorbringen zutrifft, darf das nationale Gericht die Offenlegung personenbezogener Daten im Personalverzeichnis nicht anordnen.

69.

Das nationale Gericht hat festzulegen, welche Arten personenbezogener Daten aus dem Verzeichnis ausreichen, um die erheblichen Tatsachen zu beweisen oder zu widerlegen. In dieser Hinsicht verlangt der Grundsatz der Datenminimisierung, dass nur die Daten offengelegt werden, die für den jeweiligen Zweck unbedingt erforderlich sind. Es mag daher erforderlich sein, dass Entral als Auftragsverarbeiter das Personalverzeichnis in der Weise ändert, dass die personenbezogenen Daten auf das erforderliche Minimum beschränkt werden, gleichwohl aber eine Schlussfolgerung hinsichtlich der tatsächlichen Arbeitsstunden gezogen werden kann.

70.

In dieser Hinsicht muss das nationale Gericht feststellen, ob es erforderlich ist, dass die Personen, deren Daten in dem Verzeichnis enthalten sind, identifizierbar sind, damit der Offenlegung Beweiswert zukommt (z. B. ob es erforderlich ist, die Namen der einzelnen Arbeitnehmer anzuführen, um sie als Zeugen vorzuladen). Andernfalls mögen die Informationen über die Gesamtzahl der auf der Baustelle geleisteten Stunden und/oder über die Anzahl der Personen, die diese Arbeitsstunden geleistet haben, ausreichen.

71.

Nach Maßgabe der Antworten auf die vorstehenden Fragen mag das Gericht entscheiden, die Offenlegung pseudonymisierter oder anonymisierter Daten zu verlangen ( 35 ).

72.

Nach dem 26. Erwägungsgrund der DSGVO verbleiben Daten, die einer Pseudonymisierung unterzogen worden sind, im sachlichen Anwendungsbereich der DSGVO. Dies erklärt sich dadurch, dass es möglich bleibt, die Identität der Person hinter dem Pseudonym zu ermitteln. Das Gegenteil gilt für anonymisierte Daten, die nicht in deren Anwendungsbereich fallen. Die Art der vom nationalen Gericht angeordneten Offenlegung wird sich deshalb letztlich auch auf die weitere Anwendbarkeit der DSGVO auswirken ( 36 ).

73.

Letztlich wird es Sache des nationalen Gerichts sein, den Beweiswert der unterschiedlichen Fassungen des Personalverzeichnisses zu festzustellen, um zu entscheiden, welche Art der Datenminimisierung gegebenenfalls für eine ordnungsgemäße Durchführung des vor ihm anhängigen Gerichtsverfahrens erforderlich ist.

74.

Neben dem Grundsatz der Datenminimisierung des Art. 5 Abs. 1 Buchst. c DSGVO binden auch andere in Art. 5 DSGVO enthaltene Grundsätze das nationale Gericht und sind für das Vorgehen bei dem Erlass der Offenlegungsanordnung maßgeblich.

75.

Beispielsweise nennt Art. 5 Abs. 1 Buchst. a DSGVO neben dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit, der in ihrem Art. 6 weiter ausgeführt wird, auch den Grundsatz der Transparenz. Meiner Auffassung nach erfordert dieser Grundsatz, dass das nationale Gericht seine Entscheidung über die Anordnung der Offenlegung personenbezogener Daten klar erläutert, indem es u. a. darlegt, wie es die unterschiedlichen Interessen und Argumente der Parteien bezüglich der Offenlegung gegeneinander abgewogen hat.

76.

Eine angemessene Begründung in der Anordnung der Offenlegung erfüllt auch die Anforderung des Art. 5 Abs. 2 DSGVO, nach der der Verantwortliche in der Lage sein muss, die Einhaltung der in ihrem Art. 5 Abs. 1 genannten Grundsätze nachzuweisen.

77.

Wie die Grundsätze des Art. 5 DSGVO erfüllt werden müssen, kann auch dem 31. Erwägungsgrund der DSGVO entnommen werden. Danach ist erforderlich, dass „Anträge auf Offenlegung, die von Behörden ausgehen, … immer schriftlich erfolgen, mit Gründen versehen sein und gelegentlichen Charakter haben [sollten], und [dass] sie … nicht vollständige Dateisysteme betreffen oder zur Verknüpfung von Dateisystemen führen [sollten]“.

78.

Die polnische Regierung hat Bedenken hinsichtlich der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit durch das nationale Gericht geltend gemacht: Wenn das nationale Gericht den Beweiswert des Personalverzeichnisses oder anderer Beweismittel zu beurteilen habe, würde es nicht bereits zu sehr in die Rolle hineingezogen, die den Parteien vorbehalten bleiben sollte, nämlich zu versuchen, einen Streit gerade hinsichtlich des Beweiswerts solcher Beweismittel zu gewinnen?

79.

Meines Erachtens führt die Beurteilung des Beweiswerts, die die Interessen der betroffenen Personen berücksichtigt, nicht zu einem tieferen Eingriff in den Fall als die Beurteilung des Beweiswerts jedes anderen Beweismittels in einem Zivilverfahren ( 37 ).

80.

Wie tief der Eingriff des nationalen Gerichts geht, wird davon abhängen, wie offensichtlich der Beweiswert der Daten, deren Offenlegung beantragt wird, unter den Umständen des Einzelfalls ist. Es wird immer vom Einzelfall abhängen, in welchem Umfang die Offenlegung in die Interessen der betroffenen Personen eingreifen könnte.

81.

Beispielsweise können manche Fälle sensible Daten, die einer besonderen Schutzregelung nach Art. 9 DSGVO unterliegen, oder Daten über strafrechtliche Sanktionen betreffen, die Gegenstand der Regelung nach deren Art. 10 sind. In solchen Situationen wird den Interessen der betroffenen Personen im Rahmen der Abwägung notwendigerweise ein größeres Gewicht zukommen ( 38 ). Ebenso mag das Interesse an der Offenlegung von Fall zu Fall unterschiedlich sein. Während es bisweilen klar sein wird, dass die Erheblichkeit des beantragten Beweismittels marginal ist, wird es in anderen Situationen für die Entscheidung über den Ausgang des Verfahrens wesentlich sein. In dieser Hinsicht kommt dem Hinweis der Kommission Bedeutung zu, dass das nationale Gericht bei solchen Beurteilungen über ein weites Ermessen verfügen sollte. Es sollte jedoch nie von der Verpflichtung befreit werden, die Interessen der betroffenen Personen zu berücksichtigen.

82.

Die tschechische Regierung hat andere Bedenken geäußert: Die Verpflichtung nationaler Gerichte, die Interessen betroffener Personen zu berücksichtigen, wann immer die Offenlegung von Dokumenten als Beweismittel angeordnet werde, behindere den normalen Ablauf von Gerichtsverfahren. Zwar führt die DSGVO in der Tat eine zusätzliche Verpflichtung ( 39 ) der Gerichte ein, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen, bevor sie die Offenlegung von Dokumenten als Beweismittel anordnen, die personenbezogene Daten beinhalten. Jedoch stellt die Interessenabwägung weder eine unübliche intellektuelle Aufgabe, die von Gerichten durchzuführen ist, noch eine nationalen Gerichten auferlegte Belastung dar, die sich von der unterscheidet, die nach der DSGVO für jeden Verantwortlichen gilt.

83.

Sollen die Unionsbürger im Einklang mit der Entscheidung des Unionsgesetzgebers, wie sie in der DSGVO Ausdruck gefunden hat, in den Genuss eines hohen Schutzniveaus hinsichtlich ihrer personenbezogenen Daten kommen, kann die Berücksichtigung der Interessen der betroffenen Personen nicht als übermäßige Belastung der Gerichte der Mitgliedstaaten angesehen werden.

84.

Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, die zweite Frage des vorlegenden Gerichts wie folgt zu beantworten: Bei der Entscheidung über die Anordnung der Offenlegung in Zivilverfahren, die die Verarbeitung personenbezogener Daten mit sich bringt, muss das nationale Gericht eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit durchführen, die die Interessen betroffener Personen berücksichtigt, deren Daten zu verarbeiten sind, und diese gegen das Interesse der Verfahrensbeteiligten an der Erlangung von Beweismitteln abwägen. Diese Beurteilung der Verhältnismäßigkeit orientiert sich an den in Art. 5 DSGVO festgelegten Grundsätzen, zu denen der Grundsatz der Datenminimierung zählt.

V. Ergebnis

85.

Im Licht der vorstehen Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die beiden vom Högsta domstolen (Oberstes Gericht, Schweden) zu Vorabentscheidung vorlegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.

Art. 6 Abs. 3 und 4 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) stellt Anforderungen an das nationale Verfahrensrecht in Bezug auf Offenlegungspflichten, wann immer die Offenlegung zur Verarbeitung personenbezogener Daten führt. Die nationalen Verfahrensvorschriften dürfen in einem solchen Fall kein Hindernis dafür sein, dass die Interessen der betroffenen Personen berücksichtigt werden. Diese Interessen werden gewährleistet, wenn nationale Gerichte die Regelungen der Verordnung 2016/679 bei der Entscheidung über die Offenlegung von Dokumenten als Beweismittel in einem Einzelfall beachten.

2.

Bei der Entscheidung über die Anordnung der Offenlegung in Zivilverfahren, die die Verarbeitung personenbezogener Daten mit sich bringt, muss das nationale Gericht eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit durchführen, die die Interessen betroffener Personen berücksichtigt, deren Daten zu verarbeiten sind, und diese gegen das Interesse der Verfahrensbeteiligten an der Erlangung von Beweismitteln abwägen. Diese Beurteilung der Verhältnismäßigkeit orientiert sich an den in Art. 5 der Verordnung 2016/679 festgelegten Grundsätzen, zu denen der Grundsatz der Datenminimierung zählt.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Diese konkrete Nachricht erscheint unter https://eulawlive.com/.

( 3 ) Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. 2016, L 119, S. 1).

( 4 ) Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. 1995, L 281, S. 31). Die Richtlinie 95/46 war auf der Rechtsgrundlage des Binnenmarktes erlassen worden. Zu einer ersten Analyse der durch die DSGVO eingeführten Änderungen vgl. Van Alsenoy, B., „Liability under EU Data Protection Law. From Directive 95/46 to the General Data Protection Regulation“, Journal of Intellectual Property, Information Technology and Electronic Commerce Law, Vol. 7, 2016, S. 271 bis 288.

( 5 ) Ungeachtet der unterschiedlichen Rechtsgrundlagen ist die Rechtsprechung zur Auslegung der Richtlinie 95/46 für das Verständnis der DSGVO relevant. Vgl. in dieser Hinsicht Urteil vom 17. Juni 2021, M.I.C.M. (C‑597/19, EU:C:2021:492, Rn. 107). Daher werde ich auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Richtlinie 95/46 hinweisen, wo dies relevant ist. Ebenso werde ich auch auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) (ABl. 2002, L 201, S. 37) hinweisen, soweit diese analoge Lösungen zu Beschränkungen des Rechts auf Datenschutz vorsieht. Der Gerichtshof war der Auffassung, dass die Auslegung der Beschränkungen der sich aus der Richtlinie 2002/58 ergebenden Rechte mutatis mutandis für die Auslegung der DSGVO gelten. Vgl. in dieser Hinsicht Urteil vom 6. Oktober 2020, La Quadrature du Net u. a. (C‑511/18, C‑512/18 und C‑520/18, EU:C:2020:791, Rn. 209 bis 211).

( 6 ) Vgl. erster Erwägungsgrund der DSGVO.

( 7 ) Vgl. Art. 5 Abs. 2 DSGVO.

( 8 ) Art. 4 Nr. 8 DSGVO definiert den Auftragsverarbeiter als „eine natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die personenbezogene Daten im Auftrag des Verantwortlichen verarbeitet“.

( 9 ) Gemäß Art. 6 Abs. 3 DSGVO muss für die Durchführung der Verarbeitung zum Zweck der Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, der der Verantwortliche für die Daten unterliegt, die Rechtsgrundlage durch Unionsrecht oder das Recht der Mitgliedstaaten festgelegt werden, das ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgt und in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Zweck steht. Die Einhaltung der nationalen Steuervorschriften wurde im Urteil vom 16. Januar 2019, Deutsche Post (C‑496/17, EU:C:2019:26, Rn. 60 bis 63), als legitimer Zweck angesehen.

( 10 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 2. März 2021, Prokuratuur (Voraussetzungen für den Zugang zu Daten, die die elektronische Kommunikation betreffen) (C‑746/18, EU:C:2021:152, Rn. 44).

( 11 ) Die Entscheidung über den Zweck und die Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten stellt die zentrale Tätigkeit dar, die darüber entscheidet, wer der Verantwortliche ist. Vgl. Urteil vom 10. Juli 2018, Jehovan todistajat (C‑25/17, EU:C:2018:551, Rn. 68). Vgl. auch Bygrave, L. A. und Tossoni, L., „Article 4(7). Controller“ in Kuner, C., Bygrave, L. A., Docksey, C. und Drechsler, L. (eds), The EU General Data Protection Regulation (GDPR): A Commentary, OUP, Oxford, 2021, S. 150.

( 12 ) In der mündlichen Verhandlung stimmten die polnische und die schwedische Regierung sowie die Kommission darin überein, dass diese Rolle nunmehr dem nationalen Gericht zukomme. Nycander vertrat, Fastec bleibe im Rahmen der zweiten Verarbeitung der alleinige Verantwortliche, während das nationale Gericht die Rolle einer Zwischenperson einnehme. Es sei darauf hingewiesen, dass der Begriff „Zwischenperson“ nirgendwo in der DSGVO Verwendung findet.

( 13 ) Art. 4 Nr. 9 der DSGVO definiert Empfänger als natürliche oder juristische Personen, Behörden, Einrichtungen oder andere Stellen, denen personenbezogene Daten unabhängig davon offengelegt werden, ob es sich bei ihnen um Dritte handelt oder nicht. Als Parteien eines Zivilverfahrens werden sowohl Fastec als auch Nycander zu Empfängern der auf der Grundlage der Offenlegungsanordnung des Gerichts verarbeiteten Daten. Die Kommission vertrat in der mündlichen Verhandlung, Fastec bleibe der Verantwortliche und werde nicht zum Empfänger.

( 14 ) Art. 26 Abs. 1 der DSGVO sieht vor: „Legen zwei oder mehr Verantwortliche gemeinsam die Zwecke der und die Mittel zur Verarbeitung fest, so sind sie gemeinsam Verantwortliche. Sie legen in einer Vereinbarung in transparenter Form fest, wer von ihnen welche Verpflichtung gemäß dieser Verordnung erfüllt, insbesondere was die Wahrnehmung der Rechte der betroffenen Person angeht, und wer welchen Informationspflichten gemäß den Artikeln 13 und 14 nachkommt, sofern und soweit die jeweiligen Aufgaben der Verantwortlichen nicht durch Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, denen die Verantwortlichen unterliegen, festgelegt sind. In der Vereinbarung kann eine Anlaufstelle für die betroffenen Personen angegeben werden.“ Vgl. auch Urteil vom 29. Juli 2019, Fashion ID (C‑40/17, EU:C:2019:629, Rn. 67).

( 15 ) Der Gerichtshof hat erläutert, dass der Begriff Verantwortlicher weitgefasst ist und unterschiedliche Akteure in verschiedenen Phasen der Verarbeitung beteiligt sein können. Urteil vom 29. Juli 2019, Fashion ID (C‑40/17, EU:C:2019:629, Rn. 70).

( 16 ) Letzteres ist nur ausnahmsweise relevant. Z. B. unterliegen nach Art. 2 Abs. 3 DSGVO Organe, Einrichtungen, Ämter und Agenturen der Union nicht der DSGVO. Gleichwohl gilt für sie die Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr (ABl. 2001, L 8, S. 1).

( 17 ) Urteil vom 9. Juli 2020, Land Hessen (C‑272/19, EU:C:2020:535, Rn. 68).

( 18 ) Art. 2 Abs. 2 DSGVO sieht vor: „Diese Verordnung findet keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten a) im Rahmen einer Tätigkeit, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, b) durch die Mitgliedstaaten im Rahmen von Tätigkeiten, die in den Anwendungsbereich von Titel V Kapitel 2 EUV fallen, c) durch natürliche Personen zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten, d) durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung, einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit.“

( 19 ) Im 20. Erwägungsgrund der DSGVO heißt es: „Diese Verordnung gilt zwar unter anderem für die Tätigkeiten der Gerichte und anderer Justizbehörden, doch könnte im Unionsrecht oder im Recht der Mitgliedstaaten festgelegt werden, wie die Verarbeitungsvorgänge und Verarbeitungsverfahren bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch Gerichte und andere Justizbehörden im Einzelnen auszusehen haben. Damit die Unabhängigkeit der Justiz bei der Ausübung ihrer gerichtlichen Aufgaben einschließlich ihrer Beschlussfassung unangetastet bleibt, sollten die Aufsichtsbehörden nicht für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit zuständig sein. Mit der Aufsicht über diese Datenverarbeitungsvorgänge sollten besondere Stellen im Justizsystem des Mitgliedstaats betraut werden können, die insbesondere die Einhaltung der Vorschriften dieser Verordnung sicherstellen, Richter und Staatsanwälte besser für ihre Pflichten aus dieser Verordnung sensibilisieren und Beschwerden in Bezug auf derartige Datenverarbeitungsvorgänge bearbeiten sollten.“

( 20 ) Vgl. in dieser Hinsicht Urteil vom 24. März 2022, Autoriteit Persoonsgegevens (C‑245/20, EU:C:2022:216, Rn. 25 und 26).

( 21 ) Der Gerichtshof hat im Urteil vom 30. Mai 2013, Worten (C‑342/12, EU:C:2013:355, Rn. 19), konkret in Bezug auf Aufzeichnungen über die Arbeitszeit bestätigt, dass sie personenbezogene Daten darstellen.

( 22 ) Die Übermittlung von Dokumenten an das Gericht im Rahmen eines Zivilverfahrens wurde in den Schlussanträgen des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona in der Rechtssache Inspektor/Inspektorata kam Visshia sadeben savet (Zwecke der Verarbeitung personenbezogener Daten – Strafrechtliche Ermittlungen) (C‑180/21, EU:C:2022:406, Nrn. 82 und 83) als Verarbeitung angesehen. Zum Zeitpunkt der Verlesung dieser Schlussanträge ist diese Rechtssache noch vor dem Gerichtshof anhängig.

( 23 ) Im Zusammenhang mit der Richtlinie 2002/58 war der Gerichtshof der Auffassung, dass diese Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, eine Verpflichtung festzulegen, personenbezogene Daten im Rahmen von Zivilverfahren offenzulegen. Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Januar 2008, Promusicae (C‑275/06, EU:C:2008:54, Rn. 53). Meines Erachtens gilt dasselbe für die DSGVO.

( 24 ) Die Kommission hat außerdem vertreten, ein weiterer Rechtfertigungsgrund für die Datenverarbeitung zu einem anderen Zweck könne in der vorliegenden Rechtssache in Art. 23 Abs. 1 Buchst. i DSGVO („den Schutz der betroffenen Person oder der Rechte und Freiheiten anderer Personen“) gefunden werden. Die polnische Regierung hat auf Art. 23 Abs. 1 Buchst. j DSGVO („die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche“) hingewiesen.

( 25 ) Die Verarbeitung in Ausübung öffentlicher Gewalt wird durch Art. 6 Abs. 1 Buchst. e DSGVO ermöglicht.

( 26 ) Die Verarbeitung kann auch auf der Einwilligung der betroffenen Person beruhen. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

( 27 ) Im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Gerichtshof und den Gerichten der Mitgliedstaaten im Vorabentscheidungsverfahren ist es Sache des nationalen Gerichts, zu entscheiden, ob dies in der Tat der Fall ist.

( 28 ) Urteile vom 16. Januar 2019, Deutsche Post (C‑496/17, EU:C:2019:26, Rn. 57), und vom 6. Oktober 2020, La Quadrature du Net u. a. (C‑511/18, C‑512/18 und C‑520/18, EU:C:2020:791, Rn. 208). Der Gerichtshof ist zuvor bezüglich der Richtlinie 95/46 zu demselben Ergebnis gelangt. Vgl. z. B. Urteile vom 20. Mai 2003, Österreichischer Rundfunk u. a. (C‑465/00, C‑138/01 und C‑139/01, EU:C:2003:294, Rn. 65), und vom 13. Mai 2014, Google Spain und Google (C‑131/12, EU:C:2014:317, Rn. 71).

( 29 ) Schlussanträge des Generalanwalts Pikamäe in der Rechtssache Vyriausioji tarnybinės etikos komisija (C‑184/20, EU:C:2021:991, Nr. 36).

( 30 ) Der Gerichtshof hat festgestellt, dass die Liste der Fälle rechtmäßiger Datenverarbeitung in Art. 6 DSGVO erschöpfend und abschließend ist. Vgl. Urteil vom 22. Juni 2021, Latvijas Republikas Saeima (Strafpunkte) (C‑439/19, EU:C:2021:504, Rn. 99). Im Zusammenhang mit der Richtlinie 95/46 hat der Gerichtshof in den Urteilen vom 4. Mai 2017, Rīgas satiksme (C‑13/16, EU:C:2017:336, Rn. 25), und vom 11. Dezember 2019, Asociaţia de Proprietari bloc M5A-ScaraA (C‑708/18, EU:C:2019:1064, Rn. 37 und 38), in Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung denselben Ansatz verfolgt.

( 31 ) Vgl. auch 39. Erwägungsgrund der DSGVO, in dem es heißt: „… Die personenbezogenen Daten sollten für die Zwecke, zu denen sie verarbeitet werden, angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke ihrer Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein. … Personenbezogene Daten sollten nur verarbeitet werden dürfen, wenn der Zweck der Verarbeitung nicht in zumutbarer Weise durch andere Mittel erreicht werden kann. …“

( 32 ) Der Gerichtshof hat erläutert, dass diese Abwägung von den konkreten Umständen des betreffenden Einzelfalls abhängt. Vgl. in dieser Hinsicht Urteil vom 4. Mai 2017, Rīgas satiksme (C‑13/16, EU:C:2017:336, Rn. 31). Vgl. auch Urteil vom 19. Dezember 2020, Asociaţia de Proprietari bloc M5A-ScaraA (C‑708/18, EU:C:2020:104, Rn. 32).

( 33 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 9. November 2010, Volker und Markus Schecke und Eifert (C‑92/09 und C‑93/09, EU:C:2010:662, Rn. 77).

( 34 ) Urteil vom 22. Juni 2021, Latvijas Republikas Saeima (Strafpunkte) (C‑439/19, EU:C:2021:504, Rn. 98).

( 35 ) Fastec hat in der Tat vor dem vorlegenden Gericht beantragt, den Antrag von Nycander auf Vorlage des Personalverzeichnisses zurückzuweisen oder, hilfsweise, dieses erst nach Anonymisierung vorzulegen. Die Kommission hat gestützt auf den Grundsatz der Datenminimierung und unter Hinweis auf Art. 25 Abs. 1 DSGVO vertreten, eine Lösung könnte auch in der Vorlage einer pseudonymisierten Fassung des Personalverzeichnisses liegen.

( 36 ) Z. B. befreit die Anonymisierung des Verzeichnisses den Verantwortlichen von der Verpflichtung, die betroffenen Personen von der Verarbeitung zu unterrichten, wozu er normalerweise nach Art. 14 DSGVO verpflichtet wäre.

( 37 ) Wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, sind die Gerichte bereits nach der PO verpflichtet, die Erheblichkeit des Beweismittels gegen das Interesse der anderen Partei abzuwägen, diese Informationen nicht preiszugeben.

( 38 ) Im Zusammenhang mit der Richtlinie 2002/58 entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass je größer der Umfang des Eingriffs in das Recht auf Datenschutz ist, umso wichtiger die mit ihm verfolgte, dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung sein muss. Urteile vom 21. Dezember 2016, Tele2 Sverige und Watson u. a. (C‑203/15 und C‑698/15, EU:C:2016:970, Rn. 115), vom 2. Oktober 2018, Ministerio Fiscal (C‑207/16, EU:C:2018:788, Rn. 55), vom 6. Oktober 2020, La Quadrature du Net u. a. (C‑511/18, C‑512/18 und C‑520/18, EU:C:2020:791, Rn. 131), und vom 2. März 2021, Prokuratuur (Voraussetzungen für den Zugang zu Daten, die die elektronische Kommunikation betreffen) (C‑746/18, EU:C:2021:152, Rn. 32).

( 39 ) In den Rechtsordnungen, deren Verfahrensbestimmungen nicht bereits eine solche Prüfung erfordert haben.

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