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Document 62021CC0237

    Schlussanträge des Generalanwalts J. Richard de la Tour vom 14. Juli 2022.
    S. M.
    Vorabentscheidungsersuchen dersOberlandesgerichts München.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Unionsbürgerschaft – Art. 18 und 21 AEUV – An einen Mitgliedstaat gerichtetes Ersuchen eines Drittstaats um Auslieferung eines Unionsbürgers, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist und von seinem Recht auf Freizügigkeit im erstgenannten Mitgliedstaat Gebrauch gemacht hat – Zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe gestelltes Ersuchen – Nur für eigene Staatsangehörige geltendes Auslieferungsverbot – Beschränkung der Freizügigkeit – Rechtfertigung mit der Verhinderung von Straflosigkeit – Verhältnismäßigkeit.
    Rechtssache C-237/21.

    Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2022:574

     SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    JEAN RICHARD DE LA TOUR

    vom 14. Juli 2022 ( 1 )

    Rechtssache C‑237/21

    Generalstaatsanwaltschaft München,

    Beteiligter:

    S.M.

    (Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts München [Deutschland])

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Unionsbürgerschaft – Art. 18 und 21 AEUV – Auslieferungsersuchen eines Drittstaats gegenüber einem Unionsbürger zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe – Ersuchter Mitgliedstaat, der die Auslieferung eigener Staatsangehöriger verbietet – Beschränkung der Freizügigkeit – Rechtfertigung mit dem Ziel, der Gefahr entgegenzuwirken, dass Personen, die eine Straftat begangen haben, straflos bleiben – Verhältnismäßigkeit – Auslieferungspflicht nach einem internationalen Übereinkommen“

    I. Einleitung

    1.

    Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 18 und 21 AEUV. Es ergeht im Rahmen eines Auslieferungsersuchens der bosnisch-herzegowinischen Behörden an die Behörden der Bundesrepublik Deutschland betreffend S.M., einen serbischen, bosnisch-herzegowinischen und kroatischen Staatsangehörigen, zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe.

    2.

    Dieses Ersuchen fügt sich in den Rahmen der mit dem Urteil vom 6. September 2016, Petruhhin ( 2 ), eingeleiteten Rechtsprechung zur Auslieferung von Unionsbürgern, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit in anderen Mitgliedstaaten der Union als denen, deren Staatsangehörigkeit sie besitzen, Gebrauch gemacht haben, an Drittstaaten, wenn es in diesen Mitgliedstaaten eine Regelung gibt, wonach ihre eigenen Staatsangehörigen nicht an Staaten außerhalb der Union ausgeliefert werden dürfen. Innerhalb der dem Gerichtshof vorgelegten Rechtssachen kann unterschieden werden zwischen zum einen den Rechtssachen betreffend ein Auslieferungsersuchen zum Zweck der Strafverfolgung, in denen das Urteil Petruhhin und die Urteile vom 10. April 2018, Pisciotti ( 3 ), vom 2. April 2020, Ruska Federacija ( 4 ), vom 17. Dezember 2020, Generalstaatsanwaltschaft Berlin (Auslieferung an die Ukraine) ( 5 ), sowie der Beschluss vom 6. September 2017, Peter Schotthöfer & Florian Steiner ( 6 ), ergangen sind, und zum anderen der Rechtssache betreffend ein Auslieferungsersuchen zum Zweck der Vollstreckung einer Strafe, in der das Urteil vom 13. November 2018, Raugevicius ( 7 ), ergangen ist.

    3.

    Mit dieser Rechtsprechung hat der Gerichtshof auf dem Gebiet der Auslieferung die Entscheidung im Urteil vom 20. September 2001, Grzelczyk ( 8 ), angewandt, wonach „[d]er Unionsbürgerstatus … dazu bestimmt [ist], der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein, der es denjenigen unter ihnen, die sich in der gleichen Situation befinden, erlaubt, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und unbeschadet der insoweit ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen die gleiche rechtliche Behandlung zu genießen“ ( 9 ). Dies hat den Gerichtshof dazu veranlasst, von einem Mitgliedstaat, der die Auslieferung seiner eigenen Staatsangehörigen nicht zulässt, zu verlangen, dass er das Vorliegen alternativer Maßnahmen zur Auslieferung prüft, wenn ein Drittstaat in Bezug auf einen Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, um Auslieferung ersucht.

    4.

    Mit seinem Vorabentscheidungsersuchen ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Erläuterungen dazu, wie das Urteil Raugevicius zu verstehen ist und wie der Beitrag dieses Urteils mit den Verpflichtungen in Einklang gebracht werden kann, die sich für die Mitgliedstaaten aus dem am 13. Dezember 1957 in Paris unterzeichneten Europäischen Auslieferungsübereinkommen ( 10 ) ergeben.

    5.

    In diesem Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass die Art. 18 und 21 AEUV dahin auszulegen sind, dass der ersuchte Mitgliedstaat, nach dessen nationalem Recht die Auslieferung eigener Staatsangehöriger an Staaten außerhalb der Union zum Zweck der Vollstreckung einer Strafe verboten und die Möglichkeit vorgesehen ist, eine solche im Ausland verhängte Strafe im Inland zu vollziehen, im Fall des von einem Drittstaat zum Zweck der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe und nicht zum Zweck der Strafverfolgung gestellten Ersuchens um Auslieferung eines Unionsbürgers, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, sicherstellen muss, dass dieser Unionsbürger, wenn er seinen ständigen Wohnsitz im Inland hat, bei Auslieferungsfragen auf gleiche Weise wie seine eigenen Staatsangehörigen behandelt wird ( 11 ).

    6.

    In der Rechtssache, in der das Urteil Raugevicius ergangen ist, hatte der ersuchte Mitgliedstaat, nämlich Finnland, eine Erklärung im Rahmen des Europäischen Auslieferungsübereinkommens abgegeben, die es ihm erlaubte, die Auslieferung nicht nur seiner eigenen Staatsangehörigen, sondern auch von Staatsangehörigen anderer Staaten mit Wohnsitz in seinem Hoheitsgebiet abzulehnen. Anders als die Republik Finnland hat die Bundesrepublik Deutschland eine Erklärung abgegeben, die den Begriff „Staatsangehörige“ im Sinne dieses Übereinkommens auf die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats beschränkt. Dieser unterschiedliche Kontext veranlasst das vorlegende Gericht, eine Frage zur Anwendung der vom Gerichtshof in seinem Urteil Raugevicius entwickelten Lösung auf den vorliegenden Fall zu stellen, da in Anbetracht der begrenzten Tragweite der von der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Europäischen Auslieferungsübereinkommens abgegebenen Erklärung eine Weigerung dieses Mitgliedstaats, einen Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der seinen ständigen Wohnsitz in seinem Hoheitsgebiet hat, auszuliefern, mit diesem Übereinkommen in Konflikt geraten könnte.

    7.

    Um diese Frage zu beantworten, werde ich in den vorliegenden Schlussanträgen erläutern, weshalb ich der Ansicht bin, dass das Urteil Raugevicius nicht dahin verstanden werden sollte, dass es den ersuchten Mitgliedstaat verpflichtet, die Auslieferung eines Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der seinen ständigen Wohnsitz in seinem Hoheitsgebiet hat, automatisch und ausnahmslos abzulehnen, entgegen dem, was ihm das Europäische Auslieferungsübereinkommen vorschreibt. Was der Gerichtshof in diesem Urteil entschieden hat, bedeutet meines Erachtens nämlich vielmehr, dass der ersuchte Mitgliedstaat nach den Art. 18 und 21 AEUV verpflichtet ist, aktiv zu prüfen, ob es eine alternative Maßnahme zur Auslieferung gibt, die die Ausübung des Rechts des von einem Auslieferungsersuchen betroffenen Unionsbürgers auf Freizügigkeit und Aufenthalt weniger beeinträchtigt. Wenn trotz der Schritte, die der ersuchte Mitgliedstaat beim ersuchenden Drittstaat unternommen hat, keine alternative Maßnahme zur Auslieferung gefunden werden kann, können diese Artikel meines Erachtens nicht dahin ausgelegt werden, dass sie den ersuchten Mitgliedstaat an der Auslieferung dieses Unionsbürgers hindern.

    II. Rechtlicher Rahmen

    A.   Europäisches Auslieferungsübereinkommen

    8.

    Art. 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens bestimmt:

    „Die Vertragsparteien verpflichten sich, gemäß den nachstehenden Vorschriften und Bedingungen einander die Personen auszuliefern, die von den Justizbehörden des ersuchenden Staates wegen einer strafbaren Handlung verfolgt oder zur Vollstreckung einer Strafe oder einer Maßregel der Sicherung und Besserung gesucht werden.“

    9.

    Art. 6 („Auslieferung eigener Staatsangehöriger“) dieses Übereinkommens sieht vor:

    „1.   

    a)

    Jede Vertragspartei ist berechtigt, die Auslieferung ihrer Staatsangehörigen abzulehnen.

    b)

    Jede Vertragspartei kann, was sie betrifft, bei der Unterzeichnung oder der Hinterlegung ihrer Ratifikations- oder Beitrittsurkunde durch eine Erklärung den Begriff ‚Staatsangehörige‘ im Sinne dieses Übereinkommens bestimmen.

    …“

    10.

    Die Bundesrepublik Deutschland hat bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde am 2. Oktober 1976 folgende Erklärung im Sinne von Art. 6 des Übereinkommens abgegeben:

    „Die Auslieferung eines Deutschen aus der Bundesrepublik Deutschland an das Ausland ist nach Artikel 16 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland[ ( 12 ) vom 23. Mai 1949] nicht zulässig und muss daher in jedem Fall abgelehnt werden.

    Der Begriff ‚Staatsangehörige‘ im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 Buchstabe b des Europäischen Auslieferungsabkommens umfasst alle Deutschen im Sinne des Artikels 116 Absatz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland.“

    B.   Deutsches Recht

    1. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

    11.

    Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bestimmt:

    „Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.“

    12.

    Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland lautet:

    „Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.“

    2. Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen

    13.

    Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen ( 13 ) vom 23. Dezember 1982 in seiner auf den Sachverhalt anwendbaren Fassung ( 14 ) enthält Bestimmungen über die Rechtshilfe durch Vollstreckung ausländischer Urteile in Deutschland.

    14.

    § 48 IRG bestimmt:

    „Rechtshilfe kann für ein Verfahren in einer strafrechtlichen Angelegenheit durch Vollstreckung einer im Ausland rechtskräftig verhängten Strafe oder sonstigen Sanktion geleistet werden …“

    15.

    Nach § 57 Abs. 1 IRG kann die Vollstreckung der in einem ausländischen Urteil verhängten Strafe in Deutschland nur durchgeführt werden, wenn und soweit der Urteilsstaat damit einverstanden ist.

    III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefrage

    16.

    Am 5. November 2020 ersuchten die bosnisch-herzegowinischen Behörden die Bundesrepublik Deutschland unter Berufung auf das Europäische Auslieferungsübereinkommen um Auslieferung von S.M. zur Vollstreckung einer in einem Urteil des Gemeindegerichts Bosanska Krupa (Bosnien-Herzegowina) vom 24. März 2017 verhängten Freiheitsstrafe von sechs Monaten wegen Bestechlichkeit. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die kroatischen Behörden von den deutschen Behörden über dieses Ersuchen in Kenntnis gesetzt worden seien.

    17.

    S.M. ist serbischer, bosnisch-herzegowinischer sowie kroatischer Staatsbürger und lebt mit seiner Ehefrau seit 2017 in Deutschland. Seit dem 22. Mai 2020 arbeitet er dort und befindet sich, nachdem er zwischenzeitlich in Auslieferungshaft war, auf freiem Fuß.

    18.

    Die Generalstaatsanwaltschaft München hat unter Bezugnahme auf das Urteil Raugevicius beantragt, die Auslieferung von S.M. für unzulässig zu erklären.

    19.

    Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts hängt die Begründetheit des Antrags der Generalstaatsanwaltschaft München von der Frage ab, ob die Art. 18 und 21 AEUV so auszulegen sind, dass sie die Nichtauslieferung eines Unionsbürgers auch dann vorschreiben, wenn der ersuchte Staat völkervertraglich zu dessen Auslieferung verpflichtet ist.

    20.

    Diese Frage sei im Urteil Raugevicius nicht beantwortet worden, da in der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen sei, der ersuchte Mitgliedstaat, nämlich die Republik Finnland, gegenüber dem Drittstaat, im vorliegenden Fall der Russischen Föderation, zur Nichtauslieferung der gesuchten Person berechtigt gewesen sei. Die Republik Finnland habe nämlich, wie in Art. 6 Abs. 1 Buchst. a des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vorgesehen, die Möglichkeit gehabt, die Auslieferung ihrer Staatsangehörigen abzulehnen. Im Einklang mit der in Art. 6 Abs. 1 Buchst. b dieses Übereinkommens eröffneten Möglichkeit habe sich die Republik Finnland dazu entschlossen, den Ausdruck „Staatsangehörige“ im Sinne des erwähnten Übereinkommens in ihrer Beitrittserklärung am 12. Mai 1971 als „Staatsangehörige von Finnland, Dänemark, Island, Norwegen und Schweden sowie Ausländer, die in diesen Staaten ihren Wohnsitz haben“, zu definieren. Da die gesuchte Person unter diese Definition gefallen sei, habe die Republik Finnland die Auslieferung dieser Person verweigern können, ohne gegen eine gegenüber dem Drittstaat, der das Auslieferungsersuchen gestellt habe, bestehende völkervertragliche Pflicht zu verstoßen.

    21.

    Das vorlegende Gericht ist nun im Hinblick auf das Völkerrecht mit einer anderen Situation konfrontiert. Gemäß der durch Art. 6 Abs. 1 Buchst. b des Europäischen Auslieferungsübereinkommens eröffneten Möglichkeit hat die Bundesrepublik Deutschland nämlich bei der Hinterlegung ihrer Ratifikationsurkunde vom 2. Oktober 1976 eine Erklärung abgegeben, die den Begriff „Staatsangehörige“ auf Personen beschränkt, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, ohne ihn auf Personen mit ständigem Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet auszudehnen.

    22.

    Das vorlegende Gericht fügt hinzu, dass die im Europäischen Auslieferungsübereinkommen vorgesehenen Voraussetzungen für die Auslieferung von S.M. erfüllt seien und dass dieser Auslieferung kein Hindernis entgegenstehe. Insbesondere würden die Auslieferung und die ihr zugrundeliegenden Akte den in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard wahren sowie die unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze beziehungsweise das unabdingbare Maß an Grundrechtsschutz nicht verletzen.

    23.

    Das vorlegende Gericht hat jedoch Zweifel, ob die Art. 18 und 21 AEUV verlangen, S.M. nicht an Bosnien-Herzegowina auszuliefern, da diese Person nicht unter den Begriff „Staatsangehörige“ im Sinne des Europäischen Auslieferungsübereinkommens falle und es daher für die Bundesrepublik Deutschland nicht möglich sei, die vom Gerichtshof in seinem Urteil Raugevicius entwickelte Lösung anzuwenden, ohne gegen ihre Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen gegenüber Bosnien-Herzegowina zu verstoßen.

    24.

    Das vorlegende Gericht weist auch darauf hin, dass eine Vollstreckung der vom Gemeindegericht Bosanska Krupa (Bosnien-Herzegowina) verhängten Freiheitsstrafe in Deutschland möglich sei. Da sich S.M. bereits im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufhalte, sei das Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen ( 15 ), das sowohl von der Bundesrepublik Deutschland als auch von Bosnien-Herzegowina ratifiziert worden sei, nicht einschlägig. Diese Vollstreckung richte sich daher nach den §§ 48 ff. IRG und verlange weder, dass die betreffende Person die deutsche Staatsangehörigkeit besitze, noch, dass sie ihre Zustimmung erkläre.

    25.

    Nach § 57 Abs. 1 IRG sei die Vollstreckung der vom Gemeindegericht Bosanska Krupa (Bosnien-Herzegowina) verhängten Freiheitsstrafe in Deutschland jedoch nur möglich, wenn und soweit der Urteilsstaat damit einverstanden sei. Dies sei – jedenfalls derzeit – nicht der Fall, da die bosnisch-herzegowinischen Behörden um Auslieferung von S.M. und nicht um Übernahme der Vollstreckung der gegen S.M. verhängten Strafe durch die deutschen Behörden ersucht hätten.

    26.

    Unter diesen Umständen hat das Oberlandesgericht München (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    Gebieten es die Grundsätze aus dem Urteil Raugevicius zur Anwendung der Art. 18 und 21 AEUV, ein auf das Europäische Auslieferungsübereinkommen gestütztes Ersuchen eines Drittstaats um Auslieferung eines Unionsbürgers zur Strafvollstreckung auch dann abzulehnen, wenn der ersuchte Mitgliedstaat nach diesem Übereinkommen völkervertraglich zur Auslieferung des Unionsbürgers verpflichtet ist, weil er den Begriff „Staatsangehörige“ gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. b des Übereinkommens dahin bestimmt hat, dass nur seine eigenen Staatsangehörigen und nicht auch andere Unionsbürger davon erfasst werden?

    27.

    Die spanische, die kroatische, die litauische und die polnische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Am 26. April 2022 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, in der die Generalstaatsanwaltschaft München, die deutsche, die tschechische und die spanische Regierung sowie die Kommission angehört worden sind.

    IV. Würdigung

    28.

    Mit seiner Vorlagefrage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Klarstellung der Tragweite seines Urteils Raugevicius in einem Fall, in dem die Nichtauslieferung der gesuchten Person seiner Ansicht nach im Widerspruch zu der Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaats nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen stünde, diese Person auszuliefern.

    29.

    Diese Frage hängt weitgehend mit dem unterschiedlichen Kontext der Rechtssache, in der das Urteil Raugevicius ergangen ist, und der vorliegenden Rechtssache in Bezug auf die sich aus dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen ergebenden Verpflichtungen zusammen. Wie ich bereits ausgeführt habe, betrifft dieser Unterschied die Definition des Begriffs „Staatsangehörige“ im Sinne dieses Übereinkommens, die im Rahmen der vorliegenden Rechtssache restriktiver ist, da sie gemäß der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b dieses Übereinkommens auf Personen beschränkt ist, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Folglich könnte, anders als in der Rechtssache, in der das Urteil Raugevicius ergangen ist, eine Weigerung der Bundesrepublik Deutschland, S.M. nach Bosnien-Herzegowina auszuliefern, im Widerspruch zu den Verpflichtungen stehen, die das Europäische Auslieferungsübereinkommen diesem Mitgliedstaat auferlegt.

    30.

    Daher möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 18 und 21 AEUV dahin auszulegen sind, dass für die Behandlung eines Auslieferungsersuchens eines Drittstaats zur Vollstreckung einer in diesem Staat verhängten Strafe die Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats als des ersuchten Mitgliedstaats in den Genuss der Vorschrift kommen müssen, die eine Auslieferung der eigenen Staatsangehörigen des letztgenannten Mitgliedstaats verbietet, und zwar trotz der dem ersuchten Mitgliedstaat nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen obliegenden Auslieferungspflicht.

    31.

    Die Frage des vorlegenden Gerichts geht zwar von der Prämisse aus, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslieferung von Unionsbürgern, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, Gebrauch gemacht haben, mit der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b des Europäischen Auslieferungsübereinkommens, wonach nur deutsche Staatsangehörige Schutz vor Auslieferung genießen, unvereinbar sein könnte, doch werde ich im Gegenteil darlegen, dass kein solcher Widerspruch besteht.

    32.

    Insoweit weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof zwar zulässt, dass der Unionsbürger, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, vor Auslieferung an einen Drittstaat geschützt werden kann, aber kein automatisches und absolutes Recht für diesen Unionsbürger anerkannt hat, nicht nach außerhalb des Unionsgebiets ausgeliefert zu werden, sondern vielmehr eine Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaats geschaffen hat, aktiv nach dem Vorliegen einer alternativen Maßnahme zur Auslieferung zu suchen, die die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt dieses von einem Auslieferungsersuchen betroffenen Unionsbürgers weniger beeinträchtigt. Ich werde zu dem Ergebnis kommen, dass die Besonderheit des Rechts aus dem Übereinkommen, wie sie sich aus den Umständen des Ausgangsverfahrens ergibt, den ersuchten Mitgliedstaat weder in Bezug auf die Verpflichtung, die verurteilte Person nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen auszuliefern, noch in Bezug auf seine Verpflichtungen aus den Art. 18 und 21 AEUV in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof in eine Konfliktsituation bringt.

    33.

    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in dem Urteil Petruhhin, das wie die vorliegende Rechtssache ein Auslieferungsersuchen eines Drittstaats betraf, mit dem die Union kein Auslieferungsabkommen geschlossen hat, entschieden hat, dass die Auslieferungsvorschriften mangels eines solchen Abkommens zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, dass zu den Situationen, die in den Anwendungsbereich von Art. 18 AEUV in Verbindung mit den Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Unionsbürgerschaft fallen, aber diejenigen gehören, die die Ausübung der durch Art. 21 AEUV verliehenen Freiheit betreffen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten ( 16 ).

    34.

    Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs fällt eine Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und daher den Status eines Unionsbürgers hat, wenn sie von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat und sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, in den Anwendungsbereich des Unionsrechts ( 17 ). Folglich hat eine Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und sich in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, als Unionsbürger das Recht, sich auf Art. 21 Abs. 1 AEUV zu berufen, und fällt in den Anwendungsbereich der Verträge im Sinne von Art. 18 AEUV, der den Grundsatz des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit enthält ( 18 ).

    35.

    An dieser Feststellung ändert auch der Umstand nichts, dass die gesuchte Person auch die Staatsangehörigkeit des Drittstaats besitzt, der um Auslieferung ersucht ( 19 ).

    36.

    Außerdem sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nationale Auslieferungsvorschriften eines Mitgliedstaats, die eine Ungleichbehandlung in Abhängigkeit davon schaffen, ob die gesuchte Person ein Staatsangehöriger dieses Mitgliedstaats oder ein Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist, geeignet, das Recht der Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zu beeinträchtigen, da sie dazu führen, dass Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet des ersuchten Mitgliedstaats aufhalten, der Schutz vor Auslieferung, den die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats genießen, nicht gewährt wird ( 20 ). Folglich führt in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden die Ungleichbehandlung, die darin besteht, dass ein Unionsbürger, der die Staatsangehörigkeit eines anderen als des ersuchten Mitgliedstaats besitzt, ausgeliefert werden kann, zu einer Beschränkung des Rechts aus Art. 21 AEUV, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten ( 21 ).

    37.

    Nach Auffassung des Gerichtshofs lässt sich eine solche Beschränkung nur rechtfertigen, wenn sie auf objektiven Erwägungen beruht und in angemessenem Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Zweck steht ( 22 ).

    38.

    Insoweit hat der Gerichtshof wiederholt anerkannt, dass das Ziel, der Gefahr entgegenzuwirken, dass Personen, die eine Straftat begangen haben, straflos bleiben, im Unionsrecht als legitim anzusehen ist und dass eine Maßnahme, durch die eine Grundfreiheit wie die in Art. 21 AEUV vorgesehene eingeschränkt wird, mit diesem Ziel gerechtfertigt werden kann, wenn diese Maßnahme zum Schutz der Belange, die sie gewährleisten soll, erforderlich ist, und auch nur insoweit, als diese Ziele nicht mit weniger einschränkenden Maßnahmen erreicht werden können ( 23 ).

    39.

    Zwar kann innerhalb der dem Gerichtshof vorgelegten Rechtssachen unterschieden werden zwischen den Rechtssachen, die ein Auslieferungsersuchen zum Zweck der Strafverfolgung betreffen, und solchen, die ein Auslieferungsersuchen zum Zweck der Vollstreckung einer Strafe betreffen, doch sind sämtliche Urteile des Gerichtshofs durch ein gemeinsames Merkmal gekennzeichnet, nämlich die Schaffung einer Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaats, zu prüfen, ob es eine alternative Maßnahme zur Auslieferung gibt, die die Ausübung des Rechts des gesuchten Unionsbürgers auf Freizügigkeit und Aufenthalt weniger beeinträchtigt, bevor er in Ermangelung einer solchen Maßnahme den Unionsbürger ausliefern kann.

    40.

    So hat der Gerichtshof in Bezug auf ein Auslieferungsersuchen zum Zweck der Strafverfolgung festgestellt, dass die Ingangsetzung von Mechanismen der Zusammenarbeit und gegenseitigen Hilfe, die es im Bereich des Strafrechts nach dem Unionsrecht gibt, jedenfalls eine alternative Maßnahme ist, die weniger stark in das Recht auf Freizügigkeit eingreift als die Auslieferung in einen Drittstaat, mit dem die Union kein Auslieferungsabkommen geschlossen hat, und mit der das Ziel, der Gefahr entgegenzuwirken, dass eine Person, die eine Straftat begangen haben soll, straflos bleibt, ebenso wirksam erreicht werden kann ( 24 ).

    41.

    Daher hat der Gerichtshof entschieden, dass dem Informationsaustausch mit dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, der Vorzug gegeben werden muss, um den Behörden dieses Mitgliedstaats gegebenenfalls die Möglichkeit zu geben, einen Europäischen Haftbefehl zum Zwecke der Strafverfolgung auszustellen. Es handelt sich um das, was als „Petruhhin-Mechanismus“ bezeichnet wird. Der Mitgliedstaat, in dem sich die gesuchte Person rechtmäßig aufhält, ist daher im Fall eines Auslieferungsersuchens eines Drittstaats verpflichtet, den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, zu informieren und ihm die gesuchte Person gegebenenfalls auf sein Ersuchen im Einklang mit den Bestimmungen des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten ( 25 ) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung ( 26 ) zu übergeben.

    42.

    Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs erweist sich der „Petruhhin-Mechanismus“, bei dem dem Europäischen Haftbefehl Vorrang eingeräumt wird, indessen nicht zwangsläufig als ein Hindernis für das Ersuchen auf Auslieferung an einen Drittstaat ( 27 ). Der Gerichtshof hat diesen Mechanismus nämlich mit einer Reihe von Bedingungen und Einschränkungen versehen, die gewährleisten sollen, dass seine Umsetzung nicht das Ziel beeinträchtigt, der Gefahr entgegenzuwirken, dass Personen, die eine Straftat begangen haben sollen, der Strafe entgehen.

    43.

    Daraus folgt u. a., dass zur Wahrung dieses Ziels die Anwendung des „Petruhhin-Mechanismus“ voraussetzt, dass der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der von einem Auslieferungsersuchen betroffene Unionsbürger besitzt, nach seinem nationalen Recht für die Verfolgung dieser Person wegen im Ausland begangener Straftaten zuständig ist ( 28 ). Zudem muss der von dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, gegebenenfalls ausgestellte Europäische Haftbefehl zumindest denselben Sachverhalt betreffen wie das Auslieferungsersuchen ( 29 ). Unter der Voraussetzung, dass der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person hat, vom ersuchten Mitgliedstaat über sämtliche rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte, die der ersuchende Drittstaat im Rahmen des Auslieferungsersuchens übermittelt hat, informiert wurde, könnte die fehlende Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls durch den ersten dieser Mitgliedstaaten innerhalb einer angemessenen Frist die Auslieferung dieser Person durch den zweiten ermöglichen ( 30 ).

    44.

    Die Art. 18 und 21 AEUV verwehren daher dem ersuchten Mitgliedstaat nicht, auf der Grundlage einer verfassungsrechtlichen Norm eigene Staatsangehörige und Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten unterschiedlich zu behandeln und die Auslieferung der Letzteren zur Strafverfolgung zu gestatten, obwohl er die Auslieferung eigener Staatsangehöriger nicht erlaubt, sofern er vorher den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehörigkeit ein Unionsbürger besitzt, die Möglichkeit eingeräumt hat, ihn im Rahmen eines Europäischen Haftbefehls für sich zu beanspruchen, und dieser letztgenannte Mitgliedstaat keine entsprechende Maßnahme ergriffen hat ( 31 ). Der Gerichtshof hat somit keinen Mechanismus geschaffen, der es dem ersuchten Mitgliedstaat gestattete, unter allen Umständen zu verhindern, dass der Unionsbürger, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, zur Strafverfolgung an einen Drittstaat ausgeliefert wird, sondern er hat das Erfordernis entwickelt, dass dieser Mitgliedstaat effektiv mit dem Herkunftsmitgliedstaat dieses Unionsbürgers zusammenarbeitet, damit dieser in die Lage versetzt wird, einen Europäischen Haftbefehl zu erlassen.

    45.

    Im Ergebnis hat der Gerichtshof, wie Generalanwalt Tanchev ausgeführt hat, bereits in seinem Urteil Petruhhin den Schwerpunkt „auf [die] Verfügbarkeit einer Alternative, die im gleichen oder ähnlichen Umfang wie die Auslieferung der Straflosigkeit entgegenwirkt“ ( 32 ), gelegt. Der Schutz vor Auslieferung, den ein Unionsbürger, der von seinem Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt im ersuchten Mitgliedstaat Gebrauch gemacht hat, aus den Art. 18 und 21 AEUV ableiten kann, gilt daher nur insoweit, als dieser Mitgliedstaat feststellen kann, dass es eine alternative Maßnahme zur Auslieferung gibt, mit der das Ziel, der Gefahr entgegenzuwirken, dass Personen, die eine Straftat begangen haben, straflos bleiben, ebenso wirksam erreicht werden kann. Fehlt es an einer solchen Maßnahme, steht das Unionsrecht der beantragten Auslieferung des Unionsbürgers nicht mehr entgegen.

    46.

    Die Logik, die darin besteht, dass der ersuchte Mitgliedstaat prüft, ob es eine alternative Maßnahme zur Auslieferung gibt, mit der sich das Ziel, der Gefahr entgegenzuwirken, dass Personen, die eine Straftat begangen haben, straflos bleiben, ebenso wirksam erreichen lässt, muss meines Erachtens die gleiche sein, wenn es um ein Auslieferungsersuchen geht, das nicht zum Zweck der Strafverfolgung, sondern zum Zweck der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe ergangen ist. Dies muss meines Erachtens den Gerichtshof veranlassen, die Tragweite seines Urteils Raugevicius zu präzisieren, das bisher das einzige ist, das ein Auslieferungsersuchen betrifft, das zu der letztgenannten Kategorie gehört.

    47.

    Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen zeigt nämlich, dass das Bestehen eines etwaigen Spannungsverhältnisses zwischen dem Unionsrecht und dem Völkerrecht auf einem Verständnis des Urteils Raugevicius beruht, aus dem sich ergäbe, dass ein Unionsbürger, der seinen ständigen Wohnsitz im ersuchten Mitgliedstaat hat, automatisch und absolut den gleichen Schutz vor Auslieferung genießen müsste wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. Diese Auslegung des Urteils Raugevicius scheint mir unzutreffend zu sein, da der Gerichtshof den Schutz vor Auslieferung zur Vollstreckung einer Strafe, der einem Unionsbürger gewährt werden muss, der seinen ständigen Wohnsitz im ersuchten Mitgliedstaat hat, von der Voraussetzung abhängig gemacht hat, dass dieser Bürger seine Strafe im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats verbüßen kann, damit das Ziel, der Gefahr einer Straflosigkeit der gesuchten Person entgegenzuwirken, nicht beeinträchtigt wird.

    48.

    In diesem Urteil ist der Gerichtshof nämlich von der Feststellung ausgegangen, dass unter der Annahme, dass Herr Denis Raugevicius im Sinne der finnischen Regelung über die internationale Zusammenarbeit im Bereich der Vollstreckung bestimmter strafrechtlicher Sanktionen als Ausländer mit ständigem Wohnsitz in Finnland angesehen werden kann ( 33 ), sich aus dieser Regelung ergibt, dass Herr Raugevicius die Strafe, die in Russland gegen ihn verhängt wurde, in Finnland verbüßen könnte, wenn sowohl Russland als auch Herr Raugevicius selbst dem zustimmen ( 34 ). Der Gerichtshof hat auch darauf hingewiesen, dass sich die finnischen Staatsangehörigen und die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, die ihren ständigen Wohnsitz in Finnland haben und somit ein bestimmtes Maß an Integration in der Gesellschaft dieses Mitgliedstaats aufweisen, im Hinblick auf das Ziel, der Gefahr einer Straflosigkeit entgegenzuwirken, in einer vergleichbaren Situation befinden ( 35 ).

    49.

    Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat der Gerichtshof sodann entschieden, dass die Art. 18 und 21 AEUV verlangen, dass die Regelung, wonach finnische Staatsangehörige nicht ausgeliefert werden dürfen, auch den Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten zugutekommen muss, die ihren ständigen Wohnsitz in Finnland haben und gegen die ein Auslieferungsersuchen zum Zweck der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe vorliegt; diese müssen also ihre Strafe unter denselben Bedingungen wie Inländer in Finnland verbüßen können ( 36 ). Mit anderen Worten hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, die ihren ständigen Wohnsitz in Finnland haben, einen solchen Grad der Integration in diesem Aufnahmemitgliedstaat aufweisen, dass sie ebenso wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats dort in den Genuss der Regelung kommen können, die es diesen Staatsangehörigen gestattet, ihre in einem Drittstaat verhängte Strafe im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats zu verbüßen ( 37 ).

    50.

    Außerdem geht aus dem Urteil Raugevicius hervor, dass in einem Fall, in dem es um ein Auslieferungsersuchen eines Drittstaats zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe geht, die alternative Maßnahme zur Auslieferung, die die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt eines Unionsbürgers, der seinen ständigen Wohnsitz im ersuchten Mitgliedstaat hat, weniger beeinträchtigt, darin besteht, dass diese Strafe im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats vollstreckt werden kann. Auf diese Weise fällt das Ziel, die soziale Wiedereingliederung verurteilter Personen nach Verbüßung ihrer Strafe zu fördern, mit dem Ziel zusammen, der Gefahr der Straflosigkeit von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten als des ersuchten Mitgliedstaats entgegenzuwirken. Insoweit weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof im Tenor seines Urteils Raugevicius das Bestehen einer Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaats, gemäß den Art. 18 und 21 AEUV gegenüber einem Unionsbürger, der seinen ständigen Wohnsitz in seinem Hoheitsgebiet hat, sicherzustellen, dass dieser Unionsbürger bei Auslieferungsfragen auf gleiche Weise wie seine eigenen Staatsangehörigen behandelt wird, davon abhängig macht, dass in diesem Mitgliedstaat die Möglichkeit vorgesehen ist, eine im Ausland verhängte Freiheitsstrafe im Inland zu vollziehen ( 38 ).

    51.

    Wenn das Recht des ersuchten Mitgliedstaats, wie es im finnischen Recht der Fall war, die Vollstreckung der im ersuchenden Drittstaat verhängten Freiheitsstrafe in seinem Hoheitsgebiet von der Zustimmung dieses Drittstaats abhängig macht, kann das Vorliegen einer alternativen Maßnahme zur Auslieferung, die es gestattet, das Ziel, der Gefahr entgegenzuwirken, dass Personen, die eine Straftat begangen haben, straflos bleiben, ebenso wirksam wie die Auslieferung zu erreichen, nur unter der Voraussetzung festgestellt werden, dass dieser Drittstaat tatsächlich eine solche Zustimmung erteilt. Die vom Gerichtshof in seinem Urteil Raugevicius gewählte Lösung ist daher meines Erachtens so zu verstehen, dass sie naturgemäß und notwendigerweise eine solche Voraussetzung enthält, damit das Ziel, der Gefahr einer Straflosigkeit der gesuchten Person entgegenzuwirken, tatsächlich und wirksam erreicht werden kann.

    52.

    Unter diesem Blickwinkel ist klarzustellen, dass der ersuchte Mitgliedstaat, der seine eigenen Staatsangehörigen vor Auslieferung schützt, nicht passiv bleiben darf, wenn er um Auslieferung zum Zweck der Vollstreckung einer Strafe gegen einen Unionsbürger, der seinen ständigen Wohnsitz in seinem Hoheitsgebiet hat, ersucht wird. Wenn das nationale Recht dieses Mitgliedstaats die Möglichkeit vorsieht, dass eine von einem Drittstaat verhängte Freiheitsstrafe in seinem Hoheitsgebiet verbüßt wird, sofern dieser Drittstaat dem zustimmt, verpflichten die Art. 18 und 21 AEUV den ersuchten Mitgliedstaat, sich aktiv um die Zustimmung dieses Drittstaats zu bemühen und zu diesem Zweck alle Mechanismen der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Unterstützung in Strafsachen zu nutzen, über die er im Rahmen seiner Beziehungen zu diesem Drittstaat verfügt.

    53.

    Wenn der ersuchende Drittstaat trotz der Anwendung dieser Mechanismen einer Verbüßung der Freiheitsstrafe im Hoheitsgebiet des ersuchten Mitgliedstaats nicht zustimmt, hindern die Art. 18 und 21 AEUV diesen Mitgliedstaat nicht daran, die gesuchte Person im Einklang mit den ihm nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen obliegenden Verpflichtungen auszuliefern ( 39 ).

    54.

    Die dem ersuchten Mitgliedstaat mit den Art. 18 und 21 AEUV auferlegte Verpflichtung, sicherzustellen, dass ein Unionsbürger, der seinen ständigen Wohnsitz in seinem Hoheitsgebiet hat, im Bereich des Schutzes vor Auslieferung auf gleiche Weise wie seine eigenen Staatsangehörigen behandelt wird, findet somit ihre Grenze, wenn – mangels Zustimmung des ersuchenden Drittstaats – die in diesem Drittstaat verhängte Freiheitsstrafe nicht im Hoheitsgebiet des ersuchten Mitgliedstaats vollstreckt werden kann. Die sich daraus ergebende unterschiedliche Behandlung dieser beiden Kategorien von Staatsangehörigen ist in einem solchen Fall durch das Ziel gerechtfertigt, zu verhindern, dass eine Person, die eine Straftat begangen hat, der Strafe entgeht.

    55.

    Eine solche Lösung kann verhindern, dass die Verpflichtungen des ersuchten Mitgliedstaats aus dem Unionsrecht in Konflikt mit denjenigen geraten, die diesem Mitgliedstaat nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen obliegen. Wenn nämlich der ersuchende Drittstaat der Vollstreckung der in Rede stehenden Freiheitsstrafe im Hoheitsgebiet des ersuchten Mitgliedstaats zustimmt, wird sein Auslieferungsersuchen hinfällig. Andernfalls hindert das Unionsrecht den ersuchten Mitgliedstaat nicht daran, die gesuchte Person auszuliefern, nachdem er sich aktiv um die Zustimmung des ersuchenden Drittstaats bemüht hat ( 40 ). Diese Lösung trägt somit dazu bei, eine wirksame internationale Zusammenarbeit sicherzustellen, die auf einem Vertrauensverhältnis zu Drittstaaten im Bereich der Verfolgung von Straftaten beruht.

    56.

    Im Licht dieser Prüfungsgesichtspunkte ist zu bestimmen, ob die Bundesrepublik Deutschland unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nach dem Unionsrecht verpflichtet ist, die Auslieferung von S.M. nach Bosnien-Herzegowina abzulehnen, obwohl sie nicht die Möglichkeit hat, die Auslieferung gegenüber diesem Drittstaat nach Art. 6 Abs. 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens abzulehnen.

    57.

    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Vollstreckung der in Bosnien-Herzegowina gegen S.M. verhängten Strafe im deutschen Hoheitsgebiet nach deutschem Recht denkbar scheint ( 41 ). Aus § 48 und § 57 Abs. 1 IRG ergibt sich nämlich, dass eine im Ausland verhängte Strafe im deutschen Hoheitsgebiet vollstreckt werden kann, wenn der Drittstaat, in dem diese Strafe verhängt wurde, damit einverstanden ist. S.M. könnte daher die Strafe, zu der er in Bosnien-Herzegowina verurteilt worden ist, im deutschen Hoheitsgebiet verbüßen, sofern Bosnien-Herzegowina damit einverstanden ist.

    58.

    Die Anwendung einer alternativen Maßnahme zur Auslieferung, die die Ausübung des Rechts von S.M. auf Freizügigkeit und Aufenthalt weniger beeinträchtigt, hängt daher unter diesen Umständen von der Einholung der Zustimmung von Bosnien-Herzegowina ab.

    59.

    Die Art. 18 und 21 AEUV schreiben den zuständigen deutschen Behörden vor, alle ihnen im Rahmen ihrer Beziehungen zu diesem Drittstaat zur Verfügung stehenden Mechanismen der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Unterstützung in Strafsachen zu nutzen, um dessen Zustimmung zur Vollstreckung der in diesem Drittstaat verhängten Freiheitsstrafe im deutschen Hoheitsgebiet zu erlangen. Diese Behörden werden somit in einer die Ausübung des Rechts von S.M. auf Freizügigkeit und Aufenthalt weniger beeinträchtigenden Weise handeln und zugleich so weit wie möglich der Gefahr entgegenwirken, dass die Straftat, die zur fraglichen Verurteilung geführt hat, mangels Vollstreckung der Strafe straflos bleibt ( 42 ). Gleichzeitig werden diese Behörden das Ziel der sozialen Wiedereingliederung der verurteilten Person nach der Vollstreckung ihrer Strafe fördern ( 43 ).

    60.

    Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass, wenn Bosnien-Herzegowina der Vollstreckung der gegen S.M. verhängten Strafe im deutschen Hoheitsgebiet zustimmt, das ursprüngliche Auslieferungsersuchen hinfällig wird und durch ein Ersuchen auf Übernahme der Vollstreckung dieser Strafe in Deutschland ersetzt wird. Die Bundesrepublik Deutschland wird sodann nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen nicht mehr verpflichtet sein, S.M. nach Bosnien-Herzegowina auszuliefern.

    61.

    Wenn Bosnien-Herzegowina hingegen der Vollstreckung der gegen S.M. verhängten Strafe im deutschen Hoheitsgebiet nicht zustimmt, verfügen die deutschen Behörden über keine alternative Maßnahme zur Auslieferung, mit der das Ziel, der Gefahr der Straflosigkeit dieses Unionsbürgers entgegenzuwirken, ebenso wirksam erreicht werden könnte. Die Art. 18 und 21 AEUV stehen somit der Auslieferung von S.M. an diesen Drittstaat gemäß den Bestimmungen des Europäischen Auslieferungsübereinkommens nicht entgegen ( 44 ).

    62.

    Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass die Art. 18 und 21 AEUV meines Erachtens nicht dahin auszulegen sind, dass die Suche des ersuchten Mitgliedstaats nach einer alternativen Maßnahme zur Auslieferung, die die Ausübung des Rechts eines Unionsbürgers auf Freizügigkeit und Aufenthalt weniger beeinträchtigt, so weit geht, dass dieser Mitgliedstaat gezwungen wäre, seine Erklärung nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b des Europäischen Auslieferungsübereinkommens dahin zu ändern, dass die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, die ihren ständigen Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat haben, in allen Fällen in den Genuss des Schutzes kommen, der seinen eigenen Staatsangehörigen gewährt wird. Die Erörterung dieses Punktes vor dem Gerichtshof hat im Übrigen gezeigt, dass die Möglichkeit einer solchen Änderung rechtlich zweifelhaft scheint ( 45 ). Zudem scheint mir der Gerichtshof, wie bereits ausgeführt, die Art. 18 und 21 AEUV nicht dahin auszulegen, dass er den ersuchten Mitgliedstaat, der seine eigenen Staatsangehörigen vor Auslieferung schützt, verpflichtet, den Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten automatisch und absolut einen solchen Schutz zu garantieren. Der Gerichtshof legt diese Artikel vielmehr dahin aus, dass sie den ersuchten Mitgliedstaat verpflichten, die Mechanismen der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Unterstützung in Strafsachen zu nutzen, die ihm – je nachdem, ob es sich um ein Ersuchen um Auslieferung zur Strafverfolgung oder um ein Ersuchen um Auslieferung zur Vollstreckung einer Strafe handelt – gegenüber dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, oder gegenüber dem ersuchenden Drittstaat zur Verfügung stehen, um aktiv zu prüfen, ob es eine alternative Maßnahme zur Auslieferung gibt, mit der das Ziel, der Gefahr der Straflosigkeit der gesuchten Person entgegenzuwirken, ebenso wirksam erreicht werden kann.

    V. Ergebnis

    63.

    Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage des Oberlandesgerichts München (Deutschland) wie folgt zu antworten:

    Die Art. 18 und 21 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie es dem ersuchten Mitgliedstaat, nach dessen nationalem Recht die Auslieferung eigener Staatsangehöriger an Staaten außerhalb der Union zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe verboten und die Möglichkeit vorgesehen ist, eine solche im Ausland verhängte Strafe im Inland zu verbüßen, vorausgesetzt, dass der ersuchende Drittstaat dem zustimmt, nicht verwehren, bei einem Auslieferungsersuchen zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe gegen einen Unionsbürger, der seinen ständigen Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats hat, diesen Unionsbürger im Einklang mit den ihm nach einem internationalen Übereinkommen obliegenden Verpflichtungen auszuliefern, sofern er die Vollstreckung dieser Strafe nicht wirksam übernehmen kann.

    Daher darf der ersuchte Mitgliedstaat diese Auslieferung nur vornehmen, wenn, nach Erfüllung seiner Verpflichtung aus den Art. 18 und 21 AEUV, sich aktiv um die Zustimmung des ersuchenden Drittstaats zu bemühen und zu diesem Zweck alle Mechanismen der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Unterstützung in Strafsachen zu nutzen, über die er im Rahmen seiner Beziehungen zu diesem Drittstaat verfügt, dieser Drittstaat der Verbüßung der fraglichen Strafe im Hoheitsgebiet des ersuchten Mitgliedstaats nicht zustimmt.


    ( 1 ) Originalsprache: Französisch.

    ( 2 ) C‑182/15, im Folgenden: Urteil Petruhhin, EU:C:2016:630.

    ( 3 ) C‑191/16, im Folgenden: Urteil Pisciotti, EU:C:2018:222.

    ( 4 ) C‑897/19 PPU, im Folgenden: Urteil Ruska Federacija, EU:C:2020:262.

    ( 5 ) C‑398/19, im Folgenden: Urteil Generalstaatsanwaltschaft Berlin (Auslieferung an die Ukraine), EU:C:2020:1032.

    ( 6 ) C‑473/15, EU:C:2017:633.

    ( 7 ) C‑247/17, im Folgenden: Urteil Raugevicius, EU:C:2018:898.

    ( 8 ) C‑184/99, EU:C:2001:458.

    ( 9 ) Rn. 31 dieses Urteils.

    ( 10 ) Im Folgenden: Europäisches Auslieferungsübereinkommen.

    ( 11 ) Vgl. Urteil Raugevicius (Rn. 50 und Tenor).

    ( 12 ) BGBl. 1949 I S. 1, im Folgenden: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland.

    ( 13 ) BGBl. 1982 I S. 2071.

    ( 14 ) In der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juni 1994 (BGBl. 1994 I S. 1537), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 23. November 2020 (BGBl. 2020 I S. 2474), im Folgenden: IRG.

    ( 15 ) Übereinkommen des Europarats über die Überstellung verurteilter Personen, aufgelegt zur Unterzeichnung am 21. März 1983 in Straßburg, SEV Nr. 112.

    ( 16 ) Vgl. u. a. Urteil Petruhhin (Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie Urteil Generalstaatsanwaltschaft Berlin (Auslieferung an die Ukraine) (Rn. 28).

    ( 17 ) Vgl. u. a. Urteil Generalstaatsanwaltschaft Berlin (Auslieferung an die Ukraine) (Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 18 ) Vgl. u. a. Urteil Generalstaatsanwaltschaft Berlin (Auslieferung an die Ukraine) (Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 19 ) Vgl. u. a. Urteil Generalstaatsanwaltschaft Berlin (Auslieferung an die Ukraine) (Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 20 ) Vgl. u. a. Urteil Raugevicius (Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung) sowie Urteil Generalstaatsanwaltschaft Berlin (Auslieferung an die Ukraine) (Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 21 ) Vgl. u. a. Urteil Raugevicius (Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung) sowie Urteil Generalstaatsanwaltschaft Berlin (Auslieferung an die Ukraine) (Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 22 ) Vgl. u. a. Urteil Raugevicius (Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung) sowie Urteil Generalstaatsanwaltschaft Berlin (Auslieferung an die Ukraine) (Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 23 ) Vgl. u. a. Urteil Raugevicius (Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie Urteil Generalstaatsanwaltschaft Berlin (Auslieferung an die Ukraine) (Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 24 ) Vgl. u. a. Urteil Ruska Federacija (Rn. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 25 ) ABl. 2002, L 190, S. 1.

    ( 26 ) ABl. 2009, L 81, S. 24. Vgl. u. a. Urteil Generalstaatsanwaltschaft Berlin (Auslieferung an die Ukraine) (Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 27 ) Vgl. u. a. Urteil Pisciotti (Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 28 ) Vgl. u. a. Urteil Generalstaatsanwaltschaft Berlin (Auslieferung an die Ukraine) (Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 29 ) Vgl. u. a. Urteil Generalstaatsanwaltschaft Berlin (Auslieferung an die Ukraine) (Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die Rechtsprechung des Gerichtshofs wird somit von dessen Willen geleitet, „ein Paradoxon zu vermeiden, nämlich, dass die Konsolidierung des europäischen Strafrechtsraums mit einer Verstärkung der Straflosigkeit einhergeht, obwohl die Union, wie im Urteil Petruhhin [Rn. 36 und 37] hervorgehoben worden ist, ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen bietet, in dem – in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen in Bezug auf die Kontrollen an den Außengrenzen sowie die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität – der freie Personenverkehr gewährleistet ist“: vgl. Lenaerts, K., „L’extradition d’un citoyen de l’Union européenne vers un pays tiers à l’heure de la consolidation de l’espace pénal européen“, Sa Justice – L’Espace de Liberté, de Sécurité et de Justice – Liber amicorum en hommage à Yves Bot, Bruylant, Brüssel, 2022, S. 383 und 384.

    ( 30 ) Vgl. u. a. Urteil Generalstaatsanwaltschaft Berlin (Auslieferung an die Ukraine) (Rn. 53 bis 55). Zwar hat der Gerichtshof entschieden, dass, wenn der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, keinen Europäischen Haftbefehl ausstellt, der ersuchte Mitgliedstaat sie ausliefern kann, doch gilt dies unter der Voraussetzung, dass er zuvor geprüft hat, dass die Auslieferung die in Art. 19 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbürgten Rechte nicht beeinträchtigen wird, wie es die Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt (Rn. 45 dieses Urteils und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 31 ) Vgl. Urteil Pisciotti (Rn. 56).

    ( 32 ) Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Tanchev in der Rechtssache Ruska Federacija (C‑897/19 PPU, EU:C:2020:128, Nr. 100).

    ( 33 ) Vgl. Urteil Raugevicius (Rn. 41).

    ( 34 ) Vgl. Urteil Raugevicius (Rn. 42).

    ( 35 ) Vgl. Urteil Raugevicius (Rn. 46). Der Gerichtshof hat es jedoch dem vorlegenden Gericht überlassen zu prüfen, ob Herr Raugevicius zu dieser Kategorie von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten gehört. Das Gleiche muss meines Erachtens für die Frage gelten, ob in der vorliegenden Rechtssache davon ausgegangen werden kann, dass S.M. seinen ständigen Wohnsitz in Deutschland hat.

    ( 36 ) Vgl. Urteil Raugevicius (Rn. 47).

    ( 37 ) Vgl. Lenaerts, K., „L’extradition d’un citoyen de l’Union européenne vers un pays tiers à l’heure de la consolidation de l’espace pénal européen“, Sa Justice – L’Espace de Liberté, de Sécurité et de Justice – Liber amicorum en hommage à Yves Bot, Bruylant, Brüssel, 2022, S. 386.

    ( 38 ) Vgl. Urteil Raugevicius (Rn. 50 und Tenor).

    ( 39 ) Dies setzt voraus, dass der ersuchte Mitgliedstaat zuvor geprüft hat, ob diese Auslieferung die in Art. 19 der Charta der Grundrechte verbürgten Rechte nicht beeinträchtigen wird.

    ( 40 ) Da die von mir vorgeschlagene Lösung geeignet erscheint, eine Unvereinbarkeit zwischen dem Unionsrecht und dem Europäischen Auslieferungsabkommen zu neutralisieren, scheint mir Art. 351 AEUV, obwohl er in der mündlichen Verhandlung angesprochen worden ist, für die Beantwortung der vorliegenden Vorlagefrage nicht relevant zu sein.

    ( 41 ) Ich erinnere daran, dass nach Ansicht des vorlegenden Gerichts das Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen nicht einschlägig ist, da sich S.M. bereits im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufhalte.

    ( 42 ) Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Raugevicius (C‑247/17, EU:C:2018:616, Nr. 82).

    ( 43 ) Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, liegt die Resozialisierung des Unionsbürgers in dem Staat, in den er vollständig integriert ist, nicht nur im Interesse dieses Staates, sondern auch im Interesse der Europäischen Union insgesamt: vgl. insbesondere Urteil vom 17. April 2018, B und Vomero (C‑316/16 und C‑424/16, EU:C:2018:256, Rn. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 44 ) Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass in Anbetracht des unterschiedlichen Inhalts der von der Republik Finnland und der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. b des Europäischen Auslieferungsübereinkommens abgegebenen Erklärung hinsichtlich der Definition des Begriffs „Staatsangehörige“ im Sinne dieses Übereinkommens der letztere Mitgliedstaat hinsichtlich der Möglichkeit, die Auslieferung eines Unionsbürgers, der seinen ständigen Wohnsitz in seinem Hoheitsgebiet hat, abzulehnen, nicht über den Handlungsspielraum verfügt, über den der erste Mitgliedstaat verfügt.

    ( 45 ) Aus dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b des Europäischen Auslieferungsübereinkommens geht nämlich hervor, dass die Erklärung zum Zeitpunkt der Unterzeichnung oder Hinterlegung der Ratifikations- oder Beitrittsurkunde abgegeben wird, ohne dass eine spätere Änderung dieser Erklärung vorgesehen ist. Im Übrigen könnte die Änderung dieser Erklärung mit dem Ziel, den Schutz vor Auslieferung auf andere Kategorien von Personen als die Staatsangehörigen des betreffenden Staates auszudehnen, dem mit dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen verfolgten Ziel zuwiderlaufen.

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