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Document 62020TO0198(01)

Beschluss des Gerichts (Zehnte erweiterte Kammer) vom 8. Juni 2021.
Harry Shindler u. a. gegen Rat der Europäischen Union.
Nichtigkeitsklage – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union und Euratom – Beschluss des Rates über den Abschluss des Abkommens über den Austritt – Britische Staatsangehörige – Verlust der Unionsbürgerschaft – Keine individuelle Betroffenheit – Rechtsakt ohne Verordnungscharakter – Unzulässigkeit.
Rechtssache T-198/20.

ECLI identifier: ECLI:EU:T:2021:348

 BESCHLUSS DES GERICHTS (Zehnte erweiterte Kammer)

8. Juni 2021 ( *1 )

„Nichtigkeitsklage – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union und Euratom – Beschluss des Rates über den Abschluss des Abkommens über den Austritt – Britische Staatsangehörige – Verlust der Unionsbürgerschaft – Keine individuelle Betroffenheit – Rechtsakt ohne Verordnungscharakter – Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T‑198/20,

Harry Shindler, wohnhaft in Porto d’Ascoli (Italien), und die weiteren im Anhang namentlich aufgeführten Kläger ( 1 ), Prozessbevollmächtigter J. Fouchet, Rechtsanwalt,

Kläger,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch M. Bauer, R. Meyer und J. Ciantar als Bevollmächtigte,

Beklagter,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf vollständige oder teilweise Nichtigerklärung des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 2020, L 29, S. 7) und des Beschlusses (EU) 2020/135 des Rates vom 30. Januar 2020 über den Abschluss des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 2020, L 29, S. 1)

erlässt

DAS GERICHT (Zehnte erweiterte Kammer),

unter Mitwirkung des Präsidenten A. Kornezov, des Richters E. Buttigieg, der Richterin K. Kowalik-Bańczyk (Berichterstatterin), des Richters G. Hesse und der Richterin M. Stancu,

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1

Die Kläger, Harry Shindler und die weiteren im Anhang namentlich aufgeführten Kläger, sind britische Staatsangehörige mit Wohnsitzen in Irland, Spanien, Frankreich und Italien.

2

Am 23. Juni 2016 stimmten die Bürger des Vereinigten Königreichs in einem Referendum für den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union.

3

Am 29. März 2017 teilte das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland dem Europäischen Rat gemäß Art. 50 Abs. 2 EUV mit, dass es beabsichtige, aus der Union auszutreten.

4

Am 24. Januar 2020 unterzeichneten die Vertreter der Union und des Vereinigten Königreichs das Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 2020, L 29, S. 7, im Folgenden: Austrittsabkommen).

5

Am 30. Januar 2020 erließ der Rat der Europäischen Union den Beschluss (EU) 2020/135 über den Abschluss des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 2020, L 29, S. 1). Gemäß Art. 1 dieses Beschlusses wurde das Austrittsabkommen im Namen der Union und der Europäischen Atomgemeinschaft genehmigt.

6

Am 31. Januar 2020 trat das Vereinigte Königreich aus der Union und der Europäischen Atomgemeinschaft aus. Am 1. Februar 2020 trat das Austrittsabkommen in Kraft.

Verfahren und Anträge der Parteien

7

Mit am 30. März 2020 eingegangener Klageschrift haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben.

8

Mit am 21. April 2020 eingereichtem Schreiben haben die Kläger das Gericht ersucht, Vorabentscheidungsfragen an den Gerichtshof zu richten. Am 28. April 2020 hat der Präsident des Gerichts beschlossen, dieses Schreiben nicht zu den Akten zu nehmen.

9

Mit am 14. Juli 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem gesondertem Schriftsatz hat der Rat nach Art. 130 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben.

10

Am 21. August 2020 haben die Kläger bei der Kanzlei des Gerichts ihre Stellungnahmen zur Einrede der Unzulässigkeit eingereicht.

11

Zuvor hatte die Europäische Kommission mit am 15. Juni 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schriftsatz beantragt, in der vorliegenden Rechtssache als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge des Rates zugelassen zu werden. Mit am 8. Juli 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schreiben hat der Rat erklärt, er habe dazu keine Stellungnahme abzugeben.

12

Mit am 6. August 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schriftsatz hat British in Europe, eine Vereinigung französischen Rechts, beantragt, in der vorliegenden Rechtssache als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kläger zugelassen zu werden. Mit am 26. November 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schreiben hat der Rat die Zulassung dieses Antrags in das Ermessen des Gerichts gestellt.

13

Mit Beschluss vom 5. November 2020 hat das Gericht (Zehnte Kammer) gemäß Art. 130 Abs. 7 der Verfahrensordnung die Entscheidung über die Unzulässigkeitseinrede und über die Kosten dem Endurteil vorbehalten.

14

Mit Entscheidung vom 10. November 2020 hat das Gericht die Rechtssache gemäß Art. 28 der Verfahrensordnung an die Zehnte erweiterte Kammer verwiesen.

15

Der Rat hat seine Klagebeantwortung am 18. Januar 2021 eingereicht. Am 11. Februar 2021 hat der Präsident der Zehnten erweiterten Kammer beschlossen, die Klagebeantwortung den Klägern nicht zuzustellen.

16

Mit am 19. Januar 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schreiben haben die Kläger beantragt, das Verfahren in der vorliegenden Rechtssache nach Art. 69 Buchst. d der Verfahrensordnung auszusetzen. Mit am 8. Februar 2021 bei der Kanzlei eingegangenem Schreiben hat der Rat seine Stellungnahme zu diesem Aussetzungsantrag abgegeben. Mit Entscheidung vom 10. Februar 2021 hat der Präsident der Zehnten erweiterten Kammer den Aussetzungsantrag zurückgewiesen.

17

Die Kläger beantragen,

das Austrittsabkommen und den Beschluss 2020/135 vollständig für nichtig zu erklären;

hilfsweise, das Austrittsabkommen und den Beschluss 2020/135 teilweise für nichtig zu erklären, „soweit diese Rechtsakte … automatisch und allgemein … zwischen Unionsbürgern und Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs unterscheiden“, und somit u. a. Abs. 6 der Präambel sowie die Art. 9, 10 und 127 des Austrittsabkommens für nichtig zu erklären;

dem Rat die Verfahrenskosten „einschließlich der Anwaltskosten in Höhe von 5000 [Euro]“ aufzuerlegen.

18

In der Unzulässigkeitseinrede beantragt der Rat,

die Klage als unzulässig abzuweisen;

den Klägern die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

Zur Möglichkeit, mit Beschluss zu entscheiden

19

Nach Art. 130 Abs. 1 und 7 der Verfahrensordnung kann das Gericht vorab über die Unzulässigkeit entscheiden, wenn der Beklagte dies beantragt. Nach Art. 130 Abs. 6 der Verfahrensordnung kann das Gericht beschließen, das mündliche Verfahren über die Unzulässigkeitseinrede zu eröffnen.

20

Nach der Rechtsprechung wird die Möglichkeit, eine Klage durch einen mit Gründen versehenen Beschluss und damit ohne mündliche Verhandlung als unzulässig abzuweisen, nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Gericht zuvor einen Beschluss erlassen hat, mit dem die Entscheidung über eine gemäß Art. 130 Abs. 1 der Verfahrensordnung erhobene Einrede dem Endurteil vorbehalten wurde (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 19. Februar 2008, Tokai Europe/Kommission, C‑262/07 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2008:95, Rn. 26 bis 28).

21

Auch wenn das Gericht im vorliegenden Fall die Entscheidung über die Unzulässigkeitseinrede des Rates mit Beschluss vom 5. November 2020 dem Endurteil vorbehalten hat, ist es nunmehr in der Lage, auf der Grundlage des Akteninhalts durch Beschluss über diese Einrede zu entscheiden.

Zum Klagegegenstand

22

Zunächst ist erstens festzustellen, dass die Kläger hilfsweise beantragen, das Austrittsabkommen und den Beschluss 2020/135 teilweise für nichtig zu erklären, „soweit diese Rechtsakte … automatisch und allgemein … zwischen Unionsbürgern und Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs unterscheiden“, und u. a. Abs. 6 der Präambel sowie die Art. 9, 10 und 127 des Austrittsabkommens für nichtig zu erklären (siehe oben, Rn. 17, zweiter Gedankenstrich).

23

Hierzu geht aus allen Schriftstücken der Kläger hervor, dass sie mit ihrem Antrag auf teilweise Nichtigerklärung im Wesentlichen die Nichtigerklärung der oben in Rn. 22 genannten Rechtsakte erreichen wollen, soweit diese Rechtsakte den britischen Staatsangehörigen – und insbesondere jenen unter ihnen, die ihr Recht auf Freizügigkeit in der Union ausgeübt haben und die nicht zur Teilnahme an dem Referendum vom 23. Juni 2016 berechtigt waren – ihren Status als Unionsbürger und die damit verbundenen Rechte entziehen.

24

Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die Kläger die vollständige oder teilweise Nichtigerklärung nicht nur des Beschlusses 2020/135, sondern auch des Austrittsabkommen selbst beantragen.

25

Das Austrittsabkommen ist jedoch kein einseitiger Rechtsakt der Union, sondern ein zwischen der Union auf der einen und dem Vereinigten Königreich auf der anderen Seite geschlossener völkerrechtlicher Vertrag.

26

In einem solchen Fall bezieht sich die dem Unionsrichter obliegende Rechtmäßigkeitskontrolle auf den von den Unionsorganen erlassenen Rechtsakt, mit dem die betreffende internationale Übereinkunft umgesetzt werden soll, und nicht auf diese Übereinkunft als solche (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission, C‑402/05 P und C‑415/05 P, EU:C:2008:461, Rn. 286). Bei dieser Kontrolle kann gleichwohl zu überprüfen sein, ob dieser Rechtsakt im Hinblick auf den Inhalt der internationalen Übereinkunft rechtmäßig ist (vgl. entsprechend Urteil vom 27. Februar 2018, Western Sahara Campaign UK, C‑266/16, EU:C:2018:118, Rn. 51).

27

Wenn der Unionsrichter mit einer Klage gegen eine von der Union geschlossene internationale Übereinkunft befasst ist, deutet er die Klage deshalb dahin um, dass sie in Wirklichkeit gegen den Beschluss über die Genehmigung dieser Übereinkunft gerichtet ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. August 1994, Frankreich/Kommission, C‑327/91, EU:C:1994:305, Rn. 13 bis 17).

28

Folglich ist die Klage dahin umzudeuten, dass sie ausschließlich gegen den Beschluss 2020/135 (im Folgenden: angefochtener Beschluss) gerichtet ist.

Zur Unzulässigkeitseinrede

29

Der Rat macht geltend, die Klage sei unzulässig, da die Kläger nicht befugt seien, gegen den angefochtenen Beschluss Klage zu erheben. Erstens seien die Kläger nicht Adressaten dieses Beschlusses. Zweitens seien sie von dem Beschluss nicht individuell betroffen. Drittens sei festzustellen, dass der Beschluss zum einen Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehe und zum anderen kein Rechtsakt mit Verordnungscharakter sei.

30

Die Kläger wenden sich gegen die Unzulässigkeitseinrede. Sie machen zum einen geltend, dass sie von dem angefochtenen Beschluss unmittelbar und individuell betroffen seien, und zum anderen, dass dieser Beschluss ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter sei, der sie unmittelbar betreffe und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehe.

31

Nach Art. 263 Abs. 4 AEUV kann jede natürliche oder juristische Person unter den Bedingungen nach den Abs. 1 und 2 dieses Artikels gegen drei Arten von Handlungen eine Nichtigkeitsklage erheben, nämlich erstens gegen Handlungen, die an sie gerichtet sind, zweitens gegen Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen, und drittens gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen.

32

Im vorliegenden Fall ist die Klagebefugnis in Anbetracht der teilweisen Umdeutung der Klage (oben, Rn. 28) ausschließlich im Hinblick auf den angefochtenen Beschluss zu prüfen. Bei dieser Beurteilung sind jedoch nach der Rechtsprechung (siehe oben, Rn. 26) die Natur und der Inhalt des Austrittsabkommens zu berücksichtigen.

33

Vorab ist festzustellen, dass die Kläger weder Adressaten des angefochtenen Beschlusses noch Adressaten des Austrittsabkommens sind. Deshalb sind sie nicht befugt, nach Art. 263 Abs. 4 erste Alternative AEUV Klage zu erheben, was von ihnen im Übrigen auch nicht in Abrede gestellt wird.

34

Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob die Kläger auf der Grundlage der zweiten oder der dritten in Art. 263 Abs. 4 AEUV vorgesehenen Alternative klagebefugt sind.

Zur Klagebefugnis nach Art. 263 Abs. 4 zweite Alternative AEUV

35

Die Voraussetzungen der unmittelbaren und der individuellen Betroffenheit nach Art. 263 Abs. 4 zweite Alternative AEUV sind kumulativ (vgl. Urteil vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C‑583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 75 und 76 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

36

Unter den Umständen des vorliegenden Falls ist zunächst zu prüfen, ob die zweite Voraussetzung, die individuelle Betroffenheit der Kläger, erfüllt ist.

37

Nach ständiger Rechtsprechung kann eine natürliche oder juristische Person nur dann als von einem Rechtsakt, dessen Adressat sie nicht ist, individuell betroffen angesehen werden, wenn dieser Rechtsakt sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie daher in ähnlicher Weise individualisiert, wie es der Adressat einer Entscheidung wäre (Urteile vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission, 25/62, EU:C:1963:17, S. 238, und vom 13. März 2018, European Union Copper Task Force/Kommission, C‑384/16 P, EU:C:2018:176, Rn. 93).

38

Deshalb bedeutet der Umstand, dass die Rechtssubjekte, für die eine Maßnahme gilt, nach Zahl oder sogar Identität mehr oder weniger genau bestimmbar sind, keineswegs, dass diese Personen als von der Maßnahme individuell betroffen anzusehen sind, sofern die Maßnahme aufgrund eines durch sie bestimmten objektiven Tatbestands rechtlicher oder tatsächlicher Art anwendbar ist (Urteile vom 22. November 2001, Antillean Rice Mills/Rat, C‑451/98, EU:C:2001:622, Rn. 52, und vom 13. März 2018, European Union Copper Task Force/Kommission, C‑384/16 P, EU:C:2018:176, Rn. 94).

39

Desgleichen vermag der Umstand, dass sich ein normativer Akt auf die verschiedenen Normadressaten im konkreten Fall unterschiedlich auswirken kann, diese nicht aus dem Kreis aller übrigen betroffenen Personen herauszuheben, sofern seine Anwendung nach einem objektiv bestimmten Tatbestand erfolgt (Urteil vom 22. Februar 2000, ACAV u. a./Rat, T‑138/98, EU:T:2000:45, Rn. 66, und Beschluss vom 3. Dezember 2008, RSA Security Ireland/Kommission, T‑227/06, EU:T:2008:547, Rn. 59).

40

Der Umstand, dass eine Vorschrift ihrer Natur und ihrer Tragweite nach eine generelle Norm ist, da sie für sämtliche betroffenen Personen gilt, schließt dagegen nicht aus, dass sie einige von ihnen individuell betrifft (Urteile vom 22. Juni 2006, Belgien und Forum 187/Kommission, C‑182/03 und C‑217/03, EU:C:2006:416, Rn. 58, und vom 23. April 2009, Sahlstedt u. a./Kommission, C‑362/06 P, EU:C:2009:243, Rn. 29).

41

Wenn ein Rechtsakt eine Gruppe von Personen berührt, die zum Zeitpunkt seines Erlasses anhand von den Mitgliedern der Gruppe eigenen Merkmalen feststanden oder feststellbar waren, können diese Personen nämlich von dem Rechtsakt insoweit individuell betroffen sein, als sie zu einem beschränkten Kreis von Personen gehören. Es kann sich u. a. dann so verhalten, wenn der Rechtsakt in Rechte eingreift, die diese Personen vor seinem Erlass erworben haben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. März 2008, Kommission/Infront WM, C‑125/06 P, EU:C:2008:159, Rn. 71 und 72 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 27. Februar 2014, Stichting Woonpunt u. a./Kommission, C‑132/12 P, EU:C:2014:100, Rn. 59).

42

Im vorliegenden Fall tragen die Kläger im Wesentlichen vor, sie seien von dem angefochtenen Beschluss unmittelbar und individuell betroffen, da dieser ihnen ihren Unionsbürgerstatus und die damit verbundenen Rechte entziehe, insbesondere das Recht, sich in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, sowie das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament und den Kommunalwahlen ihres jeweiligen Wohnsitzmitgliedstaats.

43

Konkret führen die Kläger zum Nachweis ihrer individuellen Betroffenheit aus, dass sie zu einem ersten beschränkten Kreis von britischen Staatangehörigen gehörten, die ihr Recht auf Freizügigkeit in der Union ausgeübt hätten (2 % der „britischen Gesamtbevölkerung“). Zudem seien sie auch Teil eines zweiten, noch beschränkteren Kreises von britischen Staatangehörigen, die darüber hinaus seit mehr als 15 Jahren außerhalb des Vereinigten Königreichs gelebt hätten und denen infolgedessen aufgrund der 15-Jahre-Regel (15 years rule) das Stimmrecht bei den Wahlen zum britischen Parlament sowie beim Referendum vom 23. Juni 2016 entzogen worden sei (1,2 % der britischen Bevölkerung). Aufgrund dieses Entzugs des Stimmrechts seien sie gehindert worden, an Abstimmungen teilzunehmen, die entscheidend für den Fortbestand ihres Unionsbürgerstatus gewesen seien.

44

Ferner führen die Kläger aus, dass jeder von ihnen vom Verlust seines Unionsbürgerstatus und der damit verbundenen Rechte in erheblicher und besonderer Weise betroffen sei. Insoweit berufen sie sich auf die Folgen, die der Verlust des Unionsbürgerstatus und der damit verbundenen Rechte aufgrund unterschiedlicher Eigenschaften für sie habe; hierzu gehörten u. a. die folgenden Eigenschaften:

als Veteran des Zweiten Weltkriegs (ein Kläger);

als „Opfer der 15-Jahre-Regel“ (fünf Kläger);

als Person, die an der Ausübung des aktiven oder passiven Wahlrechts bei den französischen Kommunalwahlen 2020 gehindert worden sei (fünf Kläger);

als Person, die bei der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit in Gibraltar behindert worden sei (eine Klägerin);

als Person, deren Privat- und Familienleben beeinträchtigt worden sei (zwei Kläger);

als Person, deren Eigentumsrecht beeinträchtigt worden sei (vier Kläger);

als Person, deren vom Vereinigten Königreich an sie geleisteten Ruhegehaltszahlungen einem neuen System von Sozialabgaben oder Steuern unterlägen (sieben Kläger);

als Person, für die bei der Einreise in das Gebiet der Union oder dem Aufenthalt in diesem Gebiet neue Formalitäten gälten (drei Kläger).

45

Vorab ist festzustellen, dass das auf den Nachweis ihrer Klagebefugnis im Sinne von Art. 263 Abs. 4 zweite Alternative AEUV gerichtete Vorbringen der Kläger von der Prämisse ausgeht, dass der angefochtene Beschluss den „Verlust“ oder die „Aufhebung“ ihres Unionsbürgerstatus und der damit verbundenen Rechte zur Folge habe.

46

Zwar entziehen weder der angefochtene Beschluss noch das Austrittsabkommen ausdrücklich den Unionsbürgerstatus britischer Staatsangehöriger und die damit verbundenen Rechte.

47

Aus dem Wortlaut und der Systematik des Austrittsabkommens – insbesondere aus Abs. 6 der Präambel, Art. 2 Buchst. b bis d, Art. 10 Abs. 1 Buchst. a bis d und allgemein aus dem gesamten Teil 2 („Rechte der Bürger“) – geht jedoch klar hervor, dass dieses Abkommen die britischen Staatsangehörigen, einschließlich jener, die zum Zeitpunkt des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Union Unionsbürger waren, als Personen behandelt, die ab diesem Zeitpunkt nicht oder nicht mehr die Eigenschaft eines Unionsbürgers haben. Somit sieht dieses Abkommen für britische Staatsangehörige nicht den Fortbestand des Unionsbürgerstatus und aller damit verbundenen Rechte vor.

48

Der Verlust oder Nichtfortbestand des Unionsbürgerstatus kann unzweifelhaft erhebliche Auswirkungen auf die Rechte eines Staatsangehörigen eines aus der Union austretenden Mitgliedstaats haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a., C‑621/18, EU:C:2018:999, Rn. 64). Erst recht können Staatsangehörige eines solchen Mitgliedstaats, die in einem anderen Mitgliedstaat leben, aufgrund der bisweilen über einen langen Zeitraum entstandenen persönlichen, beruflichen und wirtschaftlichen Bindungen vom Austritt ihres Herkunftsmitgliedstaats aus der Union betroffen sein (Beschluss vom 16. Juni 2020, Walker u. a./Parlament und Rat, T‑383/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:269, Rn. 41).

49

Was die Voraussetzung der individuellen Betroffenheit anbelangt, ist es jedoch nach der oben in Rn. 37 angeführten Rechtsprechung Sache der Kläger, nachzuweisen, dass der angefochtene Beschluss sie, soweit er ihnen ihren Unionsbürgerstatus und die damit verbundenen Rechte entzieht, wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und daher in ähnlicher Weise individualisiert, wie es bei Adressaten der Fall wäre.

50

Insoweit steht erstens fest, dass das Austrittsabkommen, insbesondere, soweit es für britische Staatsangehörige keinen Fortbestand des Unionsbürgerstatus vorsieht, auf alle britischen Staatsangehörigen Anwendung findet und damit allgemeine Geltung hat.

51

Daraus folgt, dass der angefochtene Beschluss, durch den das Austrittsabkommen Teil der Rechtsordnung der Union geworden ist, selbst ein Rechtsakt mit allgemeiner Geltung ist und die Kläger deshalb aufgrund ihrer objektiven Eigenschaft als britische Staatsangehörige berührt.

52

Zweitens lassen die oben in den Rn. 43 genannten, von den Klägern geltend gemachten Umstände, dass sie besonderen Kategorien britischer Staatsangehörigen angehörten, die ihr Recht auf Freizügigkeit in der Union ausgeübt hätten und von denen einigen darüber hinaus das Recht auf Teilnahme an den in diesem Mitgliedstaat durchgeführten Abstimmungen entzogen worden sei, nicht den Schluss zu, dass die Kläger zu einem beschränkten Kreis von Personen im Sinne der oben in Rn. 41 angeführten Rechtsprechung gehören.

53

Denn zum einen wurde der angefochtene Beschluss, soweit er den britischen Staatsangehörigen den Unionsbürgerstatus und die damit verbundenen Rechte entziehen sollte, nicht auf der Grundlage von Merkmalen erlassen, die den Personen eigen sind, die den von den Klägern geltend gemachten besonderen Kategorien britischer Staatsangehöriger angehören, und zum anderen entzieht er diesen Personen kein erworbenes Recht, das den diesen Kategorien zugehörigen Personen spezifisch oder ausschließlich zustünde. Vielmehr folgt aus den oben in Rn. 51 getroffenen Feststellungen, dass der geltend gemachte Verlust des Unionsbürgerstatus und der damit verbundenen Rechte auf eine Gesamtheit objektiv bestimmter Personen Anwendung findet, nämlich auf alle britischen Staatsangehörigen unabhängig von ihrem Wohnsitzstaat (vgl. entsprechend Beschluss vom 16. Juni 2020, Walker u. a./Parlament und Rat, T‑383/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:269, Rn. 52 und 53).

54

Vor diesem Hintergrund können nach der oben in den Rn. 38 und 39 angeführten Rechtsprechung die Umstände, dass die Personen, die den von den Klägern geltend gemachten Kategorien britischer Staatsangehöriger angehören, ihrer Zahl und sogar Identität nach mehr oder weniger genau festgestellt werden könnten und dass sie von dem behaupteten Verlust des Unionsbürgerstatus und der damit verbundenen Rechte stärker betroffen wären als die anderen britischen Staatsangehörigen, für sich genommen nicht dazu führen, dass diese Personen von dem Beschluss individuell betroffen sind (vgl. in diesem Sinne entsprechend Beschluss vom 16. Juni 2020, Walker u. a./Parlament und Rat, T‑383/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:269, Rn. 43, 45 und 46).

55

Drittens können die verschiedenen für jeden der Kläger persönlich geltend gemachten Eigenschaften (siehe oben, Rn. 44) allenfalls aufzeigen, welche konkreten, unterschiedlichen und gegebenenfalls auch schwerwiegenden Auswirkungen der behauptete Verlust des Unionsbürgerstatus und der damit verbundenen Rechte auf jeden von ihnen haben kann. Dagegen kann keine dieser Eigenschaften belegen, dass der Verlust dieses Status und der damit verbundenen Rechte für sie derart besondere und spezifische Folgen haben könnte, dass er sie im Sinne der oben in Rn. 37 angeführten Rechtsprechung im Vergleich zu allen anderen Personen in gleicher Weise wie Adressaten individualisieren würde.

56

Viertens haben die Kläger keinen Umstand vorgetragen, anhand dessen nachgewiesen werden könnte, dass sie von anderen Aspekten als dem behaupteten Verlust des Unionsbürgerstatus und der damit verbundenen Rechte individuell betroffen sind.

57

Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass die Kläger von dem angefochtenen Beschluss nicht individuell betroffen sind. Daher sind sie nicht nach Art. 263 Abs. 4 zweite Alternative AEUV klagebefugt, ohne dass geprüft werden muss, ob sie von dem Beschluss unmittelbar betroffen sind.

Zur Klagebefugnis nach Art. 263 Abs. 4 dritte Alternative AEUV

58

Die Voraussetzungen erstens des Verordnungscharakters des angefochtenen Rechtsakts, zweitens der unmittelbaren Betroffenheit der Kläger und drittens des Nichtvorliegens von Durchführungsmaßnahmen im Sinne von Art. 263 Abs. 4 dritte Alternative AEUV sind kumulativ (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 19. November 2020, Buxadé Villalba u. a./Parlament, T‑32/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:552, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

59

Unter den Umständen des vorliegenden Falls ist zunächst zu prüfen, ob die erste Voraussetzung, der Verordnungscharakter des angefochtenen Beschlusses, erfüllt ist.

60

Der Begriff „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ im Sinne von Art. 263 Abs. 4 dritte Alternative AEUV ist weniger weitreichend als der in Art. 263 Abs. 4 erste und zweite Alternative AEUV verwendete Begriff „Handlungen“. Er kann sich daher nicht auf sämtliche Handlungen mit allgemeiner Geltung, sondern nur auf eine engere Kategorie derartiger Handlungen beziehen (Urteil vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C‑583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 58).

61

Der Begriff „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ betrifft folglich Handlungen mit allgemeiner Geltung, umfasst aber keine Gesetzgebungsakte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C‑583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 60 und 61).

62

Im vorliegenden Fall sind sich die Parteien erstens zu Recht darüber einig, dass der angefochtene Beschluss eine Handlung ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung ist.

63

Zum einen steht fest, dass der angefochtene Beschluss eine Handlung mit allgemeiner Geltung ist (siehe oben, Rn. 51).

64

Zum anderen ist daran zu erinnern, dass ein Rechtsakt nur dann als Gesetzgebungsakt der Union eingestuft werden kann, wenn er auf der Grundlage einer Bestimmung der Verträge angenommen wurde, die ausdrücklich auf das ordentliche Gesetzgebungsverfahren oder auf das besondere Gesetzgebungsverfahren Bezug nimmt (Urteil vom 6. September 2017, Slowakei und Ungarn/Rat, C‑643/15 und C‑647/15, EU:C:2017:631, Rn. 62). Im vorliegenden Fall wurde der angefochtene Beschluss auf der Grundlage von Art. 50 Abs. 2 EUV erlassen. Nach dieser Bestimmung wird das Abkommen über die Einzelheiten des Austritts eines Mitgliedstaats vom Rat im Namen der Union mit qualifizierter Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments geschlossen, die Bestimmung nimmt aber weder auf das ordentliche Gesetzgebungsverfahren noch auf das besondere Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich Bezug. Der angefochtene Beschluss kann somit nicht als Gesetzgebungsakt eingestuft werden.

65

Zweitens sind die Parteien uneins hinsichtlich der Folgen, die sich daraus ergeben, dass der angefochtene Beschluss eine Handlung ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung ist. Nach Ansicht der Kläger kann dieser Beschluss nur ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter sein. Nach Auffassung des Rates ist der Beschluss weder ein Gesetzgebungsakt noch ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter.

66

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Urteil vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat (C‑583/11 P, EU:C:2013:625), nicht entschieden hat, dass der Begriff „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ alle Handlungen ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung umfasst.

67

Zwar hat er in einem späteren Urteil die Auslegung ausgeschlossen, wonach es Handlungen ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung gibt, die nicht unter den Begriff „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ im Sinne von Art. 263 Abs. 4 dritte Alternative AEUV fallen. Dementsprechend hat er entschieden, dass sich dieser Begriff auf alle Handlungen ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung bezieht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. November 2018, Scuola Elementare Maria Montessori/Kommission, Kommission/Scuola Elementare Maria Montessori und Kommission/Ferracci, C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873, Rn. 24 und 28).

68

In der Rechtssache, in der das Urteil vom 6. November 2018, Scuola Elementare Maria Montessori/Kommission, Kommission/Scuola Elementare Maria Montessori und Kommission/Ferracci (C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873), ergangen ist, handelte es sich jedoch bei der streitigen Handlung um einen Beschluss der Kommission im Bereich der staatlichen Beihilfen. Obwohl der Beschluss allgemeine Geltung hatte, da er über nationale Regelungen entschied, hatte er administrativen Charakter und war allein von der Kommission ohne Mitwirkung des Rates und des Parlaments erlassen worden. In diesem Kontext fand die von der Kommission damals vertretene Auffassung, wonach dieser Beschluss eine Handlung ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung sei, die nicht vom Begriff „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ erfasst werde, weder im Wortlaut noch in der Entstehungsgeschichte, noch im Sinn und Zweck von Art. 263 Abs. 4 dritte Alternative AEUV eine Grundlage, wie der Gerichtshof in den Rn. 24 bis 27 dieses Urteils feststellte.

69

Dagegen hatte der Gerichtshof noch nicht die Gelegenheit, zu prüfen, ob Beschlüsse zur Genehmigung des Abschlusses einer internationalen Übereinkunft und insbesondere Beschlüsse zur Genehmigung eines Abkommens, das die Einzelheiten des Austritts eines Mitgliedstaats festlegt, als Rechtsakte mit Verordnungscharakter im Sinne von Art. 263 Abs. 4 dritte Alternative AEUV einzustufen sind.

70

Folglich ist zu prüfen, ob der Begriff „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ auch diese Beschlüsse erfasst.

71

Insoweit ist erstens festzustellen, dass wie jede von der Union geschlossene internationale Übereinkunft ein Abkommen, das die Einzelheiten des Austritts eines Mitgliedstaats festlegt, für ihre Organe verbindlich ist und Vorrang vor den von ihnen erlassenen Rechtsakten hat (vgl. entsprechend Urteil vom 13. Januar 2015, Rat und Kommission/Stichting Natuur en Milieu und Pesticide Action Network Europe, C‑404/12 P und C‑405/12 P, EU:C:2015:5, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

72

Aus diesem Vorrang der von der Union geschlossenen internationalen Übereinkünfte vor Sekundärrecht folgt, dass das Austrittsabkommen in der Normenhierarchie einen höheren Rang einnimmt als andere Rechtsakte mit allgemeiner Geltung, seien es Gesetzgebungsakte oder Rechtsakte mit Verordnungscharakter.

73

Folglich sind mit dem angefochtenen Beschluss im Austrittsabkommen enthaltene Bestimmungen in die Unionsrechtsordnung aufgenommen worden, die Gesetzgebungsakten und Rechtsakten mit Verordnungscharakter vorgehen und die daher selbst keinen Verordnungscharakter haben können.

74

Zweitens kann das Austrittsabkommen in Anbetracht seines Erlassverfahrens wie andere von der Union geschlossene internationale Übereinkünfte als das Äquivalent auf internationaler Ebene eines Gesetzgebungsakts im internen Rechtsetzungsverfahren angesehen werden (vgl. in diesem Sinne entsprechend Gutachten 1/15, PNR-Abkommen EU-Kanada, vom 26. Juli 2017, EU:C:2017:592, Rn. 146).

75

Das Austrittsabkommen wurde nämlich vom Rat im Namen der Union nach Zustimmung des Parlaments gemäß dem in Art. 50 Abs. 2 EUV geregelten Verfahren geschlossen. Soweit es eine Mitwirkung des Rates und des Parlaments vorsieht, ähnelt dieses Verfahren dem ordentlichen und dem besonderen Gesetzgebungsverfahren, die in Art. 289 Abs. 1 und 2 AEUV definiert sind und auf die in Art. 21 Abs. 2 und 3, Art. 22 Abs. 1 und 2, Art. 23 Abs. 2, Art. 24 Abs. 1, Art. 25 Abs. 2 und Art. 228 Abs. 4 AEUV Bezug genommen wird, auf deren Grundlage diese beiden Organe Bestimmungen über die mit dem Unionsbürgerstatus verbundenen Rechte erlassen können.

76

Daraus folgt, dass mit dem angefochtenen Beschluss in dem Austrittsabkommen enthaltene Bestimmungen in die Unionsrechtsordnung aufgenommen wurden, die sich durch eine besonders hohe demokratische Legitimität auszeichnen, wie dies auch bei Bestimmungen der Fall ist, die in einem Gesetzgebungsakt enthalten sind. Gerade die besonders hohe demokratische Legitimität der Rechtsvorschriften, die in einem Verfahren erlassen wurden, das die Mitwirkung des Rates und des Parlaments vorsieht, rechtfertigt es aber, dass die Voraussetzungen, unter denen die Einzelnen Nichtigkeitsklagen gegen Gesetzgebungsakte erheben können, nicht gelockert werden (vgl. in diesem Sinne Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C‑583/11 P, EU:C:2013:21, Nr. 38).

77

Im Übrigen weist in zahlreichen Sprachfassungen von Art. 263 Abs. 4 dritte Alternative AEUV der Begriff „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ eher auf Rechtsakte der Exekutive als auf solche der Legislative hin (vgl. in diesem Sinne Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C‑583/11 P, EU:C:2013:21, Nr. 41). Ein Beschluss über die Genehmigung des Abschlusses einer internationalen Übereinkunft oder eines Abkommens über die Festlegung der Einzelheiten des Austritts eines Mitgliedstaats, wie dies beim angefochtenen Beschluss der Fall ist, ist jedoch nicht mit einem Rechtsakt der Exekutive vergleichbar.

78

Drittens wäre es inkohärent und paradox, würde man die Voraussetzungen, unter denen die Einzelnen eine Nichtigkeitsklage gegen den angefochtenen Beschluss erheben können, dadurch lockern, dass man diesen als Rechtsakt mit Verordnungscharakter einstuft. Denn eine solche Lockerung hätte zur Folge, dass die Einzelnen eine Rechtsvorschrift leichter anfechten könnten, wenn diese in einer internationalen Übereinkunft, wie das Austrittsabkommen, enthalten ist und dann mittels eines Beschlusses über die Genehmigung des Abschlusses der Übereinkunft, wie der angefochtene Beschluss, in die Rechtsordnung der Union aufgenommen wird, als in einem Fall, in dem dieselbe Rechtsvorschrift Teil eines Gesetzgebungsakts ist, der inhaltlich identisch ist und in der Normenhierarchie einen niedrigeren Rang einnimmt.

79

Viertens folgt aus der Entstehungsgeschichte von Art. 263 Abs. 4 dritte Alternative AEUV, dass die Verfasser des Entwurfs eines Vertrags über eine Verfassung Europas und danach die Verfasser des Vertrags von Lissabon nicht die Absicht hatten, die Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Klagen Einzelner gegen Beschlüsse über die Genehmigung einer internationalen Übereinkunft, wie insbesondere Beschlüsse über die Genehmigung eines Abkommens über die Festlegung der Einzelheiten des Austritts eines Mitgliedstaats, zu lockern. Insbesondere die Vorbereitungsarbeiten zum Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung Europas – und namentlich sein Art. III-365 Abs. 4, dessen Inhalt wortgleich in Art. 263 Abs. 4 AEUV übernommen wurde – deuten in keinerlei Hinsicht darauf hin, dass die Verfasser gewollt hätten, dass diese Beschlüsse als „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ im Sinne dieser beiden Artikel eingestuft werden.

80

Unter diesen Umständen ist der Begriff „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ im Sinne von Art. 263 Abs. 4 dritte Alternative AEUV dahin auszulegen, dass er Beschlüsse über die Genehmigung des Abschlusses einer internationalen Übereinkunft, wie insbesondere Beschlüsse über die Genehmigung des Abschlusses eines Abkommens über die Festlegung der Einzelheiten des Austritts eines Mitgliedstaats, nicht erfasst.

81

Daher kann der angefochtene Beschluss nicht als Rechtsakt mit Verordnungscharakter im Sinne von Art. 263 Abs. 4 dritte Alternative AEUV eingestuft werden.

82

Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die Kläger nicht nach Art. 263 Abs. 4 dritte Alternative AEUV klagebefugt sind, ohne dass zu prüfen ist, ob der angefochtene Beschluss sie unmittelbar betrifft und ob er Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht.

83

Somit macht der Rat zu Recht geltend, dass die Kläger nicht klagebefugt sind. Folglich ist der Unzulässigkeitseinrede stattzugeben und die Klage als unzulässig abzuweisen.

Zu den Anträgen auf Zulassung zur Streithilfe

84

Nach Art. 142 Abs. 2 der Verfahrensordnung wird die Streithilfe gegenstandslos, wenn die Klage für unzulässig erklärt wird. Da die Klage im vorliegenden Fall als unzulässig abgewiesen wird, ist nicht mehr über die Anträge der Kommission und von British in Europe auf Zulassung zur Streithilfe zu entscheiden.

Kosten

85

Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kläger unterlegen sind, sind ihnen entsprechend dem Antrag des Rates neben ihren eigenen Kosten die Kosten des Rates aufzuerlegen, mit Ausnahme der im Zusammenhang mit den Anträgen auf Zulassung zur Streithilfe entstandenen Kosten.

86

Nach Art. 144 Abs. 10 der Verfahrensordnung tragen derjenige, der einen Antrag auf Zulassung zur Streithilfe gestellt hat, und die Hauptparteien jeweils ihre eigenen im Zusammenhang mit dem Antrag auf Zulassung zur Streithilfe entstandenen Kosten, wenn das Verfahren in der Hauptsache beendet wird, bevor über einen Antrag auf Zulassung zur Streithilfe entschieden wurde. Im vorliegenden Fall tragen die Kläger, der Rat, die Kommission und British in Europe jeweils ihre eigenen im Zusammenhang mit den Anträgen auf Zulassung zur Streithilfe entstandenen Kosten.

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zehnte erweiterte Kammer)

Beschlossen:

 

1.

Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

 

2.

Die Anträge der Europäischen Kommission und von British in Europe auf Zulassung zur Streithilfe haben sich erledigt.

 

3.

Herr Harry Shindler und die anderen namentlich im Anhang aufgeführten Kläger tragen neben ihren eigenen Kosten die Kosten des Rates der Europäischen Union, mit Ausnahme der im Zusammenhang mit den Anträgen auf Zulassung zur Streithilfe entstandenen Kosten.

 

4.

Herr Harry Shindler und die anderen namentlich im Anhang aufgeführten Kläger, der Rat, die Kommission und British in Europe tragen jeweils ihre eigenen im Zusammenhang mit den Anträgen auf Zulassung zur Streithilfe entstandenen Kosten.

 

Luxemburg, den 8. Juni 2021

Der Kanzler

E. Coulon

Der Präsident

A. Kornezov


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

( 1 ) Die Liste der weiteren Kläger ist nur der Fassung beigefügt, die den Parteien übermittelt wird.

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