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Document 62020CJ0652

    Urteil des Gerichtshofs (Achte Kammer) vom 30. Juni 2022.
    HW u. a. gegen Allianz Elementar Versicherungs AG.
    Vorabentscheidungsersuchen des Tribunalul Bucureşti.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 – Zuständigkeit für Versicherungssachen – Art. 11 Abs. 1 Buchst. b – Klage des Versicherungsnehmers, des Versicherten oder des Begünstigten – Möglichkeit, den Versicherer vor dem Gericht des Ortes zu verklagen, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat – Festlegung der internationalen und der örtlichen Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaats – Art. 13 Abs. 2 – Klage, die der Geschädigte unmittelbar gegen den Versicherer erhebt – Versicherer, der seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat sowie eine Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat hat und vor dem Gericht verklagt wird, in dessen Bezirk diese Niederlassung liegt.
    Rechtssache C-652/20.

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2022:514

     URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

    30. Juni 2022 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 – Zuständigkeit für Versicherungssachen – Art. 11 Abs. 1 Buchst. b – Klage des Versicherungsnehmers, des Versicherten oder des Begünstigten – Möglichkeit, den Versicherer vor dem Gericht des Ortes zu verklagen, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat – Festlegung der internationalen und der örtlichen Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaats – Art. 13 Abs. 2 – Klage, die der Geschädigte unmittelbar gegen den Versicherer erhebt – Versicherer, der seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat sowie eine Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat hat und vor dem Gericht verklagt wird, in dessen Bezirk diese Niederlassung liegt“

    In der Rechtssache C‑652/20

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunalul Bucureşti (Landgericht Bukarest, Rumänien) mit Entscheidung vom 28. September 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Dezember 2020, in dem Verfahren

    HW,

    ZF,

    MZ

    gegen

    Allianz Elementar Versicherungs AG

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Jääskinen (Berichterstatter) sowie der Richter M. Safjan und M. Gavalec,

    Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der rumänischen Regierung, vertreten durch E. Gane und L. Lițu als Bevollmächtigte,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Biolan und S. Noë als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).

    2

    Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen HW, ZF und MZ, drei natürlichen Personen mit Wohnsitz in Rumänien, und der Allianz Elementar Versicherungs AG, einer Gesellschaft mit Sitz in Österreich, die allerdings durch ihre rumänische Korrespondenzgesellschaft vertreten wird, über eine Entschädigungsklage dieser natürlichen Personen, die geltend machen, Begünstigte eines Versicherungsvertrags zwischen dieser Gesellschaft und der Person zu sein, die für den Unfall verantwortlich war, der zum Tod eines ihrer Familienmitglieder geführt hatte.

    Rechtlicher Rahmen

    3

    In den Erwägungsgründen 15, 16, 18 und 34 der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es:

    „(15)

    Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.

    (16)

    Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte. …

    (18)

    Bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitsverträgen sollte die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung.

    (34)

    Um die Kontinuität zwischen dem … Übereinkommen [vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32)], der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 [des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1)] und dieser Verordnung zu wahren, sollten Übergangsvorschriften vorgesehen werden. Dies gilt auch für die Auslegung [dieses] Übereinkommens … und der es ersetzenden Verordnungen durch den Gerichtshof der Europäischen Union.“

    4

    Kapitel II („Zuständigkeit“) der Verordnung Nr. 1215/2012 enthält einen Abschnitt 1 („Allgemeine Bestimmungen“) mit den Art. 4 bis 6 dieser Verordnung.

    5

    Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:

    „Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“

    6

    Art. 5 Abs. 1 der Verordnung sieht vor:

    „Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, können vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 dieses Kapitels verklagt werden.“

    7

    Art. 7 Nr. 5 in Kapitel II Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten“) der Verordnung Nr. 1215/2012 bestimmt:

    „Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

    5.

    wenn es sich um Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich diese befindet;

    …“

    8

    Kapitel II Abschnitt 3 („Zuständigkeit für Versicherungssachen“) enthält die Art. 10 bis 16 der Verordnung Nr. 1215/2012.

    9

    Art. 10 dieser Verordnung sieht vor:

    „Für Klagen in Versicherungssachen bestimmt sich die Zuständigkeit unbeschadet des Artikels 6 und des Artikels 7 Nummer 5 nach diesem Abschnitt.“

    10

    In Art. 11 der Verordnung heißt es:

    „(1)   Ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann verklagt werden:

    a)

    vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat,

    b)

    in einem anderen Mitgliedstaat bei Klagen des Versicherungsnehmers, des Versicherten oder des Begünstigten vor dem Gericht des Ortes, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat, oder

    (2)   Hat der Versicherer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats keinen Wohnsitz, besitzt er aber in einem Mitgliedstaat eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung, so wird er für Streitigkeiten aus ihrem Betrieb so behandelt, wie wenn er seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats hätte.“

    11

    Nach Art. 13 der Verordnung gilt:

    „(1)   Bei der Haftpflichtversicherung kann der Versicherer auch vor das Gericht, bei dem die Klage des Geschädigten gegen den Versicherten anhängig ist, geladen werden, sofern dies nach dem Recht des angerufenen Gerichts zulässig ist.

    (2)   Auf eine Klage, die der Geschädigte unmittelbar gegen den Versicherer erhebt, sind die Artikel 10, 11 und 12 anzuwenden, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist.

    …“

    Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

    12

    Am 22. Dezember 2017 starben der Fahrer und der Beifahrer eines Fahrzeugs bei einem Verkehrsunfall, der zumindest teilweise von dem Fahrer verursacht wurde. Das Fahrzeug war in Österreich zugelassen und bei der in diesem Mitgliedstaat ansässigen Allianz Elementar Versicherung versichert.

    13

    Am 17. Februar 2020 erhoben drei Mitglieder der erweiterten Familie des verstorbenen Beifahrers, alle mit Wohnsitz in Rumänien, gegen die Allianz Elementar Versicherung, vertreten durch ihre rumänische Korrespondenzgesellschaft Allianz-Țiriac Asigurări SA, Klage beim Tribunalul Bucureşti (Landgericht Bukarest, Rumänien), in dessen Gerichtsbezirk sich der Sitz der Korrespondenzgesellschaft befindet, um Ersatz für ihre immateriellen Schäden zu erlangen.

    14

    Das vorlegende Gericht prüfte gemäß den Bestimmungen des Codul de procedură civilă (Zivilprozessordnung) von Amts wegen seine eigene internationale und örtliche Zuständigkeit.

    15

    In Anbetracht des Urteils vom 13. Dezember 2007, FBTO Schadeverzekeringen (C‑463/06, EU:C:2007:792, Rn. 31), das sich nach Ansicht des vorlegenden Gerichts auf entsprechende Bestimmungen der Verordnung Nr. 44/2001 bezieht, nimmt das Gericht an, dass für diese Prüfung die Zuständigkeitsregel in Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 maßgeblich sei, auf die Art. 13 Abs. 2 der Verordnung im Fall einer Klage, die der Geschädigte unmittelbar gegen den Versicherer erhebt, verweist.

    16

    Das vorlegende Gericht weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es sich bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens um einen Versicherer mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat handele, der in Rumänien verklagt worden sei, aber nicht vor dem Gericht, in dessen Bezirk sich der jeweilige Wohnsitz der Kläger des Ausgangsverfahrens befinde, die geltend machten, Begünstigte der betreffenden Versicherungspolice zu sein, sondern vor dem Gericht, in dessen Bezirk sich der Sitz der rumänischen Korrespondenzgesellschaft des Versicherers befinde.

    17

    Infolge dieser Feststellungen hegt es Zweifel, ob Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 ausschließlich die internationale Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten festlege oder auch ihre nationale Zuständigkeit, genauer die örtliche Zuständigkeit. Es führt unterschiedliche Argumente grammatischer, systematischer und teleologischer Art für die beiden Ansichten an.

    18

    Unter diesen Umständen hat das Tribunalul București (Landgericht Bukarest) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    Ist Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen, dass er nur die internationale Zuständigkeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union betrifft, oder dahin, dass er auch die nationale (örtliche) Zuständigkeit der Gerichte des Wohnsitzes des durch die Versicherung Begünstigten festlegt?

    Zur Vorlagefrage

    19

    Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass diese Bestimmung im Fall ihrer Anwendbarkeit sowohl die internationale Zuständigkeit als auch die örtliche Zuständigkeit des Gerichts eines Mitgliedstaats festlegt, in dessen Bezirk sich der Wohnsitz des Klägers befindet.

    20

    Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass, da die Verordnung Nr. 1215/2012 gemäß ihrem 34. Erwägungsgrund die Verordnung Nr. 44/2001 aufhebt und ersetzt, die ihrerseits das Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Fassung der aufeinanderfolgenden Übereinkommen über den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen) ersetzt hat, die vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung der Bestimmungen der letztgenannten Rechtsinstrumente auch für die Verordnung Nr. 1215/2012 gilt, soweit die betreffenden Bestimmungen als „gleichwertig“ angesehen werden können (Urteil vom 20. Mai 2021, CNP, C‑913/19, EU:C:2021:399, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    21

    Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass eine solche Gleichwertigkeit zwischen Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001 und Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 besteht, da der Wortlaut der ersten Bestimmung im Wesentlichen von der zweiten Bestimmung übernommen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Januar 2018, Hofsoe, C‑106/17, EU:C:2018:50, Rn. 36).

    22

    Was die gleichwertige Bestimmung des Brüsseler Übereinkommens betrifft, hat der Gerichtshof festgestellt, dass Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001 zur Verstärkung des Schutzes des wirtschaftlich Schwächeren so gefasst wurde, dass es dem Versicherten und dem Begünstigten eines Versicherungsvertrags ausdrücklich gestattet war, den Versicherer vor den Gerichten an ihrem eigenen Wohnsitz zu verklagen, während Art. 8 Abs. 1 Nr. 2 des Übereinkommens nur die Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Versicherungsnehmers vorsah, ohne zu bestimmen, ob der Versicherer vor den Gerichten am Wohnsitz des Versicherten oder des Begünstigten verklagt werden konnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Mai 2005, Société financière et industrielle du Peloux, C‑112/03, EU:C:2005:280, Rn. 41). Somit erweiterte Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001, jetzt Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012, die Liste derjenigen, die einen Versicherer verklagen konnten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2020, Balta, C‑803/18, EU:C:2020:123, Rn. 35).

    23

    Trotz des insoweit zwischen Art. 8 Abs. 1 Nr. 2 des Brüsseler Übereinkommens einerseits sowie Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001 und Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 andererseits bestehenden Unterschieds im Wortlaut können diese Bestimmungen als gleichwertig eingestuft werden, da sie es ermöglichen, einen Versicherer, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats bzw. eines Mitgliedstaats hat, vor dem Gericht des Ortes zu verklagen, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat, wenn die Klage – im Fall des Übereinkommens – vom Versicherungsnehmer oder aber – im Fall der Verordnungen – von dem Versicherten oder dem Begünstigten des Versicherungsvertrags erhoben wird, soweit der betreffende Kläger seinen Wohnsitz in einem anderen Vertragsstaat bzw. einem anderen Mitgliedstaat hat.

    24

    Folglich gilt die Auslegung, die der Gerichtshof in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 Nr. 2 des Brüsseler Übereinkommens und Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001 vorgenommen hat, gleichermaßen für Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012.

    25

    In Anbetracht der Umstände des Ausgangsverfahrens sind vor der Beantwortung der Frage des vorlegenden Gerichts noch einige Klarstellungen vorzunehmen.

    26

    Gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 kann ein Versicherer, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, bei Klagen des Versicherungsnehmers, des Versicherten oder des Begünstigten eines Versicherungsvertrags in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, genauer vor dem Gericht des Ortes, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat.

    27

    Im vorliegenden Fall lässt sich der Vorlageentscheidung zum einen entnehmen, dass die Klage des Ausgangsverfahrens gegen eine in Österreich ansässige Versicherungsgesellschaft erhoben wurde, die nach den Angaben des vorlegenden Gerichts „durch ihre Korrespondenzgesellschaft in Rumänien … vertreten wird“. Hierzu ist daran zu erinnern, dass die Feststellungen des vorlegenden Gerichts zum Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und zu den nationalen Rechtsvorschriften nach ständiger Rechtsprechung zur klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV nicht in Frage gestellt werden dürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Oktober 2021, Wilo Salmson France, C‑80/20, EU:C:2021:870, Rn. 47, und vom 21. Dezember 2021, Trapeza Peiraios, C‑243/20, EU:C:2021:1045, Rn. 26).

    28

    Um dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zu geben, die für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zweckdienlich sind, ist es jedoch in diesem Zusammenhang auf diejenigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 1215/2012 aufmerksam zu machen, die besondere Zuständigkeitsregeln für Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung enthalten, insbesondere Art. 7 Nr. 5 der Verordnung, der nach Art. 10 der Verordnung auch in Versicherungssachen anwendbar ist. Die Vorlageentscheidung lässt nicht erkennen, ob die von den Klägern des Ausgangsverfahrens erhobene Klage eine derartige Streitigkeit darstellen kann, doch es ist auf jeden Fall Sache des vorlegenden Gerichts, dies zu klären und gegebenenfalls seine eigene Zuständigkeit auch im Hinblick auf diese Bestimmungen zu prüfen, unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs definierten Kriterien (vgl. u. a. Urteil vom 20. Mai 2021, CNP, C‑913/19, EU:C:2021:399, Rn. 51 und 52).

    29

    Zum anderen hat die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen darauf hingewiesen, dass zwar das vorlegende Gericht die Kläger des Ausgangsverfahrens als „Begünstigte“ im Sinne von Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 bezeichne, dass aber der Rechtsstreit vielmehr eine unmittelbare Klage von Geschädigten und nicht von Begünstigten gegen den Versicherer betreffe, so dass diese Bestimmung in dem Rechtsstreit nur über die Verweisung in Art. 13 Abs. 2 der Verordnung anwendbar sei.

    30

    Hierzu ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht die Kläger des Ausgangsverfahrens, bei denen es sich um Mitglieder der erweiterten Familie des Beifahrers handelt, der bei dem vom Fahrer des versicherten Fahrzeugs verursachten Unfall verstorben ist, zwar als „Begünstigte… der [betreffenden] Versicherung“ eingestuft hat. Zur Stützung der Anwendbarkeit von Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 im Ausgangsverfahren hat sich das Gericht allerdings auf das Urteil vom 13. Dezember 2007, FBTO Schadeverzekeringen (C‑463/06, EU:C:2007:792, Rn. 31), bezogen, wonach „die Verweisung in Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 auf Art. 9 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung dahin auszulegen ist, dass der Geschädigte vor dem Gericht des Ortes in einem Mitgliedstaat, an dem er seinen Wohnsitz hat, eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben kann, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist und der Versicherer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig ist“. Die in diesem Urteil angeführten Bestimmungen entsprechen Art. 13 Abs. 2 bzw. Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Januar 2018, Hofsoe, C‑106/17, EU:C:2018:50, Rn. 36).

    31

    Unter diesen Umständen scheint Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 aufgrund der Verweisung auf diese Bestimmung in Art. 13 Abs. 2 der Verordnung in der Tat auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar zu sein.

    32

    Folglich hat das vorlegende Gericht vor einer etwaigen Anwendung von Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 auf das Ausgangsverfahren zu prüfen, ob das rumänische Prozessrecht Personen, denen möglicherweise ein Schadensersatzanspruch zusteht, berechtigt, unmittelbar gegen den Versicherer eine Klage zu erheben, die gemäß Art. 13 Abs. 2 der Verordnung dazu führt, dass deren Art. 10 bis 12 anwendbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Januar 2018, Hofsoe, C‑106/17, EU:C:2018:50, Rn. 35). Der Gerichtshof hat klargestellt, dass die sich aus Art. 13 Abs. 2 der Verordnung ergebende Verweisung den Zweck hat, der in ihrem Art. 11 Abs. 1 Buchst. b enthaltenen Liste von Klägern die Personen hinzuzufügen, die einen Schaden erlitten haben, ohne den Personenkreis auf jene zu beschränken, die ihn unmittelbar zu beklagen haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Mai 2021, CNP, C‑913/19, EU:C:2021:399, Rn. 38).

    33

    Nach diesen einleitenden Klarstellungen ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen sind, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden. Die Entstehungsgeschichte einer Bestimmung des Unionsrechts kann ebenfalls relevante Anhaltspunkte für ihre Auslegung liefern (Urteil vom 2. September 2021, CRCAM, C‑337/20, EU:C:2021:671, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    34

    Erstens ist zum Wortlaut von Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 hervorzuheben, dass sich die Fragestellung des Tribunalul Bucureşti (Landgericht Bukarest) auf den Schlussteil dieser Bestimmung konzentriert.

    35

    Es ist aber festzustellen, dass die rumänische Sprachfassung von Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung ebenso wie die englische und die finnische Sprachfassung an dieser Stelle u. a. von der spanischen, der dänischen, der deutschen, der französischen, der italienischen, der niederländischen, der polnischen, der portugiesischen und der schwedischen Sprachfassung abweichen. In der ersten Gruppe von Sprachfassungen bezieht sich der Schlussteil der Bestimmung auf „die Gerichte des Ortes, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat“, in der zweiten Gruppe dagegen auf „das Gericht des Ortes, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat“. In mehreren Sprachfassungen der ausgelegten Bestimmung wird demnach offensichtlich nicht der Plural für den Begriff „Gericht“ verwendet, wie er in der Frage des vorlegenden Gerichts enthalten ist.

    36

    Nach ständiger Rechtsprechung kann die in einer der Sprachfassungen einer unionsrechtlichen Vorschrift verwendete Formulierung nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden oder insoweit Vorrang vor den anderen sprachlichen Fassungen beanspruchen. Die Notwendigkeit einer einheitlichen Anwendung und damit auch Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts schließt nämlich aus, sie in einer ihrer Fassungen isoliert zu betrachten, sondern gebietet vielmehr, sie anhand der allgemeinen Systematik und des Zwecks der Regelung auszulegen, zu der sie gehört (Urteil vom 10. Dezember 2020, Personal Exchange International, C‑774/19, EU:C:2020:1015, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    37

    Insoweit ist, wie sowohl vom vorlegenden Gericht als auch in den schriftlichen Erklärungen der rumänischen Regierung und der Kommission ausgeführt wurde, ein Vergleich des Wortlauts von Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012, der Gegenstand der Frage des vorlegenden Gerichts ist, und des Wortlauts von Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung besonders aufschlussreich. Das vom Unionsgesetzgeber in Art. 11 Abs. 1 Buchst. b gewählte Zuständigkeitskriterium bezieht sich nämlich gezielt auf den „Ort, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat“, dasjenige in Art. 11 Abs. 1 Buchst. a dagegen allgemein auf den „Mitgliedstaat, in dem [der Versicherer] seinen Wohnsitz hat“.

    38

    Dieser Unterschied im Wortlaut spricht für die Auslegung, nach der mit Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 unmittelbar ein bestimmtes Gericht in einem Mitgliedstaat bezeichnet werden soll, ohne eine Verweisung auf die dort geltenden Regeln zur Aufteilung der örtlichen Zuständigkeit vorzunehmen, und somit in den von dieser Bestimmung erfassten Fällen nicht nur die internationale Zuständigkeit, sondern auch die örtliche Zuständigkeit des Gerichts festgestellt werden soll.

    39

    Wie vom vorlegenden Gericht und in den schriftlichen Erklärungen der Kommission ausgeführt, wird die in Rn. 38 des vorliegenden Urteils vorgenommene Auslegung durch eine Analogie mit Urteilen bestätigt, in denen der Gerichtshof mehrere Bestimmungen von Art. 7 der Verordnung Nr. 1215/2012 ausgelegt hat, deren Wortlaut ebenfalls darauf abzielt, einen bestimmten „Ort“ in einem Mitgliedstaat in dem Sinne zu bezeichnen, dass die betreffenden Bestimmungen sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit festlegen. Diese Urteile beziehen sich insbesondere auf Art. 7 Nr. 1 Buchst. b erster Gedankenstrich dieser Verordnung, der Art. 5 Nr. 1 Buchst. b erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 44/2001 entspricht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Mai 2007, Color Drack, C‑386/05, EU:C:2007:262, Rn. 30), auf Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1215/2012 (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juni 2017, Kareda, C‑249/16, EU:C:2017:472, Rn. 46) sowie auf deren Art. 7 Nr. 2 (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juli 2021, Volvo u. a., C‑30/20, EU:C:2021:604, Rn. 33 und 43).

    40

    Die damit zu den angeführten Urteilen hergestellte Analogie wird auch durch den Bericht von Herrn P. Jenard zu dem Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1979, C 59, S. 1) bestätigt. Nach S. 31 dieses Berichts wird durch Art. 8 Abs. 1 Nr. 1 des Brüsseler Übereinkommens „lediglich die internationale Zuständigkeit festgelegt, nämlich die ‚der Gerichte des Staates, in dessen Hoheitsgebiet der Versicherer seinen Wohnsitz hat‘“, so dass „[i]n dem in Frage kommenden Staat … sodann das jeweils örtlich zuständige Gericht nach dem inner-staatlichen Recht bestimmt“ wird, wohingegen über Art. 8 Nr. 2 Abs. 1 erreicht werden soll, dass, falls „der Versicherer außerhalb des Staates verklagt [wird], in dessen Hoheitsgebiet er seinen Wohnsitz hat, … die Klage vor einem bestimmten Gericht nach dem System, wie es Artikel 5 [des Übereinkommens] vorsieht, erhoben werden [muss]“.

    41

    Da zum einen die Zuständigkeitsregeln für Versicherungssachen in Art. 8 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 des Brüsseler Übereinkommens im Wesentlichen denen in Art. 11 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 1215/2012 entsprechen und zum anderen die Zuständigkeitsregeln für Verfahren, die einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag bzw. eine unerlaubte Handlung oder Ansprüche aus einer solchen Handlung zum Gegenstand haben, in Art. 5 Nrn. 1 und 3 des Übereinkommens im Wesentlichen den in Art. 7 Nrn. 1 und 2 der Verordnung entsprechen, kann der in Rn. 40 des vorliegenden Urteils angeführte Bericht, insbesondere die am Ende des Zitats in Rn. 40 festgestellte Parallele, zur Stützung der Auslegung herangezogen werden, dass die Verwendung des Ausdrucks „des Ortes“ in Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung bedeutet, dass mit dieser Bestimmung ein ausdrücklich bestimmtes Gericht bezeichnet und damit unmittelbar die örtliche Zuständigkeit festgelegt wird, so wie es der Gerichtshof für die entsprechenden Formulierungen in Art. 7 Nrn. 1 und 2 der Verordnung entschieden hat.

    42

    Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass eine grammatische Auslegung von Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 bereits für sich genommen zu dem Schluss führt, dass diese Bestimmung sowohl die internationale Zuständigkeit als auch die örtliche Zuständigkeit des Gerichts eines Mitgliedstaats festlegt, in dessen Bezirk sich der Wohnsitz des Klägers befindet.

    43

    Zweitens wird diese Auslegung durch eine Würdigung des Zusammenhangs bestätigt, in den sich diese Bestimmung einfügt. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, gemäß Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 grundsätzlich vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen sind. In gleicher Weise heißt es im 15. Erwägungsgrund der Verordnung, dass sich die in dieser vorgesehenen Zuständigkeitsvorschriften grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, wobei diese Zuständigkeit außer in einigen genau festgelegten Fällen stets gegeben sein sollte.

    44

    Nach Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 können Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, abweichend von diesem Grundsatz gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 des Kapitels II vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats verklagt werden.

    45

    Was speziell Abschnitt 3 des Kapitels II dieser Verordnung betrifft, zu dem Art. 11 Abs. 1 Buchst. b gehört, so steht fest, dass mit diesem Abschnitt – wie sich insbesondere aus seinem Titel und Art. 10 der Verordnung ergibt – ein eigenständiges System der Verteilung gerichtlicher Zuständigkeiten in Versicherungssachen errichtet wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Oktober 2021, T. B. und D. [Zuständigkeit für Versicherungssachen], C‑393/20, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:871, Rn. 29, und vom 9. Dezember 2021, BT [Inanspruchnahme der versicherten Person], C‑708/20, EU:C:2021:986, Rn. 26).

    46

    Da die in Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 vorgesehene Zuständigkeit des Gerichtsstands des Wohnsitzes des Klägers eine Ausnahme vom Grundsatz der Zuständigkeit des Gerichtsstands des Wohnsitzes des Beklagten darstellt, ist sie eng auszulegen und erlaubt keine Auslegung, die über die ausdrücklich in dieser Verordnung vorgesehenen Fälle hinausgeht (vgl. entsprechend Urteile vom 20. Mai 2021, CNP, C‑913/19, EU:C:2021:399, Rn. 49, und vom 21. Oktober 2021, T. B. und D. [Zuständigkeit für Versicherungssachen], C‑393/20, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:871, Rn. 42).

    47

    Eine enge Auslegung dieser Bestimmung ist umso mehr geboten, als sich die Verfasser des Brüsseler Übereinkommens – wie der Gerichtshof zur entsprechenden Bestimmung in Art. 8 Abs. 1 Nr. 2 dieses Übereinkommens festgestellt hat –, von den ausdrücklich geregelten Fällen abgesehen, gegen die Zuständigkeit der Gerichte des Wohnsitzes des Klägers ausgesprochen haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juli 2000, Group Josi, C‑412/98, EU:C:2000:399, Rn. 69 bis 72).

    48

    Folglich kann nicht davon ausgegangen werden, dass Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 mit der Festlegung des „Gericht[s] des Ortes, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat“, die Zuständigkeit sämtlicher Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Kläger seinen Wohnsitz hat, begründet.

    49

    Drittens und letztens ist zu den Zielen der in der vorliegenden Rechtssache maßgeblichen Bestimmungen darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs aus dem 18. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 hervorgeht, dass Klagen in Versicherungssachen durch ein gewisses Ungleichgewicht zwischen den Parteien gekennzeichnet sind, das durch die Bestimmungen von Kapitel II Abschnitt 3 dieser Verordnung ausgeglichen werden soll, indem sie Zuständigkeitsvorschriften vorsehen, die für die schwächere Partei günstiger sind als die allgemeinen Regeln (Urteil vom 9. Dezember 2021, BT [Inanspruchnahme der versicherten Person], C‑708/20, EU:C:2021:986, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    50

    Insbesondere soll durch die in Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung vorgesehene besondere Zuständigkeitsregel wie durch sämtliche in Abschnitt 3 ihres Kapitels II enthaltenen Regelungen gewährleistet werden, dass die schwächere Partei, die die stärkere verklagen möchte, dies vor dem Gericht eines für sie leicht erreichbaren Mitgliedstaats tun kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Februar 2020, Balta, C‑803/18, EU:C:2020:123, Rn. 28, und vom 21. Oktober 2021, T. B. und D. [Zuständigkeit für Versicherungssachen], C‑393/20, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:871, Rn. 46).

    51

    Im Einzelnen wurde bereits entschieden, dass den Erben des Opfers eines Verkehrsunfalls, wie den Klägern des Ausgangsverfahrens, das forum actoris zur Verfügung stehen muss, das durch Art. 11 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Art. 13 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 für zulässig erklärt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Oktober 2021, T. B. und D. [Zuständigkeit für Versicherungssachen], C‑393/20, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:871, Rn. 30 und 31 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    52

    Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung kann hingegen nicht so verstanden werden, dass – wie es das vorlegende Gericht überlegt – die betreffenden Kläger die Möglichkeit haben, nicht nur das Gericht anzurufen, in dessen Bezirk sich ihr Wohnsitz befindet, sondern auch gleich welches Gericht des Mitgliedstaats, in dem sie ihren Wohnsitz haben. Diese Bestimmung hat keineswegs den Zweck, eine Praxis des „forum shopping“ zu ermöglichen, die im Übrigen nicht mit den übrigen Zielen der Verordnung Nr. 1215/2012 vereinbar wäre.

    53

    Der Schutzzweck von Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung wird nämlich, wie die rumänische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, bereits dadurch erreicht, dass dem in dieser Bestimmung bezeichneten Kläger, d. h. dem Versicherungsnehmer, dem Versicherten oder dem Begünstigten des Versicherungsvertrags, die Möglichkeit eingeräumt wird, zwischen den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem sich der Wohnsitz des verklagten Versicherers befindet, und dem Gericht zu wählen, in dessen Bezirk sich sein eigener Wohnsitz befindet.

    54

    Zudem sind die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1215/2012 nach dem 16. Erwägungsgrund der Verordnung unter Berücksichtigung des Ziels auszulegen, eine geordnete Rechtspflege zu erleichtern (Urteil vom 9. Dezember 2021, BT [Inanspruchnahme der versicherten Person], C‑708/20, EU:C:2021:986, Rn. 35). Dem 16. Erwägungsgrund lässt sich ebenfalls entnehmen, dass der Grundsatz, dass Gerichtsstand der Wohnsitz des Beklagten ist, vom Unionsgesetzgeber im Wege der Ausnahme durch alternative Gerichtsstände ergänzt wurde, die aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit zuzulassen waren. In diesem Erwägungsgrund wird klargestellt, dass das Erfordernis der engen Verbindung Rechtssicherheit schaffen und verhindern soll, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte. Das Bemühen um ein hohes Maß an Vorhersehbarkeit insbesondere für den Beklagten wird auch im 15. Erwägungsgrund der Verordnung als Ziel genannt.

    55

    In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass eine Auslegung von Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 in dem Sinne, dass er unmittelbar ohne Verweisung auf die innerstaatlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten ein bestimmtes Gericht bezeichnet, nämlich dasjenige, in dessen Bezirk sich der Wohnsitz des Klägers befindet, nicht nur gewährleistet, dass das einzige damit zuständige Gericht eine besonders enge Verbindung zu dem betreffenden Rechtsstreit aufweist, sondern auch, dass dieses Gericht sowohl für den Kläger leicht bestimmbar als auch für den Beklagten vernünftigerweise vorhersehbar ist.

    56

    Zur Vervollständigung ist klarzustellen, dass die Festlegung der Grenzen des Gerichtsbezirks, in dem der Kläger seinen Wohnsitz im Sinne von Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung hat, hingegen grundsätzlich unter die organisatorischen Befugnisse des Mitgliedstaats fällt, zu dem dieses Gericht gehört (vgl. entsprechend Urteil vom 15. Juli 2021, Volvo u. a., C‑30/20, EU:C:2021:604, Rn. 34).

    57

    Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass diese Bestimmung im Fall ihrer Anwendbarkeit sowohl die internationale Zuständigkeit als auch die örtliche Zuständigkeit des Gerichts eines Mitgliedstaats festlegt, in dessen Bezirk sich der Wohnsitz des Klägers befindet.

    Kosten

    58

    Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:

     

    Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung im Fall ihrer Anwendbarkeit sowohl die internationale Zuständigkeit als auch die örtliche Zuständigkeit des Gerichts eines Mitgliedstaats festlegt, in dessen Bezirk sich der Wohnsitz des Klägers befindet.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Rumänisch.

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