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Document 62020CJ0431

    Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 6. Oktober 2021.
    Carlo Tognoli u. a. gegen Europäisches Parlament.
    Rechtsmittel – Institutionelles Recht – Einheitliches Statut des Europaabgeordneten – In italienischen Wahlkreisen gewählte Europaabgeordnete – Änderung der Ruhegehaltsansprüche – Beschwerende Maßnahme – Vorläufiger Standpunkt – Eigenständige Rechtswirkungen.
    Rechtssache C-431/20 P.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2021:807

     URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

    6. Oktober 2021 ( *1 )

    „Rechtsmittel – Institutionelles Recht – Einheitliches Statut des Europaabgeordneten – In italienischen Wahlkreisen gewählte Europaabgeordnete – Änderung der Ruhegehaltsansprüche – Beschwerende Maßnahme – Vorläufiger Standpunkt – Eigenständige Rechtswirkungen“

    In der Rechtssache C‑431/20 P

    betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 12. September 2020,

    Carlo Tognoli, wohnhaft in Mailand (Italien),

    Emma Allione, wohnhaft in Mailand,

    Luigi Alberto Colajanni, wohnhaft in Palermo (Italien),

    Claudio Martelli, wohnhaft in Rom (Italien),

    Luciana Sbarbati, wohnhaft in Chiaravalle (Italien),

    Carla Dimatore als Erbin von Mario Rigo, wohnhaft in Noale (Italien),

    Roberto Speciale, wohnhaft in Bogliasco (Italien),

    Loris Torbesi als Erbin von Eugenio Melandri, wohnhaft in Rom,

    Luciano Pettinari, wohnhaft in Rom,

    Pietro Di Prima, wohnhaft in Palermo,

    Carla Barbarella, wohnhaft in Magione (Italien),

    Carlo Alberto Graziani, wohnhaft in Fiesole (Italien),

    Giorgio Rossetti, wohnhaft in Triest (Italien),

    Giacomo Porrazzini, wohnhaft in Terni (Italien),

    Guido Podestà, wohnhaft in Vila Real de Santo António (Portugal),

    Roberto Barzanti, wohnhaft in Siena (Italien),

    Rita Medici, wohnhaft in Bologna (Italien),

    Prozessbevollmächtigter: M. Merola, avvocato,

    Aldo Arroni, wohnhaft in Mailand,

    Franco Malerba, wohnhaft in Issy‑les‑Moulineaux (Frankreich),

    Roberto Mezzaroma, wohnhaft in Rom,

    Prozessbevollmächtigte: M. Merola und L. Florio, avvocati,

    Rechtsmittelführer,

    andere Partei des Verfahrens:

    Europäisches Parlament, vertreten durch S. Alves und S. Seyr als Bevollmächtigte,

    Beklagter im ersten Rechtszug,

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, des Richters L. Bay Larsen (Berichterstatter), der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan und N. Jääskinen,

    Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Juli 2021

    folgendes

    Urteil

    1

    Mit ihrem Rechtsmittel beantragen Herr Carlo Tognoli u. a. die Aufhebung des Beschlusses des Gerichts der Europäischen Union vom 3. Juli 2020, Tognoli u. a./Parlament (T‑395/19, T‑396/19, T‑405/19, T‑408/19, T‑419/19, T‑423/19, T‑424/19, T‑428/19, T‑433/19, T‑437/19, T‑443/19, T‑455/19, T‑458/19 bis T‑462/19, T‑464/19, T‑469/19 und T‑477/19, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtener Beschluss, EU:T:2020:302), mit dem ihre Klagen auf Nichtigerklärung der Mitteilungen des Leiters des Referats „Entschädigung und soziale Rechte der Mitglieder“ der Generaldirektion Finanzen des Europäischen Parlaments vom 11. April 2019 über die Anpassung der von ihnen bezogenen Ruhegehälter im Anschluss an das Inkrafttreten des Beschlusses Nr. 14/2018 des Ufficio di Presidenza della Camera dei deputati (Präsidium der Abgeordnetenkammer, Italien) am 1. Januar 2019 (im Folgenden: streitige Mitteilungen) als offensichtlich unzulässig abgewiesen wurden.

    Vorgeschichte des Rechtsstreits

    2

    Bei den Rechtsmittelführern handelt es sich entweder um ehemalige, in Italien gewählte Mitglieder des Europäischen Parlaments oder um deren überlebende Ehegatten. Sie beziehen als solche allesamt ein Altersruhegehalt bzw. eine Hinterbliebenenrente.

    3

    Am 12. Juli 2018 entschied das Präsidium der Abgeordnetenkammer, die Höhe der Ruhegehälter der ehemaligen Mitglieder dieser Kammer für die bis zum 31. Dezember 2011 zurückgelegte Amtszeit nach dem Beitragssystem neu zu berechnen (im Folgenden: Beschluss Nr. 14/2018).

    4

    Das Parlament unterrichtete die Rechtsmittelführer mit einer zu ihren Ruhegehaltsabrechnungen für den Monat Januar 2019 hinzugefügten Anmerkung darüber, dass die Höhe ihrer Ruhegehälter gemäß dem Beschluss Nr. 14/2018 überprüft werden und diese Neuberechnung gegebenenfalls zu einer Rückforderung der zu Unrecht geleisteten Zahlungen führen könne.

    5

    Mit undatierter Mitteilung des Leiters des Referats „Entschädigung und soziale Rechte der Mitglieder“ der Generaldirektion Finanzen des Parlaments, die den Ruhegehaltsabrechnungen der Rechtsmittelführer für den Monat Februar 2019 als Anhang beigefügt war, wurden sie vom Parlament zunächst davon in Kenntnis gesetzt, dass dessen Juristischer Dienst die automatische Anwendbarkeit des Beschlusses Nr. 14/2018 auf ihre Situation bestätigt habe. In dieser Mitteilung hieß es weiter, dass das Parlament, sobald es die erforderlichen Informationen von der Camera dei deputati (Abgeordnetenkammer, Italien) erhalten habe, den Rechtsmittelführern die Neufestsetzung ihrer Ruhegehaltsansprüche mitteilen und einen etwaigen Überschuss in den nächsten zwölf Monaten zurückfordern werde. Schließlich wurden die Rechtsmittelführer in dieser Mitteilung darüber informiert, dass die endgültige Festsetzung ihrer Ruhegehaltsansprüche durch einen formalen Rechtsakt erfolgen werde, gegen den Beschwerde eingelegt oder eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV erhoben werden könne.

    6

    In der Folge informierte dieser Referatsleiter die Rechtsmittelführer mit den streitigen Mitteilungen darüber, dass die Höhe ihrer Ruhegehälter unter Berücksichtigung der Kürzungen der entsprechenden Ruhegehälter der ehemaligen italienischen nationalen Abgeordneten gemäß dem Beschluss Nr. 14/2018 angepasst werde, und zwar ab April 2019 nach Maßgabe der im Anhang dieser Mitteilungen übermittelten Entwürfe zur Festsetzung der neuen Ruhegehaltsansprüche. Außerdem wurde den Rechtsmittelführern eine Frist von 30 Tagen ab Erhalt der Mitteilungen zur Stellungnahme gewährt. Falls innerhalb der festgesetzten Frist keine Stellungnahmen eingingen, seien die Wirkungen der streitigen Mitteilungen als endgültig zu betrachten und würden u. a. zur Rückforderung rechtsgrundlos gezahlter Beträge für die Monate Januar bis März 2019 führen.

    7

    Mit E‑Mails, die zwischen dem 13. Mai und dem 4. Juni 2019 versandt wurden, übermittelten die Rechtsmittelführer der zuständigen Dienststelle des Parlaments ihre Stellungnahmen. Mit E‑Mails, die zwischen dem 22. Mai und dem 24. Juni 2019 versandt wurden, bestätigte das Parlament den Eingang dieser Stellungnahmen und teilte den Rechtsmittelführern mit, dass sie – nach Prüfung ihres Vorbringens – eine Antwort erhalten würden.

    8

    Nach Erhebung der Klage vor dem Gericht wies der Leiter des Referats „Entschädigung und soziale Rechte der Mitglieder“ der Generaldirektion Finanzen des Parlaments mit Schreiben vom 20. Juni (Rechtssache T‑396/19), vom 8. Juli (Rechtssachen T‑405/19, T‑408/19, T‑443/19 und T‑464/19), vom 15. Juli (Rechtssachen T‑419/19, T‑433/19, T‑455/19, T‑458/19 bis T‑462/19, T‑469/19 und T‑477/19) und vom 23. Juli 2019 (Rechtssachen T‑395/19, T‑423/19, T‑424/19 und T‑428/19) darauf hin, dass die Stellungnahmen der Rechtsmittelführer nichts enthielten, was eine Revision des Standpunkts des Parlaments, wie er in den streitigen Mitteilungen zum Ausdruck gekommen sei, rechtfertigen könne, und dass folglich die Ruhegehaltsansprüche und der Rückzahlungsplan für rechtsgrundlos gezahlte Beträge, wie im Anhang dieser Mitteilungen neu berechnet bzw. übermittelt, endgültig geworden seien.

    9

    Aufgrund der besonderen Situation von Herrn Eugenio Melandri, der die Anwendung einer Ausnahme entsprechend der Höhe seiner Einkünfte beantragt hatte, hatte das Parlament zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses noch nicht endgültig über seine Situation entschieden.

    Klagen vor dem Gericht und angefochtener Beschluss

    10

    Mit Klageschriften, die zwischen dem 28. Juni und dem 8. Juli 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingingen, erhoben die Rechtsmittelführer Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Mitteilungen.

    11

    Am 16., 19. und 24. September 2019 machte das Parlament mit gesonderten Schriftsätzen die Unzulässigkeit dieser Klagen geltend.

    12

    Mit Ausnahme von Frau Emma Allione und Herrn Melandri reichten die Rechtsmittelführer zwischen dem 19. September und dem 4. Oktober 2019 Schriftsätze zur Anpassung ihrer jeweiligen Klageschriften ein.

    13

    Am 15. Januar 2020 beschloss das Gericht, die Prüfung der Nichtigkeitsklagen der Rechtsmittelführer zu verbinden.

    14

    Mit dem angefochtenen Beschluss, der gemäß Art. 126 der Verfahrensordnung des Gerichts erging, wies dieses die Klagen der Rechtsmittelführer als offensichtlich unzulässig ab.

    15

    Das Gericht hat zunächst in Rn. 57 des angefochtenen Beschlusses festgestellt, dass die streitigen Mitteilungen keine beschwerenden Maßnahmen darstellten und daher nicht Gegenstand einer Nichtigkeitsklage im Sinne von Art. 263 AEUV sein könnten. Folglich hat es in Rn. 63 des angefochtenen Beschlusses den Antrag der Rechtsmittelführer auf Nichtigerklärung dieser Mitteilungen als offensichtlich unzulässig zurückgewiesen.

    16

    Zur Begründung dieser Beurteilung hat es erstens in den Rn. 51 bis 53 des angefochtenen Beschlusses ausgeführt, der Umstand, dass die neue Berechnungsweise der Ruhegehälter seit April 2019 gegolten habe, belege nicht, dass das Parlament hierzu eine endgültige Entscheidung getroffen habe. Zum einen seien die streitigen Mitteilungen ausdrücklich als Entwürfe gekennzeichnet gewesen. Zum anderen werde in diesen Mitteilungen klargestellt, dass sie nur dann endgültig würden, wenn ihre Adressaten innerhalb einer Frist von 30 Tagen ab ihrem Erhalt keine Stellungnahme abgegeben hätten. Die Rechtsmittelführer hätten jedoch innerhalb dieser Frist Stellungnahmen eingereicht.

    17

    Zweitens hat das Gericht in den Rn. 56 und 60 des angefochtenen Beschlusses festgestellt, dass die in Rn. 8 des vorliegenden Urteils genannten späteren Schreiben des Parlaments dessen endgültige Standpunkte gegenüber den Rechtsmittelführern darstellten und nicht als die streitigen Mitteilungen rein bestätigende Rechtsakte angesehen werden könnten.

    18

    Drittens hat es in den Rn. 61 und 62 des angefochtenen Beschlusses entschieden, es sei unerheblich, dass in den streitigen Mitteilungen nicht angegeben worden sei, innerhalb welcher Frist das Parlament auf die Stellungnahmen der Rechtsmittelführer antworten werde, ebenso wie die Rügen unerheblich seien, mit denen ein Begründungsmangel und ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geltend gemacht würden.

    19

    Sodann hat das Gericht in den Rn. 66 und 67 des angefochtenen Beschlusses den Antrag der Rechtsmittelführer auf Nichtigerklärung der in den in Rn. 8 des vorliegenden Urteils genannten Schreiben zum Ausdruck gebrachten Entscheidungen zurückgewiesen. Die von den Rechtsmittelführern eingereichten Anpassungsschriftsätze seien offensichtlich unzulässig, weil eine Partei ihre ursprünglichen Klageanträge und Klagegründe nur dann anpassen könne, wenn die Klage zum Zeitpunkt ihrer Erhebung zulässig sei.

    20

    Schließlich hat das Gericht in Rn. 74 des angefochtenen Beschlusses den Antrag der Rechtsmittelführer, das Parlament zur Zahlung der rechtswidrig einbehaltenen Summen zu verurteilen, abgewiesen, da er offensichtlich unzulässig sei.

    Anträge der Parteien

    21

    Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die Rechtsmittelführer,

    den angefochtenen Beschluss aufzuheben,

    die Sache an das Gericht zurückzuverweisen und

    dem Parlament die Kosten des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen und die Kostenentscheidung für das Verfahren vor dem Gericht vorzubehalten.

    22

    Das Parlament beantragt,

    das Rechtsmittel zurückzuweisen und

    den Rechtsmittelführern die Kosten des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.

    Zum Rechtsmittel

    Vorbringen der Parteien

    23

    Die Rechtsmittelführer stützen ihr Rechtsmittel auf drei Gründe, mit denen sie einen Rechtsfehler des Gerichts bei der Beurteilung der Anfechtbarkeit der streitigen Mitteilungen, einen Fehler bei der Auslegung von Art. 86 der Verfahrensordnung des Gerichts und einen Verstoß gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens sowie die fehlerhafte Auslegung von Art. 126 der Verfahrensordnung rügen. Der zweite und der dritte Rechtsmittelgrund werden hilfsweise geltend gemacht.

    24

    In Anbetracht ihres Vorbringens zur Stützung ihrer Rechtsmittelgründe ist davon auszugehen, dass die Rechtsmittelführer die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses begehren, soweit das Gericht damit ihre Anträge auf Nichtigerklärung der streitigen Mitteilungen und der in den in Rn. 8 des vorliegenden Urteils genannten Schreiben zum Ausdruck gebrachten Entscheidungen zurückgewiesen hat.

    25

    Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund machen die Rechtsmittelführer geltend, die streitigen Mitteilungen stellten anfechtbare Handlungen dar.

    26

    Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebe sich, dass es für die Feststellung, ob eine Handlung anfechtbar sei, auf ihre Rechtswirkungen und nicht auf ihren endgültigen Charakter ankomme. Vorläufige Maßnahmen seien dementsprechend als anfechtbar eingestuft worden, weil sie solche Wirkungen entfaltet hätten.

    27

    Die streitigen Mitteilungen hätten ihre Wirkungen bereits ab April 2019 entfaltet. Außerdem entstehe den Rechtsmittelführern durch diese Mitteilungen ein schwerwiegender Schaden, der im Nachhinein nicht in vollem Umfang wiedergutgemacht werden könne. Darüber hinaus sei für die Vorläufigkeit dieser Mitteilungen keine Rechtsgrundlage angegeben.

    28

    Ergänzend weisen die Rechtsmittelführer darauf hin, es habe keinen klaren Anhaltspunkt dafür gegeben, dass auf die streitigen Mitteilungen Entscheidungen folgen würden, die nicht rein bestätigend seien. Dass diese Entscheidungen bestätigend seien, ergebe sich im Übrigen aus den Antworten des Parlaments auf die von den Rechtsmittelführern eingereichten Stellungnahmen, da sich das Parlament für unzuständig erklärt habe, über das Vorbringen in diesen Stellungnahmen zu entscheiden.

    29

    Außerdem sei es widersinnig anzunehmen, dass sich die Rechtsnatur der streitigen Mitteilungen ändern könne, je nachdem, ob Stellungnahmen abgegeben würden oder nicht. In ersterem Fall würde die Abgabe einer Stellungnahme nämlich nur dazu führen, dass sich der Zeitpunkt ändere, zu dem die Handlung, die dieselbe bliebe, endgültig werde. In letzterem Fall würde die in Rede stehende Handlung endgültig werden, ohne dass weitere Schritte erforderlich wären.

    30

    Das Parlament macht geltend, dass die Kürzung der Ruhegehälter der Rechtsmittelführer vorläufig gewesen sei und auf der Grundlage der Stellungnahme der Rechtsmittelführer hätte geändert werden können, ohne dass die fehlende Rechtsgrundlage insoweit erheblich wäre. Dieser vorläufige Charakter ergebe sich eindeutig aus dem Wortlaut der streitigen Mitteilungen und aus der Möglichkeit der Rechtsmittelführer, zu den Mitteilungen Stellung zu nehmen, bevor sie endgültig würden, was die Rechtsmittelführer auch getan hätten. Der endgültige Standpunkt des Parlaments sei erst später festgelegt worden.

    31

    Die Rechtsmittelführer hätten ein unvollständiges Verständnis der Rechtsprechung des Gerichtshofs, aus der hervorgehe, dass das entscheidende Kriterium für die Einstufung einer Zwischenentscheidung als anfechtbare Handlung darin bestehe, dass die Klage gegen die endgültige Entscheidung keinen ausreichenden gerichtlichen Rechtsschutz gewährleisten könne. Im vorliegenden Fall sei die Erhebung einer Klage gegen die endgültige Entscheidung des Parlaments aber geeignet gewesen, einen solchen Schutz zu gewährleisten.

    32

    Im Übrigen seien die endgültigen Entscheidungen des Parlaments nicht rein bestätigend, da sie auf einer Prüfung des von den Rechtsmittelführern in ihren Stellungnahmen geltend gemachten Vorbringens beruhten. In diesem Zusammenhang sei es unerheblich, dass in den streitigen Mitteilungen keine Frist für die Beantwortung der Stellungnahmen angegeben worden sei.

    Würdigung durch den Gerichtshof

    33

    Wie das Gericht in Rn. 49 des angefochtenen Beschlusses festgestellt hat, ergibt sich aus einer ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass „anfechtbare Handlungen“ im Sinne von Art. 263 AEUV alle von den Organen erlassenen Bestimmungen – unabhängig von ihrer Form – sind, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen sollen (Urteile vom 20. Februar 2018, Belgien/Kommission, C‑16/16 P, EU:C:2018:79, Rn. 31, und vom 9. Juli 2020, Tschechische Republik/Kommission, C‑575/18 P, EU:C:2020:530, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    34

    Um festzustellen, ob die angefochtene Handlung solche Wirkungen erzeugt, ist auf ihr Wesen abzustellen und sind diese Wirkungen anhand objektiver Kriterien wie z. B. des Inhalts dieser Handlung zu beurteilen, wobei gegebenenfalls der Zusammenhang ihres Erlasses und die Befugnisse des die Handlung vornehmenden Organs zu berücksichtigen sind (Urteile vom 20. Februar 2018, Belgien/Kommission, C‑16/16 P, EU:C:2018:79, Rn. 32, und vom 9. Juli 2020, Tschechische Republik/Kommission, C‑575/18 P, EU:C:2020:530, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    35

    Ferner ist darauf hinzuweisen, dass – wie das Gericht in Rn. 50 des angefochtenen Beschlusses im Wesentlichen festgestellt hat -Zwischenmaßnahmen, die der Vorbereitung der endgültigen Entscheidung in einem mehrstufigen Verfahren dienen, grundsätzlich keine Handlungen sind, die Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juni 2021, Ungarn/Parlament, C‑650/18, EU:C:2021:426, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    36

    Bei solchen Zwischenmaßnahmen handelt es sich in erster Linie um Handlungen, die eine vorläufige Meinung des betreffenden Organs zum Ausdruck bringen (Urteil vom 3. Juni 2021, Ungarn/Parlament, C‑650/18, EU:C:2021:426, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    37

    Das Gericht hat in den Rn. 51 bis 55 des angefochtenen Beschlusses festgestellt, dass mit den streitigen Mitteilungen nicht der endgültige Standpunkt des Parlaments festgelegt werde und der darin vertretene Standpunkt geändert werden könne, um die in den Stellungnahmen der Rechtsmittelführer enthaltenen Gesichtspunkte zu berücksichtigen.

    38

    Insoweit kann dem Vorbringen der Rechtsmittelführer, die streitigen Mitteilungen seien nicht vorläufiger Natur gewesen, da das Parlament schließlich festgestellt habe, dass es unzuständig sei, über die in diesen Stellungnahmen enthaltenen Vorbringen zu befinden, nicht gefolgt werden.

    39

    Zum einen hat sich das Parlament durch die Feststellung, dass es für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Beschlusses Nr. 14/2018 nicht zuständig sei, zur Erheblichkeit der Stellungnahmen der Rechtsmittelführer geäußert und seine ursprünglichen Entscheidungen daher im Licht dieser Stellungnahmen neu bewertet.

    40

    Zum anderen kann die Einstufung der streitigen Mitteilungen als vorbereitende Handlungen jedenfalls nicht von der Begründung von Entscheidungen abhängen, die später vom Parlament erlassen werden.

    41

    Aus der Feststellung, dass eine Handlung eines Organs eine Zwischenmaßnahme darstellt, die nicht den endgültigen Standpunkt eines Organs zum Ausdruck bringt, kann allerdings nicht automatisch geschlossen werden, dass diese Handlung keine „anfechtbare Handlung“ im Sinne von Art. 263 AEUV darstellt.

    42

    So geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass eine Zwischenmaßnahme, die eigenständige Rechtswirkungen erzeugt, Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein kann, soweit die mit diesem Rechtsakt verbundene Rechtswidrigkeit nicht im Rahmen einer Klage gegen die endgültige Entscheidung, deren Vorbereitung sie dient, beseitigt werden kann (Urteil vom 3. Juni 2021, Ungarn/Parlament, C‑650/18, EU:C:2021:426, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    43

    Daher muss eine Zwischenmaßnahme, wenn das Bestreiten ihrer Rechtmäßigkeit im Rahmen einer solchen Klage nicht geeignet ist, einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz des Klägers gegen ihre Wirkungen zu gewährleisten, mit einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV angefochten werden können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. Oktober 2001, Italien/Kommission, C‑400/99, EU:C:2001:528, Rn. 63, vom 13. Oktober 2011, Deutsche Post und Deutschland/Kommission, C‑463/10 P und C‑475/10 P, EU:C:2011:656, Rn. 56, sowie vom 3. Juni 2021, Ungarn/Parlament, C‑650/18, EU:C:2021:426, Rn. 48).

    44

    Im vorliegenden Fall ist hervorzuheben, dass die streitigen Mitteilungen – wie vom Gericht in Rn. 51 des angefochtenen Beschlusses festgestellt und von den Rechtsmittelführern mit ihrem Rechtsmittel geltend gemacht – eine sofortige Kürzung der Ruhegehälter der Rechtsmittelführer ab April 2019 zur Folge hatten, da die Anwendung dieser Kürzung nicht bis zum Abschluss des vom Parlament durchgeführten Verfahrens ausgesetzt wurde.

    45

    Daraus folgt, dass die streitigen Mitteilungen als solche eigenständige Rechtswirkungen auf die finanzielle Situation der Rechtsmittelführer entfaltet haben.

    46

    Solche Wirkungen können nicht mit den verfahrensrechtlichen Wirkungen von Handlungen, die einen vorläufigen Standpunkt der Europäischen Kommission zum Ausdruck bringen, oder den Wirkungen solcher Handlungen gleichgestellt werden, von denen festgestellt wurde, dass sie die Interessen der betroffenen Personen nicht beeinträchtigen. Diese Wirkungen hat der Gerichtshof für ungeeignet gehalten, die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage gegen solche Handlungen zu begründen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. November 1981, IBM/Kommission, 60/81, EU:C:1981:264, Rn. 17 und 18).

    47

    Der vom Gericht in Rn. 56 des angefochtenen Beschlusses angeführte Umstand, dass aus den streitigen Mitteilungen hervorgehe, dass das Parlament die Beträge, die die Rechtsmittelführer für die Monate Januar bis März 2019 erhalten hätten, nur dann zurückgefordert hätte, wenn sie innerhalb einer Frist von 30 Tagen ab Erhalt dieser Mitteilungen keine Stellungnahme eingereicht hätten, kann die unmittelbaren Rechtswirkungen dieser Mitteilungen nicht in Frage stellen.

    48

    Außerdem sahen die streitigen Mitteilungen zwar vor, dass das Parlament nach Erhalt der Stellungnahme der Rechtsmittelführer eine endgültige Stellungnahme abgeben musste, die Abgabe dieser Stellungnahme unterlag aber unstreitig keiner Frist.

    49

    Die eigenständigen Rechtswirkungen der streitigen Mitteilungen konnten daher über einen möglicherweise längeren Zeitraum ohne von vornherein festgelegtes Ende fortbestehen.

    50

    Im Übrigen geht aus dem angefochtenen Beschluss und den Angaben des Parlaments hervor, dass dieses gegenüber einem der Rechtsmittelführer erst acht Monate, nachdem er die betreffende Mitteilung erhalten hatte, eine endgültige Stellungnahme abgegeben hat.

    51

    Da eine dauerhafte Kürzung eines Ruhegehalts möglicherweise nicht rückgängig zu machende Auswirkungen auf die Situation des Betroffenen haben kann, mussten die Rechtsmittelführer daher die Möglichkeit haben, die streitigen Mitteilungen wirksam anzufechten und damit der Kürzung ihres Ruhegehalts zu widersprechen (vgl. entsprechend Urteile vom 30. Juni 1992, Italien/Kommission, C‑47/91, EU:C:1992:284, Rn. 28, und vom 9. Oktober 2001, Italien/Kommission, C‑400/99, EU:C:2001:528, Rn. 63).

    52

    Daraus folgt, dass die Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen die endgültigen Entscheidungen, die das Parlament nach Erhalt der Stellungnahmen der Rechtsmittelführer erlassen musste, nicht geeignet war, ihnen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten.

    53

    Auch die Möglichkeit der Betroffenen, bei Ausbleiben einer Antwort des Parlaments auf ihre Stellungnahmen eine Untätigkeitsklage gegen dieses zu erheben, ist nicht geeignet, ihnen einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten.

    54

    Zwar ist das Parlament dazu verpflichtet, innerhalb einer angemessenen Frist auf eine solche Stellungnahme zu antworten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Februar 2013, Überprüfung Arango Jaramillo u. a./EIB, C‑334/12 RX‑II, EU:C:2013:134, Rn. 28), und die Betroffenen sind folglich berechtigt, eine Untätigkeitsklage zu erheben, wenn es dieser Verpflichtung nicht nachkommt.

    55

    Zudem hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Möglichkeit, eine solche Untätigkeitsklage zu erheben, genügen kann, um zu verhindern, dass die Kommission nach dem Erlass einer Zwischenmaßnahme nicht mehr tätig wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. März 1997, Guérin automobiles/Kommission, C‑282/95 P, EU:C:1997:159, Rn. 38).

    56

    Diese Erwägungen können im vorliegenden Fall jedoch nicht ausschlaggebend sein, da zum einen eine gegen das Parlament erhobene Untätigkeitsklage nicht geeignet ist, die eigenständigen Rechtswirkungen der streitigen Mitteilungen in Frage zu stellen, und zum anderen die Zeit, die nötig wäre, um eine solche Klage und dann gegebenenfalls eine Nichtigkeitsklage prüfen zu können, vor dem Hintergrund, dass diese Mitteilungen unmittelbar zu einer Kürzung der an natürliche Personen gezahlten Ruhegehälter führen, übermäßig lang wäre.

    57

    In Anbetracht dieser Umstände hat das Gericht in Rn. 57 des angefochtenen Beschlusses rechtsfehlerhaft entschieden, dass aufgrund des vorläufigen Charakters der streitigen Mitteilungen davon auszugehen sei, dass diese keine beschwerenden Maßnahmen darstellten und daher nicht Gegenstand einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV sein könnten.

    58

    Folglich ist dem ersten Rechtsmittelgrund stattzugeben und der angefochtene Beschluss aufzuheben, soweit mit ihm der Antrag der Rechtsmittelführer auf Nichtigerklärung der streitigen Mitteilungen zurückgewiesen wurde.

    59

    Daraus folgt auch, dass der angefochtene Beschluss aufzuheben ist, soweit mit ihm der Antrag der Rechtsmittelführer auf Nichtigerklärung der in den in Rn. 8 des vorliegenden Urteils genannten Schreiben zum Ausdruck gebrachten Entscheidungen zurückgewiesen wurde, da die Zurückweisung dieses Antrags ausschließlich auf die Unzulässigkeit des Antrags der Rechtsmittelführer auf Nichtigerklärung der streitigen Mitteilungen gestützt ist.

    60

    Unter diesen Umständen erübrigt sich die Prüfung des zweiten und des dritten Rechtsmittelgrundes, da diese jedenfalls nicht zu einer weiter gehenden Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führen können.

    Zu den Klagen vor dem Gericht

    61

    Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Gerichtshof, wenn er die Entscheidung des Gerichts aufhebt, den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen.

    62

    Erstens sind, da das Parlament mit seinen vor dem Gericht erhobenen Einreden der Unzulässigkeit lediglich geltend gemacht hat, dass die von den Rechtsmittelführern erhobenen Nichtigkeitsklagen unzulässig seien, weil die streitigen Mitteilungen vorbereitende Handlungen darstellten, diese Einreden der Unzulässigkeit aus den in den Rn. 41 bis 57 des vorliegenden Urteils genannten Gründen zurückzuweisen.

    63

    Zweitens verfügt der Gerichtshof nicht über die erforderlichen Angaben, um endgültig über diese Klagen zu entscheiden, da das Gericht ausschließlich die Zulässigkeit der Klagen geprüft hat und es diese Klagen als offensichtlich unzulässig abgewiesen hat, ohne die mündliche Verhandlung zu eröffnen.

    64

    Folglich sind die Sachen zur Entscheidung über die Anträge der Rechtsmittelführer auf Nichtigerklärung der streitigen Mitteilungen und der in den in Rn. 8 des vorliegenden Urteils genannten Schreiben zum Ausdruck gebrachten Entscheidungen an das Gericht zurückzuverweisen.

    Kosten

    65

    Da die Sachen an das Gericht zurückverwiesen werden, ist die Kostenentscheidung vorzubehalten.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

     

    1.

    Der Beschluss des Gerichts der Europäischen Union vom 3. Juli 2020, Tognoli u. a./Parlament (T‑395/19, T‑396/19, T‑405/19, T‑408/19, T‑419/19, T‑423/19, T‑424/19, T‑428/19, T‑433/19, T‑437/19, T‑443/19, T‑455/19, T‑458/19 bis T‑462/19, T‑464/19, T‑469/19 und T‑477/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:302), wird aufgehoben, soweit damit die Anträge von Herrn Carlo Tognoli u. a. auf Nichtigerklärung der Mitteilungen des Leiters des Referats „Entschädigung und soziale Rechte der Mitglieder“ der Generaldirektion Finanzen des Europäischen Parlaments vom 11. April 2019 über die Anpassung der von den Rechtsmittelführern bezogenen Ruhegehälter im Anschluss an das Inkrafttreten des Beschlusses Nr. 14/2018 des Ufficio di Presidenza della Camera dei deputati (Präsidium der Abgeordnetenkammer, Italien) am 1. Januar 2019 und der in den Schreiben vom 20. Juni (Rechtssache T‑396/19), vom 8. Juli (Rechtssachen T‑405/19, T‑408/19, T‑443/19 und T‑464/19), vom 15. Juli (Rechtssachen T‑419/19, T‑433/19, T‑455/19, T‑458/19 bis T‑462/19, T‑469/19 und T‑477/19) und vom 23. Juli 2019 (Rechtssachen T‑395/19, T‑423/19, T‑424/19 und T‑428/19) zum Ausdruck gebrachten Entscheidungen des Europäischen Parlaments zurückgewiesen wurden.

     

    2.

    Die vom Europäischen Parlament vor dem Gericht der Europäischen Union erhobenen Einreden der Unzulässigkeit werden zurückgewiesen.

     

    3.

    Die Sachen werden zur Entscheidung über die Anträge von Herrn Carlo Tognoli u. a. auf Nichtigerklärung dieser Mitteilungen und dieser Entscheidungen an das Gericht der Europäischen Union zurückverwiesen.

     

    4.

    Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.

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