Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62020CJ0415

    Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 28. April 2022.
    Gräfendorfer Geflügel- und Tiefkühlfeinkost Produktions GmbH und F. Reyher Nachf. GmbH & Co. KG vertr. d.d. Komplementärin Verwaltungsgesellschaft F. Reyher Nachf. mbH gegen Hauptzollamt Hamburg und Flexi Montagetechnik GmbH & Co. KG gegen Hauptzollamt Kiel.
    Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts Hamburg.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion – Ansprüche auf Erstattung oder Zahlung von Geldbeträgen, die von einem Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben oder versagt wurden – Antidumpingzölle, Einfuhrzölle, Ausfuhrerstattungen und finanzielle Sanktionen – Begriff ‚unter Verstoß gegen das Unionsrecht‘ – Unzutreffende Auslegung oder Anwendung des Unionsrechts – Feststellung eines Verstoßes gegen Unionsrecht durch ein Unionsgericht oder ein nationales Gericht – Zinsanspruch – Verzinsungszeitraum.
    Verbundene Rechtssachen C-415/20, und C-419/20.

    Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2022:306

     URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

    28. April 2022 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion – Ansprüche auf Erstattung oder Zahlung von Geldbeträgen, die von einem Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben oder versagt wurden – Antidumpingzölle, Einfuhrzölle, Ausfuhrerstattungen und finanzielle Sanktionen – Begriff ‚unter Verstoß gegen das Unionsrecht‘ – Unzutreffende Auslegung oder Anwendung des Unionsrechts – Feststellung eines Verstoßes gegen Unionsrecht durch ein Unionsgericht oder ein nationales Gericht – Zinsanspruch – Verzinsungszeitraum“

    In den verbundenen Rechtssachen C‑415/20, C‑419/20 und C‑427/20

    betreffend drei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Hamburg (Deutschland) mit Entscheidungen vom 20. August 2020 und vom 1. September 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 7., 8. und 10. September 2020, in den Verfahren

    Gräfendorfer Geflügel- und Tiefkühlfeinkost Produktions GmbH (C‑415/20),

    F. Reyher Nchfg. GmbH & Co. KG vertr. d. d. Komplementärin Verwaltungsgesellschaft F. Reyher Nchfg. mbH (C‑419/20)

    gegen

    Hauptzollamt Hamburg (C‑415/20 und C‑419/20)

    und

    Flexi Montagetechnik GmbH & Co. KG

    gegen

    Hauptzollamt Kiel (C‑427/20)

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

    unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter J. Passer (Berichterstatter), F. Biltgen und N. Wahl sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,

    Generalanwältin: T. Ćapeta,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der Gräfendorfer Geflügel- und Tiefkühlfeinkost Produktions GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt M. Niestedt und Rechtsanwältin K. Göcke,

    der F. Reyher Nchfg. GmbH & Co. KG vertr. d. d. Komplementärin Verwaltungsgesellschaft F. Reyher Nchfg. mbH, vertreten durch die Rechtsanwälte S. Pohl und J. Sparr,

    der Flexi Montagetechnik GmbH & Co. KG, vertreten durch Rechtsanwalt H. Bleier,

    der niederländischen Regierung, zunächst vertreten durch M. K. Bulterman, M. L. Noort und J. M. Hoogveld, dann durch M. K. Bulterman und J. M. Hoogveld als Bevollmächtigte,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Pethke und M. Salyková,

    nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 13. Januar 2022

    folgendes

    Urteil

    1

    Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Grundsätze des Unionsrechts über die Erstattung von von Mitgliedstaaten unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Geldbeträgen und die Zahlung der entsprechenden Zinsen.

    2

    Sie ergehen im Rahmen von drei Rechtsstreitigkeiten: In der ersten stehen sich die Gräfendorfer Geflügel- und Tiefkühlfeinkost Produktions GmbH (im Folgenden: Gräfendorfer) und das Hauptzollamt Hamburg (Deutschland) gegenüber, in der zweiten die F. Reyher Nchfg. GmbH & Co. KG vertr. d. d. Komplementärin Verwaltungsgesellschaft F. Reyher Nchfg. mbH (im Folgenden: Reyher) und das Hauptzollamt Hamburg und in der dritten die Flexi Montagetechnik GmbH & Co. KG (im Folgenden: Flexi Montagetechnik) und das Hauptzollamt Kiel (Deutschland). Gegenstand der Verfahren sind jeweils Anträge auf Erstattung von Geldbeträgen, die aus unterschiedlichen Gründen seitens der genannten Gesellschaften an die beiden Hauptzollämter gezahlt wurden, sowie Anträge auf Zahlung der entsprechenden Zinsen.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    Zollregelung

    3

    Die Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. 1992, L 302, S. 1, im Folgenden: Zollkodex der Gemeinschaften) wurde durch die Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. 2013, L 269, S. 1, berichtigt in ABl. 2013, L 267, S. 2, und in ABl. 2013, L 287, S. 90, im Folgenden: Zollkodex der Union) aufgehoben und ersetzt.

    4

    Art. 236 Abs. 1 des Zollkodex der Gemeinschaften bestimmte u. a.:

    „Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben werden insoweit erstattet, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war …

    …“

    5

    Art. 241 des Zollkodex sah u. a. vor:

    „Erstatten die Zollbehörden Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbeträge sowie bei deren Entrichtung gegebenenfalls erhobene Kredit- oder Säumniszinsen, so sind dafür von diesen Behörden keine Zinsen zu zahlen. Dagegen sind Zinsen zu zahlen,

    wenn eine Entscheidung, mit der einem Erstattungsantrag stattgegeben wird, nicht innerhalb von drei Monaten nach ihrem Ergehen vollzogen wird;

    wenn dies aufgrund der einzelstaatlichen Bestimmungen vorgesehen ist.

    …“

    6

    Art. 116 („Allgemeine Vorschriften“) des Zollkodex der Union sieht vor:

    „(1)   Die Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbeträge werden unter den in diesem Abschnitt festgelegten Voraussetzungen aus jedem nachstehenden Grund erstattet oder erlassen:

    a)

    zu hoch bemessener Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrag,

    c)

    Irrtum der zuständigen Behörden,

    (6)   Im Falle der Erstattung sind von den betreffenden Zollbehörden keine Zinsen zu zahlen.

    Zinsen sind jedoch zu zahlen, wenn eine Erstattungsentscheidung nicht innerhalb von drei Monaten nach dem Tag, an dem sie getroffen wurde, vollzogen wird, es sei denn, dass die Nichteinhaltung der Frist nicht von den Zollbehörden zu vertreten ist.

    In diesem Fall sind die Zinsen ab dem Tag, an dem die Dreimonatsfrist abläuft, bis zum Tag der Erstattung zu zahlen. …

    …“

    Regelung über Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen

    7

    Die Verordnung (EG) Nr. 800/1999 der Kommission vom 15. April 1999 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABl. 1999, L 102, S. 11), auf die sich das vorlegende Gericht bezieht, wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 612/2009 der Kommission vom 7. Juli 2009 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABl. 2009, L 186, S. 1) ersetzt und aufgehoben.

    8

    Art. 51 Abs. 1 der Verordnung Nr. 800/1999 sah u. a. vor:

    „Wird festgestellt, dass ein Ausführer eine höhere als die ihm zustehende Ausfuhrerstattung beantragt hat, so entspricht die für die betreffende Ausfuhr zu zahlende Erstattung der für die tatsächliche Ausfuhr geltenden Erstattung, vermindert um einen Betrag in Höhe

    a)

    des halben Unterschieds zwischen der beantragten Erstattung und der für die tatsächliche Ausfuhr geltenden Erstattung,

    a)

    des doppelten Unterschieds zwischen der beantragten und der geltenden Erstattung, wenn der Ausführer vorsätzlich falsche Angaben gemacht hat.

    …“

    9

    Die zuvor in Art. 51 Abs. 1 der Verordnung Nr. 800/1999 enthaltenen Bestimmungen wurden von Art. 48 Abs. 1 der Verordnung Nr. 612/2009 übernommen.

    Deutsches Recht

    Abgabenordnung

    10

    § 1 („Anwendungsbereich“) der Abgabenordnung (BGBl. 2002 I, S. 3866) in seiner auf die Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: AO) bestimmt:

    „(1)   Dieses Gesetz gilt für alle Steuern einschließlich der Steuervergütungen, die durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Union geregelt sind, soweit sie durch Bundesfinanzbehörden oder durch Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Es ist nur vorbehaltlich des Rechts der Europäischen Union anwendbar.

    (3)   Auf steuerliche Nebenleistungen sind die Vorschriften dieses Gesetzes vorbehaltlich des Rechts der Europäischen Union sinngemäß anwendbar. …“

    11

    § 3 („Steuern, steuerliche Nebenleistungen“) AO sieht u. a. vor:

    „(1)   Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; …

    (3)   Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Artikel 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union sind Steuern im Sinne dieses Gesetzes. …

    (4)   Steuerliche Nebenleistungen sind

    4.

    Zinsen nach den §§ 233 bis 237 …,

    8.

    Zinsen auf Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Artikel 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union …

    …“

    12

    § 37 („Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis“) AO bestimmt:

    „(1)   Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind der Steueranspruch, der Steuervergütungsanspruch, … der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung, der Erstattungsanspruch nach Absatz 2 sowie die in Einzelsteuergesetzen geregelten Steuererstattungsansprüche.

    (2)   Ist eine Steuer, eine Steuervergütung, … oder eine steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrags. …“

    13

    § 233 („Grundsatz“) AO lautet:

    „Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) werden nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist. …“

    14

    Art. 236 („Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge“) AO bestimmt:

    „(1)   Wird durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder auf Grund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt oder eine Steuervergütung gewährt, so ist der zu erstattende oder zu vergütende Betrag vorbehaltlich des Absatzes 3 vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen. Ist der zu erstattende Betrag erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit entrichtet worden, so beginnt die Verzinsung mit dem Tag der Zahlung.

    …“

    Gesetz zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisation und der Direktzahlungen

    15

    § 6 („Vergünstigungen“) des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen und der Direktzahlungen (Marktorganisationsgesetz) vom 7. November 2017 (BGBl. 2017 I, S. 3746) in seiner auf das Ausgangsverfahren in der Rechtssache C‑415/20 anwendbaren Fassung (im Folgenden: MOG) sieht vor:

    „(1)   Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Bundesministerium) [(Deutschland)] wird ermächtigt, … durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, soweit dies zur Durchführung von

    1.

    Regelungen … hinsichtlich Marktordnungswaren … bei

    a)

    Ausfuhrerstattungen

    erforderlich ist, Vorschriften zu erlassen über das Verfahren sowie über die Voraussetzungen und die Höhe dieser Vergünstigungen, soweit sie … bestimmt, bestimmbar oder begrenzt sind …

    …“

    16

    § 14 („Zinsen“) MOG bestimmt:

    „(1)   Ansprüche auf Erstattung von Vergünstigungen sowie auf Beträge, die wegen Nichteinhaltung anderweitiger Verpflichtungen zu erstatten sind, sind vom Zeitpunkt ihrer Entstehung an mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen. …

    (2)   Ansprüche auf Vergünstigungen und im Rahmen von Interventionen sind ab Rechtshängigkeit nach Maßgabe der §§ 236, 238 und 239 [AO] zu verzinsen. Im Übrigen sind diese Ansprüche unverzinslich.“

    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    Rechtssache C‑415/20

    17

    Gräfendorfer ist eine Gesellschaft mit Sitz in Deutschland, die Geflügelschlachtkörper in Drittländer ausführt.

    18

    Im Zeitraum zwischen Januar und Juni 2012 versagte ihr das Hauptzollamt Hamburg die Gewährung von Ausfuhrerstattungen für von ihr in Drittländer ausgeführte Geflügelschlachtkörper unter Hinweis darauf, dass diese nicht von „handelsüblicher Qualität“ im Sinne der Unionsregelung über Ausfuhrerstattungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse seien, weil sie nicht vollständig gerupft gewesen seien bzw. zu viele Innereien aufgewiesen hätten. Zudem verhängte das Hauptzollamt Hamburg eine finanzielle Sanktion gegen Gräfendorfer mit der Begründung, sie habe eine höhere als die anwendbare Ausfuhrerstattung beantragt. Gegen die Versagung der Gewährung von Ausfuhrerstattungen sowie gegen die Sanktion legte Gräfendorfer jeweils Einspruch ein.

    19

    Im Rahmen von Verfahren, die von zwei weiteren Gesellschaften eingeleitet worden waren, entschied das Finanzgericht Hamburg (Deutschland) später, dass im Licht des Urteils vom 24. November 2011, Gebr. Stolle und Doux Geflügel (C‑323/10 bis C‑326/10, EU:C:2011:774), das Vorhandensein von einigen wenigen Federn und einer bestimmten Anzahl an Innereien bei Geflügelschlachtkörpern nicht erstattungsschädlich seien.

    20

    Aufgrund dieses Urteils beschloss das Hauptzollamt Hamburg, Gräfendorfer die von ihr beantragten Ausfuhrerstattungen zu gewähren und die gegen sie verhängte Geldbuße zu erstatten.

    21

    Mit Schreiben vom 16. April 2015 beantragte Gräfendorfer beim Hauptzollamt Hamburg die Zahlung von Zinsen für die Ausfuhrerstattungen und die finanzielle Sanktion für alle Zeiträume, in denen ihr rechtswidrig die Möglichkeit vorenthalten worden sei, über die entsprechenden Geldbeträge zu verfügen. Das Hauptzollamt lehnte den Antrag ab und wies sodann auch den von Gräfendorfer hiergegen gerichteten Einspruch zurück.

    22

    Am 23. Mai 2018 erhob Gräfendorfer Klage beim vorlegenden Gericht. Sie macht im Wesentlichen geltend, dass das Unionsrecht jedem Verwaltungsunterworfenen, dem eine nationale Behörde die Zahlung von Geldbeträgen unter Verstoß gegen das Unionsrecht versagt habe bzw. den die nationale Behörde zur Zahlung von Geldbeträgen unter Verstoß gegen das Unionsrecht herangezogen habe, zusätzlich zum Anspruch auf Zahlung bzw. auf Erstattung des fraglichen Geldbetrags auch einen Zinsanspruch für den gesamten Zeitraum gewähre, während dessen der genannte Geldbetrag nicht zur Verfügung gestanden habe.

    23

    In seiner Vorlageentscheidung führt das Finanzgericht Hamburg erstens aus, dass Gräfendorfer ihren Antrag auf Zinszahlung auf keine auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbare Bestimmung des Unionsrechts oder des nationalen Rechts stützen könne; der Ausgang dieses Aspekts des Rechtsstreits hänge demnach davon ab, ob der Antrag anhand der Grundsätze beurteilt werden könne, die der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zur durch nationale Behörden vorzunehmenden Erstattung von Geldbeträgen aufgestellt habe, deren Zahlung den Betroffenen unter Verstoß gegen das Unionsrecht auferlegt worden sei.

    24

    Zweitens ergebe sich aus dieser Rechtsprechung, dass der Verwaltungsunterworfene gegen die zuständigen nationalen Behörden nach dem Unionsrecht Anspruch nicht nur auf Erstattung von unter Verstoß gegen das Unionsrecht gezahlten Steuern, Gebühren, Beiträgen oder Zöllen, sondern auch auf Ausgleich der Einbußen infolge der mangelnden Verfügbarkeit der entsprechenden Beträge habe, und zwar für den gesamten Zeitraum von deren Unverfügbarkeit (Urteile vom 19. Juli 2012, Littlewoods Retail Ltd u. a., C‑591/10, EU:C:2012:478, vom 27. September 2012, Zuckerfabrik Jülich u. a.,C‑113/10, C‑147/10 und C‑234/10, EU:C:2012:591, sowie vom 18. April 2013, Irimie,C‑565/11, EU:C:2013:250). Allerdings handele es sich bei einem der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Geldbeträge weder um eine Steuer noch um eine Gebühr, weder um einen Beitrag noch um einen Zoll, sondern um eine finanzielle Sanktion (Urteil vom 11. Juli 2002, Käserei Champignon Hofmeister,C‑210/00, EU:C:2002:440).

    25

    Vernünftige Zweifel bestünden hinsichtlich der Frage, ob bei einer solchen finanziellen Sanktion davon auszugehen sei, dass im Sinne dieser Rechtsprechung für sie eine Zahlung unter Verstoß gegen das Unionsrecht erfolgt sei. Der entsprechende Betrag sei durch die betreffende nationale Behörde nämlich nicht erstattet worden, nachdem der oder die Rechtsakte des nationalen bzw. des Unionsrechts, auf dessen bzw. auf deren Grundlage die Sanktion verhängt worden sei, von einem nationalen Gericht oder vom Gerichtshof aufgehoben bzw. für ungültig erklärt worden sei(en), sondern im Nachgang zu einem Urteil des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren, in dem die Auslegung des Unionsrechts anders ausgefallen sei als diejenige, die die betreffende nationale Behörde zuvor angestellt und auf deren Grundlage sie die fragliche finanzielle Sanktion verhängt habe. Das vorlegende Gericht hält es daher für erforderlich, dem Gerichtshof hierzu eine Frage zu unterbreiten, wobei es zu der Auffassung neigt, dass, wenn eine nationale Behörde gegen einen Verwaltungsunterworfenen auf der Grundlage einer unzutreffenden Auslegung des Unionsrechts eine finanzielle Sanktion verhänge, diese als unter Verstoß gegen das Unionsrecht verhängt anzusehen sei, so dass die Erstattung des entsprechenden Betrags auch zur Zahlung von Zinsen für den gesamten Zeitraum führen müsse, während dessen dieser Betrag dem Verwaltungsunterworfenen nicht zur Verfügung gestanden habe.

    26

    Drittens weist das Finanzgericht Hamburg darauf hin, dass in Anbetracht dessen, dass es an einer Vorschrift im Unionsrecht fehle, die die Modalitäten klarstelle, nach denen eine verspätete Zahlung von Ausfuhrerstattungen sowie die Erstattung einer finanziellen Sanktion wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zur Zahlung von Zinsen Anlass geben müssten, davon auszugehen sei, dass diese Frage nach dem innerstaatlichen Recht eines jeden Mitgliedstaats zu beurteilen sei. Das deutsche Recht kenne aber keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz auf Zahlung von Zinsen, sondern lediglich eine Verzinsung nach Maßgabe genau umschriebener Tatbestände, die im Ausgangsrechtsstreit nicht einschlägig seien. Nach den Bestimmungen des deutschen Rechts, insbesondere des MOG, habe der Verwaltungsunterworfene Anspruch auf Verzinsung der Ausfuhrerstattungen, wenn er gegen den die Ausfuhrerstattungen rechtswidrig versagenden Bescheid der zuständigen nationalen Behörde Klage erhoben habe, nicht jedoch, wenn er gegen diesen Bescheid wie Gräfendorfer lediglich Einspruch eingelegt habe. Auch im Fall der Erstattung einer zu Unrecht verhängten finanziellen Sanktion seien keine Zinsen vorgesehen. Außerdem sei die Zinszahlung auch dann, wenn Klage erhoben worden sei, jedenfalls erst ab Rechtshängigkeit und nicht ab dem Tag des Erlasses des Bescheids durch die zuständige Behörde vorgesehen.

    27

    Das vorlegende Gericht fragt sich jedoch, ob mit dem die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten einschränkenden Effektivitätsgrundsatz diese Bestimmungen im Einklang stehen, die dazu führten, dass, wenn Ausfuhrerstattungen zuerst rechtswidrig versagt und dann verspätet ausbezahlt worden seien und zu Unrecht eine finanzielle Sanktion verhängt worden sei, dem Betroffenen ein Anspruch auf Entschädigung für die mangelnde Verfügbarkeit der entsprechenden Beträge in Form von Zinsen ganz oder teilweise vorenthalten werde.

    28

    Unter diesen Umständen hat das Finanzgericht Hamburg das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die beiden folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1.

    Besteht die unionsrechtliche Pflicht der Mitgliedstaaten, unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Abgaben zuzüglich Zinsen zu erstatten, auch in Fällen, in denen der Grund für die Erstattung nicht ein vom Gerichtshof der Europäischen Union festgestellter Verstoß der Rechtsgrundlage gegen das Unionsrecht, sondern eine vom Gerichtshof getroffene Auslegung einer (Unter‑)Position der Kombinierten Nomenklatur (in Anhang I der Verordnung [EWG)] Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif [ABl. 1987, L 256, S. 1]) ist?

    2.

    Sind die Grundsätze des vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten unionsrechtlichen Zinsanspruchs auch auf die Zahlung von Ausfuhrerstattungen, die die mitgliedstaatliche Behörde unter Verstoß gegen das Unionsrecht verweigert hat, übertragbar?

    Rechtssache C‑419/20

    29

    Reyher ist eine Gesellschaft mit Sitz in Deutschland. In den Jahren 2010 und 2011 führte sie von einer in Indonesien ansässigen Gesellschaft, die eine Tochtergesellschaft einer weiteren Gesellschaft mit Sitz in China ist, Verbindungselemente in die Europäische Union ein.

    30

    Das Hauptzollamt Hamburg war der Auffassung, dass China als Ursprung dieser Verbindungselemente anzusehen sei und dass diese Elemente daher bei Einfuhr in die Union mit den Antidumpingzöllen zu belegen seien, die durch die Verordnung (EG) Nr. 91/2009 des Rates vom 26. Januar 2009 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren bestimmter Verbindungselemente aus Eisen oder Stahl mit Ursprung in der Volksrepublik China (ABl. 2009, L 29, S. 1) eingeführt worden seien. Folglich erließ das genannte Hauptzollamt einen Bescheid, mit dem es Reyher zur Zahlung dieser Antidumpingzölle heranzog.

    31

    Reyher entrichtete die Antidumpingzölle, erhob aber Klage gegen den Bescheid beim Finanzgericht Hamburg.

    32

    Mit Urteil vom 3. April 2019 entschied das Finanzgericht Hamburg, dass die Reyher auferlegten Antidumpingzölle gesetzlich nicht geschuldet seien, da das Hauptzollamt Hamburg nicht nachgewiesen habe, dass die von Reyher in die Union eingeführten Verbindungselemente ihren Ursprung in China hätten.

    33

    Im Mai 2019 erstattete das Hauptzollamt Hamburg Reyher die betreffenden Antidumpingzölle. Die Zahlung von Zinsen hierauf für die Zeit ab der Entrichtung der Antidumpingzölle bis zu ihrer Erstattung lehnte es indes ab und wies den hiergegen von Reyher eingelegten Einspruch zurück.

    34

    Am 10. Februar 2020 erhob Reyher Klage beim Finanzgericht Hamburg und machte im Wesentlichen geltend, aus dem Urteil vom 18. Januar 2017, Wortmann (C‑365/15, EU:C:2017:19), ergebe sich, dass ein Verwaltungsunterworfener, dem eine nationale Behörde unter Verstoß gegen das Unionsrecht Antidumpingzölle auferlegt habe, Anspruch nicht nur auf Erstattung des Betrags dieser Zölle habe, sondern auch auf dessen Verzinsung für den gesamten Zeitraum ab der Entrichtung der Antidumpingzölle bis zu ihrer Erstattung. Außerdem sei die Zahlung von Antidumpingzöllen nicht nur dann als unter Verstoß gegen das Unionsrecht erfolgt anzusehen, wenn der Gerichtshof, wie in jenem Urteil, die diese Zölle einführende Verordnung für ungültig erkläre, sondern auch dann, wenn ein nationales Gericht feststelle, dass eine nationale Behörde diese Verordnung dadurch unzutreffend angewandt habe, dass sie, wie hier geschehen, unter Heranziehung der Verordnung von einem Verwaltungsunterworfenen rechtswidrig Antidumpingzölle verlangt habe.

    35

    In seiner Vorlageentscheidung legt das Finanzgericht Hamburg erstens dar, aus § 236 Abs. 1 AO ergebe sich zunächst, dass ein Verwaltungsunterworfener, der gegen einen Bescheid, mit dem er zur Zahlung von Antidumpingzöllen herangezogen werde, geklagt habe, ab Rechtshängigkeit und bis zum Tag der Erstattung dieser Zölle Zinsen auf den entsprechenden Betrag beanspruchen könne, falls sich herausstelle, dass diese Zahlung gesetzlich nicht geschuldet gewesen sei. Sodann stehe Art. 241 des Zollkodex der Gemeinschaften in seiner Auslegung durch den Gerichtshof im Urteil vom 18. Januar 2017, Wortmann (C‑365/15, EU:C:2017:19), der Anwendung von § 236 Abs. 1 AO nicht entgegen. Art. 116 des Zollkodex der Union, der Art. 241 des Zollkodex der Gemeinschaften ersetzt habe und dessen Wortlaut anders gefasst worden sei, sei zudem auf den Ausgangsrechtsstreit nicht anwendbar.

    36

    Zweitens habe Reyher nach keiner der auf diesen Rechtsstreit anwendbaren Bestimmungen des Unionsrechts bzw. des innerstaatlichen Rechts einen Zinsanspruch für den Zeitraum, der zwischen dem Bescheid, mit dem das Hauptzollamt Hamburg Reyher zur Zahlung von Antidumpingzöllen herangezogen habe, und der Klageerhebung gegen diesen Bescheid liege.

    37

    Drittens schließlich fragt sich das vorlegende Gericht, ob diesem Zinsbegehren für den betreffenden Zeitraum nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs stattgegeben werden kann. Insoweit weist es insbesondere darauf hin, dass aus dem Urteil vom 19. Juli 2012, Littlewoods Retail u. a. (C‑591/10, EU:C:2012:478), hervorzugehen scheine, dass, wenn eine nationale Behörde von einem Verwaltungsunterworfenen aufgrund einer unzutreffenden Anwendung eines Rechtsakts oder einer Bestimmung des Unionsrechts die Zahlung einer Abgabe verlangt habe und ein nationales Gericht diesen Unionsrechtsverstoß festgestellt habe, der Betreffende nicht nur Anspruch auf Erstattung des rechtsgrundlos gezahlten Abgabenbetrags, sondern auch auf Verzinsung dieses Betrags für den gesamten Zeitraum ab seiner Entrichtung bis hin zu seiner Erstattung habe. Mit diesem Urteil und der Rechtsprechung, in deren Rahmen es ergangen sei, solle offenbar bezweckt werden, den Betroffenen wieder in die Lage zu versetzen, in der er sich befunden hätte, wenn nicht gegen das Unionsrecht verstoßen worden wäre, und es ihm dabei zu ermöglichen, den gesamten Betrag zurückzuerlangen, über den er ohne diesen Rechtsverstoß verfügt hätte.

    38

    Unter diesen Umständen hat das Finanzgericht Hamburg das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    Ist ein Verstoß gegen das Unionsrecht als Voraussetzung des vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten unionsrechtlichen Zinsanspruchs auch gegeben, wenn eine mitgliedstaatliche Behörde eine Abgabe unter Anwendung des Unionsrechts festsetzt, ein mitgliedstaatliches Gericht jedoch später feststellt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Erhebung der Abgabe nicht vorliegen?

    Rechtssache C‑427/20

    39

    Flexi Montagetechnik ist eine Gesellschaft mit Sitz in Deutschland, die Bolzenhaken zur Fertigung von Hundeleinen in die Union eingeführt hat.

    40

    Das Hauptzollamt Kiel war der Auffassung, diese Bolzenhaken seien in eine andere als die von Flexi Montagetechnik angemeldete Position der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung Nr. 2658/87 einzureihen, und deshalb seien darauf höhere Einfuhrzölle zu erheben als die von Flexi Montagetechnik entrichteten. Das genannte Hauptzollamt entschied daher, den Betrag der Einfuhrzölle insoweit abzuändern.

    41

    Flexi Montagetechnik zahlte zwar den Unterschiedsbetrag zwischen dem ursprünglich entrichteten und dem sich aus dieser Änderung ergebenden Einfuhrzollbetrag, leitete aber im September 2014 ein Gerichtsverfahren ein. Mit Urteil des Bundesfinanzhofs (Deutschland) vom 20. Juni 2017 wurde letztlich festgestellt, dass die betreffenden Bolzenhaken unter die von Flexi Montagetechnik angemeldete Tarifposition fielen, und die Bescheide, mit denen das Hauptzollamt Kiel den Betrag der entsprechenden Einfuhrabgaben geändert hatte, wurden folglich aufgehoben.

    42

    Das Hauptzollamt Kiel erstattete daraufhin Flexi Montagetechnik den Differenzbetrag zwischen den ursprünglich von ihr entrichteten Einfuhrabgaben und dem später geänderten Betrag. Den Antrag auf Verzinsung des von Flexi Montagetechnik gezahlten Differenzbetrags für den Zeitraum ab der Entrichtung der Abgaben bis zu ihrer teilweisen Erstattung lehnte das Hauptzollamt jedoch ab. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies es sodann zurück.

    43

    Flexi Montagetechnik erhob Klage gegen die Ablehnung ihres Antrags, woraufhin ihr das Hauptzollamt für den Zeitraum ab Einleitung des in Rn. 41 des vorliegenden Urteils angeführten Gerichtsverfahrens bis zu dem Tag, an dem es ihr die Differenz zwischen den ursprünglich von ihr entrichteten Einfuhrabgaben und dem später geänderten Betrag erstattet hatte, Zinsen zahlte.

    44

    In seiner Vorlageentscheidung stellt sich das mit dieser Klage befasste Finanzgericht Hamburg die Frage, ob Flexi Montagetechnik, obwohl weder das Sekundärrecht der Union noch das nationale Recht eine entsprechende Bestimmung enthalten, aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs für den zwischen Zahlung und Einleitung des Gerichtsverfahrens liegenden Zeitraum einen Verzinsungsanspruch für denjenigen Betrag herleiten kann, zu dessen Zahlung die Zollverwaltung Flexi Montagetechnik unter Verstoß gegen das Unionsrecht herangezogen hat.

    45

    Die vom vorlegenden Gericht hierzu angestellten Erwägungen entsprechen im Wesentlichen denjenigen, die seiner Vorlageentscheidung in der Rechtssache C‑419/20 zugrunde liegen und wie sie in den Rn. 35 bis 37 des vorliegenden Urteils zusammengefasst werden.

    46

    Unter diesen Umständen hat das Finanzgericht Hamburg das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    Ist ein Verstoß gegen das Unionsrecht als Voraussetzung des vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten unionsrechtlichen Zinsanspruchs auch gegeben, wenn eine mitgliedstaatliche Behörde eine Abgabe unter Verletzung rechtsgültiger Vorschriften des Unionsrechts festsetzt und ein mitgliedstaatliches Gericht diesen Verstoß gegen das Unionsrecht feststellt?

    Verfahren vor dem Gerichtshof

    47

    Mit Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 9. Oktober 2020 sind die Rechtssachen C‑415/20, C‑419/20 und C‑427/20 zu gemeinsamem schriftlichen Verfahren verbunden worden.

    48

    Mit Entscheidung des Gerichtshofs vom 27. April 2021 sind sie ebenfalls zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

    Zu den Vorlagefragen

    49

    Wie sich aus den Ausführungen in den Vorlageentscheidungen, die den drei verbundenen Rechtssachen zugrunde liegen und wie sie in den Rn. 23 bis 27, 31 bis 37 und 41 bis 45 des vorliegenden Urteils zusammengefasst werden, ergibt, überschneiden sich die verschiedenen dem Gerichtshof vorgelegten Fragen in mehreren Punkten und erfordern deshalb eine Prüfung in ihrer Gesamtheit.

    50

    In Anbetracht der Formulierung der verschiedenen Fragen und der ihnen zugrunde liegenden Fragestellungen, wie sie sich aus den genannten Randnummern ergeben, ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit diesen Fragen im Wesentlichen wissen möchte, ob die unionsrechtlichen Grundsätze über den Anspruch Verwaltungsunterworfener auf Erstattung von Geldbeträgen, zu deren Zahlung sie von einem Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht herangezogen wurden, sowie auf Verzinsung dieser Beträge dahin auszulegen sind,

    dass diese Grundsätze erstens anwendbar sind, wenn die fraglichen Geldbeträge zum einen Ausfuhrerstattungen, die einem Verwaltungsunterworfenen zunächst unter Verstoß gegen das Unionsrecht versagt und dann verspätet gezahlt wurden, und zum anderen einer finanziellen Sanktion entsprechen, die gegen ihn aufgrund dieses Verstoßes verhängt wurde,

    dass diese Grundsätze zweitens anwendbar sind, wenn sich aus einer Entscheidung des Gerichtshofs oder eines nationalen Gerichts ergibt, dass auf der Grundlage einer unzutreffenden Auslegung oder einer fehlerhaften Anwendung des Unionsrechts die Zahlung von Ausfuhrerstattungen, einer finanziellen Sanktion, von Antidumpingzöllen oder von Einfuhrabgaben von einer nationalen Behörde versagt bzw. von ihr eingefordert worden ist, und

    dass diese Grundsätze drittens einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der, wenn die Zahlung von Ausfuhrerstattungen, einer finanziellen Sanktion, von Antidumpingzöllen oder von Einfuhrabgaben unter Verstoß gegen das Unionsrecht versagt bzw. eingefordert worden ist, die Zahlung von Zinsen zum einen nur dann geschuldet wird, wenn ein gerichtlicher Rechtsbehelf auf Zahlung oder Erstattung des fraglichen Geldbetrags eingelegt worden ist, und zum anderen die Verzinsung nur für den Zeitraum ab Einlegung dieses Rechtsbehelfs bis zu dem Tag der Entscheidung des zuständigen Gerichts unter Ausschluss des davor liegenden Zeitraums zu erfolgen hat.

    51

    Erstens ist hierbei festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Verwaltungsunterworfene, den eine nationale Behörde zur Entrichtung einer Gebühr, eines Zolles, einer Steuer oder einer sonstigen Abgabe unter Verstoß gegen das Unionsrecht herangezogen hat, nach dem Unionsrecht einen Anspruch gegen den betreffenden Mitgliedstaat auf Erstattung des entsprechenden Betrags hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. November 1983, San Giorgio, 199/82, EU:C:1983:318, Rn. 12, vom 8. März 2001, Metallgesellschaft u. a., C‑397/98 und C‑410/98, EU:C:2001:134, Rn. 84, sowie vom 9. September 2021, Hauptzollamt B [Fakultative Steuerermäßigung], C‑100/20, EU:C:2021:716, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    52

    Überdies hat der Betreffende nach dem Unionsrecht Anspruch gegen den Mitgliedstaat auf Erstattung nicht nur des zu Unrecht erhobenen Geldbetrags, sondern auch auf die Zahlung von Zinsen, um die Nichtverfügbarkeit des Geldbetrags auszugleichen (vgl. Urteile vom 19. Juli 2012, Littlewoods Retail u. a., C‑591/10, EU:C:2012:478, Rn. 24 bis 26, sowie vom 9. September 2021, Hauptzollamt B [Fakultative Steuerermäßigung], C‑100/20, EU:C:2021:716, Rn. 26 und 27).

    53

    Der Anspruch auf Erstattung von Geldbeträgen, die ein Mitgliedstaat von einem Verwaltungsunterworfenen unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben hat, und der Anspruch auf Zahlung von Zinsen auf diese Beträge sind ein Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes der Rückforderung rechtsgrundlos entrichteter Beträge (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2011, Lady & Kid u. a., C‑398/09, EU:C:2011:540, Rn. 18, 20 und 26).

    54

    Da der in diesen beiden Ansprüchen zum Ausdruck kommende Grundsatz allgemeiner Art ist, ist zum einen davon auszugehen, dass diese Ansprüche auch dann bestehen, wenn der Geldbetrag, den ein Mitgliedstaat von dem Verwaltungsunterworfenen erhoben hat, eine finanzielle Sanktion darstellt, die zu Unrecht bei der Anwendung eines Unionsrechtsakts oder von Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts, die der Mitgliedstaat zu Durchführung oder Umsetzung des Rechtsakts oder zur Gewährleistung seiner Einhaltung erlassen hat, verhängt worden ist. Wie bei einer Gebühr, einem Zoll, einer Steuer oder einer sonstigen Abgabe, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht entrichtet wurde, ist für eine solche finanzielle Sanktion dem Betroffenen daher Erstattung zu leisten, und es sind ihm auch Zinsen zu zahlen, um die Nichtverfügbarkeit des entsprechenden Geldbetrags auszugleichen.

    55

    Daraus folgt, dass diese Ansprüche insbesondere bei einer finanziellen Sanktion wie der in der Rechtssache C‑415/20 in Rede stehenden bestehen, die darauf abzielt, es den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, die Einhaltung der Unionsregelung über Ausfuhrerstattungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse sicherzustellen; dies ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, auf die das vorlegende Gericht Bezug nimmt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juli 2002, Käserei Champignon Hofmeister, C‑210/00, EU:C:2002:440, Rn. 40, 60 und 66).

    56

    Was zum anderen die Frage betrifft, ob der Zinsanspruch auch dann besteht, wenn Ausfuhrerstattungen demjenigen, der sie beantragt hat, von der zuständigen nationalen Behörde unter Verstoß gegen das Unionsrecht zunächst versagt und sodann verspätet gezahlt wurden, so ist dieser Fall dadurch gekennzeichnet, dass dem Betreffenden der Ausfuhrerstattungsbetrag aufgrund dieser – selbst auf einem Verstoß gegen das Unionsrecht beruhenden – Verspätung für eine bestimmte Zeit nicht zur Verfügung stand.

    57

    Diese Situation ist vergleichbar mit derjenigen, in der einem Verwaltungsunterworfenen für eine bestimmte Zeit der Betrag nicht zur Verfügung stand, der einer Gebühr, einem Zoll, einer Steuer oder einer sonstigen Abgabe, die von einem Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben wurde, entspricht; der Betreffende hat in einer solchen Konstellation insoweit nach der in Rn. 52 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung Anspruch auf die Zahlung von Zinsen, um die Nichtverfügbarkeit dieses Geldbetrags auszugleichen.

    58

    Daher ist im Wege der Analogie davon auszugehen, dass der Betreffende, wenn Ausfuhrerstattungen unter Verstoß gegen das Unionsrecht verspätet gezahlt wurden, Anspruch auf Zahlung von Zinsen hat, um die Nichtverfügbarkeit des entsprechenden Geldbetrags auszugleichen.

    59

    Aus den Rn. 51 bis 58 des vorliegenden Urteils ergibt sich somit, dass die unionsrechtlichen Grundsätze über den Anspruch Verwaltungsunterworfener auf Erstattung von Geldbeträgen, zu deren Zahlung sie von einem Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht herangezogen wurden, sowie auf Verzinsung dieser Beträge dahin auszulegen sind, dass sie anwendbar sind, wenn die fraglichen Geldbeträge zum einen Ausfuhrerstattungen, die einem Verwaltungsunterworfenen zunächst unter Verstoß gegen das Unionsrecht versagt und dann verspätet gezahlt wurden, und zum anderen einer finanziellen Sanktion entsprechen, die gegen ihn aufgrund dieses Verstoßes verhängt wurde.

    60

    Zweitens ergibt sich aus der in den Rn. 51 und 52 des vorliegenden Urteils angeführten ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass der Umstand, dass der einer Gebühr, einem Zoll, einer Steuer oder einer sonstigen Abgabe entsprechende Geldbetrag von einer nationalen Behörde „unter Verstoß gegen das Unionsrecht“ erhoben wurde, es begründet und rechtfertigt, dass dem Verwaltungsunterworfenen, der den Geldbetrag ohne rechtlichen Grund entrichtet hat, ein Anspruch auf Erstattung des Betrags durch den Mitgliedstaat, der ihn erhoben hat, und auf Zahlung von Zinsen durch diesen Mitgliedstaat gewährt wird.

    61

    Hierbei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sich ein solcher Verstoß auf jede Regel des Unionsrechts beziehen kann, sei es eine Bestimmung des Primär- oder des Sekundärrechts (vgl. Urteile vom 9. November 1983, San Giorgio, 199/82, EU:C:1983:318, Rn. 12, und vom 9. September 2021, Hauptzollamt B [Fakultative Steuerermäßigung], C‑100/20, EU:C:2021:716, Rn. 26) oder ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts (vgl. Urteil vom 9. September 2021, Hauptzollamt B [Fakultative Steuerermäßigung], C‑100/20, EU:C:2021:716, Rn. 28).

    62

    Was sodann die Art des Verstoßes betrifft, so ergibt sich aus den Rn. 53 bis 59 des vorliegenden Urteils, dass die unionsrechtlichen Ansprüche des Verwaltungsunterworfenen auf Erstattung und auf Zahlung von Zinsen Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes sind, dessen Anwendung nicht auf bestimmte Unionsrechtsverstöße beschränkt und nicht bei bestimmten Unionsrechtsverstößen ausgeschlossen ist.

    63

    Daraus folgt, dass diese Ansprüche nicht nur dann geltend gemacht werden können, wenn eine nationale Behörde von einem Verwaltungsunterworfenen auf der Grundlage eines Unionsrechtsakts, der sich als rechtswidrig erweist, einen Geldbetrag in Form eines Beitrags, einer Abgabe oder eines Antidumpingzolls erhoben hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. September 2012, Zuckerfabrik Jülich u. a., C‑113/10, C‑147/10 und C‑234/10, EU:C:2012:591, Rn. 65 und 69, sowie vom 18. Januar 2017, Wortmann, C‑365/15, EU:C:2017:19, Rn. 34 und 37), sondern auch in anderen Fallkonstellationen.

    64

    Die genannten Ansprüche können mithin insbesondere auch dann geltend gemacht werden, wenn eine Abgabe oder eine Steuer vom Verwaltungsunterworfenen auf der Grundlage einer nationalen Regelung erhoben wurde, von der sich herausstellt, dass die gegen eine Bestimmung des Primär- oder Sekundärrechts der Union verstößt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. März 2001, Metallgesellschaft u. a., C‑397/98 und C‑410/98, EU:C:2001:134, Rn. 82 bis 84 und 96, sowie vom 15. Oktober 2014, Nicula, C‑331/13, EU:C:2014:2285, Rn. 27 bis 31), oder auch dann, wenn sich herausstellt, dass die nationale Behörde bei einer unionsrechtlich unzutreffenden Anwendung eines Unionsrechtsakts oder einer nationalen Regelung zur Durchführung oder zur Umsetzung eines Unionsrechtsakts vom Verwaltungsunterworfenen eine Abgabe erhoben hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. Juli 2012, Littlewoods Retail u. a., C‑591/10, EU:C:2012:478, Rn. 10, 11 und 34, sowie vom 9. September 2021, Hauptzollamt B [Fakultative Steuerermäßigung], C‑100/20, EU:C:2021:716, Rn. 25 bis 36).

    65

    Aus den Ausführungen des vorlegenden Gerichts ergibt sich, dass die Rechts- und Sachlage in den drei Konstellationen, zu denen dem Gerichtshof Fragen unterbreitet werden, in die letztgenannte Kategorie fallen. Denn diese Ausführungen zeigen, dass in der Rechtssache C‑415/20 die betreffende nationale Behörde dem Verwaltungsunterworfenen im Zuge einer fehlerhaften Anwendung des Unionsrechts, die auf einer unzutreffenden Auslegung des Unionsrechts beruhte, die Gewährung von Ausfuhrerstattungen versagt und eine finanzielle Sanktion gegen ihn verhängt hat. Ebenso haben die betreffenden nationalen Behörden in den Rechtssachen C‑419/20 und C‑427/20 im Zuge einer fehlerhaften Anwendung des Unionsrechts, die auf einem Rechtsfehler bzw. einer unzutreffenden Tatsachenwürdigung beruhte, Antidumpingzölle bzw. Einfuhrabgaben gegen Verwaltungsunterworfene festgesetzt.

    66

    Schließlich geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass das Vorliegen eines Unionsrechtsverstoßes, der zu einem Anspruch des hiervon Betroffenen auf Erstattung sowie auf Zahlung von Zinsen und zu einer entsprechenden Verpflichtung des betreffenden Mitgliedstaats zur Bewirkung der Erstattung und der Zinszahlung führt, nicht nur von den Unionsgerichten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Januar 2017, Wortmann, C‑365/15, EU:C:2017:19, Rn. 37) – bei denen die ausschließliche Zuständigkeit für die Nichtigerklärung oder für die Feststellung der Ungültigkeit von Unionsrechtsakten liegt (Urteile vom 22. Oktober 1987, Foto-Frost, 314/85, EU:C:1987:452, Rn. 15 bis 20, und vom 6. Oktober 2015, Schrems, C‑362/14, EU:C:2015:650, Rn. 62) –, sondern auch von einem nationalen Gericht festgestellt werden kann, ungeachtet dessen, ob Letzteres angerufen wird, um über die Folgen einer zuvor von einem Unionsgericht festgestellten Rechtswidrigkeit oder Ungültigkeit zu entscheiden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Januar 2017, Wortmann, C‑365/15, EU:C:2017:19, Rn. 38) oder um festzustellen, dass ein von einer nationalen Behörde erlassener Rechtsakt wegen unzutreffender Anwendung des Unionsrechts fehlerhaft ist.

    67

    Wie die Generalanwältin in den Nrn. 82 und 83 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, überträgt Art. 19 EUV die Aufgabe, die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den den Verwaltungsunterworfenen aufgrund der Unionsrechts zustehenden Rechtsschutz zu gewährleisten, nicht nur den Unionsgerichten selbst, sondern auch den nationalen Gerichten, die mithin in Zusammenarbeit mit den Unionsgerichten die Aufgabe haben, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge zu sichern.

    68

    Bei Zweifeln hinsichtlich der Auslegung des Unionsrechts in einem bestimmten Fall sind die nationalen Gerichte außerdem je nach Lage des Falles befugt bzw. verpflichtet, den Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung zu ersuchen, wobei die vom Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung erlassenen Auslegungsurteile erforderlichenfalls erläutern und verdeutlichen, in welchem Sinne und mit welcher Bedeutung die dort ausgelegten Bestimmungen ab deren Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden sind oder gewesen wären (Urteil vom 7. August 2018, Hochtief, C‑300/17, EU:C:2018:635, Rn. 55).

    69

    Folglich ergibt sich aus den Rn. 59 bis 68 des vorliegenden Urteils, dass die unionsrechtlichen Grundsätze über den Anspruch Verwaltungsunterworfener auf Erstattung von Geldbeträgen, zu deren Zahlung sie von einem Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht herangezogen wurden, sowie auf Verzinsung dieser Beträge dahin auszulegen sind, dass sie allgemein und unbeschadet der im Einzelfall für die Geltendmachung der Ansprüche geltenden Regelungen anwendbar sind, wenn sich aus einer Entscheidung des Gerichtshofs oder eines nationalen Gerichts ergibt, dass auf der Grundlage einer unzutreffenden Auslegung oder einer fehlerhaften Anwendung des Unionsrechts die Zahlung von Ausfuhrerstattungen, einer finanziellen Sanktion, von Antidumpingzöllen oder von Einfuhrabgaben von einer nationalen Behörde versagt bzw. von ihr eingefordert worden ist.

    70

    Drittens schließlich bezweckt der in Rn. 52 des vorliegenden Urteils angeführte Zinsanspruch, wie sich aus der dort angeführten Rechtsprechung ergibt, die Nichtverfügbarkeit des dem Verwaltungsunterworfenen zu Unrecht vorenthaltenen Geldbetrags auszugleichen.

    71

    Dieser Ausgleich kann je nach Lage des Falls nach dem in der einschlägigen Unionsregelung vorgesehen Verfahren oder in Ermangelung einer solchen Unionsregelung nach dem nach nationalem Recht anwendbaren Verfahren erfolgen.

    72

    Wie das vorlegende Gericht ausführt, betreffen die Ausgangsverfahren in den Rechtssachen C‑419/20 und C‑427/20 nicht geschuldete Zollbeträge. Wie sich aus den Rn. 3 bis 6 des vorliegenden Urteils ergibt, wird die Erstattung dieser Abgaben in gewissem Umfang durch vom Unionsgesetzgeber erlassene Vorschriften geregelt, nämlich durch die im Zollbereich anwendbaren. Dagegen geht es im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C‑415/20 um Geldbeträge, die verspätet gezahlten Ausfuhrerstattungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse und einer zu Unrecht verhängten finanziellen Sanktion entsprechen. Die in den Rn. 7 bis 9 dieses Urteils angeführten einschlägigen Bestimmungen des in diesem Bereich anwendbaren Unionsrechts sehen hingegen keine Regelung vor, die mit der für nicht geschuldete Zollbeträge vorgesehenen vergleichbar wäre.

    73

    Angesichts dieser unterschiedlichen Sachlage ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs Zinsen für die Erstattung nicht geschuldeter Zollbeträge gemäß Art. 236 Abs. 1 des Zollkodex der Gemeinschaften, der nach Ansicht des vorlegenden Gerichts zeitlich anwendbar ist, zu zahlen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Januar 2017, Wortmann, C‑365/15, EU:C:2017:19, Rn. 36 bis 38). Außerdem ist die in Art. 241 des Zollkodex der Gemeinschaften vorgesehene Ausnahme von diesem allgemeinen Grundsatz nicht anwendbar, wenn wie hier die Zölle deswegen nicht geschuldet werden, weil sie unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Januar 2017, Wortmann, C‑365/15, EU:C:2017:19, Rn. 25 bis 27). Wie die Generalanwältin in den Nrn. 103 und 109 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, gilt das Gleiche für die Ausnahme nach Art. 116 Abs. 6 des Zollkodex der Union, der nunmehr den Inhalt von Art. 241 des Zollkodex der Gemeinschaften im Wesentlichen übernimmt.

    74

    Unter diesen Umständen ist sodann sowohl für die in den Rechtssachen C‑419/20 und C‑427/20 in Rede stehenden Zollbeträge als auch für die finanzielle Sanktion, um die es in der Rechtssache C‑415/20 geht, festzustellen, dass in Ermangelung einer Unionsregelung nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Modalitäten für die Zahlung von Zinsen bei Erstattung von unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Geldbeträgen von der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats zu regeln sind. Indessen müssen diese Modalitäten den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität entsprechen, was namentlich bedeutet, dass durch diese Modalitäten die Geltendmachung des unionsrechtlichen Zinsanspruchs nicht übermäßig erschwert oder praktisch unmöglich gemacht werden darf (vgl. Urteile vom 19. Juli 2012, Littlewoods Retail u. a., C‑591/10, EU:C:2012:478, Rn. 27 und 28, sowie vom6. Oktober 2015, Târșia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 26 und 27). Entsprechende Anforderungen gelten auch für die verspätete Zahlung eines nach dem Unionsrecht geschuldeten Geldbetrags wie dem in der Rechtssache C‑415/20 in Rede stehenden Ausfuhrerstattungsbetrag.

    75

    Insbesondere dürfen die Zinszahlungsmodalitäten nicht dazu führen, dass dem Betreffenden eine angemessene Entschädigung für die erlittenen Einbußen vorenthalten wird; dies setzt u. a. voraus, dass die ihm gezahlten Zinsen den Gesamtzeitraum abdecken, der je nach Lage des Falls zwischen dem Tag, an dem der Betreffende den fraglichen Geldbetrag entrichtet hat oder hätte erhalten sollen, und dem Tag liegt, an dem dieser ihm erstattet oder an ihn entrichtet wurde (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. April 2013, Irimie, C‑565/11, EU:C:2013:250, Rn. 26 bis 28, sowie vom 23. April 2020, Sole-Mizo und Dalmandi Mezőgazdasági, C‑13/18 und C‑126/18, EU:C:2020:292, Rn. 43, 49 und 51).

    76

    Daraus folgt, dass das Unionsrecht einer rechtlichen Regelung entgegensteht, die dieser Anforderung nicht entspricht und die deshalb eine wirksame Geltendmachung des unionsrechtlichen Erstattungs- und Zinsanspruchs nicht ermöglicht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. April 2013, Irimie, C‑565/11, EU:C:2013:250, Rn. 29, und vom 15. Oktober 2014, Nicula, C‑331/13, EU:C:2014:2285, Rn. 38 und 39).

    77

    Damit steht das Unionsrecht einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegen, nach der die Zahlung von Zinsen auf Geldbeträge wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden, zu deren Zahlung ein Verwaltungsunterworfener unter Verstoß gegen das Unionsrecht herangezogen wurde bzw. deren Zahlung ihm unter Verstoß gegen das Unionsrecht versagt wurde, nur für den Zeitraum ab Einlegung des gerichtlichen Rechtsbehelfs bis zu dem Tag der Entscheidung des zuständigen Gerichts unter Ausschluss des davor liegenden Zeitraums zu erfolgen hat. Solche Zinsen muss der Verwaltungsunterworfene nämlich auch für den Zeitraum beanspruchen und erlangen können, der zwischen dem Tag, an dem der fragliche Geldbetrag an den betreffenden Mitgliedstaat entrichtet wurde oder dem Verwaltungsunterworfenen hätte gezahlt werden müssen, und dem Tag der Einlegung eines solchen Rechtsbehelfs liegt.

    78

    Im Hinblick auf die Fragen des vorlegenden Gerichts, ob es einem nationalen Gesetzgeber freisteht, vorzusehen, dass Zinsen jedenfalls nur demjenigen gezahlt werden können, der einen gerichtlichen Rechtsbehelf auf Erstattung oder Zahlung der Geldbeträge, zu deren Zahlung er unter Verstoß gegen das Unionsrecht herangezogen worden ist oder deren Zahlung ihm unter Verstoß gegen das Unionsrecht versagt wurde, eingelegt hat, und nicht demjenigen, der bei der zuständigen nationalen Behörde lediglich einen – von dieser Behörde stillschweigend oder ausdrücklich zurückgewiesenen – Einspruch oder eine vorherige Verwaltungsbeschwerde eingelegt hat, ist schließlich klarzustellen, dass die wirksame Ausübung unionsrechtlicher Ansprüche grundsätzlich nicht erfordert, dass die nationalen Behörden von Amts wegen solche Geldbeträge erstatten oder entrichten oder derartige Zinsen zahlen, wenn der Verwaltungsunterworfene zur Wahrung seiner Rechte nicht die Initiative für ein streitiges Verfahren ergriffen hat.

    79

    Wie in Rn. 74 des vorliegenden Urteils ausgeführt, müssen die Mitgliedstaaten innerhalb des Handlungsspielraums, über den sie in Ermangelung einer Unionsregelung verfügen, um die Zinszahlungsmodalitäten für ihnen rechtsgrundlos entrichtete oder von ihnen rechtsgrundlos erhobene Geldbeträge zu regeln, den Effektivitätsgrundsatz beachten und dürfen dabei insbesondere die Ausübung der den Einzelnen durch die Rechtsordnung der Union verliehenen Rechte im Ergebnis nicht übermäßig erschweren oder praktisch unmöglich machen.

    80

    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist diese Frage in jedem Fall, in dem sie sich stellt, unter Berücksichtigung der Stellung der betreffenden nationalen Vorschrift oder Vorschriften im gesamten Verfahren, des Ablaufs dieses Verfahrens und der Besonderheiten dieser Vorschriften vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen (Urteil vom 6. Oktober 2015, Târșia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung). Insoweit sind insbesondere die Grundsätze zu berücksichtigen, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie z. B. der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens (Urteile vom 14. Dezember 1995, Peterbroeck, C‑312/93, EU:C:1995:437, Rn. 14, sowie vom 6. Oktober 2021, Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi, C‑561/19, EU:C:2021:799, Rn. 63). Wie sich aus Rn. 75 des vorliegenden Urteils ergibt, ist außerdem zu prüfen, ob die nationalen Rechtsvorschriften über die im jeweiligen Einzelfall in Rede stehenden Zinsen dazu führen, dass dem Betreffenden eine angemessene Entschädigung für den erlittenen Verlust vorenthalten wird.

    81

    Im Licht dieser Erwägungen hat das nationale Gericht zu prüfen, ob die hier in den Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung demjenigen die Ausübung seiner Rechte nicht übermäßig erschwert, der zwar keinen gerichtlichen Rechtsbehelf auf Zahlung eines ihm versagten Geldbetrags oder auf Erstattung eines von ihm entrichteten Geldbetrags eingelegt, aber gleichwohl die Initiative ergriffen hat, zu diesem Zweck Einspruch oder eine vorherige Verwaltungsbeschwerde einzulegen. Im Rahmen dieser Prüfung hat das nationale Gericht insbesondere die Interessen zu berücksichtigen und gegebenenfalls gegeneinander abzuwägen, die mit dem Schutz der Verteidigungsrechte, dem Grundsatz der Rechtssicherheit, dem ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens sowie der Wahrung des Unionsrechts und der unionsrechtlichen Rechte der Verwaltungsunterworfenen verbunden sind.

    82

    Was die besonderen Umstände der Rechtssache C‑415/20 angeht, ist jedoch, wie die Generalanwältin in Nr. 124 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, allgemein klarzustellen, dass sich in der Vorlageentscheidung und in den beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen keine erläuternden Anhaltspunkte finden lassen, mit denen sich rechtfertigen ließe, dass dem Verwaltungsunterworfenen nach einer solchen Abwägung der Zinsanspruch allein deshalb versagt wird, weil er keinen gerichtlichen Rechtsbehelf auf Zahlung eines ihm unter Verstoß gegen das Unionsrecht versagten Betrags oder auf Erstattung einer von ihm unter Verstoß gegen das Unionsrecht als finanzielle Sanktion eingeforderten Betrags eingelegt hat.

    83

    Was speziell den Grundsatz der Rechtssicherheit betrifft, ist der Umstand zu berücksichtigen, dass in einer Situation wie der in der Rechtssache C‑415/20 in Rede stehenden die zuständige nationale Behörde, ohne die Rechte Dritter zu berühren, eine Entscheidung über die Gewährung des ursprünglich versagten Betrags bzw. über die Erstattung des ursprünglich eingeforderten Betrags erlassen kann, so dass die Zinszahlung nicht im Widerspruch zu einer bestandskräftigen Verwaltungsentscheidung steht; so hat es die zuständige Behörde im vorliegenden Fall auch offenbar gehandhabt, indem sie die ursprünglichen Bescheide, mit denen sie die beantragten Ausfuhrerstattungen abgelehnt und gegen den Betreffenden dann eine Geldbuße verhängt hatte, abänderte.

    84

    Aus den Rn. 70 bis 83 des vorliegenden Urteils ergibt sich somit, dass die unionsrechtlichen Grundsätze über den Anspruch Verwaltungsunterworfener auf Erstattung von Geldbeträgen, zu deren Zahlung sie von einem Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht herangezogen wurden, sowie auf Verzinsung dieser Beträge dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der, wenn die Zahlung von Ausfuhrerstattungen, einer finanziellen Sanktion, von Antidumpingzöllen oder von Einfuhrabgaben unter Verstoß gegen das Unionsrecht versagt bzw. eingefordert worden ist, die Zahlung von Zinsen unter Ausschluss des davor liegenden Zeitraums nur für denjenigen Zeitraum zu erfolgen hat, der zwischen dem Tag der Einlegung des gerichtlichen Rechtsbehelfs, mit dem die Zahlung eines dem Betreffenden versagten Geldbetrags bzw. die Erstattung eines von ihm entrichteten Geldbetrags begehrt wird, und dem Tag liegt, an dem das zuständige Gericht seine Entscheidung erlässt. Indes verbieten diese Grundsätze für sich genommen nicht, dass eine solche Regelung vorsieht, dass die Zahlung nur geschuldet wird, wenn ein solcher Rechtsbehelf eingelegt worden ist, sofern dies nicht dazu führt, dass die Ausübung der unionsrechtlichen Rechte der Verwaltungsunterworfenen übermäßig erschwert wird.

    85

    Nach alledem ist auf die gestellten Fragen zu antworten, dass die unionsrechtlichen Grundsätze über den Anspruch Verwaltungsunterworfener auf Erstattung von Geldbeträgen, zu deren Zahlung sie von einem Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht herangezogen wurden, sowie auf Verzinsung dieser Beträge dahin auszulegen sind,

    dass diese Grundsätze erstens anwendbar sind, wenn die fraglichen Geldbeträge zum einen Ausfuhrerstattungen, die einem Verwaltungsunterworfenen zunächst unter Verstoß gegen das Unionsrecht versagt und dann verspätet gezahlt wurden, und zum anderen einer finanziellen Sanktion entsprechen, die gegen ihn aufgrund dieses Verstoßes verhängt wurde,

    dass diese Grundsätze zweitens anwendbar sind, wenn sich aus einer Entscheidung des Gerichtshofs oder eines nationalen Gerichts ergibt, dass auf der Grundlage einer unzutreffenden Auslegung oder einer fehlerhaften Anwendung des Unionsrechts die Zahlung von Ausfuhrerstattungen, einer finanziellen Sanktion, von Antidumpingzöllen oder von Einfuhrabgaben von einer nationalen Behörde versagt bzw. von ihr eingefordert worden ist, und

    dass diese Grundsätze drittens einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der, wenn die Zahlung von Ausfuhrerstattungen, einer finanziellen Sanktion, von Antidumpingzöllen oder von Einfuhrabgaben unter Verstoß gegen das Unionsrecht versagt bzw. eingefordert worden ist, die Zahlung von Zinsen unter Ausschluss des davor liegenden Zeitraums nur für denjenigen Zeitraum zu erfolgen hat, der zwischen dem Tag der Einlegung des gerichtlichen Rechtsbehelfs, mit dem die Zahlung bzw. die Erstattung des fraglichen Geldbetrags begehrt wird, und dem Tag liegt, an dem das zuständige Gericht seine Entscheidung erlässt. Indes verbieten diese Grundsätze für sich genommen nicht, dass eine solche Regelung vorsieht, dass die Zahlung nur geschuldet wird, wenn ein solcher Rechtsbehelf eingelegt worden ist, sofern dies nicht dazu führt, dass die Ausübung der unionsrechtlichen Rechte der Verwaltungsunterworfenen übermäßig erschwert wird.

    Kosten

    86

    Für die Beteiligten der Ausgangsverfahren ist das Verfahren Teil der bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

     

    Die unionsrechtlichen Grundsätze über den Anspruch Verwaltungsunterworfener auf Erstattung von Geldbeträgen, zu deren Zahlung sie von einem Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht herangezogen wurden, sowie auf Verzinsung dieser Beträge sind dahin auszulegen,

     

    dass diese Grundsätze erstens anwendbar sind, wenn die fraglichen Geldbeträge zum einen Ausfuhrerstattungen, die einem Verwaltungsunterworfenen zunächst unter Verstoß gegen das Unionsrecht versagt und dann verspätet gezahlt wurden, und zum anderen einer finanziellen Sanktion entsprechen, die gegen ihn aufgrund dieses Verstoßes verhängt wurde,

    dass diese Grundsätze zweitens anwendbar sind, wenn sich aus einer Entscheidung des Gerichtshofs oder eines nationalen Gerichts ergibt, dass auf der Grundlage einer unzutreffenden Auslegung oder einer fehlerhaften Anwendung des Unionsrechts die Zahlung von Ausfuhrerstattungen, einer finanziellen Sanktion, von Antidumpingzöllen oder von Einfuhrabgaben von einer nationalen Behörde versagt bzw. von ihr eingefordert worden ist, und

    dass diese Grundsätze drittens einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der, wenn die Zahlung von Ausfuhrerstattungen, einer finanziellen Sanktion, von Antidumpingzöllen oder von Einfuhrabgaben unter Verstoß gegen das Unionsrecht versagt bzw. eingefordert worden ist, die Zahlung von Zinsen unter Ausschluss des davor liegenden Zeitraums nur für denjenigen Zeitraum zu erfolgen hat, der zwischen dem Tag der Einlegung des gerichtlichen Rechtsbehelfs, mit dem die Zahlung bzw. die Erstattung des fraglichen Geldbetrags begehrt wird, und dem Tag liegt, an dem das zuständige Gericht seine Entscheidung erlässt. Indes verbieten diese Grundsätze für sich genommen nicht, dass eine solche Regelung vorsieht, dass die Zahlung nur geschuldet wird, wenn ein solcher Rechtsbehelf eingelegt worden ist, sofern dies nicht dazu führt, dass die Ausübung der unionsrechtlichen Rechte der Verwaltungsunterworfenen übermäßig erschwert wird.

     

    Prechal

    Passer

    Biltgen

    Wahl

    Arastey Sahún

    Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 28. April 2022.

    Der Kanzler

    A. Calot Escobar

    Die Präsidentin der Zweiten Kammer

    A. Prechal


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

    Top