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Document 62020CJ0096
Judgment of the Court (Eighth Chamber) of 10 March 2021.#Ordine Nazionale dei Biologi and Others v Presidenza del Consiglio dei Ministri.#Request for a preliminary ruling from the Corte suprema di cassazione.#Reference for a preliminary ruling – Public health – Article 168 TFEU – Directive 2002/98/EC – Standards of quality and safety of human blood and of blood components – Objective of ensuring a high level of protection of human health – Article 4(2) and Article 9(2) – Blood establishments – Responsible person – Minimum conditions of qualification – Option for a Member State to provide for a more stringent regime – Discretion afforded to the Member States.#Case C-96/20.
Urteil des Gerichtshofs (Achte Kammer) vom 10. März 2021.
Ordine Nazionale dei Biologi u. a. gegen Presidenza del Consiglio dei Ministri.
Vorabentscheidungsersuchen der Corte suprema di cassazione.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliches Gesundheitswesen – Art. 168 AEUV – Richtlinie 2002/98/EG – Qualitäts- und Sicherheitsstandards für menschliches Blut und Blutbestandteile – Ziel der Gewährleistung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus – Art. 4 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 2 – Blutspendeeinrichtungen – Verantwortliche Person – Mindestqualifikationen – Möglichkeit eines Mitgliedstaats, eine strengere Regelung vorzusehen – Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten.
Rechtssache C-96/20.
Urteil des Gerichtshofs (Achte Kammer) vom 10. März 2021.
Ordine Nazionale dei Biologi u. a. gegen Presidenza del Consiglio dei Ministri.
Vorabentscheidungsersuchen der Corte suprema di cassazione.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliches Gesundheitswesen – Art. 168 AEUV – Richtlinie 2002/98/EG – Qualitäts- und Sicherheitsstandards für menschliches Blut und Blutbestandteile – Ziel der Gewährleistung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus – Art. 4 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 2 – Blutspendeeinrichtungen – Verantwortliche Person – Mindestqualifikationen – Möglichkeit eines Mitgliedstaats, eine strengere Regelung vorzusehen – Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten.
Rechtssache C-96/20.
ECLI identifier: ECLI:EU:C:2021:191
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)
10. März 2021 ( *1 )
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliches Gesundheitswesen – Art. 168 AEUV – Richtlinie 2002/98/EG – Qualitäts- und Sicherheitsstandards für menschliches Blut und Blutbestandteile – Ziel der Gewährleistung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus – Art. 4 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 2 – Blutspendeeinrichtungen – Verantwortliche Person – Mindestqualifikationen – Möglichkeit eines Mitgliedstaats, eine strengere Regelung vorzusehen – Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten“
In der Rechtssache C‑96/20
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Oberster Kassationsgerichtshof, Italien) mit Entscheidung vom 7. November 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Februar 2020, in dem Verfahren
Ordine Nazionale dei Biologi,
MX,
NY,
OZ
gegen
Presidenza del Consiglio dei Ministri,
Beteiligte:
Sds Snabi,
Agenzia Regionale Protezione Ambiente (ARPA),
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Wahl, der Präsidentin der Dritten Kammer A. Prechal (Berichterstatterin) und der Richterin L. S. Rossi,
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– |
des Ordine Nazionale dei Biologi, MX, NY und OZ, vertreten durch G. Sciacca und R. Arbib, avvocati, |
– |
der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von C. Colelli, avvocato dello Stato, |
– |
der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Sjödin und A. Szmytkowska als Bevollmächtigte, |
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 |
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2002/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Gewinnung, Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von menschlichem Blut und Blutbestandteilen und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. 2003, L 33, S. 30). |
2 |
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Ordine Nazionale dei Biologi (Nationalverband der Biologen, Italien) sowie MX, NY und OZ, drei Inhabern eines Diploms in Biowissenschaften, auf der einen und der Presidenza del Consiglio dei Ministri (Ministerratspräsidium, Italien) auf der anderen Seite wegen der Gültigkeit einer italienischen Rechtsbestimmung, die vorsieht, dass nur Inhaber eines Diploms in Medizin und in Chirurgie, die zudem bestimmte Voraussetzungen hinsichtlich der postgraduierten Erfahrung erfüllen, als verantwortliche Person einer Blutspendeeinrichtung benannt werden können. |
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 |
Die Erwägungsgründe 15 und 33 der Richtlinie 2002/98 lauten:
…
|
4 |
Art. 1 („Zielsetzung“) der Richtlinie 2002/98 sieht vor: „Diese Richtlinie legt Qualitäts- und Sicherheitsstandards für menschliches Blut und Blutbestandteile fest mit dem Ziel, ein hohes Gesundheitsschutzniveau zu gewährleisten.“ |
5 |
Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2002/98 legt deren Geltungsbereich wie folgt fest: „Diese Richtlinie gilt für die Gewinnung und Testung von menschlichem Blut und Blutbestandteilen unabhängig von deren Verwendungszweck sowie für deren Verarbeitung, Lagerung und Verteilung, sofern sie zur Transfusion bestimmt sind.“ |
6 |
Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2002/98 bestimmt: „Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck …
…“ |
7 |
Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2002/98 lautet: „Diese Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten nicht, in ihrem Hoheitsgebiet strengere Schutzmaßnahmen beizubehalten oder einzuführen, sofern diese in Einklang mit dem Vertrag stehen. Insbesondere kann ein Mitgliedstaat Anforderungen für freiwillige, unbezahlte Blutspenden einführen einschließlich des Verbots oder der Beschränkung der Einfuhren von Blut oder Blutbestandteilen, um ein hohes Gesundheitsschutzniveau zu gewährleisten und das in Artikel 20 Absatz 1 genannte Ziel zu erreichen, soweit dies in Einklang mit den Bestimmungen des Vertrags geschieht.“ |
8 |
Art. 5 („Benennung, Zulassung oder Anerkennung von Blutspendeeinrichtungen bzw. Erteilung der entsprechenden Erlaubnis“) Abs. 1 der Richtlinie 2002/98 bestimmt: „Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Gewinnung und Testung von menschlichem Blut und Blutbestandteilen unabhängig von deren Verwendungszweck sowie im Zusammenhang mit deren Verarbeitung, Lagerung und Verteilung für den Fall, dass sie zur Transfusion bestimmt sind, nur von Blutspendeeinrichtungen ausgeübt werden, die hierzu von der zuständigen Behörde benannt, zugelassen oder anerkannt worden sind oder von dieser Behörde eine entsprechende Erlaubnis erhalten haben.“ |
9 |
Art. 9 („Verantwortliche Person“) der Richtlinie 2002/98 sieht vor: „(1) Die Blutspendeeinrichtungen benennen eine Person (‚verantwortliche Person‘), die dafür verantwortlich ist, dass
(2) Die verantwortliche Person hat hinsichtlich ihrer Qualifikation folgende Mindestvoraussetzungen zu erfüllen:
…“ |
10 |
Art. 10 („Personal“) der Richtlinie 2002/98 bestimmt: „Das mit der Gewinnung, Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von menschlichem Blut und Blutbestandteilen unmittelbar befasste Personal ist für diese Aufgabe qualifiziert und wird durch einschlägige Fortbildungsmaßnahmen rechtzeitig und regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht.“ |
11 |
Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2002/98 bestimmt: „Die Mitgliedstaaten ergreifen die notwendigen Maßnahmen, um freiwillige, unbezahlte Blutspenden zu fördern, damit erreicht wird, dass Blut und Blutbestandteile so weit wie möglich aus solchen Spenden stammen.“ |
Italienisches Recht
12 |
Art. 6 des Decreto legislativo del 20 dicembre 2007, n. 261, recante revisione del decreto legislativo 19 agosto 2005, n. 191, recante attuazione della direttiva 2002/98/CE che stabilisce norme di qualità e di sicurezza per la raccolta, il controllo, la lavorazione, la conservazione e la distribuzione del sangue umano e dei suoi componenti (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 261 vom 20. Dezember 2007 zur Änderung des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 191 vom 19. August 2005 zur Umsetzung der Richtlinie 2002/98/EG zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Gewinnung, Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von menschlichem Blut und Blutbestandteilen) (GURI Nr. 19 vom 23. Januar 2008, im Folgenden: Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 261/2007) sieht vor: „(1) Die Stelle, zu der die Blutspendeeinrichtung gehört, benennt die dafür verantwortliche Person, die als solche folgende Aufgaben zu erfüllen hat:
(2) Die gemäß Abs. 1 verantwortliche Person hat ein Diplom in Medizin und Chirurgie und erfüllt die in den geltenden Vorschriften vorgesehenen Anforderungen für den Zugang zur Leitung komplexer Einrichtungen im Bereich der Transfusionsmedizin.“ |
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
13 |
Am 10. Juni 2008 erhoben die Kläger des Ausgangsverfahrens beim Tribunale di Roma (Bezirksgericht Rom, Italien) Klage auf Feststellung, dass Art. 6 Abs. 2 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 261/2007 dadurch, dass er den Zugang zur Stelle der verantwortlichen Person einer Blutspendeeinrichtung Inhabern eines Diploms in Medizin und in Chirurgie vorbehalte, gegen Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2002/98 verstoße, da dieser als Voraussetzung für den Zugang zu dieser Stelle den Besitz eines Universitätsdiploms im Bereich der Medizin oder der Biowissenschaften vorsehe und dadurch Inhabern eines Diploms in Biowissenschaften einen Anspruch auf Zugang zu dieser Stelle verleihe, so dass die nationalrechtliche Bestimmung gegen das Unionsrecht verstoße und daher unangewendet zu lassen sei. |
14 |
Das Bezirksgericht wies diese Klage im Wesentlichen mit der Begründung zurück, dass die Richtlinie 2002/98 nicht „unmittelbar anwendbar“ sei, da sie nur allgemeine Regeln und Grundsätze über Blutspendeeinrichtungen festlege und deren Errichtung und Funktionsweise dem nationalen Recht überlasse. Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie gestatte es den Mitgliedstaaten, nach ihrem Ermessen zu entscheiden, ob der Zugang zur Stelle der verantwortlichen Person von Blutspendeeinrichtungen allein den Inhabern eines Diploms in Medizin, allein den Inhabern eines Diploms in Biowissenschaften oder beiden Kategorien von Diplominhabern vorzubehalten sei. |
15 |
Gegen das Urteil des Tribunale di Roma (Bezirksgericht Rom) haben die Kläger des Ausgangsverfahrens bei der Corte d’appello di Roma (Berufungsgericht Rom, Italien) Berufung eingelegt, die sie mit Urteil vom 19. Juni 2015 unter vollumfänglicher Bestätigung des Urteils des Bezirksgerichts zurückgewiesen hat. |
16 |
Das vorlegende Gericht, bei dem die Kläger des Ausgangsverfahrens Kassationsbeschwerde eingelegt haben, möchte wissen, ob Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2002/98 dahin auszulegen ist, dass er Inhabern eines Diploms in Biowissenschaften einen Anspruch darauf verleihe, als verantwortliche Person von Blutspendeeinrichtungen benannt zu werden, oder ob diese Bestimmung in Anbetracht dessen, dass die Richtlinie nur Mindestanforderungen in diesem Bereich vorsehe, vielmehr so zu verstehen sei, dass sie es den Mitgliedstaaten freistelle, den Zugang zu dieser Stelle allein den Inhabern eines Diploms in Medizin, allein den Inhabern eines Diploms in Biowissenschaften oder beiden Kategorien von Diplominhabern vorzubehalten. |
17 |
Unter diesen Umständen hat die Corte suprema di cassazione (Oberster Kassationsgerichtshof, Italien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
|
Zu den Vorlagefragen
18 |
Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2002/98 in Verbindung mit ihrem Art. 4 Abs. 2 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die vorsieht, dass nur Inhaber eines Diploms in Medizin und in Chirurgie als verantwortliche Person einer Blutspendeeinrichtung benannt werden können. |
19 |
Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2002/98 sieht vor, dass die Person, die von einer Blutspendeeinrichtung als verantwortliche Person benannt worden ist, die dort aufgezählten „Mindestvoraussetzungen [hinsichtlich ihrer Qualifikation]“ zu erfüllen hat, zu denen die in Buchst. a dieser Bestimmung genannte Voraussetzung gehört, im „Besitz eines Diploms, Prüfungszeugnisses oder sonstigen Befähigungsnachweises im Bereich der Medizin oder der Biowissenschaften [zu sein], das/der die Absolvierung einer Hochschulausbildung oder einer von dem betreffenden Mitgliedstaat als gleichwertig anerkannten Ausbildung bescheinigt“. |
20 |
Der italienische Gesetzgeber wollte die Umsetzung der genannten Bestimmung in die nationale Rechtsordnung dadurch vornehmen, dass er Art. 6 Abs. 2 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 261/2007 verabschiedet hat, der den Zugang zur Stelle der verantwortlichen Person einer Blutspendeeinrichtung allein Inhabern eines „Diploms in Medizin und [in] Chirurgie“ vorbehält. |
21 |
Vor dem vorlegenden Gericht beanstanden die Kläger des Ausgangsverfahrens die Gültigkeit der genannten nationalen Bestimmung im Wesentlichen mit der Begründung, dass Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2002/98 Inhabern eines Diploms in Biowissenschaften einen „Anspruch“ darauf verleihe, als verantwortliche Person einer Blutspendeeinrichtung benannt zu werden, so dass die genannte nationale Bestimmung dadurch, dass sie den Zugang zu dieser Stelle Inhabern eines Diploms in Medizin und in Chirurgie vorbehalte und somit Inhaber eines Diploms in Biowissenschaften davon ausschließe, eine Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2002/98 darstelle, die gegen das Unionsrecht verstoße und daher unangewendet zu lassen sei. |
22 |
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2002/98, die den Schutz der öffentlichen Gesundheit bezweckt, ihre Grundlage in Art. 168 AEUV hat, der in Abs. 1 vorsieht, dass bei der Festlegung und Durchführung aller Politiken und Maßnahmen der Europäischen Union ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt wird. Art. 1 der Richtlinie stellt klar, dass sie Qualitäts- und Sicherheitsstandards für menschliches Blut und Blutbestandteile mit dem Ziel festlegt, ein hohes Gesundheitsschutzniveau zu gewährleisten. Art. 168 Abs. 4 Buchst. a AEUV bestimmt ferner, dass die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert werden können, strengere Schutzmaßnahmen beizubehalten oder einzuführen, und Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2002/98 greift diese Regelung ausdrücklich auf (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2014, Octapharma France, C‑512/12, EU:C:2014:149, Rn. 43). |
23 |
Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Bestimmung aufgrund dessen, dass sie nur Inhabern eines Diploms in Medizin und in Chirurgie den Zugang zur Stelle der verantwortlichen Person einer Blutspendeeinrichtung gestattet, als „strengere Schutzmaßnahme“ im Sinne von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2002/98 gegenüber der in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie vorgeschriebenen Maßnahme eingestuft werden kann. |
24 |
Diese Frage ist zu bejahen. |
25 |
Bereits aus dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2002/98 ergibt sich nämlich, dass diese Bestimmung nur „Mindestvoraussetzungen [hinsichtlich der Qualifikation]“ sowohl in Bezug auf den Besitz eines Hochschuldiploms als auch auf eine postgraduierte Mindesterfahrung aufstellt, die eine Person zu erfüllen hat, um als verantwortliche Person einer Blutspendeeinrichtung benannt werden zu können. |
26 |
Was im Einzelnen die in Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2002/98 genannte Voraussetzung hinsichtlich der Qualifikation anbelangt, geht zudem aus der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung hervor, dass zwar im ursprünglichen Vorschlag der Europäischen Kommission die Voraussetzung genannt wurde, im Besitz eines Diploms in einem weiten Spektrum wissenschaftlicher Fachbereiche zu sein, doch ist dieser Vorschlag anschließend in die Anforderung geändert worden, ein Diplom in Medizin, vorzugsweise mit einer Spezialisierung in Hämatologie, zu besitzen, und in der endgültigen Fassung der Bestimmung sind die Inhaber eines Diploms in Biowissenschaften hinzugefügt worden. |
27 |
Somit zeigt die Entstehungsgeschichte des Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2002/98, dass der Unionsgesetzgeber zwar die Zahl der Universitätsdiplome, die Zugang zur Stelle der verantwortlichen Person einer Blutspendeeinrichtung geben können, verringert hat, aber dennoch den Mitgliedstaaten eine gewisse Flexibilität bei der Wahl der Qualifikationen vorbehalten wollte, die erforderlich sind, um Zugang zu dieser Stelle zu bekommen. |
28 |
Ferner lässt sich weder aus der strengeren Schutzmaßnahme, die Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2002/98 nur zur Veranschaulichung in Bezug auf freiwillige und unbezahlte Blutspenden erwähnt, noch aus einer anderen Bestimmung der Richtlinie ableiten, dass ausschließlich diejenigen nationalen Bestimmungen strengere Schutzmaßnahmen darstellen können, die eine strengere Regelung enthalten als die Regelung, die in den Bestimmungen der Richtlinie vorgesehen ist, die unmittelbar die Gewinnung, Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von Blut und Blutbestandteilen durch Blutspendeeinrichtungen regeln und zu denen Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie nicht gehört. |
29 |
Die in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2002/98 vorgeschriebenen Mindestqualifikationen sollen nämlich gewährleisten, dass die verantwortliche Person einer Blutspendeeinrichtung hinreichende theoretische und praktische Kenntnisse hat, um die Aufgaben zu erfüllen, mit denen sie gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie betraut ist. |
30 |
Diese Aufgaben tragen aber in vollem Umfang zum Ziel der Richtlinie bei, das darin besteht, ein hohes Gesundheitsschutzniveau hinsichtlich der in ihr festgelegten Qualitäts- und Sicherheitsstandards für menschliches Blut und Blutbestandteile zu gewährleisten, insbesondere soweit sie die Aufgabe einschließen, zu gewährleisten, dass die Gewinnung und Testung jeder einzelnen Einheit Blut oder von Blutbestandteilen unabhängig von dem Verwendungszweck sowie deren Verarbeitung, Lagerung und Verteilung für den Fall, dass sie zur Transfusion bestimmt ist, im Einklang mit den geltenden Rechtsvorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats erfolgen, oder die Aufgabe, in der Blutspendeeinrichtung die Anforderungen nach den Art. 10 bis 15 der Richtlinie 2002/98 zu erfüllen. |
31 |
In diesem Zusammenhang trägt die italienische Regierung vor, für die Entscheidung, den Besitz eines Diploms in Medizin und in Chirurgie zu verlangen, um als verantwortliche Person einer Blutspendeeinrichtung benannt werden zu können, sei der Umstand bestimmend gewesen, dass Blutspendeeinrichtungen in Italien zum nationalen Gesundheitssystem gehörende Dienststellen seien, die zahlreiche und schwierige Tätigkeiten einschließlich solcher rein medizinischer oder diagnostischer Art ausübten, die nicht auf die in Art. 3 Buchst. e der Richtlinie 2002/98 genannten Tätigkeiten dieser Einrichtungen beschränkt seien, so dass der Besitz eines solchen Diploms unerlässlich sei. |
32 |
Insoweit trifft es zwar zu, dass die den Blutspendeeinrichtungen nach italienischem Recht übertragenen Aufgaben, auch diejenigen angeblich „rein medizinischer“ Art, als solche nicht von der verantwortlichen Person dieser Einrichtungen ausgeführt werden, sondern von deren „Personal“ gemäß Art. 10 der Richtlinie 2002/98, d. h. „[das] mit der Gewinnung, Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von menschlichem Blut und Blutbestandteilen unmittelbar befasste Personal“, das „für diese Aufgabe qualifiziert [ist] und … durch einschlägige Fortbildungsmaßnahmen rechtzeitig und regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht [wird]“. Nach dem 15. Erwägungsgrund der Richtlinie handelt es sich um das „unmittelbar“ mit diesen Aufgaben befasste Personal. |
33 |
Die in der Richtlinie 2002/98 vorgenommene Unterscheidung zwischen „Personal“ und „verantwortlicher Person“ spiegelt sich auch in ihrem Art. 9 Abs. 1 letzter Gedankenstrich wider, der vorsieht, dass die verantwortliche Person dafür verantwortlich ist, dass in der Blutspendeeinrichtung u. a. die Anforderungen nach Art. 10 der Richtlinie erfüllt werden, was bedeutet, dass diese Person u. a. zu gewährleisten hat, dass das Personal hinreichend qualifiziert ist, um die Aufgaben dieser Einrichtungen auszuführen, was es erforderlich machen kann, dass das betreffende Personal bei Aufgaben medizinischer Natur ein Diplom in Medizin besitzt. |
34 |
Allerdings ist festzustellen, dass das Ziel, das die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Bestimmung nach den Angaben der italienischen Regierung – vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht – verfolgt und das darin besteht, dass eine Qualifikation als Arzt es der verantwortlichen Person besser ermöglichen kann, ihre Aufgaben in Bezug auf die Gesamtheit der Tätigkeiten der Blutspendeeinrichtungen, zu denen diejenigen rein medizinischer Art gehören, in vollem Umfang und wirksam auszuüben, dem Ziel der Richtlinie 2002/98 dient, das nach ihrem Art. 1 darin besteht, Qualitäts- und Sicherheitsstandards für menschliches Blut und Blutbestandteile mit dem Ziel festzulegen, ein hohes Gesundheitsschutzniveau zu gewährleisten, und dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Maßnahme als strengere Schutzmaßnahme somit besser geeignet ist, die tatsächliche Verwirklichung dieses Ziels zu gewährleisten. |
35 |
Es handelt sich um eine im Bereich des Gesundheitswesens liegende Beurteilung, die nach den identischen Bestimmungen des Art. 168 Abs. 4 Buchst. a AEUV und des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2002/98 den Mitgliedstaaten zusteht. |
36 |
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nehmen unter den vom AEU-Vertrag geschützten Gütern und Interessen die Gesundheit und das Leben von Menschen den höchsten Rang ein, und es ist Sache der Mitgliedstaaten, zu bestimmen, auf welchem Niveau sie den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten wollen und wie dieses Niveau erreicht werden soll. Da dieses Niveau sich von einem Mitgliedstaat zum anderen unterscheiden kann, ist den Mitgliedstaaten ein entsprechender Beurteilungsspielraum zuzuerkennen (Urteil vom 8. Juni 2017, Medisanus, C‑296/15, EU:C:2017:431, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung). Folglich bedeutet der Umstand, dass ein Mitgliedstaat Bestimmungen erlässt, die weniger streng sind als die in einem anderen Mitgliedstaat erlassenen, nicht, dass Letztere unverhältnismäßig wären (Urteil vom 18. September 2019, VIPA, C‑222/18, EU:C:2019:751, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
37 |
Im vorliegenden Fall ist unter Berücksichtigung der dem Gerichtshof vorgelegten Akte und vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht sowie auch in Anbetracht des in der vorstehenden Randnummer genannten Beurteilungsspielraums der Mitgliedstaaten nicht ersichtlich, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Bestimmung als eine Maßnahme angesehen werden könnte, die nicht geeignet wäre, das von ihr im Bereich der Qualitäts- und Sicherheitsstandards für menschliches Blut und Blutbestandteile verfolgte Ziel eines verstärkten Schutzes der menschlichen Gesundheit zu erreichen. |
38 |
Die Vereinbarkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Bestimmung mit dem Unionsrecht erscheint im Übrigen durch den von der italienischen Regierung vorgebrachten und ebenfalls vom vorlegenden Gericht zu überprüfenden Umstand bestätigt, dass Blutspendeeinrichtungen in Italien zum nationalen Gesundheitssystem gehörende Dienststellen sind, woraus sich ergibt, dass diese Bestimmung zu dem den Mitgliedstaaten nach Art. 168 Abs. 7 AEUV zustehenden Verantwortungsbereich für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung gehört, der die Verwaltung solcher Gesundheitsdienste und die Zuweisung der dafür bereitgestellten Mittel umfasst. |
39 |
Darauf wird im Übrigen im 33. Erwägungsgrund der Richtlinie 2002/98 hingewiesen, nach dem die Verantwortung für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung bei den einzelnen Mitgliedstaaten verbleiben sollte. |
40 |
Bei der Umsetzung dieser Verantwortung muss den Mitgliedstaaten auch in Bezug auf die Auswahl geeigneter Maßnahmen insbesondere im Bereich der Qualifikationen der Personen, die Gesundheitsdienste erbringen, ein Beurteilungsspielraum vorbehalten sein. |
41 |
Folglich ist ein Mitgliedstaat gemäß Art. 168 Abs. 4 Buchst. a AEUV und Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2002/98 befugt, eine strengere Regelung als die in Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie vorgesehene Regelung für diejenigen Qualifikationsvoraussetzungen vorzusehen, die eine verantwortliche Person einer Blutspendeeinrichtung erfüllen muss, sofern der Mitgliedstaat unter Wahrung des ihm bei der Entscheidung über das von ihm gewünschte Niveau des Schutzes der öffentlichen Gesundheit und bei der Art und Weise der Erreichung dieses Niveaus zustehenden Beurteilungsspielraums der Ansicht ist, dass diese strengere Regelung es ermöglicht, noch besser zu gewährleisten, dass die verantwortliche Person einer solchen Einrichtung imstande ist, die ihr obliegenden Aufgaben in vollem Umfang und wirksam auszuüben, und dass folglich das mit der Richtlinie verfolgte Ziel des Schutzes der menschlichen Gesundheit erreicht wird. |
42 |
Schließlich ist festzustellen, dass zwar Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2002/98 vorsieht, dass eine strengere Maßnahme im Sinne dieser Bestimmung von einem Mitgliedstaat nur beibehalten oder eingeführt werden darf, sofern diese „in Einklang mit dem Vertrag“ steht, und dass zwar die Kläger des Ausgangsverfahrens sich auf eine Reihe von Bestimmungen und Grundsätzen des Unionsrechts berufen, die von der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Bestimmung verletzt worden seien, doch stellt das vorlegende Gericht in Bezug auf keine von ihnen dem Gerichtshof eine Frage zu deren Wahrung. |
43 |
Insoweit ist gleichwohl festzustellen, dass das Vorbringen der Kläger des Ausgangsverfahrens zum angeblichen Verstoß gegen das von der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. 2005, L 255, S. 22) in der durch die Richtlinie 2013/55/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2013 (ABl. 2013, L 354, S. 132) geänderten Fassung aufgestellte Gebot der gegenseitigen Anerkennung, von dem zuwandernde Biologen, die die Stelle der verantwortlichen Person einer Blutspendeeinrichtung in Italien bekleiden möchten, betroffen seien, zwar zulässig sein könnte, selbst wenn es im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens geltend gemacht würde, obwohl es einen rein innerstaatlichen Sachverhalt beträfe (vgl. entsprechend Urteil vom 21. Februar 2013, Ordine degli Ingegneri di Verona e Provincia u. a., C‑111/12, EU:C:2013:100, Rn. 33 bis 35), aber jedenfalls als unbegründet zurückzuweisen ist. |
44 |
Das Tätigkeitsgebiet des Biologenberufs ist nämlich in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats zu definieren, und nur dann, wenn dieser Mitgliedstaat kraft dieser Rechtsvorschriften eine Tätigkeit diesem Gebiet zuordnet, verlangt das Gebot der gegenseitigen Anerkennung, dass auch zuwandernde Biologen Zugang zu dieser Tätigkeit erhalten (vgl. entsprechend Urteil vom 21. Februar 2013, Ordine degli Ingegneri di Verona e Provincia u. a., C‑111/12, EU:C:2013:100, Rn. 48). |
45 |
Im vorliegenden Fall ordnen die italienischen Rechtsvorschriften die Stelle der verantwortlichen Person einer Blutspendeeinrichtung jedoch gerade nicht dem Tätigkeitsgebiet des Biologenberufs zu. |
46 |
Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2002/98 in Verbindung mit ihrem Art. 4 Abs. 2 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die vorsieht, dass nur Inhaber eines Diploms in Medizin und in Chirurgie als verantwortliche Person einer Blutspendeeinrichtung benannt werden können, sofern diese Regelung das Unionsrecht in jeder Hinsicht einhält. |
Kosten
47 |
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt: |
Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2002/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Gewinnung, Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von menschlichem Blut und Blutbestandteilen und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2002/98 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die vorsieht, dass nur Inhaber eines Diploms in Medizin und in Chirurgie als verantwortliche Person einer Blutspendeeinrichtung benannt werden können, sofern diese Regelung das Unionsrecht in jeder Hinsicht einhält. |
Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.