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Document 62020CC0704

    Schlussanträge des Generalanwalts J. Richard de la Tour vom 21. Juni 2022.
    Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid gegen C und B und X gegen Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid.
    Vorabentscheidungsersuchen des Raad van State und der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats 's-Hertogenbosch.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Inhaftnahme Drittstaatsangehöriger – Grundrecht auf Freiheit – Art. 6 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Haft – Richtlinie 2008/115/EG – Art. 15 – Richtlinie 2013/33/EU – Art. 9 – Verordnung (EU) Nr. 604/2013 – Art. 28 – Kontrolle der Rechtmäßigkeit einer Inhaftnahme und der Aufrechterhaltung der Haft – Prüfung von Amts wegen – Grundrecht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz – Art. 47 der Charta der Grundrechte.
    Verbundene Rechtssachen C-704/20 und C-39/21.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2022:489

     SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    JEAN RICHARD DE LA TOUR

    vom 21. Juni 2022 ( 1 )

    Verbundene Rechtssachen C‑704/20 und C‑39/21

    Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid

    gegen

    C,

    B (C‑704/20)

    (Vorabentscheidungsersuchen des Raad van State [Staatsrat, Niederlande])

    und

    X

    gegen

    Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid (C‑39/21)

    (Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats ’s-Hertogenbosch [Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Herzogenbusch, Niederlande])

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Inhaftnahme von Drittstaatsangehörigen – Grundrecht auf Freiheit – Art. 6 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Haft – Richtlinie 2008/115/EG – Art. 15 – Richtlinie 2013/33/EU – Art. 9 – Verordnung (EU) Nr. 604/2013 – Art. 28 – Gerichtliche Überprüfung der Voraussetzungen für die Inhaftnahme und die Aufrechterhaltung der Haft – Prüfung von Amts wegen durch den für die Beurteilung der Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Haft zuständigen Richter – Begründung der Urteile – Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten – Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität – Grundrecht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf – Art. 47 der Charta der Grundrechte“

    I. Einleitung

    1.

    Die Problematik der Prüfung eines Klagegrundes der Verletzung von Unionsrecht durch ein nationales Gericht von Amts wegen hat der Gerichtshof in verschiedenen Bereichen des Unionsrechts untersucht. Die Befassung mit dieser Problematik im Kontext der Haft von Drittstaatsangehörigen unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Rechts auf Freiheit ( 2 ) erlaubt es, die bisherige Herangehensweise weitgehend zu bestätigen. Denn die Bedeutung dieses Rechts und die wesentliche Rolle des Richters bei dessen Schutz geben Anlass, die Verfahrensregeln, die das Amt des Richters in diesem Bereich beschränken, mit einem gewissen Misstrauen zu betrachten.

    2.

    Die vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen betreffen im Wesentlichen die Auslegung von Art. 15 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ( 3 ), von Art. 9 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen ( 4 ), und von Art. 28 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist ( 5 ), in Verbindung mit den Art. 6 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

    3.

    Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen den Drittstaatsangehörigen B, C und X und dem Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid (Staatssekretär für Justiz und Sicherheit, Niederlande, im Folgenden: Staatssecretaris) über die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung der Haft.

    4.

    Die mit diesen Vorabentscheidungsersuchen aufgeworfene Hauptfrage geht dahin, ob ein nationales Gericht in der Ausübung der ihm obliegenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung der Haft durch eine nationale Verfahrensregel eingeschränkt werden kann, nach der es von einem Kläger nicht geltend gemachte Gründe oder Argumente nicht berücksichtigen darf. Zu klären ist somit, ob dieses Gericht gemäß Unionsrecht die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit einer Haft von Amts wegen prüfen kann oder sogar muss.

    5.

    Angesichts der Vielfalt der Modelle, die die Mitgliedstaaten eingeführt haben, um die Rechtmäßigkeit der Haft von Drittstaatsangehörigen zu kontrollieren, hat der Gerichtshof nicht zu entscheiden, ob eines von ihnen besser ist als ein anderes. Er hat vielmehr zu prüfen, ob die nationalen Verfahrensregeln akzeptable Vektoren für die Erfüllung der Verpflichtungen bilden, die sich aus dem abgeleiteten Unionsrecht ergeben, oder ob diese Regeln im Gegenteil die Effektivität des Unionsrechts beeinträchtigen und daher von den nationalen Gerichten nicht angewandt werden dürfen.

    6.

    In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich dem Gerichtshof vorschlagen, in Beantwortung der Vorlagefrage betreffend die Prüfung der Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit einer Haft für Recht zu erkennen, dass Art. 15 der Richtlinie 2008/115, Art. 9 der Richtlinie 2013/33 und Art. 28 der Verordnung Nr. 604/2013 in Verbindung mit den Art. 6 und 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass das nationale Gericht, das die Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung der Haft eines Drittstaatsangehörigen zu überprüfen hat, anhand der von ihm für relevant erachteten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte prüfen muss, ob die allgemeinen und abstrakten Regeln, mit denen die insoweit geltenden Voraussetzungen und Modalitäten festgelegt werden, beachtet sind, unabhängig davon, auf welche Klagegründe und Argumente der Drittstaatsangehörige seine Klage stützt. Die genannten Bestimmungen stehen einer nationalen Verfahrensregel entgegen, die bewirkt, dass das Gericht daran gehindert ist, diese Prüfung von Amts wegen vorzunehmen und die Freilassung des Drittstaatsangehörigen anzuordnen, wenn es feststellen sollte, dass eine solche Haft dem Unionsrecht zuwiderläuft.

    II. Rechtlicher Rahmen

    A.   Unionsrecht

    7.

    Im Mittelpunkt der vorliegenden Rechtssachen stehen Art. 15 der Richtlinie 2008/115, die Art. 8 und 9 der Richtlinie 2013/33, Art. 28 der Verordnung Nr. 604/2013 sowie die Art. 6 und 47 der Charta.

    B.   Niederländisches Recht

    1. Ausländergesetz

    8.

    Nach Art. 59 Abs. 1 Buchst. a der Vreemdelingenwet 2000 (Ausländergesetz 2000) vom 23. November 2000 in der mit Wirkung vom 31. Dezember 2011 zur Umsetzung der Richtlinie 2008/115 in niederländisches Recht geänderten Fassung ( 6 ) kann ein Ausländer ohne rechtmäßigen Aufenthalt vom Staatssecretaris in Haft genommen werden, wenn das öffentliche Interesse oder die nationale Sicherheit dies erfordern.

    9.

    Nach Art. 59 Abs. 5 Vw 2000 darf die Dauer der in Abs. 1 dieses Artikels bezeichneten Haft grundsätzlich sechs Monate nicht überschreiten. Gemäß Art. 59 Abs. 6 Vw 2000 kann der in Abs. 5 genannte Zeitraum jedoch um einen zusätzlichen Zeitraum von zwölf Monaten verlängert werden, wenn trotz aller vernünftigen Bemühungen zu erwarten ist, dass die Ausweisung länger dauert, weil der Ausländer nicht daran mitwirkt oder weil die hierfür benötigten Dokumente aus dem Drittstaat noch fehlen.

    10.

    Nach Art. 59a Vw 2000 können Ausländer, für die die Verordnung Nr. 604/2013 gilt, unter Beachtung ihres Art. 28 im Hinblick auf ihre Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat in Haft genommen werden.

    11.

    Gemäß Art. 59b Vw 2000 können bestimmte Ausländer, die einen Aufenthaltstitel beantragt haben, in Haft genommen werden, wenn dies zur Feststellung der Identität oder der Staatsangehörigkeit des Antragstellers oder zur Feststellung anderer für die Prüfung seines Antrags erforderlicher Gegebenheiten erforderlich ist, insbesondere wenn die Gefahr der Entziehung besteht.

    12.

    Art. 91 Abs. 2 Vw 2000 lautet:

    „Ist die Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State [(Abteilung für Verwaltungsstreitsachen des Staatsrats, Niederlande)] der Ansicht, dass eine geltend gemachte Rüge nicht zur Nichtigerklärung führen kann, so kann sie sich in der Begründung ihrer Entscheidung auf diese Würdigung beschränken.“

    13.

    In Art. 94 Vw 2000 heißt es:

    „(1)   Spätestens am achtundzwanzigsten Tag nach der Bekanntgabe einer freiheitsentziehenden Maßnahme im Sinne der Art. … 59, 59a und 59b benachrichtigt der [Staatssecretaris] [das zuständige Gericht] davon, es sei denn, der Ausländer hat bereits selbst Klage erhoben. Mit dem Eingang der Benachrichtigung bei [dem zuständigen Gericht] gilt eine Klage des Ausländers gegen die Entscheidung, mit der eine freiheitsentziehende Maßnahme angeordnet wird, als erhoben. Die Klage ist auch auf die Zuerkennung einer Entschädigung gerichtet.

    (4)   Das Gericht beraumt unverzüglich den Termin für die mündliche Verhandlung an. Die Verhandlung findet spätestens am vierzehnten Tag nach Eingang der Klageschrift oder der Benachrichtigung statt. …

    (5)   … Das schriftliche Urteil ergeht binnen sieben Tagen nach Schluss der mündlichen Verhandlung. …

    (6)   Ist das Gericht der Auffassung, dass die Anwendung oder die Durchführung der Maßnahme diesem Gesetz zuwiderläuft oder bei Abwägung aller betroffenen Belange nicht gerechtfertigt ist, so gibt es der Klage statt. In diesem Fall ordnet das Gericht die Aufhebung der Maßnahme oder eine Änderung der Art und Weise ihrer Durchführung an.

    …“

    14.

    In Art. 96 Vw 2000 heißt es:

    „(1)   Wird die in Art. 94 bezeichnete Klage für unbegründet erklärt und erhebt der Ausländer eine Klage gegen die Verlängerung der Freiheitsentziehung, schließt das Gericht die Voruntersuchung binnen einer Woche nach Eingang der Klageschrift ab. …

    (3)   Ist das Gericht der Auffassung, dass die Anwendung oder die Durchführung der Maßnahme diesem Gesetz zuwiderläuft oder bei Abwägung aller betroffenen Belange bei sachgerechter Betrachtung nicht gerechtfertigt ist, so gibt es der Klage statt. In diesem Fall ordnet das Gericht die Aufhebung der Maßnahme oder eine Änderung der Art und Weise ihrer Durchführung an.“

    2. Verwaltungsrechtsgesetz

    15.

    Art. 8:69 der Algemene wet bestuursrecht (Allgemeines Verwaltungsrechtsgesetz) ( 7 ) vom 4. Juni 1992 sieht vor:

    „(1)   Das Verwaltungsgericht entscheidet auf der Grundlage der Klageschrift, der vorgelegten Unterlagen, der Voruntersuchung und der mündlichen Verhandlung.

    (2)   Das Verwaltungsgericht ergänzt die Rechtsgründe von Amts wegen.

    (3)   Das Verwaltungsgericht kann die Sachgründe von Amts wegen ergänzen.“

    16.

    In Art. 8:77 Awb heißt es:

    „(1)   Die schriftliche Entscheidung enthält:

    b.

    die Entscheidungsgründe,

    …“

    III. Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    A.   Die Rechtsstreitigkeiten betreffend B und C (C‑704/20)

    17.

    B, ein algerischer Staatsangehöriger, äußerte seine Absicht, in den Niederlanden einen Asylantrag zu stellen. Mit Beschluss vom 3. Juni 2019 nahm ihn der Staatssecretaris gemäß Art. 59b Vw 2000 in Haft, um u. a. die für die Prüfung seines Antrags erforderlichen Gegebenheiten festzustellen.

    18.

    B erhob bei der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats ’s-Hertogenbosch (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Herzogenbusch, Niederlande) Klage gegen diesen Beschluss.

    19.

    Mit Urteil vom 18. Juni 2019 gab dieses Gericht der Klage ohne Prüfung der geltend gemachten Klagegründe aus dem vom Kläger nicht geltend gemachten Grund statt, dass der Staatssecretaris nicht mit der gebotenen Zügigkeit gehandelt habe. Das Gericht ordnete deshalb die Aufhebung der Haft an und erkannte B eine Entschädigung zu.

    20.

    C ist Staatsangehöriger von Sierra Leone. Mit Beschluss vom 5. Juni 2019 nahm ihn der Staatssecretaris gemäß Art. 59a Vw 2000 in Haft, um seine Überstellung nach Italien gemäß der Verordnung Nr. 604/2013 sicherzustellen.

    21.

    C erhob bei der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats ’s-Hertogenbosch (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Herzogenbusch) Klage gegen diesen Beschluss.

    22.

    Mit Urteil vom 19. Juni 2019 erklärte dieses Gericht die von C geltend gemachten Klagegründe für unbegründet, gab aber der Klage dennoch mit der Begründung statt, dass der Staatssecretaris die Überstellung nach Italien nicht mit der gebotenen Zügigkeit organisiert habe. Das Gericht ordnete deshalb die Aufhebung der Haft an und erkannte C eine Entschädigung zu.

    23.

    Gegen diese Urteile legte der Staatssecretaris beim Raad van State (Staatsrat, Niederlande) Berufung ein. Dieser ersucht den Gerichtshof, über die von B und C sowie von einigen niederländischen Gerichten vertretene These zu entscheiden, dass das Unionsrecht die Gerichte verpflichte, von Amts wegen sämtliche Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit einer Haftmaßnahme zu prüfen.

    24.

    Das vorlegende Gericht stellt fest, dass sich B und C rechtmäßig in den Niederlanden aufgehalten hätten, bevor sie in Haft genommen worden seien. Folglich seien die für die Haft geltenden Regeln in den vorliegenden Fällen die der Richtlinie 2013/33 und der Verordnung Nr. 604/2013, doch sei bei der Prüfung der Vorlagefrage auch die Richtlinie 2008/115 zu berücksichtigen, da diese zahlreiche Aspekte der Haft regele.

    25.

    Für in den unionsrechtlichen Regelungen vorgesehene Haft gelte in den Niederlanden das Verwaltungsverfahrensrecht, nach dem die niederländischen Gerichte nicht befugt seien, von Amts wegen zu prüfen, ob vom Betroffenen nicht geltend gemachte Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen beachtet worden seien. Die einzige Ausnahme von diesem Grundsatz sei die Kontrolle der Beachtung von Bestimmungen zwingenden Rechts, wie etwa derjenigen betreffend den Zugang zu den Gerichten, die Zuständigkeit und die Zulässigkeit.

    26.

    Zu den Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Haft eines Drittstaatsangehörigen gehörten u. a. diejenigen betreffend die Festnahme, die Feststellung der Identität, der Staatsangehörigkeit und des Aufenthaltsrechts, die Überstellung an den Ort, an dem die mündliche Verhandlung stattfinde, den Gebrauch von Handschellen, das Recht auf konsularischen Beistand und auf die Anwesenheit eines Dolmetschers in der mündlichen Verhandlung, die Verteidigungsrechte, das Bestehen von Flucht- oder Entziehungsgefahr, die Aussicht auf eine Abschiebung oder eine Überstellung, die Zügigkeit des Handelns des Staatssecretaris, verfahrensrechtliche Aspekte wie Unterzeichnung und Zeitpunkt des Erlasses der Haftmaßnahme sowie die Frage, ob die Haft im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stehe.

    27.

    Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ergibt sich aus dem Unionsrecht keine Pflicht zur Prüfung aller dieser Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen von Amts wegen. Wie aus dem Urteil vom 7. Juni 2007, van der Weerd u. a. ( 8 ), hervorgehe, verpflichte das Unionsrecht den Richter nicht, in einem Verfahren betreffend die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts von Amts wegen zu prüfen, ob die Bestimmungen des Unionsrechts beachtet worden seien, es sei denn, deren Rang in der Rechtsordnung der Union sei mit dem der Regelungen vergleichbar, die der öffentlichen Ordnung zuzurechnen seien, oder die Parteien könnten in dem betreffenden Verfahren einen Klagegrund der Verletzung von Unionsrecht nicht geltend machen. Die für die Haft geltenden Voraussetzungen hätten aber nicht denselben Rang wie die nationalen Bestimmungen, die der öffentlichen Ordnung zuzurechnen seien, und in den Niederlanden könne ein Ausländer Klagegründe der Verletzung der Haftvoraussetzungen geltend machen.

    28.

    Der Staatssecretaris habe sich in seiner Berufungsschrift auf die Rechtsprechung des vorlegenden Gerichts gestützt, mit der dieses das genannte Urteil in Haftsachen angewandt habe. Zu der Frage, ob die Ausführungen in diesem Urteil auch in Haftsachen heranzuziehen seien, habe sich der Gerichtshof noch nicht geäußert.

    29.

    Zur Erläuterung der Gründe für seine Zweifel hinsichtlich dieser Frage legt das vorlegende Gericht bestimmte Merkmale der gerichtlichen Überprüfung des Verwaltungsverfahrens nach niederländischem Recht dar. So werde gemäß Art. 8:69 Abs. 1 Awb der Rahmen des Rechtsstreits durch die erhobene Klage bestimmt, und das Gericht müsse von Amts wegen nur die Verletzung von Normen prüfen, die der öffentlichen Ordnung zuzurechnen seien. Nach Art. 8:69 Abs. 2 Awb müsse der Richter die Rechtsgründe von Amts wegen ergänzen, was bedeute, dass der Kläger seine Klagegründe nur in seinen eigenen Worten anzuführen brauche und der Richter diese sodann in rechtliche Begriffe übertragen müsse. Der Richter sei nach Art. 8:69 Abs. 3 Awb zudem befugt, den Sachverhalt von Amts wegen zu ergänzen. Von den Parteien werde somit erwartet, dass sie einen Anfangsbeweis erbrächten, den der Richter dann ergänzen könne, etwa indem er Fragen stelle oder Zeugen aufrufe.

    30.

    Darüber hinaus bestünden zusätzliche Bestimmungen und Garantien im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung in Haftsachen, wie die Vorlage einer Haftmaßnahme von Amts wegen an einen Richter, die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Drittstaatsangehörigen, der zügige Erlass einer gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Haft und das Recht auf kostenlosen anwaltlichen Beistand.

    31.

    Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts könnte der Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten für die Möglichkeit sprechen, den Gerichten zu untersagen, bei der gerichtlichen Überprüfung von Haftmaßnahmen Tatsachen oder Rechtsgründe von Amts wegen zu berücksichtigen. Vorerst sei kein Grund ersichtlich, von der bisherigen Rechtsprechung abzurücken, wonach die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität der Anwendung der niederländischen Verfahrensbestimmungen in Haftsachen nicht zwingend entgegenstünden.

    32.

    Was den Äquivalenzgrundsatz betreffe, ergingen die Haftmaßnahmen in einem Verwaltungsverfahren, und für alle derartigen Verfahren gelte der Grundsatz, dass der Richter keine Prüfung von Amts wegen vornehme, soweit es sich nicht um eine Norm handle, die der öffentlichen Ordnung zuzurechnen sei. Die Haftvoraussetzungen nähmen in der Rechtsordnung der Union keinen Platz ein, der dem der nationalen Bestimmungen, die der öffentlichen Ordnung zuzurechnen seien, vergleichbar sei.

    33.

    Was andere nationale Verfahren angehe, die Haftsachen betreffend Drittstaatsangehörige vergleichbar seien, so gelte Art. 8:69 Awb für andere verwaltungsrechtliche Maßnahmen in diese betreffenden Haftsachen, u. a. für die Zwecke der Feststellung ihrer Identität und ihres Aufenthaltsrechts oder im Rahmen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung.

    34.

    Dagegen gelte weder Art. 8:69 Awb noch eine vergleichbare Bestimmung im Verfahren der strafrechtlichen Untersuchungshaft. Der Strafrichter sei daher nicht verpflichtet, sich auf die von einem Verdächtigen oder vom Officier van justitie (Staatsanwaltschaft, Niederlande) geltend gemachten Gründe und Argumente betreffend die Freiheitsentziehung zu beschränken. Im Rahmen des Strafverfahrens verhänge jedoch der Strafrichter selbst die freiheitsentziehende Maßnahme, was einen erheblichen Unterschied zu den verwaltungsrechtlichen Verfahren darstelle, die im Übrigen keinem Strafzweck dienten. Mit der richterlichen Prüfung einer Haftmaßnahme von Amts wegen könne allein die vom Strafrichter vorgenommene Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer vorläufigen Festnahme verglichen werden, bei der dieser Richter nicht auf die vom Verdächtigen geltend gemachten Gründe beschränkt sei. Auch hier stünden aber die Unterschiede zwischen den anwendbaren Verfahrensbestimmungen dem Schluss entgegen, dass die für Haftsachen geltenden Verfahrensbestimmungen nicht mit dem Äquivalenzgrundsatz vereinbar seien.

    35.

    Art. 8:69 Awb verletze auch nicht den Grundsatz der Effektivität, da die in Haft genommenen Drittstaatsangehörigen einen schnellen und kostenlosen Zugang zu den Gerichten hätten und alle ihnen geeignet erscheinenden Gründe vortragen könnten. Diesem Schluss stehe die Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht entgegen. Dieser habe zwar im Urteil vom4. Oktober 2012, Byankov ( 9 ), entschieden, dass die Nichtüberprüfbarkeit eines Verwaltungsakts, der die Freizügigkeit eines Unionsbürgers einschränke, mit dem Effektivitätsgrundsatz nicht vereinbar sei. Die Haftmaßnahmen hätten jedoch eine andere Tragweite, und ihre Überprüfbarkeit werde sowohl durch das Unionsrecht als auch durch das niederländische Recht sichergestellt.

    36.

    Dem vorlegenden Gericht zufolge machen B und C geltend, eine Befugnis der Gerichte zur Prüfung der Haftmaßnahmen von Amts wegen ergebe sich zum einen aus den Urteilen vom 5. Juni 2014, Mahdi ( 10 ), und vom 14. Mai 2020, Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság ( 11 ), wonach die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen unabhängig von den geltend gemachten Klagegründen zu prüfen seien, und zum anderen aus den Urteilen vom 17. Dezember 2009, Martín Martín ( 12 ), und vom 17. Mai 2018, Karel de Grote – Hogeschool Katholieke Hogeschool Antwerpen ( 13 ), die ihrer Ansicht nach entsprechend heranzuziehen seien, soweit der Gerichtshof entschieden habe, dass im Bereich der Verbraucherrechte eine Prüfung von Amts wegen erfolgen müsse, um die zwischen Verbraucher und Gewerbetreibendem bestehende Ungleichheit auszugleichen.

    37.

    Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts geht aus den Urteilen vom 5. Juni 2014, Mahdi ( 14 ), und vom 14. Mai 2020, Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság ( 15 ), nicht eindeutig hervor, ob eine Verpflichtung zur Prüfung sämtlicher Voraussetzungen von Amts wegen besteht, von denen nach dem Unionsrecht die Rechtmäßigkeit der Haft abhängt.

    38.

    Was die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Verbraucherrechten angeht, räumt das vorlegende Gericht ein, dass die in Haft genommenen Personen gegenüber dem Staatssecretaris eine schutzbedürftige Gruppe seien und dass somit eine Ungleichheit bestehe, es betont aber den Unterschied zwischen Verbrauchersachen, in denen die einander gegenüberstehenden Parteien Personen des Privatrechts seien, und Haftsachen, in denen eine natürliche Person einer Verwaltungsbehörde gegenüberstehe. Da Letztere im allgemeinen Interesse handeln und die allgemeinen Grundsätze einer ordnungsgemäßen Verwaltung beachten müsse, sei die Ungleichheit zwischen den Parteien des Rechtsstreits weniger ausgeprägt, wobei das Verwaltungsverfahrensrecht diese Ungleichheit gerade ausgleichen solle. Dagegen gehe das Zivilprozessrecht grundsätzlich von der Gleichheit der Parteien aus, so dass es im Bereich der Verbraucherrechte erforderlich sei, der Ungleichheit abzuhelfen, die darin bestehe, dass dort gewöhnlich der Einzelne einem großen Unternehmen gegenüberstehe.

    39.

    Zu Art. 5 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ( 16 ) schließlich, nach dessen Abs. 4 „[j]ede Person, die festgenommen oder der die Freiheit entzogen ist, … das Recht [hat,] zu beantragen, dass ein Gericht innerhalb kurzer Frist über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheidet und ihre Entlassung anordnet, wenn die Freiheitsentziehung nicht rechtmäßig ist“, führt das vorlegende Gericht aus, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) habe niemals entschieden, dass die Gerichte die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit einer Freiheitsentziehung von Amts wegen prüfen müssten. Er habe im Gegenteil entschieden, dass die Rechtmäßigkeit einer Haft nicht automatisch vom Richter überprüft werden müsse ( 17 ). Aus der Rechtsprechung des EGMR ergebe sich auch nicht, dass eine Vermutung für die Unrechtmäßigkeit der Haft bestehe und diese so lange unrechtmäßig sei, wie der Richter ihre Rechtmäßigkeit nicht ausdrücklich festgestellt habe. Der EGMR habe dagegen die Bedeutung des Rechts des Inhaftierten betont, ein gerichtliches Verfahren einzuleiten und so die Rechtmäßigkeit der Haft zügig von einem Richter überprüfen zu lassen ( 18 ).

    40.

    Aus dem Vorstehenden lasse sich aber nicht ohne Weiteres ableiten, dass der Richter aufgrund von Art. 6 der Charta verpflichtet sei, die Rechtmäßigkeit der Haft von Amts wegen zu prüfen. Indes könne das Unionsrecht einen über die in der EMRK verbürgten Rechte hinausgehenden Schutz gewähren.

    41.

    Der Raad van State (Staatsrat) hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    Verpflichtet das Unionsrecht, insbesondere Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 und Art. 9 der Richtlinie 2013/33 in Verbindung mit Art. 6 der Charta, zu einer Prüfung von Amts wegen in dem Sinne, dass das Gericht verpflichtet ist, von sich aus (ex officio) zu beurteilen, ob alle Voraussetzungen für die Inhaftnahme erfüllt sind, einschließlich der Voraussetzungen, deren Vorliegen der Ausländer nicht in Abrede gestellt hat, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte?

    B.   Der Rechtsstreit betreffend X (C‑39/21)

    42.

    X ist ein 1973 geborener marokkanischer Staatsangehöriger. Mit Beschluss vom 1. November 2020 nahm ihn der Staatssecretaris gemäß Art. 59 Abs. 1 Buchst. a Vw 2000, einer der von den Niederlanden zur Umsetzung der Richtlinie 2008/115 erlassenen Bestimmungen, in Haft. Diese Inhaftnahme sei zum Schutz der öffentlichen Ordnung erforderlich, weil die Gefahr bestehe, dass sich X den Kontrollen entziehe und die Abschiebung vereitle.

    43.

    Mit Urteil vom 14. Dezember 2020 wies die Rechtbank Den Haag, zittingsplaats ’s-Hertogenbosch (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Herzogenbusch) die von X gegen diese Haftmaßnahme erhobene Klage ab. X legte Rechtsmittel gegen dieses Urteil ein. Der Raad van State (Staatsrat) erklärte das Rechtsmittel mit Urteil vom 2. Juni 2021 für unbegründet ( 19 ).

    44.

    Am 8. Januar 2021 erhob X bei der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats ’s-Hertogenbosch (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Herzogenbusch) Klage gegen die Aufrechterhaltung der Haft. Das Vorabentscheidungsersuchen des vorlegenden Gerichts ergeht im Verfahren über diese Klage.

    45.

    Das vorlegende Gericht führt aus, es werde nur die Rechtmäßigkeit der Aufrechterhaltung der Haft ab dem 8. Dezember 2020 prüfen. Die Rechtmäßigkeit der Haft bis zum 7. Dezember 2020 habe es bereits in seinem Urteil von 14. Dezember 2020 geprüft.

    46.

    Zur Stützung seiner Klage macht X das Fehlen einer Aussicht auf Abschiebung innerhalb angemessener Frist geltend. Der Staatssecretaris entgegnet, dass das Verfahren zur Anforderung eines Reisedokuments noch im Gang sei und dass die marokkanischen Behörden nicht mitgeteilt hätten, dass ein solches Dokument nicht übermittelt werde.

    47.

    Das vorlegende Gericht hält eine Klärung der Anforderungen für erforderlich, die sich hinsichtlich des Umfangs der gerichtlichen Überprüfung in Haftsachen betreffend Drittstaatsangehörige aus dem Unionsrecht ergeben.

    48.

    Auch wenn die Bedeutung des Grundsatzes der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten anzuerkennen sei, könne nicht ausgeschlossen werden, dass sowohl die insoweit geltenden Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität als auch die Art. 6, 24 und 47 der Charta den Beschränkungen entgegenstünden, die den niederländischen Gerichten bei ihrer Prüfung der Rechtmäßigkeit der Haft von Drittstaatsangehörigen in den von der Richtlinie 2008/115, der Richtlinie 2013/33 und der Verordnung Nr. 604/2013 erfassten Fällen auferlegt seien.

    49.

    Die niederländische Verfahrensbestimmung, nach der es dem Richter untersagt sei, bei der materiellen Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Haft Sach- und Rechtsgründe von Amts wegen zu berücksichtigen, gelte gleichermaßen, wenn der Betroffene eine „schutzbedürftige Person“ im Sinne des Unionsrechts, wie etwa ein Minderjähriger, sei.

    50.

    Wenn ein Gericht, bei dem eine Klage gegen eine Haftmaßnahme anhängig sei, gleichwohl Sach- oder Rechtsgründe von Amts wegen prüfe, lege der Staatssecretaris systematisch Rechtsmittel zum Raad van State (Staatsrat) ein und habe damit stets Erfolg.

    51.

    Im Ausgangsverfahren verfüge das vorlegende Gericht für die die Zeit ab 8. Dezember 2020 über einen Gesprächsbericht von einer halben Seite und einen Fortgangsbericht vom 8. Januar 2021 mit der Bezeichnung „Modell 120 – Informationen betreffend die Abschiebung“. Letzterer, der vier Seiten umfasse, sei lediglich ein Formblatt, in dem die Behörden die konkreten Maßnahmen aufführten, die sie zur Durchführung der Abschiebung ergriffen. Aus diesem Bericht ergebe sich im Wesentlichen, dass zum einen die Behörden sich erneut schriftlich an die marokkanischen Behörden gewandt hätten mit der Bitte um Auskunft, ob das Ersuchen um Übermittlung von Reisedokumenten in Bearbeitung sei, und dass zum anderen X in seinem Ausreisegespräch vom 6. Januar 2021 angegeben habe, dass er von seinem Haftort aus nichts unternommen habe, um seine Rückkehr nach Marokko zu beschleunigen.

    52.

    Es sei unmöglich, derart summarischen Unterlagen alle Tatsachen zu entnehmen, die für die Beurteilung der Frage relevant seien, ob die Aufrechterhaltung der Haft rechtmäßig sei. Im vorliegenden Fall sei fraglich, warum die niederländischen Behörden der Auffassung seien, dass zum einen eine vernünftige Aussicht auf Abschiebung bestehe, obwohl bereits 21 Erinnerungen an das Ersuchen um Übermittlung eines Reisedokuments ergangen seien, und dass zum anderen die Anordnung einer weniger einschneidenden Maßnahme als Haft nicht in Betracht komme. Selbst wenn diese Behörden in der Lage sein sollten, rechtlich hinreichend zu begründen, dass andere Maßnahmen es nicht erlaubt hätten, die Rückführung an die Grenze vorzubereiten, ohne dass diese dadurch verhindert würde, dass sich X ihr entziehe, sei fraglich, warum die Behörden nicht dennoch aufgrund seiner persönlichen Situation auf die Inhaftierung verzichteten. Dazu ergebe sich u. a. aus den Akten, dass X mit einem Drogenproblem kämpfe. Es sei nicht bekannt, welche speziellen Vorkehrungen in der Hafteinrichtung bestünden, um X bei der Bewältigung dieses Problems zu helfen.

    53.

    Da es nicht befugt sei, derartige Gesichtspunkte von Amts wegen zu prüfen, sieht sich das vorlegende Gericht nicht in der Lage, die Rechtmäßigkeit der Aufrechterhaltung der Haft anhand sämtlicher relevanter Gesichtspunkte zu beurteilen. Dies sei möglicherweise unvereinbar mit dem in Art. 47 der Charta verbürgten Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, zumal gegen Urteile betreffend die Aufrechterhaltung von Haftmaßnahmen kein Rechtsmittel gegeben sei.

    54.

    Für einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz in derartigen Sachen müsse der Richter in der Lage sein, die Beachtung des in Art. 6 der Charta verbürgten Grundrechts auf Freiheit in vollem Umfang sicherzustellen. In Anbetracht von Art. 5 EMRK sowie Art. 6 und Art. 52 Abs. 1 der Charta müsse der Richter die Beachtung des Gebots sicherstellen können, dass die Freiheit nur in bestimmten, abschließend genannten Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden dürfe. So müsse er im Fall einer Haft gemäß Art. 15 der Richtlinie 2008/115 in der Lage sein, umfassend und gründlich zu überprüfen, ob die Anforderungen nach diesem Artikel beachtet seien. Das niederländische Recht in seiner Auslegung durch den Raad van State (Staatsrat) gewährleiste eine solche umfassende Prüfung nicht.

    55.

    Aus dem Unionsrecht ergebe sich, dass der mit einer Klage gegen eine Haft nach der Richtlinie 2008/115, der Richtlinie 2013/33 oder der Verordnung Nr. 604/2013 befasste Richter angesichts der Schwere einer solchen Maßnahme von Amts wegen aktiv und gründlich alle Tatsachen und Gesichtspunkte prüfen und beurteilen müsse, die für die Rechtmäßigkeit der Haft relevant seien, um in allen Fällen, in denen er diese Haft für nicht rechtmäßig erachte, die unverzügliche Freilassung der betroffenen Person anordnen zu können.

    56.

    Der Gerichtshof habe in Rn. 49 des Urteils vom 6. November 2012, Otis u. a. ( 20 ), ausgeführt, dass ein Gericht „nur dann nach Maßgabe von Art. 47 der Charta über Streitigkeiten in Bezug auf Rechte und Pflichten aus dem Unionsrecht entscheiden kann, wenn es über die Befugnis verfügt, alle für die bei ihm anhängige Streitigkeit relevanten Tatsachen- und Rechtsfragen zu prüfen“. Nach den Rn. 36 und 40 des Urteils vom 15. März 2017, Al Chodor ( 21 ), stelle die Inhaftnahme einen schwerwiegenden Eingriff in die Ausübung des in Art. 6 der Charta verankerten Grundrechts auf Freiheit dar, und in den Rn. 62 und 63 des Urteils vom 5. Juni 2014, Mahdi ( 22 ), habe der Gerichtshof entschieden, dass es über die tatsächlichen Umstände und Beweise, die von der Verwaltungsbehörde angeführt würden, die die erstmalige Inhaftnahme angeordnet habe, und die etwaige Stellungnahme des Drittstaatsangehörigen hinaus der über einen Antrag auf Haftverlängerung entscheidenden Justizbehörde möglich sein müsse, jeden anderen für ihre Entscheidung relevanten Umstand zu ermitteln, falls sie dies für erforderlich halte, so dass ihre Befugnisse im Rahmen einer Überprüfung keinesfalls auf die von der betreffenden Verwaltungsbehörde vorgelegten Umstände beschränkt werden könnten.

    57.

    Zudem habe der Gerichtshof in den Rn. 140 und 142 des Urteils vom 14. Mai 2020, Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság ( 23 ), hervorgehoben, dass Art. 47 der Charta nicht durch Bestimmungen des Unionsrechts oder des nationalen Rechts konkretisiert werden müsse, um dem Einzelnen ein Recht zu verleihen, das er geltend machen könne, und dass es Sache des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten sei, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus der Unionsrechtsordnung erwachsenden Rechte gewährleisten sollten, wobei die Mitgliedstaaten allerdings dafür Sorge tragen müssten, dass der Anspruch auf wirksamen gerichtlichen Schutz dieser Rechte in jedem Einzelfall gewahrt sei.

    58.

    Was die Begründungspflicht nach Art. 8:77 Abs. 1 Buchst. b Awb angehe, sehe Art. 91 Abs. 2 Vw 2000 eine Ausnahme in dem Sinne vor, dass sich der Raad van State (Staatsrat) bei der Entscheidung über Rechtsmittel gegen Urteile betreffend eine Inhaftnahme mit einer abgekürzten Begründung begnügen könne, die sich im Wesentlichen auf die Angabe beschränke, dass der Betroffene keine Rügen geltend gemacht habe, die zur Nichtigerklärung führen könnten.

    59.

    Eine solche Ausnahme nehme den Betroffenen ihr Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Art. 47 der Charta sei dahin auszulegen, dass der Zugang zu den Gerichten im Bereich des Ausländerrechts auch das Recht auf eine in der Sache begründete Entscheidung des in zweiter und letzter Instanz entscheidenden Gerichts zumindest dann umfasse, wenn wie im vorliegenden Fall in allen anderen verwaltungs‑, straf- und zivilgerichtlichen Verfahren des in Rede stehenden Mitgliedstaats eine Begründungspflicht bestehe.

    60.

    Die Rechtbank Den Haag, zittingsplaats ’s-Hertogenbosch (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Herzogenbusch) hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1.

    Ist es den Mitgliedstaaten in Anbetracht von Art. 47 in Verbindung mit Art. 6 und Art. 53 der Charta und vor dem Hintergrund von Art. 15 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2008/115, Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2013/33 sowie Art. 28 Abs. 4 der Verordnung Nr. 604/2013 gestattet, das gerichtliche Verfahren, in dem die durch die Behörden angeordnete Abschiebungshaft angefochten werden kann, so auszugestalten, dass es dem Gericht verboten ist, alle Aspekte der Rechtmäßigkeit der Haft von Amts wegen zu untersuchen, zu beurteilen und bei der von Amts wegen erfolgten Feststellung, dass die Haft rechtswidrig ist, diese rechtswidrige Haft unmittelbar zu beenden und die unmittelbare Freilassung des Ausländers anzuordnen? Wenn der Gerichtshof eine solche nationale Regelung für mit dem Unionsrecht unvereinbar hält, bedeutet dies dann auch, dass, wenn der Ausländer bei dem Gericht beantragt, freigelassen zu werden, dieses Gericht immer verpflichtet ist, alle relevanten Tatsachen und Gesichtspunkte der Rechtmäßigkeit der Haft von Amts wegen aktiv und gründlich zu untersuchen und zu beurteilen?

    2.

    Ist Frage 1 in Anbetracht von Art. 24 Abs. 2 der Charta in Verbindung mit Art. 3 Nr. 9 der Richtlinie 2008/115, Art. 21 der Richtlinie 2013/33 und Art. 6 der Verordnung Nr. 604/2013 anders zu beantworten, wenn der von den Behörden inhaftierte Ausländer minderjährig ist?

    3.

    Folgt aus dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, wie es in Art. 47 der Charta verbürgt ist, in Verbindung mit Art. 6 und Art. 53 der Charta und vor dem Hintergrund von Art. 15 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2008/115, Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2013/33 und Art. 28 Abs. 4 der Verordnung Nr. 604/2013, dass das Gericht in jeder Instanz, wenn der Ausländer bei diesem Gericht beantragt, die Abschiebungshaft aufzuheben und ihn freizulassen, jede Entscheidung über diesen Antrag mit einer tragfähigen inhaltlichen Begründung versehen sein muss, wenn der Rechtsbehelf im Übrigen so eingelegt wurde, wie dies in diesem Mitgliedstaat vorgesehen ist? Wenn der Gerichtshof eine nationale Rechtspraxis, wonach sich das Gericht in zweiter und damit letzter Instanz darauf beschränken kann, eine Entscheidung ohne jede inhaltliche Begründung hierfür zu erlassen, angesichts der Art und Weise, wie dieser Rechtsbehelf in diesem Mitgliedstaat im Übrigen ausgestaltet ist, für mit dem Unionsrecht unvereinbar hält, bedeutet dies dann, dass angesichts der Schutzbedürftigkeit des Ausländers, der in ausländerrechtlichen Verfahren betroffenen erheblichen Interessen und der Feststellung, dass diese Verfahren – hinsichtlich des Rechtsschutzes abweichend von allen anderen Verwaltungsverfahren – die gleichen geringen Verfahrensgarantien für den Ausländer wie das Inhaftnahmeverfahren vorsehen, eine solche Befugnis für das in zweiter und damit letzter Instanz in Asylsachen und regulären Ausländersachen entscheidende Gericht auch als mit dem Unionsrecht unvereinbar angesehen werden muss? Sind diese Fragen in Anbetracht von Art. 24 Abs. 2 der Charta anders zu beantworten, wenn der Ausländer, der eine ausländerrechtliche Entscheidung der Behörden anficht, minderjährig ist?

    IV. Verfahren vor dem Gerichtshof

    61.

    Der Gerichtshof hatte zunächst entschieden, die Rechtssache C‑39/21 PPU im Eilvorabentscheidungsverfahren zu behandeln, da sich X bei Eingang des Vorabentscheidungsersuchens in Haft befand und somit seiner Freiheit beraubt war und da die Antwort des Gerichtshofs auf die Vorlagefragen entscheidend dafür sein konnte, ob die Haft zu beenden oder aufrechtzuerhalten war. Wegen ihres Zusammenhangs mit dieser Rechtssache war auch die Rechtssache C‑704/20 im Eilverfahren behandelt worden.

    62.

    Sodann entschied der Gerichtshof, diese beiden Rechtssachen im ordentlichen Verfahren zu behandeln. Diese Entscheidung folgte auf die Mitteilung der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats ’s-Hertogenbosch (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Herzogenbusch) vom 31. März 2021, dass sie mit Zwischenentscheidung vom 26. März 2021 die Haft von X beendet habe.

    63.

    Mit Entscheidung vom 26. April 2021 erkannte die Rechtbank Den Haag, zittingsplaats ’s-Hertogenbosch (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Herzogenbusch) X eine Entschädigung zu mit der Begründung, dass seine Haft nicht rechtmäßig gewesen sei und ihm einen Schaden zugefügt habe. In Erwartung der Antworten des Gerichtshofs auf seine Vorlagefragen setzte dieses Gericht jedoch das Verfahren hinsichtlich der Entscheidung über die Frage aus, ob X eine erhöhte Entschädigung zuerkannt werden kann.

    64.

    X, die niederländische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Zuvor hatte C im Eilverfahren ebenfalls Erklärungen eingereicht. Am 1. März 2022 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden.

    V. Rechtliche Würdigung

    A.   Zur Vorlagefrage in der Rechtssache C‑704/20 und zur ersten Vorlagefrage in der Rechtssache C‑39/21

    65.

    Vorab weise ich darauf hin, dass die auszulegenden Bestimmungen in der Rechtssache C‑39/21 Art. 15 der Richtlinie 2008/115 und in der Rechtssache C‑704/20 Art. 9 der Richtlinie 2013/33 sowie Art. 28 Abs. 4 der Verordnung Nr. 604/2013 ( 24 ) sind. Obwohl die Rechtssache C‑704/20 die gerichtliche Überprüfung der Inhaftnahme betrifft, während es in der Rechtssache C‑39/21 um die gerichtliche Überprüfung der Aufrechterhaltung der Haft geht, werde ich Art. 15 der Richtlinie 2008/115 und Art. 9 der Richtlinie 2013/33 ganz bewusst in ihrer Gesamtheit behandeln, denn wie ich im Folgenden darlegen werde, lassen sich meines Erachtens aus mehreren Bestimmungen dieser Artikel, die in Verbindung miteinander geprüft werden können, Erkenntnisse gewinnen ( 25 ).

    66.

    Im Rahmen der vom Unionsgesetzgeber erlassenen gemeinsamen Normen sind Rechtsgrundlage für die Haft von illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen im Wesentlichen die Art. 15 bis 17 der Richtlinie 2008/115 und für die Haft von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, im Wesentlichen die Art. 8 bis 11 der Richtlinie 2013/33 sowie Art. 28 der Verordnung Nr. 604/2013.

    67.

    Die im Unionsrecht vorgesehenen Haftgründe sind für illegal aufhältige Drittstaatsangehörige in Art. 15 der Richtlinie 2008/115 und für Drittstaatsangehörige, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, in Art. 8 der Richtlinie 2013/33 und Art. 28 der Verordnung Nr. 604/2013 normiert. Diesen Bestimmungen, in denen die für die Inhaftnahme und die Aufrechterhaltung der Haft geltende Regelung festgelegt ist, lassen sich die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Haftmaßnahmen entnehmen. Diese Voraussetzungen betreffen u. a. die Zuständigkeit der Stelle, die den Rechtsakt der Inhaftnahme erlassen hat, die Gefahr der Flucht der in Haft genommenen Person, die Frage, ob weniger einschneidende Maßnahmen als Haft ausreichen würden, die Zügigkeit der Verwaltung beim Betreiben des Abschiebungsverfahrens und den Schutz schutzbedürftiger Personen.

    68.

    Nach diesen Klarstellungen werde ich nun die Vorlagefrage in der Rechtssache C‑704/20 und die erste Vorlagefrage in der Rechtssache C‑39/21 zusammen prüfen. Die Rolle des Richters erscheint mir nämlich nicht grundlegend verschieden je nachdem, ob er über die Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung der Haft zu entscheiden hat ( 26 ) oder ob die Haft im Rahmen der Richtlinie 2008/115, der Richtlinie 2013/33 oder der Verordnung Nr. 604/2013 angeordnet wird. Auch wenn die Gründe für eine Inhaftnahme oder eine Aufrechterhaltung der Haft nicht dieselben sind, gelten doch für die Bestimmung der Rolle des Richters in beiden Fällen dieselben Grundsätze.

    69.

    In Bezug auf die gerichtliche Überprüfung der Inhaftnahme und der Aufrechterhaltung der Haft von Drittstaatsangehörigen hat der Unionsgesetzgeber eine Reihe von gemeinsamen Bestimmungen erlassen.

    70.

    So muss die Inhaftnahme eines illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 ( 27 ) von einer Verwaltungs- oder einer Justizbehörde mit einer schriftlichen und mit Gründen versehenen Entscheidung angeordnet werden. Wird die Inhaftnahme von einer Verwaltungsbehörde angeordnet, muss der betreffende Mitgliedstaat entweder (Fall des Art. 15 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie) „die Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme … innerhalb kurzer Frist gerichtlich überprüfen“ oder (Fall des Art. 15 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie) „den betreffenden Drittstaatsangehörigen das Recht [einräumen,] zu beantragen, dass die Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme innerhalb kurzer Frist gerichtlich überprüft wird“. Zudem muss nach Art. 15 Abs. 3 dieser Richtlinie die Inhaftnahme „entweder auf Antrag der betreffenden Drittstaatsangehörigen oder von Amts wegen … in gebührenden Zeitabständen überprüft [werden]. Bei längerer Haftdauer müssen die Überprüfungen der Aufsicht einer Justizbehörde unterliegen.“

    71.

    In Bezug auf Drittstaatsangehörige und Staatenlose, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, enthält die Richtlinie 2013/33 entsprechende Bestimmungen für die gerichtliche Überprüfung sowohl der Inhaftnahme (Art. 9 Abs. 3 dieser Richtlinie) als auch der Aufrechterhaltung der Haft (Art. 9 Abs. 5 dieser Richtlinie).

    72.

    In allen diesen Bestimmungen sieht der Unionsgesetzgeber eine gerichtliche Überprüfung vor, die entweder auf Antrag des Drittstaatsangehörigen oder von Amts wegen erfolgen kann. Diese Bestimmungen, die angesichts der Bedeutung des Rechts auf Freiheit und der Schwere des in der Inhaftnahme bestehenden Eingriffs in dieses Recht ( 28 ) dem Schutz von Drittstaatsangehörigen vor willkürlicher Inhaftierung dienen, sollen somit gewährleisten, dass in allen Mitgliedstaaten eine gerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle der Entscheidungen besteht, mit denen eine Inhaftnahme und sodann die Aufrechterhaltung der Haft angeordnet werden.

    73.

    Der Unionsgesetzgeber hat jedoch keine gemeinsamen Normen zum Umfang der dem Richter obliegenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung der Haft erlassen. Insbesondere hat er nicht ausdrücklich vorgesehen, dass der Richter bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Inhaftierung sämtliche ihm relevant erscheinenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte prüfen muss, unabhängig von den vor ihm geltend gemachten Gründen und Argumenten. Die Modalitäten dieser Kontrolle fallen somit unter die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten.

    74.

    Es ist zu prüfen, ob sich Art. 8:69 Abs. 1 Awb insoweit, als er den Richter, der die Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung der Haft zu überprüfen hat, auf die Prüfung der von einem Drittstaatsangehörigen geltend gemachten Klagegründe und Argumente beschränkt, innerhalb der Grenzen bewegt, die der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten gezogen sind.

    75.

    Nach ständiger Rechtsprechung ist es dabei mangels einschlägiger Unionsregeln nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, die verfahrensrechtlichen Modalitäten der zum Schutz der Rechte der Bürger bestimmten Rechtsbehelfe festzulegen, vorausgesetzt allerdings, dass sie nicht ungünstiger sind als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte regeln, die dem innerstaatlichen Recht unterliegen (Äquivalenzgrundsatz), und dass sie die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) ( 29 ).

    76.

    Daraus ergibt sich, dass zwei kumulative Voraussetzungen, nämlich die Wahrung des Äquivalenzgrundsatzes und die des Effektivitätsgrundsatzes, erfüllt sein müssen, damit sich ein Mitgliedstaat in Situationen, die dem Unionsrecht unterliegen, auf den Grundsatz der Verfahrensautonomie berufen kann ( 30 ).

    77.

    Zum Effektivitätsgrundsatz hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen innerstaatlichen Stellen zu prüfen ist. Einzubeziehen sind dabei gegebenenfalls u. a. der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens ( 31 ).

    78.

    Dem Effektivitätsgrundsatz ist nur Genüge getan, wenn die in Rede stehende Verfahrensbestimmung dem in Art. 47 der Charta verbürgten Recht auf wirksamen gerichtlichen Schutz entspricht ( 32 ). Somit impliziert die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Wirksamkeit der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte zu gewährleisten, das in Art. 47 der Charta verankerte Erfordernis eines gerichtlichen Rechtsschutzes, das der nationale Richter zu beachten hat. Dieser Schutz muss sowohl für die Bestimmung der Gerichte gelten, die für die Entscheidung über auf Unionsrecht gestützte Klagen zuständig sind, als auch für die Festlegung der Verfahrensmodalitäten für solche Klagen ( 33 ).

    79.

    Damit lässt sich die zentrale Frage in den vorliegenden Rechtssachen wie folgt formulieren: Steht eine nationale Verfahrensbestimmung, die es einem nationalem Gericht verwehrt, von Amts wegen Gründe der Verletzung von Unionsrecht zu prüfen, im Einklang mit dem durch Art. 47 der Charta verbürgten Recht auf wirksamen gerichtlichen Schutz, soweit sie bewirkt, dass dieses Gericht daran gehindert ist, die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme der Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung der Haft anhand sämtlicher Gründe zu prüfen, die zur Rechtfertigung einer solchen Maßnahme geeignet sind, und dabei gegebenenfalls über die vom Kläger geltend gemachten Klagegründe und Argumente hinauszugehen?

    80.

    In anderen Zusammenhängen, in denen es nicht um das durch Art. 6 der Charta garantierte Recht auf Freiheit ging, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Effektivitätsgrundsatz von den nationalen Gerichten grundsätzlich nicht verlangt, von Amts wegen die Frage eines Verstoßes gegen Unionsbestimmungen aufzugreifen, wenn sie durch die Prüfung dieser Frage die Grenzen des Rechtsstreits zwischen den Parteien überschreiten und sich auf andere Tatsachen und Umstände stützen müssten, als sie die Prozesspartei, die ein Interesse an der Anwendung dieser Bestimmungen hat, ihrem Begehren zugrunde gelegt hat ( 34 ).

    81.

    Dem Gerichtshof zufolge wird diese Beschränkung der Befugnis des nationalen Gerichts durch das Prinzip gerechtfertigt, dass die Initiative in einem Prozess den Parteien zusteht und das nationale Gericht folglich, wenn das nationale Verfahrensrecht der betroffenen Partei tatsächlich die Möglichkeit bietet, ein auf Unionsrecht beruhendes Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend zu machen, nur in Ausnahmefällen von Amts wegen tätig werden darf, wenn das öffentliche Interesse sein Eingreifen erfordert ( 35 ).

    82.

    Hierzu stelle ich fest, dass Art. 8:69 Abs. 1 Awb Drittstaatsangehörige nicht daran hindert, mit einem oder mehreren Klagegründen die Unvereinbarkeit ihrer Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung ihrer Haft mit den in den einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts vorgesehenen Voraussetzungen geltend zu machen ( 36 ). Diese nationale Bestimmung hindert demnach das angerufene Gericht nicht an der Prüfung der Klagegründe, auf die der Kläger eine Klage gegen seine Inhaftnahme oder die Aufrechterhaltung seiner Haft stützt. Somit kann dieses Gericht anhand der vor ihm geltend gemachten Klagegründe die uneingeschränkte gerichtliche Nachprüfung vornehmen, deren Bedeutung der Gerichtshof im Urteil vom 5. Juni 2014, Mahdi ( 37 ), bekräftigt hat.

    83.

    Dem Gerichtshof zufolge muss das nationale Gericht im Rahmen der ihm obliegenden Kontrolle in der Lage sein, über alle tatsächlichen Umstände und Beweise zu befinden, die relevant für die Feststellung sind, ob die Inhaftierung eines Drittstaatsangehörigen gerechtfertigt ist. Diesem Gericht muss es somit möglich sein, sowohl die tatsächlichen Umstände und Beweise zu berücksichtigen, die von der Verwaltungsbehörde angeführt werden, die die Inhaftnahme beantragt, als auch jede etwaige Stellungnahme des Drittstaatsangehörigen. Außerdem muss es in der Lage sein, jeden anderen für seine Entscheidung relevanten Umstand zu ermitteln, falls es dies für erforderlich hält. Folglich können die Befugnisse der Justizbehörde keinesfalls auf die von der betreffenden Verwaltungsbehörde vorgetragenen Gesichtspunkte beschränkt werden ( 38 ). Wenn die ursprünglich angeordnete Inhaftnahme nicht mehr gerechtfertigt ist, muss die zuständige Justizbehörde in der Lage sein, die Entscheidung der Verwaltungsbehörde durch ihre eigene Entscheidung zu ersetzen ( 39 ).

    84.

    Für ihre Ansicht, dass Art. 8:69 Abs. 1 Awb im spezifischen Kontext von Haftsachen mit dem Unionsrecht vereinbar sei, macht die niederländische Regierung, wie ich bereits dargelegt habe, geltend, Drittstaatsangehörige seien nicht in ihrer Möglichkeit beschränkt, dem nationalen Gericht alle von ihnen für relevant gehaltenen Rügen vorzutragen, wobei dieses Gericht zudem befugt sei, die von den Drittstaatsangehörigen vorgetragenen Tatsachen in rechtliche Begriffe zu übertragen. Anders als im allgemeinen Verwaltungsrecht bestünden zudem in Haftsachen zusätzliche Garantien, darunter eine systematische Prüfung durch einen Richter auch ohne Vorliegen einer Klage, eine mündliche Verhandlung und der Beistand eines in diesem Bereich spezialisierten Anwalts. Außerdem sei die Verwaltungsbehörde verpflichtet, die Kriterien für die Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme und der Aufrechterhaltung der Haft zu prüfen, so dass es gerechtfertigt sei, dass der Richter nicht erneut eine so umfassende Kontrolle vornehmen müsse, die über die vom Betroffenen geltend gemachten Rügen hinausgehe.

    85.

    Meines Erachtens sind jedoch die vorstehend aufgeführten Garantien nicht geeignet, die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes sicherzustellen, der Drittstaatsangehörigen zusteht, gegen die eine Maßnahme der Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung der Haft angeordnet worden ist, da Art. 8:69 Abs. 1 Awb die volle Wirksamkeit der Klage auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer solchen Maßnahme durch ein Gericht beeinträchtigen kann.

    86.

    Was das in Art. 6 der Charta garantierte Recht auf Freiheit angeht, muss das Recht auf wirksamen gerichtlichen Schutz lückenlos gewährleistet sein und duldet keinen toten Winkel. Seine Tragweite hängt zwar vom jeweiligen konkreten Zusammenhang und den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von der Natur des betreffenden Rechtsakts, dem Kontext seines Erlasses sowie den Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet ( 40 ), doch bin ich der Ansicht, dass das Recht auf wirksamen gerichtlichen Schutz, wenn das Recht auf Freiheit betroffen ist, konsequent und strikt gewährleistet sein muss, indem eine hinsichtlich seines Umfangs und seiner Intensität umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit der freiheitsentziehenden Maßnahmen ermöglicht wird. Diese Gesichtspunkte sprechen meines Erachtens für einen besonderen, der Untersuchung möglicher Beeinträchtigungen des Rechts auf Freiheit angemessenen Ansatz bei der Problematik der Prüfung einer Verletzung von Unionsrecht von Amts wegen.

    87.

    Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, müssen angesichts der Bedeutung des Rechts auf Freiheit und der Schwere des in einer Inhaftierung bestehenden Eingriffs in dieses Recht die Einschränkungen seiner Ausübung auf das absolut Notwendige beschränkt bleiben ( 41 ). Daher ist jede Inhaftierung, die unter die Richtlinie 2008/115, die Richtlinie 2013/33 oder die Verordnung Nr. 604/2013 fällt, in den Bestimmungen dieser Richtlinien und dieser Verordnung streng geregelt, um zum einen die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die eingesetzten Mittel und die angestrebten Ziele und zum anderen die Wahrung der Grundrechte der betreffenden Drittstaatsangehörigen zu gewährleisten ( 42 ). Somit dürfen gemäß den einschlägigen Bestimmungen des abgeleiteten Unionsrechts getroffene Haftmaßnahmen nicht gegen das in Art. 6 der Charta garantierte Recht auf Freiheit der Drittstaatsangehörigen verstoßen, gegen die solche Maßnahmen angeordnet werden ( 43 ).

    88.

    Zudem müssen die Merkmale der Klagen, die die Mitgliedstaaten für Drittstaatsangehörige zur Geltendmachung ihrer Rechte vorsehen, im Einklang mit Art. 47 der Charta bestimmt werden, wonach jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht hat, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen ( 44 ). Denn die Mitgliedstaaten haben bei der Umsetzung des Unionsrechts zu gewährleisten, dass das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, das in Art. 47 Abs. 1 der Charta verankert ist, der den Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Schutzes bekräftigt, gewahrt ist ( 45 ).

    89.

    Dem Gerichtshof zufolge sind außerdem bei einer Entscheidung, mit der die Inhaftnahme oder die Haftverlängerung des betreffenden Drittstaatsangehörigen angeordnet wird, insoweit strenge Garantien, nämlich insbesondere der Schutz vor Willkür, einzuhalten, als diese Entscheidung dessen in Art. 6 der Charta verankertes Recht auf Freiheit verletzen kann. Ein solcher Schutz impliziert aber u. a., dass eine Inhaftierung nur unter Beachtung allgemeiner und abstrakter Regeln, die deren Voraussetzungen und Modalitäten festlegen, angeordnet oder verlängert werden kann ( 46 ). Drittstaatsangehörigen können die ihnen aus diesen Bestimmungen erwachsenden Rechte durch die Effektivität der gerichtlichen Überprüfung der Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung der Haft garantiert werden ( 47 ).

    90.

    Zu beachten ist auch, dass die Beschränkung des Rahmens der Prüfung, die der Richter vorzunehmen hat, wenn er die Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung der Haft kontrolliert, eine Einschränkung des Rechts im Sinne von Art. 47 der Charta auf Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfs bei einem Gericht darstellt, die nach Art. 52 Abs. 1 der Charta nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn sie gesetzlich vorgesehen ist, den Wesensgehalt dieses Rechts achtet und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich ist und den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entspricht ( 48 ).

    91.

    Meines Erachtens liefe es aber sowohl dem Wesensgehalt des in Art. 47 der Charta garantierten Rechts auf wirksamen gerichtlichen Schutz, das einer inhaftierten Person zusteht, als auch dem aus Art. 6 der Charta folgenden Schutz dieser Person vor willkürlicher Inhaftierung zuwider, wäre ein Gericht daran gehindert, deren Freilassung anzuordnen, selbst wenn es auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnisse feststellen sollte, dass die Inhaftierung nicht rechtmäßig ist. Bei jeder anderen Auslegung entstünde eine Lücke im Schutz vor willkürlicher Inhaftierung, was nicht mit der Bedeutung der persönlichen Freiheit in einer demokratischen Gesellschaft vereinbar wäre ( 49 ).

    92.

    Dürfte nämlich ein Gericht nur über Gründe und Argumente befinden, die vor ihm geltend gemacht werden, ohne von Amts wegen andere Gesichtspunkte prüfen zu können, so kann dies dazu führen, dass eine Person in Haft genommen und weiter in Haft gehalten wird, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt sind. Aus mehreren Bestimmungen des abgeleiteten Unionsrechts, mit denen das durch Art. 47 der Charta garantierte Recht auf wirksamen gerichtlichen Schutz und der aus Art. 6 der Charta folgende Schutz dieser Person vor willkürlicher Inhaftierung konkretisiert werden, ergibt sich aber, dass die unverzügliche Freilassung zwingend ist, wenn die Haft nicht rechtmäßig oder nicht länger gerechtfertigt ist. So werden nach Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 „die betreffenden Drittstaatsangehörigen unverzüglich freigelassen“, wenn „die Inhaftnahme nicht rechtmäßig [ist]“. Ebenso ist gemäß Art. 15 Abs. 4 dieser Richtlinie die betreffende Person unverzüglich freizulassen, wenn die Haft nicht länger gerechtfertigt ist, wenn sich also „heraus[stellt], dass aus rechtlichen oder anderweitigen Erwägungen keine hinreichende Aussicht auf Abschiebung mehr besteht oder dass die Bedingungen gemäß Absatz 1 nicht mehr gegeben sind“. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2013/33 wird, „[f]alls sich die Haft infolge der gerichtlichen Überprüfung als unrechtmäßig herausstellt, … der betreffende Antragsteller unverzüglich freigelassen“.

    93.

    Mit den von der niederländischen Regierung angeführten Verfahrensgarantien lässt sich meines Erachtens nicht jede Gefahr ausräumen, dass gegen eine Person deswegen, weil das angerufene Gericht bestimmte Gründe und Argumente nicht von Amts wegen prüfen kann, Maßnahmen der Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung der Haft getroffen werden, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt sind; dies steht in unmittelbarem Widerspruch zu den soeben angeführten Bestimmungen des abgeleiteten Unionsrechts, die im Einklang mit den von der Charta geschützten Grundrechten auszulegen sind.

    94.

    In einer solchen Situation kann der dieser Person zustehende gerichtliche Schutz meiner Ansicht nach nicht als effektiv eingestuft werden. Im Kontext einer Klage gegen eine Maßnahme der Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung der Haft ist nämlich die Effektivität dieser Klage zu verknüpfen mit dem zwingenden Charakter der Freilassung des Drittstaatsangehörigen, wenn die Voraussetzungen für den Erlass einer solchen Maßnahme nicht erfüllt sind. Folglich ist der wirksame gerichtliche Schutz für einen Drittstaatsangehörigen, gegen den eine Maßnahme der Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung der Haft angeordnet worden ist, nicht gewährleistet, wenn das Gericht, das die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme zu überprüfen hat, durch eine nationale Verfahrensbestimmung daran gehindert ist, die Freilassung dieser Person anzuordnen, selbst wenn es auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnisse feststellen sollte, dass kein tragfähiger Haftgrund vorliegt. Zudem kann die Anwendung einer solchen Verfahrensbestimmung in Haftsachen die volle Wirkung der allgemeinen und abstrakten Regeln, die die Voraussetzungen und Modalitäten der Haft festlegen, beeinträchtigen, indem den betreffenden Drittstaatsangehörigen die ihnen aus diesen Regeln erwachsenden Rechte vorenthalten werden.

    95.

    Daher bin ich der Auffassung, dass eine Beschränkung des Umfangs der gerichtlichen Überprüfung auf die vom Kläger geltend gemachten Klagegründe und Argumente zu einer Missachtung der Bestimmungen des abgeleiteten Unionsrechts führen kann, nach denen die nationalen Behörden verpflichtet sind, eine Person freizulassen, gegen die eine nicht rechtmäßige freiheitsentziehende Maßnahme angeordnet worden ist. Somit begrenzt der automatische und zwingende Charakter der Freilassung, wenn die Voraussetzungen für eine Inhaftnahme oder eine Aufrechterhaltung der Haft nicht erfüllt sind, meines Erachtens den Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Verfahrensmodalitäten für gerichtliche Klagen und erlegt ihnen eine Erfolgspflicht auf. Diese besteht darin, zu gewährleisten, dass diese Klagen so ausgestaltet sind, dass inhaftierte Drittstaatsangehörige erreichen können, dass die zuständigen nationalen Behörden diese Haft nicht aufrechterhalten können, wenn die Voraussetzungen für eine solche Maßnahme nicht erfüllt sind. Angesichts der vom Gerichtshof oftmals betonten Bedeutung des Rechts auf Freiheit erscheint es mir besonders unangebracht, hinzunehmen, dass eine nationale Verfahrensbestimmung dazu beitragen kann, Zweifel darüber bestehen zu lassen, ob ein Rechtsakt, mit dem eine Inhaftnahme oder die Aufrechterhaltung der Haft angeordnet wird, rechtmäßig ist ( 50 ).

    96.

    Zu dem vorstehend wiedergegebenen Vorbringen der niederländischen Regierung, die zuständige Verwaltungsbehörde sei verpflichtet, die Kriterien für die Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme und der Aufrechterhaltung der Haft zu prüfen, so dass es gerechtfertigt sei, dass der Richter keine derart umfassende, über die vom Betroffenen geltend gemachten Rügen hinausgehende Überprüfung vornehmen müsse, weise ich mit der Kommission darauf hin, dass die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Haft für die zuständige Verwaltungsbehörde und für den Richter gleichermaßen zwingend sind. Daher halte ich die Ansicht für fragwürdig, dass die Behörde verpflichtet sei, in jedem Fall zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, die Rolle des Richters dagegen in dieser Hinsicht gemäß einer Verfahrensbestimmung beschränkt sein soll, die ihn daran hindert, über die vom Betroffenen geltend gemachten Rügen hinaus zu entscheiden. Anders gesagt erscheint mir eine Beschränkung der Befugnis des Richters, nicht aber der Verwaltungsbehörde sowohl widersprüchlich als auch unvereinbar mit dem zwingenden Charakter der Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Haft.

    97.

    Zudem weise ich darauf hin, dass der Richter Hüter der persönlichen Freiheit ist ( 51 ). Folglich erscheint eine Regelung, nach der die zuständige Verwaltungsbehörde eine erschöpfende Prüfung der Voraussetzungen für die Inhaftierung vornehmen muss, während der Richter, der die Rechtmäßigkeit einer solchen Maßnahme zu überprüfen hat, nicht über eine so weitgehende Befugnis verfügt, unausgewogen und ist nicht geeignet, dem Drittstaatsangehörigen einen wirksamen gerichtlichen Schutz zu garantieren. Dem Richter und nicht dieser Verwaltungsbehörde steht das letzte Wort in der Frage zu, ob eine Maßnahme der Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung der Haft den gesetzlich vorgesehenen zwingenden Voraussetzungen genügt.

    98.

    Aus dem Vorstehenden folgt, dass ein Gericht, das die Rechtmäßigkeit einer Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung von Haft zu kontrollieren hat, die Beachtung der allgemeinen und abstrakten Regeln prüfen muss, die deren Voraussetzungen und Modalitäten festlegen ( 52 ). Mit der Beschränkung dieser Prüfung auf die vom Kläger geltend gemachten Klagegründe und Argumente ist die Anwendung von Art. 8:69 Abs. 1 Awb bei der Kontrolle der Rechtmäßigkeit einer Haftmaßnahme meines Erachtens unvereinbar mit dem Unionsrecht, da sie den Effektivitätsgrundsatz nicht beachtet.

    99.

    Diese Unvereinbarkeit ergibt sich aus meiner Sicht auch daraus, dass die fragliche Verfahrensbestimmung dazu führt, dass der Umfang der gerichtlichen Überprüfung einer freiheitsentziehenden Maßnahme unterschiedlich ist, je nachdem, ob die Haft von einer Verwaltungsbehörde oder von einem Strafrichter angeordnet worden ist.

    100.

    Der Raad van State (Staatsrat) führt, wie dargelegt, in seiner Vorlageentscheidung aus, dass Art. 8:69 Awb nicht in Strafverfahren gelte. Folglich sei der Strafrichter bei seiner Kontrolle der in Rede stehenden freiheitsentziehenden Maßnahme nicht auf die Prüfung der von einem Verdächtigen oder von der Staatsanwaltschaft geltend gemachten Gründe und Argumente beschränkt. Diese Maßnahme werde vom Strafrichter selbst angeordnet, was einen erheblichen Unterschied zur Anordnung einer Haftmaßnahme durch die zuständige Verwaltungsbehörde darstelle.

    101.

    Obwohl mit diesen beiden Arten von Maßnahmen unterschiedliche Ziele verfolgt werden, handelt es sich doch in beiden Fällen um eine freiheitsentziehende Maßnahme, die nur bei Vorliegen gesetzlich festgelegter Voraussetzungen angeordnet werden darf. Meines Erachtens genügt es zur Rechtfertigung eines Unterschieds im Umfang der gerichtlichen Überprüfung nicht, dass freiheitsentziehende Maßnahmen in zwei verschiedenen Bereichen des nationalen Rechts vorgesehen sind, nämlich auf der einen Seite im Strafrecht und auf der anderen im Verwaltungsrecht. Zudem wäre es paradox, wenn eine einer strafbaren Handlung verdächtige Person einen weiter gehenden gerichtlichen Schutz genösse als eine Person, gegen die ein solcher Verdacht nicht besteht.

    102.

    Außerdem halte ich die betreffende nationale Verfahrensbestimmung für unvereinbar damit, dass die Beweispflicht für die Notwendigkeit und die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme der Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung der Haft bei der Behörde liegt, die deren Anordnung beschlossen hat. Denn diese Bestimmung kann dazu führen, dass das angerufene Gericht, wenn der Kläger einen bestimmten Klagegrund oder ein bestimmtes Argument nicht geltend gemacht hat, u. a. nicht prüfen kann, ob die zuständige Behörde dargetan hat, dass eine weniger einschneidende Maßnahme nicht ausgereicht hätte. Unabhängig davon, welche Klagegründe und Argumente der Kläger geltend gemacht hat, muss aber dieses Gericht die Befugnis haben, zu überprüfen, ob die Behörde ihrer Beweispflicht genügt hat. Ist dieses Gericht der Ansicht, dass die ihm von der Behörde vorgelegte Akte, gegebenenfalls vervollständigt durch in der streitigen Erörterung vor ihm gewonnene Erkenntnisse, keine ausreichende Rechtfertigung für eine Maßnahme der Inhaftnahme oder Aufrechterhaltung der Haft bietet, darf es durch keine nationale Verfahrensbestimmung daran gehindert werden, unverzüglich die Freilassung der inhaftierten Person anzuordnen.

    103.

    Meines Erachtens vermag auch der Grundsatz der Rechtssicherheit eine willkürliche Inhaftierung nicht zu rechtfertigen. Was den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf, insbesondere hinsichtlich Verzögerungen durch die Prüfung neuen Vorbringens ( 53 ), angeht, bin ich der Ansicht, dass das Gebot einer zügigen gerichtlichen Überprüfung eine partielle Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Inhaftierung nicht rechtfertigen kann.

    104.

    Zudem ist zu beachten, dass nach Unionsrecht eine Maßnahme der Inhaftnahme oder Aufrechterhaltung der Haft entweder von einer Justizbehörde oder von einer Verwaltungsbehörde angeordnet werden kann.

    105.

    Meiner Ansicht nach muss für die Prüfung durch ein Gericht, das mit einer Klage gegen eine Maßnahme der Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung der Haft befasst ist, dieselbe Kontrolldichte gelten, und sie muss denselben Umfang haben wie die Kontrolle, die dieses Gericht ausübt, wenn es nach nationalem Recht eine solche Anordnung zu erlassen hat.

    106.

    Die Anwendung einer Verfahrensbestimmung wie der hier in Rede stehenden ist jedoch meines Erachtens geeignet, das Erfordernis einer einheitlichen Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Haft in den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Eine variabel ausgestaltete Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Haft erscheint mir unvereinbar mit dem Befund, dass die Voraussetzungen, unter denen eine Haft angeordnet werden kann, Gegenstand einer Harmonisierung durch das abgeleitete Unionsrecht sind. Unterschiede im Umfang dieser Kontrolle zwischen den Mitgliedstaaten sind somit geeignet, die Effektivität der grundlegenden Regeln zu beeinträchtigen, die auf Unionsebene für die Inhaftnahme oder die Aufrechterhaltung der Haft eines Drittstaatsangehörigen gelten.

    107.

    Eine Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des abgeleiteten Unionsrechts dahin, dass das angerufene Gericht die Beachtung der Voraussetzungen für die Inhaftnahme oder die Aufrechterhaltung der Haft eines Drittstaatsangehörigen unabhängig davon prüfen muss, welche Klagegründe und Argumente dieser geltend macht, führt somit zu einer Verringerung der Unterschiede im Umfang des diesem Drittstaatsangehörigen zustehenden gerichtlichen Schutzes je nachdem, ob der betreffende Mitgliedstaat die Zuständigkeit für die Anordnung einer Maßnahme der Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung der Haft einer Justiz- oder einer Verwaltungsbehörde übertragen hat. Ein in allen Mitgliedstaaten einheitlicher gerichtlicher Schutz trägt zweifellos dazu bei, die Effektivität dieses Schutzes gemäß Art. 47 der Charta zu gewährleisten.

    108.

    Meines Erachtens gilt dasselbe Einheitlichkeitserfordernis für die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haft auch unabhängig davon, ob ein Mitgliedstaat sich für eine automatische oder für eine von der betroffenen Person veranlasste Kontrolle entschieden hat.

    109.

    Zusammengefasst bin ich der Ansicht, dass sich die den Mitgliedstaaten belassene Wahl zwischen der Anordnung einer Maßnahme der Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung der Haft durch eine Verwaltungsbehörde oder aber durch eine Justizbehörde zum einen und zwischen gerichtlicher Überprüfung einer solchen Maßnahme von Amts wegen oder auf eine Klage hin zum anderen in der Praxis nicht in Unterschieden zwischen den Mitgliedstaaten im Umfang der gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme niederschlagen darf.

    110.

    Aufgrund aller dieser Gesichtspunkte schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage in der Rechtssache C‑704/20 und die erste Vorlagefrage in der Rechtssache C‑39/21 zu antworten, dass Art. 15 der Richtlinie 2008/115, Art. 9 der Richtlinie 2013/33 und Art. 28 der Verordnung Nr. 604/2013 in Verbindung mit den Art. 6 und 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass das nationale Gericht, das die Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung der Haft eines Drittstaatsangehörigen zu überprüfen hat, anhand der von ihm für relevant erachteten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte prüfen muss, ob die allgemeinen und abstrakten Regeln, mit denen die insoweit geltenden Voraussetzungen und Modalitäten festgelegt werden, beachtet sind, unabhängig davon, auf welche Klagegründe und Argumente der Drittstaatsangehörige seine Klage stützt. Die genannten Bestimmungen stehen einer nationalen Verfahrensregel entgegen, die bewirkt, dass das Gericht daran gehindert ist, diese Prüfung von Amts wegen vorzunehmen und die Freilassung des Drittstaatsangehörigen anzuordnen, wenn es feststellen sollte, dass eine solche Haft dem Unionsrecht zuwiderläuft.

    B.   Zur dritten Vorlagefrage in der Rechtssache C‑39/21

    111.

    Nach Art. 8:77 Abs. 1 Buchst. b Awb muss das mit einer Klage befasste Gericht eine schriftliche Entscheidung erlassen, die zu begründen ist. Gemäß Art. 91 Art. 2 Vw 2000 gilt jedoch eine Ausnahme für Entscheidungen des Raad van State (Staatsrat) über Rechtsmittel gegen Urteile in Haftsachen. In diesem Fall kann sich dieses Gericht, wenn es „der Ansicht [ist], dass eine geltend gemachte Rüge nicht zur Nichtigerklärung führen kann, … in der Begründung [seiner] Entscheidung auf diese Würdigung beschränken“.

    112.

    Das vorlegende Gericht äußert Zweifel, ob diese Möglichkeit einer abgekürzten Begründung, die dem Raad van State (Staatsrat) damit geboten wird, wenn er in zweiter und letzter Instanz über die Rechtmäßigkeit einer Haftanordnung entscheidet, mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

    113.

    Nach Ansicht der niederländischen Regierung ist die dritte Vorlagefrage in der Rechtssache C‑39/21 unzulässig.

    114.

    Es trifft zu, dass die in Art. 91 Abs. 2 Vw 2000 aufgestellte Regel nicht in dem bei der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats ’s-Hertogenbosch (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Herzogenbusch) anhängigen Verfahren (Rechtssache C‑39/21), sondern nur in dem Rechtsmittelverfahren vor dem Raad van State (Staatsrat) (Rechtssache C‑704/20) Anwendung finden kann. Trotzdem habe ich Schwierigkeiten, die dritte Vorlagefrage in der Rechtssache C‑39/21 als völlig unerheblich im Rahmen eines Verfahrens vor der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats ’s-Hertogenbosch (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Herzogenbusch) anzusehen, das die Aufrechterhaltung der Haft eines Drittstaatsangehörigen betrifft.

    115.

    Dieses Gericht legt nämlich in seiner Vorlageentscheidung dar, weshalb die abgekürzte Begründung der Rechtsmittelentscheidungen des Raad van State (Staatsrat) betreffend die Inhaftnahme eines Drittstaatsangehörigen Auswirkungen auf die Durchführung eines nachfolgenden Verfahrens vor ihr betreffend die Aufrechterhaltung dieser Haft haben kann. Es hebt die Bedeutung der letztinstanzlichen Entscheidung im gesamten Verfahren hervor und führt aus, nach Erlass einer Entscheidung des Raad van State (Staatsrat), mit der eine Klage gegen die Maßnahme der Inhaftnahme abgewiesen werde, könne diese Maßnahme fortbestehen, ohne dass der Drittstaatsangehörige Kenntnis von den Gründen für diese Entscheidung erhalten könne ( 54 ). Im Rahmen der Anfechtung der Aufrechterhaltung der Haft eines Drittstaatsangehörigen obliege es jedoch nach niederländischem Recht dessen Anwalt, den Umfang des Rechtsstreits durch den Vortrag des Sachverhalts und der Umstände zu bestimmen, die das Gericht für seine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Haft prüfen müsse. Diese Aufgabe könne erschwert werden, wenn dieser Anwalt nicht die Gründe kenne, aus denen der Raad van State (Staatsrat) den von ihm zuvor erhobenen Rügen gegen die Anordnung der Inhaftnahme nicht gefolgt sei ( 55 ).

    116.

    Da zudem die Rechtbank Den Haag, zittingsplaats ’s-Hertogenbosch (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Herzogenbusch) unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Raad van State (Staatsrat) darlegt, dass dieser dem Gerichtshof hierzu keine Frage zur Vorabentscheidung habe vorlegen wollen ( 56 ), kann ich nicht erkennen, auf welchem anderen als dem von diesem Gericht gewählten Weg dem Gerichtshof die Problematik der Vereinbarkeit der abgekürzten Begründung der Rechtsmittelentscheidungen des Raad van State (Staatsrat) – zumindest im Vorabentscheidungsverfahren – unterbreitet werden könnte ( 57 ).

    117.

    Angesichts all dessen ist nicht offensichtlich, dass die erbetene Auslegung des Unionsrechts in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder das Problem hypothetischer Natur ist ( 58 ), da die Antwort auf die Vorlagefrage der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats ’s-Hertogenbosch (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Herzogenbusch) betreffend die abgekürzte Begründung der Rechtsmittelurteile des Raad van State (Staatsrat) in Haftsachen Auswirkungen auf die nachfolgenden Verfahren bezüglich derselben Inhaftierung haben kann, etwa ein Verfahren, in dem die Aufrechterhaltung der Haft der betreffenden Person angefochten wird, wie es im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C‑39/21 der Fall ist.

    118.

    Folglich muss für die dritte Vorlagefrage in dieser Rechtssache, soweit mit ihr gefragt wird, ob eine Praxis des Raad van State (Staatsrat), seine zweit- und letztinstanzliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme der Inhaftnahme mit einer abgekürzten Begründung zu versehen, mit dem Unionsrecht vereinbar ist, eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit gelten, und sie ist vom Gerichtshof in der Sache zu beantworten. Dafür spricht im Übrigen auch die Verbindung der Rechtssachen C‑704/20 und C‑39/21, da sie es ermöglicht, das gesamte niederländische Verfahren der Kontrolle der Inhaftnahme und der Aufrechterhaltung der Haft in seinen einzelnen Rechtszügen aus der Sicht des in Art. 47 der Charta verbürgten Rechts auf wirksamen gerichtlichen Schutz zu erfassen.

    119.

    In der Sache weise ich darauf hin, dass die Schaffung eines zweiten Rechtszugs gegen Entscheidungen, mit denen eine Inhaftnahme angeordnet wird, und die Bestimmung, die dem Raad van State (Staatsrat) erlaubt, ein bei ihm eingelegtes Rechtsmittel mit einer abgekürzten Begründung zurückzuweisen, Verfahrensmodalitäten sind, mit denen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gegen solche Entscheidungen umgesetzt wird, das in Art. 15 Abs. 2 der in der Rechtssache C‑39/21 allein einschlägigen Richtlinie 2008/115 konkretisiert wird ( 59 ). Diese Modalitäten müssen den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität entsprechen ( 60 ). Bei der Prüfung der Frage, ob dies der Fall ist, sind die Stellung der betroffenen Vorschriften im gesamten Verfahren vor den verschiedenen nationalen Stellen, dessen Ablauf und die Besonderheiten dieser Vorschriften zu berücksichtigen ( 61 ).

    120.

    Zum Effektivitätsgrundsatz hebt das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑39/21 hervor, dass nur in ausländerrechtlichen Verwaltungsverfahren, die von Drittstaatsangehörigen und Unionsbürgern eingeleitet würden, für den im zweiten und letzten Rechtszug entscheidenden Raad van State (Staatsrat) eine Ausnahme von der Begründungpflicht und eine Befugnis bestehe, ohne Begründung in der Sache zu entscheiden.

    121.

    Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt der Äquivalenzgrundsatz die Gleichbehandlung auf einen Verstoß gegen nationales Recht gestützter Rechtsbehelfe und gleichartiger auf einen Verstoß gegen Unionsrecht gestützter Rechtsbehelfe, nicht aber die Gleichwertigkeit nationaler Verfahrensvorschriften, die für Streitsachen unterschiedlicher Natur gelten ( 62 ). Somit ist zum einen zu ermitteln, welche Verfahren oder Rechtsbehelfe miteinander zu vergleichen sind, und zum anderen festzustellen, ob die auf nationales Recht gestützten Rechtsbehelfe günstiger behandelt werden als die Rechtsbehelfe, mit denen die den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte durchgesetzt werden sollen ( 63 ). Was die Vergleichbarkeit der Rechtsbehelfe angeht, ist es Sache des nationalen Gerichts mit seiner unmittelbaren Kenntnis der anwendbaren Verfahrensmodalitäten, die Gleichartigkeit der betreffenden Rechtsbehelfe unter dem Gesichtspunkt ihres Gegenstands, ihres Rechtsgrundes und ihrer wesentlichen Merkmale zu prüfen ( 64 ). Was die gleichartige Behandlung der Rechtsbehelfe betrifft, hat das nationale Gericht bei der Untersuchung jedes Falles, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift für Rechtsbehelfe, die auf das Unionsrecht gestützt sind, ungünstiger ist als diejenigen, die gleichartige Rechtsbehelfe des innerstaatlichen Rechts betreffen, die Stellung der betroffenen Vorschriften im gesamten Verfahren vor den verschiedenen nationalen Stellen, den Verfahrensablauf und die Besonderheiten dieser Vorschriften zu berücksichtigen ( 65 ).

    122.

    Meines Erachtens erlauben die dem Gerichtshof vorliegenden Gesichtspunkte diesem nicht die Feststellung, dass die in Art. 91 Abs. 2 Vw 2000 vorgesehene Regelung den Äquivalenzgrundsatz verletzt, da mir nicht dargetan zu sein scheint, dass gleichartige auf innerstaatliches Recht gestützte Klagen günstiger behandelt werden. Daher ist es Sache des vorlegenden Gerichts, die Beachtung dieses Grundsatzes unter Berücksichtigung der aus der angeführten Rechtsprechung gewonnenen Erkenntnisse zu prüfen.

    123.

    Zum Effektivitätsgrundsatz habe ich bereits ausgeführt, dass dieser nicht mehr als die Wahrung der Grundrechte der Charta, insbesondere des Rechts auf wirksamen gerichtlichen Schutz, verlangt ( 66 ).

    124.

    Das Recht auf wirksamen gerichtlichen Schutz gegen eine Entscheidung, mit der eine Inhaftnahme angeordnet wird, wie es durch Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 konkretisiert wird ( 67 ), verlangt eine gerichtliche Überprüfung von Amts wegen oder das Bestehen eines gerichtlichen Rechtsbehelfs auf Initiative der betroffenen Person, nicht jedoch die Schaffung eines zweizügigen gerichtlichen Schutzes. Ein solches Erfordernis wird auch in Art. 15 Abs. 3 dieser Richtlinie hinsichtlich der Aufrechterhaltung oder der Verlängerung der Haft nicht erwähnt.

    125.

    Überdies erscheint es mir für das Recht auf wirksamen gerichtlichen Schutz wesentlich, dass der Drittstaatsangehörige, der seine Inhaftnahme und sodann, wie im vorliegenden Fall, die Aufrechterhaltung der Haft anficht, die Gründe für die Abweisung seiner Klage kennt, was der Fall ist, da nach niederländischem Recht das Gericht des ersten Rechtszugs seine Entscheidung über diese Klage begründen muss. Sollte der Gerichtshof meinem Antwortvorschlag zu der vom Richter von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung der Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme folgen, könnte dies zudem die Begründung des erstinstanzlichen Urteils nur stärken.

    126.

    Des Weiteren ist zu beachten, dass die Voraussetzungen, unter denen sich der Raad van State (Staatsrat) mit einer abgekürzten Begründung begnügen kann, im niederländischen Recht geregelt sind. Den Erläuterungen der niederländischen Regierung zufolge ist nämlich eine abgekürzte Begründung nur zulässig, wenn das Rechtsmittel gegen die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zurückgewiesen wird. Da zudem das Rechtsmittelverfahren dem Raad van State (Staatsrat) ermöglichen soll, für die Einheitlichkeit und die Entwicklung des Rechts zu sorgen, kann sich dieses Gericht nur unter der Voraussetzung, dass diese beiden Erfordernisse keine Begründung in der Sache gebieten, auf eine abgekürzte Begründung beschränken. Greift der Raad van State (Staatsrat) zu dieser Form der Begründung, so bringt er, wie ich die betreffende Verfahrensbestimmung verstehe, damit zum Ausdruck, dass er sich der Begründung und dem Ergebnis des erstinstanzlichen Urteils anschließt.

    127.

    Nach alledem bin ich der Ansicht, dass die Verfahrensbestimmung des Art. 91 Abs. 2 Vw 2000, so verstanden, den Effektivitätsgrundsatz wahrt.

    128.

    Daraus folgt meines Erachtens, dass Art. 15 der Richtlinie 2008/115 in Verbindung mit den Art. 6 und 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass er vorbehaltlich der – vom vorlegenden Gericht zu prüfenden – Beachtung des Äquivalenzgrundsatzes einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, wonach ein nationales Gericht, das im zweiten und letzten Rechtszug über ein Rechtsmittel gegen ein erstinstanzliches Urteil entscheidet, mit dem über die Rechtmäßigkeit einer Inhaftnahme entschieden worden ist, sein Urteil mit einer abgekürzten Begründung versehen kann, soweit dies bedeutet, dass es sich der Begründung und dem Ergebnis des erstinstanzlichen Urteils anschließt.

    C.   Zur zweiten Vorlagefrage und zur dritten Vorlagefrage a. E. in der Rechtssache C‑39/21

    129.

    Das vorlegende Gericht fragt den Gerichtshof, ob die erste und die dritte Vorlagefrage anders zu beantworten sind, wenn der inhaftierte Drittstaatsangehörige minderjährig ist.

    130.

    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist das in Art. 267 AEUV vorgesehene Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen ihm und den nationalen Gerichten. Folglich ist es allein Sache der mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichte, die die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung tragen, im Hinblick auf die Besonderheiten der einzelnen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihnen vorgelegten Fragen zu beurteilen. Folglich ist der Gerichtshof grundsätzlich zu einer Entscheidung verpflichtet, wenn die von den nationalen Gerichten vorgelegten Fragen die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts betreffen ( 68 ).

    131.

    Die Entscheidung über die Vorlagefrage eines nationalen Gerichts kann indes u. a. dann abgelehnt werden, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder das Problem hypothetischer Natur ist ( 69 ).

    132.

    Letzteres ist jedoch der Fall bei der zweiten Frage und der dritten Frage a. E. in der Rechtssache C‑39/21. Offenkundig stehen diese Fragen nämlich in keinerlei Zusammenhang mit dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits, in dem es nicht um einen Minderjährigen geht. Daher haben diese Fragen hypothetischen Charakter.

    133.

    Folglich sind die zweite Frage und die dritte Frage a. E. in der Rechtssache C‑39/21 meines Erachtens unzulässig.

    VI. Ergebnis

    134.

    Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt auf die Vorlagefragen des Raad van State (Staatsrat, Niederlande) in der Rechtssache C‑704/20 und der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats ’s-Hertogenbosch (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Herzogenbusch, Niederlande) in der Rechtssache C‑39/21 zu antworten:

    1.

    Art. 15 der Richtlinie 2008/115 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, Art. 9 der Richtlinie 2013/33 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, und Art. 28 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, in Verbindung mit den Art. 6 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass das nationale Gericht, das die Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme oder der Aufrechterhaltung der Haft eines Drittstaatsangehörigen zu überprüfen hat, anhand der von ihm für relevant erachteten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte prüfen muss, ob die allgemeinen und abstrakten Regeln, mit denen die insoweit geltenden Voraussetzungen und Modalitäten festgelegt werden, beachtet sind, unabhängig davon, auf welche Klagegründe und Argumente der Drittstaatsangehörige seine Klage stützt. Die genannten Bestimmungen stehen einer nationalen Verfahrensregel entgegen, die bewirkt, dass das Gericht daran gehindert ist, diese Prüfung von Amts wegen vorzunehmen und die Freilassung des Drittstaatsangehörigen anzuordnen, wenn es feststellen sollte, dass eine solche Haft dem Unionsrecht zuwiderläuft.

    2.

    Art. 15 der Richtlinie 2008/115 in Verbindung mit den Art. 6 und 47 der Charta der Grundrechte ist dahin auszulegen, dass er vorbehaltlich der – vom vorlegenden Gericht zu prüfenden – Beachtung des Äquivalenzgrundsatzes einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, wonach ein nationales Gericht, das im zweiten und letzten Rechtszug über ein Rechtsmittel gegen ein erstinstanzliches Urteil entscheidet, mit dem über die Rechtmäßigkeit einer Inhaftnahme entschieden worden ist, sein Urteil mit einer abgekürzten Begründung versehen kann, soweit dies bedeutet, dass es sich der Begründung und dem Ergebnis des erstinstanzlichen Urteils anschließt.

    3.

    Die zweite Frage und die dritte Frage a. E. in der Rechtssache C‑39/21 sind unzulässig.


    ( 1 ) Originalsprache: Französisch.

    ( 2 ) Vgl. hierzu Boiteux-Picheral, C., „L’équation liberté, sécurité, justice au prisme de la rétention des demandeurs d’asile“, Sa Justice – L’Espace de Liberté, de Sécurité et de Justice – Liber amicorum en hommage à Yves Bot, Bruylant, Brüssel, 2022, S. 605.

    ( 3 ) ABl. 2008, L 348, S. 98.

    ( 4 ) ABl. 2013, L 180, S. 96.

    ( 5 ) ABl. 2013, L 180, S. 31.

    ( 6 ) Stb. 2000, Nr. 495, im Folgenden: Vw 2000).

    ( 7 ) Stb. 1992, Nr. 315, im Folgenden: Awb.

    ( 8 ) C‑222/05 bis C‑225/05, EU:C:2007:318.

    ( 9 ) C‑249/11, EU:C:2012:608.

    ( 10 ) C‑146/14 PPU, EU:C:2014:1320.

    ( 11 ) C‑924/19 PPU und C‑925/19 PPU, EU:C:2020:367.

    ( 12 ) C‑227/08, EU:C:2009:792.

    ( 13 ) C‑147/16, EU:C:2018:320.

    ( 14 ) C‑146/14 PPU, EU:C:2014:1320.

    ( 15 ) C‑924/19 PPU und C‑925/19 PPU, EU:C:2020:367.

    ( 16 ) Unterzeichnet in Rechtsmittel am 4. November 1950, im Folgenden: EMRK.

    ( 17 ) Vgl. EGMR, Urteil vom 19. Mai 2016, J. N./Vereinigtes Königreich (CE:ECHR:2016:0519JUD003728912, § 87).

    ( 18 ) Vgl. EGMR, Urteile vom 28. Oktober 2003, Rakevich/Russland, (CE:ECHR:2003:1028JUD005897300, § 43), und vom 9. Juli 2009, Mooren/Deutschland (CE:ECHR:2009:0709JUD001136403, § 106).

    ( 19 ) Vgl. Urteil des Raad van State (Staatsrat) vom 9. Juni 2021 (Nr. 202006815/1/V3, NL:RVS:2021:1155), im Internet abrufbar unter https://uitspraken.rechtspraak.nl/inziendocument?id=ECLI:NL:RVS:2021:1155.

    ( 20 ) C‑199/11, EU:C:2012:684.

    ( 21 ) C‑528/15, EU:C:2017:213.

    ( 22 ) C‑146/14 PPU, EU:C:2014:1320.

    ( 23 ) C‑924/19 PPU und C‑925/19 PPU, EU:C:2020:367.

    ( 24 ) Diese Bestimmung verweist u. a. auf Art. 9 der Richtlinie 2013/33.

    ( 25 ) So scheint zwar Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie 2008/115 in der Rechtssache C‑39/21 besonders relevant zu sein, da die Klage gegen die Aufrechterhaltung der Haft als eine Modalität der in Satz 1 dieser Bestimmung vorgeschriebenen „[Überprüfung der Inhaftnahme] in gebührenden Zeitabständen“ anzusehen ist, doch sind bei der Untersuchung meines Erachtens die übrigen Bestimmungen dieses Artikels zu berücksichtigen, insbesondere Abs. 1, der die Haftgründe betrifft, und Abs. 2, in dem der Grundsatz und bestimmte Modalitäten der gerichtlichen Kontrolle der Inhaftnahme festgelegt werden. Ich weise zudem darauf hin, dass im niederländischen Recht die gerichtliche Kontrolle der Inhaftnahme und die der Aufrechterhaltung der Haft eng zusammenhängen, da, wie die niederländische Regierung in ihren Erklärungen ausführt, im Verfahren über eine Klage gegen die Aufrechterhaltung der Haft sämtliche Voraussetzungen für die Inhaftnahme grundsätzlich erneut geprüft werden können.

    ( 26 ) Wie der Gerichtshof bereits ausgeführt hat, sind Inhaftnahme und Haftverlängerung vergleichbar, weil dem betreffenden Drittstaatsangehörigen durch beide die Freiheit entzogen wird: vgl. zur Richtlinie 2008/115 Urteil vom 10. März 2022, Landkreis Gifhorn (C‑519/20, EU:C:2022:178, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dasselbe lässt sich für Inhaftnahme und Aufrechterhaltung der Haft sagen.

    ( 27 ) Dem Gerichtshof zufolge ist diese Bestimmung wie auch Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2013/33 in dem betreffenden Bereich eine „Konkretisierung“ des in Art. 47 der Charta garantierten Anspruchs auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz (Urteil vom 14. Mai 2020, Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság,C‑924/19 PPU und C‑925/19 PPU, EU:C:2020:367, Rn. 289).

    ( 28 ) Vgl. u. a. Urteil vom 25. Juni 2020, Ministerio Fiscal (Behörde, bei der ein Antrag auf internationalen Schutz wahrscheinlich gestellt wird) (C‑36/20 PPU, EU:C:2020:495, Rn. 105 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 29 ) Vgl. u. a. Urteile vom 10. März 2021, Konsul Rzeczypospolitej Polskiej w N. (C‑949/19, EU:C:2021:186, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung), vom 15. April 2021, État belge (Nach der Überstellungsentscheidung eingetretene Umstände) (C‑194/19, EU:C:2021:270, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 22. April 2021, Profi Credit Slovakia (C‑485/19, EU:C:2021:313, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 30 ) Vgl. Urteil vom 17. März 2016, Bensada Benallal (C‑161/15, EU:C:2016:175, Rn. 25).

    ( 31 ) Vgl. u. a. Urteil vom 9. September 2020, Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides (Ablehnung eines Folgeantrags – Klagefrist) (C‑651/19, EU:C:2020:681, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 32 ) Vgl. dazu Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache An tAire Talmhaíochta Bia agus Mara u. a. (C‑64/20, EU:C:2021:14), in denen er ausführt, dass sich „das Erfordernis der Effektivität, die als Voraussetzung für die Anwendung des Grundsatzes der Verfahrensautonomie verstanden … wird, in der Praxis mit dem Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 47 der Charta [deckt]“ (Nr. 41).

    ( 33 ) Vgl. u. a. Urteile vom 17. Juli 2014, Sánchez Morcillo und Abril García (C‑169/14, EU:C:2014:2099, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 22. April 2021, Profi Credit Slovakia (C‑485/19, EU:C:2021:313, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dem Gerichtshof zufolge „verlangt [der Effektivitätsgrundsatz] nicht mehr als die Wahrung der Grundrechte der Charta, insbesondere des Rechts auf einen wirksamen Rechtsschutz“: vgl. Urteil vom 26. September 2018, Staatssecretaris van Veiligheid en justitie (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑180/17, EU:C:2018:775, Rn. 43).

    ( 34 ) Vgl. u. a. Urteile vom 14. Dezember 1995, van Schijndel und van Veen (C‑430/93 und C‑431/93, EU:C:1995:441, Rn. 22), und vom 7. Juni 2007, van der Weerd u. a. (C‑222/05 bis C‑225/05, EU:C:2007:318, Rn. 36). Vgl. auch aus jüngerer Zeit Urteil vom 25. März 2021, Balgarska Narodna Banka (C‑501/18, EU:C:2021:249, Rn. 135 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 35 ) Vgl. u. a. Urteil vom 26. April 2017, Farkas (C‑564/15, EU:C:2017:302, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 36 ) Vgl. u. a. entsprechend Urteil vom 26. April 2017, Farkas (C‑564/15, EU:C:2017:302, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 37 ) C‑146/14 PPU, EU:C:2014:1320.

    ( 38 ) Vgl. Urteil vom 5. Juni 2014, Mahdi (C‑146/14 PPU, EU:C:2014:1320, Rn. 62). Vgl. auch Urteil vom 10. März 2022, Landkreis Gifhorn (C‑519/20, EU:C:2022:178, Rn. 65).

    ( 39 ) Vgl. Urteile vom 5. Juni 2014, Mahdi (C‑146/14 PPU, EU:C:2014:1320, Rn. 62), und vom 14. Mai 2020, Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság (C‑924/19 PPU und C‑925/19 PPU, EU:C:2020:367, Rn. 293).

    ( 40 ) Vgl. u. a. Urteile vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi (C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 102), vom 9. Februar 2017, M (C‑560/14, EU:C:2017:101, Rn. 33), und vom 26. Juli 2017, Sacko (C‑348/16, EU:C:2017:591, Rn. 41).

    ( 41 ) Vgl. u. a. Urteil vom 14. September 2017, K. (C‑18/16, EU:C:2017:680, Rn. 40), und vom 15. Februar 2016, N. (C‑601/15 PPU, EU:C:2016:84, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 42 ) Vgl. u. a. zur Richtlinie 2008/115 Urteil vom 10. März 2022, Landkreis Gifhorn (C‑519/20, EU:C:2022:178, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Gerichtshof hat auch ausgeführt, dass der Begriff der Haft im Sinne der Richtlinien 2008/115 und 2013/33 „denselben Inhalt hat“: vgl. Urteil vom 14. Mai 2020, Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság (C‑924/19 PPU und C‑925/19 PPU, EU:C:2020:367, Rn. 224). Zudem ergibt sich dem Gerichtshof zufolge sowohl aus dem Wortlaut und dem Kontext als auch aus der Entstehungsgeschichte von Art. 8 der Richtlinie 2013/33, dass diese Befugnis von der Einhaltung einer Reihe von Voraussetzungen abhängt, mit denen der Rückgriff auf eine solche Maßnahme eng begrenzt werden soll: vgl. u. a. Urteile vom 14. September 2017, K. (C‑18/16, EU:C:2017:680, Rn. 41), und vom 15. Februar 2016, N. (C‑601/15 PPU, EU:C:2016:84, Rn. 57).

    ( 43 ) Vgl. u. a. zur Richtlinie 2008/115 Urteil vom 10. März 2022, Landkreis Gifhorn (C‑519/20, EU:C:2022:178, Rn. 41).

    ( 44 ) Vgl. u. a. Urteile vom 10. März 2021, Konsul Rzeczypospolitej Polskiej w N. (C‑949/19, EU:C:2021:186, Rn. 44), und vom 24. November 2020, Minister van Buitenlandse Zaken (C‑225/19 und C‑226/19, EU:C:2020:951, Rn. 42).

    ( 45 ) Vgl. u. a. Urteil vom 15. April 2021, État belge (Nach der Überstellungsentscheidung eingetretene Umstände) (C‑194/19, EU:C:2021:270, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 46 ) Vgl. u. a. Urteil vom 10. März 2022, Landkreis Gifhorn (C‑519/20, EU:C:2022:178, Rn. 62). Im Urteil vom 15. Februar 2016, N. (C‑601/15 PPU, EU:C:2016:84), hat sich der Gerichtshof auf die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 5 Abs. 1 EMRK bezogen, wonach die Vereinbarkeit der Durchführung einer freiheitsentziehenden Maßnahme mit dem Ziel des Schutzes des Einzelnen vor Willkür u. a. voraussetzt, dass sie frei von Elementen von Bösgläubigkeit oder Täuschung seitens der Behörden ist, dass sie mit dem Ziel der nach dem einschlägigen Unterabsatz von Art. 5 Abs. 1 EMRK zulässigen Einschränkungen im Einklang steht und dass der angeführte Grund in angemessenem Verhältnis zu der fraglichen Freiheitsentziehung steht (Rn. 81 dieses Urteils mit Verweis auf EGMR, Urteil vom 29. Januar 2008, Saadi/Vereinigtes Königreich. CE:ECHR:2008:0129JUD001322903, §§ 68 bis 74).

    ( 47 ) Vgl. hierzu Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache D. H. (C‑704/17, EU:C:2019:85), wonach „die Effektivität der gerichtlichen Überprüfung der Haftanordnungen darüber [entscheidet], ob die materiellen Voraussetzungen in Art. 8 und die Garantien in Art. 9 der Richtlinie 2013/33 im Licht von Art. 47 der Charta die Antragsteller so schützen, wie dies vorgesehen ist“ (Nr. 70).

    ( 48 ) Vgl. entsprechend zur Bestellung einer Wohlverhaltenssicherheit als Voraussetzung dafür, einen Rechtsbehelf im Bereich des öffentlichen Auftragswesens prüfen lassen zu können, Urteil vom 15. September 2016, Star Storage u. a. (C‑439/14 und C‑488/14, EU:C:2016:688, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch entsprechend zu einer Pflicht, die verfügbaren Verwaltungsrechtsbehelfe auszuschöpfen, bevor eine Klage auf Feststellung einer Verletzung des Rechts auf Schutz personenbezogener Daten erhoben werden kann, Urteil vom 27. September 2017, Puškár (C‑73/16, EU:C:2017:725, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 49 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. September 2019, Rayonna prokuratura Lom (C‑467/18, EU:C:2019:765, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung des EGMR).

    ( 50 ) Hier lehne ich mich an die Formulierung an, die der Gerichtshof in einem anderen Bereich im Urteil vom 17. Dezember 1959, Société des fonderies de Pont-à-Mousson/Hohe Behörde (14/59, EU:C:1959:31, S. 493), verwendet hat.

    ( 51 ) Damit gewährt Art. 5 Abs. 4 EMRK inhaftierten Personen ein Recht auf „zügige“ gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung sowie auf deren Beendigung bei Feststellung ihrer Unrechtmäßigkeit: vgl. u. a. EGMR, Urteil vom 4. Dezember 2018, Ilnseher/Deutschland (CE:ECHR:2018:1204JUD001021112, § 251).

    ( 52 ) Im Zusammenhang mit dem Drogenproblem von X in der Rechtssache C‑39/21 bin ich der Ansicht, dass zu diesen Regeln Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2008/115 gehört, wonach „[b]esondere Aufmerksamkeit … der Situation schutzbedürftiger Personen [gilt]“ und „[m]edizinische Notfallversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten … gewährt [werden]“.

    ( 53 ) Vgl. u. a. Urteile vom 7. Juni 2007, van der Weerd u. a. (C‑222/05 bis C‑225/05, EU:C:2007:318, Rn. 38), und vom 7. August 2018, Hochtief (C‑300/17, EU:C:2018:635, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 54 ) Vorlageentscheidung in der Rechtssache C‑39/21, Nr. 44.

    ( 55 ) Vorlageentscheidung in der Rechtssache C‑39/21, Nr. 48.

    ( 56 ) Vorlageentscheidung in der Rechtssache C‑39/21, Nr. 47.

    ( 57 ) Es wäre zwar denkbar, dass der Gerichtshof im Rahmen einer Klage wegen Vertragsverletzung mit dieser Problematik befasst werden könnte. Gleichwohl überzeugt mich die Darlegung der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats ’s-Hertogenbosch (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Herzogenbusch) davon, dass diese Problematik wegen ihrer potenziellen Auswirkungen auf das bei ihr anhängige Verfahren im Rahmen des von diesem Gericht eingeleiteten Dialogs zwischen Gerichten geprüft werden muss.

    ( 58 ) Vgl. u. a. Urteil vom 29. Juli 2019, Hochtief Solutions Magyarországi Fióktelepe (C‑620/17, EU:C:2019:630, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 59 ) Vgl. u. a. entsprechend Urteile vom 26. September 2018, Belastingdienst/Toeslagen (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑175/17, EU:C:2018:776, Rn. 38), und vom 26. September 2018, Staatssecretaris van Veiligheid en justitie (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑180/17, EU:C:2018:775, Rn. 34).

    ( 60 ) Vgl. u. a. Urteile vom 26. September 2018, Belastingdienst/Toeslagen (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑175/17, EU:C:2018:776, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 26. September 2018, Staatssecretaris van Veiligheid en justitie (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑180/17, EU:C:2018:775, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 61 ) Vgl. u. a. Urteile vom 26. September 2018, Belastingdienst/Toeslagen (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑175/17, EU:C:2018:776, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 26. September 2018, Staatssecretaris van Veiligheid en justitie (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑180/17, EU:C:2018:775, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 62 ) Vgl. u. a. Urteile vom 26. September 2018, Belastingdienst/Toeslagen (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑175/17, EU:C:2018:776, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 26. September 2018, Staatssecretaris van Veiligheid en justitie (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑180/17, EU:C:2018:775, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 63 ) Vgl. u. a. Urteile vom 26. September 2018, Belastingdienst/Toeslagen (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑175/17, EU:C:2018:776, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 26. September 2018, Staatssecretaris van Veiligheid en justitie (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑180/17, EU:C:2018:775, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 64 ) Vgl. u. a. Urteile vom 26. September 2018, Belastingdienst/Toeslagen (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑175/17, EU:C:2018:776, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 26. September 2018, Staatssecretaris van Veiligheid en justitie (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑180/17, EU:C:2018:775, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 65 ) Vgl. u. a. Urteile vom 26. September 2018, Belastingdienst/Toeslagen (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑175/17, EU:C:2018:776, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 26. September 2018, Staatssecretaris van Veiligheid en justitie (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑180/17, EU:C:2018:775, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 66 ) Vgl. Urteile vom 26. September 2018, Belastingdienst/Toeslagen (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑175/17, EU:C:2018:776, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 26. September 2018, Staatssecretaris van Veiligheid en justitie (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑180/17, EU:C:2018:775, Rn. 43).

    ( 67 ) Oder sich in dieser Bestimmung materialisiert, um auf den vom Gerichtshof in der französischen Fassung des Urteils vom 14. Mai 2020, Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság (C‑924/19 PPU und C‑925/19 PPU, EU:C:2020:367, Rn. 289), verwendeten Begriff „matérialisation“ Bezug zu nehmen.

    ( 68 ) Vgl. u. a. Urteil vom 29. Juli 2019, Hochtief Solutions Magyarországi Fióktelepe (C‑620/17, EU:C:2019:630, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 69 ) Vgl. u. a. Urteil vom 29. Juli 2019, Hochtief Solutions Magyarországi Fióktelepe (C‑620/17, EU:C:2019:630, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

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