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Document 62020CC0624

Schlussanträge des Generalanwalts J. Richard de la Tour vom 17. März 2022.
E. K. gegen Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid.
Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Amsterdam.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2003/109/EG – Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen – Anwendungsbereich – Drittstaatsangehöriger, der über ein Aufenthaltsrecht nach Art. 20 AEUV verfügt – Art. 3 Abs. 2 Buchst. e – Ausschließlich vorübergehender Aufenthalt – Autonomer Begriff des Unionsrechts.
Rechtssache C-624/20.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2022:194

 SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JEAN RICHARD DE LA TOUR

vom 17. März 2022 ( 1 )

Rechtssache C‑624/20

E. K.

gegen

Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid

(Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Amsterdam [Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Amsterdam, Niederlande])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung – Einwanderungspolitik – Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen – Vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/109/EG ausgenommene Aufenthalte – Vorübergehender Aufenthalt – Aufenthalt auf der Grundlage des abgeleiteten Rechts aus Art. 20 AEUV“

I. Einleitung

1.

Kann sich ein Elternteil, der Drittstaatsangehöriger ist und sich auf der Grundlage des Rechts, das ihm aus der Unionsbürgereigenschaft seines minderjährigen Kindes erwächst, in einem Mitgliedstaat aufhält, bei den Behörden dieses Mitgliedstaats auf diesen Aufenthalt berufen, um die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zu erlangen?

2.

In seiner sich aus seinen Urteilen vom 8. März 2011, Ruiz Zambrano ( 2 ), und vom 10. Mai 2017, Chavez-Vilchez u. a. ( 3 ), ergebenden Rechtsprechung hat der Gerichtshof anerkannt, dass die Eltern eines Kindes, das Unionsbürger ist und zu seinen Eltern in einem Abhängigkeitsverhältnis steht, über ein von den Rechten des Kindes als Unionsbürger abgeleitetes Aufenthaltsrecht verfügen. Diese Eltern können sich daher im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats aufhalten, in dem das Kind wohnt, solange diese Abhängigkeit besteht. Endet das Abhängigkeitsverhältnis, erlischt in der Folge das abgeleitete Aufenthaltsrecht.

3.

Das vorlegende Gericht stellt sich die Frage, ob die Eltern aufgrund dieses Aufenthalts einen hinreichend langen Aufenthalt geltend machen können, um die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zu beantragen. Ein solcher Antrag wurde von E. K., einer ghanaischen Staatsangehörigen, die sich seit vielen Jahren mit ihrem nunmehr volljährigen Sohn in den Niederlanden aufhält, beim Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid (Staatssekretär für Justiz und Sicherheit, Niederlande) gestellt. Der Antrag wurde abgelehnt und dies vor dem vorlegenden Gericht angefochten.

4.

Dieses Gericht fragt sich, ob dieser Aufenthalt aufgrund seiner besonderen Natur in die Kategorie der vorübergehenden Aufenthalte im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen ( 4 ) eingeordnet werden kann. Ist dies der Fall, fällt der Aufenthalt nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie.

5.

In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich zu der Auffassung gelangen, dass der Begriff des vorübergehenden Aufenthalts im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2003/109 ein unionsrechtlicher Begriff ist und dass das abgeleitete Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV in diese Kategorie fällt.

II. Rechtlicher Rahmen

A.   Richtlinie 2003/109

6.

Die Erwägungsgründe 4, 6 und 17 der Richtlinie 2003/109 lauten:

„(4)

Die Integration von Drittstaatsangehörigen, die in den Mitgliedstaaten langfristig ansässig sind, trägt entscheidend zur Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts bei, der als eines der Hauptziele der [Union] im Vertrag angegeben ist.

(6)

Die Dauer des Aufenthalts im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats sollte das Hauptkriterium für die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten sein. Der Aufenthalt sollte rechtmäßig und ununterbrochen sein, um die Verwurzlung der betreffenden Person im Land zu belegen. Eine gewisse Flexibilität sollte vorgesehen werden, damit Umstände berücksichtigt werden können, die eine Person veranlassen können, das Land zeitweilig zu verlassen.

(17)

Die Harmonisierung der Bedingungen für die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten fördert das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten. In einigen Mitgliedstaaten sind die Bedingungen für die Erteilung dauerhafter oder unbefristeter Aufenthaltstitel günstiger als die in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen. Die Möglichkeit, günstigere nationale Bestimmungen anzuwenden, wird von dem Vertrag nicht ausgeschlossen. Dennoch sollte für die Zwecke dieser Richtlinie vorgesehen werden, dass Aufenthaltstitel, für deren Erteilung günstigere Bedingungen gelten, nicht das Recht auf Aufenthalt in anderen Mitgliedstaaten begründen.“

7.

Art. 1 („Gegenstand“) dieser Richtlinie bestimmt:

„Ziel dieser Richtlinie ist die Festlegung

a)

der Bedingungen, unter denen ein Mitgliedstaat einem Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig in seinem Hoheitsgebiet aufhält, die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erteilen oder entziehen kann, sowie der mit dieser Rechtsstellung verbundenen Rechte und

b)

der Bedingungen für den Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen, der die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, der ihm diese Rechtsstellung zuerkannt hat.“

8.

Art. 3 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2003/109 sieht vor:

„Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf Drittstaatsangehörige,

e)

die sich ausschließlich vorübergehend wie etwa als Au-pair oder Saisonarbeitnehmer, als von einem Dienstleistungserbringer im Rahmen der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen entsendete Arbeitnehmer oder als Erbringer grenzüberschreitender Dienstleistungen aufhalten oder deren Aufenthaltsgenehmigung förmlich begrenzt wurde“.

9.

Art. 13 („Günstigere nationale Bestimmungen“) der Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten können für die Ausstellung dauerhafter oder unbefristeter Aufenthaltstitel günstigere Voraussetzungen als diejenigen dieser Richtlinie vorsehen. Diese Aufenthaltstitel begründen nicht das Recht auf Aufenthalt in anderen Mitgliedstaaten gemäß Kapitel III.“

B.   Niederländisches Recht

1. Vw 2000

10.

In Art. 8 Buchst. e der Vreemdelingenwet 2000 (Ausländergesetz 2000) ( 5 ) vom 23. November 2000 heißt es:

„Ein Ausländer hält sich nur rechtmäßig in den Niederlanden auf:

e.

als [Unionsbürger], wenn seinem Aufenthalt eine nach dem [AEU‑]Vertrag … oder dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum [vom 2. Mai 1992 ( 6 )] erlassene Norm zugrunde liegt.“

11.

Art. 21 Abs. 1 und 6 der Vw 2000 sieht vor:

„(1)   Ein Antrag auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung im Sinne von Art. 20, der von einem Ausländer gestellt wird, der sich unmittelbar vor Stellung des Antrags fünf aufeinanderfolgende Jahre rechtmäßig im Sinne von Art. 8 Buchst. a, c, e [oder] l oder auf der Grundlage einer Aufenthaltsgenehmigung als langfristig Aufenthaltsberechtigter – EU aufgehalten hat, kann nur abgelehnt werden, wenn der Ausländer

a.

allein oder zusammen mit dem Familienangehörigen, bei dem er wohnt, nicht unabhängig und dauerhaft über ausreichende Mittel zum Lebensunterhalt verfügt;

b.

falsche Angaben gemacht oder Tatsachen verschwiegen hat, die zur Ablehnung des Antrags auf Erteilung, Änderung oder Verlängerung geführt hätten;

c.

rechtskräftig wegen einer Straftat verurteilt ist, die mit Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren bedroht ist, oder in diesem Zusammenhang die in Art. 37a des Wetboek van Strafrecht [Strafgesetzbuch] genannte Maßregel angeordnet worden ist;

d.

eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellt;

e.

seinen Hauptwohnsitz außerhalb der Niederlande begründet hat;

f.

zum Zeitpunkt des Eingangs des Antrags nicht Inhaber eines befristeten Aufenthaltsrechts ist; oder

g.

die Prüfung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Wet inburgering [Integrationsgesetz vom 30. November 2006 ( 7 )] nicht bestanden hat oder kein Diplom, Zeugnis oder anderes Dokument im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c dieses Gesetzes erworben hat.

(6)   Durch oder kraft Verordnung können Vorschriften über die in Abs. 1 genannten Gründe erlassen werden. In diesem Rahmen können andere als die in den Absätzen 1 bis 4 genannten Fälle angegeben werden, in denen eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung im Sinne von Art. 20 erteilt werden kann.“

12.

Art. 45b der Vw 2000 lautet:

„(1)   Ein Antrag auf Erteilung einer langfristigen Aufenthaltsberechtigung – EU wird abgelehnt, wenn der Ausländer unmittelbar vor Stellung des Antrags

a.

ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht auf der Grundlage einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung nach Art. 14 besitzt;

b.

ein förmlich begrenztes Aufenthaltsrecht besitzt;

c.

sich auf der Grundlage eines besonderen privilegierten Status aufhält;

d.

sich auf der Grundlage einer in Art. 28 genannten befristeten Aufenthaltsgenehmigung aufhält, die nicht nach Art. 29 Abs. 1 Buchst. a oder b erteilt wurde;

e.

sich auf der Grundlage einer in Art. 28 genannten befristeten Aufenthaltsgenehmigung, die nach Art. 29 Abs. 2 erteilt wurde, bei einem Ausländer aufhält, der über eine Aufenthaltsgenehmigung im Sinne von Art. 28 verfügt, die nicht nach Art. 29 Abs. 1 Buchst. a oder b erteilt wurde.

(2)   Unbeschadet des Absatzes 1 kann ein Antrag auf Erteilung einer langfristigen Aufenthaltsberechtigung – EU nur dann abgelehnt werden, wenn der Ausländer

a.

während eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren unmittelbar vor Stellung des Antrags nicht über einen rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne von Art. 8 unter Berücksichtigung von Abs. 3 verfügt hat;

b.

sich in dem in Buchst. a genannten Zeitraum mindestens sechs aufeinander folgende Monate oder insgesamt mindestens zehn Monate außerhalb der Niederlande aufgehalten hat;

c.

allein oder zusammen mit dem Familienangehörigen, bei dem er wohnt, nicht unabhängig und dauerhaft über ausreichende Mittel zum Lebensunterhalt verfügt;

d.

rechtskräftig wegen einer Straftat verurteilt ist, die mit Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren bedroht ist, oder in diesem Zusammenhang die in Art. 37a des Wetboek van Strafrecht [Strafgesetzbuch] genannte Maßregel angeordnet worden ist;

e.

eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellt;

f.

für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen nicht über eine ausreichende Krankenversicherung verfügt; oder

g.

die Prüfung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Wet inburgering [Integrationsgesetz] nicht bestanden hat oder kein Diplom, Zeugnis oder anderes Dokument im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c dieses Gesetzes erworben hat.

(3)   Bei der Berechnung des in Abs. 2 Buchst. a genannten Zeitraums werden nicht berücksichtigt: der Aufenthalt im Sinne von Abs. 1 und der Aufenthalt im Sinne von Abs. 2 Buchst. b mit Ausnahme des Aufenthalts zu Zwecken des Studiums oder der Berufsausbildung; dieser wird zur Hälfte berücksichtigt.

(4)   Durch oder kraft Verordnung können Vorschriften zur Durchführung der Absätze 1 und 2 erlassen werden.“

2. Ausländerverordnung 2000

13.

Art. 3.5 des Vreemdelingenbesluit 2000 (Ausländerverordnung 2000) ( 8 ) vom 23. November 2000 bestimmt:

„(1)   Das Aufenthaltsrecht auf der Grundlage einer befristeten regulären Aufenthaltsgenehmigung ist vorübergehend oder nicht vorübergehend.

(2)   Das Aufenthaltsrecht ist vorübergehend, wenn die Aufenthaltsgenehmigung mit einer Beschränkung erteilt wird, die zusammenhängt mit

a.

dem Aufenthalt als Familienangehöriger, wenn die Bezugsperson

1° ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht hat oder

2° eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung für Asylberechtigte besitzt;

b.

Saisonarbeit;

c.

einem vorübergehenden unternehmensinternen Transfer;

d.

grenzüberschreitender Dienstleistungserbringung;

e.

Arbeit im Rahmen der Berufsausbildung;

f.

einem Studium;

g.

der Suche und Ausübung einer unselbständigen oder selbständigen Tätigkeit;

h.

einem Austausch im Rahmen eines Vertrags oder nicht im Rahmen eines Vertrags;

i.

medizinischer Behandlung;

j.

vorübergehenden humanitären Gründen;

k.

dem Abwarten eines Antrags gemäß Art. 17 der Rijkswet op het Nederlanderschap [Gesetz über die niederländische Staatsangehörigkeit vom 19. Dezember 1984 ( 9 )].

(3)   In Erfüllung von Verpflichtungen, die sich aus Verträgen oder bindenden Beschlüssen von internationalen Organisationen ergeben, können durch Ministerialverordnung Fälle festgelegt werden, in denen abweichend von Abs. 2 das Aufenthaltsrecht nicht vorübergehender Natur ist.

(4)   Wird die Aufenthaltsgenehmigung mit einer anderen als der in Abs. 2 aufgeführten Beschränkungen erteilt, so ist die Aufenthaltsgenehmigung nicht vorübergehend, es sei denn, bei ihrer Erteilung wurde etwas anderes bestimmt.“

III. Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

14.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, E. K., wurde am 30. November 1960 geboren und besitzt die ghanaische Staatsangehörigkeit. Ihr am 10. Februar 2002 geborener Sohn ist niederländischer Staatsangehöriger. Am 9. September 2013 wurde E. K. gemäß Art. 20 AEUV ein EU-Aufenthaltstitel mit dem Vermerk „Familienangehöriger eines Unionsbürgers“ übermittelt.

15.

Am 18. Februar 2019 stellte E. K. einen Antrag auf Erteilung einer „langfristigen Aufenthaltsberechtigung – EU“. Dieser Antrag wurde am 30. August 2019 vom Staatssekretär für Justiz und Sicherheit abgelehnt. Er vertrat die Auffassung, dass E. K. die begehrte Berechtigung nicht erhalten könne, weil ihr Aufenthaltsrecht vorübergehender Natur sei.

16.

Der von E. K. hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Bescheid vom 12. Dezember 2019 als unbegründet zurückgewiesen. Gegen diesen Bescheid erhob E. K. Klage beim vorlegenden Gericht.

17.

Das vorlegende Gericht möchte erstens wissen, ob die Frage, ob ein Aufenthalt vorübergehend ist oder nicht, wenn ein Drittstaatsangehöriger über ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht auf der Grundlage von Art. 20 AEUV verfügt, in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt oder ob es sich um einen Begriff handelt, der innerhalb der Union einheitlich auszulegen ist.

18.

Wenn es sich beim Begriff „vorübergehender Aufenthalt“ um einen unionsrechtlichen Begriff handelt, stellt sich das vorlegende Gericht zweitens die Frage, ob der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen auf der Grundlage des abgeleiteten Aufenthaltsrechts aus Art. 20 AEUV (im Folgenden: abgeleitetes Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV) vorübergehender Natur ist oder nicht. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs verleihe einem solchen Drittstaatsangehörigen nämlich keine eigenständigen Rechte. Etwaige Rechte, die ihnen nach dem Vertrag oder dem Sekundärrecht zustünden, seien nur Rechte, die sich daraus ableiteten, dass ein Unionsbürger sein Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt im Gebiet der Union ausübe.

19.

Zwar erlaube es die Richtlinie 2004/38/EG ( 10 ) dem Inhaber eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts, ein Recht auf Daueraufenthalt zu erlangen, doch sei diese Richtlinie anders als das abgeleitete Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV, das von der Rechtsprechung geschaffen worden sei, von den Mitgliedstaaten angenommen worden.

20.

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass Art. 3 Abs. 2 initio und Buchst. e der Richtlinie 2003/109 Drittstaatsangehörige, die sich ausschließlich vorübergehend aufhalten, vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausnehme. Dies betreffe Fälle, in denen der Staatsangehörige nicht die Absicht habe, in dem betreffenden Land langfristig ansässig zu sein. Hieraus leitet das Gericht ab, dass das Kriterium der Absicht, langfristig ansässig zu sein, herangezogen werden müsse, um zu bewerten, ob ein Aufenthalt auf der Grundlage von Art. 20 AEUV vorübergehend sei oder nicht. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens räume ein, dass eine einem Elternteil eines Minderjährigen auf der Grundlage des Familienlebens nach Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ( 11 ) erteilte Genehmigung nicht vorübergehender Natur sei.

21.

Drittens stellt sich das vorlegende Gericht Fragen über die Umsetzung von Art. 3 Abs. 2 initio und Buchst. e der Richtlinie 2003/109 durch das Königreich der Niederlande, falls davon auszugehen wäre, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen auf der Grundlage des abgeleiteten Aufenthaltsrechts aus Art. 20 AEUV vorübergehender Natur ist. Nach Art. 45b der Vw 2000 stellten nämlich nur nationale Genehmigungen, die das Recht auf einen Aufenthalt vorübergehender Natur gewährten, Gründe für die Versagung einer langfristigen Aufenthaltsberechtigung – EU dar. Im Umkehrschluss gestatteten es Aufenthaltsrechte vorübergehender Natur auf der Grundlage des Unionsrechts, eine langfristige Aufenthaltsberechtigung zu erlangen.

22.

Unter diesen Umständen hat die Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Amsterdam (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Amsterdam, Niederlande), beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Fällt es in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, festzulegen, ob das Aufenthaltsrecht nach Art. 20 AEUV als solches vorübergehender oder nicht vorübergehender Natur ist, oder ist dies unionsrechtlich zu definieren?

2.

Sofern eine unionsrechtliche Auslegung Anwendung findet: Ist bei der Anwendung der Richtlinie 2003/109 zwischen den unterschiedlichen abhängigen Aufenthaltsrechten, die Drittstaatsangehörigen nach Unionsrecht zustehen, darunter das abhängige Aufenthaltsrecht, das einem Familienangehörigen eines Unionsbürgers nach der Richtlinie 2004/38 zuerkannt wird, und das Aufenthaltsrecht nach Art. 20 AEUV, zu unterscheiden?

3.

Ist das Aufenthaltsrecht nach Art. 20 AEUV, das seiner Art nach vom Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen dem Drittstaatsangehörigen und dem Unionsbürger abhängt und daher endlich ist, vorübergehender Natur?

4.

Sofern das Aufenthaltsrecht nach Art. 20 AEUV vorübergehender Natur ist: Ist Art. 3 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie in diesem Fall dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach lediglich im nationalen Recht vorgesehene Aufenthaltsgenehmigungen von der Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten im Sinne der Richtlinie ausgeschlossen sind?

23.

E. K., die niederländische, die dänische und die deutsche Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Mit Ausnahme der dänischen Regierung haben diese Beteiligten in der Sitzung vom 7. Dezember 2021 mündliche Ausführungen gemacht.

IV. Würdigung

24.

Mit diesen Fragen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen, der ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV besitzt, das der Gerichtshof im Urteil Ruiz Zambrano und im Urteil vom 10. Mai 2017, Chavez‑Vilchez u. a. ( 12 ), einem solchen Elternteil eines minderjährigen Kindes, das Unionsbürger ist, zuerkannt hat, vorübergehender Natur ist oder nicht, um insbesondere zu bestimmen, ob die Situation dieser Person in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/109 fällt oder nicht.

A.   Zur ersten Vorlagefrage betreffend die Frage, ob die vorübergehende oder nicht vorübergehende Natur des Aufenthalts im Sinne der Richtlinie 2003/109 dann, wenn der Drittstaatsangehörige ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV besitzt, innerhalb der Union einheitlich und autonom auszulegen ist

25.

Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Begriff „vorübergehender Aufenthalt“, der u. a. in Art. 3 Abs. 2 initio und Buchst. e der Richtlinie 2003/109 verwendet wird, ein unionsrechtlicher Begriff ist oder ob er in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt.

26.

Ich bin wie alle Beteiligten mit Ausnahme der dänischen Regierung der Ansicht, dass dieser Begriff ein unionsrechtlicher Begriff ist, der innerhalb der Union autonom und einheitlich auszulegen ist.

27.

Der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs lassen sich nämlich zwei Regeln entnehmen.

28.

Zum einen hat der Gerichtshof bei der Auslegung der Richtlinie 2003/109 ausgeführt, dass angesichts ihres in ihrem Art. 1 Buchst. a bezeichneten Gegenstands die Mitgliedstaaten für die Bestimmung des Begriffs „rechtmäßiger Aufenthalt“ und der Bedingungen oder der mit einem solchen Aufenthalt verbundenen Rechte zuständig sind ( 13 ). Der Gerichtshof hat aber auch entschieden, dass davon auszugehen ist, dass die in Art. 3 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2003/109 enthaltene Wendung „deren Aufenthaltsgenehmigung förmlich begrenzt wurde“ einen autonomen Begriff des Unionsrechts bezeichnet, die, weil sie für die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Tragweite nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, einheitlich auszulegen ist, um das Gebot der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts und den Gleichheitssatz einzuhalten ( 14 ).

29.

Die Richtlinie 2003/109 verweist jedoch für die Definition der Bedeutung der Begriffe des Ausdrucks, um den es in der vorliegenden Vorlagefrage geht, nämlich „ausschließlich vorübergehend[er] [Aufenthalt]“, nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten.

30.

Zum anderen muss die Beachtung der einheitlichen Anwendung und des Gleichheitsgrundsatzes erst recht in Bezug auf Umfang und Art der sich aus der Unionsbürgerschaft ergebenden Rechte ( 15 ) vorgehen; dies ist hier der Fall, da sich das Aufenthaltsrecht des Drittstaatsangehörigen aus den Rechten eines Unionsbürgers herleitet.

31.

Daher schlage ich vor, auf die erste Frage zu antworten, dass der Begriff „vorübergehender Aufenthalt“ namentlich im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2003/109 ein unionsrechtlicher Begriff ist, der autonom und einheitlich auszulegen ist.

B.   Zur zweiten und zur dritten Vorlagefrage betreffend die Frage, ob das abgeleitete Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2003/109 vorübergehender Natur ist oder nicht

32.

Mit seiner zweiten und seiner dritten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht zum einen wissen, ob zwischen dem abgeleiteten Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV und dem einem Familienangehörigen eines Unionsbürgers nach der Richtlinie 2004/38 gewährten abhängigen Aufenthaltsrecht unterschieden wird. Zum anderen fragt das vorlegende Gericht, ob der Umstand, dass das abgeleitete Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Drittstaatsangehörigen, dem dieses Recht zusteht, und dem Unionsbürger voraussetzt, ausreicht, um die vorübergehende Natur des Aufenthalts zu begründen. Diese Fragen können zusammen behandelt werden, da sie den Gerichtshof im Wesentlichen danach befragen, ob der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen, der ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV besitzt, im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2003/109 vorübergehend ist oder nicht.

33.

Die Antwort auf diese Fragen ist für das vorlegende Gericht erforderlich, um zu ermitteln, ob E. K. die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109 erlangen kann. Nach dieser Bestimmung erteilen die Mitgliedstaaten diese Rechtsstellung Drittstaatsangehörigen, die sich unmittelbar vor der Stellung des entsprechenden Antrags fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufgehalten haben. Dabei sieht Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie vor, dass „[i]n die Berechnung des Zeitraums gemäß Absatz 1 … die Zeiten nicht [einfließen], in denen sich der Drittstaatsangehörige aus den in Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe e) … genannten Gründen im betreffenden Mitgliedstaat aufgehalten hat“.

34.

Wenn der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen, dem ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV zusteht, als vorübergehend im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2003/109 eingestuft wird, kann somit die Dauer dieses Aufenthalts bei der Berechnung der nach Art. 4 dieser Richtlinie für die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erforderlichen Aufenthaltsdauer von fünf Jahren nicht berücksichtigt werden.

35.

Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass E. K. während der fünf Jahre vor ihrem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als langfristig Aufenthaltsberechtigte ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV hatte.

36.

Diese Frage unterscheidet sich von der Frage, ob die Klägerin des Ausgangsverfahrens nach der Volljährigkeit ihres Kindes, das Unionsbürger ist, noch ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht in Verbindung mit der Abhängigkeit ihres Kindes von ihr in Anspruch nehmen könnte; dies scheint in Anbetracht der Rechtsprechung keine grundsätzlichen Schwierigkeiten zu bereiten, sofern das nationale Gericht diese Abhängigkeit feststellt, die strenger zu beurteilen ist als bei einem Kleinkind ( 16 ).

37.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass E. K., wie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt worden ist, derzeit über ein auf Art. 8 EMRK gestütztes Aufenthaltsrecht „Privat- und Familienleben“ verfügt, das ihr nach fünf Jahren einen Anspruch auf Zuerkennung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten verleiht.

38.

Die vorgetragenen Ansichten stehen sich tatsächlich im Hinblick auf die Frage gegenüber, ob die Lösung allein von der der Richtlinie 2003/109 zugrunde liegenden Philosophie abhängig ist, oder ob die Besonderheit des abgeleiteten Aufenthaltsrechts aus Art. 20 AEUV zu berücksichtigen ist, um es eng auf das Ziel zu beschränken, das seine Anerkennung durch die Rechtsprechung begründet hat, nämlich, zu gewährleisten, dass der Unionsbürger in den tatsächlichen Genuss des Kernbestands der Rechte kommt, die ihm der Unionsbürgerstatus verleiht. Das vom Gerichtshof verfolgte Ziel bestand weder darin, dem Drittstaatsangehörigen, der diesen von ihm abhängigen Unionsbürger begleitet und betreut, eigene Rechte zu verleihen noch darin, in einer tatsächlichen Situation über dieses Abhängigkeitsverhältnis hinaus eigene Rechte für den Drittstaatsangehörigen zu schaffen.

39.

Ich schlage vor, zunächst auf die klassischen Auslegungsmethoden zurückzugreifen, sodann die Besonderheit des abgeleiteten Aufenthaltsrechts aus Art. 20 AEUV zu beurteilen und sie schließlich den abhängigen Aufenthaltsrechten gegenüber zu stellen, die es erlauben, eine langfristige Aufenthaltsgenehmigung zu erlangen.

1. Die vorübergehende Natur des Aufenthalts im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2003/109 im Licht der Auslegungsmethoden

40.

Erstens scheint die wörtliche Methode zu einer Auslegung des Begriffs des „vorübergehenden“ Aufenthalts zu führen, die das abgeleitete Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/109 ausschließt.

41.

Die vorübergehende Natur bezeichnet nämlich etwas, das nur eine begrenzte Zeit dauert, und steht folglich der dauerhaften oder endgültigen Natur eines Aufenthalts entgegen. Sie bedeutet, dass der Aufenthalt von Anfang an für kurze Dauer vorgesehen ist. Nach diesem Verständnis ist unbestreitbar, dass der Aufenthalt, der sich aus der Ausübung des abgeleiteten Aufenthaltsrechts aus Art. 20 AEUV ergibt, weder dauerhaft noch endgültig ist, da seine Dauer an das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen dem Elternteil, dem dieses Recht zusteht, und seinem Kind geknüpft ist. Dieser Aufenthalt ist mithin „vorübergehend“ im wörtlichen Sinne des Begriffs.

42.

Zweitens ist die Beurteilung aus teleologischer Sicht hingegen eher umgekehrt. Aus den in den Erwägungsgründen 4 und 6 der Richtlinie 2003/109 genannten Zielen dieser Richtlinie ergibt sich nämlich, dass die langfristige Ansässigkeit und die Dauer des rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalts im betreffenden Hoheitsgebiet wesentliche Merkmale für die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten und für die Ermöglichung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts sind.

43.

Es steht außer Frage, dass der Umstand, ein Kind während seiner gesamten Minderjährigkeit in einem Land zu betreuen, sich, ohne dass dies immer der Fall wäre, in einer langfristigen Ansässigkeit und in einer relativ langen, wenn nicht sogar sehr langen Aufenthaltsdauer äußern kann, die über die Dauer von fünf Jahren hinausgehen kann, die nach der Richtlinie 2003/109 für die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erforderlich ist.

44.

Ferner ist auf die in dieser Richtlinie genannten Beispiele für vorübergehende Aufenthalte im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2003/109 abzustellen, nämlich Au-pair, Saisonarbeitnehmer oder von einem Dienstleistungserbringer im Rahmen der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen entsendete Arbeitnehmer. Diese Beispiele zeigen, dass dieser Aufenthalt von Anfang an als Aufenthalt von kurzer Dauer vorgesehen ist. Daraus lässt sich ableiten, dass zum einen die Betreuung eines Kindes in einem Land nicht mit einem Au-pair-Aufenthalt oder mit Saisonarbeit vergleichbar ist und dass zum anderen die vorübergehende Natur dieses Aufenthalts nicht von gleicher Art ist wie die Aufenthalte, die in der Richtlinie als Beispiele genannt werden. Im Hinblick auf die Ziele der Richtlinie 2003/109 scheint somit die vorübergehende Natur des Aufenthalts dahin ausgelegt werden zu können, dass sie von Beginn des Aufenthalts an keine langfristige Ansässigkeit impliziert.

45.

Mehrere Gesichtspunkte stützen diese Auslegung. Zum einen führt die Begründung des Richtlinienvorschlags, der zum Erlass der Richtlinie 2003/109 geführt hat, gerade hinsichtlich seines Anwendungsbereichs aus, dass „… allein diejenigen Personen [ausgeschlossen sind], die keinen Daueraufenthalt anstreben, insbesondere solche, die sich zum Studium in dem betreffenden Mitgliedstaat aufhalten, eine Saisonarbeit ausüben oder vorübergehenden Schutz genießen“ ( 17 ). Zum anderen hat die Kommission in jüngster Zeit in ihrem am 29. September 2021 vorgelegten „Migrations- und Asylbericht“ angekündigt, dass sie eine Überarbeitung der Richtlinie über langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige vorschlagen werde, mit der die Rechte und die Mobilität dieser Migranten, die bereits gut in die Gesellschaften der Mitgliedstaaten integriert seien, innerhalb der Union verbessert werden sollten ( 18 ). Schließlich hat sich der Gerichtshof, als er mit der Auslegung der anderen Kategorie von Aufenthaltsrechten, die nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. e von der Richtlinie ausgeschlossen sind, nämlich „förmlich begrenzte Aufenthaltsgenehmigungen“, befasst war, über die „vorübergehende“ Natur geäußert und ausgeführt, dass sie „a priori nicht den Willen … [widerspiegelt], im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten langfristig ansässig zu sein“ ( 19 ).

46.

Außerdem können die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Erziehung eines Kindes zur Integration des Elternteils beitragen; dabei ist darauf hinzuweisen, dass es den Mitgliedstaaten nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2003/109 möglich ist, die Integrationsanforderungen für Drittstaatsangehörige gemäß ihrem nationalen Recht zu überprüfen. Die Mitgliedstaaten äußern sich im Stadium der Prüfung der Voraussetzung der Dauer und der Natur des Aufenthalts jedoch nicht zur Integration der Person, auch wenn die Richtlinie 2003/109 eindeutig das Ziel der Integration verfolgt.

47.

Also soll offenbar der Wille, ansässig zu sein, den in Art. 3 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2003/109 enthaltenen Begriff „vorübergehend“ klären können. Daher ist zu dem Zeitpunkt, zu dem das Recht auf einen vorübergehenden Aufenthalt gewährt wurde, zu prüfen, ob der Aufenthalt langfristig sein sollte und ob der den Unionsbürger begleitende Elternteil den Willen hatte, ansässig zu sein. Dies läuft darauf hinaus, dass der subjektive Begriff des Willens, ansässig zu sein, außer Acht bleibt, der bei bestimmten, ausdrücklich vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossenen vorübergehenden Aufenthaltsrechten vorhanden sein könnte, wie z. B. bei Au-pair-Kräften, die den Willen haben könnten, letztlich ansässig zu sein. Dagegen ist klar, dass eine Person, die über eine Aufenthaltsgenehmigung verfügt, um als Au-pair in einer Familie tätig zu werden, nicht aus diesem Grund den Willen hat, ansässig zu sein. Ebenso dürfte die Integration nicht zu berücksichtigen sein, da es sich, wie ich in der vorstehenden Nummer dargelegt habe, dabei um eine weitere Voraussetzung für die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten handelt, die berücksichtigt, wie der Aufenthalt verlaufen ist, und nicht den Grund berücksichtigt, aus dem er genehmigt wurde.

48.

Drittens führt auch der Rückgriff auf die subjektive Auslegung zu keiner eindeutigen Analyse zugunsten der Einbeziehung des abgeleiteten Aufenthaltsrechts aus Art. 20 AEUV in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/109.

49.

Auch wenn die Begründung des Richtlinienvorschlags auf den ersten Blick den Willen der Familien der Unionsbürger nennt, ansässig zu sein ( 20 ), ist nämlich gleichwohl zu berücksichtigen, dass sich diese Formulierung nur dadurch erklärte, dass dieser Vorschlag ursprünglich einen Art. 3 Abs. 3 enthielt, der speziell die Familien der Unionsbürger betraf, die ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hatten ( 21 ). Dieser Absatz fiel im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens weg, da er für schwer verständlich erachtet wurde und die Frage im Rahmen der Richtlinie über die Freizügigkeit behandelt werden sollte ( 22 ). Die Situation der Familien wurde also nur im Fall der vorherigen Ausübung dieser Freiheit durch den Bürger genannt und fiel dann im Rahmen der Verhandlungen über den Vorschlag weg.

50.

Meines Erachtens kann auch nicht geltend gemacht werden, dass der Wortlaut der Richtlinie im Anschluss an das Urteil Ruiz Zambrano nicht geändert worden sei. Diese Entscheidung erging nämlich in der Endphase der Verhandlungen über die Überarbeitung der Richtlinie 2003/109 durch die Richtlinie 2011/51/EU ( 23 ) und konnte dabei nicht (in dem einen oder anderen Sinne) berücksichtigt werden.

51.

Viertens veranlasst mich der Rückgriff auf die systematische Auslegung tatsächlich dazu, die ganz spezifische Natur des in Rede stehenden abgeleiteten Aufenthaltsrechts zu untersuchen.

2. Die Besonderheit des abgeleiteten Aufenthaltsrechts aus Art. 20 AEUV

52.

Zur Erinnerung, im Urteil Ruiz Zambrano hat der Gerichtshof den Grundsatz aufgestellt, dass „Art. 20 AEUV … dahin auszulegen [ist], dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, einem Drittstaatsangehörigen, der seinen minderjährigen Kindern, die Unionsbürger sind, Unterhalt gewährt, zum einen den Aufenthalt im Wohnsitzmitgliedstaat der Kinder, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, zu verweigern und ihm zum anderen eine Arbeitserlaubnis zu verweigern, da derartige Entscheidungen diesen Kindern den tatsächlichen Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehren würde[n]“ ( 24 ).

53.

Spätere Urteile haben klargestellt, dass „[d]ie Vertragsbestimmungen über die Unionsbürgerschaft … Drittstaatsangehörigen … keine eigenständigen Rechte verleihen“ und dass „die etwaigen Rechte, die die Vertragsbestimmungen über die Unionsbürgerschaft [diesen Staatsangehörigen] verleihen, nicht deren eigene Rechte [sind], sondern aus den Rechten des Unionsbürgers abgeleitete“ ( 25 ). Der Gerichtshof hat klargestellt, dass dies ganz besondere Sachverhalte betrifft, in denen die Unionsbürgerschaft ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt würde, „wenn sich der Unionsbürger infolge der Verweigerung des Aufenthaltsrechts [für den Drittstaatsangehörigen] de facto gezwungen sähe, das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen, und ihm dadurch der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihm dieser Status verleiht, verwehrt würde“ ( 26 ).

54.

Diese Rechtsprechungslinie hat somit ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht geschaffen, um ganz besondere Situationen im Bereich des Aufenthaltsrechts von Drittstaatsangehörigen zu erfassen, der in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. Da dieses abgeleitete Aufenthaltsrecht allein zugunsten des Unionsbürgers gewährt wird, bestand die Gegenleistung für diesen Eingriff darin, für den Drittstaatsangehörigen kein eigenes Recht, sondern nur ein Aufenthaltsrecht in Ansehung der Unionsbürgerschaft seines von ihm abhängigen Kindes während der Dauer dieses Abhängigkeitsverhältnisses vorzusehen.

55.

Unbestreitbar sieht die Richtlinie 2003/109 jedoch durch die Schaffung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten die Umsetzung eines eigenen Rechts der Drittstaatsangehörigen vor, sofern sie die Voraussetzungen in den Kapiteln I und II dieser Richtlinie erfüllen. Außerdem veranschaulicht sie die vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommenen „vorübergehenden“ Aufenthalte nur mit Beispielen, in denen die Drittstaatsangehörigen über ein persönliches Aufenthaltsrecht verfügen (etwa Au-pair-Kräfte). Somit reicht selbst der Umstand, über ein eigenes ( 27 ) Aufenthaltsrecht zu verfügen, nicht aus, um diesen Aufenthalt in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/109 fallen zu lassen und in der Konsequenz unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in Anspruch nehmen zu können.

56.

Meines Erachtens verfügt daher E. K., der nach dem Urteil Ruiz Zambrano nur ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht zusteht, das an das Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses ihres Kindes geknüpft ist, über kein eigenes Aufenthaltsrecht. Dieses Fehlen eines Anspruchs auf ihr eigene Rechte ist ins Verhältnis zu setzen mit dem Willen, langfristig ansässig zu sein, auf dem die Richtlinie 2003/109 beruht.

57.

Ich bin jedenfalls der Ansicht, dass es über die Konsequenzen hinausginge, die der Gerichtshof in diesem Bereich aus Art. 20 AEUV ziehen wollte, wenn man den Willen von E. K. berücksichtigte, im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats langfristig ansässig zu sein, um nach Ablauf von fünf Jahren eines Aufenthalts auf der Grundlage des abgeleiteten Aufenthaltsrechts von den Bestimmungen der Richtlinie 2003/109 zu profitieren. Meines Erachtens zählt nämlich der Wille, langfristig ansässig zu sein, zu den eigenen Rechten des Drittstaatsangehörigen, auf die er keinen Anspruch hat, weil sein Aufenthaltsrecht abgeleiteter Natur ist. Eine Auslegung der Richtlinie 2003/109 in dem von E. K. begehrten Sinn liefe, wie die Kommission in ihren Erklärungen ausgeführt hat, außerdem darauf hinaus, es E. K. nicht nur zu ermöglichen, die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zu erlangen, sondern dadurch auch das Recht zum Aufenthalt in den anderen Mitgliedstaaten ( 28 ).

58.

Solange nämlich das Abhängigkeitsverhältnis zu dem Kind, das Unionsbürger ist, besteht, was zu prüfen Sache des nationalen Gerichts ist, kann sich der Elternteil im Hoheitsgebiet aufhalten, um den tatsächlichen Genuss des Kernbestands der Unionsbürgerrechte seines Kindes zu gewährleisten.

59.

Dagegen hat der Gerichtshof entschieden, dass „die bloße Tatsache, dass es für einen Staatsbürger eines Mitgliedstaats … zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union wünschenswert erscheinen könnte, dass sich Familienangehörige, die nicht die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaats besitzen, mit ihm zusammen im Gebiet der Union aufhalten können, für sich genommen nicht die Annahme [rechtfertigt], dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn kein Aufenthaltsrecht gewährt würde“ ( 29 ). Mithin ergibt sich aus Art. 20 AEUV kein Aufenthaltsrecht für die Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft, wenn die Ausreise des Drittstaatsangehörigen nicht die Ausreise des Unionsbürgers selbst implizierte. Es wird also nicht das Recht auf Familiengemeinschaft als solches geschützt, sondern die Möglichkeit des Unionsbürgers, im Gebiet zu bleiben.

60.

Als Zwischenergebnis halte ich fest, dass in Anbetracht der Besonderheit des abgeleiteten Aufenthaltsrechts aus Art. 20 AEUV, da die Person, der es zugutekommt, nicht den Willen hat, ansässig zu sein, dieser Aufenthalt vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/109 ausgeschlossen zu sein scheint, da er auf einem vorübergehenden Grund beruht.

61.

Man kann sich die Frage stellen, ob der Ausschluss des sich aus dem abgeleiteten Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV ergebenden Aufenthalts nicht in Wirklichkeit seiner Natur immanent ist, die kein eigenes Recht begründet.

3. Die Besonderheit des abgeleiteten Aufenthaltsrechts aus Art. 20 AEUV im Licht analoger Erwägungen

62.

Das Hauptargument von E. K. und der Kommission, um dem abgeleiteten Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV Wirkungen zum Zweck der Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zu verleihen, ergibt sich daraus, dass es im Unionsrecht Beispiele für abgeleitete Aufenthaltsrechte gibt, die den Zugang zu einem Recht auf Daueraufenthalt gewähren, das ein eigenes Recht ist. Daher ist im Wege der Analogie zu argumentieren.

63.

Auf dieser Prämisse beruht die zweite Vorlagefrage, die auf die Bestimmungen der Richtlinie 2004/38 Bezug nimmt. Nach Art. 16 Abs. 2 dieser Richtlinie gewährt ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht nach Ablauf von fünf Jahren Zugang zu einem Recht auf Daueraufenthalt ( 30 ). In ihren Erklärungen nimmt E. K. auch auf Art. 15 der Richtlinie 2003/86/EG ( 31 ) Bezug, der einen eigenen Aufenthaltstitel für die Familienangehörigen des Zusammenführenden vorsieht ( 32 ).

64.

Was die Richtlinie 2004/38 betrifft, so kann die Analogie zu dem durch diese Richtlinie eingeführten Mechanismus auf den ersten Blick attraktiv erscheinen, denn die tatsächlichen Umstände sind die gleichen, wenn man sie aus der Perspektive des Elternteils betrachtet: Der Elternteil, der Drittstaatsangehöriger ist, hat ein mit der Unionsbürgereigenschaft seines Kindes verknüpftes, abgeleitetes Aufenthaltsrecht während eines Zeitraums von mehr als fünf Jahren. Zudem entstehen diese beiden abgeleiteten Aufenthaltsrechte im Bereich der Personenfreizügigkeit, wobei das Unionsrecht dadurch diese Freiheit des Unionsbürgers schützt ( 33 ). In den von dieser Richtlinie und von Art. 21 AEUV erfassten Fällen ( 34 ) ermöglicht dies dem Elternteil nach Ablauf von fünf Jahren, ein Recht auf Daueraufenthalt zu erlangen.

65.

Es gibt jedoch mehrere erhebliche Unterschiede zwischen diesen beiden abgeleiteten Aufenthaltsrechten.

66.

Zum einen sind das abgeleitete Aufenthaltsrecht und das sich daraus nach der Richtlinie 2004/38 ergebende Recht auf Daueraufenthalt den drittstaatsangehörenden Familienangehörigen von Unionsbürgern, die Drittstaatsangehörige sind, von den Mitgliedstaaten ausdrücklich eingeräumt worden, während der Gerichtshof die Perspektive des Unionsbürgers eingenommen hat, der sich an der Ausübung der mit seiner Rechtsstellung verbundenen Rechte gehindert sehen könnte, um dem Drittstaatsangehörigen, von dem der Unionsbürger abhängig ist, ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV zu verleihen.

67.

Zum anderen unterscheiden sich die tatsächlichen Gegebenheiten faktisch, wenn sie aus der Perspektive des Unionsbürgers betrachtet werden. Die Richtlinie 2004/38 ist nämlich nicht anwendbar, wenn der Unionsbürger noch nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat und sich stets in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufgehalten hat ( 35 ); dies trifft auf das Kind von E. K. zu. Somit findet das vom Gerichtshof anerkannte abgeleitete Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV nur so lange seine Rechtfertigung, wie der Zustand der Abhängigkeit zwischen dem Kind, das Unionsbürger ist, und seinem Elternteil, einem Drittstaatsangehörigen, andauert. Folglich ist es für den Schutz des tatsächlichen Genusses des Kernbestands der Rechte, die dem Unionsbürger dieser Status verleiht, nicht erforderlich, das abgeleitete Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV durch ein Recht auf Daueraufenthalt zugunsten des drittstaatsangehörigen Elternteils zu verlängern, wenn die Abhängigkeit fortbesteht.

68.

Darüber hinaus liegt auf der Hand, dass selbst im Hinblick auf die Richtlinie 2004/38, die Schutz des Familienlebens und die Integration der Familie im Aufnahmemitgliedstaat zum Ziel hat, diese Ziele vom Gerichtshof als zweitrangig gegenüber dem Hauptziel dieser Richtlinie, die Freizügigkeit der Unionsbürger zu fördern, angesehen werden ( 36 ). Das Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht des Kindes von E. K. werden aber nicht beeinträchtigt, solange der Zustand der Abhängigkeit im Verhältnis zu seinem Elternteil und in der Folge dessen abgeleitetes Aufenthaltsrecht dauert. Wenn diese Abhängigkeit endet, wird die eventuelle Ausreise des Elternteils nicht automatisch die des Kindes, das Unionsbürger ist, nach sich ziehen.

69.

Zwar besteht eine vom Gerichtshof gezogene Analogie zwischen den Beschränkungen der Freizügigkeit aus den in Art. 27 der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit auf der einen und denjenigen Gründen, die von den Mitgliedstaaten im Rahmen der durch Art. 20 AEUV geschaffenen Unionsbürgerschaft stets geltend gemacht werden können, auf der anderen Seite ( 37 ).

70.

Auch diese Überlegung im Licht der Analogie reicht nicht aus, um mich zu überzeugen, da sich dieser Verweis auf die Gefährdung der öffentlichen Ordnung darauf bezieht, ob es möglich ist, das abgeleitete Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV zu beschränken, während im vorliegenden Fall von E. K. die Gewährung eines eigenen Aufenthaltsrechts zugunsten des Inhabers des abgeleiteten Aufenthaltsrechts begehrt wird. Was schließlich die Voraussetzung ausreichender Existenzmittel betrifft, die auch dazu dienen kann, das abgeleitete Aufenthaltsrecht zu beschränken, hat es der Gerichtshof abgelehnt, zwischen der sich aus der Richtlinie 2004/38 ergebenden Regelung und der sich aus Art. 20 AEUV ergebenden Regelung Überlegungen im Wege der Analogie anzustellen, und hat ausgeführt, dass „in dem Fall, in dem zwischen einem Unionsbürger und einem Drittstaatsangehörigen, der zu seiner Familie gehört, ein Abhängigkeitsverhältnis … besteht, Art. 20 AEUV einen Mitgliedstaat daran [hindert], eine Ausnahme von dem abgeleiteten Aufenthaltsrecht, das dem Drittstaatsangehörigen nach Art. 20 AEUV zusteht, allein deshalb vorzusehen, weil der Unionsbürger nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt“ ( 38 ). Selbst bei der Beurteilung der Grenzen des abgeleiteten Aufenthaltsrechts (was im vorliegenden Fall nicht in Rede steht) lehnt es der Gerichtshof mithin ab, automatisch Überlegungen im Wege der Analogie anzustellen.

71.

Hinsichtlich der von E. K. geltend gemachten Richtlinie 2003/86 gestalten sich Überlegungen im Wege der Analogie als noch schwieriger. Der Gerichtshof hat nämlich vor kurzem darauf hingewiesen, dass sich mit einem Unionsbürger verheiratete Drittstaatsangehörige, die von dessen Seite Gewalthandlungen im häuslichen Bereich ausgesetzt waren, im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats nicht in einer vergleichbaren Situation befinden, je nachdem, ob ihre Situation unter die Richtlinie 2004/38 oder unter die Richtlinie 2003/86 fällt ( 39 ). Darüber hinaus sind die Familienangehörigen dieser Unionsbürger ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/86 ausgeschlossen ( 40 ). Schließlich wurde die Situation der Unionsbürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hatten, in der angenommenen Fassung nicht berücksichtigt, während sie in den ursprünglichen Vorschlag der Richtlinie über die Familienzusammenführung eingefügt worden war ( 41 ).

72.

Somit lässt der Analogieschluss mit Bestimmungen des Sekundärrechts nicht die Annahme zu, dass es ein eigenes Recht des Staatsangehörigen auf eine Verfestigung seines abgeleiteten Aufenthaltsrechts aus Art. 20 AEUV gibt.

73.

Es ist jedoch klarzustellen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 13 der Richtlinie 2003/109 für die Ausstellung dauerhafter oder unbefristeter Aufenthaltstitel günstigere Voraussetzungen als diejenigen dieser Richtlinie vorsehen können. Insoweit ergibt sich aus den Akten, dass die niederländische Verwaltung einen Aufenthaltstitel auf der Grundlage von Art. 8 EMRK erteilen konnte und in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, dass dieser Titel nach Ablauf von fünf Jahren einen Anspruch auf die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten begründen könne. Es ist darauf hinzuweisen, dass dieser Titel keinen Zugang zum Recht auf Aufenthalt in den anderen Mitgliedstaaten eröffnet.

74.

Wenn man die Besonderheit des abgeleiteten Aufenthaltsrechts aus Art. 20 AEUV sowie den Umstand berücksichtigt, dass dieser Aufenthalt keinen Nachweis für den Willen, langfristig ansässig zu sein, darstellt, und somit als ein vorübergehender Aufenthalt eingestuft werden kann, der den Ausschluss vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/109 rechtfertigt, bin ich der Auffassung, dass es dieses abgeleitete Aufenthaltsrecht wegen seiner vorübergehenden Natur nicht erlaubt, die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten nach Art. 4 dieser Richtlinie zu erlangen.

75.

Somit ist Art. 3 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2003/109 dahin auszulegen, dass der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen, dem ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV zusteht, einen ausschließlich vorübergehenden Aufenthalt darstellt.

C.   Zur vierten Vorlagefrage betreffend die Vereinbarkeit des nationalen Rechts, das nur nationale Genehmigungen von kurzer Dauer von der Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten – EU ausschließt, mit der Richtlinie 2003/109

76.

Das vorlegende Gericht wirft die Frage auf, ob das nationale Recht mit der Richtlinie 2003/109 vereinbar ist, da das nationale Recht günstiger sei als diese Richtlinie, weil es für langfristige Aufenthaltsberechtigungen – EU nur nationale Genehmigungen von kurzer Dauer ausschließe.

77.

Angesichts der vorgeschlagenen Antworten auf die übrigen Fragen, aus denen sich ergibt, dass das abgeleitete Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt, braucht diese Frage nicht beantwortet zu werden.

V. Ergebnis

78.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die von der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Amsterdam (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Amsterdam, Niederlande) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.

Der Begriff „vorübergehender Aufenthalt“ namentlich im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen ist ein unionsrechtlicher Begriff, der autonom und einheitlich auszulegen ist.

2.

Art. 3 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2003/109 ist dahin auszulegen, dass der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen, dem ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV zusteht, einen ausschließlich vorübergehenden Aufenthalt darstellt.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) C‑34/09, im Folgenden: Urteil Ruiz Zambrano, EU:C:2011:124.

( 3 ) C‑133/15, EU:C:2017:354. In den Niederlanden wird dieses Aufenthaltsrecht „Chavez-Vilchez – Aufenthaltsrecht“ genannt, da es sich auf diese Rechtssache bezieht, die einen niederländischen Fall betraf.

( 4 ) ABl. 2004, L 16, S. 44.

( 5 ) Stb. 2000, Nr. 495, im Folgenden: Vw 2000.

( 6 ) ABl. 1994, L 1, S. 3.

( 7 ) Stb. 2006, Nr. 625.

( 8 ) Stb. 2000, Nr. 497.

( 9 ) Stb. 1984, Nr. 628.

( 10 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77).

( 11 ) Unterzeichnet in Rom am 4. November 1950, im Folgenden: EMRK.

( 12 ) C‑133/15, EU:C:2017:354.

( 13 ) Vgl. Urteil vom 18. Oktober 2012, Singh (C‑502/10, EU:C:2012:636, Rn. 39).

( 14 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Oktober 2012, Singh (C‑502/10, EU:C:2012:636, Rn. 42 und 43).

( 15 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. September 2001, Grzelczyk (C‑184/99, EU:C:2001:458, Rn. 31), und vom 2. März 2010, Rottmann (C‑135/08, EU:C:2010:104, Rn. 43).

( 16 ) Vgl. insbesondere Urteil vom 8. Mai 2018, K.A. u. a. (Familienzusammenführung in Belgien) (C‑82/16, EU:C:2018:308, Rn. 65).

( 17 ) Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Rates betreffend den Status der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (KOM[2001] 127 endg., Rn. 5.3).

( 18 ) Vgl. in diesem Sinne Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Migrations- und Asylbericht (COM[2021] 590 final, S. 17).

( 19 ) Urteil vom 18. Oktober 2012, Singh (C‑502/10, EU:C:2012:636, Rn. 47).

( 20 ) Vgl. Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Rates betreffend den Status der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (KOM[2001] 127 endg., Rn. 5.3, [ABl. 2001, C 240 E, S. 79]).

( 21 ) Art. 3 Abs. 3 dieses Vorschlags lautete: „Drittstaatsangehörige, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, können in dem Mitgliedstaat, der diesen Unionsbürger aufgenommen hat, den Status eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erst dann erwerben, wenn ihnen das Recht auf langfristigen Aufenthalt in diesem Staat entsprechend den Rechtsvorschriften über die Freizügigkeit zuerkannt worden ist.“ (ABl. 2001, C 240 E, S. 81).

( 22 ) Vgl. in diesem Sinne den Bericht über den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend den Status der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (KOM[2001] 127 – C5-0250/2001 – 2001/0074[CNS], S. 36), vorgelegt vom Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten des Europäischen Parlaments vom 30. November 2001, abrufbar unter folgender Internetadresse: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-5-2001-0436_DE.pdf.

( 23 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2011 zur Änderung der Richtlinie 2003/109 (ABl. 2011, L 132, S. 1).

( 24 ) Urteil Ruiz Zambrano (Rn. 45 und Tenor).

( 25 ) Urteil vom 13. September 2016, Rendón Marín (C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 72 und 73 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

( 26 ) Vgl. u. a. Urteile vom 13. September 2016, Rendón Marín (C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie vom 8. Mai 2018, K. A. u. a. (Familienzusammenführung in Belgien) (C‑82/16, EU:C:2018:308, Rn. 51).

( 27 ) Vgl. auch alle in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2003/109 genannten Ausnahmen.

( 28 ) Vgl. in diesem Sinne Art. 14 der Richtlinie 2003/109.

( 29 ) Urteil vom 15. November 2011, Dereci u. a. (C‑256/11, EU:C:2011:734, Rn. 68).

( 30 ) Diese Bestimmung lautet: „Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen mit dem Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben.“

( 31 ) Richtlinie des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. 2003, L 251, S. 12).

( 32 ) Abs. 1 dieser Bestimmung lautet: „Spätestens nach fünfjährigem Aufenthalt und unter der Voraussetzung, dass dem Familienangehörigen kein Aufenthaltstitel aus anderen Gründen als denen der Familienzusammenführung erteilt wurde, haben der Ehegatte oder der nicht eheliche Lebenspartner und das volljährig gewordene Kind – falls erforderlich auf Antrag – das Recht auf einen eigenen Aufenthaltstitel, der unabhängig von jenem des Zusammenführenden ist.“

( 33 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. September 2021, État belge (Aufenthaltsrecht im Fall von häuslicher Gewalt) (C‑930/19, EU:C:2021:657, Rn. 74).

( 34 ) Vgl. hierzu Urteil vom 13. September 2016, Rendón Marín (C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 52).

( 35 ) Vgl. u. a. Urteil vom 5. Mai 2011, McCarthy (C‑434/09, EU:C:2011:277, Rn. 57).

( 36 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. September 2021, État belge (Aufenthaltsrecht im Fall von häuslicher Gewalt) (C‑930/19, EU:C:2021:657, Rn. 82).

( 37 ) Vgl. u. a. Urteil vom 13. September 2016, Rendón Marín (C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 81).

( 38 ) Urteil vom 27. Februar 2020, Subdelegación del Gobierno en Ciudad Real (Ehegatte eines Unionsbürgers) (C‑836/18, EU:C:2020:119, Rn. 49).

( 39 ) Vgl. hierzu Urteil vom 2. September 2021, État belge (Aufenthaltsrecht im Fall von häuslicher Gewalt) (C‑930/19, EU:C:2021:657, Rn. 90).

( 40 ) Vgl. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie.

( 41 ) Vgl. Urteil vom 15. November 2011, Dereci u. a. (C‑256/11, EU:C:2011:734, Rn. 49).

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