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Document 62020CC0597

    Schlussanträge des Generalanwalts J. Richard de la Tour vom 28. April 2022.
    Polskie Linie Lotnicze "LOT" SA gegen Budapest Főváros Kormányhivatala.
    Vorabentscheidungsersuchen des Fővárosi Törvényszék.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Luftverkehr – Verordnung (EG) Nr. 261/2004 – Art. 16 – Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste – Aufgaben der mit der Durchsetzung der genannten Verordnung betrauten nationalen Stelle – Nationale Regelung, die dieser Stelle die Befugnis verleiht, ein Luftfahrtunternehmen anzuweisen, die einem Fluggast geschuldete Ausgleichsleistung zu zahlen – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 47 – Recht auf einen gerichtlichen Rechtsbehelf.
    Rechtssache C-597/20.

    Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2022:330

     SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    JEAN RICHARD DE LA TOUR

    vom 28. April 2022 ( 1 )

    Rechtssache C‑597/20

    Polskie Linie Lotnicze „LOT“ S. A.

    gegen

    Budapest Főváros Kormányhivatala

    (Vorabentscheidungsersuchen des Fővárosi Törvényszék [Hauptstädtischer Gerichtshof, Ungarn])

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Luftverkehr – Verordnung (EG) Nr. 261/2004 – Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 – Ausgleichsleistungen für Fluggäste – Art. 16 – Aufgaben der mit der Durchsetzung der Verordnung betrauten nationalen Stelle – Nationale Regelung, die dieser Stelle die Befugnis verleiht, ein Luftfahrtunternehmen anzuweisen, die einem Fluggast geschuldete Ausgleichsleistung zu zahlen“

    I. Einleitung

    1.

    Kann ein Mitgliedstaat in Anwendung von Art. 16 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 ( 2 ) der für die Durchsetzung dieser Verordnung zuständigen nationalen Stelle die Befugnis verleihen, ein Luftfahrtunternehmen anzuweisen, die Ausgleichsleistung zu zahlen, die dem Fluggast aufgrund einer Annullierung oder großen Verspätung seines Fluges zusteht?

    2.

    Die Antwort auf diese Frage des Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtischer Gerichtshof, Ungarn) soll die dieser Stelle zugewiesenen Zuständigkeiten klären und damit die Tragweite der Grundsätze, die der Gerichtshof in seinem Urteil vom 17. März 2016, Ruijssenaars u. a. ( 3 ), aufgestellt hat, verdeutlichen.

    3.

    In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich die Gründe darlegen, aus denen ich der Ansicht bin, dass eine solche Bestimmung einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der ein Mitgliedstaat seiner nationalen Stelle eine solche Zwangsbefugnis verleiht, sofern diese Regelung dem Luftfahrtunternehmen nicht die Möglichkeit nimmt, vor dem zuständigen nationalen Gericht Klage zu erheben, um den von ihm geforderten Ausgleich in Frage zu stellen.

    II. Rechtlicher Rahmen

    A.   Unionsrecht

    4.

    In den Erwägungsgründen 1, 21 und 22 der Verordnung Nr. 261/2004 heißt es:

    „(1)

    Die Maßnahmen der [Europäischen Union] im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.

    (21)

    Die Mitgliedstaaten sollten Regeln für Sanktionen bei Verstößen gegen diese Verordnung festlegen und deren Durchsetzung gewährleisten. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

    (22)

    Die Mitgliedstaaten sollten die generelle Einhaltung dieser Verordnung durch ihre Luftfahrtunternehmen sicherstellen und überwachen und eine geeignete Stelle zur Erfüllung dieser Durchsetzungsaufgaben benennen. Die Überwachung sollte das Recht von Fluggästen und Luftfahrtunternehmen unberührt lassen, ihre Rechte nach den im nationalen Recht vorgesehenen Verfahren gerichtlich geltend zu machen.“

    5.

    Art. 5 („Annullierung“) der Verordnung sieht vor:

    „(1)   Bei Annullierung eines Fluges [wird] den betroffenen Fluggästen

    c)

    vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,

    (3)   Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.“

    6.

    Art. 7 („Ausgleichsanspruch“) der Verordnung bestimmt:

    „(1)   Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:

    a)

    250 EUR bei allen Flügen über eine Entfernung von 1500 km oder weniger,

    b)

    400 EUR bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1500 km und 3500 km,

    c)

    600 EUR bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen.

    Bei der Ermittlung der Entfernung wird der letzte Zielort zugrunde gelegt, an dem der Fluggast infolge der Nichtbeförderung oder der Annullierung später als zur planmäßigen Ankunftszeit ankommt.

    (2)   Wird Fluggästen gemäß Artikel 8 eine anderweitige Beförderung zu ihrem Endziel mit einem Alternativflug angeboten, dessen Ankunftszeit

    a)

    bei allen Flügen über eine Entfernung von 1500 km oder weniger nicht später als zwei Stunden oder

    b)

    bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1500 und 3500 km nicht später als drei Stunden oder

    c)

    bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen nicht später als vier Stunden

    nach der planmäßigen Ankunftszeit des ursprünglich gebuchten Fluges liegt, so kann das ausführende Luftfahrtunternehmen die Ausgleichszahlungen nach Absatz 1 um 50 % kürzen.

    …“

    7.

    Art. 16 („Verstöße“) der Verordnung sieht vor:

    „(1)   Jeder Mitgliedstaat benennt eine Stelle, die für die Durchsetzung dieser Verordnung in Bezug auf Flüge von in seinem Hoheitsgebiet gelegenen Flughäfen und Flüge von einem Drittland zu diesen Flughäfen zuständig ist. Gegebenenfalls ergreift diese Stelle die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Fluggastrechte gewahrt werden. Die Mitgliedstaaten teilen der [Europäischen] Kommission mit, welche Stelle gemäß diesem Absatz benannt worden ist.

    (2)   Unbeschadet des Artikels 12 kann jeder Fluggast bei einer gemäß Absatz 1 benannten Stelle oder einer sonstigen von einem Mitgliedstaat benannten zuständigen Stelle Beschwerde wegen eines behaupteten Verstoßes gegen diese Verordnung erheben, der auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats begangen wurde oder einen Flug von einem Drittstaat zu einem Flughafen in diesem Gebiet betrifft.

    (3)   Die von den Mitgliedstaaten für Verstöße gegen diese Verordnung festgelegten Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“

    B.   Ungarisches Recht

    8.

    Art. 43/A Abs. 2 des A fogyasztóvédelemről szóló 1997. évi CLV. törvény (Verbraucherschutzgesetz CLV von 1997) ( 4 ) vom 15. Dezember 1997 bestimmt:

    „Die Verbraucherschutzbehörde ist – erforderlichenfalls nach Konsultation der Zivilluftfahrtbehörde – für die Durchsetzung der Verordnung [(EU)] 2017/2394[ ( 5 )] in Bezug auf Verstöße gegen die Bestimmungen der Verordnung Nr. 261/2004 innerhalb der [Europäischen Union] zuständig …“

    9.

    Art. 47 Abs. 1 Buchst. c und i dieses Gesetzes ermächtigen die Behörde, das betreffende Unternehmen zu verpflichten, die festgestellten Fehler und Unregelmäßigkeiten binnen einer bestimmten Frist abzustellen und „Bußgelder zum Schutz der Verbraucher“ zu verhängen.

    III. Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

    10.

    Nach einer mehr als dreistündigen Verspätung eines von der Fluggesellschaft Polskie Linie Lotnicze „LOT“ SA ( 6 ) durchgeführten Fluges von New York (USA) nach Budapest (Ungarn) ersuchten mehrere Passagiere die Budapest Főváros Kormányhivatala (Verbraucherschutzinspektion der Regierungsverwaltung für die Hauptstadt Budapest, Ungarn) ( 7 ), das Luftfahrtunternehmen anzuweisen, ihnen als Ausgleich für den Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 die in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehene Ausgleichszahlung zu leisten.

    11.

    Mit Entscheidung vom 20. April 2020 stellte die Verbraucherschutzinspektion fest, dass LOT gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 verstoßen habe, und gab ihr auf, den betroffenen Fluggästen jeweils einen Ausgleich in Höhe von 600 Euro zu zahlen sowie künftig Fluggästen, die eine vergleichbare Beschwerde erhöben, den gleichen Ausgleichsbetrag zu zahlen. Die Verbraucherschutzinspektion macht geltend, dass sie gemäß Art. 43/A Abs. 2 des Verbraucherschutzgesetzes, der die Anforderungen des Art. 16 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung umsetze, ermächtigt sei, Luftfahrtunternehmen dazu zu verpflichten, Verstöße gegen die Verordnung binnen einer bestimmten Frist abzustellen.

    12.

    Das vorlegende Gericht, das mit einer Klage auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung befasst ist, hat Zweifel am Umfang der Befugnisse der Verbraucherschutzinspektion. Unter diesen Umständen hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    Ist Art. 16 Abs. 1 und 2 der Verordnung [Nr. 261/2004] dahin auszulegen, dass die für die Durchsetzung dieser Verordnung zuständige nationale Stelle, bei der ein Fluggast eine individuelle Beschwerde erhoben hat, das betreffende Luftfahrtunternehmen nicht verpflichten kann, den dem Fluggast nach der Verordnung zustehenden Ausgleich zu zahlen?

    13.

    LOT, die Verbraucherschutzinspektion, die ungarische, die niederländische und die polnische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Diese Beteiligten haben in der Sitzung vom 2. Februar 2022 auch mündliche Ausführungen gemacht.

    IV. Würdigung

    A.   Einleitende Bemerkung

    14.

    Die Prüfung des Vorabentscheidungsersuchens erfordert eine einleitende Bemerkung zur Notwendigkeit, andere Rechtsvorschriften als die vom vorlegenden Gericht ausdrücklich genannten zu berücksichtigen.

    15.

    Die Frage stellt sich im Hinblick auf die Verordnung 2017/2394 und insbesondere Art. 9 Abs. 4 Buchst. f dieser Verordnung.

    16.

    Gemäß Art. 1 der Verordnung werden in dieser nämlich „die Bedingungen festgelegt, unter denen die zuständigen Behörden, die in den Mitgliedstaaten als für die Durchsetzung des Unionsrechts zum Schutz der Verbraucherinteressen verantwortlich benannt wurden, untereinander und mit der Kommission zusammenarbeiten und Aktionen koordinieren, um die Einhaltung dieser Rechtsvorschriften und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts sicherzustellen und um den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher zu fördern“.

    17.

    Nach Art. 3 Nr. 1 der Verordnung 2017/2394 und dem dazugehörigen Anhang gehören die Bestimmungen der Verordnung Nr. 261/2004 zum „Unionsrecht zum Schutz der Verbraucherinteressen“.

    18.

    In Art. 9 Abs. 4 Buchst. f dieser Verordnung sieht der Unionsgesetzgeber Folgendes vor:

    „Die zuständigen Behörden [d. h. jede Behörde auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene, die für die Durchsetzung des Unionsrechts zum Schutz der Verbraucherinteressen verantwortlich ist und von einem Mitgliedstaat als zuständig benannt worden ist ( 8 )] verfügen mindestens über die folgenden Durchsetzungsbefugnisse, die es ihnen gestatten,

    f)

    die Einstellung oder Untersagung von Verstößen nach dieser Verordnung zu bewirken;

    …“

    19.

    In Anbetracht dessen stellt sich die Frage, ob dieser Artikel für die Beurteilung der Natur und den Umfang der den nationalen Stellen nach Art. 16 der Verordnung Nr. 261/2004 übertragenen Befugnisse relevant sein könnte.

    20.

    Aus den Gründen, die ich im Folgenden darlegen werde, bin ich – in Übereinstimmung mit den von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung geäußerten Standpunkten – der Auffassung, dass diese Bestimmungen für die Würdigung nicht zweckdienlich sind.

    21.

    Gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung 2017/2394 gilt diese nämlich „für Verstöße innerhalb der Union, weitverbreitete Verstöße und weitverbreitete Verstöße mit Unions-Dimension, selbst wenn diese Verstöße vor Beginn oder Abschluss der Durchsetzung eingestellt wurden“. Gemäß Art. 3 dieser Verordnung handelt es sich bei allen diesen Verstößen um Handlungen oder Unterlassungen, die gegen Unionsrecht zum Schutz der Verbraucherinteressen verstoßen und die „Kollektivinteressen“ von Verbrauchern geschädigt haben, schädigen oder voraussichtlich schädigen können.

    22.

    So hat die Kommission in ihren Auslegungsleitlinien ( 9 ) ausgeführt, dass die nationalen Behörden, die für die Durchsetzung der Verordnung Nr. 261/2004 zuständig sind, „ihren Verpflichtungen aus der [Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 ( 10 )] nachkommen [müssen], wenn in einem grenzüberschreitenden Kontext die kollektiven Interessen der Verbraucher auf dem Spiel stehen“ ( 11 ).

    23.

    Ist die Hauptaufgabe der nationalen Stelle, die für die Durchsetzung der Verordnung Nr. 261/2004 zuständig ist, die Wahrung der kollektiven Interessen der Fluggäste, so stellt sich die Frage des vorlegenden Gerichts hingegen in einem ganz anderen Zusammenhang, nämlich dem der Wahrung der individuellen Interessen dieser Fluggäste. Der vom Unionsgesetzgeber in Art. 7 dieser Verordnung verankerte Ausgleichsanspruch fügt sich nämlich in den Rahmen der Erfüllung des zwischen dem Fluggast und dem Luftfahrtunternehmen geschlossenen Beförderungsvertrags ein. Mithin wird die Zwangsbefugnis, über die die nationale Stelle aufgrund einer individuellen Beschwerde verfügt, nicht im Interesse einer Gesamtheit von Einzelpersonen, sondern im Interesse eines ganz bestimmten Rechtssubjekts ausgeübt. Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung festgestellt, dass sich die kollektiven Interessen der Verbraucher auf Situationen beziehen, „die über den Rahmen der Beziehungen zwischen den Parteien des Rechtsstreits hinausgehen“ ( 12 ). Der Begriff des kollektiven Interesses ( 13 ) unterscheidet sich von dem des individuellen Interesses. Folglich besteht ein offensichtlicher Widerspruch zwischen dem Kontext, in den sich das Ausgangsverfahren einfügt, und den Situationen, auf die die Verordnung 2017/2394 – die insbesondere durch das Ziel gekennzeichnet ist, die „kollektiven Interessen der Verbraucher als Gruppe“ ( 14 ) zu schützen – Anwendung findet.

    24.

    In Anbetracht dessen sind daher die Bestimmungen dieser Verordnung für die Zwecke der vom vorlegenden Gericht erbetenen Auslegung nicht zu berücksichtigen.

    25.

    Hingegen werde ich mich in meiner Würdigung auf die geltenden Verordnungen zum Schutz der Rechte von behinderten Flugreisenden und von Fahrgästen im Eisenbahn‑, See- oder Kraftomnibusverkehr beziehen ( 15 ). Zwar sind die verschiedenen betroffenen Verkehrsträger nicht miteinander vergleichbar und hat der Unionsgesetzgeber, wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 2. September 2021, Irish Ferries ( 16 ), festgestellt hat, nicht beabsichtigt, für jeden dieser Verkehrsträger ein identisches Schutzniveau zu gewährleisten ( 17 ). Allerdings sieht jeder dieser Rechtsakte, ähnlich wie die Verordnung Nr. 261/2004, die Benennung einer für die Durchsetzung der jeweiligen Verordnung zuständigen nationalen Stelle vor. Der Gerichtshof hat im Urteil Irish Ferries betont, dass der Unionsgesetzgeber bei der Auslegung der in den einzelnen Verordnungen verwendeten Begriffe „einen einheitlichen Ansatz“ wählen wollte ( 18 ), wie es z. B. beim Begriff der „außergewöhnlichen Umstände“ – der im Bereich der Rechte von Fluggästen, aber auch von Fahrgästen im Seeverkehr verwendet wird – der Fall ist ( 19 ). Somit halte ich es für sinnvoll, die Vorschriften zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber in diesen Verordnungen hinsichtlich der Befugnisse der jeweiligen für die Durchsetzung der Fahrgastrechte zuständigen nationalen Stelle vorgesehen hat.

    B.   Zur Vorlagefrage

    26.

    Mit seiner einzigen Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen vom Gerichtshof wissen, ob Art. 16 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die für die Durchsetzung dieser Verordnung zuständige nationale Stelle befugt ist, ein Luftfahrtunternehmen anzuweisen, den nach Art. 7 der Verordnung wegen Annullierung eines Fluges vorgesehenen Ausgleich zu zahlen ( 20 ).

    27.

    Wie bereits erwähnt soll die Antwort auf diese Frage den Umfang der dieser nationalen Stelle verliehenen Befugnisse im Einklang mit den Grundsätzen klären, die der Gerichtshof bereits im Urteil Ruijssenaars u. a. aufgestellt hat.

    28.

    Im Urteil Ruijssenaars u. a., dessen Tenor ich hier wiedergebe, hat der Gerichtshof entschieden, dass „Art. 16 der [Verordnung Nr. 261/2004] dahin auszulegen [ist], dass die nationale Stelle, die gemäß Abs. 1 dieses Artikels von jedem Mitgliedstaat benannt wird und die mit der individuellen Beschwerde eines Fluggasts infolge der Weigerung eines Luftfahrtunternehmens, ihm die Ausgleichsleistung gemäß Art. 7 Abs. 1 der Verordnung zu zahlen, befasst ist, nicht verpflichtet ist, Durchsetzungsmaßnahmen gegen dieses Luftfahrtunternehmen zu erlassen, um es dazu anzuhalten, die dem Fluggast nach der Verordnung zustehende Ausgleichsleistung zu zahlen“ ( 21 ).

    29.

    Diese Auslegung beruht auf drei Erwägungen, die der Gerichtshof im ersten Teil seiner Begründung dargelegt hat. Die erste Erwägung betrifft den Wortlaut selbst von Art. 16 der Verordnung Nr. 261/2004 (Rn. 28 bis 32 des Urteils Ruijssenaars u. a.), die zweite die mit der Verordnung verfolgten Ziele (Rn. 33 des Urteils Ruijssenaars u. a.) und die dritte schließlich die Rollenverteilung zwischen den nationalen Stellen und den nationalen Gerichten (Rn. 35 des Urteils Ruijssenaars u. a.) ( 22 ). Am Ende seiner Begründung ist der Gerichtshof zur Feststellung gelangt, dass der Unionsgesetzgeber die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, ihren nationalen Stellen die Befugnis zu verleihen, Zwangsmaßnahmen gegen Luftfahrtunternehmen zu ergreifen, um die Zahlung der den Fluggästen zustehenden Ausgleichsleistungen zu erwirken. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass es eine solche Auslegung ermöglicht, jeglicher für die Fluggastrechte nachteiliger unterschiedlicher Beurteilung durch die mit der Bearbeitung individueller Beschwerden betrauten nationalen Stellen einerseits und durch die mit individuellen Klagen auf Zahlung der Ausgleichsleistungen gemäß Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 befassten nationalen Gerichte andererseits vorzubeugen (Rn. 34 des Urteils Ruijssenaars u. a.).

    30.

    Allerdings hat der Gerichtshof im zweiten Teil seiner Begründung folgendes obiter dictum hinzugefügt:

    Die Mitgliedstaaten haben dennoch angesichts dieser Ziele und des Handlungsspielraums, über den sie bei der Zuweisung der Zuständigkeiten, die sie den Stellen im Sinne des Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 übertragen möchten, verfügen …, die Möglichkeit, zum Ausgleich eines unzureichenden Schutzes der Fluggastrechte die Stelle im Sinne von Art. 16 Abs. 1 der Verordnung zu ermächtigen, Maßnahmen auf individuelle Beschwerden hin zu ergreifen.“ ( 23 )

    31.

    Diese Aussage ist so zu verstehen, dass sie die Erwägung des Gerichtshofs zum Ausdruck bringt, dass die Mitgliedstaaten ihren mit der Durchsetzung dieser Verordnung betrauten nationalen Stellen im Rahmen der diesen Stellen durch Art. 16 der Verordnung übertragenen Aufgaben eine Anordnungsbefugnis verleihen können.

    32.

    Im vorliegenden Rechtsstreit stützt sich LOT auf den ersten Teil der Begründung des Gerichtshofs im Urteil Ruijssenaars u. a., um die Zuweisung einer solchen Zuständigkeit an die Verbraucherschutzinspektion in Frage zu stellen, wohingegen sich die Verbraucherschutzinspektion auf den zweiten Teil dieser Begründung stützt, um die ihr durch die nationale Regelung verliehene Befugnis zu begründen. Der Gerichtshof ist daher aufgefordert, die Tragweite dieses obiter dictum klarzustellen. Zum Zweck dieser Klarstellung schlage ich dem Gerichtshof vor, im Einklang mit seiner ständigen Rechtsprechung den Wortlaut von Art. 16 der Verordnung Nr. 261/2004, aber auch die Systematik und die Ziele dieser Verordnung zu berücksichtigen und dabei auch die Grundsätze heranzuziehen, die er bereits in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat.

    33.

    Diese Klarstellung ist von grundlegender Bedeutung, denn die Befugnisse der nationalen Stellen haben große praktische Auswirkungen, insbesondere für die Tausenden von Fluggästen, die jedes Jahr von der Annullierung oder der großen Verspätung ihres Fluges betroffen sind. Darüber hinaus wird die Klarstellung es ermöglichen, den Aufforderungen der Kommission nachzukommen, die wiederholt darauf hingewiesen hat, dass die Verordnung schwer anzuwenden ist, weil es auf nationaler Ebene an einer einheitlichen Auslegung und an kohärenten Anwendungsmodalitäten mangelt; nach Ansicht der Kommission muss die Verordnung verbessert werden, um klare und leicht zugängliche Mittel zur Behandlung von Beschwerden zu gewährleisten ( 24 ).

    1. Wortlaut von Art. 16 der Verordnung Nr. 261/2004

    34.

    In Art. 16 der Verordnung Nr. 261/2004 legt der Unionsgesetzgeber die Regeln fest, die bei „Verstößen“ gegen die Bestimmungen dieser Verordnung gelten.

    35.

    Erstens muss gemäß Art. 16 Abs. 1 der Verordnung jeder Mitgliedstaat „eine Stelle [benennen], die für die Durchsetzung dieser Verordnung“ in Bezug auf Flüge von in seinem Hoheitsgebiet gelegenen Flughäfen und Flüge von einem Drittland zu diesen Flughäfen zuständig ist, wobei es dieser Stelle obliegt, gegebenenfalls die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die Fluggastrechte gewahrt werden. Obwohl der Unionsgesetzgeber die örtliche Zuständigkeit dieser Stelle genau festlegt, bestimmt er nicht, unter welchen Bedingungen oder in welcher Weise diese Stelle ihre Aufgaben wahrzunehmen hat und zu gewährleisten hat, dass die „Fluggastrechte gewahrt werden“ ( 25 ). Außerdem möchte ich festhalten, dass die Formulierung, wonach die „Fluggastrechte gewahrt werden“, einen offensichtlich weiten Anwendungsbereich hat. Sie umfasst sowohl die Wahrung der kollektiven als auch der individuellen Interessen der Fluggäste. Der 22. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004, in dem die Erwägungen dargelegt werden, auf die sich der Unionsgesetzgeber beim Erlass des Art. 16 Abs. 1 dieser Verordnung gestützt hat, enthält diesbezüglich keine näheren Angaben.

    36.

    Unter diesen Umständen lässt sich feststellen, dass die Mitgliedstaaten gemäß Art. 16 Abs. 1 der Verordnung über einen Handlungsspielraum in Bezug auf die Zuständigkeiten, die sie ihren nationalen Stellen zum Schutz der Fluggastrechte übertragen möchten, verfügen. Auf diesen Handlungsspielraum hat der Gerichtshof im Übrigen in Rn. 36 des Urteils Ruijssenaars u. a. ausdrücklich Bezug genommen.

    37.

    Da Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 den Fluggästen bei Annullierung ihres Fluges einen Anspruch auf Ausgleichsleistungen zuerkennt, spricht meines Erachtens nichts dagegen, dass ein Mitgliedstaat seiner nationalen Stelle die Befugnis verleiht, ein Luftfahrtunternehmen anzuweisen, die geschuldeten Ausgleichsleistungen zu zahlen, um die Einhaltung dieses Anspruchs zu gewährleisten. Die Nichtbeachtung dieses Anspruchs stellt nicht nur eine Verletzung der vertraglichen Verpflichtungen des Luftfahrtunternehmens dar, sondern auch einen Verstoß gegen die ordnungsgemäße Anwendung dieser Verordnung.

    38.

    Zweitens bin ich der Ansicht, dass Art. 16 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 261/2004 weder bezweckt noch bewirkt, dass der Umfang der Zuständigkeiten, die die Mitgliedstaaten ihren nationalen Stellen zuweisen können, begrenzt wird.

    39.

    Ich erinnere zum einen daran, dass nach Art. 16 Abs. 2 der Verordnung „jeder Fluggast bei einer gemäß Absatz 1 benannten Stelle oder einer sonstigen von einem Mitgliedstaat benannten zuständigen Stelle Beschwerde wegen eines behaupteten Verstoßes gegen diese Verordnung erheben [kann], der auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats begangen wurde oder einen Flug von einem Drittstaat zu einem Flughafen in diesem Gebiet betrifft“.

    40.

    Sowohl aus dem Urteil Ruijssenaars u. a. zur Auslegung der Verordnung Nr. 261/2004 als auch aus dem Urteil Irish Ferries zur Auslegung der Verordnung Nr. 1177/2010 ergibt sich, dass sich die „Beschwerde“ im Sinne von Art. 16 Abs. 2 der Verordnung Nr. 261/2004 ihrer Natur und ihrer Tragweite nach von einem Antrag unterscheidet, den ein Fluggast im Einzelfall stellt, um die Ausgleichsleistung zu erhalten, die ihm wegen der Annullierung seiner Beförderungsleistung zusteht. Dem Gerichtshof zufolge betrifft diese Beschwerde nämlich die Meldung, die der Fluggast vornimmt, um der zuständigen Stelle die angebliche Verletzung einer Pflicht des Beförderers zur Kenntnis zu bringen, und zwar mit dem Ziel, zur ordnungsgemäßen Anwendung der in Rede stehenden Verordnungen im Allgemeinen beizutragen. Der Gerichtshof hat im Urteil Ruijssenaars u. a. entschieden, dass eine solche Beschwerde „die [nationale] Stelle [nicht verpflichtet,] … tätig zu werden, um das Recht jedes einzelnen Fluggasts auf Erhalt einer Ausgleichsleistung zu gewährleisten“ ( 26 ). Im Urteil Irish Ferries hat er festgestellt, dass der Beförderer „bei der Entscheidung, wie er auf diese Meldung reagiert, über einen gewissen Wertungsspielraum verfügt“ ( 27 ).

    41.

    Zum anderen erinnere ich daran, dass nach Art. 16 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 „[d]ie von den Mitgliedstaaten für Verstöße gegen diese Verordnung festgelegten Sanktionen … wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein [müssen]“. Diese Sanktionen unterscheiden sich ihrer Natur und ihrer Tragweite nach deutlich von den Zwangsmaßnahmen, die eine nationale Stelle ergreift, um die Zahlung der dem Fluggast für die Annullierung seines Fluges geschuldeten – pauschalen – Ausgleichsleistung zu erwirken. So hat der Gerichtshof im Urteil Ruijssenaars u. a. entschieden, dass es sich bei den vom Unionsgesetzgeber in Art. 16 der Verordnung Nr. 261/2004 genannten „Sanktionen“ um Maßnahmen handelt, die die nationale Stelle als Reaktion auf Verstöße ergreift, die sie in Ausübung ihrer allgemeinen Aufsicht aufdeckt, „und nicht [um] verwaltungsrechtliche Durchsetzungsmaßnahmen, die in jedem Einzelfall zu ergreifen sind“ ( 28 ).

    42.

    Auch wenn der Gerichtshof festgestellt hat, dass die in Art. 16 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 261/2004 enthaltenen Bestimmungen „die verschiedenen Gesichtspunkte präzisieren, die sich aus den Aufgaben ergeben, die der in Art. 16 Abs. 1 genannten Stelle obliegen“ ( 29 ), können diese Bestimmungen daher nicht dahin ausgelegt werden, dass sie die Möglichkeit ausschließen, der nationalen Stelle andere Zuständigkeiten als die der Bearbeitung der ihr zur Kenntnis gebrachten Meldungen und der Verhängung von Sanktionen zuzuweisen.

    43.

    In Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften verfügen die Mitgliedstaaten somit über einen Handlungsspielraum, wenn sie der nationalen Stelle Zuständigkeiten, die die Wahrung der Fluggastrechte gewährleisten sollen, zuweisen. In diesem Zusammenhang und in Anbetracht des Wortlauts von Art. 16 der Verordnung Nr. 261/2004 spricht nichts dagegen, dass ein Mitgliedstaat dieser Stelle die Befugnis verleiht, ein Luftfahrtunternehmen anzuweisen, die nach den Art. 5 und 7 der Verordnung geschuldeten Ausgleichsleistungen zu zahlen.

    44.

    Darüber hinaus wird diese Auslegung meiner Meinung nach sowohl durch die Systematik als auch durch die Ziele der Verordnung gestützt.

    2. Systematik und Ziele der Verordnung Nr. 261/2004

    45.

    Der Umfang der der nationalen Stelle übertragenen Aufgaben ist auch im Hinblick auf die Natur der in Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleichszahlungen und die vom Unionsgesetzgeber angestrebten Ziele zu beurteilen.

    46.

    Der Gerichtshof hat diese Ausgleichszahlungen im Urteil vom 29. Juli 2019, Rusu, als pauschal, standardisiert und unverzüglich bezeichnet ( 30 ). In den Worten, die der Gerichtshof im Urteil Irish Ferries verwendet hat, handelt es sich um einen „Anspruch auf eine Geldforderung, deren Zahlung [der Fahrgast] vom Beförderer allein deshalb verlangen kann, weil die Voraussetzungen [des Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010] erfüllt sind“ ( 31 ). Geht die Annullierung eines Fluges nämlich nicht auf außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 zurück, so bestimmt sich die Höhe der Ausgleichszahlungen nach der Staffelung in Art. 7 Abs. 1 und 2 der Verordnung. Die Fluggäste erhalten Ausgleichszahlungen in Höhe von 250 Euro bei allen Flügen über eine Entfernung von 1500 km oder weniger (Buchst. a), 400 Euro bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1500 km und 3500 km (Buchst. b) und schließlich 600 Euro bei allen nicht unter die vorstehenden Buchstaben fallenden Flügen. Außerdem werden die Ausgleichszahlungen unter bestimmten Bedingungen bei einer anderweitigen Beförderung des Fluggastes um die Hälfte gekürzt. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass „[d]ie Pauschalbeträge … nur den Schaden ausgleichen [sollen], der für alle betroffenen Fluggäste praktisch identisch ist“ ( 32 ). Daher können sowohl die Fluggäste als auch die Luftfahrtunternehmen die Höhe der jeweils geschuldeten Ausgleichszahlung ermitteln, da diese nicht im Einzelfall nach den besonderen Umständen jedes einzelnen Fluggastes beurteilt wird, sondern ausschließlich von der Entfernung und dem Zielort des betreffenden Fluges abhängt ( 33 ). Unter diesen Umständen bin ich der Auffassung, dass die nationale Stelle im Hinblick auf die Ergreifung von Zwangsmaßnahmen durchaus in der Lage ist, die Begründetheit und gegebenenfalls die Höhe des Anspruchs zu beurteilen, es sei denn, der Anspruch auf eine Ausgleichszahlung wird auf der Grundlage des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 in Frage gestellt und es sind Überlegungen rechtlicher Art, z. B. hinsichtlich des Vorliegens „außergewöhnlicher Umstände“, erforderlich.

    47.

    Darüber hinaus trägt meines Erachtens eine solche Zuweisung der Zuständigkeit zu den Zielen bei, die der Unionsgesetzgeber mit der Verordnung Nr. 261/2004 verfolgt. Gemäß den Erwägungsgründen 1, 2, 4 und 12 der Verordnung zielt diese darauf ab, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste zu gewährleisten, die aufgrund der Annullierung ihres Fluges ein Ärgernis und große Unannehmlichkeiten erleiden ( 34 ). Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass die in Art. 7 Abs. 1 der Verordnung festgesetzten Beträge dazu dienen, dass standardisiert und unverzüglich – „ohne die Mühen gerichtlicher Geltendmachung“ – der Schaden wiedergutgemacht wird, der in solchen Unannehmlichkeiten besteht ( 35 ). Im Urteil Irish Ferries hat der Gerichtshof hinzugefügt, dass die in Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 mit identischem Wortlaut vorgesehene Entschädigung „als solche geeignet [ist], bestimmte Unannehmlichkeiten, die Fahrgästen bei einer Annullierung eines Verkehrsdienstes entstehen, unverzüglich zu beseitigen, und es somit [ermöglicht], ein hohes Schutzniveau für die Fahrgäste sicherzustellen, wie es mit der Verordnung angestrebt wird“ ( 36 ).

    48.

    Eine Maßnahme, wie sie in der fraglichen nationalen Regelung vorgesehen ist, trägt meiner Ansicht nach zur Einfachheit, Schnelligkeit und Wirksamkeit des Ausgleichsverfahrens bei, da sie den betroffenen Fluggast davor bewahrt, für die Zahlung der ihm zustehenden Ausgleichsleistung eine Klage bei den zuständigen Justizbehörden einreichen zu müssen, was zeitaufwändiger und bisweilen komplexer sein kann. Daher gewährleistet meiner Meinung nach eine solche Maßnahme ein hohes Schutzniveau für Fluggäste und verhindert gleichzeitig eine Überlastung der Gerichte angesichts der äußerst hohen Zahl von Ausgleichsansprüchen.

    49.

    Des Weiteren sei daran erinnert, dass die Anerkennung einer solchen Zuständigkeit der nationalen Stelle weder den Fluggästen noch den Luftfahrtunternehmen die Möglichkeit nimmt, vor dem zuständigen nationalen Gericht einen Rechtsbehelf gemäß den im nationalen Recht vorgesehenen Verfahren einzulegen ( 37 ). Die Fluggäste können das zuständige Gericht anrufen, um die in Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleichszahlungen geltend zu machen, und in gleicher Weise müssen die Luftfahrtunternehmen die Möglichkeit haben, die Begründetheit der von ihnen geforderten Ausgleichszahlungen in Frage zu stellen.

    50.

    Ich erinnere nämlich daran, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 22. November 2012, Cuadrench Moré ( 38 ), entschieden hat, dass „bei Annullierung eines Fluges und unter dem Vorbehalt, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, die Art. 5 und 7 der Verordnung Nr. 261/2004 den Fluggästen einen Ausgleichsanspruch einräumen, der je nach der Entfernung und dem Zielort des betreffenden Fluges variiert. Diesen Anspruch können die Fluggäste nötigenfalls vor den nationalen Gerichten geltend machen“ ( 39 ). Ferner hat der Gerichtshof hinzugefügt, dass „es in Ermangelung einer entsprechenden unionsrechtlichen Regelung Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats [ist], die Verfahrensmodalitäten für Klagen festzulegen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sofern diese Modalitäten den Äquivalenz- und den Effektivitätsgrundsatz wahren“ ( 40 ).

    51.

    Zwar hat der Gerichtshof in Rn. 34 des Urteils Ruijssenaars u. a. auf die Gefahr einer unterschiedlichen Beurteilung ein und desselben Einzelfalls durch die nationale Stelle einerseits und das nationale Gericht andererseits hingewiesen, und ferner besteht das Risiko, dass zwei Anträge auf Zahlung der geschuldeten Ausgleichsleistung gleichzeitig – einer bei der nationalen Stelle und ein anderer beim nationalen Gericht – gestellt werden. Allerdings können meines Erachtens die Mitgliedstaaten dieses Risiko verringern, indem sie verfahrensrechtliche Maßnahmen erlassen, die die Koordinierung von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gewährleisten. In Ermangelung einer einschlägigen Unionsregelung und unter Berücksichtigung des Handlungsspielraums, über den die Mitgliedstaaten in Bezug auf die Zuständigkeiten verfügen, die sie der nationalen Stelle zuweisen möchten, ist es Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats, diese Verfahrensmodalitäten zu regeln.

    52.

    Im vorliegenden Fall weise ich darauf hin, dass nichts in der Vorlageentscheidung oder den von der ungarischen Regierung eingereichten Erklärungen darauf hindeutet, dass die Übertragung einer solchen Zuständigkeit an die Verbraucherschutzinspektion das Recht der Fluggäste und der Luftfahrtunternehmen auf Anrufung der Gerichte beeinträchtigen könnte oder die Gefahr begründen könnte, dass die Verbraucherschutzinspektion einerseits und die Gerichte andererseits ein und denselben Einzelfall unterschiedlich beurteilen.

    53.

    Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, für Recht zu erkennen, dass Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der ein Mitgliedstaat der für die Durchsetzung dieser Verordnung zuständigen nationalen Stelle die Befugnis verleiht, ein Luftfahrtunternehmen anzuweisen, den einem Fluggast wegen der Annullierung oder der großen Verspätung seines Fluges nach Art. 7 der Verordnung zustehenden Ausgleich zu zahlen, sofern eine solche Regelung weder dem Fluggast noch dem Luftfahrtunternehmen die Möglichkeit nimmt, vor dem zuständigen nationalen Gericht einen Rechtsbehelf einzulegen, um die Zahlung dieses Ausgleichs einzufordern bzw. seine Begründetheit in Frage zu stellen. Es ist Sache des Mitgliedstaats, im Rahmen seiner Verfahrensautonomie die Modalitäten zu regeln, die die Koordinierung der Verfahren vor der für die Durchsetzung dieser Verordnung zuständigen nationalen Stelle und vor dem zuständigen nationalen Gericht gewährleisten sollen.

    3. Schlussbemerkung

    54.

    Bevor ich meine Würdigung abschließe, halte ich es von Interesse, darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts von dem ihnen nach Art. 16 der Verordnung Nr. 261/2004 eingeräumten Handlungsspielraum Gebrauch machen.

    55.

    Wie eine vergleichende Analyse der verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften zeigt ( 41 ), beziehen die Mitgliedstaaten nicht nur die jeweiligen nationalen Stellen und die nationalen Gerichte in die entsprechenden Verfahren ein, sondern auch die Stellen, die für den Verbraucherschutz zuständig sind, ebenso wie die für die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten ( 42 ) oder die für Verfahren für geringfügige Forderungen zuständigen Stellen.

    56.

    Einige Mitgliedstaaten haben sich entschieden, als für die Durchsetzung der Verordnung Nr. 261/2004 zuständige nationale Stelle ihre nationale Zivilluftfahrtbehörde zu benennen ( 43 ), während andere es bevorzugt haben, ihre nationale Verbraucherschutzbehörde zu benennen, die dann für die Durchsetzung der Verordnungen über die Rechte von Fluggästen, aber auch von Fahrgästen im Eisenbahn‑, See- und Straßenverkehr zuständig sein kann ( 44 ). Ebenso übertragen einige Mitgliedstaaten der für die Durchsetzung dieser Verordnung zuständigen nationalen Stelle die Aufgabe, die ordnungsgemäße Anwendung der Verordnung im allgemeinen Interesse der Fluggäste zu überwachen. Dabei kann es sich um Aufsichtsaufgaben (z. B. durch Inspektionen vor Ort oder Audits) oder Überwachungsaufgaben (Überwachung der Informationen, die die Luftfahrtunternehmen veröffentlichen oder den Fluggästen übermitteln, um etwaige unrichtige, irreführende oder unvollständige Informationen zu korrigieren) handeln oder aber auch um die Erstellung von Tätigkeitsberichten, den Informationsaustausch oder die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit den anderen nationalen Stellen. Andere Mitgliedstaaten haben ihren nationalen Stellen die Befugnis verliehen, individuelle Beschwerden von Fluggästen zu untersuchen und zu bearbeiten, um das Recht der Fluggäste auf Ausgleich zu gewährleisten, oder haben sie mit der alternativen Streitbeilegung beauftragt ( 45 ).

    57.

    Schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass der Handlungsspielraum, der den Mitgliedstaaten zum Schutz der Fluggastrechte eingeräumt wird, ihnen auch im Rahmen der Verordnungen zum Schutz der Rechte von behinderten Flugreisenden und von Fahrgästen im Eisenbahn‑, See- oder Kraftomnibusverkehr eingeräumt wird. Die durch diese Verordnungen gewährleisteten Rechte sind vergleichbarer Natur (Recht auf Auskunft, Erstattung, anderweitige Beförderung, Betreuungsleistungen während der Wartezeit vor der Reise und – unter bestimmten Voraussetzungen – Entschädigung). Unabhängig vom jeweiligen Verkehrsträger verlangt der Unionsgesetzgeber von den Mitgliedstaaten, dass sie „eine Stelle bzw. Stellen“ benennen, die für die Durchsetzung der betreffenden Verordnung zuständig ist bzw. sind und die erforderlichen Maßnahmen zur Wahrung der Flug- bzw. Fahrgastrechte ergreift bzw. ergreifen ( 46 ). Dieses Erfordernis ist in den betreffenden Verordnungen praktisch gleichlautend formuliert ( 47 ), und aus keinem der erst kürzlich erlassenen Texte geht hervor, dass der Unionsgesetzgeber die Natur der den nationalen Stellen übertragenen Zuständigkeiten strenger regeln oder ihren Umfang begrenzen wollte. Im Gegenteil ermöglicht er im Rahmen der Verordnung 2021/782 – der jüngste und genaueste Rechtsakt in Bezug auf den Schutz der Fahrgastrechte – der nationalen Stelle auch, die Rolle einer alternativen Streitbeilegungsstelle im Sinne der Richtlinie 2013/11 zu übernehmen ( 48 ).

    V. Ergebnis

    58.

    Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Frage des Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtischer Gerichtshof, Ungarn) wie folgt zu antworten:

    Art. 16 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der ein Mitgliedstaat der für die Durchsetzung dieser Verordnung zuständigen nationalen Stelle die Befugnis verleiht, ein Luftfahrtunternehmen anzuweisen, den einem Fluggast wegen der Annullierung oder der großen Verspätung seines Fluges nach Art. 7 der Verordnung zustehenden Ausgleich zu zahlen, sofern eine solche Regelung weder dem Fluggast noch dem Luftfahrtunternehmen die Möglichkeit nimmt, vor dem zuständigen nationalen Gericht einen Rechtsbehelf einzulegen, um die Zahlung dieses Ausgleichs einzufordern bzw. seine Begründetheit in Frage zu stellen. Es ist Sache des Mitgliedstaats, im Rahmen seiner Verfahrensautonomie die Modalitäten zu regeln, die die Koordinierung der Verfahren vor der für die Durchsetzung dieser Verordnung zuständigen nationalen Stelle und vor dem zuständigen nationalen Gericht gewährleisten sollen.


    ( 1 ) Originalsprache: Französisch.

    ( 2 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).

    ( 3 ) C‑145/15 und C‑146/15, im Folgenden: Urteil Ruijssenaars u. a., EU:C:2016:187.

    ( 4 ) Magyar Közlöny, 1997/119, im Folgenden: Verbraucherschutzgesetz.

    ( 5 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2017 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 (ABl. 2017, L 345, S. 1).

    ( 6 ) Im Folgenden: LOT.

    ( 7 ) Im Folgenden: Verbraucherschutzinspektion.

    ( 8 ) Der Begriff „zuständige Behörde“ wird in Art. 3 Nr. 6 der Verordnung 2017/2394 bestimmt.

    ( 9 ) Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien für die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 889/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2016, C 214, S. 5).

    ( 10 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 2004 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden („Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz“) (ABl. 2004, L 364, S. 1). Die Verordnung Nr. 261/2004 wurde durch die Verordnung 2017/2394 aufgehoben.

    ( 11 ) Abs. 7.3 der Bekanntmachung. Hervorhebung nur hier.

    ( 12 ) Vgl. zur Veranschaulichung Urteil vom 28. Juli 2016, Verein für Konsumenteninformation (C‑191/15, EU:C:2016:612, Rn. 45).

    ( 13 ) Vgl. die Definition des Begriffs „intérêt“ (Interesse) in Littré, E., Dictionnaire de la langue française, Paris, L. Hachette, 1873-1874, und die dort vorgenommene Gegenüberstellung zwischen „l’intérêt particulier ou privé ou personnel, l’avantage d’une personne“ (dem eigenen, privaten oder persönlichen Interesse, dem Nutzen für den Einzelnen) einerseits und „l’intérêt public, l’avantage de l’État, de la société“ (dem öffentlichen Interesse, dem Nutzen für den Staat bzw. die Gesellschaft) andererseits. Vgl. auch die Definition dieses Begriffs in Lalande, A., Vocabulaire technique et critique de la philosophie, Presses universitaires de France, Paris, 1997, 4. Aufl., S. 531, nach der das kollektive Interesse nicht die Summe der individuellen Interessen der Angehörigen – beispielsweise eines Sektors oder einer Gruppe – ist, sondern sich auf das Interesse einer Gesamtheit von Personen bezieht, [die nur kollektiv betrachtet werden kann,] da sie ein Ganzes bildet. Dieser Begriff werde in bestimmten Bereichen, und insbesondere beim Schutz eines Kollektivs, einer Berufsgruppe oder der Verbraucher durch Verbraucherverbände, verwendet.

    ( 14 ) Vgl. Urteil vom 28. Juli 2016, Verein für Konsumenteninformation (C‑191/15, EU:C:2016:612, Rn. 42).

    ( 15 ) Vgl. jeweils Verordnung (EG) Nr. 1107/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 über die Rechte von behinderten Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität (ABl. 2006, L 204, S. 1), Verordnung (EU) 2021/782 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2021 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr (ABl. 2021, L 172, S. 1), Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über die Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 (ABl. 2010, L 334, S. 1), sowie Verordnung (EU) Nr. 181/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 (ABl. 2011, L 55, S. 1).

    ( 16 ) C‑570/19, im Folgenden: Urteil Irish Ferries, EU:C:2021:664.

    ( 17 ) Vgl. Rn. 143 und 145 dieses Urteils sowie die dort angeführte Rechtsprechung.

    ( 18 ) Vgl. Rn. 106 und 107 dieses Urteils sowie die dort angeführte Rechtsprechung. Vgl. auch Weißbuch der Kommission vom 1. Juli 2011 mit dem Titel „Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum – Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem“, KOM(2011) 144 endg., in dem die Kommission eine „[e]inheitliche Auslegung der EU-Vorschriften über Passagierrechte und ihre einheitliche und wirksame Durchsetzung, um gleiche Ausgangsbedingungen für die Wirtschaft und einen europäischen Schutzstandard für die Bürger zu gewährleisten“, für notwendig erklärt hat (S. 27).

    ( 19 ) Vgl. Rn. 106 dieses Urteils. Dort hat der Gerichtshof hinsichtlich der Auslegung des in der Verordnung Nr. 1177/2010 über den Seeverkehr verwendeten Begriffs der „außergewöhnlichen Umstände“ festgestellt, dass der Unionsgesetzgeber durch den Einbezug der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Bereich der Fluggastrechte einen „einheitlichen Ansatz“ wählen wollte.

    ( 20 ) Die Vorlagefrage betrifft nicht den in Art. 12 der Verordnung vorgesehenen weiter gehenden Schadensersatz.

    ( 21 ) Hervorhebung nur hier.

    ( 22 ) Der Gerichtshof bezieht sich hier auf den zweiten Satz des 22. Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 261/2004 sowie auf seine Rechtsprechung, insbesondere auf die Urteile vom 13. Oktober 2011, Sousa Rodríguez u. a. (C‑83/10, EU:C:2011:652, Rn. 44), und vom 31. Januar 2013, McDonagh (C‑12/11, EU:C:2013:43, Rn. 51).

    ( 23 ) Rn. 36 des Urteils Ruijssenaars u. a. Hervorhebung nur hier.

    ( 24 ) Vgl. in diesem Sinne Weißbuch der Kommission vom 1. Juli 2011 mit dem Titel „Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum – Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem“, KOM(2011) 144 endg., S. 26.

    ( 25 ) Insoweit unterscheidet sich die Verordnung Nr. 261/2004 von den anderen Verordnungen. In Bezug auf die anderen Verkehrsträger verlangt der Unionsgesetzgeber nämlich, dass die nationale Stelle in Aufbau, Finanzierungsentscheidungen, Rechtsstruktur und Entscheidungsfindung vom Beförderer oder vom Betreiber der Infrastruktur unabhängig sein muss. Vgl. z. B. Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1177/2010, Art. 31 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2021/782 und Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 181/2011.

    ( 26 ) Urteil Ruijssenaars u. a. (Rn. 31).

    ( 27 ) Urteil Irish Ferries (Rn. 118).

    ( 28 ) Urteil Ruijssenaars u. a. (Rn. 32).

    ( 29 ) Urteil Ruijssenaars u. a. (Rn. 30).

    ( 30 ) C‑354/18, im Folgenden: Urteil Rusu, EU:C:2019:637 (Rn. 28 und 34 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 31 ) Urteil Irish Ferries (Rn. 118).

    ( 32 ) Urteil Rusu (Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 33 ) Der Gerichtshof hat im Urteil Rusu entschieden, dass „[w]eder Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 noch die Verordnung insgesamt … den Ausgleich eines durch den Grund der Reise der betroffenen Fluggäste bedingten individuellen Schadens vor[sehen], dessen Wiedergutmachung zwangsläufig die Prüfung seines Umfangs im Einzelfall erfordert und deshalb nur Gegenstand eines nachträglichen und individualisierten Ausgleichs sein kann“ (Rn. 31).

    ( 34 ) Vgl. Urteil Ruijssenaars u. a., Rn. 33, und Urteil Rusu (Rn. 26 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 35 ) Urteil Rusu (Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 36 ) Urteil Irish Ferries (Rn. 152 und 154).

    ( 37 ) Vgl. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien für die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 889/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2016, C 214, S. 5) (Abs. 8 ff.).

    ( 38 ) C‑139/11, EU:C:2012:741.

    ( 39 ) Rn. 23 des Urteils. Hervorhebung nur hier.

    ( 40 ) Rn. 25 dieses Urteils.

    ( 41 ) Vgl. hierzu den Bericht der Generaldirektion Mobilität und Verkehr der Kommission, Kouris, S., „Study on the current level of protection of air passenger rights in the EU“ (Studie über das derzeitige Niveau des Schutzes der Fluggastrechte in der Europäischen Union), Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, Brüssel, 2020, MOVE/B5/2018-541, Abs. 5.5 ff., abrufbar unter folgender Internetadresse: https://op.europa.eu/de/publication-detail/-/publication/f03df002-335c-11ea-ba6e-01aa75ed71a1.

    ( 42 ) Diese Stellen werden auf der Grundlage der Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten) (ABl. 2013, L 165, S. 63) benannt. Gemäß Art. 1 der Richtlinie soll diese Verbrauchern die Möglichkeit geben, auf freiwilliger Basis im Wege der alternativen Streitbeilegung Beschwerden gegen Unternehmer einzureichen. Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juni 2017, Menini und Rampanelli (C‑75/16, EU:C:2017:457, Rn. 39 und 40), sowie Urteil vom 25. Juni 2020, Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände (C‑380/19, EU:C:2020:498, Rn. 26).

    ( 43 ) So z. B. das Königreich Dänemark, Irland, die Hellenische Republik, die Französische Republik, die Republik Kroatien und die Republik Zypern. Vgl. hierzu die von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 gemachten Mitteilungen.

    ( 44 ) So z. B. die Republik Estland, das Großherzogtum Luxemburg, Ungarn und die Republik Finnland. Im Gegensatz dazu ist beispielsweise in der Französischen Republik die Direction générale de l’aviation civile (Generaldirektion für Zivilluftfahrt, im Folgenden: DGAC) für die Regulierung des Luftverkehrs, die allgemeine Aufsicht und die Überwachung der Umsetzung des Unionsrechts zum Schutz der Fluggäste zuständig und kann, auf Meldung von Fluggästen hin, die notwendigen Abhilfemaßnahmen ergreifen. Bei nachgewiesenen Verstößen können Sanktionen in Form von Geldbußen gegen Luftfahrtunternehmen, die ihren Pflichten aus der Verordnung Nr. 261/2004 nicht nachkommen, verhängt werden. Allerdings gewährleistet die DGAC nicht die individuelle Überwachung der bei ihr eingehenden Meldungen, und ihre Tätigkeit ist unabhängig von der Bearbeitung individueller Ausgleichs- und Erstattungsansprüche gegen die Luftfahrtunternehmen. Zu diesem Zweck müssen die Fluggäste das gemäß der Zivilprozessordnung zuständige Gericht oder die außergerichtliche Streitbeilegungsstelle anrufen.

    ( 45 ) Vgl. hierzu den Bericht der Generaldirektion Mobilität und Verkehr der Kommission, „Study on the EU Regulatory Framework for Passenger Rights: comparative analysis of good practices: final report“ (Studie über den EU-Rechtsrahmen für Flug- und Fahrgastrechte: vergleichende Analyse bewährter Verfahren: Abschlussbericht), Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, Brüssel, 2021, Abs. 4.60 ff., abrufbar unter folgender Internetadresse: https://op.europa.eu/de/publication-detail/-/publication/afa2493d-1b4e-11ec-b4fe-01aa75ed71a1.

    ( 46 ) Mit Ausnahme der Verordnung Nr. 261/2004 erlauben es die anderen Verordnungen den Mitgliedstaaten, mehrere nationale Stellen zu benennen.

    ( 47 ) Vgl. z. B. Art. 31 Abs. 1 der Verordnung 2021/782 und Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2006.

    ( 48 ) Vgl. Fn. 42.

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