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Document 62020CC0561

Schlussanträge des Generalanwalts A. Rantos vom 9. Dezember 2021.
Q u. a. gegen United Airlines Inc.
Vorabentscheidungsersuchen der Nederlandstalige Ondernemingsrechtbank Brussel.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Luftverkehr – Verordnung (EG) Nr. 261/2004 – Gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen – Zwei Teilflüge umfassender Flug mit Umsteigen – Große Verspätung am Endziel, die ihre Ursache im zweiten Teilflug dieses Fluges zwischen zwei Flughäfen eines Drittstaats hat – Gültigkeit dieser Verordnung im Hinblick auf das Völkerrecht.
Rechtssache C-561/20.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2021:994

 SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ATHANASIOS RANTOS

vom 9. Dezember 2021 ( 1 )

Rechtssache C‑561/20

Q,

R,

S

gegen

United Airlines Inc.

(Vorabentscheidungsersuchen der Nederlandstalige ondernemingsrechtbank Brussel [Niederländischsprachiges Unternehmensgericht Brüssel, Belgien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Luftverkehr – Verordnung (EG) Nr. 261/2004 – Ausgleichsanspruch bei großer Verspätung eines Flugs – Aus zwei Teilen bestehender Flug – Während des zweiten, zwei Flughäfen eines Drittstaats verbindenden Teilflugs entstandene große Verspätung am Zielort – Gültigkeit der Verordnung Nr. 261/2004 im Hinblick auf das Völkerrecht“

I. Einleitung

1.

Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft einen Rechtsstreit zwischen Frau Q, Frau R und Herrn S (im Folgenden: Kläger des Ausgangsverfahrens) und der United Airlines Inc. (Vereinigte Staaten) wegen einer Ausgleichsleistung aufgrund der großen Verspätung eines Flugs mit Anschlussflug.

2.

Mit seiner ersten Vorlagefrage, die sich auf die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 im Bereich von Ausgleichsleistungen für Fluggäste ( 2 ) bezieht, ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Klarstellung hinsichtlich verschiedener Aspekte der Anwendbarkeit dieser Verordnung im Rahmen von Flügen mit Anschlussflug, mit Abflug von einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats, Zwischenlandung auf einem Flughafen im Gebiet eines Drittstaats und Zielankunft auf einem anderen Flughafen dieses Drittstaats.

3.

Der Gerichtshof hatte noch nicht Gelegenheit zur Prüfung, ob die Verordnung Nr. 261/2004 auf Fälle anwendbar ist, in denen die Verspätung einen Flug mit Anschlussflug betrifft, der in vollem Umfang von einem nicht gemeinschaftlichen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt wird, und sie während eines Teils dieses Flugs auftritt, der vollständig im Gebiet eines Drittstaats durchgeführt wird; meines Erachtens liefern aber die Grundsätze, die sich aus der bestehenden Rechtsprechung ergeben, sachgerechte Anhaltspunkte für eine Würdigung, die mutatis mutandis auf die vorliegende Rechtssache übertragen werden können ( 3 ).

4.

Mit seiner zweiten, hilfsweise gestellten Vorlagefrage befragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof zur Gültigkeit der Verordnung Nr. 261/2004 im Hinblick auf das Völkerrecht und insbesondere den Grundsatz der vollen und ausschließlichen Hoheit eines Staats über seinen Luftraum. Diese Frage bietet dem Gerichtshof die Möglichkeit, erstmals die Gültigkeit dieser Verordnung im Hinblick auf das Völkerrecht und insbesondere den Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts auf dem Gebiet des Luftrechts zu prüfen ( 4 ).

5.

Nach meiner Würdigung werde ich dem Gerichtshof vorschlagen, auf diese beiden Fragen zu antworten, dass zum einen Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen sind, dass eine Situation, wie sie in Nr. 3 der vorliegenden Schlussanträge beschrieben wurde, in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt, und dass zum anderen diese Verordnung im Hinblick auf das Völkerrecht und insbesondere den Grundsatz der vollen und ausschließlichen Hoheit eines Staats über seinen Luftraum ihre Gültigkeit behält.

II. Rechtsrahmen

6.

Die Erwägungsgründe 1, 4 und 7 der Verordnung Nr. 261/2004 lauten:

„(1)

Die Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.

(4)

Die Gemeinschaft sollte deshalb die mit der genannten Verordnung festgelegten Schutzstandards erhöhen, um die Fluggastrechte zu stärken und um sicherzustellen, dass die Geschäftstätigkeit von Luftfahrtunternehmen in einem liberalisierten Markt harmonisierten Bedingungen unterliegt.

(7)

Damit diese Verordnung wirksam angewandt wird, sollten die durch sie geschaffenen Verpflichtungen dem ausführenden Luftfahrtunternehmen obliegen, das einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt, und zwar unabhängig davon, ob der Flug mit einem eigenen Luftfahrzeug oder mit einem mit oder ohne Besatzung gemieteten Luftfahrzeug oder in sonstiger Form durchgeführt wird.“

7.

Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Verordnung hat folgenden Wortlaut:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

a)

‚Luftfahrtunternehmen‘ ein Lufttransportunternehmen mit einer gültigen Betriebsgenehmigung;

b)

‚ausführendes Luftfahrtunternehmen‘ ein Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen – juristischen oder natürlichen – Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt;

c)

‚Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft‘ ein Luftfahrtunternehmen mit einer gültigen Betriebsgenehmigung, die von einem Mitgliedstaat gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 2407/92 des Rates vom 23. Juli 1992 über die Erteilung von Betriebsgenehmigungen an Luftfahrtunternehmen[ ( 5 )] erteilt wurde;

h)

‚Endziel‘ den Zielort auf dem am Abfertigungsschalter vorgelegten Flugschein bzw. bei direkten Anschlussflügen den Zielort des letzten Fluges; verfügbare alternative Anschlussflüge bleiben unberücksichtigt, wenn die planmäßige Ankunftszeit eingehalten wird;

…“

8.

Art. 3 („Anwendungsbereich“) der Verordnung Nr. 261/2004 sieht in den Abs. 1 und 5 vor:

„(1)   Diese Verordnung gilt

a)

für Fluggäste, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, einen Flug antreten;

b)

sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ist, für Fluggäste, die von einem Flughafen in einem Drittstaat einen Flug zu einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, antreten, es sei denn, sie haben in diesem Drittstaat Gegen- oder Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen erhalten.

(5)   Diese Verordnung gilt für alle ausführenden Luftfahrtunternehmen, die Beförderungen für Fluggäste im Sinne der Absätze 1 und 2 erbringen. Erfüllt ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, Verpflichtungen im Rahmen dieser Verordnung, so wird davon ausgegangen, dass es im Namen der Person handelt, die in einer Vertragsbeziehung mit dem betreffenden Fluggast steht.“

9.

Art. 5 („Annullierung“) Abs. 1 und 3 dieser Verordnung bestimmt:

„(1)   Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen

c)

vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,

i)

sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder

ii)

sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder

iii)

sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.

(3)   Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.“

10.

Art. 7 („Ausgleichsanspruch“) Abs. 1 dieser Verordnung sieht vor:

„Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:

a)

250 Euro bei allen Flügen über eine Entfernung von 1500 km oder weniger,

b)

400 Euro bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1500 km und 3500 km,

c)

600 Euro bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen.

Bei der Ermittlung der Entfernung wird der letzte Zielort zugrunde gelegt, an dem der Fluggast infolge der Nichtbeförderung oder der Annullierung später als zur planmäßigen Ankunftszeit ankommt.“

11.

Art. 13 („Regressansprüche“) dieser Verordnung bestimmt:

„In Fällen, in denen ein ausführendes Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichszahlung leistet oder die sonstigen sich aus dieser Verordnung ergebenden Verpflichtungen erfüllt, kann keine Bestimmung dieser Verordnung in dem Sinne ausgelegt werden, dass sie das Recht des Luftfahrtunternehmens beschränkt, nach geltendem Recht bei anderen Personen, auch Dritten, Regress zu nehmen. Insbesondere beschränkt diese Verordnung in keiner Weise das Recht des ausführenden Luftfahrtunternehmens, Erstattung von einem Reiseunternehmen oder einer anderen Person zu verlangen, mit der es in einer Vertragsbeziehung steht. Gleichfalls kann keine Bestimmung dieser Verordnung in dem Sinne ausgelegt werden, dass sie das Recht eines Reiseunternehmens oder eines nicht zu den Fluggästen zählenden Dritten, mit dem das ausführende Luftfahrtunternehmen in einer Vertragsbeziehung steht, beschränkt, vom ausführenden Luftfahrtunternehmen gemäß den anwendbaren einschlägigen Rechtsvorschriften eine Erstattung oder Entschädigung zu verlangen.“

III. Ausgangsrechtsstreit, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

12.

Die Kläger des Ausgangsverfahrens buchten mittels einer einzigen Buchung über ein Reisebüro bei dem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft Deutsche Lufthansa AG (im Folgenden: Lufthansa) ( 6 ) einen Flug mit Anschlussflug vom Flughafen Brussel-Nationaal (Belgien) zum Flughafen San José International (Vereinigte Staaten) mit einer Zwischenlandung in Newark International (Vereinigte Staaten).

13.

Die beiden Teilflüge wurden von United Airlines, einem Luftfahrtunternehmen eines Drittstaats, durchgeführt. Die Kläger des Ausgangsverfahrens erreichten ihr Endziel mit einer Verspätung von 223 Minuten, weil sich der zweite Teilflug wegen eines technischen Problems des Flugzeugs verspätete.

14.

Mit Schreiben vom 6. September 2018 richtete das Unternehmen Happy Flights, an das die Forderung der Kläger des Ausgangsverfahrens abgetreten worden war, an United Airlines eine Mahnung und verlangte gemäß der Verordnung Nr. 261/2004 die Zahlung einer Ausgleichsleistung in Höhe von 600 Euro je Person und damit insgesamt 1800 Euro für die Verspätung des zweiten Teilflugs.

15.

Mit Schreiben vom 4. Oktober 2018 gab United Airlines Happy Flights zur Antwort, dass die Verordnung Nr. 261/2004 im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei, weil das der Verspätung zugrunde liegende technische Problem während des zweiten Teilflugs, der zwischen zwei Flughäfen in den Vereinigten Staaten stattgefunden habe, eingetreten sei.

16.

Mit Antwortschreiben vom 5. Oktober 2018 trat Happy Flights der Auffassung von United Airlines mit Verweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs entgegen und forderte sie zur Zahlung der Ausgleichsleistung auf.

17.

Mit Schreiben vom 10. Oktober 2018 antwortete United Airlines ihrerseits auf dieses Schreiben von Happy Flights.

18.

Am 11. Oktober 2018 mahnte Happy Flights United Airlines erneut. Diese teilte ihr am selben Tag mit, dass sie an ihrem Standpunkt festhalte.

19.

Am 3. Mai 2019 richtete Happy Flights an United Airlines eine neuerliche Zahlungsaufforderung und teilte ihr mit, dass die Forderung, die an sie abgetreten worden sei, nun wieder auf die Kläger des Ausgangsverfahrens übertragen worden sei.

20.

Am 22. Juli 2019 veranlassten die Kläger des Ausgangsverfahrens die Ladung von United Airlines vor das vorlegende Gericht, die Nederlandstalige ondernemingsrechtbank Brussel (Niederländischsprachiges Unternehmensgericht Brüssel, Belgien), um zu erwirken, dass diese zur Zahlung einer Ausgleichsleistung in Höhe von 1800 Euro, zuzüglich Verzugszinsen ab dem 6. September 2018 und Prozesszinsen, verurteilt wird.

21.

In diesem Kontext hat das vorlegende Gericht Zweifel hinsichtlich der Behandlung bestimmter von United Airlines vorgebrachter Argumente, die sich sowohl auf die Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 261/2004 als auch auf deren Gültigkeit beziehen, wobei nach seiner Auffassung in der Rechtsprechung des Gerichtshofs keine Anhaltspunkte für die Beantwortung dieser Fragen gefunden werden können.

22.

Erstens tritt United Airlines hinsichtlich der Frage der Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 261/2004 der Auffassung entgegen, dass die Verordnung anwendbar sei, wenn die große Verspätung bei einem Flug mit Abflug und Ankunft im Gebiet eines Drittstaats eintrete; dies sei auch dann nicht der Fall, auch wenn es sich dabei um den zweiten und letzten Teil eines Flugs mit Anschlussflug handle und der erste Flug von einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats aus durchgeführt werde.

23.

Das vorlegende Gericht weist in diesem Zusammenhang zum einen darauf hin, das zwar im Urteil Wegener, das sich auf eine Verspätung beziehe, die beim ersten, von einem nicht gemeinschaftlichen Luftfahrtunternehmen durchgeführten Flug mit Abflug von einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats eingetreten sei, die Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 261/2004 bejaht werde, die Erwägungen in diesem Urteil aber nicht ohne Weiteres auf die vorliegende Rechtssache übertragen werden könnten, da vorliegend der zweite Flug, der auf einem Flughafen im Gebiet eines Drittstaats angetreten worden sei, verspätet gewesen sei.

24.

Zum anderen führt das vorlegende Gericht aus, der Gerichtshof habe im Urteil České aerolinie entschieden, dass die Verordnung Nr. 261/2004 auch auf den zweiten Teil eines Flugs mit Anschlussflug anzuwenden sei, wenn der erste Flug von einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats aus durchgeführt werde. Im Rahmen dieser Rechtssache habe sich die Frage gestellt, ob das Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, das den ersten Flug durchgeführt habe, verpflichtet werden könne, an einen Fluggast Ausgleichsleistungen zu zahlen, der von einer großen Verspätung betroffen sei, die ihren Ursprung im zweiten, physisch von einem Luftfahrtunternehmen eines Drittstaats durchgeführten Flug habe. Die Rechtssache des Ausgangsverfahrens sei jedoch insoweit anders gelagert, als sie kein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft betreffe und das Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, das die Flugscheine ausgestellt habe, nämlich Lufthansa, nicht einmal Partei des Ausgangsverfahrens sei. Daher könne die Lösung, zu der der Gerichtshof in diesem Urteil gefunden habe, ebenfalls nicht ohne Weiteres auf den Sachverhalt des vorliegenden Rechtsstreits übertragen werden.

25.

Zweitens macht United Airlines hinsichtlich der Frage der Gültigkeit der Verordnung Nr. 261/2004 geltend, dass diese Verordnung, wenn sie auf den Fall einer großen Verspätung des zweiten Teils eines Flugs mit Anschlussflug anwendbar sein sollte, eine dem Völkerrecht entgegenstehende extraterritoriale Reichweite hätte, sofern dieser zweite Teilflug in vollem Umfang im Gebiet eines Drittstaats durchgeführt werde. Konkret schließe der Grundsatz der Souveränität aus, dass die Verordnung in einem Fall gelte, der sich, wie im Ausgangsverfahren, wo es in den Vereinigten Staaten zu der Verspätung gekommen sei und die Wirkungen ausschließlich dort eingetreten seien, im Gebiet eines Drittstaats ereigne. Insoweit verweist dieses Unternehmen auf das Urteil ATAA, in dem der Gerichtshof den Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts anerkannt habe, wonach jeder Staat die volle und ausschließliche Hoheit über seinen Luftraum innehabe. Für den Fall der Richtigkeit dieser von United Airlines vertretenen These stellt sich nach der Auffassung des vorlegenden Gerichts daher die Frage der Gültigkeit dieser Verordnung im Hinblick auf das Völkerrecht.

26.

Unter diesen Umständen hat die Nederlandstalige ondernemingsrechtbank Brussel (Niederländischsprachiges Unternehmensgericht Brüssel) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Sind Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 in der Auslegung durch den Gerichtshof dahin auszulegen, dass einem Fluggast ein Ausgleichsanspruch gegen ein Luftfahrtunternehmen, das kein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ist, zusteht, wenn er sein Endziel infolge einer Verzögerung beim letzten Teilflug mit Abflug- und Zielort im Gebiet eines Drittlands und ohne Zwischenlandung im Gebiet eines Mitgliedstaats mit einer Verspätung von mehr als drei Stunden erreicht und dieser Teilflug Bestandteil eines Fluges mit Umsteigen ist, der als ersten Abflugort einen Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats hat, insgesamt von diesem Luftfahrtunternehmen durchgeführt wird und vom Fluggast mittels einer einzigen Buchung bei einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft gebucht wird, das keinen Teil dieses Fluges durchführt?

2.

Falls die erste Frage bejaht wird: Verstößt die Verordnung Nr. 261/2004, wenn sie im Sinne der ersten Frage ausgelegt wird, gegen Völkerrecht, insbesondere den Grundsatz, dass jeder Staat die vollständige und ausschließliche Hoheit über sein Gebiet und seinen Luftraum besitzt, weil nach dieser Auslegung das Unionsrecht auf einen Sachverhalt anzuwenden ist, der sich im Hoheitsgebiet eines Drittlands zuträgt?

27.

Schriftliche Erklärungen wurden von den Klägern des Ausgangsverfahrens, United Airlines, der belgischen und der polnischen Regierung, dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission eingereicht. Der Rat und das Parlament haben in ihren Erklärungen nur die zweite Frage geprüft.

IV. Würdigung

28.

Zunächst weise ich im Einklang mit einer ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs darauf hin, dass Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Anspruchs auf Ausgleichsleistung Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und dass sie daher den in Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Anspruch auf Ausgleichsleistung geltend machen können, wenn sie bei der Ankunft an ihrem „Endziel“ einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel frühestens drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen ( 7 ). Insoweit kommt es im Fall eines Flugs mit Anschlussflügen für die Zwecke der in Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen pauschalen Ausgleichszahlung allein auf die Verspätung an, die gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit am Endziel, d. h. dem Zielort des letzten Teilflugs des betreffenden Fluggasts, festgestellt wird ( 8 ).

29.

Im vorliegenden Fall stellt United Airlines nicht in Abrede, dass die Kläger des Ausgangsverfahrens bei Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 261/2004 tatsächlich nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c einen Anspruch auf Ausgleichsleistung in Höhe von 1800 Euro hätten, da der letzte Teil ihres Flugs mit Anschlussflug eine Verspätung von 223 Minuten, d. h. von mehr als drei Stunden, gegenüber der ursprünglich vorgesehenen Ankunftszeit hatte.

30.

Was aber United Airlines im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits bezweifelt, ist gerade die Anwendbarkeit und hilfsweise die Gültigkeit dieser Verordnung. Diese beiden Gesichtspunkte sind Gegenstand der zwei Vorlagefragen und der nachfolgenden Würdigung.

A.   Zur ersten Vorlagefrage

31.

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen sind, dass ein Fluggast einen Ausgleichsanspruch gegen ein Luftfahrtunternehmen eines Drittstaats hat, wenn er im Rahmen eines Flugs mit Anschlussflügen und Abflug von einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats sein Endziel mit einer Verspätung von mehr als drei Stunden erreicht, die während des letzten Teilflugs eingetreten ist, dessen Abflug- und Ankunftsort beide im Gebiet eines Drittstaats lagen, und alle Teilflüge von diesem Luftfahrtunternehmen eines Drittstaats durchgeführt wurden und vom Fluggast mittels einer einzigen Buchung bei einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft gebucht wurden.

32.

Die Formulierung dieser Frage enthält zwei Gesichtspunkte, die zum einen die Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 261/2004 im Rahmen eines Flugs mit Anschlussflügen, wie er im Ausgangsverfahren in Rede steht, und zum anderen die Bestimmung des zur Ausgleichsleistung verpflichteten Luftfahrtunternehmens betreffen.

1. Zur Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 261/2004

33.

Zur Frage des Anwendungsbereichs der Verordnung Nr. 261/2004 folgt aus deren Art. 3 Abs. 1 Buchst. a, dass diese Verordnung u. a. für Fluggäste gilt, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats einen Flug antreten. Diese erste Alternative hängt im Unterschied zu dem von Buchst. b dieses Artikels erfassten Fall nicht davon ab, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen, das den Flug durchführt, unter den Begriff „Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Verordnung fällt.

34.

Zunächst weise ich darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Begriff „direkte Anschlussflüge“ dahin zu verstehen ist, dass er zwei oder mehr Flüge bezeichnet, die für die Zwecke des in der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleichsanspruchs von Fluggästen eine Gesamtheit darstellen ( 9 ). Eine solche Gesamtheit liegt vor, wenn zwei oder mehrere Flüge Gegenstand einer einzigen Buchung waren, wie es im Ausgangsverfahren der Fall war ( 10 ). Dabei wirkt es sich nicht auf diese Einstufung aus, wenn bei einem Flug mit Anschlussflügen das Flugzeug gewechselt wird ( 11 ). Die Anwendbarkeit dieser Verordnung ist daher bei Flügen mit Anschlussflügen, denen eine einzige Buchung zugrunde lag, unter Berücksichtigung des ersten Abflugorts und des Endziels des Fluges zu beurteilen ( 12 ).

35.

Was sodann Flüge mit Anschlussflügen aus der Europäischen Union wie die vorliegenden angeht, steht es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 261/2004 nicht entgegen, wenn sich die Orte der Zwischenlandungen eines Flugs im Gebiet eines Drittstaats befinden, auch wenn das Luftfahrtunternehmen, das diesen Flug oder einen Teil dieses Flugs durchgeführt hat, kein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ist.

36.

Im Urteil Wegener hat der Gerichtshof nämlich entschieden, dass die Verordnung Nr. 261/2004 für eine Fluggastbeförderung gilt, die auf der Grundlage einer einzigen Buchung erfolgte und die zwischen ihrem Abflug von einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats (Berlin, Deutschland) und ihrer Ankunft auf einem Flughafen im Gebiet eines Drittstaats (Agadir, Marokko) eine planmäßige Zwischenlandung außerhalb der Union (Casablanca, Marokko) mit einem Wechsel des Flugzeugs vorsah. Der Gerichtshof stellte im Wesentlichen fest, dass ein Flug mit Anschlussflug, bei dem der erste Flug von einem Flughafen in einem Mitgliedstaat aus erfolgt und der Zielort des zweiten Flugs ein Flughafen in einem Drittstaat ist, als eine Einheit zu betrachten ist, auch wenn der zweite Teil dieses Flugs von einem Flughafen in einem Drittstaat aus durchgeführt wird. Insoweit hat der Gerichtshof entgegen dem Vorbringen von United Airlines in ihren schriftlichen Erklärungen nicht die Feststellung getroffen, dass diese Verordnung auf der Grundlage des 2006 geschlossenen Europa-Mittelmeer-Luftverkehrsabkommens Anwendung findet. Die Anwendbarkeit wurde von ihm vielmehr allein auf die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 gestützt, ohne dass das Abkommen in diesem Urteil auch nur erwähnt wurde.

37.

In diesem Sinne hat sich der Gerichtshof auch im Urteil České aerolinie ausdrücklich zur Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 261/2004 im Rahmen eines aus zwei Teilflügen bestehenden und auf einer einzigen Buchung beruhenden Flugs mit Anschlussflug geäußert, der von einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats (Prag, Tschechische Republik) zu einem Zielflughafen in einem Drittstaat (Bangkok, Thailand) mit Zwischenlandung auf einem Flughafen in einem anderen Drittstaat (Abou Dhabi, Vereinigte Emirate) durchgeführt wurde. In diesem Fall hat der Gerichtshof geurteilt, dass ein Fluggast, der seinen Zielort mit einer Verspätung von drei Stunden oder mehr erreicht, die auf den zweiten Teilflug zurückgeht, der im Rahmen einer Codesharing-Vereinbarung von einem Beförderungsunternehmen eines Drittstaats (Etihad Airways) durchgeführt wurde, seine Klage auf Ausgleichszahlung nach dieser Verordnung gegen das Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft richten kann, das den ersten Flug durchgeführt hat (České aerolinie).

38.

Zwar lagen diesen Urteilen, wie das vorlegende Gericht ausführt, tatsächliche Umstände zugrunde, die sich von denen des Ausgangsverfahrens unterscheiden. Denn zum einen war im Urteil Wegener der Flug mit Anschlussflug beim ersten Teilflug, dessen Abflugort im Gebiet eines Mitgliedstaats lag, verspätet, während es im vorliegenden Fall beim letzten Teilflug, der in vollem Umfang im Gebiet eines Drittstaats durchgeführt wurde, zu der Verspätung kam. Zum anderen ging es im Urteil České aerolinie darum, ob gegen das Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft geklagt werden konnte, das den ersten Teil eines Flugs mit Anschlussflug durchführte, bei dem der zweite Teilflug verspätet war, der in vollem Umfang in einem Drittstaat von einem Luftfahrtunternehmen eines Drittstaats im Rahmen einer Codesharing-Vereinbarung durchgeführt wurde. Dagegen wurde im vorliegenden Fall der gesamte Flug mit Anschlussflug von ein und demselben Luftfahrtunternehmen eines Drittstaats durchgeführt.

39.

Trotz dieser unterschiedlichen Sachverhalte müssen jedoch meiner Auffassung nach die in Nr. 35 der vorliegenden Schlussanträge dargestellten, sich aus diesen beiden Urteilen ergebenden Grundsätze auch hier gelten.

40.

Zum einen folgt aus der angeführten Rechtsprechung, dass der Ort der Verspätung keinerlei Einfluss auf die Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 261/2004 hat, soweit es sich um Flüge mit Anschlussflügen aus der Union handelt, die Gegenstand einer einzigen Buchung waren und die damit im Hinblick auf den in dieser Verordnung vorgesehenen Anspruch von Fluggästen auf Ausgleichsleistungen eine Gesamtheit darstellen. Dem Urteil České aerolinie, wie auch dem Beschluss KLM, ist nämlich zu entnehmen, dass jedes ausführende Luftfahrtunternehmen, das an der Durchführung zumindest eines Teils eines Flugs mit Anschlussflügen beteiligt ist, diese Ausgleichsleistung unabhängig davon schuldet, ob der von ihm durchgeführte Flug die große Verspätung des Fluggasts bei der Ankunft an seinem Endziel verursacht hat oder nicht ( 13 ). Daher ist im vorliegenden Fall der Umstand, dass die Verspätung beim letzten Teil des Flugs und im Gebiet eines Drittstaats eintrat, im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Verordnung nicht relevant.

41.

Diese Lösung erscheint mir auch im Hinblick auf das Ziel der Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus gerechtfertigt, da eine Unterscheidung danach, ob bei einer einzigen Buchung die Verspätung beim ersten oder beim zweiten Teilflug eintrat, zu einer ungerechtfertigten Differenzierung führen würde, die zur Folge hätte, dass United Airlines im Fall einer Störung beim ersten Teilflug zur Zahlung einer Ausgleichsleistung verpflichtet wäre, im Fall einer Störung beim zweiten Teilflug auf derselben Route aber nicht, obwohl die Fluggäste in beiden Fällen dieselbe Verspätung am Endziel und damit dieselben Unannehmlichkeiten hätten.

42.

Zum anderen folgt aus dieser Rechtsprechung, dass die Eigenschaft als Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft für die Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 261/2004 auf Flüge mit Anschlussflügen aus der Union nicht relevant ist. Wie oben ausgeführt, setzt Art. 3 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung – im Unterschied zu Art. 3 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung, der für Fluggäste gilt, die von einem Flughafen in einem Drittstaat einen Flug zu einem Flughafen in einem Mitgliedstaat antreten – im Hinblick auf eine Anwendung dieser Verordnung nicht voraus, dass das Luftfahrtunternehmen ein Luftunternehmen der Gemeinschaft ist, wenn die Fluggäste ihren Flug auf einem Flughafen in einem Mitgliedstaat antreten.

43.

Somit ist nur bei Flügen vom Gebiet eines Drittstaats in das Gebiet eines Mitgliedstaats Voraussetzung für die Anwendung der Verordnung Nr. 261/2004, dass der Flug von einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft durchgeführt wird. Im Übrigen gilt die Verordnung nach Art. 3 Abs. 5 für alle ausführenden Luftfahrtunternehmen, die diese Beförderung erbringen. Im Urteil Wegener wurde der Umstand, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen (Royal Air Maroc) kein Luftfahrtunternehmer der Gemeinschaft war, in keiner Weise thematisiert, da diese Einstufung nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 keinen Einfluss auf die Anwendbarkeit der Verordnung hat.

44.

Auf der Grundlage der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Auffassung zu vertreten, dass ein Flug mit Anschlussflug aus der Union, wie der des Ausgangsverfahrens, nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 in deren Anwendungsbereich fällt.

2. Zur Bestimmung des zur Ausgleichsleistung verpflichteten Luftfahrtunternehmens

45.

Hinsichtlich der Frage, welches Beförderungsunternehmen im vorliegenden Fall zur Zahlung der Ausgleichsleistung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 verpflichtet ist, weise ich darauf hin, dass die Besonderheit der vorliegenden Rechtssache darin besteht, dass die Flugscheine von Lufthansa ausgestellt wurden, einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, das nicht Partei des Ausgangsverfahrens ist, wohingegen die beiden Flüge physisch von United Airlines, einem Luftfahrtunternehmen eines Drittstaats, durchgeführt wurden.

46.

Der Gerichtshof hat insoweit festgestellt, dass nach dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 das Beförderungsunternehmen, das zur Zahlung der aufgrund einer großen Verspätung bei der Ankunft eines Flugs mit Anschlussflügen geschuldeten Ausgleichsleistung verpflichtet ist, nur das „ausführende Luftfahrtunternehmen“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b dieser Verordnung sein kann ( 14 ). Gemäß dieser Bestimmung ist ein „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ ein Luftfahrtunternehmen, das „im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen – juristischen oder natürlichen – Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt“.

47.

Diese Definition stellt demnach zwei kumulative Voraussetzungen für die Einstufung eines Luftfahrtunternehmens als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ auf, nämlich zum einen die Durchführung des betreffenden Flugs und zum anderen das Bestehen eines mit einem Fluggast abgeschlossenen Vertrags ( 15 ). Dabei wird nach dieser Definition aber keineswegs verlangt, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen den Status eines Luftfahrtunternehmens der Gemeinschaft hat, da dieser Status nur für die Beurteilung der Anwendbarkeit der Verordnung auf Fluggäste, deren Flüge aus einem Drittstaat kommen, relevant ist (vgl. Nrn. 33 und 42 der vorliegenden Schlussanträge). Im Übrigen haftet ausschließlich das „ausführende Luftfahrtunternehmen“, da sich der Unionsgesetzgeber beim Erlass der Verordnung Nr. 261/2004 für den Ausschluss einer Teilung der Haftung zwischen dem Reiseunternehmen und dem vertraglichen Luftfahrtunternehmen entschieden hat ( 16 ).

48.

Hinsichtlich der ersten Voraussetzung bestätigt der siebte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004, dass, „[d]amit diese Verordnung wirksam angewandt wird, … die durch sie geschaffenen Verpflichtungen dem ausführenden Luftfahrtunternehmen obliegen [sollten], das einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt, und zwar unabhängig davon, ob der Flug mit einem eigenen Luftfahrzeug oder mit einem mit oder ohne Besatzung gemieteten Luftfahrzeug oder in sonstiger Form durchgeführt wird“. Der Gerichtshof hat zur Voraussetzung der „Durchführung des Flugs“ im Fall von Flügen mit einem mit Besatzung gemieteten Luftfahrzeug klargestellt, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen das Unternehmen ist, das „im Rahmen seiner Tätigkeit der Beförderung von Fluggästen die Entscheidung trifft, einen bestimmten Flug durchzuführen – die Festlegung seiner Flugroute eingeschlossen – und dadurch ein an Interessierte gerichtetes Angebot für den Luftverkehr zu schaffen. Eine solche Entscheidung zu treffen bedeutet nämlich, dass dieses Unternehmen die Verantwortung für die Durchführung dieses Fluges, insbesondere einschließlich seiner etwaigen Annullierung oder einer etwaigen großen Verspätung bei seiner Ankunft, übernimmt“ ( 17 ).

49.

Zum Bestehen eines mit einem Fluggast geschlossenen Vertrags ist anzumerken, dass das Fehlen einer vertraglichen Beziehung zwischen den betroffenen Fluggästen und dem ausführenden Luftfahrtunternehmen unerheblich ist, sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen seine eigene Vertragsbeziehung mit dem vertraglichen Luftfahrtunternehmen hat ( 18 ).

50.

Im vorliegenden Fall ist zwar Lufthansa das Beförderungsunternehmen, das den Vertrag mit den Klägern des Ausgangsverfahrens (über ein Reisebüro) geschlossen hat, United Airlines aber das Beförderungsunternehmen, das die beiden Flüge – vermutlich im Rahmen einer Codesharing-Vereinbarung – durchgeführt hat ( 19 ).

51.

Deshalb scheinen mir beide vorgenannten Voraussetzungen der Einstufung als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ hinsichtlich United Airlines erfüllt zu sein, die diese Einstufung in ihren schriftlichen Erklärungen auch nicht beanstandet. Denn dieses Unternehmen ist dasjenige Beförderungsunternehmen, das alle Teile des Flugs mit Anschlussflug physisch durchgeführt und damit im Namen von Lufthansa gehandelt hat, die mit den Klägern des Ausgangsverfahrens den Vertrag geschlossen hatte. Nach Art. 3 Abs. 5 Satz 2 der Verordnung Nr. 261/2004 wird nämlich, wenn ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, Verpflichtungen im Rahmen dieser Verordnung erfüllt, davon ausgegangen, dass es im Namen der Person handelt, die in einer Vertragsbeziehung mit dem betreffenden Fluggast steht ( 20 ).

52.

Diese Schlussfolgerung, wonach United Airlines das ausführende Luftfahrtunternehmen ist und daher die Ausgleichsleistung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 schuldet, ist mit dem im ersten Erwägungsgrund dieser Verordnung genannten Ziel vereinbar, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, da es, wie United Airlines in ihren Erklärungen einräumt, das Beförderungsunternehmen ist, das aus der Sicht der Fluggäste leicht zu identifizieren ist und das in der Mehrzahl der Fälle für die während des Flugs auftretenden Probleme verantwortlich ist.

53.

Schließlich weise ich darauf hin, dass gemäß Art. 13 der Verordnung Nr. 261/2004 die Erfüllung der Verpflichtungen aus dieser Verordnung durch das ausführende Luftfahrtunternehmen dessen Recht unbeschadet lässt, nach geltendem nationalen Recht bei anderen Personen, von denen der Verstoß dieses Beförderungsunternehmens gegen seine Verpflichtungen ausgeht, auch Dritten, wie ein Reiseunternehmen oder eine andere Person, mit der das ausführende Luftfahrtunternehmen in einer Vertragsbeziehung steht, Regress zu nehmen ( 21 ).

54.

In Anbetracht aller dieser Erwägungen schlage ich vor, auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen sind, dass im Rahmen eines aus zwei Teilflügen bestehenden und auf einer einzigen Buchung beruhenden Flugs mit Anschlussflug, der von einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats zu einem Flughafen in einem Drittstaat mit Zwischenlandung auf einem anderen Flughafen dieses Drittstaats durchgeführt wird, ein Fluggast, der sein Endziel mit einer Verspätung von mindestens drei Stunden erreicht, die auf den zweiten Teilflug zurückgeht, der wie der erste Teilflug von einem Luftfahrtunternehmen eines Drittstaats durchgeführt wurde, seine Klage auf Ausgleichsleistung gemäß dieser Verordnung gegen dieses ausführende Luftfahrtunternehmen richten kann, wenn die einzige Buchung bei einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft erfolgte, das keinen der Flüge physisch durchgeführt hat.

B.   Zur zweiten Vorlagefrage

55.

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Verordnung Nr. 261/2004, wenn sie nach Auffassung des Gerichtshofs auf einen Fall wie den des Ausgangsverfahrens anwendbar ist, im Hinblick auf den völkerrechtlichen Grundsatz, wonach jeder Staat die volle und ausschließliche Hoheit über seinen Luftraum hat, gültig ist.

56.

Zunächst weise ich darauf hin, dass die Union nach Art. 3 Abs. 5 EUV u. a. einen Beitrag „zur strikten Einhaltung und zur Weiterentwicklung des Völkerrechts“ leistet. Beim Erlass eines Rechtsakts ist sie also verpflichtet, das gesamte Völkerrecht und auch das die Organe der Union bindende Völkergewohnheitsrecht zu beachten ( 22 ).

57.

Der Gerichtshof hat im Urteil ATAA anerkannt, dass der Grundsatz der vollen und ausschließlichen Hoheit jedes Staates über seinen Luftraum einen für die Unionsorgane verbindlichen Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts auf dem Gebiet des Luftrechts darstellt ( 23 ). Ferner folgt aus diesem Urteil, dass ein Bürger diesen Grundsatz insoweit im Hinblick auf die Prüfung der Gültigkeit eines Rechtsakts der Union durch den Gerichtshof geltend machen kann, als die Zuständigkeit der Union für den Erlass des Rechtsakts durch diesen Grundsatz in Frage gestellt werden kann und durch den Rechtsakt Rechte des Bürgers aus dem Unionsrecht beeinträchtigt oder Verpflichtungen des Bürgers aus dem Unionsrecht begründet werden können ( 24 ). Jedoch folgt weiter aus diesem Urteil, dass sich, da ein Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts nicht dieselbe Bestimmtheit aufweist wie eine Bestimmung einer internationalen Übereinkunft, die gerichtliche Kontrolle eines Unionsrechtsakts im Hinblick auf einen Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts zwangsläufig auf die Frage beschränken muss, ob den Organen der Union beim Erlass des betreffenden Rechtsakts offensichtliche Fehler bei der Beurteilung der Voraussetzungen für die Anwendung dieses Grundsatzes unterlaufen sind ( 25 ).

58.

Im vorliegenden Fall stellt sich für das vorlegende Gericht die Frage, ob die Verordnung Nr. 261/2004 im Hinblick auf den oben genannten Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts auf dem Gebiet des Luftrechts gültig ist, da diese Verordnung auf eine Situation Anwendung finden könnte, zu der es nach den Ausführungen dieses Gerichts außerhalb des Unionsgebiets kommt und in der es um ein Beförderungsunternehmen eines Drittstaats geht.

59.

Da im vorliegenden Fall die Gültigkeit der Verordnung Nr. 261/2004 im Licht des Urteils ATAA im Hinblick auf den Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts auf dem Gebiet des Luftrechts in den Grenzen der Kontrolle eines offensichtlichen Beurteilungsfehlers geprüft werden kann, ist zu fragen, ob der Unionsgesetzgeber einen solchen, die Gültigkeit dieser Verordnung beeinträchtigenden Fehler begangen hat.

60.

Nach meiner Auffassung ist das nicht der Fall.

61.

Erstens weise ich darauf hin, dass nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Flug in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt, da die Kläger des Ausgangsverfahrens ihre Reise auf einem Flughafen in einem Mitgliedstaat, nämlich Belgien, angetreten haben. Dieses Kriterium stellt einen engen Bezug zum Unionsgebiet her. Dass im vorliegenden Fall der Ausgleichsanspruch aufgrund einer Verspätung entstanden ist, zu der es ausschließlich im Gebiet eines Drittstaats gekommen ist, ändert daher nichts an diesem Bezug zum Unionsgebiet. Wie in den Nrn. 36 und 37 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, stellen nämlich Flüge mit Anschlussflügen von einem Flughafen in einem Mitgliedstaat zu einem Flughafen eines Drittstaats eine Gesamtheit dar, die mit einem Direktflug mit derselben Flugroute gleichgesetzt werden kann. In diesem Sinne hat der Gerichtshof anerkannt, dass „ein Flug …, der vollständig außerhalb der Union erfolgt ist, nicht unter die Verordnung Nr. 261/2004 fällt, wenn er als gesonderter Beförderungsvorgang angesehen wird. Wird hingegen eine Beförderung … als Gesamtheit mit Abflugort in einem Mitgliedstaat angesehen, ist die Verordnung anwendbar“ ( 26 ).

62.

Demnach hat der Gerichtshof diesen Grundsatz einerseits bereits implizit ( 27 ) anerkannt, indem er ausführte, dass die Verordnung Nr. 261/2004 im Fall von gesonderten Flügen auf den außerhalb der Union durchgeführten Flug nicht anwendbar ist, andererseits aber klargestellt, dass die Anwendung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und Art. 7 der Verordnung auf Flüge mit Anschlussflügen nicht gegen diesen Grundsatz verstößt. Nach diesem Verständnis kann eine solche Anwendung die Lufthoheit eines Drittstaats, in dessen Gebiet der letzte Teil eines Flugs mit Anschlussflügen durchgeführt wird, nicht beeinträchtigen, wenn, wie im Fall der Kläger des Ausgangsverfahrens, die Reise definitionsgemäß auf einem im Unionsgebiet gelegenen Flughafen angetreten wird.

63.

Zweitens ist es, wie Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache ATAA ausgeführt hat, aus völkerrechtlicher Sicht keineswegs ungewöhnlich, dass ein Staat oder eine internationale Organisation bei der Ausübung von Hoheitsgewalt Umstände mitberücksichtigt, die sich außerhalb seines bzw. ihres territorialen Zuständigkeitsbereichs abspielen. Entscheidend ist, dass der jeweilige Sachverhalt einen hinreichenden Bezug zu dem betreffenden Staat bzw. zu der betreffenden internationalen Organisation aufweist. So erkennt das Völkerrecht insbesondere zwei Zuständigkeiten an, die einen Staat (oder eine internationale Organisation) zum Handeln ermächtigen, nämlich zum einen die territoriale Zuständigkeit, wonach ein Staat befugt ist, in Bezug auf Personen (unabhängig von deren Staatsangehörigkeit), Sachverhalte oder Gegenstände in seinem Hoheitsgebiet zu handeln, und zum anderen die personale Zuständigkeit, wonach ein Staat (oder eine internationale Organisation) befugt ist, in Bezug auf seine eigenen Staatsangehörigen (natürliche oder juristische Personen), unabhängig von deren Aufenthaltsort, zu handeln ( 28 ).

64.

Die Verordnung Nr. 261/2004 gilt zum einen gemäß ihrem Art. 3 Abs. 1 Buchst. a für Fluggäste, die auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats einen Flug antreten, unabhängig vom Zielort des Flugs (territoriale Zuständigkeit) ( 29 ), und zum anderen gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung für Fluggäste, die einen Flug von einem Flughafen in einem Drittstaat zu einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats antreten, sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen ein Beförderungsunternehmen der Gemeinschaft ist (personelle und territoriale Zuständigkeit). Dagegen soll diese Verordnung grundsätzlich nicht für solche Flüge mit Anschlussflügen gelten, bei denen sich weder der Flughafen des Abflugs noch jener der Ankunft im Gebiet eines Mitgliedstaats befinden, sondern die in vollem Umfang zwischen zwei Drittländern erfolgen, ohne dass ein Bezug zum Unionsgebiet besteht ( 30 ).

65.

Die auf diese Weise definierten Kriterien für die Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 261/2004, insbesondere das in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a vorgesehene Kriterium, das im Ausgangsverfahren in Rede steht, führen nicht zu einer extraterritorialen Anwendung des Unionsrechts, auch dann nicht, wenn das Ziel des betreffenden Flugs ein Drittstaat ist. Denn diese Verordnung findet nur unter klar definierten Umständen Anwendung, in denen der betreffende Flug, als Ganzes gesehen, von einem Flughafen in einem Gebiet eines Mitgliedstaats aus durchgeführt wird, da ein solcher Flug, einschließlich des außerhalb der Union durchgeführten Teils, einen untrennbaren Zusammenhang mit dem Gebiet der Mitgliedstaaten der Union aufweist.

66.

Drittens wird diese Auslegung durch das mit der Verordnung Nr. 261/2004 verfolgte Ziel der Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus ( 31 ) bestätigt. Im Hinblick auf die Anwendung der beiden vorgenannten Bestimmungen kommt es darauf an, dass dem Flug eine einzige Buchung zugrunde liegt und Abflug- oder Ankunftsort ein Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats ist. Ob das Luftfahrtunternehmen eine Zwischenlandung im Unionsgebiet oder in einem Drittstaat vorgesehen hat oder nicht, sollte sich nicht auf den Ausgleichsanspruch der betroffenen Fluggäste auswirken.

67.

Des Weiteren darf der Unionsgesetzgeber in Anbetracht dieses Ziels, das auch in Art. 38 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist, die Tätigkeit der Beförderung im Luftverkehr in seinem Hoheitsgebiet nur unter der Voraussetzung zulassen, dass die Wirtschaftsteilnehmer die von der Union festgelegten Kriterien beachten, mit denen die Ziele, die sie sich im betreffenden Bereich gesetzt hat, erreicht werden sollen ( 32 ). Durch die Verordnung Nr. 261/2004 hat der Unionsgesetzgeber die Tätigkeit der Beförderung im Luftverkehr, soweit sie von der Union aus durchgeführt wird, zur Erreichung des Ziels des Verbraucherschutzes bestimmten Kriterien unterworfen. Dass ein Luftfahrtunternehmen eines Drittstaats, wie United Airlines, nach dieser Verordnung verpflichtet sein kann, für eine Verspätung im Zusammenhang mit einem technischen Problem, das bei einer Zwischenlandung im Gebiet eines Drittstaats behoben wurde, eine Ausgleichsleistung zu zahlen, ist daher nach meiner Auffassung nicht nur eine Voraussetzung, sondern auch ein Risiko, das untrennbar mit der Entscheidung dieses Luftfahrtunternehmens, seine Dienstleistungen auf dem europäischen Markt anzubieten, verbunden ist. Dementsprechend unterliegt dieses Beförderungsunternehmen nur dann, wenn es sich dafür entscheidet, Flüge mit Ankunft auf oder Abflug von einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats durchzuführen, der Verordnung Nr. 261/2004 ( 33 ). Wenn das Luftfahrtunternehmen eine solche Wahl trifft, werden nicht nur Direktflüge, sondern auch Flüge mit Anschlussflügen erfasst, die nach ständiger Rechtsprechung im Hinblick auf den in dieser Verordnung vorgesehenen Anspruch der Fluggäste auf Ausgleichsleistung eine Gesamtheit darstellen, unabhängig davon, ob sie auf individueller Grundlage oder, wie im vorliegenden Fall, im Rahmen einer Codesharing-Vereinbarung durchgeführt werden.

68.

Viertens und letztens vertrete ich die Auffassung, dass das Vorbringen von United Airlines zurückzuweisen ist, wonach die Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 261/2004 den Grundsatz der Gleichbehandlung verletze, da nur Passagiere des Flugs mit Anschlussflügen (Brüssel-San José) eine Ausgleichsleistung beanspruchen könnten, obwohl alle Passagiere des Flugs Newark-San José aufgrund der Verspätung einen Schaden erlitten hätten. Mit diesem Argument wird meines Erachtens nicht nur bestätigt, dass Art. 3 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung nicht anwendbar ist, wenn kein enger Zusammenhang von Flug und Unionsgebiet besteht, vielmehr beruht das Argument auch auf einer fehlerhaften Prämisse, bei der außer Acht gelassen wird, dass sich die beiden von United Airlines genannten Passagiergruppen nicht in der gleichen Situation befinden.

69.

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich vor, auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen sind, dass die Antwort auf die erste Frage dem völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatz der vollen und ausschließlichen Hoheit eines Staates über seinen Luftraum nicht zuwiderläuft, so dass dieser Grundsatz die Gültigkeit der Verordnung nicht beeinträchtigen kann.

V. Ergebnis

70.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen der Nederlandstalige ondernemingsrechtbank Brussel (Niederländischsprachiges Unternehmensgericht Brüssel, Belgien) wie folgt zu antworten:

1.

Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind dahin auszulegen, dass im Rahmen eines aus zwei Teilflügen bestehenden und auf einer einzigen Buchung beruhenden Flugs mit Anschlussflug, der von einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats zu einem Flughafen in einem Drittstaat mit Zwischenlandung auf einem anderen Flughafen dieses Drittstaats durchgeführt wird, ein Fluggast, der sein Endziel mit einer Verspätung von mindestens drei Stunden erreicht, die auf den zweiten Teilflug zurückgeht, der wie der erste Teilflug von einem Luftfahrtunternehmen eines Drittstaats durchgeführt wird, seine Klage auf Ausgleichsleistung gemäß dieser Verordnung gegen dieses ausführende Luftfahrtunternehmen richten kann, wenn die einzige Buchung bei einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft erfolgte, das keinen der Teilflüge physisch durchgeführt hat.

2.

Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass die Antwort auf die erste Frage dem völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatz der vollen und ausschließlichen Hoheit eines Staates über seinen Luftraum nicht zuwiderläuft, so dass dieser Grundsatz die Gültigkeit der Verordnung nicht beeinträchtigen kann.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).

( 3 ) Der Gerichtshof hatte u. a. in den Urteilen vom 26. Februar 2013, Folkerts (C‑11/11, im Folgenden: Urteil Folkerts, EU:C:2013:106), vom 31. Mai 2018, Wegener (C‑537/17, im Folgenden: Urteil Wegener, EU:C:2018:361), vom 11. Juli 2019, České aerolinie (C‑502/18, im Folgenden: Urteil České aerolinie, EU:C:2019:604), und vom 30. April 2020, Air Nostrum (C‑191/19, EU:C:2020:339), bereits Gelegenheit, die Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 261/2004 im Fall von Flügen mit Anschlussflügen zu prüfen. Zur Frage der Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 261/2004 auf eine Flugverbindung, bei der zwar der erste Abflugort und das Endziel in einem Drittland liegen, die aber aus zwei Flügen mit einem Abflug bzw. einer Ankunft in einem Mitgliedstaat besteht, siehe Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe in der Rechtssache Airhelp (Verspätung von Flug mit anderweitiger Beförderung) (C‑451/20, EU:C:2021:829, Nrn. 24 bis 60, Urteil zum Zeitpunkt der Vorlage dieser Schlussanträge noch nicht verkündet).

( 4 ) Der Gerichtshof hatte bereits Gelegenheit, die Gültigkeit eines Gesetzgebungsakts der Union im Hinblick auf diesen Grundsatz zu prüfen, nämlich die Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (ABl. 2003, L 275, S. 32) im Urteil vom 21. Dezember 2011, Air Transport Association of America u. a. (C‑366/10, im Folgenden: Urteil ATAA, EU:C:2011:864, Rn. 103 und 104).

( 5 ) ABl. 1992, L 240, S. 1.

( 6 ) Das Reisebüro und Lufthansa sind nicht Parteien des Ausgangsverfahrens.

( 7 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. November 2009, Sturgeon u. a. (C‑402/07 und C‑432/07, EU:C:2009:716, Rn. 61), vom 23. Oktober 2012, Nelson u. a. (C‑581/10 und C‑629/10, EU:C:2012:657), Folkerts (Rn. 32 und 33) sowie České aerolinie (Rn. 19).

( 8 ) Urteil Folkerts (Rn. 34 und 35).

( 9 ) Urteil Wegener (Rn. 17 und 18 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

( 10 ) Urteil Wegener (Rn. 19 und 20 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

( 11 ) Urteil Wegener (Rn. 23).

( 12 ) Urteile Wegener (Rn. 25) und České aerolinie (Rn. 16) sowie Beschluss vom 12. November 2020, KLM Royal Dutch Airlines (C‑367/20, im Folgenden: Beschluss KLM, EU:C:2020:909, Rn. 19).

( 13 ) Urteil České aerolinie (Rn. 20 bis 26) und Beschluss KLM (Rn. 28).

( 14 ) Urteil České aerolinie (Rn. 20).

( 15 ) Urteil České aerolinie (Rn. 23).

( 16 ) Vgl. zur Untersuchung der Entstehungsgeschichte Schlussanträge des Generalanwalts Tanchev in der Rechtssache flightright (C‑186/17, EU:C:2018:399, Nr. 46).

( 17 ) Urteil vom 4. Juli 2018, Wirth u. a. (C‑532/17, EU:C:2018:527, Rn. 19 und 20).

( 18 ) Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Tanchev in der Rechtssache flightright (C‑186/17, EU:C:2018:399, Nr. 27). Da das Vorabentscheidungsersuchen zurückgenommen wurde, wurde die Rechtssache C‑187/17 im Register des Gerichtshofs gestrichen (vgl. Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 2. August 2018, flightright, C‑186/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:657).

( 19 ) Aus der Vorlageentscheidung und den Erklärungen von United Airlines folgt, dass der erste Teil des Flugs von Lufthansa unter der Flugnummer LH 8854 vertrieben und von United Airlines unter der Flugnummer UA 998 durchgeführt wurde.

( 20 ) Urteil České aerolinie (Rn. 28).

( 21 ) Urteil České aerolinie (Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 22 ) Urteil ATAA (Rn. 101 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 23 ) Urteil ATAA (Rn. 103 und 104 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Dieser Grundsatz wurde insbesondere in Art. 1 des am 7. Dezember 1944 in Chicago (Vereinigte Staaten) unterzeichneten Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt, wonach „[d]ie Vertragsstaaten [anerkennen], dass jeder Staat über seinem Hoheitsgebiet volle und ausschließliche Lufthoheit besitzt“, gesetzlich verankert. Jedoch ist dieses Abkommen aus den in den Rn. 57 bis 72 dieses Urteils dargestellten Gründen als solches für die Union nicht verbindlich.

( 24 ) Urteil ATAA (Rn. 107 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 25 ) Urteil ATAA (Rn. 110), welches das Urteil vom 16. Juni 1998, Racke (C‑162/96, EU:C:1998:293, Rn. 52), bestätigt.

( 26 ) Urteil Wegener (Rn. 15).

( 27 ) Soweit der Anwendungsbereich eines Rechtsakts der Union u. a. im Licht des einschlägigen Luftvölkerrechts ausgelegt wird (vgl. entsprechend Urteil ATAA, Rn. 123).

( 28 ) Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Air Transport Association of America u. a. (C‑366/10, EU:C:2011:637, Nrn. 148 und 149 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

( 29 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. September 1988, Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission (89/85, 104/85, 114/85, 116/85, 117/85 und 125/85 bis 129/85, EU:C:1988:447, Rn. 15 bis 18).

( 30 ) Vgl. insoweit Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe in der Rechtssache Airhelp (Verspätung von Flug mit anderweitiger Beförderung) (C‑451/20, EU:C:2021:829, Nrn. 24 bis 60), der allerdings ausführt, dass die Verordnung auch auf Flüge mit Anschlussflug von einem Drittland in ein anderes Drittland anwendbar ist, wenn der Ankunftsort des ersten Teilflugs und der Abflugort des zweiten Teilflugs im Gebiet eines Mitgliedstaats liegen.

( 31 ) Vgl. Erwägungsgründe 1 und 4 der Verordnung Nr. 261/2004.

( 32 ) Vgl. entsprechend Urteil ATAA (Rn. 128).

( 33 ) Vgl. entsprechend Urteil ATAA (Rn. 127).

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