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Document 62019CO0807

Beschluss des Gerichtshofs (Sechste Kammer) vom 26. November 2020.
Verfahren auf Betreiben der „DSK Bank“ EAD und „FrontEx International“ EAD.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 99 der Verfahrensordnung – Verbraucherschutz – Richtlinie 93/13/EWG – Art. 3 und 6 bis 8 – Richtlinie 2008/48/EG – Art. 22 – Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Prüfung von Amts wegen durch das nationale Gericht – Nationales Mahnverfahren.
Rechtssache C-807/19.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2020:967

 BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

26. November 2020 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 99 der Verfahrensordnung – Verbraucherschutz – Richtlinie 93/13/EWG – Art. 3 und 6 bis 8 – Richtlinie 2008/48/EG – Art. 22 – Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Prüfung von Amts wegen durch das nationale Gericht – Nationales Mahnverfahren“

In der Rechtssache C‑807/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sofiyski rayonen sad (Kreisgericht Sofia, Bulgarien) mit Entscheidung vom 4. November 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 4. November 2019, in dem Verfahren

„DSK Bank“ EAD,

„FrontEx International“ EAD

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer),

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters M. Safjan,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der „DSK Bank“ EAD, vertreten durch V. Mihneva als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch Y. G. Marinova, G. Goddin und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 6 bis 8 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29) sowie von Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten, in denen die DSK Bank und FrontEx International auf der einen Seite und nicht am Verfahren beteiligte Verbraucher auf der anderen Seite einander im Rahmen von Mahnverfahren gegenüberstehen.

Rechtsrahmen

Unionsrecht

Richtlinie 93/13

3

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 sieht vor:

„Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.“

4

Art. 6 dieser Richtlinie hat folgenden Wortlaut:

„(1)   Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.

(2)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit der Verbraucher den durch diese Richtlinie gewährten Schutz nicht verliert, wenn das Recht eines Drittlands als das auf den Vertrag anzuwendende Recht gewählt wurde und der Vertrag einen engen Zusammenhang mit dem Gebiet der Mitgliedstaaten aufweist.“

5

Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.“

6

Art. 8 dieser Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten können auf dem durch diese Richtlinie geregelten Gebiet mit dem Vertrag vereinbare strengere Bestimmungen erlassen, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher zu gewährleisten.“

Richtlinie 2008/48

7

Die Erwägungsgründe 9 und 10 der Richtlinie 2008/48 lauten:

„(9)

Eine vollständige Harmonisierung ist notwendig, um allen Verbrauchern in der Gemeinschaft ein hohes und vergleichbares Maß an Schutz ihrer Interessen zu gewährleisten und um einen echten Binnenmarkt zu schaffen. Den Mitgliedstaaten sollte es deshalb nicht erlaubt sein, von dieser Richtlinie abweichende innerstaatliche Bestimmungen beizubehalten oder einzuführen. Diese Einschränkung sollte jedoch nur in den Fällen gelten, in denen Vorschriften durch diese Richtlinie harmonisiert werden. Soweit es keine solchen harmonisierten Vorschriften gibt, sollte es den Mitgliedstaaten freigestellt bleiben, innerstaatliche Rechtsvorschriften beizubehalten oder einzuführen. Dementsprechend können die Mitgliedstaaten beispielsweise innerstaatliche Rechtsvorschriften über die gesamtschuldnerische Haftung des Verkäufers oder Dienstleistungserbringers und des Kreditgebers beibehalten oder einführen. Ein weiteres Beispiel für diese Möglichkeit könnte sein, dass die Mitgliedstaaten innerstaatliche Rechtsvorschriften über die Aufhebung eines Kauf- oder Dienstleistungsvertrags für den Fall beibehalten oder einführen, dass der Verbraucher sein Widerrufsrecht von dem Kreditvertrag ausübt. In dieser Hinsicht sollte es den Mitgliedstaaten im Falle von unbefristeten Kreditverträgen gestattet sein, einen Mindestzeitraum zwischen dem Zeitpunkt, zu dem der Kreditgeber die Rückzahlung verlangt, und dem Termin, zu dem der Kredit zurückgezahlt sein muss, festzulegen.

(10)

Mit den Begriffsbestimmungen dieser Richtlinie wird der Bereich der Harmonisierung festgelegt. Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Bestimmungen dieser Richtlinie sollte sich daher nur auf den durch diese Begriffsbestimmungen festgelegten Bereich erstrecken. Diese Richtlinie sollte die Mitgliedstaaten jedoch nicht daran hindern, nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts die Bestimmungen dieser Richtlinie auch auf Bereiche anzuwenden, die nicht in deren Geltungsbereich fallen. …“

8

Art. 10 („Zwingende Angaben in Kreditverträgen“) Abs. 2 dieser Richtlinie nennt eine Reihe von Vertragsbestandteilen, die im Kreditvertrag in klarer, prägnanter Form anzugeben sind.

9

Art. 17 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)   Werden die Ansprüche des Kreditgebers aus einem Kreditvertrag oder der Kreditvertrag selbst an einen Dritten abgetreten, so kann der Verbraucher dem neuen Gläubiger gegenüber die Einreden geltend machen, die ihm gegen den ursprünglichen Kreditgeber zustanden, und zwar einschließlich der Aufrechnung von Gegenforderungen, soweit dies in dem betreffenden Mitgliedstaat zulässig ist.

(2)   Der Verbraucher ist über die Abtretung gemäß Absatz 1 zu unterrichten, es sei denn, der ursprüngliche Kreditgeber tritt mit dem Einverständnis des Zessionars dem Verbraucher gegenüber nach wie vor als Kreditgeber auf.“

10

Art. 22 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Soweit diese Richtlinie harmonisierte Vorschriften enthält, dürfen die Mitgliedstaaten keine Bestimmungen in ihrem innerstaatlichen Recht aufrechterhalten oder einführen, die von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichen.“

Bulgarisches Recht

GPK

11

Art. 410 Abs. 1 und 2 des im DV Nr. 83 vom 22. Oktober 2019 veröffentlichten Grazhdanski protsesualen kodeks (Zivilprozessordnung) (im Folgenden: GPK) bestimmt:

„(1)   Der Antragsteller kann den Erlass eines Mahnbescheids beantragen:

1. wegen Geldforderungen oder Forderungen über vertretbare Sachen, wenn das Kreisgericht (Rayonen sad) für den Anspruch zuständig ist;

(2)   Die Antragsschrift muss den Antrag auf Erlass eines Vollstreckungsbescheids enthalten und die Voraussetzungen von Art. 127 Abs. 1 und 3 sowie von Art. 128 Nrn. 1 und 2 erfüllen. Im Antrag ist die Kontoverbindung oder eine andere Zahlungsart anzugeben.“

12

Art. 411 GPK lautet:

„(1)   Der Antrag ist bei dem Kreisgericht [Rayonen sad] einzureichen, in dessen Bezirk der Schuldner seine ständige Anschrift oder seinen Sitz hat; dieses Gericht prüft innerhalb von drei Tagen von Amts wegen seine örtliche Zuständigkeit. …

(2)   Das Gericht prüft den Antrag in einer vorbereitenden Sitzung und erlässt innerhalb der in Abs. 1 genannten Frist einen Mahnbescheid, es sei denn:

1.

der Antrag entspricht nicht den Voraussetzungen von Art. 410 und der Antragsteller beseitigt die Fehler nicht innerhalb von drei Tagen ab Mitteilung;

2.

der Antrag verstößt gegen das Gesetz oder ist sittenwidrig;

3.

der Schuldner hat seine ständige Anschrift oder seinen Sitz nicht im Hoheitsgebiet der Republik Bulgarien;

4.

der Schuldner hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Hoheitsgebiet der Republik Bulgarien oder übt seine Tätigkeit nicht im Hoheitsgebiet der Republik Bulgarien aus.

(3)   Wird dem Antrag stattgegeben, erlässt das Gericht einen Mahnbescheid, der dem Schuldner in Abschrift zugestellt wird.“

13

Art. 414 Abs. 1 und 2 hat folgenden Wortlaut:

„(1)   Der Schuldner kann gegen den Mahnbescheid oder gegen Teile davon schriftlich Widerspruch erheben. Eine Begründung des Widerspruchs ist außer in den Fällen von Art. 414a nicht erforderlich.

(2)   Der Widerspruch ist innerhalb einer zweiwöchigen Frist ab Zustellung des Bescheids zu erheben. Diese Frist kann nicht verlängert werden.“

14

Art. 418 betreffend die sofortige Vollstreckung sieht vor:

„(1)   Wird mit dem Antrag eines der in Art. 417 genannten Schriftstücke vorgelegt, auf das sich die Forderung stützt, kann der Gläubiger beim Gericht beantragen, die sofortige Vollstreckung anzuordnen und einen Vollstreckungsbescheid zu erlassen.

(2)   Der Vollstreckungsbescheid wird erlassen, nachdem das Gericht die formelle Ordnungsgemäßheit des Schriftstücks überprüft und festgestellt hat, dass mit diesem Dokument eine vollstreckbare Forderung gegen den Schuldner bestätigt wird. …“

15

Art. 419 Abs. 1 bis 3 bestimmt:

„(1)   Gegen den Beschluss, mit dem dem Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollstreckung stattgegeben wird, kann innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung der Vollstreckungsanordnung Beschwerde eingelegt werden.

(2)   Die Beschwerde gegen die Anordnung der sofortigen Vollstreckung ist gleichzeitig mit dem Widerspruch gegen den Mahnbescheid einzulegen und kann nur auf Gründe gestützt werden, die aus den in Art. 417 genannten Schriftstücken ergeben.

(3)   Die Beschwerde gegen die Anordnung der sofortigen Vollstreckung hat nicht die Wirkung einer Aussetzung der Vollstreckung.“

16

Art. 420 („Aussetzung der Vollstreckung“) sieht vor:

„(1)   Der Widerspruch gegen den Mahnbescheid hat in den Fällen von Art. 417 Nrn. 1 bis 9 nicht die Wirkung einer Aussetzung der Vollstreckung, es sei denn, der Schuldner leistet dem Gläubiger gemäß den Art. 180 und 181 des Gesetzes über Schuldverhältnisse und Verträge [Zakon za zadalzheniata i dogovorite] eine angemessene Sicherheit.

(2)   Wenn innerhalb der Widerspruchsfrist ein auf schriftliche Beweise gestützter Aussetzungsantrag gestellt wird, kann das Gericht, das die sofortige Vollstreckung angeordnet hat, die Vollstreckung aussetzen, auch wenn keine Sicherheit gemäß Abs. 1 geleistet wird.

(3)   Die Entscheidung über den Aussetzungsantrag kann mit einer Beschwerde angefochten werden.“

Gesetz zur Änderung und Ergänzung des GPK

17

Der Zakon za izmenenie i dopalnenie na GPK (Gesetz zur Änderung und Ergänzung des GPK), DV Nr. 100 vom 20. Dezember 2019 (im Folgenden: Gesetz zur Änderung des GPK), bestimmt:

„§1. In Art. 7 [GPK] wird folgender Abs. 3 eingefügt:

‚Das Gericht überprüft von Amts wegen das Vorliegen von missbräuchlichen Klauseln in einem Verbrauchervertrag. Es gibt den Parteien Gelegenheit, zu diesen Fragen Stellung zu nehmen.‘

…“

18

Mit diesem Gesetz wurde in Art. 410 GPK der folgende Abs. 3 eingefügt:

„Bei einer Forderung aus einem Verbrauchervertrag sind dem Antrag der Vertrag, sofern er schriftlich abgefasst ist, sämtliche Vertragsänderungen und Anhänge sowie die geltenden Allgemeinen Vertragsbedingungen, soweit vorhanden, beizufügen.“

19

In Art. 411 Abs. 2 GPK wurde mit diesem Gesetz eine neue Nr. 3 hinzugefügt:

„Das Gericht prüft den Antrag in einer vorbereitenden Sitzung und erlässt innerhalb der Frist nach Abs. 1 einen Mahnbescheid, außer in den folgenden Fällen:

3.   Der Antrag wird auf eine missbräuchliche Klausel in einem Verbrauchervertrag gestützt oder es kann vernünftigerweise angenommen werden, dass eine solche Klausel vorliegt.“

20

Art. 417 GPK wurde durch dieses Gesetz wie folgt geändert und ergänzt:

„1.   In Nr. 2 heißt es an Stelle von ‚Gemeinden und Banken‘: ‚und Gemeinden …, oder ein Auszug aus den Büchern der Bank, dem ein Dokument, aus dem die Forderung der Bank hervorgeht, sowie alle seine Anhänge, einschließlich der geltenden Allgemeinen Vertragsbedingungen, beizufügen sind‘.

2.   In Nr. 10 wird folgender Satz 2 hinzugefügt: ‚Wenn das Wertpapier eine Forderung aus einem Verbrauchervertrag sichert, sind dem Antrag der Vertrag, sofern er schriftlich abgefasst ist, sowie alle seine Anhänge, einschließlich der geltenden Allgemeinen Vertragsbedingungen, beizufügen.‘“

21

Durch das Gesetz zur Änderung der GPK wurde Art. 420 Abs. 1 und 2 GPK wie folgt ergänzt:

„(1)   Der Widerspruch gegen den Mahnbescheid hat in den Fällen von Art. 417 Nrn. 1 bis 9 nicht die Wirkung einer Aussetzung der Vollstreckung, es sei denn, der Schuldner leistet dem Gläubiger gemäß den Art. 180 und 181 des Gesetzes über Schuldverhältnisse und Verträge [Zakon za zadalzheniyata i dogovorite] eine angemessene Sicherheit. Ist der Schuldner ein Verbraucher, darf die Sicherheit nicht mehr als ein Drittel der Forderung betragen.

(2)   Das Gericht, das die sofortige Vollstreckung angeordnet hat, kann auch ohne eine Sicherheit im Sinne von Abs. 1 ihre Aussetzung anordnen, wenn ein Aussetzungsantrag gestellt wurde, dem schriftliche Nachweise beigefügt sind, aus denen sich ergibt, dass:

1. die Forderung nicht fällig ist;

2. die Forderung auf einer missbräuchlichen Klausel in einem Verbrauchervertrag beruht;

3. der Betrag der Forderung aus einem Verbrauchervertrag fehlerhaft berechnet wurde.“

Gesetz über die Verbraucherkreditverträge

22

Art. 10 des Zakon za potrebitelskia kredit (Gesetz über die Verbraucherkreditverträge) in der zur Zeit der Sachverhalte der Ausgangsverfahren geltenden Fassung (DV Nr. 17 vom 26. Februar 2019), der die Bestimmungen der Richtlinie 2008/48 umsetzt, sieht in Abs. 1 vor:

„Der Abschluss des Verbraucherkreditvertrags erfolgt schriftlich – in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger – und in klarer und verständlicher Weise, wobei alle Vertragsbestandteile in einer hinsichtlich Art, Format und Größe einheitlichen Schrift mit einer Mindestschriftgröße von 12 Grad abgefasst sein müssen und der Vertrag zweifach auszufertigen ist, so dass jeder Vertragspartner ein Vertragsexemplar erhält.“

23

Art. 26 dieses Gesetzes lautet:

„(1)   Der Gläubiger kann die Forderung aus einem Verbraucherkreditvertrag nur dann an einen Dritten abtreten, wenn diese Möglichkeit in dem Vertrag vorgesehen ist.

(2)   Wenn der Gläubiger die Forderung aus dem Verbrauchervertrag an einen Dritten abtritt, ist der Verbraucher berechtigt, gegenüber diesem Dritten alle Einwendungen, die ihm gegenüber dem ursprünglichen Gläubiger zustanden, einschließlich der Einrede der Aufrechnung, geltend zu machen.“

24

Art. 33 dieses Gesetzes bestimmt:

„(1)   Im Fall des Verzugs des Verbrauchers kann der Gläubiger nur hinsichtlich des ausstehenden Restbetrags Verzugszinsen verlangen; diese Zinsen sind auf der Grundlage der Verzugsdauer zu berechnen.

(2)   Wenn der Verbraucher mit den Zahlungen in Verzug ist, die er für die Kreditgewährung zu leisten hat, dürfen die Verzugszinsen nicht höher sein als der gesetzliche Zinssatz.

(3)   Der Gläubiger darf eine Teilrückzahlung des dem Verbraucher gewährten Kredits nicht ablehnen.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

25

In dem Verfahren betreffend die DSK Bank beantragte diese auf der Grundlage eines Auszugs aus ihren Rechnungsbüchern vom 3. Oktober 2019 beim vorlegenden Gericht die Ausstellung eines sofort vollstreckbaren Mahnbescheids gegen einen nicht am Verfahren beteiligten Verbraucher.

26

Die DSK Bank machte geltend, sie habe am 8. März 2018 einen Verbraucherkreditvertrag mit diesem Verbraucher geschlossen, der mit der Zahlung von 17 Monatsraten mit Fälligkeiten vom 20. März 2018 bis 20. Juli 2019 im Rückstand gewesen sei. Als letztfällige Rate wurde ein Betrag von 564,44 bulgarischen Leva (BGN) (rund 288 Euro) angegeben. Dieser Betrag war höher als die vorhergehenden Raten von jeweils 167,23 BGN (rund 85 Euro), ohne dass dies erläutert worden wäre.

27

Die DSK Bank legte daneben eine Kopie eines anderen, am 25. Februar 2018 geschlossenen Verbraucherkreditvertrags vor, der der Finanzierung eines Mobiltelefonvertrags und einer Lebensversicherungsprämie, deren Begünstigte die Bank war, diente. Dieser Vertrag enthält Bestimmungen über die Vergabe und die Rückzahlung des Kredits, nämlich in 18 Monatsraten, sowie die Allgemeinen Vertragsbedingungen und ist vom Verbraucher unterzeichnet.

28

In dem Verfahren betreffend FrontEx International macht diese geltend, sie habe im Rahmen eines Vertrags über die Abtretung einer Forderung des Unternehmens City Cash eine Forderung gegen einen Verbraucher erworben, der am 15. Juli 2016 mit diesem Unternehmen einen Kreditvertrag geschlossen habe. FrontEx International beantragte beim vorlegenden Gericht gegen diesen Verbraucher ohne Vorlage von Unterlagen den Erlass eines Mahnbescheids.

29

Das vorlegende Gericht geht in den beiden bei ihm anhängigen Verfahren davon aus, dass die Verbraucherkreditverträge missbräuchliche Klauseln enthalten, und hält die Prüfung der den Forderungen zugrunde liegenden Verträge für erforderlich.

30

Dieses Gericht führt jedoch erstens aus, dass Mahnverfahren nach bulgarischem Recht summarischen und unilateralen Charakter hätten, so dass der Verbraucher vor dem Erlass eines Mahnbescheids nicht die Möglichkeit habe, dagegen Einwendungen vorzubringen.

31

Zweitens verweist dieses Gericht auf die Rechtsprechung des Varhoven kasatsionen sad (Oberstes Kassationsgericht, Bulgarien), woraus insbesondere folge, dass zum einen im Mahnverfahren nach Art. 410 GPK keine Beweiswürdigung durch das Gericht stattfinde, da dieses Verfahrens nicht darauf abziele, das Vorliegen der Forderung selbst festzustellen, sondern ausschließlich darauf gerichtet sei, zu prüfen, ob diese Forderung bestritten werde, und dass zum anderen im Verfahren nach Art. 417 GPK das Gericht auf der Grundlage der vom Antragsteller vorlegten Unterlagen entscheide und dabei keine anderen als die in diesem Artikel genannten Schriftstücke prüfen könne.

32

Drittens führt dieses Gericht aus, dass die Richter des Sofiyski rayonen sad (Kreisgericht Sofia, Bulgarien) in Anbetracht ihrer Arbeitsbelastung nicht prüfen könnten, ob die den Anträgen auf Ausstellung von Mahnbescheiden beigefügten Verbraucherkreditverträge missbräuchliche Klauseln enthielten.

33

Unter diesen Umständen hat der Sofiyski rayonen sad (Kreisgericht Sofia) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Stellt der Umstand, dass ein nationales Gericht eine wesentlich höhere Arbeitsbelastung als die anderen Gerichte derselben Instanz aufweist und die Richter dieses Gerichts deswegen daran gehindert sind, zugleich die ihnen vorgelegten Urkunden, auf deren Grundlage die vorläufige Vollstreckbarkeit anzuordnen ist oder angeordnet werden kann, zu prüfen und ihre Entscheidungen innerhalb einer angemessenen Frist zu erlassen, als solcher einen Verstoß gegen das den Verbraucherschutz betreffende Unionsrecht oder gegen andere Grundrechte dar?

2.

Muss das nationale Gericht den Erlass von Entscheidungen, die die Vollstreckung herbeiführen können, wenn der Verbraucher keinen Widerspruch dagegen erhebt, ablehnen, falls es den ernsthaften Verdacht hat, dass der Antrag auf einer missbräuchlichen Klausel in einem Verbrauchervertrag beruht, sofern die Verfahrensakte keine zwingenden Beweise dafür enthält?

3.

Wenn die zweite Frage verneint wird, ist es zulässig, dass das nationale Gericht, sofern es einen solchen Verdacht hat, zusätzliche Beweise von der gewerbetreibenden Vertragspartei anfordert, obwohl es nach nationalem Recht im Rahmen des Verfahrens, in dem eine möglicherweise vollstreckbare Entscheidung erlassen wird, keine derartige Befugnis hat, solange der Schuldner keinen Widerspruch erhebt?

4.

Gelten die durch das Unionsrecht im Zusammenhang mit Richtlinien zur Harmonisierung des Verbraucherrechts eingeführten Erfordernisse einer vom nationalen Gericht von Amts wegen vorzunehmenden Feststellung bestimmter Umstände auch in den Fällen, in denen der nationale Gesetzgeber den Verbrauchern zusätzlichen Schutz (mehr Rechte) durch ein nationales Gesetz in Umsetzung einer Bestimmung einer Richtlinie bietet, die die Gewährung eines derartigen stärkeren Schutzes zulässt?

34

Das vorlegende Gericht hat daneben beantragt, die vorliegende Rechtssache dem beschleunigten Verfahren gemäß Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen.

Verfahren vor dem Gerichtshof

35

Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 3. Dezember 2019 ist der Antrag auf Erlass einer Entscheidung im beschleunigten Verfahren nach Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zurückgewiesen worden.

36

Zum einen kann nämlich das nach nationalem Recht bestehende Erfordernis, die rasche Erledigung der beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtssachen sicherzustellen, für sich genommen nicht ausreichen, um die Anwendung des beschleunigten Verfahrens nach Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung zu rechtfertigen (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofs vom 23. Dezember 2015, Vilkas, C‑640/15, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:862, Rn. 8, und vom 8. Juni 2016, Garrett Pontes Pedroso, C‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:432, Rn. 14).

37

Zum anderen können, auch wenn der Schuldner ein Verbraucher ist, nach ständiger Rechtsprechung bloße wirtschaftliche Interessen – so bedeutend und legitim sie auch sein mögen – für sich genommen die Anwendung des beschleunigten Verfahrens nicht rechtfertigen (Beschluss vom 10. April 2018, Del Moral Guasch, C‑125/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:253, Rn. 11 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38

Desgleichen erfordern weder das bloße Interesse der Rechtsunterworfenen – so bedeutend und legitim es auch sein mag – an einer möglichst raschen Klärung des Umfangs der ihnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte noch der wirtschaftlich und sozial sensible Charakter der Ausgangsrechtssache, dass diese im Sinne von Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs rasch erledigt wird (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofs vom 13. April 2016, Indėlių ir investicijų draudimas, C‑109/16, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:267, Rn. 8 und 9, sowie vom 15. Februar 2016, Anisimovienė u. a., C‑688/15, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:92, Rn. 8 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39

Mit am 3. Juni 2020 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangenem Beschluss vom 28. Mai 2020 hat das vorlegende Gericht nähere Angaben zu den am 24. Dezember 2019 auf der Grundlage des Gesetzes zur Änderung des GPK in Kraft getretenen gesetzlichen Änderungen des GPK gemacht. Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 22. Juni 2020 ist dieser Beschluss zu den Akten genommen und den Parteien und Beteiligten zugestellt worden.

Zu den Vorlagefragen

40

Wenn die Antwort auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann oder wenn die Beantwortung einer solchen Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, kann der Gerichtshof gemäß Art. 99 seiner Verfahrensordnung auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden.

41

Diese Bestimmung ist im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens anzuwenden.

Zur ersten Frage

42

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass es dem entgegensteht, dass das mit einem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids befasste nationale Gericht aufgrund praktischer Schwierigkeiten, wie seiner Arbeitsbelastung, von einer Prüfung der möglichen Missbräuchlichkeit einer Klausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher absieht.

43

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung ein wirksamer Schutz der Rechte aus der Richtlinie 93/13 nur garantiert werden kann, wenn die nationalen Verfahrensregeln vorsehen, dass die im betreffenden Vertrag enthaltenen Klauseln im Rahmen des Mahnverfahrens oder im Rahmen des Verfahrens zur Vollstreckung des Mahnbescheids von Amts wegen durch ein Gericht auf ihre etwaige Missbräuchlichkeit überprüft werden (Urteil vom 20. September 2018, EOS KSI Slovensko, C‑448/17, EU:C:2018:745, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung). Wenn ein nationales Gericht, wie in den Ausgangsverfahren, im Rahmen des Mahnverfahrens von sich aus feststellt, dass eine Prüfung der Missbräuchlichkeit der Klauseln in den betreffenden Verträgen erfolgen sollte, muss es die tatsächliche Möglichkeit zur Ausübung dieser Kontrolle haben.

44

Weiter ist daran zu erinnern, dass die Organisation der Justiz in den Mitgliedstaaten, einschließlich der Vorschriften über die Zuweisung von Rechtssachen, in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. Bei der Ausübung dieser Befugnis müssen die Mitgliedstaaten jedoch die Verpflichtungen einhalten, die sich für sie aus dem Unionsrecht ergeben (vgl. Urteil vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny, C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 36 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

45

Somit können es mögliche praktische Schwierigkeiten, die mit der Arbeitsbelastung zusammenhängen, nicht rechtfertigen, das Unionsrecht unangewendet zu lassen. Jedes nationale Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die unionsrechtlichen Bestimmungen anzuwenden hat, ist gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. März 1978, Simmenthal, 106/77, EU:C:1978:49, Rn. 21, sowie vom 11. September 2014, A, C‑112/13, EU:C:2014:2195, Rn. 36).

46

Dass ein nationales Gericht stärker belastet ist als andere Gerichte derselben Instanz, befreit die Richter dieses Gerichts daher nicht von der Verpflichtung, das Unionsrecht wirksam und umfassend anzuwenden.

47

In Anbetracht dieser Erwägungen ist auf die erste Frage zu antworten, dass das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass es dem entgegensteht, dass das mit einem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids befasste nationale Gericht aufgrund praktischer Schwierigkeiten, wie seiner Arbeitsbelastung, von einer Prüfung der möglichen Missbräuchlichkeit einer Klausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher absieht.

Zur zweiten und zur dritten Frage

48

Mit der zweiten und der dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen sind, dass sie dem entgegenstehen, dass ein mit einem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids befasstes nationales Gericht, wenn es vermutet, dass diesem Antrag eine missbräuchliche Klausel in einem Verbraucherkreditvertrag im Sinne der Richtlinie 93/13 zugrunde liegt, bei Nichtvorliegen eines Widerspruchs seitens des Verbrauchers zum Zweck der Prüfung der möglichen Missbräuchlichkeit dieser Klausel vom Gläubiger zusätzliche Angaben verlangen kann.

49

Nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 sind missbräuchliche Vertragsklauseln für den Verbraucher unverbindlich. Außerdem verpflichtet nach ständiger Rechtsprechung die Richtlinie 93/13 in Anbetracht von Art und Bedeutung des öffentlichen Interesses, auf dem der Schutz beruht, der den Verbrauchern gewährt wird, weil sie sich gegenüber den Gewerbetreibenden in einer Position der Unterlegenheit befinden, die Mitgliedstaaten, wie sich aus Art. 7 Abs. 1 in Verbindung mit dem 24. Erwägungsgrund ergibt, angemessene und wirksame Mittel vorzusehen, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juli 2020, Raiffeisen Bank und BRD Groupe Societé Générale, C‑698/18 und C‑699/18, EU:C:2020:537, Rn. 52 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

50

Der Gerichtshof hatte bereits Gelegenheit, sich zur Auslegung der Art. 6 und 7 der Richtlinie 93/13 im Hinblick auf die von einem nationalen Gericht in nationalen Mahnverfahren von Amts wegen auszuübenden Befugnisse zu äußern.

51

Zwar muss das nationale Gericht die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13 fällt, von Amts wegen prüfen und damit dem Ungleichgewicht zwischen dem Verbraucher und dem Gewerbetreibenden abhelfen, doch setzt dies voraus, dass es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt. Wie der Gerichtshof bereits klarstellen konnte, gelten diese Erwägungen auch für das Mahnverfahren (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. September 2018, Profi Credit Polska, С-176/17, EU:C:2018:711, Rn. 42 und 43, sowie vom 11. März 2020, Lintner, C‑511/17, EU:C:2020:188, Rn. 26 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

52

Wenn die rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen in der Akte, die dem in einem Mahnverfahren entscheidenden nationalen Gericht vorliegt, ernsthafte Zweifel hinsichtlich der Missbräuchlichkeit bestimmter vom Verbraucher nicht einbezogener, aber mit dem Gegenstand des Rechtsstreits zusammenhängender Klauseln aufkommen lassen, ohne dass jedoch insoweit eine endgültige Beurteilung vorgenommen werden kann, und wenn dieses Gericht eine Prüfung der Missbräuchlichkeit dieser Klauseln für geboten hält, hat es – gegebenenfalls von Amts wegen – Untersuchungsmaßnahmen durchzuführen, um die Akte zu ergänzen, indem es die Parteien unter Wahrung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens um die hierfür erforderlichen Klarstellungen und Unterlagen ersucht. Daraus folgt, dass das nationale Gericht verpflichtet ist, von Amts wegen Untersuchungsmaßnahmen durchzuführen, soweit die bereits in der Akte enthaltenen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen ernsthafte Zweifel hinsichtlich der Missbräuchlichkeit bestimmter Klauseln aufkommen lassen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. März 2020, Lintner, C‑511/17, EU:C:2020:188, Rn. 37 und 38).

53

Damit folgt aus dieser Rechtsprechung für den vorliegenden Fall, dass ein nationales Gericht, das mit einem auf eine Forderung aus Klauseln in einem Verbrauchervertrag im Sinne der Richtlinie 93/13 gestützten Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids befasst ist und vermutet, dass diese Klauseln missbräuchlich sind, ohne jedoch eine endgültige Beurteilung der Klauseln vornehmen zu können, bei Nichtvorliegen eines Widerspruchs seitens des Verbrauchers den Gläubiger – gegebenenfalls von Amts wegen – auffordern kann, die zur Beurteilung der möglichen Missbräuchlichkeit dieser Klauseln erforderlichen Beweise beizubringen.

54

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen sind, dass sie nicht dem entgegenstehen, dass ein mit einem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids befasstes nationales Gericht, wenn es vermutet, dass diesem Antrag eine missbräuchliche Klausel in einem Verbraucherkreditvertrag im Sinne der Richtlinie 93/13 zugrunde liegt, bei Nichtvorliegen eines Widerspruchs seitens des Verbrauchers zum Zweck der Prüfung der möglichen Missbräuchlichkeit dieser Klausel vom Gläubiger zusätzliche Angaben verlangen kann.

Zur vierten Frage

55

Vorab ist festzustellen, dass, wie sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt, diese vierte Frage vom vorlegenden Gericht in Bezug auf Art. 10 Abs. 1 des Gesetzes über die Verbraucherkreditverträge, der für den Vertragstext eine Mindestschriftgröße vorsieht, in Bezug auf Art. 26 dieses Gesetzes, der die Zustimmung des Verbrauchers zur Abtretung der Forderung verlangt, und in Bezug auf Art. 33 dieses Gesetzes, der die Höhe der Verzugszinsen auf den gesetzlichen Zinssatz begrenzt, gestellt wird.

56

Zwar sind sowohl die Richtlinie 93/13 als auch die Richtlinie 2008/48 auf Verträge zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher – darunter Verbraucherverträge wie die in den beiden beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren – anzuwenden, doch können, wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen vorgetragen hat, die vom vorlegenden Gericht angeführten nationalen Vorschriften nicht als Umsetzung der Richtlinie 2008/48 angesehen werden.

57

Die Richtlinie 2008/48 hat nämlich weder in Bezug auf Auszüge aus Büchern von Banken noch in Bezug auf Verträge über die Abtretung von Forderungen als Grundlage für die Beitreibung einer Forderung aus einem Verbraucherkreditvertrag eine Harmonisierung vorgenommen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 28. November 2018, PKO Bank Polski, C‑632/17, EU:C:2018:963, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58

Dagegen ist hinsichtlich der Richtlinie 93/13 anzumerken, dass ihr Zweck nach ihrem Art. 1 in der Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern besteht. Gemäß ihrem Art. 3 Abs. 1 ist eine Klausel als missbräuchlich anzusehen, wenn sie zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht. Art. 4 Abs. 2 und Art. 5 dieser Richtlinie sehen vor, dass die Vertragsklauseln klar und verständlich abgefasst sein müssen.

59

Daher ist bei der Beantwortung der Frage des vorlegenden Gerichts ausschließlich auf die Bestimmungen der Richtlinie 93/13 Bezug zu nehmen.

60

Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 3 und Art. 8 der Richtlinie 93/13 in Verbindung mit Art. 6 und Art. 7 dieser Richtlinie dahin auszulegen sind, dass das nationale Gericht im Rahmen der Prüfung der möglichen Missbräuchlichkeit von Klauseln in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher, die es von Amts wegen vornimmt, um festzustellen, ob zwischen den Verpflichtungen der Parteien aus diesem Vertrag ein erhebliches Missverhältnis besteht, auch nationale Vorschriften berücksichtigen kann, die den Verbrauchern einen weiter gehenden Schutz gewähren, als er von dieser Richtlinie vorgesehen ist.

61

Nach Art. 8 der Richtlinie 93/13 können die Mitgliedstaaten auf dem durch diese Richtlinie geregelten Gebiet mit dem AEU-Vertrag vereinbare strengere Bestimmungen erlassen oder beibehalten, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher zu gewährleisten. Diese Richtlinie nimmt also eine Mindestharmonisierung vor. Zum einen ist bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel der normative Kontext zu berücksichtigen, der zusammen mit dieser Klausel die Rechte und Pflichten der Vertragspartner bestimmt (Urteil vom 10. September 2020, A [Untervermietung einer Sozialwohnung], C‑738/19, EU:C:2020:687, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

62

Zum anderen sind bei der Frage, ob eine Klausel ein „erhebliches“ Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner zulasten des Verbrauchers verursacht, insbesondere diejenigen Vorschriften zu berücksichtigen, die im nationalen Recht anwendbar sind, wenn die Parteien in diesem Punkt keine Vereinbarung getroffen haben. Anhand einer solchen vergleichenden Betrachtung kann das nationale Gericht bewerten, ob – und gegebenenfalls inwieweit – der Vertrag für den Verbraucher eine weniger günstige Rechtslage schafft, als sie das geltende nationale Recht vorsieht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Januar 2017, Banco Primus, C‑421/14, EU:C:2017:60, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 3 und Art. 8 der Richtlinie 93/13 in Verbindung mit Art. 6 und Art. 7 dieser Richtlinie dahin auszulegen sind, dass das nationale Gericht im Rahmen der Prüfung der möglichen Missbräuchlichkeit von Klauseln in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher, die es von Amts wegen vornimmt, um festzustellen, ob zwischen den Verpflichtungen der Parteien aus diesem Vertrag ein erhebliches Missverhältnis besteht, auch nationale Vorschriften berücksichtigen kann, die den Verbrauchern einen weiter gehenden Schutz gewähren, als er von dieser Richtlinie vorgesehen ist.

Kosten

64

Da das Verfahren für die Beteiligten der Ausgangsverfahren ein Zwischenstreit in den beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten ist, ist die Kostenentscheidung Sache dieses Gerichts.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es dem entgegensteht, dass das mit einem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids befasste nationale Gericht aufgrund praktischer Schwierigkeiten, wie seiner Arbeitsbelastung, von einer Prüfung der möglichen Missbräuchlichkeit einer Klausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher absieht.

 

2.

Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sind dahin auszulegen, dass sie nicht dem entgegenstehen, dass ein mit einem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids befasstes nationales Gericht, wenn es vermutet, dass diesem Antrag eine missbräuchliche Klausel in einem Verbraucherkreditvertrag im Sinne der Richtlinie 93/13 zugrunde liegt, bei Nichtvorliegen eines Widerspruchs seitens des Verbrauchers zum Zweck der Prüfung der möglichen Missbräuchlichkeit dieser Klausel vom Gläubiger zusätzliche Angaben verlangen kann.

 

3.

Art. 3 und Art. 8 der Richtlinie 93/13 in Verbindung mit Art. 6 und Art. 7 dieser Richtlinie sind dahin auszulegen, dass das nationale Gericht im Rahmen der Prüfung der möglichen Missbräuchlichkeit von Klauseln in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher, die es von Amts wegen vornimmt, um festzustellen, ob zwischen den Verpflichtungen der Parteien aus diesem Vertrag ein erhebliches Missverhältnis besteht, auch nationale Vorschriften berücksichtigen kann, die den Verbrauchern einen weiter gehenden Schutz gewähren, als er von dieser Richtlinie vorgesehen ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Bulgarisch.

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