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Document 62019CJ0367

Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 10. September 2020.
Tax-Fin-Lex d.o.o. gegen Ministrstvo za notranje zadeve.
Vorabentscheidungsersuchen der Državna revizijska komisija za revizijo postopkov oddaje javnih naročil.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliche Dienstleistungsaufträge – Richtlinie 2014/24/EU – Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 – Begriff ‚öffentlicher Auftrag‘ – Begriff ‚entgeltlicher Vertrag‘ – Angebot eines Bieters zu einem Preis von null Euro – Ablehnung des Angebots – Art. 69 – Ungewöhnlich niedriges Angebot.
Rechtssache C-367/19.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2020:685

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

10. September 2020 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliche Dienstleistungsaufträge – Richtlinie 2014/24/EU – Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 – Begriff ‚öffentlicher Auftrag‘ – Begriff ‚entgeltlicher Vertrag‘ – Angebot eines Bieters zu einem Preis von null Euro – Ablehnung des Angebots – Art. 69 – Ungewöhnlich niedriges Angebot“

In der Rechtssache C‑367/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Državna revizijska komisija za revizijo postopkov oddaje javnih naročil (Staatliche Kommission für die Überprüfung von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge, Slowenien) mit Entscheidung vom 30. April 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Mai 2019, in dem Verfahren

Tax-Fin-Lex d.o.o.

gegen

Ministrstvo za notranje zadeve,

Beteiligte:

LEXPERA d.o.o.,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras (Berichterstatter) sowie der Richter S. Rodin und D. Šváby, der Richterin K. Jürimäe und des Richters N. Piçarra,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Tax-Fin-Lex d.o.o., vertreten durch Z. Tavčar, Direktorin,

des Ministrstvo za notranje zadeve, vertreten durch M. Bregar Hasanagić und M. Urek als Bevollmächtigte,

der österreichischen Regierung, vertreten durch M. Fruhmann als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Haasbeek, B. Rous Demiri und P. Ondrůšek als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Mai 2020

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65) in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2365 der Kommission vom 18. Dezember 2017 geänderten Fassung (ABl. 2017, L 337, S. 19) (im Folgenden: Richtlinie 2014/24).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Tax‑Fin‑Lex d.o.o., einer Gesellschaft mit Sitz in Slowenien, und dem Ministrstvo za notranje zadeve (Innenministerium, Slowenien) (im Folgenden: Ministerium) wegen dessen Ablehnung des von dieser Gesellschaft im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags eingereichten Angebots.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24 heißt es:

„Die öffentliche Auftragsvergabe … [ist eines der] marktwirtschaftlichen Instrumente, die zur Erzielung eines intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstums bei gleichzeitiger Gewährleistung eines möglichst effizienten Einsatzes öffentlicher Gelder genutzt werden sollen. Zu diesem Zweck müssen die Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe … überarbeitet und modernisiert werden, damit die Effizienz der öffentlichen Ausgaben gesteigert … wird.“

4

Unter Titel I („Anwendungsbereich, Begriffsbestimmungen und allgemeine Grundsätze“) der Richtlinie 2014/24 bestimmt Art. 1 Abs. 1 und 2:

„(1)   Mit dieser Richtlinie werden Regeln für die Verfahren öffentlicher Auftraggeber bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und der Durchführung von Wettbewerben festgelegt, deren geschätzter Wert nicht unter den in Artikel 4 genannten Schwellenwerten liegt.

(2)   Auftragsvergabe im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet den im Wege eines öffentlichen Auftrags erfolgenden Erwerb von Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen durch einen oder mehrere öffentliche Auftraggeber von Wirtschaftsteilnehmern, die von diesen öffentlichen Auftraggebern ausgewählt werden, unabhängig davon, ob diese Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen für einen öffentlichen Zweck bestimmt sind oder nicht.“

5

In Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24 heißt es:

„(1)   Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

5.

‚öffentliche Aufträge‘ zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern und einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern schriftlich geschlossene entgeltliche Verträge über die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen“.

6

Art. 4 („Höhe der Schwellenwerte“) dieser Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie gilt für Aufträge, deren geschätzter Wert ohne Mehrwertsteuer (MwSt.) die folgenden Schwellenwerte nicht unterschreitet:

b)

144000 [Euro] bei öffentlichen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen, die von zentralen Regierungsbehörden vergeben werden, und bei von diesen Behörden ausgerichteten Wettbewerben;

…“

7

Art. 18 („Grundsätze der Auftragsvergabe“) Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 sieht vor:

„Die öffentlichen Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nichtdiskriminierender Weise und handeln transparent und verhältnismäßig.

Das Vergabeverfahren darf nicht mit der Absicht konzipiert werden, es vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie auszunehmen oder den Wettbewerb künstlich einzuschränken. Eine künstliche Einschränkung des Wettbewerbs gilt als gegeben, wenn das Vergabeverfahren mit der Absicht konzipiert wurde, bestimmte Wirtschaftsteilnehmer auf unzulässige Weise zu bevorzugen oder zu benachteiligen.“

8

Titel II („Vorschriften für öffentliche Aufträge“) der Richtlinie 2014/24 enthält ein Kapitel III über den Ablauf des Verfahrens mit einem Abschnitt 3 („Auswahl der Teilnehmer und Auftragsvergabe“). Art. 69 („Ungewöhnlich niedrige Angebote“) in diesem Abschnitt 3 sieht vor:

„(1)   Die öffentlichen Auftraggeber schreiben den Wirtschaftsteilnehmern vor, die im Angebot vorgeschlagenen Preise oder Kosten zu erläutern, wenn diese im Verhältnis zu den angebotenen Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen ungewöhnlich niedrig erscheinen.

(2)   Die Erläuterungen im Sinne des Absatzes 1 können sich insbesondere auf Folgendes beziehen:

a)

die Wirtschaftlichkeit des Fertigungsverfahrens, der Erbringung der Dienstleistung oder des Bauverfahrens;

b)

die gewählten technischen Lösungen oder alle außergewöhnlich günstigen Bedingungen, über die der Bieter bei der … Lieferung der Waren oder der Erbringung der Dienstleistung sowie der Durchführung der Bauleistungen beziehungsweise der Waren verfügt;

c)

die Originalität der Bauleistungen, der Lieferungen oder der Dienstleistungen wie vom Bieter angeboten;

f)

die Möglichkeit für den Bieter, staatliche Hilfe zu erhalten.

(3)   Der öffentliche Auftraggeber bewertet die beigebrachten Informationen mittels einer Rücksprache mit dem Bieter. Er kann das Angebot nur dann ablehnen, wenn die beigebrachten Nachweise das niedrige Niveau des vorgeschlagenen Preises beziehungsweise der vorgeschlagenen Kosten unter Berücksichtigung der in Absatz 2 genannten Faktoren nicht zufriedenstellend erklären.

…“

Slowenisches Recht

9

Art. 2 Abs. 1 des Zakon o javnem naročanju (Gesetz über die Vergabe öffentlicher Aufträge) vom 30. Mai 2015 (Uradni list RS, Nr. 91/2015) in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits anwendbaren Fassung (im Folgenden: ZJN) bestimmt:

„Die in diesem Gesetz angewendeten Ausdrücke haben folgende Bedeutung:

1.   ‚öffentlicher Auftrag‘: ein zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern und einem und mehreren öffentlichen Auftraggebern schriftlich geschlossener entgeltlicher Vertrag, der die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand hat.

…“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

10

Am 7. Juni 2018 veröffentlichte das Ministerium eine in zwei Lose unterteilte Bekanntmachung zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags für den Zugang zu einem Rechtsinformationssystem für einen Zeitraum von 24 Monaten. Der vom Ministerium festgesetzte geschätzte Wert des betreffenden öffentlichen Auftrags betrug 39959,01 Euro.

11

Das Ministerium erhielt innerhalb der vorgesehenen Frist für das Los 1 nur zwei Angebote, zu denen das der Klägerin des Ausgangsrechtsstreits, Tax‑Fin‑Lex, gehörte, die einen Preis von null Euro vorschlug.

12

Mit Entscheidung vom 11. Januar 2019 wurde Tax‑Fin‑Lex zum einen über die Ablehnung ihres Angebots mit der Begründung in Kenntnis gesetzt, dass der Endpreis ihres Angebots null Euro betrage, was nach Auffassung des Ministeriums im Widerspruch zu den Bestimmungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge stehe, und zum anderen darüber, dass der öffentliche Auftrag im Los 1 an die zweite Bieterin vergeben worden sei.

13

Am 17. Januar 2019 beantragte Tax‑Fin‑Lex beim Ministerium, seine Entscheidung über die Ablehnung ihres Angebots zu überprüfen. Das Ministerium lehnte diesen Antrag am 5. Februar 2019 ab und verwies die Sache am 11. Februar 2019 an das vorlegende Gericht, wodurch bei diesem ein Verfahren eingeleitet wurde.

14

Das vorlegende Gericht weist zunächst darauf hin, dass, obwohl die Richtlinie 2014/24 den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht unmittelbar regele, sich der slowenische Gesetzgeber bei der Umsetzung der Vorschriften der Richtlinie 2014/24 in innerstaatliches Recht entschieden habe, sowohl Aufträge über dem in der Richtlinie 2014/24 festgelegten Schwellenwert als auch Aufträge unter diesem Schwellenwert mit dem Ausdruck „öffentlicher Auftrag“ zu bezeichnen. Daher sei der Gerichtshof für die Beantwortung der vorgelegten Fragen zuständig.

15

In der Sache hebt das vorlegende Gericht hervor, dass die Entscheidung des Ministeriums, mit der das Angebot von Tax‑Fin‑Lex abgelehnt worden sei, auf einen einzigen Grund gestützt gewesen sei, der sich auf den vorgeschlagenen Betrag des Angebots beziehe. Insoweit fragt es sich erstens, ob ein Vertrag als „entgeltlicher Vertrag“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24 angesehen werden könne, wenn der öffentliche Auftraggeber nicht verpflichtet sei, seinem Vertragspartner eine Gegenleistung zu erbringen, dieser aber aufgrund dieses Vertrags Zugang zu einem neuen Markt erlange bzw. neue Nutzer gewinne und folglich Referenzen erlange, was für ihn einen künftigen wirtschaftlichen Nutzen darstellen könne. Es möchte somit wissen, ob der bloße Umstand, dass das Erlangen eines öffentlichen Auftrags als solches für den Wirtschaftsteilnehmer einen wirtschaftlichen Wert hat, selbst wenn dieser Wert zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe bzw. des Vertragsabschlusses nicht als Geldwert ausgedrückt werden kann, ausreichen kann, um den Vertrag, der diesen Auftrag zum Gegenstand hat, als entgeltlichen Vertrag im Sinne dieser Bestimmung zu kennzeichnen.

16

Falls es sich in einem solchen Fall nicht um einen „entgeltlichen Vertrag“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24 handeln sollte, fragt sich das vorlegende Gericht zweitens, ob diese Vorschrift eine selbständige Rechtsgrundlage für die Ablehnung eines Angebots darstellen könne, in dem der Preis auf null Euro festgesetzt sei.

17

Mit der Annahme dieses Angebots könnte der abgeschlossene Vertrag nicht als Vertrag über die Ausführung eines öffentlichen Auftrags gewertet werden. Folglich hätte der öffentliche Auftraggeber ein Vergabeverfahren eingeleitet, dessen Endergebnis nicht die Erlangung eines öffentlichen Auftrags, sondern z. B. eine Schenkung wäre.

18

Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24 den Begriff „öffentlicher Auftrag“ für die Bestimmung seiner Anwendungsfälle definiere, ohne das Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags zu regeln. Als im Ausgangsverfahren der öffentliche Auftraggeber ein solches Verfahren eingeleitet habe, sei er der Ansicht gewesen, dass er für den Erwerb der Dienstleistungen dieses Auftrags eine Gegenleistung werde erbringen müssen. Das Handeln der Bieter und der Inhalt ihrer Angebote könnten sich nicht auf die vorausgehende Beurteilung des öffentlichen Auftraggebers auswirken. Nach Einleitung des Vergabeverfahrens und nach Erhalt der Angebote sei der öffentliche Auftraggeber verpflichtet, diese zu berücksichtigen und lediglich unter Berücksichtigung der im Voraus bestimmten Anforderungen zu prüfen. Darüber hinaus würden öffentliche Vergabeverfahren von den öffentlichen Auftraggebern nicht mit der Absicht, einen entgeltlichen Vertrag abzuschließen, sondern mit dem Ziel, Waren bzw. Dienstleistungen zu erwerben, durchgeführt. Im vorliegenden Fall würde der öffentliche Auftraggeber allerdings, selbst wenn er das Angebot zum Preis von null Euro annähme, gleichwohl die Dienstleistungen erhalten, derentwegen der Auftrag ausgeschrieben worden sei.

19

In Anbetracht dieser Erwägungen hat die Državna revizijska komisija za revizijo postopkov oddaje javnih naročil (Staatliche Kommission für die Überprüfung von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge, Slowenien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist die „Entgeltlichkeit des Vertragsverhältnisses“ als Merkmal eines öffentlichen Auftrags im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24 gegeben, wenn der öffentliche Auftraggeber zwar zu keiner Gegenleistung verpflichtet ist, der Wirtschaftsteilnehmer jedoch mit der Auftragsausführung den Zugang zu einem neuen Markt und Referenzen erlangt?

2.

Ist es möglich bzw. erforderlich, Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen, dass er die Grundlage für die Ablehnung eines Angebots mit einem Angebotspreis von null Euro darstellt?

Zu den Vorlagefragen

20

Vorab ist festzustellen, dass der Wert des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auftrags unter dem in Art. 4 Buchst. b der Richtlinie 2014/24 vorgesehenen Schwellenwert von 144000 Euro liegt, so dass dieser Auftrag nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt. Wie das vorlegende Gericht ausführt, hat der slowenische Gesetzgeber indessen bei der Umsetzung der Bestimmungen dieser Richtlinie in innerstaatliches Recht in Art. 2 Abs. 1 ZJN die Definition des Begriffs „öffentlicher Auftrag“ aus Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24 übernommen, so dass diese Definition für alle öffentlichen Aufträge – unabhängig von ihrer Höhe – gilt, die unter das ZJN fallen.

21

Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften durch den Gerichtshof bei Sachverhalten, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Vorschriften fallen, dann gerechtfertigt, wenn die Vorschriften vom nationalen Recht unmittelbar und unbedingt für auf diese Sachverhalte anwendbar erklärt worden sind, um zu gewährleisten, dass diese Sachverhalte und die durch die Vorschriften geregelten Sachverhalte gleichbehandelt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Oktober 1990, Dzodzi, C‑297/88 und C‑197/89, EU:C:1990:360, Rn. 36, 37 und 41, und vom 24. Oktober 2019, Belgische Staat, C‑469/18 und C‑470/18, EU:C:2019:895, Rn. 23).

22

Demnach ist auf die Vorlagefragen zu antworten.

23

Es ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, wissen möchte, ob Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen ist, dass er im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags eine Rechtsgrundlage für die Ablehnung des Angebots eines Bieters allein aus dem Grund darstellt, dass der öffentliche Auftraggeber, weil der in dem Angebot vorgeschlagene Preis null Euro beträgt, keine finanzielle Gegenleistung erbringt, während gleichzeitig dieser Bieter durch die Erfüllung dieses Vertrags lediglich Zugang zu einem neuen Markt und zu Referenzen erlangen würde, die er in späteren Ausschreibungen geltend machen könnte.

24

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24 „öffentliche Aufträge“ als „zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern und einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern schriftlich geschlossene entgeltliche Verträge über die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen“ definiert.

25

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs bezeichnet das Wort „entgeltlich“ nach seiner gewöhnlichen rechtlichen Bedeutung einen Vertrag, mit dem sich jede Partei verpflichtet, eine Leistung im Gegenzug für eine andere zu erbringen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Oktober 2018, IBA Molecular Italy, C‑606/17, EU:C:2018:843, Rn. 28). Das Synallagma des Vertrags ist somit ein wesentliches Merkmal eines öffentlichen Auftrags (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Dezember 2016, Remondis, C‑51/15, EU:C:2016:985, Rn. 43, vom 28. Mai 2020, Informatikgesellschaft für Software-Entwicklung, C‑796/18, EU:C:2020:395, Rn. 40, und vom 18. Juni 2020, Porin kaupunki, C‑328/19, EU:C:2020:483, Rn. 47).

26

Selbst wenn diese Gegenleistung, wie der Generalanwalt in Nr. 47 seiner Schlussanträge festgestellt hat, nicht unbedingt die Zahlung eines Geldbetrags sein muss, so dass die Leistung durch andere Formen von Gegenleistungen wie den Ersatz der durch die Erbringung der vereinbarten Dienstleistung entstandenen Kosten vergütet werden kann (vgl. u. a. Urteile vom 19. Dezember 2012, Ordine degli Ingegneri della Provincia di Lecce u. a., C‑159/11, EU:C:2012:817, Rn. 29, vom 13. Juni 2013, Piepenbrock, C‑386/11, EU:C:2013:385, Rn. 31, und vom 18. Oktober 2018, IBA Molecular Italy, C‑606/17, EU:C:2018:843, Rn. 29), führt der synallagmatische Charakter eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag zwangsläufig zur Begründung rechtlich zwingender Verpflichtungen für jede der Vertragsparteien, deren Erfüllung einklagbar sein muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. März 2010, Helmut Müller, C‑451/08, EU:C:2010:168, Rn. 60 bis 62).

27

Folglich fällt ein Vertrag, mit dem ein öffentlicher Auftraggeber rechtlich nicht verpflichtet ist, eine Leistung im Gegenzug für diejenige Leistung zu erbringen, zu deren Erbringung sich sein Vertragspartner verpflichtet hat, nicht unter den Begriff „entgeltlicher Vertrag“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24.

28

Der vom vorlegenden Gericht angesprochene und jedem Verfahren über öffentliche Aufträge innewohnende Umstand, dass für den Bieter im Erlangen dieses Vertrags insofern ein wirtschaftlicher Wert liegen könnte, als ihm dadurch der Zugang zu einem neuen Markt eröffnet oder ihm der Erwerb von Referenzen ermöglicht würde, hängt zu sehr vom Zufall ab und kann folglich, wie der Generalanwalt in den Nrn. 63 bis 66 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht ausreichen, um diesen Vertrag als „entgeltlichen Vertrag“ einzustufen.

29

Es ist jedoch festzustellen, dass Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24 den Begriff „öffentliche Aufträge“ lediglich definiert, um die Anwendbarkeit dieser Richtlinie zu bestimmen. Wie sich nämlich aus ihrem Art. 1 Abs. 1 ergibt, gilt die Richtlinie nur für „öffentliche Aufträge“ im Sinne ihres Art. 2 Abs. 1 Nr. 5, deren geschätzter Wert nicht unter den in Art. 4 der Richtlinie genannten Schwellenwerten liegt.

30

Daraus folgt, dass Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24 keine Rechtsgrundlage sein kann, auf die die Ablehnung eines Angebots mit einem vorgeschlagenen Preis von null Euro gestützt werden kann. Diese Bestimmung erlaubt es daher nicht, ein für einen öffentlichen Auftrag abgegebenes Angebot automatisch zu verwerfen, wie etwa ein Angebot zu einem Preis von null Euro, mit dem ein Wirtschaftsteilnehmer dem öffentlichen Auftraggeber anbietet, die Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen, die dieser zu erwerben beabsichtigt, zu erbringen, ohne eine Gegenleistung zu verlangen.

31

Unter diesen Umständen muss ein öffentlicher Auftraggeber, da ein Angebot zu einem Preis von null Euro als ungewöhnlich niedrig im Sinne von Art. 69 der Richtlinie 2014/24 bezeichnet werden kann, das in dieser Bestimmung vorgesehene Verfahren einhalten, wenn ihm ein solches Angebot vorgelegt wird, und den Bieter zu Erläuterungen zur Höhe des Angebots auffordern. Aus der dem Art. 69 der Richtlinie 2014/24 zugrunde liegenden Logik ergibt sich nämlich, dass ein Angebot nicht automatisch allein aus dem Grund abgelehnt werden kann, dass der vorgeschlagene Preis null Euro beträgt.

32

So ergibt sich aus Art. 69 Abs. 1, dass die öffentlichen Auftraggeber, wenn ein Angebot ungewöhnlich niedrig erscheint, dem Bieter vorschreiben, die im Angebot vorgeschlagenen Preise oder Kosten zu erläutern, wobei sich diese Erläuterungen insbesondere auf die in Abs. 2 dieses Artikels genannten Punkte beziehen können. Diese Erläuterungen tragen somit zur Bewertung der Verlässlichkeit des Angebots bei und ermöglichen den Nachweis, dass sich das in Rede stehende Angebot, obwohl es einen Preis von null Euro vorschlägt, nicht auf die ordnungsgemäße Ausführung des Auftrags auswirken wird.

33

Nach Art. 69 Abs. 3 muss der öffentliche Auftraggeber nämlich die beigebrachten Informationen mittels einer Rücksprache mit dem Bieter bewerten, und er kann ein solches Angebot nur ablehnen, wenn die beigebrachten Nachweise das niedrige Niveau des vorgeschlagenen Preises bzw. der vorgeschlagenen Kosten nicht zufriedenstellend erklären.

34

Die Bewertung dieser Informationen muss ferner unter Beachtung der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung der Bieter sowie der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit erfolgen, die nach Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 vom öffentlichen Auftraggeber einzuhalten sind.

35

Daher ist das Vorbringen eines Bieters, der ein Angebot zu einem Preis von null Euro eingereicht hat, nach dem sich der in seinem Angebot vorgeschlagene Preis dadurch erkläre, dass er im Fall der Annahme dieses Angebots den Zugang zu einem neuen Markt oder zu Referenzen zu erhalten gedenke, im Zusammenhang mit einer etwaigen Anwendung von Art. 69 der Richtlinie 2014/24 zu prüfen.

36

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen ist, dass er im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags keine Rechtsgrundlage für die Ablehnung des Angebots eines Bieters allein aus dem Grund darstellt, dass der in dem Angebot vorgeschlagene Preis null Euro beträgt.

Kosten

37

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2365 der Kommission vom 18. Dezember 2017 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags keine Rechtsgrundlage für die Ablehnung des Angebots eines Bieters allein aus dem Grund darstellt, dass der in dem Angebot vorgeschlagene Preis null Euro beträgt.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Slowenisch.

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