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Document 62019CC0546

Schlussanträge des Generalanwalts P. Pikamäe vom 10. Februar 2021.


Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2021:105

 SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PRIIT PIKAMÄE

vom 10. Februar 2021 ( 1 )

Rechtssache C‑546/19

BZ

gegen

Westerwaldkreis

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts [Deutschland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung – Einwanderungspolitik – Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger – Richtlinie 2008/115/EG – Anwendungsbereich – Gegen einen Drittstaatsangehörigen nach seiner strafrechtlichen Verurteilung verhängtes Einreiseverbot – Gründe der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit – Aufhebung der Rückkehrentscheidung – Rechtmäßigkeit des Einreiseverbots“

1.

In der vorliegenden Rechtssache wird der Gerichtshof erneut vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit einem Vorabentscheidungsersuchen befasst, das die Auslegung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ( 2 ) betrifft.

2.

Im vorliegenden Fall werden es die dem Gerichtshof vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen ermöglichen, zu zwei Aspekten des in der Richtlinie 2008/115 vorgesehenen „Einreiseverbots“, das jede Einreise in das Hoheitsgebiet sämtlicher Mitgliedstaaten und jeden dortigen Aufenthalt ausschließt, erforderliche Klarstellungen zu geben. Insbesondere hat der Gerichtshof erstens den Umfang des Spielraums, der den Mitgliedstaaten beim Erlass von Einreiseverboten eingeräumt ist, die ausschließlich durch nationale Rechtsvorschriften geregelt werden, und zweitens den durch die in Rede stehende Richtlinie geschaffenen rechtlichen Zusammenhang zwischen dem Einreiseverbot und der Rückkehrentscheidung zu bestimmen.

I. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

1. Richtlinie 2008/115

3.

Art. 1 („Gegenstand“) der Richtlinie 2008/115 sieht Folgendes vor:

„Diese Richtlinie enthält gemeinsame Normen und Verfahren, die in den Mitgliedstaaten bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Einklang mit den Grundrechten als allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschafts- und des Völkerrechts, einschließlich der Verpflichtung zum Schutz von Flüchtlingen und zur Achtung der Menschenrechte, anzuwenden sind.“

4.

Art. 2 („Anwendungsbereich“) Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)   Diese Richtlinie findet Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige.

(2)   Die Mitgliedstaaten können beschließen, diese Richtlinie nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden:

b)

die nach einzelstaatlichem Recht aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind oder gegen die ein Auslieferungsverfahren anhängig ist.“

5.

In Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) dieser Richtlinie heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnen die Ausdrücke

4)

‚Rückkehrentscheidung‘: die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird;

6)

‚Einreiseverbot‘: die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht;

…“

6.

Art. 6 („Rückkehrentscheidung“) Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 hat folgenden Wortlaut:

„(1)   Unbeschadet der Ausnahmen nach den Absätzen 2 bis 5 erlassen die Mitgliedstaaten gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung.“

7.

In Art. 9 („Aufschub der Abschiebung“) Abs. 1 dieser Richtlinie heißt es:

„(1)   Die Mitgliedstaaten schieben die Abschiebung auf,

a)

wenn diese gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen würde …“

8.

Art. 11 („Einreiseverbot“) dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)   Rückkehrentscheidungen gehen mit einem Einreiseverbot einher,

a)

falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt wurde oder

b)

falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde.

In anderen Fällen kann eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen.

(2)   Die Dauer des Einreiseverbots wird in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Sie kann jedoch fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt.

…“

2. Verordnung (EG) Nr. 1987/2006

9.

Art. 24 Abs. 1 bis 3 der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II) ( 3 ) lautet:

„1.   Die Daten zu Drittstaatsangehörigen, die zur Einreise- oder Aufenthaltsverweigerung ausgeschrieben sind, werden aufgrund einer nationalen Ausschreibung eingegeben, die auf einer Entscheidung der zuständigen Verwaltungsbehörden oder Gerichte beruht, wobei die Verfahrensregeln des nationalen Rechts zu beachten sind; diese Entscheidung darf nur auf der Grundlage einer individuellen Bewertung ergehen. Rechtsbehelfe gegen diese Entscheidungen richten sich nach den nationalen Rechtsvorschriften.

2.   Eine Ausschreibung wird eingegeben, wenn die Entscheidung nach Absatz 1 auf die Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder die nationale Sicherheit gestützt wird, die die Anwesenheit des betreffenden Drittstaatsangehörigen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats darstellt. Dies ist insbesondere der Fall

a)

bei einem Drittstaatsangehörigen, der in einem Mitgliedstaat wegen einer Straftat verurteilt worden ist, die mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist;

b)

bei einem Drittstaatsangehörigen, gegen den ein begründeter Verdacht besteht, dass er schwere Straftaten begangen hat, oder gegen den konkrete Hinweise bestehen, dass er solche Taten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats plant.

3.   Eine Ausschreibung kann auch eingegeben werden, wenn die Entscheidung nach Absatz 1 darauf beruht, dass der Drittstaatsangehörige ausgewiesen, zurückgewiesen oder abgeschoben worden ist, wobei die Maßnahme nicht aufgehoben oder ausgesetzt worden sein darf, ein Verbot der Einreise oder gegebenenfalls ein Verbot des Aufenthalts enthalten oder davon begleitet sein muss und auf der Nichtbeachtung der nationalen Rechtsvorschriften über die Einreise oder den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen beruhen muss.“

B.   Deutsches Recht

10.

Das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (BGBl. 2008 I S. 162) in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: AufenthG) enthält einen § 11 („Einreise- und Aufenthaltsverbot“) mit folgendem Wortlaut:

„(1)   Ein Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, darf weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot).

(2)   Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Im Falle der Ausweisung ist die Frist gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung festzusetzen. Ansonsten soll die Frist mit der Abschiebungsandrohung, spätestens aber bei der Ab- oder Zurückschiebung festgesetzt werden …

(3)   Über die Länge der Frist wird nach Ermessen entschieden. Sie darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Diese Frist soll zehn Jahre nicht überschreiten.

…“

11.

§ 50 („Ausreisepflicht“) AufenthG bestimmt:

„(1)   Ein Ausländer ist zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt …

(2)   Der Ausländer hat das Bundesgebiet unverzüglich oder, wenn ihm eine Ausreisefrist gesetzt ist, bis zum Ablauf der Frist zu verlassen.

…“

12.

§ 51 („Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts; Fortgeltung von Beschränkungen“) AufenthG sieht in Abs. 1 Nr. 5 vor:

„(1)   Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen: …

5. Ausweisung des Ausländers, …“

13.

§ 53 („Ausweisung“) Abs. 1 AufenthG lautet:

„Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.“

14.

In § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG heißt es:

„(1)   Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.

… rechtskräftig zu einer Freiheits[strafe] … verurteilt worden ist …“

15.

§ 58 („Abschiebung“) AufenthG bestimmt in seinen Abs. 1 und 2:

„(1)   Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. …

(2)   … Im Übrigen ist die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist.

…“

16.

§ 60a („Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung [Duldung]“) AufenthG bestimmt in seinen Abs. 2 bis 4:

„(2)   Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. …

(3)   Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4)   Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

…“

II. Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

17.

BZ, dessen Staatsangehörigkeit ungeklärt ist, wurde in Syrien geboren und hält sich seit 1990 in Deutschland auf. Seit diesem Zeitpunkt ist er ausreisepflichtig, hält sich aber auf der Grundlage einer – fortlaufend verlängerten – Duldung nach § 60a AufenthG in diesem Mitgliedstaat auf.

18.

Am 17. März 2013 wurde BZ wegen Straftaten zur Unterstützung des Terrorismus zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Im März 2014 wurde die Vollstreckung des Restes der Strafe ausgesetzt.

19.

Aufgrund dieser strafrechtlichen Verurteilung wies der Westerwaldkreis BZ mit Ordnungsverfügung vom 24. Februar 2014 nach § 53 Abs. 1 AufenthG aus dem Bundesgebiet aus (im Folgenden: Ausweisungsverfügung). Diese Verfügung enthielt auch ein Verbot der Einreise in das und des Aufenthalts im Bundesgebiet für eine Dauer von sechs Jahren, das später auf vier Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise verkürzt und bis längstens 21. Juli 2023 befristet wurde. Gleichzeitig erließ der Westerwaldkreis gegen BZ eine Androhung der Abschiebung.

20.

BZ legte Widerspruch gegen diese Entscheidungen ein. Im Erörterungstermin vor dem Widerspruchsausschuss hob der Westerwaldkreis die Abschiebungsandrohung auf. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

21.

BZ erhob daher beim Verwaltungsgericht Koblenz (Deutschland) Klage auf Aufhebung der Ausweisungsverfügung und des Verbots der Einreise in das und des Aufenthalts im Bundesgebiet, die mit Urteil dieses Gerichts abgewiesen wurde. BZ legte gegen dieses Urteil Berufung beim Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (Deutschland) ein.

22.

Sodann lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) mit Bescheid vom 21. Juli 2017 einen Asylantrag von BZ nach nationalem Recht als offensichtlich unbegründet ab. Zugleich stellte diese Behörde fest, dass BZ nicht nach Syrien abgeschoben werden könne, da die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten in Bezug auf dieses Land vorlägen.

23.

Mit Urteil vom 5. April 2018 wies das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz die Berufung von BZ zurück. Dieser legte daher Revision beim vorlegenden Gericht ein.

24.

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass es diese Revision bereits zurückgewiesen habe, soweit sie sich gegen die Ausweisungsverfügung gegen BZ gerichtet habe, die daher bestandskräftig geworden sei, und es das Revisionsverfahren nur insoweit abgetrennt habe und fortsetze, als es die Entscheidung betreffe, das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von vier Jahren ab einer etwaigen Ausreise zu verkürzen und bis längstens 21. Juli 2023 zu befristen.

25.

Aus den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts zum deutschen Recht geht hervor, dass die Ausweisungsverfügung, die nach § 53 AufenthG erlassen wurde, nicht zwangsläufig zur Abschiebung des betreffenden Ausländers führt. Personen, deren Aufenthalt die öffentliche Sicherheit gefährde, könnten nämlich auch dann ausgewiesen werden, wenn ihre Abschiebung aus dem deutschen Hoheitsgebiet wegen der Verhältnisse im Zielstaat nicht möglich sei. In diesem Fall habe der Erlass einer Ausweisungsmaßnahme zum einen zur Folge, dass die Gültigkeit des Aufenthaltstitels des betreffenden Ausländers gemäß § 51 Abs 1 Nr. 5 AufenthG erlösche, und zum anderen, dass nach § 11 Abs. 1 AufenthG die Einreise und der Aufenthalt sowie die Erteilung eines neuen Aufenthaltstitels an diesen Ausländer vor dem Ablauf der Befristung der Ausweisungsverfügung untersagt würden.

26.

In diesem Kontext stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, ob ein nach nationalem Recht auch ohne Abschiebungsandrohung mögliches Einreise- und Aufenthaltsverbot mit dem Unionsrecht in Einklang steht. Insoweit weist es darauf hin, dass nach deutschem Recht die Ausweisungsverfügung als solche keine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie 2008/115 darstelle, diese Einstufung hingegen der Abschiebungsandrohung zuzuerkennen sei.

27.

Insbesondere hat es Zweifel, ob ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, das gegen einen Drittstaatsangehörigen zu „nichtmigrationsbedingten“ Zwecken, insbesondere in Verbindung mit einer Ausweisungsverfügung, verhängt wird, in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115 fällt. Für den Fall, dass diese Frage zu bejahen ist, fragt sich das vorlegende Gericht, ob ein Einreise- und Aufenthaltsverbot als nicht mit den Erfordernissen dieser Richtlinie vereinbar angesehen werden kann, wenn die zeitgleich mit diesem Verbot erlassene Abschiebungsandrohung von der Behörde, die sie erlassen hat, aufgehoben wurde.

28.

Sollte davon auszugehen sein, dass die Aufhebung der Rückkehrentscheidung zwangsläufig die Rechtswidrigkeit des mit dieser Entscheidung einhergehenden Einreiseverbots zur Folge hat, stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, ob dies auch dann der Fall ist, wenn die der Rückkehrentscheidung vorangegangene Ausweisungsverfügung bestandskräftig geworden ist.

29.

Unter diesen Umständen hat das Bundesverwaltungsgericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

a)

Wird ein Einreiseverbot, das gegen einen Drittstaatsangehörigen zu „nichtmigrationsbedingten“ Zwecken erlassen wird, von dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115 jedenfalls dann erfasst, wenn der Mitgliedstaat von der Möglichkeit des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie keinen Gebrauch gemacht hat?

b)

Für den Fall der Verneinung der Frage 1 Buchst. a: Unterfällt ein solches Einreiseverbot auch dann nicht der Richtlinie 2008/115, wenn der Drittstaatsangehörige bereits unabhängig von einer gegen ihn erlassenen Ausweisungsverfügung, an die das Einreiseverbot anknüpft, illegal aufhältig ist und damit dem Anwendungsbereich der Richtlinie dem Grunde nach unterfällt?

c)

Zählt zu den zu „nichtmigrationsbedingten“ Zwecken erlassenen Einreiseverboten ein Einreiseverbot, das im Zusammenhang mit einer aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (hier: allein aus generalpräventiven Gründen mit dem Ziel der Terrorismusbekämpfung) verfügten Ausweisung ergeht?

2.

Soweit Frage 1 dahin beantwortet wird, dass das vorliegende Einreiseverbot in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115 fällt:

a)

Hat die behördliche Aufhebung der Rückkehrentscheidung (hier: der Androhung der Abschiebung) zur Folge, dass ein zeitgleich mit dieser angeordnetes Einreiseverbot im Sinne des Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie 2008/115 rechtswidrig wird?

b)

Tritt diese Rechtsfolge auch dann ein, wenn die der Rückkehrentscheidung vorgelagerte behördliche Ausweisungsverfügung bestandskräftig (geworden) ist?

III. Verfahren vor dem Gerichtshof

30.

Zu diesen Fragen haben die deutsche und die niederländische Regierung sowie die Europäische Kommission schriftliche Erklärungen abgegeben.

31.

Am 23. April 2020 hat der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht ein Auskunftsersuchen zum Rechtsrahmen des Ausgangsverfahrens übermittelt. Die Antwort des vorlegenden Gerichts vom 6. Mai 2020 ist am 27. Mai 2020 beim Gerichtshof eingegangen.

32.

Im Wege einer prozessleitenden Maßnahme vom 8. Oktober 2020 hat der Gerichtshof allen Beteiligten eine Frage zur schriftlichen Beantwortung gestellt. Die schriftlichen Erklärungen zu dieser Frage sind fristgerecht eingereicht worden.

IV. Würdigung

33.

Die deutsche Regierung hat die Unzulässigkeit der ersten Vorlagefrage geltend gemacht. Da sich dieses Vorbringen meines Erachtens implizit auch auf die zweite Frage bezieht, werde ich meine Würdigung mit der Beurteilung der Zulässigkeit beginnen (Abschnitt A), bevor ich in der Sache auf diese beiden Vorlagefragen eingehen werde (Abschnitt B).

A.   Zulässigkeit

34.

Die deutsche Regierung macht in ihren schriftlichen Erklärungen geltend, dass die Bundesrepublik Deutschland entgegen den Ausführungen in der Vorlageentscheidung von der in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2008/115 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, diese Richtlinie nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden, die nach einzelstaatlichem Recht aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind.

35.

Zur Stützung dieses Vorbringens weist die deutsche Regierung den Gerichtshof darauf hin, dass es in der Gesetzesbegründung des deutschen Umsetzungsgesetzes zur Richtlinie 2008/115 zu § 11 AufenthG, der Art. 11 der Richtlinie 2008/115 umsetze, auszugsweise heiße: „Die in dem neuen Satz 4 vorgesehenen Ausnahmen von der regelmäßigen Höchstfrist von 5 Jahren beruhen auf Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe b – gegenüber verurteilten Straftätern wird der Anwendungsbereich der Richtlinie insoweit eingeschränkt – und Artikel 11 Absatz 2 Satz 2 (schwerwiegende Gefahr für die Sicherheit und Ordnung) der [R]ichtlinie [2008/115].“

36.

Hierzu weise ich darauf hin, dass das vorlegende Gericht auf das Auskunftsersuchen des Gerichtshofs hin an seiner – bereits in dem Vorlagebeschluss vertretenen – Auslegung des deutschen Rechts festgehalten hat, wonach die Bundesrepublik Deutschland nicht gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2008/115 beschlossen habe, Drittstaatsangehörige, die infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind, dem Anwendungsbereich der Richtlinie insgesamt zu entziehen.

37.

Das vorlegende Gericht weist nämlich darauf hin, dass sich der von der deutschen Regierung angeführte Abschnitt der Begründung auf § 11 Abs. 3 der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung des AufenthG beziehe, wonach die Dauer des Einreiseverbots fünf Jahre nur überschreiten darf, „wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht“ ( 4 ). Aus dieser Begründung ergebe sich, dass der deutsche Gesetzgeber in Bezug auf Drittstaatsangehörige, die wegen strafgerichtlicher Verurteilungen ausgewiesen worden seien, unter Berufung auf Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2008/115 punktuell von einer bestimmten Regelung, in Art. 11 Abs. 2 dieser Richtlinie, habe abweichen wollen, der die Geltungsdauer des Einreiseverbots auf die Höchstdauer von fünf Jahren beschränke und Ausnahmen nur bei schwerwiegender Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit zulasse.

38.

Nach ständiger Rechtsprechung hat der Gerichtshof im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten im Vorabentscheidungsverfahren in Bezug auf den tatsächlichen und rechtlichen Kontext, in den sich die Vorlagefragen einfügen, jedoch von den Feststellungen des vorlegenden Gerichts auszugehen. Daher muss die Prüfung des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens – ungeachtet der Kritik der deutschen Regierung an der vom vorlegenden Gericht vorgenommenen Auslegung des nationalen Rechts – in Ansehung der von diesem Gericht vorgenommenen Auslegung erfolgen ( 5 ), wonach der deutsche Gesetzgeber unter Berufung auf Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2008/115 nicht beabsichtigt habe, die Drittstaatsangehörigen, die infolge einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen würden, dem Anwendungsbereich der Richtlinie insgesamt zu entziehen ( 6 ).

39.

Der Umstand, dass der Gerichtshof, wie die deutsche Regierung ausgeführt hat, im Urteil Filev und Osmani ( 7 ) eine gegenteilige Auslegung des deutschen Rechts anerkannt hat, lässt meines Erachtens keine andere Schlussfolgerung zu. In der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, war der Gerichtshof nämlich nach der in der vorstehenden Nummer der vorliegenden Schussanträge dargestellten Rechtsprechung an die Auslegung des nationalen Rechts durch das Amtsgericht Laufen (Deutschland), das um Vorabentscheidung ersucht hatte, gebunden.

40.

Da die Erheblichkeit der Fragen des vorlegenden Gerichts daher nicht in Zweifel gezogen werden kann, sind diese Fragen meines Erachtens als zulässig anzusehen.

B.   Zur Beantwortung der Fragen

1. Vorbemerkungen

41.

Es sind die wesentlichen Merkmale des rechtlichen Rahmens darzustellen, der für die Auslegung, um die der Gerichtshof ersucht wird, maßgeblich ist.

42.

Das Ziel der Richtlinie 2008/115 besteht in der Festlegung einer wirksamen Rückkehr- und Rückübernahmepolitik, die auf gemeinsamen Normen beruht, die gewährleisten, dass die betreffenden Personen unter vollständiger Achtung der Grundrechte auf menschenwürdige Weise zurückgeführt werden ( 8 ).

43.

Zu diesem Zweck schreibt die Richtlinie 2008/115 genau vor, welches mit rechtlichen Garantien versehene Verfahren jeder Mitgliedstaat bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger anzuwenden hat, und legt die Reihenfolge der verschiedenen Schritte fest, die dieses Verfahren umfasst.

44.

Insbesondere sieht diese Richtlinie vor, dass die Situation eines illegalen Aufenthalts eines Drittstaatsangehörigen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats die Verpflichtung dieses Mitgliedstaats begründet, eine „Rückkehrentscheidung“ an ihn zu richten ( 9 ). Diese Entscheidung legt dem betreffenden Staatsangehörigen eine „Rückkehrverpflichtung“ auf, d. h. eine Verpflichtung zur Rückreise in sein Herkunftsland, in ein Transitland oder in ein anderes Drittland ( 10 ), und setzt gegebenenfalls eine angemessene Frist für die freiwillige Ausreise dieses Staatsangehörigen aus dem Hoheitsgebiet fest ( 11 ). Wenn keine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt wurde oder wenn die betreffende Person ihrer Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen ist, ergreifen die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen zur Vollstreckung der Rückkehrentscheidung ( 12 ).

45.

Die Rückkehrentscheidung kann – oder muss in bestimmten Fällen – mit einem „Einreiseverbot“ einhergehen. Das Einreiseverbot soll, auch wenn es nur von einem Mitgliedstaat verhängt worden ist, der Person, an die es gerichtet ist, nach der Definition in Art. 3 Abs. 6 der Richtlinie 2008/115 die Einreise in das Hoheitsgebiet sämtlicher Mitgliedstaaten und den dortigen Aufenthalt verbieten. Die einzelstaatlichen Rückführungsmaßnahmen erhalten dadurch einen „europäischen Zuschnitt“ ( 13 ).

46.

Damit dieser europäische Zuschnitt nicht rein theoretisch bleibt, sieht diese Richtlinie auch vor, dass, wenn ein Mitgliedstaat erwägt, einen Aufenthaltstitel oder eine sonstige Aufenthaltsberechtigung für Drittstaatsangehörige auszustellen, gegen die ein Einreiseverbot eines anderen Mitgliedstaats besteht, er zunächst den Mitgliedstaat, der das Einreiseverbot verhängt hat, zu konsultieren und dessen Interessen zu berücksichtigen hat ( 14 ). Die Einleitung eines solchen Konsultationsverfahrens setzt eine vorherige Kenntnis von den durch die anderen Mitgliedstaaten verhängten Einreiseverboten voraus, die insoweit möglich ist, als die Informationen über diese Einreiseverbote Gegenstand einer nationalen Ausschreibung sein können, die nach Art. 24 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1987/2006 in das Schengener Informationssystem der zweiten Generation eingegeben wird ( 15 ).

47.

Gerade das Einreiseverbot ist Gegenstand der Fragen des vorlegenden Gerichts, die ich im Folgenden prüfen werde.

2. Erste Frage

48.

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, das gegen einen Drittstaatsangehörigen zeitgleich mit einer aufgrund einer früheren strafrechtlichen Verurteilung erlassenen Ausweisungsverfügung verhängt wird, in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115 fällt.

49.

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass, wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, die vom vorlegenden Gericht geäußerten Zweifel ihren Ursprung im Wortlaut von Nr. 11 des „Rückkehr-Handbuchs“ der Kommission ( 16 ) haben, wonach die Richtlinie 2008/115 nur für Einreiseverbote im Zusammenhang mit einer Verletzung der Migrationsbestimmungen in den Mitgliedstaaten („rückführungsbezogene Einreiseverbote“) gelte, d. h. die Regeln, die für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen gälten, während die Einreiseverbote von den Vorschriften dieser Richtlinie unberührt blieben, die zu „nichtmigrationsbedingten Zwecken“ erlassen würden. Diese zweite Kategorie umfasse neben den Einreiseverboten, die eine nach Titel V Kapitel 2 des EUV erlassene restriktive Maßnahme darstellten, die Einreiseverbote gegen Drittstaatsangehörige, die schwere Straftaten begangen hätten oder bei denen konkrete Hinweise bestünden, dass sie eine solche Straftat planten. Somit könnte das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verbot nach Ansicht des vorlegenden Gerichts zu dieser Kategorie gehören und daher nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115 fallen.

50.

Mit anderen Worten wird der Gerichtshof ersucht, sich dazu zu äußern, ob eine Auslegung richtig ist, wonach die Richtlinie 2008/115 nur für Verbote gelte, die wegen einer Verletzung der Migrationsbestimmungen verhängt würden, während die Verbote außerhalb dieser Kategorie, insbesondere solche zum Schutz der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit in den Mitgliedstaaten, hingegen weiterhin in deren Zuständigkeit verblieben.

51.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie 2008/115 den Begriff „Einreiseverbot“ definiert als „die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht“, so dass er keine Auslegung zulässt, wonach der Unionsgesetzgeber in diesem Artikel ausschließlich die Maßnahmen meinte, die mit einer Verletzung der Migrationsbestimmungen begründet werden. Meines Erachtens lässt auch Art. 11 Abs. 1 dieser Richtlinie eine solche Auslegung nicht zu, da sich diese Bestimmung darauf beschränkt, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen die Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einhergehen (oder einhergehen können), ohne auf die Gründe für die Verhängung eines solchen Verbots Bezug zu nehmen.

52.

Was die Prüfung der Systematik der Richtlinie 2008/115 betrifft, schließe ich mich der Auslegung des vorlegenden Gerichts an, wonach diese Richtlinie keine Anhaltspunkte für eine Beschränkung ihres Anwendungsbereichs erkennen lässt, wie sie in Nr. 11 des „Rückkehr-Handbuchs“ in Betracht gezogen wird.

53.

Insoweit ist auf die Bestimmungen Bezug zu nehmen, mit denen diese Richtlinie ihren eigenen Anwendungsbereich begrenzt.

54.

Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 ist diese auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige anwendbar, wobei ein solcher „illegaler Aufenthalt“ nach Art. 3 Nr. 2 dieser Richtlinie „die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht oder nicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 5 [der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) ( 17 )] oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen, im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats“ ist. In Anbetracht ihres allgemeinen Wortlauts lassen diese Bestimmungen jedoch keinen Zweifel daran, dass der Unionsgesetzgeber den Anwendungsbereich der Richtlinie sehr weit fassen wollte, da er vorgesehen hat, dass der illegale Aufenthalt, auf den sich die Richtlinie bezieht, nicht nur derjenige ist, der sich aus einer Verletzung der Migrationsbestimmungen ergibt („die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen … in einen Mitgliedstaat“), sondern auch derjenige, der sich aus der Verletzung von anderen Bestimmungen als diesen ergibt („andere Voraussetzungen für … den dortigen Aufenthalt“).

55.

Wie oben ausgeführt können die Mitgliedstaaten nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2008/115 beschließen, diese Richtlinie nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden, die u. a. nach einzelstaatlichem Recht aufgrund oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind. Somit beruht dieser Artikel zwangsläufig auf der Prämisse, dass sich der illegale Aufenthalt, der zur Anwendung der Richtlinie 2008/115 führen kann, auch aus einer schweren Verletzung des nationalen Strafrechts ergeben kann. Es ist nämlich festzustellen, dass eine solche Bestimmung völlig überflüssig gewesen wäre, wenn der für die Anwendung dieser Richtlinie relevante illegale Aufenthalt nur der im Zusammenhang mit der Verletzung der Migrationsbestimmungen sein könnte. Daraus folgt, dass eine Rückkehrentscheidung sowie das mit ihr einhergehende Einreiseverbot auch zu Zwecken erlassen werden können, die mit dem Schutz der öffentlichen Ordnung oder öffentlichen Sicherheit zusammenhängen.

56.

Diese Schlussfolgerung erscheint mir umso mehr geboten, wenn andere Bestimmungen der Richtlinie 2008/115 wie Art. 6 Abs. 2 ( 18 ), Art. 7 Abs. 4 ( 19 ), Art. 11 Abs. 2 und 3 sowie Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 2 ( 20 ) berücksichtigt werden. Diese Bestimmungen beweisen nämlich, dass die Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit und der nationalen Sicherheit dem durch die Richtlinie eingeführten harmonisierten System nicht entzogen sind, da die mit diesen Maßnahmen verfolgten Ziele nur die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten einschließen, von den Vorschriften dieser Artikel abzuweichen ( 21 ).

57.

Insbesondere zur Dauer des Einreiseverbots bestimmt Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115, dass diese zwar grundsätzlich fünf Jahre nicht überschreitet, doch können die Mitgliedstaaten ein Einreiseverbot verhängen, das fünf Jahre überschreitet, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Außerdem bestimmt Art. 11 Abs. 3 dieser Richtlinie im Wesentlichen, dass die Mitgliedstaaten gegen Opfer des Menschenhandels, denen ein Aufenthaltsrecht aus diesem Grund gewährt wurde, kein Einreiseverbot erlassen dürfen, es sei denn, diese Personen stellen eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit und die nationale Sicherheit dar.

58.

Die Vorarbeiten bestätigen meines Erachtens, dass der Unionsgesetzgeber keineswegs eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2008/115 in Betracht ziehen wollte, die sich auf die Gründe der Illegalität des Aufenthalts stützt. Die Kommission hätte meiner Meinung nach diesen Gedanken nicht deutlicher zum Ausdruck bringen können, als sie es im Vorschlag für eine Richtlinie ( 22 ) und im Arbeitsdokument SEC(2005) 1175 der Dienststellen der Kommission ( 23 ) getan hat. Sie hat nämlich in dem erstgenannten Dokument ausgeführt, dass mit ihm „eine Reihe von horizontalen Vorschriften eingeführt werden [soll], die auf jede Art von illegalem Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen anwendbar sind (z. B. Ablauf eines Visums, Ablauf eines Aufenthaltstitels, Widerruf oder Rücknahme eines Aufenthaltstitels, endgültige Ablehnung eines Asylantrags, Aberkennung des Flüchtlingsstatus, illegale Einreise)“ ( 24 ), während sie im zweitgenannten Dokument dargelegt hat, dass die vorgeschlagene Richtlinie nicht nur anwendbar sein sollte, wenn die Drittstaatsangehörigen illegal aufhältig seien, weil sie die Einreisevoraussetzungen nach Art. 5 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen (nunmehr Art. 6 des Schengener Grenzkodex) nicht erfüllten, sondern auch, wenn ihr Aufenthalt aus anderen Gründen illegal sei, wobei beispielhaft der Fall eines Drittstaatsangehörigen angeführt wird, der aufgrund der Begehung einer schweren Straftat seine Aufenthaltserlaubnis verliert und gegen den gleichzeitig ein Rückkehrverfahren durchgeführt wird.

59.

Zwar hat die Kommission in diesem Vorschlag eingeräumt, dass die Frage, ob der Begriff „Ausweisung/Abschiebung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ ebenfalls in der vorgeschlagenen Richtlinie hätte harmonisiert werden müssen, geprüft worden sei. Sie hat auch eingeräumt, dass dies u. a. deshalb verneint worden sei, weil die vorliegende Richtlinie, bei der es um die Beendigung eines illegalen Aufenthalts bzw. um Rückführung gehe, nicht der richtige Ort für eine solche Harmonisierung wäre, sondern eher die Richtlinien zur Regelung der Einreise- und Aufenthaltsbedingungen und der Entziehung des Aufenthalts-/Bleiberechts. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Situation eines Drittstaatsangehörigen, dessen legaler Aufenthalt aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit beendet sei, nicht unter die vorgeschlagene Richtlinie falle. Vielmehr sei diese Person somit zu einem sich illegal aufhaltenden Drittstaatsangehörigen geworden, so dass, ohne dass eine nähere Klarstellung erforderlich wäre, die Bestimmungen der fraglichen Richtlinie Anwendung auf diese Person fänden ( 25 ).

60.

Eine teleologische Auslegung von Art. 3 Nr. 6 und Art. 11 der Richtlinie 2008/115 deutet meines Erachtens auch darauf hin, dass diese Richtlinie grundsätzlich mit einem so weiten Anwendungsbereich konzipiert wurde, dass sie nicht nur auf Einreiseverbote beschränkt werden kann, die mit einer Verletzung der Migrationsbestimmungen begründet werden. Der „europäische Zuschnitt“, den die Wirkung der einzelstaatlichen Rückführungsmaßnahmen durch das von diesen Bestimmungen vorgesehene Einreiseverbot erhalten soll, erklärt sich nämlich, wie das vorlegende Gericht zu Recht ausführt, durch das Ziel dieser Bestimmungen, das darin besteht, der illegalen Einwanderung vorzubeugen und zu verhindern, dass illegal aufhältige Drittstaatsangehörige, indem sie aus den divergierenden mitgliedstaatlichen Regelungen Vorteile ziehen, aufenthaltsbeendende nationale Maßnahmen unterlaufen können. Diese Ziele sind meines Erachtens nicht mit einer Beschränkung des Kreises der Personen vereinbar, gegen die ein Einreiseverbot verhängt werden kann, wie sie im „Rückkehr-Handbuch“ in Betracht gezogen wird.

61.

Sodann ist jedoch einzuräumen, dass sich die gewichtigsten Zweifel des vorlegenden Gerichts offenbar auf die Frage beziehen, ob eine Auslegung, wie ich sie in den vorliegenden Schlussanträgen vorschlage, im Hinblick auf die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1987/2006 zutrifft.

62.

Es ist nämlich darauf hinzuweisen, dass Nr. 11 des „Rückkehr-Handbuchs“ unter den Einreiseverboten, „die zu nichtmigrationsbedingten Zwecken erlassen werden“ und die somit nicht der Richtlinie 2008/115 unterliegen, ausdrücklich diejenigen Einreiseverbote für Drittstaatsangehörige anführt, die schwere Straftaten begangen haben oder bei denen konkrete Hinweise bestehen, dass sie eine solche Straftat planen. Diese Nr. 11 verweist insoweit auf die Einreise- und Aufenthaltsverbote, die auf die Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder die nationale Sicherheit gestützt werden, die in Art. 24 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1987/2006 in Verbindung mit dessen Abs. 1 angeführt werden. Art. 24 Abs. 3 dieser Verordnung regelt außerdem die Einreise- und Aufenthaltsverbote für Drittstaatsangehörige, die „ausgewiesen, zurückgewiesen oder abgeschoben worden [sind]“, wobei die Maßnahme „auf der Nichtbeachtung der nationalen Rechtsvorschriften über die Einreise oder den Aufenthalt [durch diese] Drittstaatsangehörigen beruhen muss“.

63.

Aus Art. 24 der Verordnung Nr. 1987/2006, der vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2008/115 erlassen wurde, ergibt sich somit, dass die Einreise- und Aufenthaltsverbote, die auf eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder die nationale Sicherheit gestützt werden, und diejenigen, die gegenüber Drittstaatsangehörigen verhängt werden, die ausgewiesen, zurückgewiesen oder abgeschoben worden sind, als unterschiedlichen Kategorien zugehörig definiert werden, da sie jeweils einer eigenen rechtlichen Regelung unterliegen (die Verpflichtung, eine Ausschreibung im SIS einzugeben, besteht nur für die Ersteren). Die Verordnung 2018/1861, die ab dem 28. Dezember 2021 anstelle der Verordnung Nr. 1987/2006 gelten wird, übernimmt in ihrem Art. 24 Abs. 1 die Struktur in zwei Kategorien und den Inhalt von Art. 24 der Verordnung Nr. 1987/2006 ( 26 ), wobei sie feststellt, dass die zweite Kategorie von Einreiseverboten nunmehr durch die Richtlinie 2008/115 harmonisiert worden ist („[Einreiseverbote] gemäß Verfahren, die mit der Richtlinie 2008/115… in Einklang stehen, … gegen einen Drittstaatsangehörigen …“) ( 27 ).

64.

Das vorlegende Gericht scheint sich zu fragen, ob dies zu dem Ergebnis führen müsste, dass jedes Einreiseverbot, das auf eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder die nationale Sicherheit gestützt wird, aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115 herausfällt und daher, wie die niederländische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen vorträgt, nur der dafür nach nationalem Recht geltenden Regelung unterliegt.

65.

Es trifft zwar zu, dass bei der Auslegung der Richtlinie 2008/115, da sie eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands darstellt, die erforderliche Kohärenz dieses Besitzstands zu berücksichtigen ist ( 28 ), zu dem ohne jeden Zweifel die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1987/2006 gehören. Meines Erachtens beruht jedoch die in der vorstehenden Nummer der vorliegenden Schlussanträge in Betracht gezogene Auslegung von Art. 24 Abs. 2 dieser Verordnung auf einer fehlerhaften Auslegung des persönlichen Anwendungsbereichs dieser Bestimmung.

66.

Ich bin nämlich der Ansicht, dass sich die Einreise- und Aufenthaltsverbote, die auf die in Art. 24 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1987/2006 angeführte Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder die nationale Sicherheit gestützt werden, nur auf die Drittstaatsangehörigen beziehen, die sich zum Zeitpunkt ihrer Verhängung außerhalb des Hoheitsgebiets des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten. Dies erklärt, weshalb sie als eine gegenüber denjenigen, die unter die Richtlinie 2008/115 fallen, gesonderte Kategorie behandelt werden: Wie könnte man die Einleitung eines Rückkehrverfahrens gegenüber den betreffenden Staatsangehörigen in Betracht ziehen, wenn sie sich nicht illegal im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats aufhalten?

67.

Hingegen erfasst Art. 24 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1987/2006 nicht, wie die niederländische Regierung vorbringt, Einreise- und Aufenthaltsverbote wie die des Ausgangsverfahrens, d. h. solche, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gegenüber Drittstaatsangehörigen erlassen werden, die sich bereits im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten. Der Erlass solcher Einreise- und Aufenthaltsverbote setzt nämlich voraus, dass diese Drittstaatsangehörigen illegal aufhältig sind und folglich gegen sie eine Rückkehrentscheidung zu erlassen ist. Es handelt sich daher um „rückführungsbezogene“ Einreiseverbote, die als solche durch die Richtlinie 2008/115 geregelt werden.

68.

Zusammenfassend bleiben die Mitgliedstaaten dafür zuständig, Einreiseverbote gegen Personen vorzusehen, die eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder für die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellen, insbesondere wenn sie in einem Mitgliedstaat wegen einer Straftat verurteilt worden sind, die mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist, sofern sich diese Personen zum Zeitpunkt der Verhängung der Verbote außerhalb des Hoheitsgebiets des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten. Dagegen sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die in der Richtlinie 2008/115 vorgesehenen harmonisierten Vorschriften zu beachten, beginnend mit der Verpflichtung, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, sofern sie Einreiseverbote gegen Personen vorsehen, die eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellen, wenn sich die betreffenden Personen bereits in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten ( 29 ). Diese Richtlinie ist anwendbar, es sei denn, der betreffende Mitgliedstaat hat für die Fälle, in denen sich die jeweilige Bedrohung oder Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit daraus ergibt, dass gegen die Betroffenen eine schwere strafrechtliche Sanktion verhängt wurde oder ein Auslieferungsverfahren anhängig ist, von seiner ihm durch Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2008/115 eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht ( 30 ).

69.

Es ist also der Zusammenhang mit der Notwendigkeit, die Rückführung der betroffenen Drittstaatsangehörigen durchzuführen, die die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115 fallenden Einreiseverbote von denen unterscheidet, die allein auf das nationale Recht gestützt sind, und nicht die Gründe für den Erlass dieser Verbote. In ihren schriftlichen Erklärungen räumt die Kommission selbst ein, dass Nr. 11 des „Rückkehr-Handbuchs“ missverständlich sei, nämlich insoweit als von Einreiseverboten die Rede sei, die „zu nichtmigrationsbedingten Zwecken“ erlassen worden seien, anstatt den richtigen Ausdruck von „nicht-rückführungsbezogenen“ Einreiseverboten zu verwenden.

70.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, das gegen einen Drittstaatsangehörigen zeitgleich mit einer aufgrund einer früheren strafrechtlichen Verurteilung erlassenen Ausweisungsverfügung verhängt wird, in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115 fällt.

3. Zweite Frage

71.

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 2008/115 der Aufrechterhaltung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots entgegensteht, das gegen einen Drittstaatsangehörigen zeitgleich mit einer aufgrund einer früheren strafrechtlichen Verurteilung erlassenen, bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung verhängt wurde, wenn die Rückkehrentscheidung aufgehoben wurde.

72.

Diese Frage geht auf die Besonderheiten des deutschen Rechts zurück, wie sie sich aus der Darstellung des nationalen rechtlichen Rahmens in der Vorlageentscheidung ergeben und die wie folgt zusammengefasst werden können: i) Die Ausweisungsverfügung stellt keine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne der Richtlinie 2008/115 dar, wobei diese Einstufung der Androhung der Abschiebung aus Deutschland zuzuerkennen ist; ii) jede Ausweisung bewirkt, dass der Aufenthalt des Ausländers illegal wird und dieser somit abstrakt zur Ausreise aus Deutschland verpflichtet wird; iii) das Einreise- und Aufenthaltsverbot knüpft ipso iure nicht nur an jede Androhung der Abschiebung, sondern auch an jede Ausweisung an. Aufgrund dieser Gesichtspunkte stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, ob das Einreiseverbot das gleiche rechtliche Schicksal wie die Rückkehrentscheidung haben muss und daher nach deren Aufhebung nicht fortbestehen kann.

73.

Das vorlegende Gericht weist zunächst darauf hin, dass der Wortlaut von Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115, wonach Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot „einhergehen“ müssen (Unterabs. 1) oder können (Unterabs. 2), keine Antwort auf diese Frage erlaube, und erläutert, dass aus dem Umstand, dass Art. 3 Nr. 6 dieser Richtlinie das Einreiseverbot als eine behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme definiere, die „mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht“, nicht zwingend folge, dass die Aufhebung der Rückkehrentscheidung dem dieses begleitenden Einreiseverbot die Grundlage entziehe. In diesem Zusammenhang fragt es sich, ob im Hinblick auf die Richtlinie aus der zeitlichen Koppelung auch eine sachliche Verknüpfung folge, was dagegen eine Auslegung zulasse, wonach das Einreiseverbot nach der Aufhebung der Rückkehrentscheidung rechtswidrig werde.

74.

Ich halte es für erforderlich, eine Klarstellung vorzunehmen, um eine kohärente Auslegung von Art. 3 Nr. 6 und Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 sicherzustellen. Ich glaube nicht, dass der Satzteil „die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht“ eine zeitliche Kopplung oder sogar eine Gleichzeitigkeit zwischen den beiden in Rede stehenden Rechtsakten zum Ausdruck bringen soll, wie es das vorlegende Gericht als gegeben anzusehen scheint. Insoweit liegt nämlich gemäß Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 einer der beiden Fälle vor, in denen die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, ein Einreiseverbot zu erlassen, wenn der Rückkehrverpflichtung nicht innerhalb der in der Rückkehrentscheidung gesetzten Frist für die freiwillige Ausreise nachgekommen wurde (Buchst. b). Da das Einreiseverbot in einem solchen Fall aber zu einem späteren Zeitpunkt als die Rückkehrentscheidung verhängt würde, besteht für ein Erfordernis der Gleichzeitigkeit dieser beiden Rechtsakte meines Erachtens in der Definition des Einreiseverbots kein Raum.

75.

Diese Feststellung könnte zu der Annahme führen, dass die Formulierung einer solchen Definition ungeschickt ist und der Unionsgesetzgeber durch die Verwendung des Verbs „einhergehen“ das Erfordernis einer anderen Art von Kopplung zwischen den unter die Richtlinie 2008/115 fallenden Einreiseverboten und den Rückkehrentscheidungen vorschreiben wollte, insbesondere eine sachliche Verknüpfung, die als solche impliziert, dass das Einreiseverbot nach der Aufhebung der Rückkehrentscheidung nicht aufrechterhalten werden kann.

76.

Diese Annahme wird meines Erachtens durch das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Ouhrami ( 31 ) gestützt. Im Rahmen seiner Antwort zur Auslegung von Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 und insbesondere zum Zeitpunkt, ab dem die Dauer eines Einreiseverbots zu berechnen ist, hat der Gerichtshof nämlich ausgeführt, dass Art. 3 Nr. 6 und Art. 11 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie 2008/115 dahin auszulegen seien, dass das Einreiseverbot „die Rückkehrentscheidung dadurch ergänzen soll, dass dem Betroffenen verboten wird, während eines bestimmten Zeitraums nach … Ausreise aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten, erneut in dieses Gebiet einzureisen und sich darin aufzuhalten“ ( 32 ), und daraus den Schluss gezogen, dass „[d]as Wirksamwerden eines solchen Verbots … also voraus[setzt], dass der Betroffene vorher dieses Hoheitsgebiet verlassen hat“ ( 33 ). Ich bin der Ansicht, dass der Wortlaut der vom Gerichtshof verwendeten Formulierung bedeutet, dass diese Rückkehrentscheidung als notwendige Voraussetzung für die Gültigkeit des Einreiseverbots eingestuft wird. Jedenfalls scheint mir dieses Ergebnis aus den Ausführungen hervorzugehen, die der Gerichtshof sodann der systematischen Auslegung der in Rede stehenden Bestimmung widmet, wonach die Richtlinie klar unterscheidet zwischen dem Verfahrensabschnitt bis zum Zeitpunkt der freiwilligen oder zwangsweisen Durchführung der Rückkehrverpflichtung, in dem der illegale Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen durch die Rückkehrentscheidung geregelt wird, und dem folgenden Abschnitt, in dem das Einreiseverbot seine Rechtswirkungen entfaltet, die in einem Verbot bestehen, in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich anschließend dort aufzuhalten ( 34 ).

77.

Es ist jedoch festzustellen, dass sich die schriftlichen Erklärungen der deutschen Regierung für ein etwas anderes Verständnis dieses Urteils aussprechen. Es treffe zwar zu, dass das Einreiseverbot seine Rechtswirkungen ab der Vollstreckung der Ausreisepflicht, die sich aus dem illegalen Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen ergebe, entfalte, doch treffe es auch zu, dass diese Verpflichtung nicht notwendigerweise durch die Rückkehrentscheidung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 begründet werde. Die Rückkehrentscheidung begründe nämlich keineswegs systematisch den illegalen Aufenthalt konstitutiv, sondern beschränke sich darauf, einen illegalen Aufenthalt festzustellen.

78.

Wenn der illegale Aufenthalt nicht zwingend durch eine Rückkehrentscheidung formalisiert werden müsse, bleibe ein Einreiseverbot auch im Fall der Aufhebung dieser Entscheidung möglich, da das Einreiseverbot seine individuellen Rechtswirkungen entfalten könne, wenn der Drittstaatsangehörige seiner Verpflichtung aus § 50 AufenthG durch freiwilliges Verlassen des deutschen Hoheitsgebiets nachkäme.

79.

Diesem Vorbringen kann ich mich nicht anschließen. Diese Auslegung stünde nämlich weder mit der Logik noch mit dem Geist der Richtlinie 2008/115 im Einklang.

80.

Was die Logik dieser Richtlinie betrifft, so steht es den Mitgliedstaaten nach dieser zwar frei, vorzusehen, dass eine Ausweisungsmaßnahme den Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen illegal macht und dieser somit einer allgemeinen und abstrakten rechtlichen Verpflichtung unterliegt, das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats zu verlassen, wie sie sich aus § 50 AufenthG ergibt. Sobald der illegale Aufenthalt festgestellt wurde, gestattet es die Richtlinie dem betreffenden Mitgliedstaat jedoch nicht, die Anwesenheit dieses Drittstaatsangehörigen zu tolerieren, bis dieser beschließt, aus freiem Willen das nationale Hoheitsgebiet zu verlassen. Vielmehr ist dieser Staat nach Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie verpflichtet, gegen diesen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen ( 35 ), es sei denn, er beschließt, den Aufenthalt des Betroffenen zu legalisieren, indem er ihm einen Aufenthaltstitel oder eine sonstige Aufenthaltsberechtigung nach Art. 6 Abs. 4 dieser Richtlinie erteilt ( 36 ). Von der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ein Rückkehrverfahren einzuleiten, wenn sie kein Aufenthaltsrecht gewähren, gibt es keine Ausnahme. Sie obliegt den Mitgliedstaaten daher unabhängig von der Frage, ob die Rückkehrentscheidung in einem bestimmten Fall den illegalen Aufenthalt konstitutiv begründet oder rein deklaratorischen Wert hat.

81.

Was den Geist der Richtlinie 2008/115 anbelangt, ist es Ziel der in ihrem Art. 6 Abs. 1 vorgesehenen Verpflichtung, wie die Kommission im „Rückkehr-Handbuch“ erläutert, „,Grauzonen‘ (illegale Einwanderung) zu verringern, die Ausbeutung illegal aufhältiger Personen zu verhindern und die Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu verbessern“ ( 37 ). Eine Auslegung wie die von der deutschen Regierung vertretene – nach der das Wirksamwerden eines Einreiseverbots nicht notwendigerweise voraussetzt, dass der Betroffene das nationale Hoheitsgebiet nach dem Erlass einer Rückkehrentscheidung ihm gegenüber verlassen habe, da es ausreiche, dass er dies getan habe, um einer im nationalen Recht vorgesehenen allgemeinen und abstrakten Verpflichtung nachzukommen – würde meines Erachtens diese Ziele offenkundig verkennen. Die „Grauzonen“, auf die die Kommission Bezug nimmt, können nämlich nicht mittels einer solchen Verpflichtung wirksam verringert werden, da sie im Unterschied zu der in der Rückkehrentscheidung enthaltenen Rückkehrverpflichtung weder zwangsläufig die Frist, innerhalb deren der Betroffene das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats freiwillig verlassen muss, noch eine zwangsweise Durchsetzung seiner Ausreise für den Fall, dass er dies nicht getan hätte, umfasst.

82.

Zwar kann ein Einreiseverbot, das unter die Richtlinie 2008/115 fällt, seine individuellen Rechtswirkungen erst nach der – freiwilligen oder zwangsweisen – Vollstreckung der Rückkehrentscheidung entfalten, doch versteht es sich von selbst, dass es nach der Aufhebung der Rückkehrentscheidung nicht aufrechterhalten werden kann.

83.

Die in den vorliegenden Schlussanträgen vertretene Auffassung, wonach dieses Einreiseverbot ein Instrument darstellt, das gegenüber der Rückkehrentscheidung notwendigerweise akzessorischen Charakter hat ( 38 ), scheint sich mir im Übrigen in den Zielen, die der Einführung des Einreiseverbots in der fraglichen Richtlinie zugrunde liegen, offensichtlich widerzuspiegeln. In den vorliegenden Schlussanträgen ist bereits mehrfach darauf hingewiesen worden, dass durch das Einreiseverbot, das die Einreise in das Hoheitsgebiet sämtlicher Mitgliedstaaten und den dortigen Aufenthalt verbietet, „[d]ie Wirkung der einzelstaatlichen Rückführungsmaßnahmen … europäischen Zuschnitt erhalten [sollte]“ ( 39 ). Hinzuzufügen ist, wie im Wesentlichen in Nr. 11 des „Rückkehr-Handbuchs“ ausgeführt wird, dass das Einreiseverbot die Glaubwürdigkeit des Rückkehrverfahrens erhöhen soll, indem es die Botschaft vermittelt, dass Personen, die ausgewiesen wurden, weil sie die für die Mitgliedstaaten geltenden Migrationsbestimmungen verletzen, während eines bestimmten Zeitraums nicht erneut in einen Mitgliedstaat einreisen dürfen. Diese Ziele lassen meines Erachtens keinen Zweifel daran, dass kein Einreiseverbot im Sinne der Richtlinie 2008/115 ohne eine Rückkehrentscheidung erlassen oder im Fall ihrer Aufhebung aufrechterhalten werden kann.

84.

Außerdem kann ich nicht erkennen, wie der vom vorlegenden Gericht dargelegte Umstand, dass die vor der Rückkehrentscheidung ergangene Ausweisungsverfügung bestandskräftig geworden ist, an diesem Ergebnis etwas ändern kann. Vielmehr wird durch die Tatsache, dass in Anbetracht dieses Umstands nur eine Verwaltungsentscheidung fehlt, um die zwangsweise Durchsetzung der in § 50 AufenthG vorgesehenen Ausreisepflicht des Klägers des Ausgangsverfahrens zu erwirken, nur hervorgehoben, dass die Rückkehrentscheidung rechtlich nicht mehr besteht, so dass das Einreiseverbot, das sich daraus ergibt, jeder Grundlage entbehrt.

85.

In diesem Stadium könnte man sich jedoch fragen, ob die Aufhebung der Rückkehrentscheidung gleichwohl zur Folge hat, dass ein Einreiseverbot, das zunächst mit einer Rückkehrentscheidung verbunden war, als ein „nicht-rückführungsbezogenes Einreiseverbot“ angesehen werden kann, das daher nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115 fällt, was Gegenstand einer Frage zur schriftlichen Beantwortung an die Parteien im vorliegenden Verfahren war.

86.

In diesem Punkt stimme ich der ablehnenden Auffassung der Kommission zu. Wie die Kommission ausführt, fällt das Einreise- und Aufenthaltsverbot, das im Ausgangsverfahren zunächst mit der Rückkehrentscheidung verbunden war, unter die Richtlinie 2008/115, da es gegen einen illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen – gerade wegen seines illegalen Aufenthalts – verhängt wurde. Da sich die einfache Aufhebung einer solchen Entscheidung auf diese Gesichtspunkte nicht auswirkt, erscheint mir klar, dass diese Aufhebung in Ermangelung einer neuen Maßnahme der nationalen Behörden nicht zur Änderung der rechtlichen Würdigung dieses Einreise- und Aufenthaltsverbots führen kann. Im Unterschied zu den Einreiseverboten nach Art. 11 der Richtlinie 2008/115 haben die nationalen Einreiseverbote nämlich Anwendungsvoraussetzungen, zu denen der illegale Aufenthalt nicht gehört ( 40 ). Insoweit haben die deutschen Behörden immer noch die Möglichkeit, einen Verwaltungsakt mit einem nationalen Einreiseverbot zu erlassen, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung eines solchen, nicht rückführungsbezogenen, Verbots erfüllt sind.

87.

Eine letzte Anmerkung ist angebracht. Mir ist wohl bewusst, dass das Anliegen, das die deutschen Behörden dazu veranlasste, die Rückkehrentscheidung aufzuheben, das Einreise- und das Aufenthaltsverbot aber unberührt zu lassen, darin bestand, zu verhindern, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens sein Aufenthaltsrecht in Deutschland verfestigen konnte ( 41 ). Ich weise jedoch mit der niederländischen Regierung und der Kommission darauf hin, dass die Richtlinie 2008/115 den Mitgliedstaaten einen Rechtsweg bietet, der es ihnen gestattet, solchen Situationen zu begegnen, nämlich den in Art. 9 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie genannten, der vorsieht, dass die Mitgliedstaaten die Abschiebung aufschieben müssen, wenn diese gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen würde, und gleichzeitig den betreffenden Personen eine schriftliche Bestätigung ihrer Situation gemäß dem zwölften Erwägungsgrund dieser Richtlinie aushändigen ( 42 ). Dieser Weg gestattet es den nationalen Behörden, dafür zu sorgen, dass die Rückkehrentscheidung lediglich ausgesetzt wird, und damit jeden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Aufrechterhaltung des damit einhergehenden Einreiseverbots zu vermeiden. Da die Abschiebung des Klägers des Ausgangsverfahrens aufgrund der Duldung nach § 60a AufenthG ausgesetzt worden zu sein scheint, frage ich mich, ob die deutschen Behörden von einer solchen Möglichkeit Gebrauch gemacht haben.

88.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass die Richtlinie 2008/115 der Aufrechterhaltung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots entgegensteht, das gegen einen Drittstaatsangehörigen zeitgleich mit einer aufgrund einer früheren strafrechtlichen Verurteilung erlassenen Ausweisungsverfügung verhängt wurde, wenn die Rückkehrentscheidung aufgehoben wurde. Dies gilt auch, wenn die Ausweisungsverfügung bestandskräftig geworden ist.

V. Ergebnis

89.

Im Licht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen des Bundesverwaltungsgerichts (Deutschland) wie folgt zu antworten:

1.

Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, das gegen einen Drittstaatsangehörigen zeitgleich mit einer aufgrund einer früheren strafrechtlichen Verurteilung erlassenen Ausweisungsverfügung verhängt wurde, fällt in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger.

2.

Die Richtlinie 2008/115 steht der Aufrechterhaltung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots entgegen, das gegen einen Drittstaatsangehörigen zeitgleich mit einer aufgrund einer früheren strafrechtlichen Verurteilung erlassenen Ausweisungsverfügung verhängt wurde, wenn die Rückkehrentscheidung aufgehoben wurde. Dies gilt auch, wenn die Ausweisungsverfügung bestandskräftig geworden ist.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) ABl. 2008, L 348, S. 98.

( 3 ) ABl. 2006, L 381, S. 4.

( 4 ) Hervorhebung nur hier.

( 5 ) Vgl. Urteil vom 21. Juni 2016, New Valmar (C‑15/15, EU:C:2016:464, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 6 ) Zur Frage, ob Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2008/115 den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einer punktuellen Abweichung eröffnet, legt das vorlegende Gericht meines Erachtens zu Recht dar, dass diese Frage für den Ausgangsrechtsstreit nicht entscheidungserheblich ist, da Rechtsfolge einer Verneinung nur die Unanwendbarkeit einer Dauer des Einreiseverbots von über fünf Jahren wäre.

( 7 ) Urteil vom 19. September 2013 (C‑297/12, EU:C:2013:569).

( 8 ) Vgl. Erwägungsgründe 2 und 11 der Richtlinie 2008/115.

( 9 ) Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115.

( 10 ) Art. 3 Nrn. 3 und 4 der Richtlinie 2008/115.

( 11 ) Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115. Die Mitgliedstaaten können in den in Abs. 4 dieser Bestimmung angeführten Fällen davon absehen, eine solche Frist zu gewähren (vgl. Fn. 18 der vorliegenden Schlussanträge).

( 12 ) Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115.

( 13 ) Vgl. 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/115.

( 14 ) Vgl. Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115, der insoweit auf Art. 25 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 19) verweist.

( 15 ) Diese Verordnung wurde durch die Verordnung (EU) 2018/1861 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. November 2018 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS) im Bereich der Grenzkontrollen, zur Änderung des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen und zur Änderung und Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 (ABl. 2018, L 312, S. 14) aufgehoben, die ab dem 28. Dezember 2021 gelten wird. Art. 24 Abs. 1 der Verordnung 2018/1861, der Art. 24 der Verordnung Nr. 1987/2006 ersetzen soll, sieht eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten vor, in allen Fällen, in denen gegen einen illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen ein Einreiseverbot nach der Richtlinie 2008/115 verhängt wurde, eine Ausschreibung im SIS einzugeben.

( 16 ) Empfehlung (EU) 2017/2338 der Kommission vom 16. November 2017 für ein gemeinsames „Rückkehr-Handbuch“, das von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben heranzuziehen ist (ABl. 2017, L 339, S. 83).

( 17 ) ABl. 2006, L 105, S. 1.

( 18 ) In Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 heißt es: „Drittstaatsangehörige, die sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten und Inhaber eines gültigen Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaats sind, sind zu verpflichten, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaats zu begeben. Kommen die betreffenden Drittstaatsangehörigen dieser Verpflichtung nicht nach … oder ist die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit geboten, so findet Absatz 1 Anwendung“ (Hervorhebung nur hier).

( 19 ) Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 sieht vor: „Besteht Fluchtgefahr oder ist der Antrag auf einen Aufenthaltstitel als offensichtlich unbegründet oder missbräuchlich abgelehnt worden oder stellt die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit dar, so können die Mitgliedstaaten davon absehen, eine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren, oder sie können eine Ausreisefrist von weniger als sieben Tagen einräumen“ (Hervorhebung nur hier).

( 20 ) Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 lautet: „Rückkehrentscheidungen sowie – gegebenenfalls – Entscheidungen über ein Einreiseverbot oder eine Abschiebung ergehen schriftlich und enthalten eine sachliche und rechtliche Begründung sowie Informationen über mögliche Rechtsbehelfe.

Die Information über die Gründe kann begrenzt werden, wenn nach einzelstaatlichem Recht eine Einschränkung des Rechts auf Information vorgesehen ist, insbesondere um die nationale Sicherheit, die Landesverteidigung, die öffentliche Sicherheit oder die Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten zu gewährleisten“ (Hervorhebung nur hier).

( 21 ) Vgl. in diesem Sinne meine Schlussanträge in der Rechtssache Stadt Frankfurt am Main (C‑18/19, EU:C:2020:130, Nr. 40).

( 22 ) Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (SEK[2005] 1057, KOM[2005] 391 endgültig – 2005/0167 [COD], Abschnitt 4, Kapitel I).

( 23 ) Commission staff working document – Detailed comments on Proposal for a European Parliament and Council Directive on common standards on procedures in Member States for returning illegally staying third country nationals (KOM[2005] 391 endgültig).

( 24 ) Hervorhebung nur hier.

( 25 ) Vgl. Abschnitt 3 Nr. 12 des Vorschlags.

( 26 ) Die einzige wesentliche Änderung besteht darin, dass die Verpflichtung zur Eingabe einer Ausschreibung im SIS auf die Einreiseverbote erstreckt wird, die gemäß den in der Richtlinie 2008/115 vorgesehenen Verfahren verhängt worden sind. Vgl. u. a. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS) im Bereich der Grenzkontrollen, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 515/2014 und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 (COM[2016] 882 final – 2016/0408 [COD], S. 4). Siehe auch Fn. 15 der vorliegenden Schlussanträge.

( 27 ) Art. 24 Abs. 1 der Verordnung 2018/1861 lautet: „Die Mitgliedstaaten geben eine Ausschreibung der Einreise- und Aufenthaltsverweigerung ein, wenn eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist: a) Der Mitgliedstaat ist auf der Grundlage einer individuellen Bewertung, die eine Bewertung der persönlichen Umstände des betreffenden Drittstaatsangehörigen und der Auswirkungen der Einreise- und Aufenthaltsverweigerung für den betreffenden Drittstaatsangehörigen umfasst, zu dem Schluss gelangt, dass die Anwesenheit dieses Drittstaatsangehörigen in seinem Hoheitsgebiet eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder für die öffentliche oder die nationale Sicherheit in seinem Hoheitsgebiet darstellt … und der Mitgliedstatt folglich im Einklang mit seinen nationalen Rechtsvorschriften eine richterliche oder behördliche Entscheidung zur Einreise- und Aufenthaltsverweigerung erlassen und eine nationale Ausschreibung der Einreise- und Aufenthaltsverweigerung verhängt hat, oder b) der Mitgliedstaat hat gemäß Verfahren, die mit der Richtlinie 2008/115… in Einklang stehen, ein Einreiseverbot gegen einen Drittstaatsangehörigen verhängt.“

( 28 ) Urteil vom 26. Oktober 2010, Vereinigtes Königreich/Rat (C‑482/08, EU:C:2010:631, Rn. 48).

( 29 ) Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Kategorien von Einreiseverboten lässt sich mit einem Verweis auf die französische Rechtsordnung, insbesondere auf den Code de l’entrée et du séjour des étrangers et du droit d’asile (Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern sowie über das Asylrecht), veranschaulichen. Die erste Kategorie, die als „behördliches Aufenthaltsverbot“ bezeichnet wird, ist in Art. L214-2 dieses Gesetzes vorgesehen, wonach „[gegen jeden Drittstaatsangehörigen], der seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Frankreich hat und sich nicht im Inland aufhält, … ein behördliches Aufenthaltsverbot verhängt werden [kann], wenn seine Anwesenheit in Frankreich eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit oder die internationalen Beziehungen Frankreichs darstellen würde“ (Hervorhebung nur hier). Die zweite Kategorie, die als „Verbot der Rückkehr in das französische Hoheitsgebiet“ bezeichnet wird, ist in Art. L511-1 dieses Gesetzes geregelt, wonach „[d]ie Verwaltungsbehörde … einen Ausländer, der nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union … ist, … verpflichten [kann], das französische Hoheitsgebiet zu verlassen, wenn einer der folgenden Fälle vorliegt: … 7. [d]as Verhalten des Ausländers, der seit mehr als drei Monaten seinen rechtmäßigen Wohnsitz nicht in Frankreich hat, eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt.“

( 30 ) Die Französische Republik hat von dieser Möglichkeit beispielweise in Bezug auf das „Aufenthaltsverbot in Frankreich“ nach Art. L541-1 des Code de l’entrée et du séjour des étrangers et du droit d’asile Gebrauch gemacht, d. h. eine Strafe, die von der Justizbehörde gegen einen Ausländer verhängt werden kann, der eines Verbrechens oder einer Straftat schuldig ist, und die in den Art. 131-30, 131-30-1 und 131-30-2 des französischen Strafgesetzbuchs geregelt ist.

( 31 ) Urteil vom 26. Juli 2017 (C‑225/16, EU:C:2017:590).

( 32 ) Urteil vom 26. Juli 2017, Ouhrami (C‑225/16, EU:C:2017:590, Rn. 45). Hervorhebung nur hier.

( 33 ) Urteil vom 26. Juli 2017, Ouhrami (C‑225/16, EU:C:2017:590, Rn. 45). Hervorhebung nur hier.

( 34 ) Urteil vom 26. Juli 2017, Ouhrami (C‑225/16, EU:C:2017:590, Rn. 46 bis 49). In jüngerer Zeit hat sich der Gerichtshof im Urteil vom 17. September 2020, JZ (Freiheitsstrafe bei Verstoß gegen ein Einreiseverbot) (C‑806/18, EU:C:2020:724, Rn. 32 bis 34), auf diese Erwägungen gestützt.

( 35 ) Vgl. hierzu Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Celaj (C‑290/14, EU:C:2015:285, Nr. 50), wonach „[d]ie den Mitgliedstaaten aus den Art. 6 ff. der Richtlinie 2008/115 erwachsenden Verpflichtungen … anhaltend, kontinuierlich [sind und] ununterbrochen in dem Sinne [gelten], dass sie automatisch entstehen, sobald die Voraussetzungen dieser Bestimmungen erfüllt sind“ (Hervorhebung nur hier).

( 36 ) Vgl. Antwort der Kommission auf die parlamentarische Anfrage Nr. P-1687/10 (ABl. 2011, C 138 E, S. 1), die im Hinblick auf die den Mitgliedstaaten, wie dem Königreich Spanien, somit auferlegte Verpflichtung Folgendes ausführt: „It implies that Spanish authorities are not free any more – once they become aware of the presence of an illegally staying third-country national on their territory – to tolerate this situation without either initiating return procedures or launching procedures for granting a right to stay“ („Sie impliziert, dass es den spanischen Behörden nicht mehr freisteht – sobald sie Kenntnis von der Anwesenheit eines illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen in ihrem Hoheitsgebiet erlangen –, diese Situation zu tolerieren, ohne ein Rückkehrverfahren einzuleiten oder ein Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltsrechts einzuleiten“).

( 37 ) Vgl. „Rückkehr-Handbuch“, Nr. 5, S. 100. Vgl. auch Antwort der Kommission auf die parlamentarische Anfrage Nr. P-1687/10 (ABl. 2011, C 138 E, S. 1), wonach „[t]he obligation on Member States to either initiate return procedures or to grant a right to stay has been proposed by the Commission and was adopted by the European Parliament and Council in order to reduce ‚grey areas‘, to prevent exploitation of illegally staying persons and to improve legal certainty for all involved“ („Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, entweder ein Rückkehrverfahren einzuleiten oder ein Aufenthaltsrecht zu erteilen, wurde von der Kommission vorgeschlagen und vom Europäischen Parlament und vom Rat erlassen, um ‚Grauzonen‘ zu verringern, die Ausbeutung illegal aufhältiger Personen zu verhindern und die Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu verbessern“).

( 38 ) Vgl. auch Martucci, F., „La directive ‚retour‘: la politique européenne d’immigration face à ses paradoxes“, Revue trimestrielle de droit de l’Union européenne, 2009, S. 50, der das Einreiseverbot nach Art. 11 der Richtlinie 2008/115 als „akzessorisch zur Rückkehr“ definiert.

( 39 ) Richtlinie 2008/115, 14. Erwägungsgrund.

( 40 ) Siehe Nr. 68 der vorliegenden Schlussanträge.

( 41 ) Siehe Nr. 25 der vorliegenden Schlussanträge.

( 42 ) Im zwölften Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/115 heiß es: „… Die [Drittstaatsangehörigen, die sich unrechtmäßig im Land aufhalten, aber noch nicht abgeschoben werden können,] sollten eine schriftliche Bestätigung erhalten, damit sie im Falle administrativer Kontrollen oder Überprüfungen ihre besondere Situation nachweisen können …“.

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