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Document 62018CJ0826

Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 14. Januar 2021.
LB u. a. gegen College van burgemeester en wethouders van de gemeente Echt-Susteren.
Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Limburg.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Übereinkommen von Aarhus – Art. 9 Abs. 2 und 3 – Zugang zu Gerichten – Kein Zugang zu Gerichten für eine andere als die betroffene Öffentlichkeit – Vorherige Beteiligung am Entscheidungsverfahren als Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs.
Rechtssache C-826/18.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2021:7

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

14. Januar 2021 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Übereinkommen von Aarhus – Art. 9 Abs. 2 und 3 – Zugang zu Gerichten – Kein Zugang zu Gerichten für eine andere als die betroffene Öffentlichkeit – Vorherige Beteiligung am Entscheidungsverfahren als Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs“

In der Rechtssache C‑826/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank Limburg (Bezirksgericht Limburg, Niederlande) mit Entscheidung vom 21. Dezember 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Dezember 2018, in dem Verfahren

LB,

Stichting Varkens in Nood,

Stichting Dierenrecht,

Stichting Leefbaar Buitengebied

gegen

College van burgemeester en wethouders van de gemeente Echt-Susteren,

Beteiligte:

Sebava BV,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot (Berichterstatter), des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan und N. Jääskinen,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. Januar 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von LB, vertreten durch A. Hanssen,

der Stichting Varkens in Nood, der Stichting Dierenrecht und der Stichting Leefbaar Buitengebied, vertreten durch M. H. Middelkamp,

des College van burgemeester en wethouders van de gemeente Echt-Susteren, vertreten durch L. M. C. Cloodt, advocaat,

der niederländischen Regierung, vertreten durch M. A. M. de Ree, M. Bulterman, C. S. Schillemans und J. M. Hoogveld als Bevollmächtigte,

der dänischen Regierung, vertreten durch J. Nymann-Lindegren, M. S. Wolff und P. Z. L. Ngo als Bevollmächtigte,

von Irland, vertreten durch M. Browne, G. Hodge und A. Joyce als Bevollmächtigte im Beistand von N. Butler, SC, und C. Hogan, BL,

der schwedischen Regierung, vertreten durch H. Eklinder, C. Meyer-Seitz, H. Shev, J. Lundberg und A. Falk als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara, M. Noll-Ehlers und L. Haasbeek als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. Juli 2020

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 Abs. 2 des am 25. Juni 1998 in Aarhus (Dänemark) unterzeichneten und mit dem Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 (ABl. 2005, L 124, S. 1) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigten Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (im Folgenden: Übereinkommen von Aarhus).

2

Es ergeht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen LB, einer natürlichen Person, und den Tierschutzvereinigungen Stichting Varkens in Nood, Stichting Dierenrecht und Stichting Leefbaar Buitengebied auf der einen Seite und dem College van burgemeester en wethouders van de gemeente Echt-Susteren (Gemeinderat von Echt-Susteren, Niederlande) (im Folgenden: Gemeinde Echt-Susteren) auf der anderen Seite wegen einer Genehmigung, die diese Gemeinde der Sebava BV für den Bau eines Schweinestalls erteilt hat.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

3

Im 18. Erwägungsgrund des Übereinkommens von Aarhus wird das Anliegen geäußert, dass die Öffentlichkeit, einschließlich Organisationen, Zugang zu wirkungsvollen gerichtlichen Mechanismen haben soll, damit ihre berechtigten Interessen geschützt werden und das Recht durchgesetzt wird.

4

Nach Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) Nr. 4 dieses Übereinkommens bedeutet „Öffentlichkeit“„eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und, in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis, deren Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen“.

5

Art. 2 Nr. 5 des Übereinkommens bestimmt, dass „betroffene Öffentlichkeit“„die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran“ bedeutet. Dort heißt es weiter, dass „im Sinne dieser Begriffsbestimmung … nichtstaatliche Organisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse [haben]“.

6

Art. 3 Abs. 5 des Übereinkommens von Aarhus sieht vor, dass dieses Übereinkommen das Recht einer Vertragspartei unberührt lässt, Maßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen, die einen weiter gehenden Zugang zu Informationen, eine umfangreichere Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und einen weiter gehenden Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten ermöglichen, als dies aufgrund des Übereinkommens erforderlich ist.

7

Art. 6 („Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungen über bestimmte Tätigkeiten“) des Übereinkommens von Aarhus sieht in den Abs. 1 bis 10 vor:

„(1)   Jede Vertragspartei

a)

wendet diesen Artikel bei Entscheidungen darüber an, ob die in Anhang I aufgeführten geplanten Tätigkeiten zugelassen werden;

(2)   Die betroffene Öffentlichkeit wird im Rahmen umweltbezogener Entscheidungsverfahren je nach Zweckmäßigkeit durch öffentliche Bekanntmachung oder Einzelnen gegenüber in sachgerechter, rechtzeitiger und effektiver Weise frühzeitig unter anderem über Folgendes informiert:

a)

die geplante Tätigkeit und den Antrag, über den eine Entscheidung gefällt wird;

b)

die Art möglicher Entscheidungen oder den Entscheidungsentwurf;

c)

die für die Entscheidung zuständige Behörde;

d)

das vorgesehene Verfahren, einschließlich der folgenden Informationen, falls und sobald diese zur Verfügung gestellt werden können:

i)

Beginn des Verfahrens,

ii)

Möglichkeiten der Öffentlichkeit, sich zu beteiligen,

iii)

Zeit und Ort vorgesehener öffentlicher Anhörungen,

iv)

Angabe der Behörde, von der relevante Informationen zu erhalten sind, und des Ortes, an dem die Öffentlichkeit Einsicht in die relevanten Informationen nehmen kann,

v)

Angabe der zuständigen Behörde oder der sonstigen amtlichen Stelle, bei der Stellungnahmen oder Fragen eingereicht werden können, sowie der dafür vorgesehenen Fristen und

vi)

Angaben darüber, welche für die geplante Tätigkeit relevanten Informationen über die Umwelt verfügbar sind;

e)

die Tatsache, dass die Tätigkeit einem nationalen oder grenzüberschreitenden Verfahren zur Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt.

(3)   Die Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung sehen jeweils einen angemessenen zeitlichen Rahmen für die verschiedenen Phasen vor, damit ausreichend Zeit zur Verfügung steht, um die Öffentlichkeit nach Absatz 2 zu informieren, und damit der Öffentlichkeit ausreichend Zeit zur effektiven Vorbereitung und Beteiligung während des umweltbezogenen Entscheidungsverfahrens gegeben wird.

(4)   Jede Vertragspartei sorgt für eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung zu einem Zeitpunkt, zu dem alle Optionen noch offen sind und eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden kann.

(5)   Jede Vertragspartei sollte, soweit angemessen, künftige Antragsteller dazu ermutigen, die betroffene Öffentlichkeit zu ermitteln, Gespräche aufzunehmen und über den Zweck ihres Antrags zu informieren, bevor der Antrag auf Genehmigung gestellt wird.

(6)   Jede Vertragspartei verpflichtet die zuständigen Behörden, der betroffenen Öffentlichkeit – auf Antrag, sofern innerstaatliches Recht dies vorschreibt – gebührenfrei und sobald verfügbar Zugang zur Einsichtnahme aller Informationen zu gewähren, die für die in diesem Artikel genannten Entscheidungsverfahren relevant sind und zum Zeitpunkt des Verfahrens zur Öffentlichkeitsbeteiligung zur Verfügung stehen; das Recht der Vertragsparteien, die Bekanntgabe bestimmter Informationen nach Artikel 4 Absätze 3 und 4 abzulehnen, bleibt hiervon unberührt. Zu den relevanten Informationen gehören zumindest und unbeschadet des Artikels 4

a)

eine Beschreibung des Standorts sowie der physikalischen und technischen Merkmale der geplanten Tätigkeit, einschließlich einer Schätzung der erwarteten Rückstände und Emissionen,

b)

eine Beschreibung der erheblichen Auswirkungen der geplanten Tätigkeit auf die Umwelt,

c)

eine Beschreibung der zur Vermeidung und/oder Verringerung der Auswirkungen, einschließlich der Emissionen, vorgesehenen Maßnahmen,

d)

eine nichttechnische Zusammenfassung der genannten Informationen,

e)

ein Überblick über die wichtigsten vom Antragsteller geprüften Alternativen und

f)

in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften die wichtigsten Berichte und Empfehlungen, die an die Behörde zu dem Zeitpunkt gerichtet wurden, zu dem die betroffene Öffentlichkeit nach Absatz 2 informiert wird.

(7)   In Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung hat die Öffentlichkeit die Möglichkeit, alle von ihr für die geplante Tätigkeit als relevant erachteten Stellungnahmen, Informationen, Analysen oder Meinungen in Schriftform vorzulegen oder gegebenenfalls, während einer öffentlichen Anhörung oder Untersuchung mit dem Antragsteller vorzutragen.

(8)   Jede Vertragspartei stellt sicher, dass das Ergebnis der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Entscheidung angemessen berücksichtigt wird.

(9)   Jede Vertragspartei stellt sicher, dass die Öffentlichkeit, sobald die Behörde die Entscheidung gefällt hat, unverzüglich und im Einklang mit den hierfür passenden Verfahren über die Entscheidung informiert wird. Jede Vertragspartei macht der Öffentlichkeit den Wortlaut der Entscheidung sowie die Gründe und Erwägungen zugänglich, auf die sich diese Entscheidung stützt.

(10)   Jede Vertragspartei stellt sicher, dass bei einer durch eine Behörde vorgenommenen Überprüfung oder Aktualisierung der Betriebsbedingungen für eine in Absatz 1 genannte Tätigkeit die Absätze 2 bis 9 sinngemäß, und soweit dies angemessen ist, Anwendung finden.“

8

Art. 9 („Zugang zu Gerichten“) des Übereinkommens von Aarhus bestimmt in den Abs. 2 bis 4:

„(2)   Jede Vertragspartei stellt im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit,

a)

die ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ

b)

eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsprozessrecht einer Vertragspartei dies als Voraussetzung erfordert, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht und/oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die Artikel 6 und – sofern dies nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht vorgesehen ist und unbeschadet des Absatzes 3 – sonstige einschlägige Bestimmungen dieses Übereinkommens gelten.

Was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung gilt, bestimmt sich nach den Erfordernissen innerstaatlichen Rechts und im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit im Rahmen dieses Übereinkommens einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Zu diesem Zweck gilt das Interesse jeder nichtstaatlichen Organisation, welche die in Artikel 2 Nummer 5 genannten Voraussetzungen erfüllt, als ausreichend im Sinne des Buchstaben a. Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die im Sinne des Buchstaben b verletzt werden können.

Absatz 2 schließt die Möglichkeit eines vorangehenden Überprüfungsverfahrens vor einer Verwaltungsbehörde nicht aus und lässt das Erfordernis der Ausschöpfung verwaltungsbehördlicher Überprüfungsverfahren vor der Einleitung gerichtlicher Überprüfungsverfahren unberührt, sofern ein derartiges Erfordernis nach innerstaatlichem Recht besteht.

(3)   Zusätzlich und unbeschadet der in den Absätzen 1 und 2 genannten Überprüfungsverfahren stellt jede Vertragspartei sicher, dass Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen.

(4)   Zusätzlich und unbeschadet des Absatzes 1 stellen die in den Absätzen 1, 2 und 3 genannten Verfahren angemessenen und effektiven Rechtsschutz und, soweit angemessen, auch vorläufigen Rechtsschutz sicher; diese Verfahren sind fair, gerecht, zügig und nicht übermäßig teuer. …“

9

Anhang I („Liste der in Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a genannten Tätigkeiten“) des Übereinkommens von Aarhus nennt in Nr. 15 Buchst. c Anlagen zur Intensivhaltung oder ‑aufzucht von Schweinen mit mehr als 750 Plätzen für Sauen.

Niederländisches Recht

10

Nach Art. 1:2 der Algemene wet bestuursrecht (Allgemeines Verwaltungsrechtsgesetz, im Folgenden: Awb) bezeichnet der Ausdruck „Beteiligter“ jede Person, „deren Interesse durch eine Entscheidung unmittelbar berührt wird“.

11

Aus Art. 3.10 der Wet Algemene bepalingen omgevingsrecht (Gesetz über allgemeine Bestimmungen des Umweltrechts, im Folgenden: Wabo) ergibt sich, dass Abschnitt 3.4 Awb über das „einheitliche öffentliche Vorbereitungsverfahren“ (im Folgenden: Vorbereitungsverfahren) auf die Erteilung einer Umweltgenehmigung für den Bau und die Änderung von Anlagen im Sinne von Art. 2.1 Abs. 1 Buchst. a und e Wabo anzuwenden ist.

12

Art. 3.12 Wabo sieht vor, dass im Rahmen dieses Verfahrens jedermann zu dem Entscheidungsentwurf Stellung nehmen kann.

13

Nach Art. 6:13 Awb können nur die Beteiligten, die im Vorbereitungsverfahren eine Stellungnahme abgegeben haben, die am Ende dieses Verfahrens erlassene Entscheidung anfechten, es sei denn, ihnen kann nicht der berechtigte Vorwurf gemacht werden, sich nicht beteiligt zu haben. Außerdem sind Einwendungen nur dann zulässig, wenn sie sich gegen dieselben Teile der angefochtenen Entscheidung richten, die im zu deren Erlass führenden Verfahren beanstandet wurden.

14

Aus Art. 8:1 Awb folgt, dass nur Beteiligte Verwaltungsentscheidungen bei einem Verwaltungsgericht anfechten können.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

15

Am 13. Oktober 2016 stellte Sebava bei der Gemeinde Echt-Susteren einen Antrag auf Erteilung einer Genehmigung für die Erweiterung und den Umbau eines in Koningsbosch (Niederlande) belegenen Schweinestalls, um einen neuen Stall für 855 nicht laktierende und trächtige Sauen zu errichten, in den vorhandenen Ställen 484 Jungsauen durch 125 säugende Sauen zu ersetzen und einen überdachten Auslauf für Sauen zu errichten.

16

Dieser Antrag unterlag dem Vorbereitungsverfahren, in dem die zuständige Behörde einen Entscheidungsentwurf über den Genehmigungsantrag erlässt, zu dem Stellung genommen werden kann.

17

Im Vorbereitungsverfahren entschied die Gemeinde Echt-Susteren, dass kein Bericht über die Umweltauswirkungen erforderlich sei.

18

Diese Entscheidung wurde zusammen mit einem Exemplar des Antragsvermerks und anderen zugehörigen Unterlagen im Rathaus zur öffentlichen Einsichtnahme ausgelegt. Eine Mitteilung wurde im Staatscourant van het Koninkrijk der Nederlanden (Amtsblatt des Königreichs der Niederlande) veröffentlicht, in der es hieß, dass diese Entscheidung als vorbereitende Handlung im Sinne des niederländischen Rechts anzusehen sei und daher nicht Gegenstand eines verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfs sein könne, sofern sie nicht die Interessen eines „Beteiligten“ unmittelbar beeinträchtige. Der Genehmigungsantrag und die Ankündigung des Genehmigungsentwurfs wurden auch im Gemeenteblad van Echt-Susteren (Amtsblatt der Gemeinde Echt-Susteren) veröffentlicht.

19

Mit Entscheidung vom 28. September 2017 erteilte die Gemeinde Echt-Susteren die beantragte Umweltgenehmigung.

20

LB, die Stichting Varkens in Nood, die Stichting Dierenrecht und die Stichting Leefbaar Buitengebied erhoben bei der Rechtbank Limburg (Bezirksgericht Limburg, Niederlande) Klagen auf Nichtigerklärung dieser Genehmigung.

21

Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass die von LB erhobene Klage als unzulässig abzuweisen sei, da LB nicht die Voraussetzungen erfülle, um als „Beteiligter“ im Sinne des niederländischen Verwaltungsrechts angesehen zu werden, da sie nicht in der Nähe des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vorhabens wohne, sondern etwa 20 Kilometer davon entfernt und daher nicht persönlich den Umweltauswirkungen dieses Vorhabens ausgesetzt sei. Dass LB Tierärztin sei, reiche für die Anerkennung eines persönlichen Interesses nicht aus, und die anderen Tätigkeiten und Eigenschaften, auf die sie sich berufen habe, seien verspätet vorgebracht worden, nämlich nach Ablauf der Klagefrist.

22

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts kann die Klage von LB auch deshalb als unzulässig abgewiesen werden, weil die Klägerin während des Vorbereitungsverfahrens nicht gegen das Vorhaben Stellung genommen habe.

23

LB trägt vor, dass ihr die Eigenschaft eines „Beteiligten“ im Sinne des niederländischen Rechts zuzuerkennen sei und dass ihr angesichts der im Vorbereitungsverfahren aufgetretenen Unregelmäßigkeiten nicht der berechtigte Vorwurf gemacht werden könne, während dieses Verfahrens keine Stellungnahme abgegeben zu haben. Insbesondere sei nicht darauf hingewiesen worden, dass das Vorhaben die Erweiterung eines Schweinestalls betroffen habe, und es seien nur „Beteiligte“ zur Stellungnahme aufgefordert worden.

24

In diesem Zusammenhang fragt sich das vorlegende Gericht, ob die Beschränkung des Zugangs zu Gerichten auf „Beteiligte“ im Sinne des nationalen Rechts mit dem Übereinkommen von Aarhus vereinbar ist.

25

Insbesondere sei fraglich, ob Art. 9 Abs. 2 dieses Übereinkommens dahin auszulegen sei, dass er verlange, dass sich Personen, die wie LB weder als „Beteiligter“ im Sinne des nationalen Rechts noch als Teil der „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne des Übereinkommens von Aarhus angesehen würden, dennoch als Mitglied der „Öffentlichkeit“ im Sinne des Übereinkommens vor Gericht auf etwaige Verletzungen ihrer Rechte aus Art. 6 Abs. 3 und 7 bis 9 des Übereinkommens berufen könnten, die die „Öffentlichkeit“ und nicht nur die „betroffene Öffentlichkeit“ beträfen.

26

Die im Ausgangsverfahren klagenden Umweltschutzvereinigungen seien „Beteiligte“ im Sinne des nationalen Rechts, da das Wohlergehen und der Schutz der Tiere zu ihrem satzungsmäßigen Zweck gehörten und hinreichend nachgewiesen sei, dass sie im Rahmen dieses Zwecks konkrete Tätigkeiten ausübten.

27

Ihre Klage sei dennoch als unzulässig abzuweisen, da sie nicht am Vorbereitungsverfahren beteiligt gewesen seien.

28

Das vorlegende Gericht fragt sich jedoch, ob diese Zulässigkeitsvoraussetzung mit dem Unionsrecht und insbesondere mit Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus im Einklang steht.

29

Außerdem sei fraglich, ob die niederländische Rechtsvorschrift, nach der Einwendungen unzulässig seien, die sich nicht auf die Teile des Entscheidungsentwurfs bezögen, die im Vorbereitungsverfahren beanstandet worden seien, mit dieser Bestimmung vereinbar sei.

30

Unter diesen Umständen hat die Rechtbank Limburg (Bezirksgericht Limburg) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Ist das Unionsrecht und insbesondere Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus dahin auszulegen, dass es dem entgegensteht, dass das Recht auf Zugang zu Gerichten für die Öffentlichkeit (public) (jeder) in vollem Umfang ausgeschlossen wird, sofern es sich dabei nicht um die betroffene Öffentlichkeit (public concerned) (Beteiligte) handelt?

Sofern die erste Frage bejaht wird:

2.

Ist das Unionsrecht und insbesondere Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus dahin auszulegen, dass daraus hervorgeht, dass die Öffentlichkeit (public) (jeder) bei einem behaupteten Verstoß gegen die für diese Öffentlichkeit geltenden Verfahrenserfordernisse und Beteiligungsrechte im Sinne von Art. 6 dieses Übereinkommens Zugang zu Gerichten haben muss?

Ist dabei relevant, dass die betroffene Öffentlichkeit (public concerned) (Beteiligte) in diesem Punkt Zugang zu Gerichten hat und daneben auch materielle Klagegründe bei Gericht geltend machen kann?

3.

Ist das Unionsrecht und insbesondere Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus dahin auszulegen, dass es dem entgegensteht, dass der Zugang zu Gerichten für die betroffene Öffentlichkeit (public concerned) (Beteiligte) von der Ausübung der Beteiligungsrechte im Sinne von Art. 6 dieses Übereinkommens abhängig gemacht wird?

Wenn die dritte Frage verneint wird:

4.

Ist das Unionsrecht und insbesondere Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus dahin auszulegen, dass es einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, die den Zugang zu Gerichten gegen einen Bescheid für die betroffene Öffentlichkeit (public concerned) (Beteiligte) ausschließt, wenn ihr der berechtigte Vorwurf gemacht werden kann, keine Einwendungen gegen den Entscheidungsentwurf (bzw. Teile davon) vorgebracht zu haben?

Wenn die vierte Frage verneint wird:

5.

Ist es uneingeschränkt Sache des nationalen Gerichts, auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls darüber zu befinden, was unter „dem der berechtige Vorwurf gemacht werden kann“ zu verstehen ist, oder ist das nationale Gericht verpflichtet, dabei bestimmte unionsrechtliche Garantien zu beachten?

6.

Inwiefern lautet die Antwort auf die Fragen 3 bis 5 anders, wenn es um die Öffentlichkeit (public) (jeder) geht, soweit diese nicht zugleich betroffene Öffentlichkeit (public concerned) (Beteiligte) ist?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten und zur zweiten Frage

31

Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht und insbesondere Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus es ausschließen, dass Mitglieder der „Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 4 des Übereinkommens als solche keinen Zugang zu Gerichten haben, um eine Entscheidung anzufechten, die in den Anwendungsbereich von Art. 6 des Übereinkommens fällt.

32

Vorab ist festzustellen, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vorhaben in den Anwendungsbereich des Übereinkommens von Aarhus fällt.

33

Das vorlegende Gericht bezieht sich nämlich zu Recht auf Art. 6 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Anhang I Nr. 15 dieses Übereinkommens, in der Anlagen zur Intensivhaltung oder ‑aufzucht von Schweinen mit mehr als 750 Plätzen für Sauen genannt sind, an deren Genehmigungsverfahren sich die „betroffene Öffentlichkeit“ beteiligen kann.

34

Nach Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus stellt jede Vertragspartei im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften und im Einklang mit dem Ziel, der „betroffenen Öffentlichkeit“ einen breiten Zugang zu Gerichten zu gewähren, sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die ein Interesse haben oder alternativ eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das nationale Recht dies als Voraussetzung erfordert, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen anzufechten, die in den Anwendungsbereich von Art. 6 des Übereinkommens und – sofern dies nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht vorgesehen ist – sonstiger einschlägiger Bestimmungen des Übereinkommens fallen.

35

Die am schriftlichen Verfahren vor dem Gerichtshof Beteiligten haben zu Recht darauf hingewiesen, dass Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus nur auf die „betroffene Öffentlichkeit“ abstellt, die in Art. 2 Nr. 5 des Übereinkommens als die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran definiert wird. Dort heißt es weiter, dass im Sinne dieser Begriffsbestimmung nichtstaatliche Organisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse haben.

36

Der Zweck von Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus besteht somit nicht darin, der allgemeinen Öffentlichkeit ein Recht auf Anfechtung von Entscheidungen und anderen Handlungen zu verleihen, die in den Anwendungsbereich von Art. 6 des Übereinkommens fallen und Vorhaben betreffen, bei denen die Öffentlichkeit am Entscheidungsverfahren beteiligt ist, sondern darin, dieses Recht nur den Mitgliedern der „betroffenen Öffentlichkeit“ zu gewährleisten, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen.

37

Diese Auslegung wird durch den Aufbau von Art. 9 des Übereinkommens von Aarhus bestätigt, da Abs. 3 dieses Artikels für Mitglieder der allgemeinen „Öffentlichkeit“ eine eingeschränktere Regelung für den Zugang zu Gerichten vorsieht und damit das durch dieses Übereinkommen vorgesehene System widerspiegelt, das ausdrücklich zwischen der allgemeinen „Öffentlichkeit“ und der von einer Handlung oder einem Vorgang „betroffenen Öffentlichkeit“ unterscheidet.

38

So sind besondere Verfahrensrechte für Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit vorgesehen, die grundsätzlich nur dann dazu aufgerufen sind, sich am Entscheidungsverfahren zu beteiligen, wenn sie zu dem Kreis der Personen gehören, auf die sich die beabsichtigte Handlung oder der beabsichtigte Vorgang auswirkt oder auswirken könnte, wobei es Sache der Mitgliedstaaten ist, diesen Kreis im Einklang mit dem Ziel festzulegen, der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren.

39

Zwar wird in Art. 6 des Übereinkommens von Aarhus mehrfach der Begriff „Öffentlichkeit“ verwendet. Aus einer Gesamtbetrachtung dieses Artikels ergibt sich jedoch, dass er nur auf die „betroffene Öffentlichkeit“ anwendbar ist, d. h. allein auf diejenige, deren Beteiligung am Entscheidungsverfahren erforderlich ist.

40

Die Regelungen in Art. 6 Abs. 2 Buchst. d Ziff. ii und iv dieses Übereinkommens beziehen sich zwar speziell auf an die „Öffentlichkeit“ gerichtete Informationen, doch geht aus Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 ausdrücklich hervor, dass das darin verankerte Informationsrecht nur der „betroffenen Öffentlichkeit“ gewährt wird.

41

Außerdem bestimmt Art. 6 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus, dass für die Information der Öffentlichkeit im Sinne von Art. 6 Abs. 2 des Übereinkommens und für die effektive Vorbereitung und Beteiligung dieser Öffentlichkeit während des gesamten Entscheidungsverfahrens angemessene Fristen vorzusehen sind, und bestätigt somit, dass die verschiedenen Phasen des Verfahrens zur Öffentlichkeitsbeteiligung nur für die betroffene Öffentlichkeit gelten.

42

Ferner bezieht sich Art. 6 Abs. 4 und 7 dieses Übereinkommens zwar auch auf die „Öffentlichkeit“, doch sollen diese Bestimmungen nur die konkreten Bedingungen des Beteiligungsverfahrens, d. h. den Zeitpunkt, zu dem dieses Verfahren durchzuführen ist, und die genaue Form der Beteiligung festlegen, nicht aber den Umfang des Rechts der Öffentlichkeit auf Beteiligung an den betreffenden Verfahren.

43

Dieses Ergebnis wird dadurch bestätigt, dass ein Beteiligungsrecht am Entscheidungsverfahren nicht wirksam sein könnte, ohne dass dem Betroffenen auch das Recht auf Information über das Vorhaben und das geplante Verfahren sowie das Recht auf Zugang zu den Informationsdokumenten zustünde. Diese beiden Rechte werden jedoch nach Art. 6 Abs. 2 und 6 des Übereinkommens von Aarhus ausdrücklich nur Mitgliedern der „betroffenen Öffentlichkeit“ gewährt.

44

Im Übrigen hätte eine andere Auslegung von Art. 6 des Übereinkommens von Aarhus als die in Rn. 39 des vorliegenden Urteils angeführte zur Folge, dass der Unterscheidung zwischen den in Art. 9 Abs. 2 und 3 des Übereinkommens vorgesehenen Regelungen über den Zugang zu Gerichten dadurch die praktische Wirksamkeit genommen würde, dass der Zugang zu Gerichten zwangsläufig auf die gesamte „Öffentlichkeit“ ausgedehnt würde, damit sie die Rechte aus diesem Artikel wahrnehmen kann.

45

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist festzustellen, dass der Zweck von Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus gerade darin besteht, nur der „betroffenen Öffentlichkeit“, die bestimmte Voraussetzungen erfüllt, den Zugang zu Gerichten für die Anfechtung einer Handlung oder Entscheidung zu gewährleisten, die in den Anwendungsbereich von Art. 6 des Übereinkommens fällt.

46

Daraus folgt vorbehaltlich der Prüfung des Sachverhalts, die Sache des vorlegenden Gerichts ist, dass sich eine Person wie LB, die nicht zur „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne des Übereinkommens von Aarhus gehört, nicht mit der Begründung, sie habe im Ausgangsverfahren keinen Zugang zu Gerichten, auf einen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens berufen kann.

47

Der Zugang einer solchen Person zu Gerichten sollte jedoch dann einer anderen Regelung unterliegen, wenn das nationale Recht eines Mitgliedstaats der Öffentlichkeit ein weiter gehendes Beteiligungsrecht am Entscheidungsverfahren einräumt, insbesondere das Recht auf effektive und rechtzeitige Information über ein Vorhaben, wie dies nach Art. 3 Abs. 5 des Übereinkommens von Aarhus zulässig ist, wonach die Vertragsparteien dieses Übereinkommens in ihrem nationalen Recht Maßnahmen ergreifen können, die günstiger sind als die im Übereinkommen vorgesehenen Maßnahmen, wie etwa Maßnahmen, die eine umfangreichere Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren nach Art. 6 des Übereinkommens ermöglichen.

48

In diesem Fall fielen die auf solche Maßnahmen gestützten gerichtlichen Rechtsbehelfe unter Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus, der vorsieht, dass unbeschadet der in den Abs. 1 und 2 dieses Artikels genannten Überprüfungsverfahren jede Vertragspartei des Übereinkommens sicherstellt, dass „Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen“, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen.

49

Für die in Art. 9 Abs. 3 dieses Übereinkommens genannten Rechtsbehelfe können somit „Kriterien“ festgelegt werden, so dass die Mitgliedstaaten im Rahmen des ihnen insoweit eingeräumten Ermessens verfahrensrechtliche Vorschriften über die Voraussetzungen der Einlegung solcher Rechtsbehelfe erlassen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Protect Natur‑, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation, C‑664/15, EU:C:2017:987, Rn. 86).

50

Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass das in dieser Bestimmung vorgesehene Recht auf einen Rechtsbehelf keine praktische Wirksamkeit hätte, wenn durch die Aufstellung solcher Kriterien bestimmten Kategorien der „Mitglieder der Öffentlichkeit“ der Zugang zu den Gerichten gänzlich verwehrt würde (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. Dezember 2017, Protect Natur‑, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation, C‑664/15, EU:C:2017:987, Rn. 46 und 48, und vom 3. Oktober 2019, Wasserleitungsverband Nördliches Burgenland u. a., C‑197/18, EU:C:2019:824, Rn. 34).

51

Daraus folgt, dass Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus es ausschließt, dass Mitgliedern der „Öffentlichkeit“ im Sinne des Übereinkommens der Zugang zu Gerichten zur Wahrnehmung weiter gehender Beteiligungsrechte an Entscheidungsverfahren, die das nationale Umweltrecht eines Mitgliedstaats eventuell gewährt, gänzlich verwehrt werden kann.

52

Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus dahin auszulegen ist, dass er es nicht ausschließt, dass Mitglieder der „Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 4 des Übereinkommens als solche keinen Zugang zu Gerichten haben, um eine Entscheidung anzufechten, die in den Anwendungsbereich von Art. 6 des Übereinkommens fällt. Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens schließt es hingegen aus, dass solchen Personen der Zugang zu Gerichten zur Wahrnehmung weiter gehender Beteiligungsrechte an Entscheidungsverfahren, die ihnen allein nach dem nationalen Umweltrecht eines Mitgliedstaats eventuell zustehen, verwehrt werden kann.

Zu den Fragen 3 bis 6

53

Vor dem Hintergrund der Ausgangsrechtsstreitigkeiten und der Antwort auf die erste und die zweite Frage ist festzustellen, dass es in den Fragen 3 bis 6 um den Rechtsbehelf von nichtstaatlichen Organisationen geht, die zur „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 5 des Übereinkommens von Aarhus gehören und unter Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens fallen, sowie um den Rechtsbehelf eines Mitglieds der „Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 4 des Übereinkommens, das unter Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens fällt.

54

Somit ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seinen Fragen 3 bis 6 wissen möchte, ob Art. 9 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus es ausschließen, dass die Zulässigkeit gerichtlicher Rechtsbehelfe, die nichtstaatliche Organisationen, die zur „betroffenen Öffentlichkeit“ gehören, nach Art. 6 des Übereinkommens bzw. ein Mitglied der „Öffentlichkeit“ nach dem nationalen Umweltrecht eines Mitgliedstaats einlegen, davon abhängig gemacht wird, dass sie sich am Verfahren zur Vorbereitung der angefochtenen Entscheidung beteiligt haben, es sei denn, ihnen kann nicht der berechtigte Vorwurf gemacht werden, sich nicht beteiligt zu haben. Das vorlegende Gericht möchte außerdem wissen, ob diese Bestimmungen es ausschließen, dass nur Einwendungen zulässig sind, die sich auf dieselben Teile der angefochtenen Entscheidung beziehen, zu denen der Rechtsbehelfsführer im Vorbereitungsverfahren Stellung genommen hat.

55

Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht hervor, dass es den Mitgliedern der „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne des Übereinkommens von Aarhus möglich sein muss, gegen die in Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens genannten Handlungen einen Rechtsbehelf einzulegen, gleichviel, welche Rolle sie bei der Prüfung des Antrags spielen konnten, und dass die Vertragsparteien des Übereinkommens daher nicht die Unzulässigkeit eines solchen Rechtsbehelfs vorsehen und dies damit begründen können, dass der Rechtsbehelfsführer am Verfahren zum Erlass der angefochtenen Entscheidung beteiligt gewesen sei und sich bei dieser Gelegenheit habe äußern können (vgl. in diesem Sinne zu ähnlichen Bestimmungen der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten [ABl. 1985, L 175, S. 40] Urteil vom 15. Oktober 2009, Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening, C‑263/08, EU:C:2009:631, Rn. 38 und 39).

56

Die Beteiligung an umweltbezogenen Entscheidungsverfahren unter den Voraussetzungen dieses Übereinkommens unterscheidet sich nämlich von einer gerichtlichen Anfechtung und hat auch eine andere Zielsetzung als diese, da sich eine solche Anfechtung gegebenenfalls gegen die am Ende dieses Verfahrens ergehende Entscheidung richten kann, so dass diese Beteiligung keine Auswirkungen auf die Voraussetzungen für die Ausübung des Anfechtungsrechts hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Oktober 2009, Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening, C‑263/08, EU:C:2009:631, Rn. 38).

57

Was insbesondere Umweltschutzvereinigungen anbelangt, ist zudem darauf hinzuweisen, dass nach Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 Sätze 2 und 3 des Übereinkommens von Aarhus nichtstaatliche Organisationen, die die in Art. 2 Nr. 5 des Übereinkommens genannten Voraussetzungen erfüllen, entweder ein ausreichendes Interesse haben oder Träger von Rechten sein müssen, die verletzt werden können, je nachdem, ob die nationalen Rechtsvorschriften auf die eine oder die andere dieser Zulässigkeitsvoraussetzungen zurückgreifen.

58

Schließlich ist festzustellen, dass das in Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus vorgesehene Ziel, einen „weiten Zugang zu Gerichten“ zu gewähren, wie auch die Wahrung der praktischen Wirksamkeit dieser Bestimmung nicht durch Rechtsvorschriften gewährleistet wären, die die Zulässigkeit eines von einer nichtstaatlichen Organisation eingelegten Rechtsbehelfs davon abhängig machten, welche Rolle diese Organisation in der Phase der Beteiligung am Entscheidungsverfahren spielen konnte, auch wenn diese Phase nicht den gleichen Gegenstand wie der gerichtliche Rechtsbehelf hat und sich die Meinung einer solchen Organisation zu einem Vorhaben auch entsprechend dem Ergebnis dieses Verfahrens ändern kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Oktober 2009, Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening, C‑263/08, EU:C:2009:631, Rn. 38, 39 und 48).

59

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus es ausschließt, dass die Zulässigkeit der von ihm erfassten gerichtlichen Rechtsbehelfe von nichtstaatlichen Organisationen, die zur „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne des Übereinkommens von Aarhus gehören, davon abhängig gemacht wird, dass sich die Organisationen am Entscheidungsverfahren zum Erlass der angefochtenen Entscheidung beteiligt haben.

60

Der Umstand, dass diese Voraussetzung nach dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Recht keine Anwendung fände, wenn diesen Organisationen nicht der berechtigte Vorwurf gemacht werden könnte, sich nicht an diesem Verfahren beteiligt zu haben, kann keine andere Lösung rechtfertigen, da die Nichterfüllung der Voraussetzung der vorherigen Beteiligung grundsätzlich ausreicht, um zu verhindern, dass diese Organisationen einen gerichtlichen Rechtsbehelf einlegen.

61

Anders wäre hingegen zu entscheiden, wenn dieser gerichtliche Rechtsbehelf durch ein Mitglied der „Öffentlichkeit“ auf der Grundlage weiter gehender Beteiligungsrechte am Entscheidungsverfahren, die allein das nationale Umweltrecht eines Mitgliedstaats gewährt, erfolgen würde.

62

In diesem Fall wäre, wie sich aus Rn. 48 des vorliegenden Urteils ergibt, Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus anzuwenden, der den Vertragsparteien des Übereinkommens mehr Spielraum lässt.

63

So ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass diese Bestimmung es grundsätzlich nicht verbietet, die Zulässigkeit der von ihr erfassten Rechtsbehelfe von der Voraussetzung abhängig zu machen, dass der Rechtsbehelfsführer seine Einwendungen rechtzeitig bereits im Verwaltungsverfahren erhoben hat, da mit einer solchen Regelung die streitigen Punkte unter Umständen schneller identifiziert und gegebenenfalls bereits im Verwaltungsverfahren gelöst werden können, so dass sich eine Klage erübrigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Protect Natur‑, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation, C‑664/15, EU:C:2017:987, Rn. 88 bis 90).

64

Der Gerichtshof hat daher entschieden, dass eine solche Voraussetzung als Vorbedingung für die Erhebung einer Klage zwar eine Einschränkung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei einem Gericht im Sinne von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) darstellt, dass sie aber nach Art. 52 Abs. 1 der Charta gerechtfertigt sein kann, wenn sie gesetzlich vorgesehen ist, den Wesensgehalt dieses Rechts achtet und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich ist und den von der Europäischen Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entspricht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Protect Natur‑, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation, C‑664/15, EU:C:2017:987, Rn. 90).

65

Im vorliegenden Fall sind die in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen unabhängig von der Frage, ob Art. 47 der Charta auf einen gerichtlichen Rechtsbehelf anzuwenden ist, der sich nur auf allein nach nationalem Recht gewährte weiter gehende Beteiligungsrechte an Entscheidungsverfahren stützt, jedenfalls wohl erfüllt.

66

Aus der Vorlageentscheidung geht nämlich hervor, dass eine Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs, die sich auf die vorherige Beteiligung am Entscheidungsverfahren bezieht, im Sinne von Art. 47 der Charta gesetzlich vorgesehen ist. Diese Voraussetzung achtet außerdem den Wesensgehalt des in diesem Artikel verankerten Grundrechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, da sie dieses Recht als solches nicht in Frage stellt, sondern für seine Ausübung lediglich eine zusätzliche Verfahrensetappe vorgibt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. September 2017, Puškár, C‑73/16, EU:C:2017:725, Rn. 64). Sie entspricht auch der in Rn. 63 des vorliegenden Urteils genannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung, und es ist nicht ersichtlich, dass zwischen dieser Zielsetzung und den möglichen Nachteilen infolge der Pflicht, sich am Verfahren zur Vorbereitung der angefochtenen Entscheidung zu beteiligen, ein offensichtliches Missverhältnis bestünde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. September 2017, Puškár, C‑73/16, EU:C:2017:725, Rn. 66, 67 und 69).

67

Der Umstand, dass diese Voraussetzung nicht angewandt wird, wenn dem Rechtsbehelfsführer nicht der berechtigte Vorwurf gemacht werden kann, sich nicht am Entscheidungsverfahren beteiligt zu haben, sorgt zudem für die Beachtung des Erfordernisses der Verhältnismäßigkeit, sofern sie anhand der Umstände der Rechtssache beurteilt wird.

68

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass sich die Feststellung erübrigt, ob Art. 9 Abs. 2 und 3 des Übereinkommens von Aarhus es ausschließt, dass nur die Einwendungen gerichtlich angefochten werden können, die sich auf dieselben Teile der angefochtenen Entscheidung beziehen, zu denen die Rechtsbehelfsführer in diesem Verfahren Stellung genommen haben, da sich die Kläger des Ausgangsverfahrens jedenfalls nicht am Vorbereitungsverfahren beteiligt haben.

69

Nach alledem ist auf die Fragen 3 bis 6 zu antworten, dass Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus dahin auszulegen ist, dass er es ausschließt, dass die Zulässigkeit der von ihm erfassten gerichtlichen Rechtsbehelfe von nichtstaatlichen Organisationen, die zu der „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 5 des Übereinkommens gehören, davon abhängig gemacht wird, dass sich diese Organisationen am Verfahren zur Vorbereitung der angefochtenen Entscheidung beteiligt haben, und zwar auch dann, wenn diese Voraussetzung keine Anwendung findet, wenn den Organisationen nicht der berechtigte Vorwurf gemacht werden kann, sich nicht daran beteiligt zu haben. Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens schließt es hingegen nicht aus, dass die Zulässigkeit eines von ihm erfassten gerichtlichen Rechtsbehelfs davon abhängig gemacht wird, dass sich der Rechtsbehelfsführer am Verfahren zur Vorbereitung der angefochtenen Entscheidung beteiligt hat, es sei denn, ihm kann unter Berücksichtigung der Umstände der Rechtssache nicht der berechtigte Vorwurf gemacht werden, sich nicht an diesem Verfahren beteiligt zu haben.

Kosten

70

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 9 Abs. 2 des am 25. Juni 1998 in Aarhus unterzeichneten und mit dem Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigten Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten ist dahin auszulegen, dass er es nicht ausschließt, dass Mitglieder der „Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 4 des Übereinkommens als solche keinen Zugang zu Gerichten haben, um eine Entscheidung anzufechten, die in den Anwendungsbereich von Art. 6 des Übereinkommens fällt. Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens schließt es hingegen aus, dass solchen Personen der Zugang zu Gerichten zur Wahrnehmung weiter gehender Beteiligungsrechte an Entscheidungsverfahren, die ihnen allein nach dem nationalen Umweltrecht eines Mitgliedstaats eventuell zustehen, verwehrt werden kann.

 

2.

Art. 9 Abs. 2 des am 25. Juni 1998 in Aarhus unterzeichneten und mit dem Beschluss 2005/370 im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigten Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten ist dahin auszulegen, dass er es ausschließt, dass die Zulässigkeit der von ihm erfassten gerichtlichen Rechtsbehelfe von nichtstaatlichen Organisationen, die zu der „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 5 des Übereinkommens gehören, davon abhängig gemacht wird, dass sich diese Organisationen am Verfahren zur Vorbereitung der angefochtenen Entscheidung beteiligt haben, und zwar auch dann, wenn diese Voraussetzung keine Anwendung findet, wenn den Organisationen nicht der berechtigte Vorwurf gemacht werden kann, sich nicht daran beteiligt zu haben. Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens schließt es hingegen nicht aus, dass die Zulässigkeit eines von ihm erfassten gerichtlichen Rechtsbehelfs davon abhängig gemacht wird, dass sich der Rechtsbehelfsführer am Verfahren zur Vorbereitung der angefochtenen Entscheidung beteiligt hat, es sei denn, ihm kann unter Berücksichtigung der Umstände der Rechtssache nicht der berechtigte Vorwurf gemacht werden, sich nicht an diesem Verfahren beteiligt zu haben.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.

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