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Document 62018CJ0666

    Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 18. Dezember 2019.
    IT Development SAS gegen Free Mobile SAS.
    Vorabentscheidungsersuchen der Cour d'appel de Paris.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges Eigentum – Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums – Richtlinie 2004/48/EG – Rechtsschutz von Computerprogrammen – Richtlinie 2009/24/EG – Software-Lizenzvertrag – Gegen den Lizenzvertrag verstoßende unerlaubte Änderung des Quellcodes durch einen Lizenznehmer – Deliktsrechtliche Verletzungsklage des Urhebers gegen den Lizenznehmer – Natur der anwendbaren Haftungsregelung.
    Rechtssache C-666/18.

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2019:1099

    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

    18. Dezember 2019 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges Eigentum – Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums – Richtlinie 2004/48/EG – Rechtsschutz von Computerprogrammen – Richtlinie 2009/24/EG – Software-Lizenzvertrag – Gegen den Lizenzvertrag verstoßende unerlaubte Änderung des Quellcodes durch einen Lizenznehmer – Deliktsrechtliche Verletzungsklage des Urhebers gegen den Lizenznehmer – Natur der anwendbaren Haftungsregelung“

    In der Rechtssache C‑666/18

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris, Frankreich) mit Entscheidung vom 16. Oktober 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Oktober 2018, in dem Verfahren

    IT Development SAS

    gegen

    Free Mobile SAS

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter I. Jarukaitis (Berichterstatter), E. Juhász, M. Ilešič und C. Lycourgos,

    Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der IT Development SAS, vertreten durch B. Lamon, avocat,

    der Free Mobile SAS, vertreten durch J. Fréneaux, avocat,

    der französischen Regierung, vertreten durch R. Coesme, A.‑L. Desjonquères und A. Daniel als Bevollmächtigte,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch É. Gippini Fournier, S. L. Kalėda und J. Samnadda als Bevollmächtigte,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. September 2019

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. 2004, L 157, S. 45, und Berichtigungen ABl. 2004, L 195, S. 16, und ABl. 2007, L 204, S. 27) sowie von Art. 4 der Richtlinie 2009/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (ABl. 2009, L 111, S. 16).

    2

    Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der IT Development SAS und der Free Mobile SAS wegen einer deliktischen Verletzungshandlung („contrefaçon“) in Bezug auf eine Software und des dadurch verursachten Schadens.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    Richtlinie 2004/48

    3

    In den Erwägungsgründen 10, 13 und 15 der Richtlinie 2004/48 heißt es:

    „(10)

    Mit dieser Richtlinie sollen [die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten] einander angenähert werden, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten.

    (13)

    Der Anwendungsbereich dieser Richtlinie muss so breit wie möglich gewählt werden, damit er alle Rechte des geistigen Eigentums erfasst, die den diesbezüglichen Gemeinschaftsvorschriften und/oder den Rechtsvorschriften der jeweiligen Mitgliedstaaten unterliegen. …

    (15)

    Diese Richtlinie sollte das materielle Recht auf dem Gebiet des geistigen Eigentums … nicht berühren.“

    4

    In Art. 1 der Richtlinie ist deren Gegenstand wie folgt definiert:

    „Diese Richtlinie betrifft die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe, die erforderlich sind, um die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sicherzustellen. …“

    5

    Art. 2 („Anwendungsbereich“) der Richtlinie sieht vor:

    „(1)   Unbeschadet etwaiger Instrumente in den Rechtsvorschriften der [Union] oder der Mitgliedstaaten, die für die Rechtsinhaber günstiger sind, finden die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe gemäß Artikel 3 auf jede Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums, die im [Unions]recht und/oder im innerstaatlichen Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehen sind, Anwendung.

    (3)   Diese Richtlinie berührt nicht:

    a)

    die [unionsrechtlichen] Bestimmungen zum materiellen Recht auf dem Gebiet des geistigen Eigentums …

    …“

    6

    Art. 3 („Allgemeine Verpflichtung“) der Richtlinie 2004/48 lautet:

    „(1)   Die Mitgliedstaaten sehen die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe vor, die zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, auf die diese Richtlinie abstellt, erforderlich sind. Diese Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe müssen fair und gerecht sein, außerdem dürfen sie nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sein und keine unangemessenen Fristen oder ungerechtfertigten Verzögerungen mit sich bringen.

    (2)   Diese Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe müssen darüber hinaus wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein und so angewendet werden, dass die Einrichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel vermieden wird und die Gewähr gegen ihren Missbrauch gegeben ist.“

    7

    Art. 4 („Zur Beantragung der Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe befugte Personen“) der Richtlinie bestimmt:

    „Die Mitgliedstaaten räumen den folgenden Personen das Recht ein, die in diesem Kapitel vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe zu beantragen:

    a)

    den Inhabern der Rechte des geistigen Eigentums im Einklang mit den Bestimmungen des anwendbaren Rechts,

    …“

    Richtlinie 2009/24

    8

    Im 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/24 heißt es:

    „Die nicht erlaubte Vervielfältigung, Übersetzung, Bearbeitung oder Änderung der Codeform einer Kopie eines Computerprogramms stellt eine Verletzung der Ausschließlichkeitsrechte des Urhebers dar. …“

    9

    Art. 1 der Richtlinie 2009/24 definiert in seinem Abs. 1 ihren Gegenstand:

    „Gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie schützen die Mitgliedstaaten Computerprogramme urheberrechtlich als literarische Werke im Sinne der Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und der Kunst. …“

    10

    Art. 4 („Zustimmungsbedürftige Handlungen“) dieser Richtlinie bestimmt:

    „(1)   Vorbehaltlich der Bestimmungen der Artikel 5 und 6 umfassen die Ausschließlichkeitsrechte des Rechtsinhabers im Sinne des Artikels 2 das Recht, folgende Handlungen vorzunehmen oder zu gestatten:

    b)

    die Übersetzung, die Bearbeitung, das Arrangement und andere Umarbeitungen eines Computerprogramms sowie die Vervielfältigung der erzielten Ergebnisse, unbeschadet der Rechte der Person, die das Programm umarbeitet;

    …“

    11

    Art. 5 („Ausnahmen von den zustimmungsbedürftigen Handlungen“) der Richtlinie sieht in seinem Abs. 1 vor:

    „In Ermangelung spezifischer vertraglicher Bestimmungen bedürfen die in Artikel 4 Absatz 1 Buchstaben a und b genannten Handlungen nicht der Zustimmung des Rechtsinhabers, wenn sie für eine bestimmungsgemäße Benutzung des Computerprogramms einschließlich der Fehlerberichtigung durch den rechtmäßigen Erwerber notwendig sind.“

    12

    Nach Art. 8 Unterabs. 1 der Richtlinie 2009/24 stehen deren Bestimmungen sonstigen Rechtsvorschriften u. a. aus dem Vertragsrecht nicht entgegen.

    Französisches Recht

    13

    Art. L. 112‑2 des Code de la propriété intellectuelle (Gesetzbuch über das geistige Eigentum) sieht vor:

    „Als geistige Werke im Sinne dieses Gesetzbuchs gelten unter anderem:

    13.

    Software einschließlich des Entwurfsmaterials zu ihrer Vorbereitung;

    …“

    14

    Art. L. 122-6 dieses Gesetzbuchs bestimmt:

    „Vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels L. 122‑6‑1 umfasst das Nutzungsrecht des Urhebers einer Software das Recht, folgende Handlungen vorzunehmen oder zu gestatten:

    1.

    die dauerhafte oder vorübergehende Vervielfältigung einer Software …;

    2.

    die Übersetzung, die Bearbeitung, das Arrangement oder jede andere Veränderung einer Software sowie die Vervielfältigung der erzielten Ergebnisse;

    …“

    15

    Art. L. 122-6-1 dieses Gesetzbuchs sieht vor:

    „I. Die in Artikel L. 122‑6 Nrn. 1 und 2 vorgesehenen Handlungen bedürfen nicht der Zustimmung des Urhebers, wenn sie für eine bestimmungsgemäße Benutzung der Software einschließlich der Fehlerberichtigung durch die dazu berechtigte Person notwendig sind.

    Der Urheber darf sich jedoch vertraglich das Recht vorbehalten, Fehler zu berichtigen und die besonderen Modalitäten festzulegen, denen die in Artikel L. 122‑6 Nrn. 1 und 2 vorgesehenen Handlungen unterliegen, die für eine bestimmungsgemäße Benutzung der Software durch die dazu berechtigte Person notwendig sind.

    …“

    16

    Art. L. 335‑3 Abs. 2 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum lautet:

    „Auch die Verletzung eines der in Artikel L. 122‑6 definierten Rechte des Urhebers einer Software ist ein Verletzungsdelikt (contrefaçon).“

    Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

    17

    Mit einem Vertrag vom 25. August 2010, geändert durch einen Nachtrag vom 1. April 2012, gewährte IT Development der Telefongesellschaft Free Mobile, die auf dem französischen Markt Pauschaltarife für Mobiltelefone anbietet, eine Lizenz und einen Wartungsvertrag für ein Softwarepaket namens ClickOnSite, einer Software für ein zentralisiertes Projektmanagement, die es Free Mobile ermöglichen sollte, die Entwicklung des Ausbaus ihrer Mobilfunkantennen durch ihre Teams und ihre externen technischen Dienstleister in Echtzeit zu organisieren und zu verfolgen.

    18

    Mit Schriftsatz vom 18. Juni 2015 erhob IT Development beim Tribunal de grande instance de Paris (Landgericht Paris, Frankreich) Klage gegen Free Mobile wegen deliktsrechtlicher Verletzungshandlungen („contrefaçon“) betreffend die Software ClickOnSite sowie wegen Ersatzes des ihr entstandenen Schadens. Free Mobile habe die Software u. a. durch die Schaffung neuer Formulare verändert. Als Begründung dafür, dass Free Mobile nicht berechtigt gewesen sei, diese nach Ansicht von IT Development wesentlichen Änderungen vorzunehmen, machte diese u. a. geltend, dass es dem Kunden gemäß Art. 6 („Umfang der Lizenz“) des Lizenzvertrags ausdrücklich untersagt sei, das Softwarepaket unmittelbar oder mittelbar zu vervielfältigen, es zu dekompilieren und/oder daran Maßnahmen des Reverse-Engineering durchzuführen sowie die Software zu ändern, zu korrigieren oder anzupassen sowie unmittelbar oder mittelbar sekundäre und ergänzende Werke in Bezug auf diese Software zu erstellen.

    19

    Free Mobile erhob Widerklage wegen Verfahrensmissbrauchs und trug vor, die Anträge von IT Development seien unzulässig und unbegründet.

    20

    Mit Urteil vom 6. Januar 2017 erklärte das Tribunal de grande instance de Paris (Landgericht Paris) die von IT Development geltend gemachten, auf eine unerlaubte Handlung von Free Mobile gestützten Haftungsansprüche für unzulässig, wies den Antrag von Free Mobile auf Schadensersatz wegen Verfahrensmissbrauchs zurück und verurteilte IT Development zur Tragung der Kosten. Nach Auffassung des Tribunal de grande instance de Paris (Landgericht Paris) bestehen im Bereich des geistigen Eigentums zwei gesonderte Haftungsregelungen, von denen die eine deliktischer Art sei und für die Verletzung der gesetzlich festgelegten Nutzungsrechte des Urhebers der Software gelte, während die andere vertraglicher Art sei und für die Verletzung eines vertraglich vorbehaltenen Urheberrechts gelte. Im vorliegenden Fall würden Free Mobile eindeutig keine unerlaubten Handlungen in Form von die Software betreffenden deliktsrechtlichen Verletzungshandlungen, sondern Verstöße gegen ihre vertraglichen Verpflichtungen vorgeworfen, die mit einer Klage wegen vertraglicher Haftung geltend gemacht werden müssten.

    21

    IT Development legte gegen dieses Urteil Rechtsmittel bei der Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris) ein und beantragt, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und ihre Verletzungsklage für zulässig zu erklären. Außerdem beantragt IT Development, in Bezug auf die von Free Mobile an der Software vorgenommenen Veränderungen festzustellen, dass es sich dabei um deliktsrechtliche Verletzungshandlungen handele, und diese Gesellschaft zur Zahlung eines Betrags von 1440000 Euro als Ersatz für den entstandenen Schaden sowie, hilfsweise, auf vertragsrechtlicher Grundlage auf Zahlung eines Betrags von 840000 Euro als Ersatz für diesen Schaden zu verurteilen. Darüber hinaus beantragt IT Development, es Free Mobile und ihrer Subunternehmerin Coraso unter Androhung eines Zwangsgelds zu verbieten, die Software zu nutzen sowie aus ihr Daten auszulesen und wiederzuverwenden.

    22

    Free Mobile beantragt vor der Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris) u. a. das erstinstanzliche Urteil zu bestätigen, IT Development zur Zahlung eines Betrags von 50000 Euro als Schadensersatz wegen Verfahrensmissbrauchs zu verurteilen und alle Anträge von IT Development für unzulässig oder jedenfalls für unbegründet zu erklären.

    23

    Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass im französischen Recht die zivilrechtliche Haftung auf dem Prinzip des Kumulierungsverbots beruhe. Dies bedeute, dass zum einen eine Person von einer anderen Person für denselben Sachverhalt nicht gleichzeitig vertrags- und deliktsrechtlich haftbar gemacht werden könne und dass zum anderen die deliktsrechtliche Haftung durch die vertragsrechtliche Haftung verdrängt werde, wenn diese Personen gegenseitig durch einen gültigen Vertrag gebunden seien und sich der von einer Partei erlittene Schaden aus der Nichterfüllung oder der Schlechterfüllung der vertraglichen Verpflichtungen der anderen Partei ergebe. Außerdem falle nach französischem Recht die „contrefaçon“ (deliktsrechtliche Verletzungshandlung), bei der es sich ursprünglich um einen Straftatbestand handele, unter die Haftung aus unerlaubter Handlung. Allerdings gebe es keine Vorschrift, wonach eine deliktsrechtliche Verletzungshandlung ausgeschlossen sei, wenn die Parteien vertraglich gebunden seien. So könne eine Verletzungsklage etwa im Bereich von Patenten und Marken gegen den Lizenznehmer erhoben werden, der die Grenzen seines Vertrags überschreite.

    24

    Das vorlegende Gericht stellt jedoch fest, dass Art. 2 der Richtlinie 2004/48, der deren Anwendungsbereich eingrenze, allgemein bestimme, dass die in der Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe auf jede Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums Anwendung fänden, ohne danach zu unterscheiden, ob diese Verletzung aus der Nichterfüllung eines Vertrags resultiere oder nicht.

    25

    Unter diesen Umständen hat die Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    Stellt die Tatsache, dass ein Lizenznehmer einer Software die Bestimmungen eines Lizenzvertrags über die Software nicht einhält (wegen des Ablaufs eines Testzeitraums, der Überschreitung der zulässigen Zahl von Nutzern oder einer anderen Maßeinheit wie der Prozessoren, die zur Ausführung der Anweisungen der Software eingesetzt werden dürfen, oder durch die Änderung des Quellcodes der Software, wenn dazu nach der Lizenz nur der ursprüngliche Inhaber berechtigt ist),

    eine Verletzung (im Sinne der Richtlinie 2004/48) der dem Inhaber des Urheberrechts an der Software durch Art. 4 der Richtlinie 2009/24 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen vorbehaltenen Rechte dar,

    oder kann sie unter eine gesonderte rechtliche Regelung wie die Regelung des allgemeinen Rechts der vertraglichen Haftung fallen?

    Zur Vorlagefrage

    26

    Vorab ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (Urteile vom 28. Juni 2018, Crespo Rey, C‑2/17, EU:C:2018:511, Rn. 40, und vom 26. September 2019, UTEP 2006., C‑600/18, EU:C:2019:784, Rn. 17 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    27

    Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass die Problemstellung des Ausgangsverfahrens die Anwendung des Kumulierungsverbots betrifft, wonach die deliktsrechtliche Haftung ausgeschlossen ist, wenn eine Klage wie die im Ausgangsverfahren auf der behaupteten Verletzung vertraglicher Verpflichtungen und nicht auf deliktsrechtlichen Verletzungshandlungen beruht.

    28

    Wie das vorlegende Gericht ausführt, kann gemäß diesem Prinzip des französischen Rechts zum einen eine Person von einer anderen Person für denselben Sachverhalt nicht gleichzeitig vertrags- und deliktsrechtlich haftbar gemacht werden und wird zum anderen die deliktsrechtliche Haftung durch die vertragsrechtliche Haftung verdrängt, wenn diese Personen gegenseitig durch einen gültigen Vertrag gebunden sind und sich der von einer Partei erlittene Schaden aus der Nichterfüllung oder der Schlechterfüllung der vertraglichen Verpflichtungen der anderen Partei ergibt.

    29

    Außerdem hat das vorlegende Gericht darauf hingewiesen, dass es sich bei der „contrefaçon“ (deliktsrechtliche Verletzungshandlung) nach französischem Recht um einen Straftatbestand handelt, der für gewöhnlich unter die Haftung aus unerlaubter Handlung und nicht unter die Nichterfüllung eines Vertrags fällt. Überdies trägt die französische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen vor, dass es sich bei dem Begriff „contrefaçon“ um die Übernahme des Ausdrucks „gewerbliche Schutzrechte … verletzen“ im Sinne der Richtlinie 2004/48 ins französische Recht handele, so dass die Regelungen des französischen Rechts zur Verletzungsklage eine Umsetzung dieser Richtlinie darstellten.

    30

    Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner Vorlagefrage wissen möchte, ob die Richtlinien 2004/48 und 2009/24 dahin auszulegen sind, dass die Verletzung einer Klausel eines Lizenzvertrags für ein Computerprogramm, die die gewerblichen Schutzrechte des Inhabers der Urheberrechte an diesem Programm betrifft, unter den Begriff „gewerbliche Schutzrechte … verletzen“ im Sinne der Richtlinie 2004/48 fällt und folglich der Inhaber die in dieser Richtlinie vorgesehenen Garantien unabhängig von der nach nationalem Recht anwendbaren Haftungsregelung in Anspruch nehmen darf.

    31

    Das vorlegende Gericht zählt in der Vorlagefrage mehrere Möglichkeiten der Verletzung eines Software-Vertrags auf, nämlich die Nichtbeachtung des Ablaufs eines Testzeitraums durch den Lizenznehmer, die Überschreitung der zulässigen Zahl von Nutzern oder einer anderen Maßeinheit – etwa der zur Ausführung der Anweisungen der Software zugelassenen Prozessoren – oder eine Änderung des Quellcodes der Software, wenn die Lizenz dieses Recht dem ursprünglichen Inhaber vorbehält. Im Ausgangsverfahren geht es jedoch nur um die letzte Fallgestaltung, so dass vorliegend nur auf diese einzugehen ist.

    32

    Nach Art. 1 der Richtlinie 2009/24, die die materiellen Rechte der Urheber von Computerprogrammen festlegt, müssen die Mitgliedstaaten Computerprogramme urheberrechtlich als literarische Werke schützen. Nach Art. 4 der Richtlinie umfassen die Ausschließlichkeitsrechte des Inhabers dieser von den Mitgliedstaaten zu schützenden Programme mit Ausnahme von in der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen u. a. das Recht, die Übersetzung, die Bearbeitung, das Arrangement und andere Umarbeitungen eines Computerprogramms vorzunehmen oder zu gestatten. Das Verbot, den Quellcode einer Software zu ändern, fällt somit unter die an einem Computerprogramm bestehenden Urheberrechte, deren Schutz die Richtlinie 2009/24 vorsieht. Zudem wird nach Art. 3 der Richtlinie ein solcher Schutz allen natürlichen und juristischen Personen gemäß dem für Werke der Literatur geltenden innerstaatlichen Urheberrecht gewährt.

    33

    Folglich macht die Richtlinie 2009/24 den Schutz der Inhaber von Urheberrechten an einem Computerprogramm nicht von der Frage abhängig, ob die behauptete Verletzung dieser Rechte auf den Verstoß gegen einen Lizenzvertrag zurückzuführen ist oder nicht.

    34

    Insoweit ist festzustellen, dass sich der 15. Erwägungsgrund der Richtlinie auf den Hinweis beschränkt, dass die Bearbeitung oder Änderung der Codeform einer Kopie eines Computerprogramms eine „Verletzung der Ausschließlichkeitsrechte des Urhebers“ darstellt, ohne genauer anzugeben, ob diese Verletzung vertraglichen oder sonstigen Ursprungs ist.

    35

    Die Richtlinie 2004/48 sieht, wie sich aus ihren Erwägungsgründen 10 und 15 sowie ihrem Art. 1 ergibt, die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe vor, die erforderlich sind, um die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sicherzustellen; hierzu gehören auch die Rechte gemäß der Richtlinie 2009/24.

    36

    Die Richtlinie 2004/48 findet gemäß ihrem Art. 2 Abs. 1 „auf jede Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums … Anwendung“. Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift, insbesondere aus dem Pronomen „jede“, geht hervor, dass diese Richtlinie dahin auszulegen ist, dass sie auch Verletzungen umfasst, die auf der Nichterfüllung einer Vertragsklausel über die Nutzung eines Rechts des geistigen Eigentums einschließlich des Urheberrechts an einem Computerprogramm beruhen.

    37

    Diese Feststellung wird bestätigt durch die Ziele der Richtlinie 2004/48 und den Zusammenhang, in den sich ihr Art. 2 Abs. 1 einfügt; beide sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Auslegung dieser Vorschrift zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Mai 2016, Envirotec Denmark, C‑550/14, EU:C:2016:354, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    38

    Was zunächst das Ziel der Richtlinie 2004/48 betrifft, so geht aus deren Erwägungsgründen 10 und 13 hervor, dass dieses Ziel darin besteht, die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten einander anzunähern, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten, und dass der Anwendungsbereich der Richtlinie so breit wie möglich gewählt werden muss, damit er alle Rechte des geistigen Eigentums erfasst, die den diesbezüglichen Vorschriften des Unionsrechts oder den Rechtsvorschriften der jeweiligen Mitgliedstaaten unterliegen.

    39

    Außerdem besteht das Ziel der Richtlinie 2004/48 nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs darin, dass die Mitgliedstaaten namentlich in der Informationsgesellschaft den effektiven Schutz des geistigen Eigentums sicherstellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juli 2011, L’Oréal u. a., C‑324/09, EU:C:2011:474, Rn. 131).

    40

    Weiter geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass die Bestimmungen der Richtlinie 2004/48 darauf abzielen, diejenigen Aspekte im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums zu regeln, die zum einen eng mit der Durchsetzung dieser Rechte verbunden sind und zum anderen Verletzungen dieser Rechte betreffen, indem sie das Vorhandensein wirksamer Rechtsbehelfe vorschreiben, die dazu bestimmt sind, jede Verletzung eines bestehenden Rechts des geistigen Eigentums zu verhüten, abzustellen oder zu beheben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. April 2014, ACI Adam u. a., C‑435/12, EU:C:2014:254, Rn. 61 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    41

    Sodann sieht die Richtlinie 2004/48 in Bezug auf den Zusammenhang, in den sich ihr Art. 2 Abs. 1 einfügt, in ihrem Art. 4 vor, dass jedem Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums das Recht eingeräumt wird, im Einklang mit den Bestimmungen des anwendbaren Rechts die in der Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe zu beantragen. Die Möglichkeit, einen solchen Antrag zu stellen, unterliegt keiner Beschränkung in Bezug darauf, ob diese Verletzung vertraglichen oder sonstigen Ursprungs ist.

    42

    Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist festzustellen, dass die Verletzung einer Klausel eines Lizenzvertrags für ein Computerprogramm, die die gewerblichen Schutzrechte des Inhabers der Urheberrechte an diesem Programm betrifft, unter den Begriff „gewerbliche Schutzrechte … verletzen“ im Sinne der Richtlinie 2004/48 fällt und folglich der Inhaber die Möglichkeit haben muss, die in dieser Richtlinie vorgesehenen Garantien in Anspruch zu nehmen.

    43

    Auch wenn durch die Richtlinie 2004/48 die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe im Hinblick auf die Inhaber der Rechte am geistigen Eigentum festgelegt werden sollen, was auch die in der Richtlinie 2009/24 vorgesehenen Urheberrechte an Computerprogrammen umfasst, bestimmt die Richtlinie 2004/48 aber nicht die genauen Modalitäten zur Anwendung dieser Garantien und sieht auch nicht die Anwendung einer besonderen Haftungsregelung bei Verstößen gegen diese Rechte vor.

    44

    Folglich kann der nationale Gesetzgeber weiterhin die konkreten Modalitäten betreffend den Schutz dieser Rechte frei festlegen und u. a. die vertrags- oder deliktsrechtliche Natur der Klage definieren, die dem Inhaber dieser Rechte im Fall einer Verletzung seiner gewerblichen Schutzrechte gegen einen Lizenznehmer eines Computerprogramms zur Verfügung steht. Jedoch ist die Einhaltung der Anforderungen der Richtlinie 2004/48 in allen Fällen unerlässlich.

    45

    Insoweit geht insbesondere aus Art. 3 dieser Richtlinie hervor, dass die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe, die zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums erforderlich sind, fair und gerecht sein müssen, nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sein und keine unangemessenen Fristen oder ungerechtfertigten Verzögerungen mit sich bringen dürfen. Außerdem müssen sie wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein und so angewendet werden, dass die Errichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel vermieden wird und die Gewähr gegen ihren Missbrauch gegeben ist.

    46

    Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Bestimmung der Haftungsregelung, die auf Verletzungen von Urheberrechten an einem Computerprogramm durch einen Lizenznehmer dieses Programms anwendbar sind, in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. Die Anwendung einer bestimmten Haftungsregelung darf jedoch unter keinen Umständen ein Hindernis für den effektiven Schutz der Rechte am geistigen Eigentum des Inhabers der Urheberrechte an diesem Programm darstellen, wie er in den Richtlinien 2004/48 und 2009/24 festgelegt ist.

    47

    Im vorliegenden Fall weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass keine Bestimmung des nationalen Rechts über die deliktsrechtliche Verletzungshandlung ausdrücklich vorsieht, dass eine solche Handlung ausschließlich geltend gemacht werden kann, wenn die Parteien nicht durch einen Vertrag gebunden sind. Weiter führt das vorlegende Gericht aus, dass die deliktsrechtliche Verletzungshandlung im weitesten Sinne als eine Verletzung eines Rechts am geistigen Eigentum definiert wird, insbesondere als Verletzung eines Urheberrechts an einem Computerprogramm.

    48

    Insoweit ist das nationale Gericht nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs gemäß dem Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des innerstaatlichen Rechts verpflichtet, das nationale Recht so weit wie möglich in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht auszulegen, und somit im Rahmen seiner Zuständigkeit die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen, wenn es über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit entscheidet. Gemäß diesem Grundsatz hat das nationale Gericht das gesamte nationale Recht zu berücksichtigen, um zu beurteilen, inwieweit es so angewandt werden kann, dass kein dem Unionsrecht widersprechendes Ergebnis erzielt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. Dezember 2013, Koushkaki, C‑84/12, EU:C:2013:862, Rn. 75 und 76, sowie vom 24. Juni 2019, Popławski, C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 55). Im Hinblick auf die Angaben in der vorstehenden Randnummer und vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht ist im vorliegenden Fall eine mit den Anforderungen der Richtlinien 2004/48 und 2009/24 vereinbare Auslegung möglich.

    49

    Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Richtlinien 2004/48 und 2009/24 dahin auszulegen sind, dass die Verletzung einer Klausel eines Lizenzvertrags für ein Computerprogramm, die die gewerblichen Schutzrechte des Inhabers der Urheberrechte an diesem Programm betrifft, unter den Begriff „gewerbliche Schutzrechte … verletzen“ im Sinne der Richtlinie 2004/48 fällt und folglich der Inhaber die in dieser Richtlinie vorgesehenen Garantien unabhängig von der nach nationalem Recht anwendbaren Haftungsregelung in Anspruch nehmen darf.

    Kosten

    50

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

     

    Die Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums und die Richtlinie 2009/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen sind dahin auszulegen, dass die Verletzung einer Klausel eines Lizenzvertrags für ein Computerprogramm, die die gewerblichen Schutzrechte des Inhabers der Urheberrechte an diesem Programm betrifft, unter den Begriff „gewerbliche Schutzrechte … verletzen“ im Sinne der Richtlinie 2004/48 fällt und folglich der Inhaber die in dieser Richtlinie vorgesehenen Garantien unabhängig von der nach nationalem Recht anwendbaren Haftungsregelung in Anspruch nehmen darf.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

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