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Document 62018CJ0632

Urteil des Gerichtshofs (Achte Kammer) vom 3. Oktober 2019.
Fonds du Logement de la Région de Bruxelles-Capitale SCRL gegen Institut des Comptes nationaux (ICN).
Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d'État (Belgien).
Vorlage zur Vorabentscheidung – Wirtschafts- und Währungspolitik – Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen auf nationaler und regionaler Ebene in der Europäischen Union – Verordnung (EU) Nr. 549/2013 – Sektor Staat – Firmeneigene Finanzierungseinrichtung – Begriff – Gesellschaft, die unter staatlicher Kontrolle den Haushalten mit mittleren oder geringen Einkommen Hypothekarkredite anbietet.
Rechtssache C-632/18.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2019:833

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

3. Oktober 2019 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Wirtschafts- und Währungspolitik – Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen auf nationaler und regionaler Ebene in der Europäischen Union – Verordnung (EU) Nr. 549/2013 – Sektor Staat – Firmeneigene Finanzierungseinrichtung – Begriff – Gesellschaft, die unter staatlicher Kontrolle den Haushalten mit mittleren oder geringen Einkommen Hypothekarkredite anbietet“

In der Rechtssache C‑632/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) mit Entscheidung vom 28. September 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Oktober 2018, in dem Verfahren

Fonds du Logement de la Région de Bruxelles-Capitale SCRL

gegen

Institut des Comptes nationaux (ICN)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen, des Richters C. G. Fernlund und der Richterin L. S. Rossi (Berichterstatterin),

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Mai 2019,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Fonds du Logement de la Région de Bruxelles-Capitale SCRL, vertreten durch E. van Nuffel d’Heynsbroeck, K. Munungu und L. Bersou, avocats,

des Institut des Comptes nationaux (ICN), vertreten durch J.‑F. De Bock und P. Michou, avocats,

der Europäischen Kommission, vertreten durch J.‑P. Keppenne und F. Simonetti als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EU) Nr. 549/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 zum Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen auf nationaler und regionaler Ebene in der Europäischen Union (ABl. 2013, L 174, S. 1).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Fonds du Logement de la Région de Bruxelles-Capitale SCRL (im Folgenden: Fonds) und dem Institut des Comptes nationaux (ICN), in dem es darum geht, ob das ICN den Fonds auf der Grundlage des durch die Verordnung Nr. 549/2013 eingeführten überarbeiteten Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (im Folgenden: ESVG 2010) zu Recht dem Sektor Staat zugeordnet hat.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Das Europäische System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG) ist das Statistik- und Rechtsinstrument, das die Europäische Union geschaffen hat, um einen vergleichbaren Informationsstand bezüglich der Struktur der Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten und ihrer Entwicklung zu gewährleisten. Ein erstes ESVG mit der Bezeichnung „ESVG 95“ wurde mit der Verordnung (EG) Nr. 2223/96 des Rates vom 25. Juni 1996 zum Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen auf nationaler und regionaler Ebene in der Europäischen Gemeinschaft (ABl. 1996, L 310, S. 1) eingeführt. Das durch die Verordnung Nr. 549/2013 eingeführte ESVG 2010 hat das ESVG 95 abgelöst.

4

Der dritte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 549/2013 lautet:

„Für die Bürgerinnen und Bürger der Union sind die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen als Instrument für die Analyse des Wirtschaftsgeschehens in einem Mitgliedstaat oder einer Region von grundlegender Bedeutung. Zur besseren Vergleichbarkeit sollten diese Gesamtrechnungen nach einheitlichen Grundsätzen erstellt werden, die unterschiedliche Auslegungen nicht zulassen. Die Informationen sollten so genau, vollständig und frühzeitig wie möglich vorliegen, damit für alle Sektoren ein Höchstmaß an Transparenz gewährleistet ist.“

5

Im 14. Erwägungsgrund dieser Verordnung heißt es:

„Das ESVG 2010 ersetzt nach und nach alle anderen Systeme als Bezugsrahmen der gemeinsamen Normen, Definitionen, Klassifikationen und Buchungsregeln für die Erstellung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Mitgliedstaaten für die Zwecke der Union und ermöglicht es dadurch, zu Ergebnissen zu gelangen, die zwischen den Mitgliedstaaten vergleichbar sind.“

6

In Art. 1 Abs. 1 und 2 der Verordnung ist zu lesen:

„(1)   Mit dieser Verordnung wird das [ESVG 2010] eingeführt.

(2)   Das ESVG 2010 legt Folgendes fest:

a)

eine Methodik (Anhang A) für die gemeinsamen Normen, Definitionen, Klassifikationen und Buchungsregeln, die zur Erstellung von Konten und Tabellen auf vergleichbaren Grundlagen für die Zwecke der Union sowie der Ergebnisse nach Artikel 3 verwendet wird;

b)

ein Programm (Anhang B) mit den Fristen, innerhalb deren die Mitgliedstaaten der Kommission (Eurostat) die nach der unter Buchstabe a genannten Methodik zu erstellenden Konten und Tabellen übermitteln.“

7

Anhang A Kapitel 1 der Verordnung, das die allgemeinen Merkmale und Grundprinzipien des ESVG 2010 darlegt, enthält u. a. die Nrn. 1.01, 1.19, 1.34, 1.35, 1.36 und 1.57 dieses Anhangs, die wie folgt lauten:

„1.01

Das [ESVG 2010] ist ein international vereinheitlichtes Rechnungssystem, das systematisch und detailliert eine Volkswirtschaft (Region, Land, Ländergruppe) mit ihren wesentlichen Merkmalen und den Beziehungen zu anderen Volkswirtschaften beschreibt.

1.19

Für die [Union] und ihre Mitgliedstaaten spielen die nach den ESVG-Konzepten berechneten Daten bei der Festlegung und Überwachung der Wirtschafts- und Sozialpolitik eine wichtige Rolle.

1.34

Sektorkonten werden durch Zuordnung von Einheiten zu Sektoren erstellt, was die Darstellung von Transaktionen und Kontensalden der Gesamtrechnungen nach Sektor ermöglicht. Durch die Darstellung nach Sektor werden viele zentrale Größen für wirtschafts- und finanzpolitische Zwecke deutlich. Die wichtigsten Sektoren sind private Haushalte, Staat, Kapitalgesellschaften (finanzielle und nichtfinanzielle), private Organisationen ohne Erwerbszweck und übrige Welt.

Die Unterscheidung zwischen marktbestimmten und nichtmarktbestimmten Tätigkeiten ist wichtig. Eine Einheit unter der Kontrolle des Staates, die als marktbestimmte Kapitalgesellschaft eingestuft wird, wird dem Sektor Kapitalgesellschaften … und nicht dem Sektor Staat zugeordnet. Somit werden das Defizit und die Schulden der Kapitalgesellschaft nicht dem Defizit und Schuldenstand des Staates zugerechnet.

1.35

Es ist wichtig, klare und robuste Kriterien für die Zuordnung von Einheiten zu Sektoren festzulegen.

Zum öffentlichen Sektor gehören alle in der Volkswirtschaft ansässigen institutionellen Einheiten, die vom Staat kontrolliert werden. Zum privaten Sektor gehören alle übrigen gebietsansässigen Einheiten.

In Tabelle 1.1 werden die Kriterien für die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Sektor dargestellt sowie im öffentlichen Sektor für die Unterscheidung zwischen dem Sektor Staat und dem Sektor öffentliche Kapitalgesellschaften und im privaten Sektor zwischen dem Sektor private Organisationen ohne Erwerbszweck und dem Sektor private Kapitalgesellschaften.

Tabelle 1.1

Kriterien

Staatlich kontrolliert

(öffentlicher Sektor)

Privat kontrolliert

(privater Sektor)

Nichtmarktproduktion

Staat

Private Organisationen ohne Erwerbszweck

Marktproduktion

Öffentliche Kapitalgesellschaften

Private Kapitalgesellschaften

1.36

Kontrolle wird definiert als die Fähigkeit, die allgemeine Politik oder das allgemeine Programm einer institutionellen Einheit zu bestimmen. Die Nummern 2.35 bis 2.39 enthalten weitere Einzelheiten zur Definition der Kontrolle.

1.57

Institutionelle Einheiten sind wirtschaftliche Einheiten, die Eigentümer von Waren und Vermögenswerten sein können und eigenständig Verbindlichkeiten eingehen, wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben und Transaktionen mit anderen Einheiten vornehmen können. Im ESVG 2010 sind die institutionellen Einheiten zu den fünf inländischen institutionellen Sektoren zusammengefasst:

a)

nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften,

b)

finanzielle Kapitalgesellschaften,

c)

Staat,

d)

private Haushalte,

e)

private Organisationen ohne Erwerbszweck.

Die fünf Sektoren bilden zusammen die inländische Volkswirtschaft. Jeder Sektor ist in Teilsektoren untergliedert. Das ESVG 2010 ermöglicht es, dass für jeden Sektor (und Teilsektor) sowie für die Volkswirtschaft ein vollständiger Satz von Transaktionskonten und Vermögensbilanzen erstellt wird. Gebietsfremde Einheiten können mit diesen fünf inländischen Sektoren in Beziehung treten, wobei diese Interaktionen zwischen den fünf inländischen Sektoren und einem sechsten institutionellen Sektor ausgewiesen werden: dem Sektor übrige Welt.

…“

8

Anhang A Kapitel 2 („Einheiten und ihre Zusammenfassungen“) der Verordnung Nr. 549/2013 enthält u. a. die Nrn. 2.21 bis 2.23, 2.27 und 2.28 dieses Anhangs, in denen es heißt:

„Firmeneigene Finanzierungseinrichtungen

2.21

Eine Holdinggesellschaft, die lediglich die Vermögenswerte von Tochterunternehmen hält, ist ein Beispiel für eine firmeneigene Finanzierungseinrichtung. Beispiele für andere Einheiten, die ebenfalls als firmeneigene Finanzierungseinrichtungen behandelt werden, sind Einheiten mit den vorstehend beschriebenen Merkmalen von Zweckgesellschaften, einschließlich Investmentfonds und Altersvorsorgeeinrichtungen sowie Einheiten, die zur Haltung und Verwaltung von Vermögen für Einzelpersonen oder Familien, zur Emission von Schuldtiteln im Namen verbundener Unternehmen (ein solches Unternehmen wird möglicherweise als Conduit bezeichnet) und zur Ausübung sonstiger finanzieller Aufgaben herangezogen werden.

2.22

Der Grad der Unabhängigkeit dieser Einheit von der Muttergesellschaft ist daran zu erkennen, in welchem Umfang eine materielle Kontrolle über die Forderungen und Verbindlichkeiten dieser Einheit ausgeübt wird, d. h. die mit den Forderungen und Verbindlichkeiten verbundenen Risiken getragen und die entsprechenden Vorteile genutzt werden. Diese Einheiten werden dem Sektor finanzielle Kapitalgesellschaften zugeordnet.

2.23

Eine Einheit dieser Art, die nicht unabhängig von ihrer Muttergesellschaft handeln kann und Forderungen und Verbindlichkeiten lediglich passiv hält (was gelegentlich als ‚ferngesteuert‘ bezeichnet wird), wird nicht als getrennte institutionelle Einheit behandelt, es sei denn, sie ist in einer anderen Volkswirtschaft als ihre Muttergesellschaft ansässig. Ist die Einheit in derselben Volkswirtschaft wie die Muttergesellschaft ansässig, wird sie als ‚künstliches Tochterunternehmen‘ wie nachstehend beschrieben eingestuft.

Zweckgesellschaften des Staates

2.27

Auch der Staat kann besondere Zweckeinheiten errichten, die ähnliche Merkmale und Funktionen wie die firmeneigenen Finanzierungseinrichtungen und künstlichen Tochterunternehmen aufweisen. Diese Einheiten sind nicht zu eigenständigem Handeln ermächtigt, das Spektrum der Transaktionen, die sie vornehmen können, ist begrenzt. Weder übernehmen sie die Risiken der von ihnen gehaltenen Forderungen und Verbindlichkeiten noch kommen ihnen deren Vorteile zugute. Sind diese Einheiten gebietsansässig, werden sie als Bestandteil des Staates und nicht als separate Einheiten behandelt. Sind sie gebietsfremd, werden sie als separate Einheiten betrachtet. Alle Transaktionen, die die Zweckgesellschaft im Ausland vornimmt, spiegeln sich in den entsprechenden Transaktionen mit dem Staat wider. Eine Einheit, die im Ausland einen Kredit aufnimmt, wird demnach so behandelt, als ob sie denselben Betrag an den Staat verleiht, und zwar zu denselben Bedingungen wie im ursprünglichen Darlehen.

2.28

Zusammengefasst: Die Abschlüsse der Zweckgesellschaften ohne eigenständige Handlungsbefugnisse werden mit der Muttergesellschaft konsolidiert, es sei denn, sie sind in einer anderen Volkswirtschaft als diese ansässig. Von dieser allgemeinen Regel gibt es eine einzige Ausnahme, wenn nämlich eine gebietsfremde Zweckgesellschaft vom Staat errichtet wird.“

9

Ebenfalls in Anhang A Kapitel 2 dieser Verordnung befinden sich unter der Überschrift „Die institutionellen Sektoren“ die Nrn. 2.31 ff. dieses Anhangs. In diesen Nummern werden die institutionellen Sektoren und Teilsektoren aufgezählt, denen institutionelle Einheiten mit gleichartigem wirtschaftlichem Verhalten zuzuordnen sind. Die in Nr. 2.32 dieses Anhangs enthaltene Abbildung 2.1 veranschaulicht in Form eines Entscheidungsbaums das Verfahren der Zuordnung der Einheiten zu den Sektoren. Zu diesen Sektoren zählen der Sektor Staat (S.13) und der Sektor finanzielle Kapitalgesellschaften (S.12). Den Nrn. 2.66 und 2.71 dieses Anhangs ist zu entnehmen, dass der Sektor finanzielle Kapitalgesellschaften die dort aufgezählten neun Teilsektoren umfasst und dass jeder dieser Teilsektoren weiter untergliedert wird, je nachdem, ob die betreffende finanzielle Kapitalgesellschaft unter öffentlicher, inländischer privater oder ausländischer Kontrolle steht.

10

Anhang A Kapitel 20 („Die Konten des Sektors Staat“) der Verordnung Nr. 549/2013 definiert u. a., was unter dem „Sektor Staat“ zu verstehen ist. Zu diesem Kapitel gehört Nr. 20.17 dieses Anhangs, in der es heißt:

„Sonstige Einheiten des Sektors Staat

20.17

Die Zuordnung von Produzenten von Waren und Dienstleistungen, die unter dem Einfluss staatlicher Einheiten tätig sind, kann schwierig sein. Sie können dem Sektor Staat oder, wenn sie als institutionelle Einheiten einzustufen sind, öffentlichen Kapitalgesellschaften zugeordnet werden. In solchen Fällen wird der nachstehende Entscheidungsbaum verwendet.

Abbildung 20.1 – Entscheidungsbaum

Image

11

Die Nrn. 20.19 ff. von Anhang A der Verordnung Nr. 549/2013 betreffen die „Markt‑/Nichtmarktabgrenzung“. Insbesondere sieht Nr. 20.29 einen „Markt‑/Nichtmarkttest“ vor, wonach eine öffentliche Einheit, um als Marktproduzent angesehen zu werden, wenigstens 50 % ihrer Kosten über einen aussagefähigen Mehrjahreszeitraum durch ihre Verkaufserlöse decken muss.

12

Die unter der Überschrift „Finanzielle Mittlertätigkeit und die Abgrenzung des Staates“ zusammengefassten Nrn. 20.32 bis 20.34 von Anhang A dieser Verordnung lauten:

„20.32

Der Fall von Einheiten, die finanziellen Tätigkeiten nachgehen, bedarf einer besonderen Betrachtung. Die finanzielle Mittlertätigkeit von Einheiten besteht darin, im Rahmen von finanziellen Transaktionen für eigene Rechnung Forderungen zu erwerben und gleichzeitig Verbindlichkeiten einzugehen.

20.33

Ein finanzieller Mittler geht durch das Eingehen von Verbindlichkeiten auf eigene Rechnung selbst Risiken ein. Wenn beispielsweise eine öffentliche finanzielle Einheit Vermögen verwaltet, aber kein Risiko trägt, weil sie keine Verbindlichkeiten eingeht, ist sie kein finanzieller Mittler und wird nicht dem Sektor finanzielle Kapitalgesellschaften, sondern dem Sektor Staat zugerechnet.

20.34

Die Anwendung des quantitativen Kriteriums des Markt‑/Nichtmarkttests auf öffentliche Kapitalgesellschaften, die als finanzielle Mittler tätig sind oder Vermögen verwalten, ist im Allgemeinen nicht von Belang, da deren Einnahmen sowohl aus Vermögenseinkommen als auch aus Umbewertungsgewinnen stammen.“

Belgisches Recht

13

Die Ordonnance de la Région de Bruxelles-Capitale, du 17 juillet 2003, portant le code bruxellois du logement (Ordonnanz der Region Brüssel-Hauptstadt vom 17. Juli 2003 betreffend das Brüsseler Wohngesetzbuch, Moniteur belge vom 29. April 2004, S. 35501) in der durch die Ordonnance de la Région de Bruxelles-Capitale, du 11 juillet 2013 (Ordonnanz der Region Brüssel-Hauptstadt vom 11. Juli 2013, Moniteur belge vom 18. Juli 2013, S. 45239, berichtigt im Moniteur belge vom 26. Juli 2013, S. 47151) geänderten Fassung (im Folgenden: Brüsseler Wohngesetzbuch) enthält einen Titel IV mit der Überschrift „Zuständige Einrichtungen im Wohnungswesen“. In Kapitel VI dieses Titels, das den auf den Fonds anwendbaren Vorschriften gewidmet ist, befinden sich die Art. 111 bis 119 dieses Gesetzbuchs.

14

Art. 111 des Brüsseler Wohngesetzbuchs sieht vor:

„Der [Fonds] wird als Société coopérative à responsabilité limitée [(Genossenschaft mit beschränkter Haftung)] errichtet.

…“

15

Art. 112 Abs. 1 dieses Gesetzbuchs bestimmt:

„Der Fonds verfolgt u. a. die folgenden gemeinnützigen Aufgaben:

1.

Bereitstellung von Mitteln für Personen mit mittleren oder geringen Einkommen durch Gewährung von Hypothekarkrediten (deren Bedingungen von der Regierung festgelegt werden) für die Sanierung, den Um- oder Ausbau, den Erwerb in Volleigentum oder in Form eines sonstigen dinglichen Primärrechts, den Bau oder die Erhaltung einer in erster Linie zur persönlichen Nutzung bestimmten Wohnung oder für die Verbesserung der Energieeffizienz einer solchen Wohnung.

6.

Förderung von Versuchen und Denkprozessen auf diesen Gebieten und Unterbreiten von Vorschlägen an die Regierung für neue politische Maßnahmen“.

16

Art. 113 Abs. 1 des Brüsseler Wohngesetzbuchs lautet:

„Der Fonds übt seine Aufgaben nach den Prioritäten und Leitlinien aus, die in dem Verwaltungsvertrag festgelegt sind, den er mit der Regierung für die Dauer von fünf Jahren abschließt. In Ermangelung eines Verwaltungsvertrags legt die Regierung nach Anhörung des Fonds die besonderen Bedingungen der Durchführung von Art. 114 für die Dauer eines Haushaltsjahrs fest.“

17

Art. 115 dieses Gesetzbuchs lautet:

„Der Fonds erstellt jährlich einen Beurteilungsbericht über die Durchführung des Verwaltungsvertrags und legt ihn der Regierung vor, nachdem der/die in Art. 118 des vorliegenden Gesetzbuchs vorgesehene(n) Kommissar(e) der Regierung Stellung genommen hat/haben.“

18

Art. 116 Abs. 1 Unterabs. 1 des Gesetzbuchs sieht vor:

„Die Regierung kann dem Fonds gestatten, Darlehen aufzunehmen, für die sich die Region innerhalb des vom Parlament der Region Brüssel-Hauptstadt festgelegten Haushaltsrahmens verbürgt. Die Bürgschaft deckt auch die mit diesen Darlehen verbundenen Finanzverwaltungsgeschäfte ab.“

19

Art. 118 Abs. 1 des Gesetzbuchs hat folgenden Wortlaut:

„Der Fonds unterliegt der Kontrolle der Regierung. Diese Kontrolle wird durch zwei von der Regierung ernannte Kommissare ausgeübt, die unterschiedlichen Sprachgruppen angehören.“

20

Art. 1 des Arrêté du Gouvernement de la Région de Bruxelles-Capitale, du 2 mai 1996, déterminant les modalités de l’intervention à charge du budget de la Région de Bruxelles-Capitale auprès du Fonds du logement de la Région de Bruxelles-Capitale (Verordnung der Regierung der Region Brüssel-Hauptstadt vom 2. Mai 1996 zur Bestimmung der Modalitäten der Belastung des Haushalts der Region Brüssel-Hauptstadt beim Wohnraumfonds der Region Brüssel-Hauptstadt, Moniteur belge vom 26. November 1996, S. 29725) in der durch den Arrêté du Gouvernement de la Région de Bruxelles-Capitale, du 8 septembre 2011, modifiant plusieurs arrêtés relatifs au Fonds du Logement de la Région de Bruxelles-Capitale (Verordnung der Regierung der Region Brüssel-Hauptstadt vom 8. September 2011 zur Änderung mehrerer Verordnungen bezüglich des Wohnraumfonds der Region Brüssel-Hauptstadt, Moniteur belge vom 11. Oktober 2011, S. 62442) geänderten Fassung sieht vor:

„Im Rahmen der hierfür im Haushalt der Region Brüssel-Hauptstadt vorgesehenen Kreditgrenzen gewährt der für das Wohnungswesen zuständige Minister oder Staatssekretär dem [Fonds] Kapitalzuschüsse zur Finanzierung seiner Investitionen im Hinblick auf die Verwirklichung seiner gemeinnützigen Aufgaben im Sinne von Art. 80 [des Brüsseler Wohngesetzbuchs].“

21

In Art. 2 dieser Verordnung heißt es:

„Die Region Brüssel-Hauptstadt bürgt gegenüber den Anleihenzeichnern für die Bedienung der vom [Fonds] ausgegebenen Anleihen im Rahmen der von der Regierung der Region Brüssel-Hauptstadt pro Haushaltsjahr erteilten Genehmigung. Der Betrag und die Modalitäten dieser Anleihen werden von den für Haushalt und Wohnungswesen zuständigen Ministern oder Staatssekretären genehmigt.

…“

22

Die spezifischen Bedingungen der Darlehensvergabe werden im Arrêté du Gouvernement de la Région de Bruxelles-Capitale, du 22 mars 2008, relatif à l’utilisation par le Fonds du Logement de la Région de Bruxelles-Capitale, des capitaux provenant du fonds B2 pour ses opérations générales de crédits hypothécaires (Verordnung der Regierung der Region Brüssel-Hauptstadt vom 22. März 2008 über die Verwendung der Mittel aus dem Fonds B2 durch den Wohnraumfonds der Region Brüssel-Hauptstadt für seine allgemeinen Hypothekarkreditgeschäfte, Moniteur belge vom 10. Juni 2008, S. 29122) und im Arrêté du Gouvernement de la Région de Bruxelles-Capitale, du 22 mars 2008, relatif à l’utilisation, par le Fonds du Logement de la Région de Bruxelles-Capitale, des capitaux provenant du fonds B2, pour ses opérations de prêts hypothécaires complémentaires aux jeunes ménages (Verordnung der Regierung der Region Brüssel-Hauptstadt vom 22. März 2008 über die Verwendung der Mittel aus dem Fonds B2 durch den Wohnraumfonds der Region Brüssel-Hauptstadt für seine ergänzenden Hypothekarkreditgeschäfte mit jungen Haushalten, Moniteur belge vom 28. August 2008, S. 45028) geregelt.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

23

Ausweislich der dem Gerichtshof vorgelegten Akten ist der 1985 gegründete Fonds eine privatrechtliche Gesellschaft ohne staatliche Beteiligung an seinem Kapital oder an seinen Entscheidungsgremien. Er ist aus dem Fonds du logement de la Ligue des Familles nombreuses de Belgique (Wohnraumfonds des belgischen Bundes kinderreicher Familien) hervorgegangen, der 1929 gegründet wurde. Zweck des Fonds ist die Förderung des Zugangs zu Wohnraum und Wohneigentum für Personen mit geringem oder mittlerem Einkommen in der Region Brüssel-Hauptstadt. Hierfür ist er mit gemeinnützigen Aufgaben betraut, darunter insbesondere die Vergabe von Krediten an Haushalte für ihre Wohnungen (Erwerb und energetische Sanierung), die Schaffung von Wohnraum im Hinblick auf die Mietbeihilfe, die Gewährung der Mietbeihilfe und die Unterstützung bei der Stellung der Mietkaution. Zur Erfüllung seiner Aufgaben erhält der Fonds von der Region Brüssel-Hauptstadt u. a. Mittelzuweisungen, eine Bürgschaft für die von ihm aufgenommenen Darlehen und rückzahlbare Vorschüsse.

24

In Belgien ist das ICN dafür zuständig, die für das ESVG 2010 erforderlichen statistischen Daten zusammenzustellen und hierfür die verschiedenen Wirtschaftsteilnehmer in Sektoren einzuteilen, d. h. in die durch die Verordnung Nr. 549/2013 definierten Kategorien, wobei die wichtigsten Sektoren die privaten Haushalte, der Staat, die Kapitalgesellschaften (finanzielle und nicht finanzielle), die privaten Organisationen ohne Erwerbszweck und die übrige Welt sind.

25

Zu den zahlreichen Änderungen, die durch das ESVG 2010 im Vergleich zum ESVG 95 bewirkt wurden, zählt die Hinzufügung des neuen Teilsektors „Firmeneigene Finanzierungseinrichtungen und Kapitalgeber (S.127)“ und einer Gesamtheit von Regeln, mit denen festgelegt wird, unter welchen Voraussetzungen eine Einheit diesem neuen Teilsektor oder im Gegenteil dem Sektor ihrer Kontrolleinrichtung zugeordnet wird.

26

Nach dem Inkrafttreten des ESVG 2010 musste das ICN – ebenso wie die nationalen Statistikbehörden aller anderen Mitgliedstaaten – die Zuordnung zahlreicher öffentlicher Einheiten überprüfen, die zuvor nach dem ESVG 95 als finanzielle Kapitalgesellschaften (S.12) eingestuft worden waren, darunter der Fonds.

27

Mit Entscheidung vom 30. März 2015 befand das ICN unter Verweis auf die durch das ESVG 2010 eingeführten neuen Prinzipien und insbesondere auf den Entscheidungsbaum in Anhang A Nr. 20.17 der Verordnung Nr. 549/2013, der Fonds sei eine gesonderte institutionelle Einheit, die von den staatlichen Stellen auf Ebene der Region, d. h. der Region Brüssel-Hauptstadt, kontrolliert werde. Ihre Tätigkeiten seien finanzieller Natur, und sie weise die Merkmale einer firmeneigenen Finanzierungseinrichtung auf. Folglich müsse der Fonds als nicht marktbestimmte Einheit dem Sektor Staat, regionale Ebene, zugeordnet werden (S.1312). Eine unter öffentlicher Kontrolle stehende Einheit mit den Merkmalen einer firmeneigenen Finanzierungseinrichtung gelte nicht als finanzieller Mittler, und die in Anhang A Nr. 20.33 der Verordnung Nr. 549/2013 vorgesehene Prüfung, inwieweit sie ein wirtschaftliches Risiko eingehe, sei nicht relevant.

28

Mit Klageschrift vom 15. Mai 2015 erhob der Fonds beim vorlegenden Gericht, dem Conseil d’État (Staatsrat, Belgien), eine Anfechtungsklage gegen diese Zuordnungsentscheidung. Nach der Feststellung, dass der Fonds unstreitig eine gesonderte institutionelle Einheit sei, bestätigt dieses Gericht den Standpunkt des ICN, dass eine Kontrolle der Region Brüssel-Hauptstadt über diese institutionelle Einheit bestehe. Weiter führt das vorlegende Gericht aus, der Fonds halte die Begründung, mit der das ICN ihn als „firmeneigene Finanzierungseinrichtung“ eingestuft habe, für rechtsfehlerhaft, und es habe selbst Zweifel an dieser Einstufung.

29

In diesem Kontext hat der Conseil d’État (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Anhang A Nrn. 2.22, 2.23, 2.27, 2.28 und 20.33 der Verordnung Nr. 549/2013 dahin auszulegen, dass eine unter der Kontrolle des Staates stehende getrennte institutionelle Einheit als nicht marktbestimmt anzusehen und daher dem Sektor Staat zuzuordnen ist, wenn sie die Merkmale einer firmeneigenen Finanzierungseinrichtung aufweist, ohne dass es nötig wäre, das Kriterium ihrer Risikoexposition zu prüfen?

2.

Kann eine Einheit, die unter der Kontrolle des Staates arbeitet, als firmeneigene Finanzierungseinrichtung im Sinne von Anhang A Nrn. 2.21 bis 2.23, 2.27 und 2.28 der Verordnung Nr. 549/2013 bezeichnet werden,

a)

mit der Begründung, dass ihr die Regelung ihrer Tätigkeit durch diesen Staat die Entscheidungsgewalt über ihre Vermögenswerte nimmt, auch wenn sie ihr die Fähigkeit lässt, über die Vergabe der von ihr gewährten Hypothekardarlehen, über ihre Dauer, Höhe und bestimmte Bedingungen zu entscheiden, allerdings sonstige Faktoren und insbesondere den Zinssatz für diese Darlehen festlegt;

b)

mit der Begründung, dass ihr insbesondere die Bürgschaft, die dieser Staat für die von ihr aufgenommenen Kredite stellt, die Entscheidungsgewalt für ihre Verbindlichkeiten nimmt, ohne den Zweck und die Auswirkungen einer solchen Bürgschaft anhand ihrer Merkmale im Einzelfall und der zugrunde liegenden wirtschaftlichen Realität zu prüfen?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

30

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Bestimmungen in Anhang A der Verordnung Nr. 549/2013 dahin auszulegen sind, dass eine unter staatlicher Kontrolle stehende gesonderte institutionelle Einheit wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende als nicht marktbestimmt anzusehen und daher dem Sektor Staat im Sinne des ESVG 2010 zuzuordnen ist, wenn sie die Merkmale einer firmeneigenen Finanzierungseinrichtung aufweist, ohne dass zu prüfen wäre, inwieweit sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeit einem wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt ist.

31

Auf den vorliegenden Fall bezogen, geht es dem vorlegenden Gericht darum, ob das ICN Anhang A Nrn. 2.22, 2.23, 2.27, 2.28 und 20.33 zu Recht dahin ausgelegt hat, dass eine firmeneigene Finanzierungseinrichtung wie der Fonds, die von der Regierung der Region Brüssel-Hauptstadt kontrolliert wird, nach dem ESVG 2010 dem Sektor Staat zuzuordnen ist, ohne dass insoweit konkret berücksichtigt wird, inwieweit sie einem wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt ist.

32

Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst darauf hinzuweisen, dass aus dem 14. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 549/2013 hervorgeht, dass mit dem ESVG 2010 für die Zwecke der Union, insbesondere für die Festlegung und Überwachung der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Union, ein Bezugsrahmen für die Erstellung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Mitgliedstaaten geschaffen wird. Um vergleichbare Ergebnisse zu erzielen, sollten diese Gesamtrechnungen, wie es im dritten Erwägungsgrund dieser Verordnung heißt, nach einheitlichen Grundsätzen erstellt werden, die keine unterschiedlichen Auslegungen zulassen.

33

Für die Buchungszwecke des ESVG 2010 ist gemäß Anhang A Kapitel 1 Nr. 1.57 der genannten Verordnung jede institutionelle Einheit – definiert als wirtschaftliche Einheit, die Eigentümer von Waren und Vermögenswerten sein kann und eigenständig Verbindlichkeiten eingehen, wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben und Transaktionen mit anderen Einheiten vornehmen kann – einem der sechs im ESVG 2010 bezeichneten Hauptsektoren zuzuordnen, d. h. den nicht finanziellen Kapitalgesellschaften, den finanziellen Kapitalgesellschaften, dem Staat, den privaten Haushalten, den privaten Organisationen ohne Erwerbszweck oder der übrigen Welt.

34

Im Ausgangsverfahren geht es um die Zuordnung einer institutionellen Einheit wie dem Fonds, die von einer staatlichen Stelle, hier der Region Brüssel-Hauptstadt, kontrolliert wird und die Merkmale einer firmeneigenen Finanzierungseinrichtung aufweist.

35

Insoweit ist festzuhalten, dass die Parteien des Ausgangsverfahrens, wie sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof ergeben hat, nicht bestreiten, dass der Fonds die Merkmale einer firmeneigenen Finanzierungseinrichtung im Sinne von Anhang A Nrn. 2.21 bis 2.23 der Verordnung Nr. 549/2013 aufweist.

36

Hingegen vertreten die Parteien des Ausgangsverfahrens unterschiedliche Auffassungen zu der Frage, ob der Fonds über eine ausreichende Unabhängigkeit verfügt, um dem Sektor finanzielle Kapitalgesellschaften zugeordnet zu werden, oder ob er dem Sektor der ihn kontrollierenden Einheit – hier der Region Brüssel-Hauptstadt – zuzuordnen ist, d. h. dem Sektor Staat.

37

Um im vorliegenden Fall die Modalitäten zu bestimmen, nach denen die Zuordnung einer institutionellen Einheit mit den Merkmalen einer firmeneigenen Finanzierungseinrichtung vorzunehmen ist, ist auf die Bestimmungen in Anhang A Nrn. 2.19 bis 2.21 und 2.23 der Verordnung Nr. 549/2013 über die „firmeneigenen Finanzierungseinrichtungen“ Bezug zu nehmen.

38

Wie es in Anhang A Nr. 2.19 dieser Verordnung heißt, wird eine institutionelle Einheit entsprechend ihrer Haupttätigkeit einem Sektor und einem Wirtschaftsbereich zugeordnet, „es sei denn, [sie] verfügt über keine eigenständigen Handlungsbefugnisse“. Sodann sieht Anhang A Nr. 2.20 der Verordnung vor, dass firmeneigene Finanzierungseinrichtungen ohne Handlungsfreiheit dem Sektor der sie kontrollierenden Institution zugeordnet werden.

39

Nach dem Wortlaut von Anhang A Nr. 2.22 der Verordnung ist der Grad der Unabhängigkeit firmeneigener Finanzierungseinrichtungen von ihrer Muttergesellschaft daran zu erkennen, in welchem Umfang sie die Kontrolle über ihre Vermögenswerte und Verbindlichkeiten haben und inwieweit sie die mit den Vermögenswerten und Verbindlichkeiten verbundenen wirtschaftlichen Risiken tragen sowie damit verbundene Einkünfte erzielen können.

40

Um zu klären, ob eine unter der Kontrolle einer anderen Einheit stehende institutionelle Einheit mit den Merkmalen einer firmeneigenen Finanzierungseinrichtung dem Sektor Staat zuzuordnen ist, sind gemäß dieser Nr. 2.22 also zwei kumulative Voraussetzungen zu prüfen, nämlich zum einen die Kontrolle über die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten dieser Einheit und zum anderen die Tragung des wirtschaftlichen Risikos der Tätigkeit.

41

Ob eine solche institutionelle Einheit dem Sektor Staat zugeordnet wird, hängt demnach von einer konkreten Analyse ihrer wirtschaftlichen Arbeitsweise ab, bei der u. a. zu prüfen ist, inwieweit sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeit einem wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt ist.

42

Folglich ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Bestimmungen in Anhang A der Verordnung Nr. 549/2013 dahin auszulegen sind, dass zur Klärung der Frage, ob eine unter staatlicher Kontrolle stehende gesonderte institutionelle Einheit dem Sektor Staat im Sinne des ESVG 2010 zuzuordnen ist, wenn sie die Merkmale einer firmeneigenen Finanzierungseinrichtung aufweist, geprüft werden muss, inwieweit sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeit einem wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt ist.

Zur zweiten Frage

43

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine institutionelle Einheit wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, deren Unabhängigkeit vom Staat durch das nationale Recht eingeschränkt wird – wonach diese Einheit im Umgang mit ihren Vermögenswerten und Verbindlichkeiten insofern nicht völlig autonom ist, als der Staat zum einen eine Kontrolle über ihre Vermögenswerte ausübt und zum anderen einen Teil des mit ihren Verbindlichkeiten verbundenen Risikos trägt –, als „firmeneigene Finanzierungseinrichtung“ im Sinne von Anhang A Nrn. 2.21 bis 2.23 der Verordnung Nr. 549/2013 eingestuft werden kann.

44

Im vorliegenden Fall kommen zum einen die Maßnahmen, die die Autonomie des Fonds in Bezug auf seine Vermögenswerte beschränken, laut dem vorlegenden Gericht in der Befugnis der Region Brüssel-Hauptstadt zum Ausdruck, bestimmte Modalitäten der vom Fonds zu vergebenden Hypothekarkredite festzulegen, insbesondere in Bezug auf den anwendbaren Zinssatz, auch wenn der Fonds in der Lage bleibt, über ihre Vergabe, ihre Laufzeit, ihre Höhe und bestimmte ihrer Bedingungen zu entscheiden.

45

Zum anderen konkretisieren sich die Maßnahmen, die die Autonomie des Fonds in Bezug auf seine Verbindlichkeiten beschränken, insbesondere dadurch, dass die Region Brüssel-Hauptstadt für die vom Fonds aufgenommenen Darlehen bürgt. Insoweit fragt sich das vorlegende Gericht, ob das ICN den Fonds im vorliegenden Fall berechtigterweise als „firmeneigene Finanzierungseinrichtung“ einstufen konnte, ohne „den Zweck und die Auswirkungen einer solchen Bürgschaft anhand ihrer Merkmale im Einzelfall und der zugrunde liegenden wirtschaftlichen Realität“ geprüft zu haben.

46

Zunächst ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht mit dieser Frage, wie insbesondere das ICN in seinen schriftlichen Erklärungen geltend macht, im Wesentlichen den Gerichtshof ersucht, Tragweite und Ausmaß bestimmter Maßnahmen der Kontrolle über die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten, denen der Fonds nach dem geltenden nationalen Recht unterliegt, zu untersuchen und zu entscheiden, ob diese Kontrolle so weit geht, dass sie nach Maßgabe der nach dem ESVG 2010 erforderlichen Kriterien und Indikatoren als Fremdbestimmung angesehen werden kann.

47

Damit wird der Gerichtshof in Wirklichkeit gebeten, das geltende nationale Recht zu untersuchen, soweit es sowohl die Kontrollmodalitäten in Bezug auf eine Finanzierungseinrichtung (Autonomie hinsichtlich der Vermögenswerte) als auch den Umfang der vom Staat geleisteten Bürgschaften und die Tragweite der wirtschaftlichen Gesamtsituation der Einrichtung (Autonomie hinsichtlich der Verbindlichkeiten) regelt.

48

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach seiner ständigen Rechtsprechung im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, nicht zur Auslegung des nationalen Rechts befugt ist, sondern allein das nationale Gericht dafür zuständig ist, den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits festzustellen und zu würdigen sowie die genaue Bedeutung der nationalen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften zu bestimmen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. April 2010, Bressol u. a., C‑73/08, EU:C:2010:181, Rn. 64, und vom 21. Juni 2017, W u. a., C‑621/15, EU:C:2017:484, Rn. 49).

49

Der Gerichtshof, der dazu aufgerufen ist, dem nationalen Gericht zweckdienliche Antworten zu geben, ist jedoch befugt, dem vorlegenden Gericht auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen Hinweise zu geben, die diesem Gericht eine Entscheidung ermöglichen (Urteil vom 13. April 2010, Bressol u. a., C‑73/08, EU:C:2010:181, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50

Um im vorliegenden Fall zu beurteilen, ob eine institutionelle Einheit wie der Fonds gegenüber der sie kontrollierenden staatlichen Stelle, hier der Region Brüssel-Hauptstadt, über eine Unabhängigkeit in der Gestaltung ihrer Tätigkeit im Sinne von Anhang A Nr. 2.22 der Verordnung Nr. 549/2013 verfügt, sind zum einen die Modalitäten und das Ausmaß der Kontrolle dieser institutionellen Einheit über ihre Vermögenswerte und Verbindlichkeiten zu bestimmen. Zum anderen ist zu prüfen, welche rechtlichen oder vertraglichen Zwänge die kontrollierende Stelle über diese Gestaltung der Tätigkeit ausübt. Dabei handelt es sich notwendigerweise um eine Einzelfallprüfung, so dass es nicht möglich ist, eine universell anwendbare Liste relevanter Kriterien aufzustellen, die bei einer solchen Untersuchung zu berücksichtigen sind. Im Allgemeinen kann aber, wie die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, davon ausgegangen werden, dass die Kontrolleinrichtung eine wesentliche Kontrolle über eine institutionelle Einheit ausübt, wenn sie die Bedingungen festlegt, unter denen diese Einheit agieren muss, ohne dass diese die Möglichkeit hätte, diese Bedingungen aus eigenem Antrieb maßgeblich zu ändern.

51

Insoweit geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten als Erstes hervor, dass die auf den Fonds anwendbare nationale Regelung erstens die Modalitäten und Bedingungen der von ihm gewährten Darlehen – insbesondere den Höchstbetrag des Hypothekardarlehens, die Voraussetzungen für die Kreditwürdigkeit der Darlehensnehmer, den Zinssatz und die Rückzahlungsweise – festlegt, zweitens vorschreibt, dass eine etwaige Änderung der Bedingungen der Darlehensvergabe beantragt und von der Kontrollbehörde, d. h. der Region Brüssel-Hauptstadt, genehmigt werden muss, drittens die Bedingungen für die Gewährung einer Wohnraum-Garantieversicherung an begünstigte Mieter bestimmt, viertens die restriktiven Voraussetzungen auf die freie Verfügung über das übertragene Recht begrenzt und fünftens die Bedingungen der Stellung der Mietkaution für bestimmte Mieter festlegt.

52

Als Zweites erhält der Fonds, wie sich insbesondere aus dem Brüsseler Wohngesetzbuch ergibt, Mittel, die im Wesentlichen aus Zuwendungen und Darlehen der öffentlichen Hand sowie aus nahezu vollständig durch die öffentliche Hand garantierten Anleihen bestehen.

53

Als Drittes ist zu berücksichtigen, dass der Fonds Nutznießer einer Bürgschaft seitens der Region Brüssel-Hauptstadt ist, die ihn von jedem Risiko freistellt, wenn er bei der Ausübung seiner Tätigkeit Darlehen aufnimmt. Insbesondere hat der Gläubiger, wenn der Fonds eine Rückzahlung nicht leistet, offenbar das Recht, die Region Brüssel-Hauptstadt in Anspruch zu nehmen, die dann über 15 Werktage verfügt, um die Zahlung anstelle des Fonds zu leisten. Die Region scheint sich also bedingungslos und unwiderruflich zu verpflichten, den beanspruchbaren Betrag, den der Fonds schuldig geblieben ist, gegebenenfalls zuzüglich Verzugszinsen, an den Gläubiger zu zahlen.

54

Auch wenn es sich bei dieser Bürgschaft wohl nur um ein Instrument für den äußersten Fall handelt, das den etwaigen Zahlungsausfall des Fonds in Bezug auf seine Darlehen abdeckt – eine Situation, in die der Fonds noch nie geraten ist, so dass die Region Brüssel-Hauptstadt noch nie in diesem Sinne tätig werden musste –, scheint es gleichwohl die Region zu sein, die über diese Bürgschaft de facto die mit der Ausübung der Tätigkeit des Fonds verbundenen Risiken trägt.

55

Unter diesen Umständen kann angesichts der in den Rn. 51 bis 54 des vorliegenden Urteils dargelegten Gesichtspunkte nicht ausgeschlossen werden, dass die von der Region Brüssel-Hauptstadt ausgeübten Zwänge darüber, wie der Fonds mit seinen Vermögenswerten und Verbindlichkeiten umgeht, so weit reichen, dass der Fonds als eine firmeneigene Finanzierungseinrichtung im Sinne des ESVG 2010, die zum Sektor Staat gehört, angesehen werden kann. Es obliegt allerdings dem vorlegenden Gericht, unter Berücksichtigung aller Umstände des Ausgangsverfahrens zu prüfen, ob es sich tatsächlich so verhält.

56

Folglich ist auf die zweite Frage zu antworten, dass eine institutionelle Einheit wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, deren Unabhängigkeit vom Staat durch das nationale Recht eingeschränkt wird – wonach diese Einheit im Umgang mit ihren Vermögenswerten und Verbindlichkeiten insofern nicht völlig autonom ist, als der Staat zum einen eine Kontrolle über ihre Vermögenswerte ausübt und zum anderen einen Teil des mit ihren Verbindlichkeiten verbundenen Risikos trägt –, als „firmeneigene Finanzierungseinrichtung“ im Sinne von Anhang A Nrn. 2.21 bis 2.23 der Verordnung Nr. 549/2013 eingestuft werden kann, soweit die in diesem nationalen Recht vorgesehenen Kontrollmaßnahmen von den nationalen Gerichten dahin ausgelegt werden können, dass sie dazu führen, dass die betreffende institutionelle Einheit nicht unabhängig vom Staat agieren kann, weil dieser ihr die Bedingungen auferlegt, unter denen sie handeln muss, ohne dass sie die Möglichkeit hätte, diese Bedingungen aus eigenem Antrieb maßgeblich zu ändern.

Kosten

57

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Die Bestimmungen in Anhang A der Verordnung (EU) Nr. 549/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 zum Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen auf nationaler und regionaler Ebene in der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass zur Klärung der Frage, ob eine unter staatlicher Kontrolle stehende gesonderte institutionelle Einheit dem Sektor Staat im Sinne des durch diese Verordnung eingeführten überarbeiteten Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen zuzuordnen ist, wenn sie die Merkmale einer firmeneigenen Finanzierungseinrichtung aufweist, geprüft werden muss, inwieweit sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeit einem wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt ist.

 

2.

Eine institutionelle Einheit wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, deren Unabhängigkeit vom Staat durch das nationale Recht eingeschränkt wird – wonach diese Einheit im Umgang mit ihren Vermögenswerten und Verbindlichkeiten insofern nicht völlig autonom ist, als der Staat zum einen eine Kontrolle über ihre Vermögenswerte ausübt und zum anderen einen Teil des mit ihren Verbindlichkeiten verbundenen Risikos trägt –, kann als „firmeneigene Finanzierungseinrichtung“ im Sinne von Anhang A Nrn. 2.21 bis 2.23 der Verordnung Nr. 549/2013 eingestuft werden, soweit die in diesem nationalen Recht vorgesehenen Kontrollmaßnahmen von den nationalen Gerichten dahin ausgelegt werden können, dass sie dazu führen, dass die betreffende institutionelle Einheit nicht unabhängig vom Staat agieren kann, weil dieser ihr die Bedingungen auferlegt, unter denen sie handeln muss, ohne dass sie die Möglichkeit hätte, diese Bedingungen aus eigenem Antrieb maßgeblich zu ändern.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

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