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Document 62018CJ0433

Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 12. Dezember 2019.
ML gegen Aktiva Finants OÜ.
Vorabentscheidungsersuchen des Korkein oikeus.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Gerichtliche Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Erfordernis eines Verfahrens mit beiderseitigem rechtlichen Gehör und eines wirksamen Rechtsbehelfs – Entscheidung eines nationalen Gerichts, mit der ein von einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats verkündetes Urteil für vollstreckbar erklärt wird – Nationales Verfahren der Zulassung eines Rechtsbehelfs.
Rechtssache C-433/18.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2019:1074

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

12. Dezember 2019 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Gerichtliche Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Erfordernis eines Verfahrens mit beiderseitigem rechtlichen Gehör und eines wirksamen Rechtsbehelfs – Entscheidung eines nationalen Gerichts, mit der ein von einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats verkündetes Urteil für vollstreckbar erklärt wird – Nationales Verfahren der Zulassung eines Rechtsbehelfs“

In der Rechtssache C‑433/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Korkein oikeus (Oberster Gerichtshof, Finnland) mit Entscheidung vom 28. Juni 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Juli 2018, in dem Verfahren

ML

gegen

Aktiva Finants OÜ

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin), der Richter M. Safjan und L. Bay Larsen sowie der Richterin C. Toader,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Mai 2019,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der finnischen Regierung, vertreten durch H. Leppo und J. Heliskoski als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Heller und M. Huttunen als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. Juli 2019

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 43 Abs. 1 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

2

Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen ML und der Aktiva Finants OÜ wegen der Vollstreckung einer Entscheidung eines estnischen Gerichts, mit der ML zur Zahlung eines Geldbetrags an diese Gesellschaft verurteilt wurde.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

In den Erwägungsgründen 6 und 16 bis 18 der Verordnung Nr. 44/2001 heißt es:

„(6)

Um den freien Verkehr der Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zu gewährleisten, ist es erforderlich und angemessen, dass die Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Wege eines Gemeinschaftsrechtsakts festgelegt werden, der verbindlich und unmittelbar anwendbar ist.

(16)

Das gegenseitige Vertrauen in die Justiz im Rahmen der Gemeinschaft rechtfertigt, dass die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen, außer im Falle der Anfechtung, von Rechts wegen, ohne ein besonderes Verfahren, anerkannt werden.

(17)

Aufgrund dieses gegenseitigen Vertrauens ist es auch gerechtfertigt, dass das Verfahren, mit dem eine in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Entscheidung für vollstreckbar erklärt wird, rasch und effizient vonstattengeht. Die Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung muss daher fast automatisch nach einer einfachen formalen Prüfung der vorgelegten Schriftstücke erfolgen, ohne dass das Gericht die Möglichkeit hat, von Amts wegen eines der in dieser Verordnung vorgesehenen Vollstreckungshindernisse aufzugreifen.

(18)

Zur Wahrung seiner Verteidigungsrechte muss der Schuldner jedoch gegen die Vollstreckbarerklärung einen Rechtsbehelf im Wege eines Verfahrens mit beiderseitigem rechtlichen Gehör einlegen können, wenn er der Ansicht ist, dass einer der Gründe für die Versagung der Vollstreckung vorliegt. Die Möglichkeit eines Rechtsbehelfs muss auch für den Antragsteller gegeben sein, falls sein Antrag auf Vollstreckbarerklärung abgelehnt worden ist.“

4

Art. 41 der Verordnung bestimmt:

„Sobald die in Artikel 53 vorgesehenen Förmlichkeiten erfüllt sind, wird die Entscheidung unverzüglich für vollstreckbar erklärt, ohne dass eine Prüfung nach den Artikeln 34 und 35 erfolgt. Der Schuldner erhält in diesem Abschnitt des Verfahrens keine Gelegenheit, eine Erklärung abzugeben.“

5

Art. 43 Abs. 1 bis 3 der Verordnung sieht vor:

„(1)   Gegen die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung kann jede Partei einen Rechtsbehelf einlegen.

(2)   Der Rechtsbehelf wird bei dem in Anhang III aufgeführten Gericht eingelegt.

(3)   Über den Rechtsbehelf wird nach den Vorschriften entschieden, die für Verfahren mit beiderseitigem rechtlichen Gehör maßgebend sind.

…“

6

Art. 45 der Verordnung lautet:

„(1)   Die Vollstreckbarerklärung darf von dem mit einem Rechtsbehelf nach Artikel 43 oder Artikel 44 befassten Gericht nur aus einem der in den Artikeln 34 und 35 aufgeführten Gründe versagt oder aufgehoben werden. Das Gericht erlässt seine Entscheidung unverzüglich.

(2)   Die ausländische Entscheidung darf keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden.“

Finnisches Recht

7

Gemäß § 5 Abs. 1 in Kapitel 25a Oikeudenkäymiskaari (Prozessordnung) bedarf ein beim Berufungsgericht gegen eine Entscheidung eines erstinstanzlichen Gerichts eingelegter Rechtsbehelf der Zulassung zur weiteren Prüfung.

8

§ 11 Abs. 1 in Kapitel 25a der Prozessordnung sieht vor, dass diese Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung zu erteilen ist, wenn Zweifel an der Richtigkeit der betreffenden Entscheidung bestehen, wenn die Richtigkeit dieser Entscheidung nicht beurteilt werden kann, ohne die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung zu erteilen, wenn dies wegen der Anwendung des Gesetzes in gleichgelagerten Rechtssachen wichtig ist oder wenn ein sonstiger schwerwiegender Grund für die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung vorliegt.

9

Nach § 13 in Kapitel 25a der Prozessordnung muss das Berufungsgericht, wenn es dies für erforderlich hält, vor der Entscheidung über die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung den Beschwerdegegner auffordern, schriftlich zu der Beschwerde Stellung zu nehmen.

10

Gemäß § 14 Abs. 1 in Kapitel 25a der Prozessordnung entscheidet das Berufungsgericht über die Frage der Zulassung des bei ihm eingelegten Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung im schriftlichen Verfahren auf der Grundlage der Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts, der bei ihm eingelegten Beschwerde, einer etwaigen Stellungnahme des Rechtsbehelfsgegners und erforderlichenfalls des sonstigen Akteninhalts.

11

Gemäß § 18 in Kapitel 25a der Prozessordnung wird der Rechtsbehelf zur weiteren Prüfung zugelassen, wenn sich mindestens eines der drei Mitglieder, aus denen der Spruchkörper besteht, für diese Zulassung ausspricht.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

12

Mit einer Entscheidung vom 7. Dezember 2009 hat das Harju Maakohus (erstinstanzliches Gericht Harju, Estland) den in Helsinki (Finnland) wohnhaften ML verurteilt, an die estnische Gesellschaft Aktiva Finants einen Betrag von 14838,50 estnischen Kronen (EEK) (rund 948 Euro) zu zahlen.

13

Auf Antrag von Aktiva Finants hat das Helsingin käräjäoikeus (erstinstanzliches Gericht Helsinki, Finnland) die gegen ML ergangene Entscheidung vom 7. Dezember 2009 gemäß der Verordnung Nr. 44/2001 für vollstreckbar erklärt.

14

Nachdem ihm diese Vollstreckbarerklärung zugestellt worden war, legte ML beim Helsingin hovioikeus (Berufungsgericht Helsinki, Finnland) Beschwerde ein und beantragte die Aufhebung dieser Entscheidung.

15

In seiner beim Helsingin hovioikeus (Berufungsgericht Helsinki) eingereichten Beschwerdeschrift machte ML zunächst geltend, dass die Entscheidung des Harju Maakohus (erstinstanzliches Gericht Harju) vom 7. Dezember 2009 in seiner Abwesenheit ergangen sei. Weiter trug ML vor, dass ihm die Klageschrift weder rechtzeitig noch in einer Art und Weise übermittelt oder zugestellt worden sei, die ihm eine Verteidigung ermöglicht hätte. Im Übrigen habe er von dem gesamten Verfahren erst Kenntnis erlangt, als ihm das Helsingin käräjäoikeus (erstinstanzliches Gericht Helsinki) die Vollstreckbarerklärung der Entscheidung des Harju Maakohus (erstinstanzliches Gericht Harju) zugestellt habe. ML vertrat zudem die Auffassung, dass das estnische Gericht für die Entscheidung des bei ihm anhängig gemachten Rechtsstreits nicht zuständig gewesen sei, weil er seit dem 26. November 2007 seinen Wohnsitz in Finnland habe. ML stützte sich insoweit auf die Art. 34 und 35 der Verordnung Nr. 44/2001.

16

Das Helsingin hovioikeus (Berufungsgericht Helsinki) ließ den von ML eingelegten Rechtsbehelf nicht nach § 5 Abs. 1 in Kapitel 25a der Prozessordnung zur weiteren Prüfung zu, so dass das Beschwerdeverfahren beendet wurde. Die Entscheidung des Helsingin käräjäoikeus (erstinstanzliches Gericht Helsinki) ist also bestätigt worden.

17

ML beantragte beim vorlegenden Korkein oikeus (Oberster Gerichtshof, Finnland) die Zulassung einer Beschwerde gegen die Entscheidung des Helsingin hovioikeus (Berufungsgericht Helsinki); diese wurde ihm am 24. Januar 2017 erteilt. In seiner beim Korkein oikeus (Oberster Gerichtshof) eingelegten Beschwerde beantragte ML, die fragliche Entscheidung aufzuheben, ihm die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung zu erteilen und die Rechtssache zur Prüfung seiner Beschwerde an das Helsingin hovioikeus (Berufungsgericht Helsinki) zurückzuverweisen.

18

In diesem Zusammenhang möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Verfahren über die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung, wie es die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Vorschrift vorsieht, mit der Verordnung Nr. 44/2001, insbesondere mit deren Art. 43 Abs. 1 und 3, vereinbar ist, wenn es um eine Beschwerde gegen eine erstinstanzliche Entscheidung betreffend die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen geht.

19

Zum einen weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass gemäß dieser nationalen Vorschrift das Beschwerdeverfahren für alle Rechtssachen aus zwei Phasen bestehe. Während der ersten Phase werde geprüft, ob die im nationalen Recht vorgesehenen Voraussetzungen für die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung erfüllt seien. In der zweiten Phase werde nach Erteilung der Zulassung die Beschwerde vollständig geprüft. Werde die Zulassung dagegen nicht erteilt, erlange die erstinstanzliche Entscheidung Rechtskraft, sofern der Nichtzulassungsbescheid im Rechtsbehelfsverfahren nicht abgeändert werde.

20

Zum anderen hegt das vorlegende Gericht Zweifel, ob dem Erfordernis eines Verfahrens mit beiderseitigem rechtlichen Gehör im Sinne von Art. 43 Abs. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 genügt wird, weil die Entscheidung über die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung nach dem nationalen Recht auch ergehen kann, ohne dass die Partei, gegen die vollstreckt werden soll – hier ML –, zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme erhält.

21

Unter diesen Umständen hat das Korkein oikeus (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist das im nationalen System für die Einlegung von Rechtsbehelfen vorgesehene Verfahren für die Zulassung von Rechtsbehelfen zur weiteren Prüfung mit den in Art. 43 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 für beide Parteien garantierten effektiven Rechtsbehelfen vereinbar, wenn ein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung eines erstinstanzlichen Gerichts eingelegt wird, die die Anerkennung oder Vollstreckung eines Urteils gemäß der Verordnung Nr. 44/2001 betrifft?

2.

Werden in dem Verfahren für die Zulassung von Rechtsbehelfen zur weiteren Prüfung die Voraussetzungen in Bezug auf ein Verfahren mit beiderseitigem rechtlichen Gehör im Sinne von Art. 43 Abs. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 erfüllt, wenn der Rechtsbehelfsgegner vor der Entscheidung über die Zulassung des Rechtsbehelfs nicht zu dem eingelegten Rechtsbehelf gehört wird? Werden diese Voraussetzungen erfüllt, wenn der Rechtsbehelfsgegner vor der Entscheidung über die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung gehört wird?

3.

Kommt bei der Auslegung dem Umstand Bedeutung zu, dass derjenige, der den Rechtsbehelf einlegt, nicht nur die Partei sein kann, die die Vollstreckung beantragt hat und deren Antrag abgewiesen worden ist, sondern auch die Partei, gegen die die Vollstreckung beantragt worden ist, wenn diesem Antrag stattgegeben wurde?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

22

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 43 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass er einem Verfahren betreffend die Zulassung von Rechtsbehelfen zur weiteren Prüfung entgegensteht, in dem zum einen das mit der Sache befasste Berufungsgericht über die Frage der Zulassung des bei ihm eingelegten Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung auf der Grundlage der Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts, der bei ihm eingelegten Beschwerde, einer etwaigen Stellungnahme des Rechtsbehelfsgegners und erforderlichenfalls des sonstigen Akteninhalts entscheidet sowie zum anderen die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung u. a. dann zu erteilen ist, wenn Zweifel an der Richtigkeit der betreffenden Entscheidung bestehen, wenn die Richtigkeit dieser Entscheidung nicht beurteilt werden kann, ohne die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung zu erteilen, oder wenn ein sonstiger schwerwiegender Grund für die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung vorliegt.

23

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass, wie sich aus den Erwägungsgründen 16 und 17 der auf das Ausgangsverfahren zeitlich anwendbaren Verordnung Nr. 44/2001 ergibt, das in dieser vorgesehene Verfahren zur Anerkennung und zur Vollstreckung auf dem gegenseitigen Vertrauen in die Justiz im Rahmen der Europäischen Union beruht. Ein solches Vertrauen erfordert, dass die in einem Mitgliedstaat ergangenen gerichtlichen Entscheidungen nicht nur von Rechts wegen in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt werden, sondern auch, dass das Verfahren, mit dem diese Entscheidungen in dem anderen Mitgliedstaat für vollstreckbar erklärt werden, rasch und effizient vonstattengeht. Dieses Verfahren darf nur eine einfache formale Prüfung der Schriftstücke umfassen, die für die Erteilung der Vollstreckbarerklärung in dem Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, erforderlich sind, und die Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung muss fast automatisch erfolgen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Oktober 2011, Prism Investments, C‑139/10, EU:C:2011:653, Rn. 27 und 28).

24

Daher wird gemäß Art. 41 der Verordnung Nr. 44/2001 eine Entscheidung, sobald die in Art. 53 der Verordnung vorgesehenen Förmlichkeiten erfüllt sind, für vollstreckbar erklärt, ohne dass eine Prüfung der in den Art. 34 und 35 der Verordnung vorgesehenen Gründe für die Versagung der Vollstreckung erfolgt.

25

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs soll nämlich durch diese Verordnung der freie Verkehr der Entscheidungen aus den Mitgliedstaaten in Zivil- und Handelssachen sichergestellt werden, indem die Formalitäten im Hinblick auf eine rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstreckung vereinfacht werden.

26

Dieses Ziel darf jedoch nicht dadurch erreicht werden, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör in irgendeiner Weise beeinträchtigt wird (Urteil vom 14. Dezember 2006, ASML, C‑283/05, EU:C:2006:787, Rn. 24). Der Gerichtshof hat insoweit darauf hingewiesen, dass die Bestimmungen der Verordnung Nr. 44/2001 insgesamt das Bestreben zum Ausdruck bringen, sicherzustellen, dass im Rahmen der Ziele der Verordnung die Verfahren, die zum Erlass gerichtlicher Entscheidungen führen, unter Wahrung der Verteidigungsrechte durchgeführt werden (Urteil vom 15. März 2012, G, C‑292/10, EU:C:2012:142, Rn. 47).

27

Um aber die Wahrung der Verteidigungsrechte zu gewährleisten, räumt Art. 43 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 in Verbindung mit ihrem 18. Erwägungsgrund jeder Partei das Recht ein, gegen die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung einen Rechtsbehelf einzulegen, entweder dem Schuldner, wenn er der Ansicht ist, dass einer der Gründe für die Versagung der Vollstreckung vorliegt, oder aber dem Antragsteller, falls sein Antrag auf Vollstreckbarerklärung abgelehnt worden ist.

28

Allerdings ist festzustellen, dass die Verordnung Nr. 44/2001 weder die Natur noch die konkreten Modalitäten für Rechtsbehelfe gegen diese Entscheidung regelt.

29

Nach ständiger Rechtsprechung ist es insoweit mangels einer einschlägigen Unionsregelung gemäß dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, die Modalitäten für das Verwaltungsverfahren und das Gerichtsverfahren zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Diese Verfahrensmodalitäten dürfen jedoch nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die für entsprechende innerstaatliche Rechtsbehelfe (Grundsatz der Äquivalenz) und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (Urteil vom 13. Dezember 2017, El Hassani, C‑403/16, EU:C:2017:960, Rn. 26).

30

Zum einen verlangt der Grundsatz der Äquivalenz, dass bei der Anwendung sämtlicher für Rechtsbehelfe geltender Vorschriften nicht danach unterschieden wird, ob ein Verstoß gegen Unionsrecht oder gegen innerstaatliches Recht gerügt wird (Urteil vom 4. Oktober 2018, Kantarev, C‑571/16, EU:C:2018:807, Rn. 124 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31

Im vorliegenden Fall hat der Gerichtshof keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die im Ausgangsverfahren in Frage stehenden Verfahrensvorschriften mit diesem Grundsatz im Einklang stehen. Vielmehr ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass die nationale Regelung, wonach ein beim Berufungsgericht gegen eine erstinstanzliche Entscheidung eingelegter Rechtsbehelf einer Zulassung zur weiteren Prüfung bedarf, allgemein anwendbar ist und nicht nur die Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung nach der Verordnung Nr. 44/2001 betrifft.

32

Zum anderen ist in Bezug auf den Grundsatz der Effektivität daran zu erinnern, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs alle Fälle, in denen sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Ausübung der den Bürgern durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert, gleichfalls unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen sind. Dabei sind gegebenenfalls die Grundsätze zu berücksichtigen, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie etwa der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens (Urteil vom 11. September 2019, Călin, C‑676/17, EU:C:2019:700, Rn. 42).

33

Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass nach § 11 Abs. 1 in Kapitel 25a der Prozessordnung der Rechtsbehelf zur weiteren Prüfung zuzulassen ist, wenn Zweifel an der Richtigkeit der betreffenden Entscheidung bestehen, wenn die Richtigkeit dieser Entscheidung nicht beurteilt werden kann, ohne die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung zu erteilen, wenn dies wegen der Anwendung des Gesetzes in gleichgelagerten Rechtssachen wichtig ist oder wenn ein sonstiger schwerwiegender Grund für die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung vorliegt.

34

Wie aber der Generalanwalt in Nr. 51 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, können im Rahmen der Prüfung der in der finnischen Rechtsvorschrift genannten Gründe, aus denen diese Zulassung zu erteilen ist, die in den Art. 34 und 35 der Verordnung Nr. 44/2001 für die Ablehnung der Vollstreckung der betreffenden Entscheidung vorgesehenen Gründe, bei deren Vorliegen das mit dem Rechtsbehelf nach Art. 43 befasste Gericht gemäß Art. 45 der Verordnung die Erteilung einer Vollstreckbarkeitserklärung versagen oder aufheben darf, berücksichtigt werden.

35

Somit gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die im Ausgangsverfahren in Frage stehende nationale Regelung geeignet wäre, die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren.

36

Allerdings ist festzustellen, dass das Recht auf Zugang zu einem Gericht nicht nur die Möglichkeit, ein Gericht anzurufen, sondern auch die Garantie umfasst, dass dieses Gericht über die Befugnis verfügt, alle für die bei ihm anhängige Streitigkeit relevanten Tatsachen- und Rechtsfragen zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. November 2012, Otis u. a.C‑199/11, EU:C:2012:684, Rn. 49).

37

Insoweit ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass nach finnischem Recht die Prüfung eines Rechtsbehelfs beim Berufungsgericht aus zwei Phasen besteht. Während der ersten Phase entscheidet das Berufungsgericht über die Frage der Zulassung des bei ihm eingelegten Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung im schriftlichen Verfahren auf der Grundlage der Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts, der bei ihm eingelegten Beschwerde, einer etwaigen Stellungnahme des Rechtsbehelfsgegners und erforderlichenfalls des sonstigen Akteninhalts. Diese Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung wird erteilt, wenn sich mindestens eines der drei Mitglieder, aus denen der betreffende Spruchkörper besteht, für diese Zulassung ausspricht. Jedenfalls ist die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung zu erteilen, wenn feststeht, dass einer der in § 11 Abs. 1 in Kapitel 25a der Prozessordnung genannten Gründe vorliegt. In einer zweiten Phase nimmt das Berufungsgericht, falls die Zulassung erteilt wurde, eine vollständige Prüfung des Rechtsbehelfs vor.

38

Folglich ist das Berufungsgericht ab der Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung in der Lage, bei einem auf Art. 43 der Verordnung Nr. 44/2001 gestützten Rechtsbehelf zu prüfen, ob die in den Art. 34 und 35 der Verordnung genannten Gründe für eine Ablehnung der Vollstreckung einer eingehenden Prüfung der erstinstanzlichen Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung bedürfen.

39

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 43 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass er einem Verfahren betreffend die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung nicht entgegensteht, in dem zum einen das mit der Sache befasste Berufungsgericht über die Frage der Zulassung des bei ihm eingelegten Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung auf der Grundlage der Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts, der bei ihm eingelegten Beschwerde, einer etwaigen Stellungnahme des Rechtsbehelfsgegners und erforderlichenfalls des sonstigen Akteninhalts entscheidet sowie zum anderen die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung u. a. dann zu erteilen ist, wenn Zweifel an der Richtigkeit der betreffenden Entscheidung bestehen, wenn die Richtigkeit dieser Entscheidung nicht beurteilt werden kann, ohne die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung zu erteilen, oder wenn ein sonstiger schwerwiegender Grund für die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung vorliegt.

Zur zweiten Frage

40

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 43 Abs. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass er einem Verfahren zur Prüfung eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung entgegensteht, bei dem es nicht erforderlich ist, den Rechtsbehelfsgegner vor dem Erlass einer für ihn günstigen Entscheidung anzuhören.

41

Nach Art. 43 Abs. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 in Verbindung mit deren 18. Erwägungsgrund ist der Rechtsbehelf gegen die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung unter Berücksichtigung der Verteidigungsrechte nach den Regeln der Verfahren mit beiderseitigem rechtlichen Gehör zu prüfen.

42

Im vorliegenden Fall muss – wie aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervorgeht – das Helsingin hovioikeus (Berufungsgericht Helsinki), wenn es dies für erforderlich hält, gemäß § 13 in Kapitel 25a der Prozessordnung den Rechtsbehelfsgegner dazu auffordern, schriftlich zum Rechtsbehelf Stellung zu nehmen, bevor es über die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung entscheidet. Folglich kann die Entscheidung über diese Zulassung ergehen, ohne dass der Rechtsbehelfsgegner zur Stellungnahme aufgefordert wird.

43

Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt sich jedoch, dass das Berufungsgericht im Rahmen der ersten Phase des Verfahrens nach § 5 Abs. 1 in Kapitel 25a der Prozessordnung, die die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung betrifft, keine Entscheidung zulasten des Rechtsbehelfsgegners erlassen kann, ohne diesen vorher angehört zu haben. Zum einen kann, wenn sich der Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung betreffend die Vollstreckbarkeitserklärung richtet, der Umstand, dass das Berufungsgericht die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung ablehnt, den durch diese Entscheidung Begünstigten, also die Partei, zu deren Gunsten die Vollstreckbarkeit erklärt wird, nicht belasten. Zum anderen kann, wenn sich der Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung richtet, mit der die Vollstreckbarkeitserklärung abgelehnt wird, die Nichterteilung der Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung durch das Berufungsgericht auch nicht den durch jene Entscheidung Begünstigten, also die Partei, gegen die die Vollstreckbarkeit erklärt werden soll, belasten.

44

Folglich kann das Berufungsgericht, so führt dies auch der Generalanwalt in den Nrn. 76 und 82 seiner Schlussanträge aus, während der die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung betreffenden Phase keine Entscheidung erlassen, die für den Rechtsbehelfsgegner nachteilig ist oder diesen belastet, so dass der Umstand, dass diese Partei nicht zur Stellungnahme aufgefordert wurde, deren Recht auf ein Verfahren mit beiderseitigem rechtlichen Gehör nicht beeinträchtigt. Darüber hinaus wird diese Partei im Rahmen der Phase der vollständigen Prüfung des Rechtsbehelfs zwingend zur Stellungnahme aufgefordert, wodurch die Wahrung des Grundsatzes eines Verfahrens mit beiderseitigem rechtlichen Gehör zum Zeitpunkt, zu dem diese Partei durch die Entscheidung des Berufungsgerichts belastet werden könnte, gewährleistet ist.

45

Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 43 Abs. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass er einem Verfahren zur Prüfung eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung, bei dem es nicht erforderlich ist, den Rechtsbehelfsgegner vor dem Erlass einer für ihn günstigen Entscheidung anzuhören, nicht entgegensteht.

Zur dritten Frage

46

Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, welche Folgen sich aus dem Umstand ergeben könnten, dass der Rechtsbehelf nicht nur von der Partei, die die Vollstreckung beantragt hat, sondern auch von der Partei eingelegt werden kann, gegen die die Vollstreckung zugelassen wurde.

47

Insoweit gilt zwar für die Vorlagefragen, die das Unionsrecht betreffen, eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit, doch liegt nach ständiger Rechtsprechung die Rechtfertigung des Vorabentscheidungsersuchens nicht in der Abgabe von Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen, sondern darin, dass das Ersuchen für die tatsächliche Entscheidung eines Rechtsstreits erforderlich ist (Urteil vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a., C‑621/18, EU:C:2018:999, Rn. 28).

48

Im vorliegenden Fall führt das vorlegende Gericht die Gründe, die es zur Vorlagefrage bewogen haben, nicht an. Es geht auch weder auf den Zusammenhang ein, den die Frage mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtssache haben könnte, noch darauf, inwieweit die Antwort des Gerichtshofs für die Entscheidung des beim ihm anhängigen Rechtsstreits erforderlich sein soll.

49

Die dritte Frage ist infolgedessen unzulässig.

Kosten

50

Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 43 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass er einem Verfahren betreffend die Zulassung von Rechtsbehelfen zur weiteren Prüfung nicht entgegensteht, in dem zum einen das mit der Sache befasste Berufungsgericht über die Frage der Zulassung des bei ihm eingelegten Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung auf der Grundlage der Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts, der bei ihm eingelegten Beschwerde, einer etwaigen Stellungnahme des Rechtsbehelfsgegners und erforderlichenfalls des sonstigen Akteninhalts entscheidet sowie zum anderen die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung u. a. dann zu erteilen ist, wenn Zweifel an der Richtigkeit der betreffenden Entscheidung bestehen, wenn die Richtigkeit dieser Entscheidung nicht beurteilt werden kann, ohne die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung zu erteilen, oder wenn ein sonstiger schwerwiegender Grund für die Zulassung des Rechtsbehelfs zur weiteren Prüfung vorliegt.

 

2.

Art. 43 Abs. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 ist dahin auszulegen, dass er einem Verfahren zur Prüfung eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung, bei dem es nicht erforderlich ist, den Rechtsbehelfsgegner vor dem Erlass einer für ihn günstigen Entscheidung anzuhören, nicht entgegensteht.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Finnisch.

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