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Document 62018CJ0321

Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 12. Juni 2019.
Terre wallonne ASBL gegen Région wallonne.
Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d'État.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Richtlinie 2001/42/EG – Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme – Erlass – Festlegung der Erhaltungsziele für das Natura‑2000-Netz gemäß der Richtlinie 92/43/EWG – Begriff ‚Pläne und Programme‘ – Verpflichtung zur Vornahme einer Umweltprüfung.
Rechtssache C-321/18.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2019:484

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

12. Juni 2019 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Richtlinie 2001/42/EG – Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme – Erlass – Festlegung der Erhaltungsziele für das Natura‑2000-Netz gemäß der Richtlinie 92/43/EWG – Begriff ‚Pläne und Programme‘ – Verpflichtung zur Vornahme einer Umweltprüfung“

In der Rechtssache C‑321/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) mit Entscheidung vom 2. Mai 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Mai 2018, in dem Verfahren

Terre wallonne ASBL

gegen

Région wallonne

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot sowie der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und der Richter A. Rosas, L. Bay Larsen und M. Safjan,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2018,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Terre wallonne ASBL, vertreten durch A. Lebrun, avocat,

der Région wallonne, vertreten durch P. C. Moërynck, avocat,

der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs, C. Pochet und P. Cottin als Bevollmächtigte im Beistand von P. Moërynck, G. Shaiko und J. Bouckaert, avocats,

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und L. Dvořáková als Bevollmächtigte,

von Irland, vertreten durch M. Browne, G. Hodge und A. Joyce als Bevollmächtigte im Beistand von C. Toland, SC, und M. Gray, BL,

der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Hermes, M. Noll-Ehlers und F. Thiran als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 24. Januar 2019

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. 2001, L 197, S. 30, im Folgenden: SUP-Richtlinie).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Terre Wallonne ASBL und der Région wallonne (Region Wallonien, Belgien) über die Gültigkeit des Arrêté du gouvernement de la Région wallonne du 1er décembre 2016, fixant les objectifs de conservation pour le réseau Natura 2000 (Erlass der Regierung der Region Wallonien vom 1. Dezember 2016 zur Festlegung der Erhaltungsziele für das Natura‑2000-Netz) (Moniteur belge vom 22. Dezember 2016, S. 88148, im Folgenden: Erlass vom 1. Dezember 2016).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

SUP-Richtlinie

3

Der vierte Erwägungsgrund der SUP-Richtlinie lautet:

„Die Umweltprüfung ist ein wichtiges Werkzeug zur Einbeziehung von Umwelterwägungen bei der Ausarbeitung und Annahme bestimmter Pläne und Programme, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt in den Mitgliedstaaten haben können. Denn sie gewährleistet, dass derartige Auswirkungen aus der Durchführung von Plänen und Programmen bei der Ausarbeitung und vor der Annahme berücksichtigt werden.“

4

Art. 1 („Ziele“) dieser Richtlinie sieht vor:

„Ziel dieser Richtlinie ist es, im Hinblick auf die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und dazu beizutragen, dass Umwelterwägungen bei der Ausarbeitung und Annahme von Plänen und Programmen einbezogen werden, indem dafür gesorgt wird, dass bestimmte Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, entsprechend dieser Richtlinie einer Umweltprüfung unterzogen werden.“

5

Art. 2 der Richtlinie bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a)

‚Pläne und Programme‘ Pläne und Programme, einschließlich der von der Europäischen [Union] mitfinanzierten, sowie deren Änderungen,

die von einer Behörde auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene ausgearbeitet und/oder angenommen werden oder die von einer Behörde für die Annahme durch das Parlament oder die Regierung im Wege eines Gesetzgebungsverfahrens ausgearbeitet werden und

die aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen;

b)

‚Umweltprüfung‘ die Ausarbeitung eines Umweltberichts, die Durchführung von Konsultationen, die Berücksichtigung des Umweltberichts und der Ergebnisse der Konsultationen bei der Entscheidungsfindung und die Unterrichtung über die Entscheidung gemäß den Artikeln 4 bis 9;

…“

6

In Art. 3 („Geltungsbereich“) der SUP-Richtlinie heißt es:

„(1)   Die unter die Absätze 2 bis 4 fallenden Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, werden einer Umweltprüfung nach den Artikeln 4 bis 9 unterzogen.

(2)   Vorbehaltlich des Absatzes 3 wird eine Umweltprüfung bei allen Plänen und Programmen vorgenommen,

a)

die in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Energie, Industrie, Verkehr, Abfallwirtschaft, Wasserwirtschaft, Telekommunikation, Fremdenverkehr, Raumordnung oder Bodennutzung ausgearbeitet werden und durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung der in den Anhängen I und II der Richtlinie 85/337/EWG [des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 1985, L 175, S. 40) in der durch die Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. 2012, L 26, S. 1) geänderten Fassung] aufgeführten Projekte gesetzt wird oder

b)

bei denen angesichts ihrer voraussichtlichen Auswirkungen auf Gebiete eine Prüfung nach Artikel 6 oder 7 der Richtlinie 92/43/EWG [des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. 1992, L 206, S. 7)] für erforderlich erachtet wird.

(4)   Die Mitgliedstaaten befinden darüber, ob nicht unter Absatz 2 fallende Pläne und Programme, durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung von Projekten gesetzt wird, voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben.

(5)   Die Mitgliedstaaten bestimmen entweder durch Einzelfallprüfung oder durch Festlegung von Arten von Plänen und Programmen oder durch eine Kombination dieser beiden Ansätze, ob die in den Absätzen 3 und 4 genannten Pläne oder Programme voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben. Zu diesem Zweck berücksichtigen die Mitgliedstaaten in jedem Fall die einschlägigen Kriterien des Anhangs II, um sicherzustellen, dass Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, von dieser Richtlinie erfasst werden.

…“

Habitatrichtlinie

7

Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43 (im Folgenden: Habitatrichtlinie) bestimmt:

„Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.“

Belgisches Recht

8

Art. 25bis der Loi du 12 juillet 1973, sur la conservation de la nature (Gesetz vom 12. Juli 1973 über die Erhaltung der Natur) (Moniteur belge vom 11. September 1973, S. 10306) in der zuletzt durch das Dekret vom 22. Dezember 2010 (Moniteur belge vom 13. Januar 2011, S. 1257) geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz vom 12. Juli 1973) bestimmt:

„§ 1.   Die Regierung legt auf der Ebene der Wallonischen Region Erhaltungsziele für jeden natürlichen Lebensraumtyp und jeden Artentyp fest, für die Gebiete auszuweisen sind.

Die Erhaltungsziele werden auf der Grundlage des Erhaltungszustands der natürlichen Lebensraumtypen und der Arten, für die Gebiete auszuweisen sind, auf der Ebene der Wallonischen Region bestimmt und sollen die natürlichen Lebensraumtypen und die Arten, für die Gebiete auszuweisen sind, in einem günstigen Erhaltungszustand bewahren oder einen solchen Zustand gegebenenfalls wiederherstellen.

Diese Erhaltungsziele sind Richtwerte.

§ 2.   Auf der Grundlage der in § 1 erwähnten Erhaltungsziele legt die Regierung Erhaltungsziele fest, die auf der Ebene der Natura 2000-Gebiete anwendbar sind.

Diese Erhaltungsziele haben den Charakter von Vorschriften. Sie sind anhand der in Art. 26 § 1 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 genannten Angaben auszulegen.“

9

Die SUP-Richtlinie wurde im wallonischen Recht durch die Art. D. 52 ff. des I. Buchs des Code de l’environnement (Umweltgesetzbuch) (Moniteur belge vom 9. Juli 2004, S. 54654) umgesetzt. Diese Bestimmungen sehen nicht vor, dass die gemäß Art. 25bis des Gesetzes vom 12. Juli 1973 erlassenen Erhaltungsziele einer Umweltprüfung im Rahmen der „Pläne und Programme“ zu unterziehen sind.

10

Die Erwägungsgründe 6 bis 9 sowie 16 und 18 des Erlasses vom 1. Dezember 2016 lauten:

„Die Festlegung von Erhaltungszielen auf der Ebene der Wallonischen Region und auf Gebietsebene ist für die Umsetzung der Erhaltungsregelung der Natura 2000-Gebiete unerlässlich, als rechtlicher Rahmen für die Entscheidungsfindung im Rahmen der Verabschiedung von Plänen und der Erteilung von Genehmigungen sowie gegebenenfalls für die aktive Verwaltung der Gebiete.

Die Erhaltungsziele dienen dazu, die natürlichen Lebensraumtypen und die Arten, für die Gebiete auszuweisen sind, in einem günstigen Erhaltungszustand zu bewahren oder einen solchen Zustand gegebenenfalls wiederherzustellen.

Gemäß Art. 1bis, 21bis und Art. 25bis § 1 Abs. 1 des Gesetzes [vom 12. Juli 1973] sind auf der Ebene des gesamten wallonischen Gebiets (und nicht nur für das Natura 2000-Netz) Erhaltungsziele festzulegen, um einen Gesamtüberblick darüber zu haben, was zu erhalten ist oder was in der Wallonischen Region gegebenenfalls wiederherzustellen ist, damit die Lebensräume und Arten, für die das Natura 2000-Netz geschaffen wird, in einem günstigen Erhaltungszustand bewahrt werden oder ein solcher Zustand wiederhergestellt wird; diese Ziele sind Richtwerte.

Die Erhaltungsziele auf Gebietsebene sind auf der Grundlage der auf der Ebene des gesamten wallonischen Territoriums festgelegten Erhaltungsziele festzulegen; diese Ziele haben den Charakter von Vorschriften.

Diese Ziele sind in einem bestimmten Natura 2000-Gebiet nur dann anwendbar, wenn dieses Gebiet für diese Art oder diesen Lebensraum ausgewiesen wird. Die Prüfung der Vereinbarkeit eines Projekts mit diesen Erhaltungszielen wird von Fall zu Fall stattfinden, unter Zugrundelegung der Verwaltungseinheit, die betroffen sein könnte, und der Ergebnisse der diesbezüglichen Prüfung, falls sie stattfindet.

Die Erhaltungsziele des Gebiets bilden auf Gebietsebene den Referenzrahmen, der, wenn nichts anderes bestimmt ist, von den zuständigen Behörden insbesondere bei der Erteilung von Genehmigungen einzuhalten ist, unabhängig davon, ob sie unter das Gesetz vom 12. Juli 1973 über die Erhaltung der Natur oder unter andere Rechtsvorschriften fallen.“

11

Gemäß Art. 2 des Erlasses vom 1. Dezember 2016 definiert dessen Anhang „die auf Ebene der Wallonischen Region geltenden quantitativen und qualitativen Erhaltungsziele“.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

12

Am 8. November 2012 übergab der Umweltminister der wallonischen Regierung einen Vermerk betreffend die Annahme eines Vorentwurfs zur Festlegung der Erhaltungsziele für das Natura‑2000-Netz. Vom 10. Dezember 2012 bis zum 8. Februar 2013 fand eine öffentliche Untersuchung in den 218 von diesem Netz betroffenen Gemeinden statt.

13

In den Monaten Oktober und November 2016 wurden der wallonischen Regierung ein zweiter und sodann ein dritter Erlassentwurf vorgelegt.

14

Am 1. Dezember 2016 nahm diese Regierung den angefochtenen Erlass an.

15

Mit Klageschrift vom 9. Februar 2017 beantragte die Terre wallonne beim Conseil d’État (Staatsrat) die Nichtigerklärung dieses Erlasses.

16

Zur Stützung seiner Klage machte dieser Verein insbesondere geltend, die Bestimmungen des Erlasses vom 1. Dezember 2016 fielen unter den Begriff „Pläne und Programme“ im Sinne sowohl der Habitatrichtlinie als auch der SUP-Richtlinie. Dieser Begriff gelte nicht nur für möglicherweise umweltschädliche Pläne und Programme, sondern auch für solche, die sich positiv auf die Umwelt auswirken könnten. Ferner hätte die öffentliche Untersuchung im gesamten Gebiet der Wallonischen Region stattfinden müssen und nicht nur in den vom Natura‑2000-Gebiet betroffenen Gemeinden.

17

Die wallonische Regierung repliziert darauf zum einen, dass der Erlass vom 1. Dezember 2016„unmittelbar“ mit der Verwaltung des Gebietes „in Verbindung steht oder hierfür notwendig ist“, so dass er nicht unter die Fallgruppen von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie falle. Zum anderen sei dieser Erlass, da er von der Verträglichkeitsprüfung im Sinne dieser Richtlinie befreit sei, auch von der Prüfung der Umweltauswirkungen nach der SUP-Richtlinie befreit, deren Art. 3 Abs. 2 Buchst. b auf die Art. 6 und 7 der Habitatrichtlinie verweise. Schließlich stelle dieser Erlass keinen Plan und kein Programm im Sinne der SUP-Richtlinie dar und sei jedenfalls durch ihren Art. 3 vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen.

18

Für das vorlegende Gericht stellt sich die Frage, ob der Erlass vom 1. Dezember 2016 unter den Anwendungsbereich der SUP-Richtlinie fällt, und bejahendenfalls, ob die Habitatrichtlinie zur Folge hat, dass keine Verpflichtung zur Vornahme einer vorherigen Prüfung seiner Umweltauswirkungen im Sinne der SUP-Richtlinie besteht.

19

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts könnte der Erlass vom 1. Dezember 2016, auch wenn er nicht unter Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der SUP-Richtlinie fallen sollte, dennoch einen Plan oder ein Programm im Sinne entweder von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a oder von Art. 3 Abs. 4 der SUP-Richtlinie bilden.

20

Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist der Erlass, mit dem ein Organ eines Mitgliedstaats im Einklang mit der Habitatrichtlinie die Erhaltungsziele für das Natura‑2000-Netz festlegt, ein Plan oder Programm im Sinne der SUP-Richtlinie und insbesondere im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a oder im Sinne von Art. 3 Abs. 4 dieser Richtlinie?

2.

Wenn ja, ist ein solcher Erlass dann einer Umweltprüfung gemäß der SUP-Richtlinie zu unterziehen, obwohl es einer solchen Prüfung nach der Habitatrichtlinie, auf deren Grundlage der Erlass ergangen ist, nicht bedarf?

Zu den Vorlagefragen

21

Mit seinen Fragen, die im Folgenden zusammen untersucht werden, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 2 und 4 der SUP-Richtlinie dahin auszulegen ist, dass ein Erlass wie der im Ausgangsverfahren, mit dem ein Organ eines Mitgliedstaats auf regionaler Ebene Erhaltungsziele für sein Natura‑2000-Netz festlegt, zu den „Plänen und Programmen“ zählt, für die eine Prüfung der Umweltauswirkungen vorgeschrieben ist.

22

Zunächst ist vorauszuschicken, dass nach dem vierten Erwägungsgrund der SUP-Richtlinie die Umweltprüfung ein wichtiges Werkzeug zur Einbeziehung von Umwelterwägungen bei der Ausarbeitung und Annahme bestimmter Pläne und Programme ist.

23

Des Weiteren ist es gemäß ihrem Art. 1 Ziel dieser Richtlinie, im Hinblick auf die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und dazu beizutragen, dass Umwelterwägungen bei der Ausarbeitung und Annahme von Plänen und Programmen einbezogen werden, indem dafür gesorgt wird, dass bestimmte Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, entsprechend dieser Richtlinie einer Umweltprüfung unterzogen werden.

24

Schließlich sind in Anbetracht des Ziels der SUP-Richtlinie, das darin besteht, ein derartiges hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen, die Bestimmungen, die ihren Geltungsbereich abgrenzen, und insbesondere jene, die die Definitionen der von ihr erfassten Rechtsakte aufführen, weit auszulegen (Urteil vom 27. Oktober 2016, D’Oultremont u. a., C‑290/15, EU:C:2016:816, Rn. 40 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

25

Im Licht der vorstehenden Erwägungen sind die vorgelegten Fragen zu beantworten.

26

Zunächst sind jene Argumente zu verwerfen, nach denen die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der SUP-Richtlinie sowie des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie eine Verpflichtung zur Prüfung der Umweltauswirkungen in einem Fall wie dem Ausgangsverfahren jedenfalls ausschließen würden.

27

Diesbezüglich argumentieren zum einen die belgische Regierung und Irland, dass der Erlass vom 1. Dezember 2016 durch die Festlegung von Erhaltungszielen nur vorteilhafte Wirkungen habe und folglich keine Prüfung seiner Umweltauswirkungen erfordere.

28

Der Gerichtshof hat aber zur Richtlinie 85/337 bereits für Recht erkannt, dass der Umstand, dass sich Projekte positiv auf die Umwelt auswirken werden, für die Frage, ob die betreffenden Projekte einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden müssen, nicht von Bedeutung ist (Urteil vom 25. Juli 2008, Ecologistas en Acción-CODA, C‑142/07, EU:C:2008:445, Rn. 41).

29

Zum anderen ist nach Auffassung der belgischen Regierung und Irlands aufgrund von Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der SUP-Richtlinie sowie der in Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie vorgesehenen Ausnahme für Gebietsverwaltungsmaßnahmen die nach der SUP-Richtlinie durchgeführte strategische Umweltauswirkungsprüfung im Zusammenhang mit Natura‑2000-Gebieten auf die Prüfung von Plänen und Projekten beschränkt, die auch einer Verträglichkeitsprüfung nach der Habitatrichtlinie unterliegen. Maßnahmen zur Verwaltung solcher Gebiete bedürften demnach niemals einer Umweltprüfung.

30

Im vorliegenden Fall lässt sich der Vorlageentscheidung entnehmen, dass der Erlass vom 1. Dezember 2016 unmittelbar mit der Verwaltung der gesamten Gebiete der Region Wallonien verbunden ist. Unter diesen Umständen betrifft er kein bestimmtes Gebiet im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie und erfordert folglich auch keine Umweltprüfung nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der SUP-Richtlinie.

31

Jedoch bedeutet der Umstand, dass einem Rechtsakt wie jenem im Ausgangsverfahren nicht zwingend eine Umweltprüfung auf der Grundlage der Bestimmungen des Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der SUP-Richtlinie vorangehen muss, nicht, dass er keinerlei Verpflichtung in diesem Bereich unterliegen würde, da nicht ausgeschlossen ist, dass er Regelungen aufstellt, die ihn in die Nähe eines Plans oder Programms im Sinne der letztgenannten Richtlinie rücken, für den eine Prüfung der Umweltauswirkungen zwingend sein kann.

32

In dieser Hinsicht bedeutet, wie die Generalanwältin in den Nrn. 64 und 65 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, der Umstand, dass der Unionsgesetzgeber im Zusammenhang mit der Habitatrichtlinie Regelungen über die Umweltprüfung und die Öffentlichkeitsbeteiligung im Zusammenhang mit der Verwaltung von Natura‑2000-Gebieten nicht für notwendig erachtete, noch nicht, dass er beim späteren Erlass von allgemeinen Regeln für die Umweltprüfung diese Verwaltung ausschließen wollte. Die nach anderen Umweltschutzinstrumenten vorgenommenen Prüfungen können nämlich neben den Regelungen der Habitatrichtlinie in Bezug auf die Prüfung möglicher Umweltauswirkungen und die Öffentlichkeitsbeteiligung bestehen und diese sinnvoll ergänzen.

33

Was erstens die Annäherung des im Ausgangsverfahren gegenständlichen Erlasses an einen Plan bzw. ein Programm im Sinne der SUP-Richtlinie betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass als Pläne und Programme nach Art. 2 Buchst. a dieser Richtlinie solche gelten, die zwei kumulative Voraussetzungen erfüllen, nämlich dass sie zum einen von einer Behörde auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene ausgearbeitet und/oder angenommen oder von einer Behörde für die Annahme durch das Parlament oder die Regierung im Wege eines Gesetzgebungsverfahrens ausgearbeitet werden und zum anderen aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen.

34

Der Gerichtshof hat diese Bestimmung dahin ausgelegt, dass im Sinne und zur Anwendung der SUP-Richtlinie als Pläne und Programme, die „erstellt werden müssen“ und deren Umweltauswirkungen somit unter den in dieser Richtlinie festgelegten Voraussetzungen einer Prüfung zu unterziehen sind, jene Pläne und Programme anzusehen sind, deren Erlass in nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften geregelt ist, die die insoweit zuständigen Behörden und das Ausarbeitungsverfahren festlegen (Urteile vom 22. März 2012, Inter-Environnement Bruxelles u. a., C‑567/10, EU:C:2012:159, Rn. 31, sowie vom 7. Juni 2018, Thybaut u. a., C‑160/17, EU:C:2018:401, Rn. 43).

35

Vorliegend wurde der Erlass vom 1. Dezember 2016 von einer regionalen Behörde, nämlich der Regierung der Region Wallonien, ausgearbeitet und erlassen und muss dieser Erlass gemäß Art. 25bis des Gesetzes vom 12. Juli 1973 erstellt werden.

36

Was zweitens die Frage betrifft, ob einem Plan bzw. Programm wie im Ausgangsverfahren eine Umweltprüfung vorangehen muss, ist darauf hinzuweisen, dass Pläne und Programme, die die Voraussetzungen des Art. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie erfüllen, einer Umweltprüfung unterzogen werden können, sofern sie unter Art. 3 dieser Richtlinie fallen. Art. 3 Abs. 1 der SUP-Richtlinie sieht nämlich vor, dass die unter die Abs. 2, 3 und 4 fallenden Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, einer Umweltprüfung unterzogen werden.

37

Gemäß Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie wird eine Umweltprüfung bei allen Plänen und Programmen vorgenommen, die in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Energie, Industrie, Verkehr, Abfallwirtschaft, Wasserwirtschaft, Telekommunikation, Fremdenverkehr, Raumordnung oder Bodennutzung ausgearbeitet werden und durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung der in den Anhängen I und II der Richtlinie 2011/92 aufgeführten Projekte gesetzt wird.

38

Diesbezüglich haben die belgische und die tschechische Regierung sowie Irland und die Kommission Zweifel geäußert, ob die Festlegung von Erhaltungszielen für die Natura‑2000-Gebiete einer Region eines Mitgliedstaats in einen dieser Bereiche fallen kann.

39

Wie die Generalanwältin in Nr. 44 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist es erforderlich, soweit gemäß Art. 3 Abs. 4 der SUP-Richtlinie die Mitgliedstaaten darüber befinden, ob nicht unter Abs. 2 dieses Art. 3 fallende Pläne und Programme, durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung von anderen Projekten gesetzt wird, voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, zu bestimmen, ob ein Rechtsakt wie der im Ausgangsverfahren einen solchen Rahmen setzt.

40

Wie nämlich die Generalanwältin in Nr. 69 ihrer Schlussanträge festgehalten hat, hängt die Verpflichtung zur Vornahme einer Umweltprüfung nach Art. 3 Abs. 4 der SUP-Richtlinie – genau wie die Prüfungspflicht nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie – davon ab, dass der jeweilige Plan oder das Programm den Rahmen für die künftige Genehmigung von Projekten setzt.

41

In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof für Recht erkannt, dass sich der Begriff „Pläne und Programme“ auf jeden Rechtsakt bezieht, der dadurch, dass er Regeln und Verfahren zur Kontrolle festlegt, eine signifikante Gesamtheit von Kriterien und Modalitäten für die Genehmigung und Durchführung eines oder mehrerer Projekte aufstellt, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben (Urteile vom 27. Oktober 2016, D’Oultremont u. a., C‑290/15, EU:C:2016:816, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 8. Mai 2019, Verdi Ambiente e Società [VAS] – Aps Onlus u. a., C‑305/18, EU:C:2019:384, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42

Im vorliegenden Fall enthält der Erlass vom 1. Dezember 2016 keine Erhaltungsziele für bestimmte Gebiete, sondern fasst diese für die gesamte Wallonische Region zusammen. Darüber hinaus geht aus Art. 25bis § 1 Abs. 3 des Gesetzes vom 12. Juli 1973 hervor, dass die Erhaltungsziele auf Ebene der Wallonischen Region bloße Richtwerte darstellen, während Art. 25bis § 2 Abs. 2 anordnet, dass die Erhaltungsziele im Rahmen der Natura‑2000-Gebiete den Charakter von Vorschriften haben.

43

Angesichts dieser Umstände ist davon auszugehen, dass ein Rechtsakt wie der im Ausgangsverfahren die in Rn. 41 des vorliegenden Urteils angeführte Voraussetzung insofern nicht erfüllt, als er nicht den Rahmen für die künftige Genehmigung von Projekten festlegt, so dass er weder unter Art. 3 Abs. 2 Buchst. a noch unter Art. 3 Abs. 4 der SUP-Richtlinie fällt.

44

In Anbetracht der gesamten vorstehenden Erwägungen ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, dass Art. 3 Abs. 2 und 4 der SUP-Richtlinie dahin auszulegen ist, dass ein Erlass wie der im Ausgangsverfahren, mit dem ein Organ eines Mitgliedstaats auf regionaler Ebene Erhaltungsziele mit Richtwertcharakter für sein Natura‑2000-Netz festlegt, während den Erhaltungszielen auf Gebietsebene Vorschriftscharakter zukommt, nicht zu den „Plänen und Programmen“ im Sinne dieser Richtlinie zählt, für die eine Prüfung der Umweltauswirkungen vorgeschrieben ist.

Kosten

45

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 3 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme ist dahin auszulegen, dass ein Erlass wie der im Ausgangsverfahren, mit dem ein Organ eines Mitgliedstaats auf regionaler Ebene Erhaltungsziele mit Richtwertcharakter für sein Natura‑2000-Netz festlegt, während den Erhaltungszielen auf Gebietsebene Vorschriftscharakter zukommt, nicht zu den „Plänen und Programmen“ im Sinne dieser Richtlinie zählt, für die eine Prüfung der Umweltauswirkungen vorgeschrieben ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

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