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Document 62018CJ0236

Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 19. Dezember 2019.
GRDF SA gegen Eni Gas & Power France SA u. a.
Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt – Richtlinie 2009/73/EG – Art. 41 Abs. 11 – Beilegung von Streitigkeiten über die dem Netzbetreiber obliegenden Verpflichtungen – Zeitliche Wirkungen der Entscheidungen der Streitbeilegungsstelle – Rechtssicherheit – Berechtigtes Vertrauen.
Rechtssache C-236/18.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2019:1120

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

19. Dezember 2019 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt – Richtlinie 2009/73/EG – Art. 41 Abs. 11 – Beilegung von Streitigkeiten über die dem Netzbetreiber obliegenden Verpflichtungen – Zeitliche Wirkungen der Entscheidungen der Streitbeilegungsstelle – Rechtssicherheit – Berechtigtes Vertrauen“

In der Rechtssache C‑236/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) mit Entscheidung vom 21. März 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 29. März 2018, in dem Verfahren

GRDF SA

gegen

Eni Gas & Power France SA,

Direct énergie,

Commission de régulation de l’énergie,

Procureur général près la Cour d’appel de Paris

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev sowie der Richter T. von Danwitz und C. Vajda (Berichterstatter),

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzler: V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. März 2019,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der GRDF SA, vertreten durch F. Boucard, H. Savoie und D. Théophile, avocats,

der Eni Gas & Power France SA, vertreten durch J. Rousseau und F. Prunet, avocats,

der Direct énergie, vertreten durch F. Molinié, O. Fréget und L. Eskenazi, avocats,

der französischen Regierung, vertreten durch S. Horrenberger, D. Colas, A.‑L. Desjonquères und C. Mosser als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch O. Beynet und Y. G. Marinova als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. Mai 2019

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG (ABl. 2009, L 211, S. 94), insbesondere von Art. 41 Abs. 11 dieser Richtlinie.

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der GRDF SA, der Betreiberin des Erdgasverteilernetzes in Frankreich, einerseits und den Erdgaslieferanten Eni Gas & Power France SA (im Folgenden: Eni Gas) und Direct énergie sowie der Commission de régulation de l’énergie (Energieregulierungskommission, Frankreich, im Folgenden: CRE) und dem Procureur général près la Cour d’appel de Paris (Generalprokurator beim Berufungsgericht Paris, Frankreich) andererseits über Durchleitungsverträge, mit denen das Risiko von Zahlungsausfällen der Endkunden sowie die Lasten der Kundenverwaltung den Lieferanten auferlegt werden.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2003/55/EG

3

In Art. 18 („Zugang Dritter“) Abs. 1 der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (ABl. 2003, L 176, S. 57) hieß es:

„Die Mitgliedstaaten gewährleisten die Einführung eines Systems für den Zugang Dritter zum Fernleitungs- und Verteilernetz und zu den [Flüssigerdgasanlagen] auf der Grundlage veröffentlichter Tarife; die Zugangsregelung gilt für alle zugelassenen Kunden und wird nach objektiven Kriterien und ohne Diskriminierung zwischen den Netzbenutzern angewandt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass diese Tarife oder die Methoden zu ihrer Berechnung von einer in Artikel 25 Absatz 1 vorgesehenen Regulierungsbehörde vor deren Inkrafttreten genehmigt werden und dass die Tarife und – soweit nur die Methoden einer Genehmigung unterliegen – die Methoden vor ihrem Inkrafttreten veröffentlicht werden.“

4

Nach Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie 2003/55 mussten die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen, die erforderlich waren, um dieser Richtlinie spätestens am 1. Juli 2004 nachzukommen.

Richtlinie 2009/73

5

In den Erwägungsgründen 4, 6, 25, 30, 32 und 40 der Richtlinie 2009/73 heißt es:

„(4)

Derzeit gibt es jedoch Hindernisse für den Verkauf von Erdgas in der Gemeinschaft zu gleichen Bedingungen und ohne Diskriminierung oder Benachteiligung. Insbesondere gibt es noch nicht in allen Mitgliedstaaten einen nichtdiskriminierenden Netzzugang und eine gleichermaßen wirksame Regulierungsaufsicht.

(6)

Ohne eine wirksame Trennung des Netzbetriebs von der Erzeugung und Versorgung (‚wirksame Entflechtung‘) besteht zwangsläufig die Gefahr einer Diskriminierung nicht nur in der Ausübung des Netzgeschäfts, sondern auch in Bezug auf die Schaffung von Anreizen für vertikal integrierte Unternehmen, ausreichend in ihre Netze zu investieren.

(25)

Ein nichtdiskriminierender Zugang zum Verteilernetz ist Voraussetzung für den nachgelagerten Zugang zu den Endkunden. In Bezug auf den Netzzugang Dritter und Investitionen stellt sich die Diskriminierungsproblematik dagegen weniger auf der Ebene der Verteilung als vielmehr auf der Ebene der Fernleitung, wo Engpässe und der Einfluss von Gewinnungsinteressen im Allgemeinen ausgeprägter sind als auf der Verteilerebene. Überdies wurde die rechtliche und funktionale Entflechtung der Verteilernetzbetreiber gemäß der Richtlinie [2003/55] erst am 1. Juli 2007 verpflichtend und ihre Auswirkungen auf den Gasbinnenmarkt müssen erst noch bewertet werden. Die geltenden Vorschriften für die rechtliche und funktionale Entflechtung können zu einer wirksamen Entflechtung führen, wenn sie klarer formuliert, ordnungsgemäß umgesetzt und genauestens überwacht werden. Zur Schaffung gleicher Bedingungen auf der Ebene der Endkunden sollten die Aktivitäten der Verteilernetzbetreiber daher überwacht werden, um zu verhindern, dass diese ihre vertikale Integration dazu nutzen, ihre Wettbewerbsposition auf dem Markt, insbesondere bei Haushalts- und kleinen Nichthaushaltskunden, zu stärken.

(30)

Damit der Erdgasbinnenmarkt ordnungsgemäß funktionieren kann, müssen die Energieregulierungsbehörden Entscheidungen in allen relevanten Regulierungsangelegenheiten treffen können und völlig unabhängig von anderen öffentlichen oder privaten Interessen sein. Dies steht weder einer gerichtlichen Überprüfung, noch einer parlamentarischen Kontrolle nach dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten entgegen. …

(32)

Die nationalen Regulierungsbehörden sollten die Möglichkeit haben, die Tarife oder die Tarifberechnungsmethoden auf der Grundlage eines Vorschlags des Fernleitungsnetzbetreibers, des oder der Verteilernetzbetreiber oder des Betreibers einer Flüssiggas-(LNG)-Anlage oder auf der Grundlage eines zwischen diesen Betreibern und den Netzbenutzern abgestimmten Vorschlags festzusetzen oder zu genehmigen. Dabei sollten die nationalen Regulierungsbehörden sicherstellen, dass die Tarife für die Fernleitung und Verteilung nichtdiskriminierend und kostenorientiert sind und die langfristig durch Nachfragesteuerung vermiedenen Netzgrenzkosten berücksichtigen.

(40)

Im Interesse der Versorgungssicherheit sollte das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage in den einzelnen Mitgliedstaaten beobachtet und anschließend ein Gesamtbericht über die Versorgungssicherheit in der Gemeinschaft angefertigt werden, in dem die zwischen verschiedenen Gebieten bestehende Verbindungskapazität berücksichtigt wird. Die Beobachtung sollte so frühzeitig erfolgen, dass die geeigneten Maßnahmen getroffen werden können, wenn die Versorgungssicherheit gefährdet sein sollte. Der Aufbau und der Erhalt der erforderlichen Netzinfrastruktur einschließlich der Verbundmöglichkeiten sollten zu einer stabilen Erdgasversorgung beitragen.“

6

Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie legt deren Gegenstand wie folgt fest:

„Mit dieser Richtlinie werden gemeinsame Vorschriften für die Fernleitung, die Verteilung, die Lieferung und die Speicherung von Erdgas erlassen. Die Richtlinie regelt die Organisation und Funktionsweise des Erdgassektors, den Marktzugang, die Kriterien und Verfahren für die Erteilung von Fernleitungs‑, Verteilungs‑, Liefer- und Speichergenehmigungen für Erdgas sowie den Betrieb der Netze.“

7

Art. 32 („Zugang Dritter“) der Richtlinie sieht in Abs. 1 vor:

„Die Mitgliedstaaten gewährleisten die Einführung eines Systems für den Zugang Dritter zum Fernleitungs- und Verteilernetz und zu den LNG-Anlagen auf der Grundlage veröffentlichter Tarife; die Zugangsregelung gilt für alle zugelassenen Kunden und wird nach objektiven Kriterien und ohne Diskriminierung zwischen den Netzbenutzern angewandt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass diese Tarife oder die Methoden zu ihrer Berechnung gemäß Artikel 41 von einer in Artikel 39 Absatz 1 genannten Regulierungsbehörde vor deren Inkrafttreten genehmigt werden und dass die Tarife und – soweit nur die Methoden einer Genehmigung unterliegen – die Methoden vor ihrem Inkrafttreten veröffentlicht werden.“

8

Art. 40 („Allgemeine Ziele der Regulierungsbehörde“) der Richtlinie sieht vor:

„Bei der Wahrnehmung der in dieser Richtlinie genannten Regulierungsaufgaben trifft die Regulierungsbehörde alle angemessenen Maßnahmen zur Erreichung folgender Ziele im Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse gemäß Artikel 41, gegebenenfalls in engem Benehmen mit anderen einschlägigen nationalen Behörden, einschließlich der Wettbewerbsbehörden, und unbeschadet deren Zuständigkeiten:

a)

Förderung – in enger Zusammenarbeit mit der Agentur, den Regulierungsbehörden der Mitgliedstaaten und der Kommission – eines wettbewerbsbestimmten, sicheren und ökologisch nachhaltigen Erdgasbinnenmarktes in der Gemeinschaft und effektive Öffnung des Marktes für alle Lieferanten und Kunden in der Gemeinschaft; sowie Sicherstellung geeigneter Bedingungen dafür, dass Gasnetze unter Berücksichtigung der langfristigen Ziele wirkungsvoll und zuverlässig betrieben werden;

d)

Beiträge zur möglichst kostengünstigen Verwirklichung der angestrebten Entwicklung verbraucherorientierter, sicherer, zuverlässiger und effizienter nichtdiskriminierender Systeme, Förderung der Angemessenheit der Systeme und, in Einklang mit den allgemeinen Zielen der Energiepolitik, der Energieeffizienz sowie der Einbindung von Gas aus erneuerbaren Energieträgern und dezentraler Erzeugung in großem und kleinem Maßstab sowohl in Fernleitungs- als auch in Verteilernetze;

…“

9

Art. 41 („Aufgaben und Befugnisse der Regulierungsbehörde“) der Richtlinie 2009/73 bestimmt:

„(1)   Die Regulierungsbehörde hat folgende Aufgaben:

a)

Sie ist dafür verantwortlich, anhand transparenter Kriterien die Fernleitungs- oder Verteilungstarife bzw. die entsprechenden Methoden festzulegen oder zu genehmigen.

b)

Sie gewährleistet, dass Fernleitungs- und Verteilernetzbetreiber – gegebenenfalls auch Netzeigentümer – sowie Erdgasunternehmen ihren aus dieser Richtlinie und anderen einschlägigen gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften erwachsenden Verpflichtungen nachkommen, auch in Bezug auf Fragen grenzüberschreitender Natur.

(4)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Regulierungsbehörden mit den erforderlichen Befugnissen ausgestattet werden, die es ihnen ermöglichen, die in den Absätzen 1, 3 und 6 genannten Aufgaben effizient und rasch zu erfüllen. Hierzu muss die Regulierungsbehörde unter anderem über folgende Befugnisse verfügen:

a)

Erlass von Entscheidungen, die für Gasunternehmen bindend sind;

(6)   Den Regulierungsbehörden obliegt es, zumindest die Methoden zur Berechnung oder Festlegung folgender Bedingungen mit ausreichendem Vorlauf vor deren Inkrafttreten festzulegen oder zu genehmigen:

a)

Anschluss und Zugang zu den nationalen Netzen, einschließlich Fernleitungs- und Verteilungstarife, und Bedingungen und Tarife für den Zugang zu LNG-Anlagen. Diese Tarife oder Methoden sind so zu gestalten, dass die notwendigen Investitionen in die Netze und LNG-Anlagen so vorgenommen werden können, dass die Lebensfähigkeit der Netze und LNG-Anlagen gewährleistet ist;

(10)   Die Regulierungsbehörden sind befugt, falls erforderlich von Betreibern von Fernleitungsnetzen, Speicheranlagen, LNG-Anlagen und Verteilernetzen zu verlangen, die in diesem Artikel genannten Bedingungen, einschließlich der Tarife, zu ändern, um sicherzustellen, dass sie angemessen sind und nichtdiskriminierend angewendet werden. …

(11)   Jeder Betroffene, der in Bezug auf die von einem Betreiber im Rahmen dieser Richtlinie eingegangenen Verpflichtungen eine Beschwerde gegen einen Fernleitungs- oder Verteilernetzbetreiber oder den Betreiber einer Speicher- oder LNG-Anlage hat, kann damit die Regulierungsbehörde befassen, die als Streitbeilegungsstelle innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten nach Eingang der Beschwerde eine Entscheidung trifft. …

…“

Richtlinie 2009/72/EG

10

Nach Art. 37 Abs. 11 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG (ABl. 2009, L 211, S. 55) kann „[j]eder Betroffene, der in Bezug auf die von einem Betreiber im Rahmen dieser Richtlinie eingegangenen Verpflichtungen eine Beschwerde gegen einen Übertragungs- oder Verteilernetzbetreiber hat, … damit die Regulierungsbehörde befassen, die als Streitbeilegungsstelle innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten nach Eingang der Beschwerde eine Entscheidung trifft“.

Französisches Recht

11

Art. L. 134-20 des Code de l’énergie (Energiegesetzbuch) in der zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung sieht in den Abs. 2 und 3 vor:

„Die Entscheidung des Ausschusses [für Streitbeilegung und Sanktionen], die mit der Androhung eines Zwangsgelds verbunden sein kann, ist mit Gründen versehen und legt die technischen und finanziellen Bedingungen für die Beilegung der Streitigkeit fest, unter denen der Zugang zu den in Art. L. 134‑19 genannten Netzen, Anlagen und Einrichtungen oder ihre Nutzung gegebenenfalls gewährleistet wird.

Wenn die Beilegung der Streitigkeit dies erfordert, kann der Ausschuss auf objektive, transparente und nichtdiskriminierende Weise sowie unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit die Modalitäten des Zugangs zu den betreffenden Netzen, Anlagen und Einrichtungen oder die Bedingungen für ihre Nutzung festlegen.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

12

Poweo und Direct énergie, zwei Unternehmen, die Erdgas liefern, schlossen am 21. Juni 2005 bzw. 21. November 2008 zwei Verträge über die Durchleitung von Gas durch das Erdgasverteilernetz mit GRDF, der Betreiberin des Erdgasverteilernetzes in Frankreich (im Folgenden: fragliche Verträge). Poweo und Direct énergie wurden später zunächst zu Poweo-Direct énergie, dann zu Direct énergie.

13

Die fraglichen Verträge enthielten eine Vermittlungsklausel, die die Lieferanten verpflichtete, im Rahmen der so genannten „Einzelverträge“ mit dem Endkunden, d. h. Verträge, die Gaslieferungs- und ‑verteilungsaspekte kombinieren, für GRDF Vermittlungsdienstleistungen gegenüber den Endkunden zu erbringen, ohne dass sie den Preis oder die Bedingungen für die Erbringung dieser Dienstleistungen verhandeln konnten. Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass die Lieferanten bei den Endkunden die von diesen aufgrund des Tarifs für die von GRDF erbrachten Versorgungsleistungen geschuldeten Beträge einziehen und anschließend an GRDF abführen sollten. Die Lieferanten waren aber selbst dann verpflichtet, diese Beträge abzuführen, wenn der Endkunde sie nicht gezahlt hatte. So übertrug GRDF durch die Vermittlungsklausel das Risiko des Zahlungsausfalls auf Direct énergie.

14

Am 22. Juli 2013 rief Direct énergie das bei der CRE eingerichtete Comité de règlement des différends et de sanctions (Ausschuss für Streitbeilegung und Sanktionen, im Folgenden: Cordis) an, da sie der Auffassung war, die Vermittlungsklausel verstoße gegen die geltenden nationalen Vorschriften. Sie beantragte zum einen, GRDF zu verpflichten, zum einen ihre Vereinbarungen an die für den Energiesektor geltenden Vorschriften anzupassen, und zum anderen, den Tarif für die vom Lieferanten im Rahmen des Einzelvertrags mit dem Endkunden für Rechnung des Netzbetreibers erbrachten Vermittlungsleistungen festzusetzen. Der Cordis hörte in diesem Verfahren Eni Gas an, ein anderes Erdgas lieferndes Unternehmen.

15

In der Erwägung, dass die Vermittlungsklausel gegen die anwendbare nationale Regelung verstoße, verpflichtete der Cordis GRDF mit Bescheid vom 19. September 2014 dazu, Direct énergie „einen Zusatz [zu den fraglichen Verträgen] zu übermitteln, und sie in die vertragliche Lage zu versetzen, in der sie sich befunden hätte, wenn [diese Verträge] von Anfang an im Einklang mit der geltenden Regelung gestanden hätten“. Darüber hinaus stellte der Cordis klar, dass sich seine Zuständigkeit auf den gesamten Zeitraum erstrecke, der von der ihm vorgelegten Streitigkeit erfasst werde, vorbehaltlich der insoweit anwendbaren Verjährungsvorschriften und ohne dass es auf den Zeitpunkt der Entstehung der Streitigkeit zwischen den Parteien ankomme.

16

GRDF, Direct énergie und Eni Gas erhoben gegen diese Entscheidung jeweils Klage bei der Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris, Frankreich).

17

Mit Urteil vom 2. Juni 2016 bestätigte dieses Gericht im Wesentlichen die Entscheidung des Cordis. Es gab GRDF auf, einen Zusatz zu den fraglichen Verträgen anzubieten, der vorsah, dass die Vermittlungsklausel als von Anfang an nichtig gelte. Ferner verpflichtete es GRDF, eine faire und angemessene Vergütung an Direct énergie zu zahlen, die sich an den eingesparten Kosten für die Vermittlungsdienstleistungen, die Direct énergie vom Tag der Unterzeichnung dieser Verträge an ihre Kunden erbracht hat, orientieren sollte.

18

GRDF legte gegen dieses Urteil beim vorlegenden Gericht, der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich), ein Rechtsmittel ein. Mit einer ihrer gegen das Urteil der Vorinstanz erhobenen Rügen macht sie im Wesentlichen geltend, das Unionsrecht stehe der Rückwirkung der von Cordis getroffenen Entscheidung auf einen Zeitpunkt vor der Entstehung der Streitigkeit entgegen.

19

Das vorlegende Gericht weist unter Bezugnahme auf das Urteil vom 13. März 2008, Vereniging Nationaal Overlegorgaan Sociale Werkvoorziening u. a. (C‑383/06 bis C‑385/06, EU:C:2008:165‚ Rn. 55), darauf hin, dass der Gerichtshof den Grundsatz der Rechtssicherheit anerkannt und eingeräumt habe, dass dieser der Effektivität des Unionsrechts vorgehen könne.

20

Unter diesen Umständen hat die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind die Richtlinie 2009/73 und insbesondere ihr Art. 41 Abs. 11 dahin auszulegen, dass eine Regulierungsbehörde, wenn sie einen Rechtsstreit entscheidet, die Befugnis haben muss, eine Entscheidung zu erlassen, die für den gesamten Zeitraum gilt, auf den sich der Rechtsstreit, in dem sie angerufen worden ist, erstreckt, ohne dass es auf den Zeitpunkt seiner Entstehung zwischen den Parteien ankommt, und die Regulierungsbehörde dabei insbesondere aufgrund des Umstands, dass ein Vertrag nicht im Einklang mit den Bestimmungen der Richtlinie steht, eine Entscheidung erlassen muss, deren Wirkungen sich auf die gesamte Vertragsdauer erstrecken?

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

21

In der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof hat GRDF geltend gemacht, dass der vorliegende Rechtsstreit eine Dienstleistung eines Erdgaslieferanten zugunsten eines Verteilernetzbetreibers betreffe und dass eine solche Dienstleistung nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/73 falle. Diese Richtlinie regele nur Dienstleistungen, die von Erdgasverteilernetzbetreibern zugunsten von Lieferanten erbracht würden.

22

Dem kann nicht gefolgt werden.

23

Gemäß ihrem Art. 1 werden mit der Richtlinie 2009/73 gemeinsame Vorschriften für die Fernleitung, die Verteilung, die Lieferung und die Speicherung von Erdgas erlassen. Die Richtlinie regelt die Organisation und Funktionsweise des Erdgassektors, den Marktzugang, die Kriterien und Verfahren für die Erteilung von Fernleitungs‑, Verteilungs‑, Liefer- und Speichergenehmigungen für Erdgas sowie den Betrieb der Netze.

24

Nach Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2009/73 gewährleisten die Mitgliedstaaten die Einführung eines Systems für den Zugang aller zugelassenen Kunden, einschließlich Versorgungsunternehmen, zum Verteilernetz. Diese Zugangsregelung, die auf veröffentlichten Tarifen beruht, wird nach objektiven Kriterien und ohne Diskriminierung zwischen den Netzbenutzern angewandt. Zu diesem Zweck weist Art. 41 Abs. 1 Buchst. a und b dieser Richtlinie der Regulierungsbehörde die Aufgabe zu, anhand transparenter Kriterien die Verteilungstarife bzw. die entsprechenden Methoden festzulegen oder zu genehmigen und zu gewährleisten, dass Verteilernetzbetreiber ihren aus dieser Richtlinie erwachsenden Verpflichtungen nachkommen. Nach Art. 41 Abs. 10 der Richtlinie ist die Regulierungsbehörde befugt, falls erforderlich von den Netzbetreibern zu verlangen, dass sie die Bedingungen für den Anschluss und den Zugang zum Netz sowie die Tarife ändern. Außerdem kann nach Art. 41 Abs. 11 der Richtlinie 2009/73 jeder Betroffene, der in Bezug auf die von einem Betreiber im Rahmen dieser Richtlinie eingegangenen Verpflichtungen eine Beschwerde gegen einen Verteilernetzbetreiber hat, damit die Regulierungsbehörde befassen, die als Streitbeilegungsstelle (im Folgenden: Streitbeilegungsstelle) innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten nach Eingang der Beschwerde eine Entscheidung trifft.

25

Der Vorlageentscheidung zufolge betraf die dem Cordis vorgelegte Streitigkeit zwischen Direct énergie, einem Erdgaslieferanten, und GRDF, der Betreiberin des Erdgasverteilernetzes in Frankreich, im Wesentlichen die von GRDF der Direct énergie als Bedingung für den Zugang zum französischen Verteilernetz auferlegte Verpflichtung, das Risiko von Zahlungsausfällen im Zusammenhang mit von den Endkunden als Tarif für die Erdgasverteilung geschuldeten Beträgen zu tragen. Das Vorabentscheidungsersuchen beruht auf der Erwägung, dass eine solche Praxis nicht mit den Bestimmungen der Richtlinie 2009/73 zu vereinbaren ist. Der Rechtsstreit fällt daher in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/73.

26

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Gerichtshof für die Beantwortung der Vorlagefrage zuständig ist.

Zur Vorlagefrage

27

Vorab ist festzustellen, dass das Vorabentscheidungsersuchen von der Prämisse ausgeht, dass die vertragliche Praxis eines Verteilernetzbetreibers, dem Gaslieferanten als Bedingung für den Zugang zum nationalen Verteilernetz die Verpflichtung aufzuerlegen, das Risiko von Zahlungsausfällen im Zusammenhang mit von den Endkunden als Tarif für die Erdgasverteilung geschuldeten Beträgen zu tragen, nicht mit den Bestimmungen der Richtlinie 2009/73 zu vereinbaren ist. Da diese Prämisse vor dem Gerichtshof nicht bestritten worden ist, bildet sie die Grundlage für die Prüfung der vorgelegten Frage.

28

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 2009/73 dahin auszulegen ist, dass sie es verbietet, dass sich die Wirkungen einer Entscheidung einer Streitbeilegungsstelle im Sinne von Art. 41 Abs. 11 dieser Richtlinie auf die Situation der Parteien der dieser Stelle vorgelegten Streitigkeit, wie sie zwischen ihnen vor Entstehung der Streitigkeit bestand, erstrecken, und zwar u. a. indem im Fall eines Gasdurchleitungsvertrags einer Streitpartei aufgegeben wird, diesen Vertrag für seine gesamte Laufzeit mit dem Unionsrecht in Einklang zu bringen.

29

Es ist daran zu erinnern, dass nach Art. 41 Abs. 11 der Richtlinie 2009/73 jeder Betroffene, der in Bezug auf die von einem Betreiber im Rahmen dieser Richtlinie eingegangenen Verpflichtungen eine Beschwerde gegen einen Betreiber eines Erdgas-Verteilernetzes hat, damit die Regulierungsbehörde befassen kann, die als Streitbeilegungsstelle innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten nach Eingang der Beschwerde eine bindende Entscheidung trifft.

30

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangen die einheitliche Anwendung des Unionsrechts und der Gleichheitssatz, dass die Begriffe einer unionsrechtlichen Vorschrift, die für die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen sind, wobei diese Auslegung unter Berücksichtigung nicht nur des Wortlauts der Bestimmung, sondern auch ihres Regelungszusammenhangs und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Zwecks zu erfolgen hat (Urteil vom 23. Mai 2019, WB, C‑658/17, EU:C:2019:444, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31

Wie das vorlegende Gericht zu Recht feststellt, ist dem Wortlaut von Art. 41 Abs. 11 der Richtlinie 2009/73 nichts zu den zeitlichen Wirkungen von Entscheidungen der Streitbeilegungsstelle und insbesondere zu der Frage, ob sie Wirkung für die Zeit vor Entstehung der Streitigkeit haben können, zu entnehmen.

32

Was den Regelungszusammenhang angeht, in dem diese Bestimmung steht, betraut Art. 41 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2009/73 die Regulierungsbehörde mit der Aufgabe, sicherzustellen, dass die Verteilernetzbetreiber die ihnen nach dieser Richtlinie obliegenden Verpflichtungen einhalten. Zu den Verpflichtungen des Netzbetreibers gehört u. a. die sich aus Art. 32 Abs. 1 dieser Richtlinie ergebende Verpflichtung, das System für den Zugang Dritter zu Verteilernetzen nach objektiven Kriterien und ohne Diskriminierung von Netzbenutzern anzuwenden.

33

Um den Regulierungsbehörden die Wahrnehmung dieser Aufgabe zu ermöglichen, tragen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 41 Abs. 10 der Richtlinie 2009/73 dafür Sorge, dass diese Behörden über die erforderlichen Befugnisse verfügen, darunter die Befugnis, bindende Entscheidungen gegenüber Erdgasunternehmen zu treffen, so dass diese, falls erforderlich, die Bedingungen für den Anschluss und den Zugang zum Netz, einschließlich insbesondere der Tarife, ändern, um sicherzustellen, dass sie verhältnismäßig sind und auf nicht diskriminierende Weise angewendet werden.

34

Der mit der Richtlinie 2009/73 verfolgte Zweck besteht in der Verwirklichung eines vollständig und tatsächlich offenen und wettbewerbsbestimmten Erdgasbinnenmarkts, in dem alle Kunden ihre Lieferanten frei wählen und alle Anbieter ihre Kunden frei beliefern können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. September 2016, ANODE, C‑121/15, EU:C:2016:637, Rn. 26). Zu diesem Zweck sollen mit dieser Richtlinie, wie aus ihrem Art. 1 hervorgeht, gemeinsame Vorschriften für die Fernleitung, die Verteilung, die Lieferung und die Speicherung von Erdgas erlassen werden (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 14. Mai 2019, Acea Energia u. a., C‑406/17 bis C‑408/17 und C‑417/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:404‚ Rn. 54). Die Erwägungsgründe 4, 6, 25 und 40 der Richtlinie lassen insoweit den Willen des Unionsgesetzgebers erkennen, einen nicht diskriminierenden Zugang zu den Gasverteilernetzen zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2013, Essent u. a., C‑105/12 bis C‑107/12, EU:C:2013:677‚ Rn. 65).

35

In diesem Zusammenhang ist zunächst das Argument des GRDF zurückzuweisen, dass es sich bei den Entscheidungen der Streitbeilegungsstelle um Verwaltungsentscheidungen handele, die keine Wirkungen für die Zeit vor der Entstehung der Streitigkeit zwischen den Parteien entfalten könnten. Eine solche Auslegung liefe den Zielen der Richtlinie 2009/73 zuwider und würde deren praktische Wirksamkeit untergraben. In Übereinstimmung mit den Ausführungen der Europäischen Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ist auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs hinzuweisen, wonach die Pflicht, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts herzustellen, u. a. durch Behebung der Folgen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht, nicht nur den nationalen Gerichten, sondern im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten allen staatlichen Stellen des betreffenden Mitgliedstaats einschließlich der Verwaltungsbehörden obliegt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Juni 1990, Deutschland/Kommission, C‑8/88, EU:C:1990:241, Rn. 13, vom 7. Januar 2004, Wells, C‑201/02, EU:C:2004:12, Rn. 64, und vom 4. Dezember 2018, Minister for Justice and Equality und Commissioner of An Garda Síochána, C‑378/17, EU:C:2018:979, Rn. 38 und 39).

36

Zwar muss die Streitbeilegungsstelle nach Art. 41 Abs. 11 der Richtlinie 2009/73 innerhalb von zwei Monaten nach Eingang der Beschwerde eine Entscheidung treffen. Entgegen dem Vorbringen von GRDF in ihren schriftlichen Erklärungen bedeutet dies jedoch nicht, dass diese Stelle keine Entscheidungen erlassen darf, deren Wirkungen sich auf die Zeit vor der Entstehung der Streitigkeit zwischen den Parteien erstrecken. Die Verfahrensfristen sind nämlich ohne Belang für die etwaige Anpassung der Wirkungen der Entscheidung der Streitbeilegungsstelle in zeitlicher Hinsicht.

37

Schließlich ist zur Bedeutung der Tatsache, dass die fraglichen Verträge hier vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2009/73 geschlossen wurden, festzustellen, dass die Richtlinie keine neue Regelung schafft, sondern unmittelbar an die Richtlinie 2003/55 anschließt, die durch die Richtlinie 2009/73 aufgehoben und ersetzt wurde. So verfolgt die Richtlinie 2009/73 dieselben Ziele wie die Richtlinie 2003/55 und nimmt keine inhaltliche Änderung der materiell-rechtlichen Vorschriften dieser Richtlinie, insbesondere der Vorschriften über den Zugang zum Verteilernetz in Art. 18 der Richtlinie 2003/55 und in Art. 32 der Richtlinie 2009/73 vor (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 2015, Kommission/Moravia Gas Storage, C‑596/13 P, EU:C:2015:203‚ Rn. 37).

38

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Vorlagebeschluss, dass die fraglichen Verträge in den Jahren 2005 und 2008 geschlossen wurden, d. h. nach dem 1. Juli 2004, dem Tag, zu dem die Mitgliedstaaten die Richtlinie 2003/55 gemäß deren Art. 33 Abs. 1 umsetzen mussten.

39

Nach alledem erstrecken sich die Wirkungen einer Entscheidung einer Streitbeilegungsstelle im Sinne von Art. 41 Abs. 11 dieser Richtlinie auf die Situation der Parteien der dieser Stelle vorgelegten Streitigkeit, wie sie zwischen ihnen vor Entstehung der Streitigkeit bestand. Diese Bestimmung steht daher einer Entscheidung nicht entgegen, mit der einer Streitpartei aufgegeben wird, den Durchleitungsvertrag für die gesamte Vertragslaufzeit mit dem Unionsrecht in Einklang zu bringen.

40

Diese Auslegung von Art. 41 Abs. 11 der Richtlinie 2009/73 wird weder durch den Grundsatz der Rechtssicherheit noch durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes in Frage gestellt, auf die sich GRDF beruft.

41

Wenn die Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Durchführung des Unionsrechts erlassen, haben sie dessen allgemeine Grundsätze zu beachten (Urteil vom 7. August 2018, Ministru kabinets, C‑120/17, EU:C:2018:638, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42

Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet zum einen, dass Rechtsvorschriften klar und bestimmt sind, und zum anderen, dass ihre Anwendung für den Einzelnen voraussehbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. September 2019, Călin, C‑676/17, EU:C:2019:700, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43

Insoweit hat der Gerichtshof zwar entschieden, dass er in Ausnahmefällen und aus zwingenden Erwägungen der Rechtssicherheit eine vorübergehende Aussetzung der Verdrängungswirkung herbeiführen kann, die eine unionsrechtliche Vorschrift gegenüber mit ihr unvereinbarem nationalem Recht ausübt, und dass ein nationales Gericht unter Voraussetzungen, die allein der Gerichtshof festlegen kann, aus zwingenden Erwägungen, die mit dem Umweltschutz und der Stromversorgungssicherheit des betreffenden Mitgliedstaats zusammenhängen, ausnahmsweise zur Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift berechtigt sein kann, die es ihm gestattet, bestimmte Wirkungen eines für nichtig erklärten nationalen Rechtsakts aufrechtzuerhalten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juli 2019, Inter-Environnement Wallonie und Bond Beter Leefmilieu Vlaanderen, C‑411/17, EU:C:2019:622, Rn. 177 bis 179).

44

Selbst wenn allerdings das Vorbringen von GRDF so zu verstehen wäre, dass es einen solchen Antrag enthielte, ist von vornherein auszuschließen, dass das nationale Gericht berechtigt wäre, die Wirkungen der Aufhebung eines unionsrechtswidrigen nationalen Rechtsakts zeitlich zu begrenzen. Das vorlegende Gericht hat nämlich keine konkreten Gesichtspunkte genannt, die spezifische Risiken der Rechtsunsicherheit begründen könnten, die sich daraus ergäben, dass sich die Wirkungen der Entscheidungen des Cordis im Sinne von Art. 41 Abs. 11 der Richtlinie 2009/73 auf die Situation der Parteien der bei ihm anhängigen Streitigkeit erstrecken, wie sie zwischen ihnen vor Entstehung dieser Streitigkeit bestand (vgl. entsprechend Urteil vom 27. Juni 2019, Belgisch Syndicaat van Chiropraxie u. a., C‑597/17, EU:C:2019:544, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45

Schließlich beruft sich GRDF auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes, da die Wirtschaftsteilnehmer im vorliegenden Fall insoweit auf die Rechtmäßigkeit der Durchleitungsverträge hätten vertrauen dürfen, als diese Verträge gemäß Art. 41 Abs. 6 Buchst. a der Richtlinie 2009/73 unter der Aufsicht und Kontrolle der CRE ausgehandelt worden seien.

46

Auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes kann sich jeder berufen, bei dem eine nationale Verwaltungsbehörde aufgrund bestimmter Zusicherungen, die sie ihm gegeben hat, begründete Erwartungen geweckt hat (Urteil vom 7. August 2018, Ministru kabinets, C‑120/17, EU:C:2018:638, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47

Daher ist zu prüfen, ob die Handlungen der betreffenden Verwaltungsbehörde in der Vorstellung des Betroffenen ein vernünftiges Vertrauen begründet haben und, wenn dies der Fall ist, ob dieses Vertrauen berechtigt ist (Urteil vom 7. August 2018, Ministru kabinets, C‑120/17, EU:C:2018:638, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48

Im vorliegenden Fall macht GRDF zwar geltend, dass die fraglichen Verträge unter der Aufsicht und Kontrolle der CRE ausgehandelt worden seien, sie hat aber keine präzisen Zusicherungen dieser nationalen Behörde in Bezug auf die Vereinbarkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vermittlungsklausel mit dem Unionsrecht angeführt.

49

Außerdem scheint sich aus der Vorlageentscheidung und den schriftlichen Erklärungen von Eni Gas zu ergeben, dass der Cordis, der auch die in Art. 37 Abs. 11 der Richtlinie 2009/72 genannte Streitbeilegungsstelle für den Bereich der Elektrizität ist, seit 2008 Entscheidungen im Elektrizitätssektor getroffen hat, die mit den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Entscheidungen in Bezug auf den Erdgassektor vergleichbar sind. Vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht scheint der Cordis somit entschieden zu haben, dass die Richtlinie 2009/72 einer Vertragsklausel entgegensteht, mit der der Betreiber des Elektrizitätsverteilernetzes das Risiko von Zahlungsausfällen in Bezug auf den Elektrizitätsverteilungstarif auf die Stromlieferanten überträgt. Insoweit ist festzustellen, dass die Richtlinien 2009/72 und 2009/73 auf dieselben Ziele ausgerichtet sind, nämlich u. a. darauf, einen nicht diskriminierenden Zugang zu den Elektrizitäts- und Gasverteilernetzen zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2013, Essent u. a., C‑105/12 bis C‑107/12, EU:C:2013:677‚ Rn. 65).

50

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann der Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht gegen eine klare unionsrechtliche Bestimmung angeführt werden und das unionsrechtswidrige Verhalten einer mit der Anwendung des Unionsrechts betrauten nationalen Behörde kein berechtigtes Vertrauen eines Einzelnen darauf begründen, in den Genuss einer unionsrechtswidrigen Behandlung zu kommen (Urteil vom 7. August 2018, Ministru kabinets, C‑120/17, EU:C:2018:638, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

51

Unter diesen Umständen konnten – vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht – die Handlungen der Regulierungsbehörde, nämlich die Genehmigung der Vertriebsbedingungen, einschließlich der Tarife, gemäß Art. 41 Abs. 6 Buchst. a der Richtlinie 2009/73, bei GRDF kein berechtigtes Vertrauen darauf begründen, dass die Vermittlungsklausel selbst mit dem in dieser Richtlinie vorgesehenen Grundsatz des nicht diskriminierenden Zugangs zum Verteilernetz vereinbar ist.

52

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Richtlinie 2009/73 dahin auszulegen ist, dass sie es nicht verbietet, dass sich die Wirkungen einer Entscheidung einer Streitbeilegungsstelle im Sinne von Art. 41 Abs. 11 dieser Richtlinie auf die Situation der Parteien der dieser Stelle vorgelegten Streitigkeit, wie sie zwischen ihnen vor Entstehung dieser Streitigkeit bestand, erstrecken, und zwar u. a. indem im Fall eines Gasdurchleitungsvertrags einer Streitpartei aufgegeben wird, diesen Vertrag für seine gesamte Laufzeit mit dem Unionsrecht in Einklang zu bringen.

Kosten

53

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG ist dahin auszulegen, dass sie es nicht verbietet, dass sich die Wirkungen einer Entscheidung einer als Streitbeilegungsstelle handelnden Regulierungsbehörde im Sinne von Art. 41 Abs. 11 dieser Richtlinie auf die Situation der Parteien der dieser Behörde vorgelegten Streitigkeit, wie sie zwischen ihnen vor Entstehung dieser Streitigkeit bestand, erstrecken, und zwar u. a. indem im Fall eines Gasdurchleitungsvertrags einer Streitpartei aufgegeben wird, diesen Vertrag für seine gesamte Vertragslaufzeit mit dem Unionsrecht in Einklang zu bringen.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

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