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Document 62017CJ0620

    Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 29. Juli 2019.
    Hochtief Solutions AG Magyarországi Fióktelepe gegen Fővárosi Törvényszék.
    Vorabentscheidungsersuchen des Székesfehérvári Törvényszék.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliche Aufträge – Nachprüfungsverfahren – Richtlinie 89/665/EWG – Richtlinie 92/13/EWG – Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz – Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz – Wiederaufnahme gerichtlicher Entscheidungen, die gegen das Unionsrecht verstoßen – Haftung der Mitgliedstaaten bei Verstößen nationaler Gerichte gegen das Unionsrecht – Bemessung des ersatzfähigen Schadens.
    Rechtssache C-620/17.

    Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2019:630

    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

    29. Juli 2019 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliche Aufträge – Nachprüfungsverfahren – Richtlinie 89/665/EWG – Richtlinie 92/13/EWG – Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz – Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz – Wiederaufnahme gerichtlicher Entscheidungen, die gegen das Unionsrecht verstoßen – Haftung der Mitgliedstaaten bei Verstößen nationaler Gerichte gegen das Unionsrecht – Bemessung des ersatzfähigen Schadens“

    In der Rechtssache C‑620/17

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Székesfehérvári Törvényszék (Stuhlgericht Székesfehérvár, Ungarn) mit Entscheidung vom 24. Oktober 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 2. November 2017, in dem Verfahren

    Hochtief Solutions AG Magyarországi Fióktelepe

    gegen

    Fővárosi Törvényszék

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras (Berichterstatter), der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter D. Šváby, S. Rodin und N. Piçarra,

    Generalanwalt: M. Bobek,

    Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. November 2018,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der Hochtief Solutions AG Magyarországi Fióktelepe, vertreten durch G. M. Tóth und I. Varga, ügyvédek,

    des Fővárosi Törvényszék, vertreten durch H. Beerné Vörös und K. Bőke als Bevollmächtigte sowie durch G. Barabás, bíró,

    der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und G. Koós als Bevollmächtigte,

    der hellenischen Regierung, vertreten durch M. Tassopoulou, D. Tsagkaraki und G. Papadaki als Bevollmächtigte,

    der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Tokár, H. Krämer und P. Ondrůšek als Bevollmächtigte,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. April 2019

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 49 AEUV, Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. 1989, L 395, S. 33) in der durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 (ABl. 2007, L 335, S. 31) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/665), der Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. 1992, L 76, S. 14) in der durch die Richtlinie 2007/66 geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 92/13), der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. 1993, L 199, S. 54) sowie der Grundsätze des Vorrangs, der Äquivalenz und der Effektivität des Unionsrechts.

    2

    Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Hochtief Solutions AG Magyarországi Fióktelepe (im Folgenden: Hochtief Solutions) und dem Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) wegen eines Schadens, der Hochtief Solutions durch die Ausübung der gerichtlichen Befugnisse dieses Gerichts entstanden sein soll.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    3

    Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 3 und Abs. 3 der Richtlinie 89/665, der nahezu den gleichen Wortlaut wie Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 3 und Abs. 3 der Richtlinie 92/13 hat, sieht vor:

    „(1)   …

    Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114)] fallenden Aufträge die Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der Artikel 2 bis 2f der vorliegenden Richtlinie auf Verstöße gegen das [Unionsrecht] im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, nachgeprüft werden können.

    (3)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Nachprüfungsverfahren entsprechend den gegebenenfalls von den Mitgliedstaaten festzulegenden Bedingungen zumindest jeder Person zur Verfügung stehen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und der durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht.“

    4

    Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 bestimmt:

    „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass für die in Artikel 1 genannten Nachprüfungsverfahren die erforderlichen Befugnisse vorgesehen werden, damit

    a)

    so schnell wie möglich im Wege der einstweiligen Verfügung vorläufige Maßnahmen ergriffen werden können, um den behaupteten Verstoß zu beseitigen oder weitere Schädigungen der betroffenen Interessen zu verhindern; dazu gehören auch Maßnahmen, um das Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags oder die Durchführung jeder sonstigen Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers auszusetzen oder die Aussetzung zu veranlassen;

    b)

    die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen, einschließlich der Streichung diskriminierender technischer, wirtschaftlicher oder finanzieller Spezifikationen in den Ausschreibungsdokumenten, den Verdingungsunterlagen oder in jedem sonstigen sich auf das betreffende Vergabeverfahren beziehenden Dokument vorgenommen oder veranlasst werden kann;

    c)

    denjenigen, die durch den Verstoß geschädigt worden sind, Schadensersatz zuerkannt werden kann.

    …“

    5

    Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 92/13 sah vor:

    „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass für die in Artikel 1 genannten Nachprüfungsverfahren die erforderlichen Befugnisse vorgesehen werden, damit

    entweder

    a)

    so schnell wie möglich im Wege der einstweiligen Verfügung vorläufige Maßnahmen ergriffen werden können, um den behaupteten Rechtsverstoß zu beseitigen oder weitere Schädigungen der betroffenen Interessen zu verhindern; dazu gehören Maßnahmen, um das Auftragsvergabeverfahren oder die Durchführung jeder Entscheidung der öffentlichen Auftraggeber auszusetzen oder die Aussetzung zu veranlassen;

    b)

    die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen, einschließlich der Streichung diskriminierender technischer, wirtschaftlicher oder finanzieller Spezifikationen in der Vergabebekanntmachung, in der regelmäßigen Bekanntmachung, in der Bekanntmachung eines Qualifikationssystems, in der Aufforderung zur Angebotsabgabe, in den Verdingungsunterlagen oder in jedem sonstigen sich auf das betreffende Vergabeverfahren beziehenden Dokument vorgenommen oder veranlasst werden kann;

    oder

    c)

    so schnell wie möglich – möglichst im Wege der einstweiligen Verfügung oder falls erforderlich im endgültigen Verfahren zur Sache – andere als die unter den Buchstaben a) und b) vorgesehenen Maßnahmen ergriffen werden können, um den festgestellten Rechtsverstoß zu beseitigen und Schädigungen der betroffenen Interessen zu verhindern, insbesondere damit eine Aufforderung zur Zahlung eines Geldbetrags in bestimmter Höhe für den Fall ergehen kann, dass der Rechtsverstoß nicht beseitigt oder verhindert wird.

    Die Mitgliedstaaten können diese Wahl entweder für alle Auftraggeber oder anhand von objektiven Kriterien für bestimmte Kategorien von Auftraggebern treffen, wobei in jedem Fall die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Verhinderung einer Schädigung der betreffenden Interessen gewahrt bleiben muss;

    d)

    in beiden vorgenannten Fällen denjenigen, die durch den Rechtsverstoß geschädigt worden sind, Schadenersatz zuerkannt werden kann.

    Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass bei Schadenersatzansprüchen, die auf die Rechtswidrigkeit einer Entscheidung gestützt werden, diese Entscheidung zunächst aufgehoben oder für rechtswidrig erklärt worden sein muss, sofern ihr innerstaatliches Rechtssystem dies erforderlich macht und über die mit den dafür erforderlichen Befugnissen ausgestatteten Instanzen verfügt.“

    Ungarisches Recht

    6

    § 260 des polgári perrendtartásról szóló 1952. évi III. törvény (Gesetz Nr. III von 1952 über die Zivilprozessordnung, im Folgenden: ZPO) sieht vor:

    „(1)   Die Wiederaufnahme eines mit einem rechtskräftigen Urteil abgeschlossenen Verfahrens kann beantragt werden, wenn

    a)

    die Partei einen Sachverhalt, einen Beweis oder eine rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts oder einer anderen Behörde geltend macht, der oder die vom Gericht im Verfahren nicht berücksichtigt wurde, sofern die Berücksichtigung für sie von Vorteil gewesen wäre;

    (2)   Ein Antrag einer der Parteien auf Wiederaufnahme nach Absatz 1 Buchstabe a ist nur zulässig, wenn sie den Sachverhalt, den Beweis oder die Entscheidung, die dort angeführt werden, im früheren Verfahren unverschuldet nicht geltend machen konnte.“

    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    7

    Am 25. Juli 2006 veröffentlichte die Észak-dunántúli Környezetvédelmi és Vízügyi Igazgatóság (Direktion Umweltschutz und Wasserbau Nordtransdanubien, Ungarn) (im Folgenden: Vergabebehörde) in der Reihe S des Amtsblatts der Europäischen Union unter der Nr. 139-149235 eine Ausschreibung für einen öffentlichen Bauauftrag in Bezug auf den Ausbau der Verkehrsinfrastrukturen im intermodalen Zentrum des nationalen Handelshafens von Györ-Gönyü (Ungarn) im beschleunigten Verfahren nach Kapitel IV des közbeszerzésekről szóló 2003 évi CXXIX. törvény (Gesetz CXXIX von 2003 über die Vergabe öffentlicher Aufträge).

    8

    In dem die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit betreffenden Abschnitt III.2.2 der Ausschreibung hieß es, dass „ein Bewerber oder ein Nachunternehmer …, der in den letzten drei Geschäftsjahren in der Bilanz mehr als ein negatives Ergebnis ausgewiesen hat, nicht die Voraussetzungen der Leistungsfähigkeit erfüllt“.

    9

    Nach den Angaben in der Vorlageentscheidung erfüllte Hochtief Solutions dieses Kriterium nicht und focht dessen Rechtmäßigkeit vor der Közbeszerzési Döntőbizottság (Schiedsstelle für öffentliche Auftragsvergaben, Ungarn, im Folgenden: Schiedsstelle) an; dabei machte sie geltend, das Kriterium sei diskriminierend und gebe als solches keinen Aufschluss über die finanzielle Leistungsfähigkeit eines Bieters.

    10

    Die Schiedsstelle gab der Beschwerde von Hochtief Solutions teilweise statt und erlegte der Vergabebehörde eine Geldbuße von 8000000 ungarischen Forint (HUF) (etwa 24500 Euro) auf, ohne jedoch die Rechtswidrigkeit dieses Kriteriums festzustellen.

    11

    Am 2. Oktober 2006 erhob Hochtief Solutions gegen die Entscheidung der Schiedsstelle Klage vor dem Fővárosi Bíróság (Hauptstädtischer Gerichtshof, Ungarn), der die Auffassung vertrat, das Bilanzergebnis sei geeignet gewesen, Aufschluss über die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit zu geben, und die Klage deshalb abwies.

    12

    Am 4. Juni 2010 legte Hochtief Solutions gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung beim Fővárosi Ítélőtábla (Hauptstädtisches Tafelgericht, Ungarn) ein, das entschied, das Verfahren auszusetzen und den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen.

    13

    Mit Urteil vom 18. Oktober 2012, Édukövízig und Hochtief Construction (C‑218/11, EU:C:2012:643), entschied der Gerichtshof u. a., dass Art. 44 Abs. 2 und Art. 47 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 dahin auszulegen sind, dass ein öffentlicher Auftraggeber befugt ist, Mindestanforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit durch Bezugnahme auf eines oder mehrere spezielle Elemente der Bilanz aufzustellen, sofern sie objektiv geeignet sind, über diese Leistungsfähigkeit eines Wirtschaftsteilnehmers Auskunft zu geben, und die Mindestanforderungen der Bedeutung des betreffenden Auftrags in dem Sinne angepasst sind, dass sie objektiv einen konkreten Hinweis auf das Bestehen einer zur erfolgreichen Ausführung dieses Auftrags ausreichenden wirtschaftlichen und finanziellen Basis ermöglichen, ohne jedoch über das hierzu vernünftigerweise erforderliche Maß hinauszugehen, wobei das Kriterium der Mindestanforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit grundsätzlich nicht allein deshalb außer Betracht bleiben kann, weil diese Anforderungen ein Element der Bilanz betreffen, das in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten möglicherweise unterschiedlich ausgestaltet ist.

    14

    Der Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht), der inzwischen an die Stelle des Fővárosi Ítélőtábla (Hauptstädtisches Tafelgericht) getreten war, bestätigte unter Berücksichtigung dieses Urteils des Gerichtshofs das erstinstanzliche Urteil und entschied, dass das vom öffentlichen Auftraggeber zur Beurteilung der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit herangezogene Kriterium nicht diskriminierend sei.

    15

    Am 13. September 2013 legte Hochtief Solutions gegen das Urteil des Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht) Revision bei der Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn) ein, in der sie geltend machte, das Bilanzergebnis sei nicht geeignet, dem öffentlichen Auftraggeber ein tatsächliches und objektives Bild über die wirtschaftliche und finanzielle Lage eines Bieters zu geben. Sie beantragte außerdem bei der Kúria (Oberster Gerichtshof), den Gerichtshof erneut um Vorabentscheidung zu ersuchen.

    16

    Mit Urteil vom 19. März 2014 wies die Kúria (Oberster Gerichtshof) die Revision jedoch mit der Begründung zurück, dass die Rüge verspätet erhoben worden sei, da Hochtief Solutions diese Frage nicht in ihrem ursprünglichen verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelf vor der Schiedsstelle aufgeworfen habe, sondern nur in ihrem anschließenden Vorbringen.

    17

    Am 25. Juli 2014 legte Hochtief Solutions beim Alkotmánybíróság (Verfassungsgericht, Ungarn) gegen das Urteil der Kúria (Oberster Gerichtshof) Verfassungsbeschwerde ein, mit der sie die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Urteils und seine Aufhebung beantragte. Mit Beschluss vom 9. Februar 2015 wurde die Verfassungsbeschwerde als unzulässig zurückgewiesen.

    18

    In der Zwischenzeit, am 26. November 2014, hatte Hochtief Solutions beim Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Hauptstädtisches Verwaltungs- und Arbeitsgericht, Ungarn) die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt, das mit dem in Rn. 14 des vorliegenden Urteils angeführten Urteil des Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht) abgeschlossen worden war.

    19

    Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts machte Hochtief Solutions zur Begründung ihres Wiederaufnahmeantrags geltend, dass die Frage, ob das Bilanzergebnis ein geeigneter Indikator für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit eines Bieters sei, ebenso wie das Urteil vom 18. Oktober 2012, Édukövízig und Hochtief Construction (C‑218/11, EU:C:2012:643), letztlich nicht geprüft worden seien. Nach Ansicht von Hochtief Solutions stellt dieses Versäumnis einen „Sachverhalt“ im Sinne von Art. 260 Abs. 1 Buchst. a ZPO dar, der die Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigen kann, das mit dem Urteil des Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht) abgeschlossen wurde. Unter Bezugnahme u. a. auf das Urteil vom 13. Januar 2004, Kühne & Heitz (C‑453/00, EU:C:2004:17‚ Rn. 26 und 27), machte Hochtief Solutions geltend, wenn ein Urteil des Gerichtshofs wegen seiner Verspätung im Hauptsacheverfahren nicht habe berücksichtigt werden können, könne und müsse es im Rahmen einer Wiederaufnahme geprüft werden.

    20

    Hochtief Solutions hatte zwar beim Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Hauptstädtisches Verwaltungs- und Arbeitsgericht) beantragt, den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens aufgeworfenen Fragen zu ersuchen, doch dieses Gericht gab dem Antrag nicht statt und wies den Wiederaufnahmeantrag zurück, da es der Ansicht war, dass die von Hochtief Solutions angeführten Tatsachen und Beweise nicht neu seien.

    21

    Hochtief Solutions focht daraufhin den Beschluss, mit dem ihr Wiederaufnahmeantrag zurückgewiesen wurde, beim Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht) an und beantragte dort zum einen, das Verfahren wieder aufzunehmen und die Prüfung in der Sache anzuordnen, und zum anderen, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen.

    22

    Am 18. November 2015 erließ der Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht) einen Beschluss, mit dem er sich dem erstinstanzlichen Beschluss des Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Hauptstädtisches Verwaltungs- und Arbeitsgericht) anschloss.

    23

    Hochtief Solutions erhob daraufhin beim vorlegenden Gericht, dem Székesfehérvári Törvényszék (Stuhlgericht Székesfehérvár, Ungarn), Klage auf Ersatz des Schadens, der ihr durch die Ausübung der gerichtlichen Befugnisse des Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht) entstanden sei. Hierzu macht sie geltend, ihr sei es versagt geblieben, dass die von ihr vor der Schiedsstelle und im Rahmen des Hauptsacheverfahrens angeführten, aber weder von der Schiedsstelle noch von den befassten Gerichten beurteilten Tatsachen und Umstände im Einklang mit dem Unionsrecht berücksichtigt werden könnten. Damit hätten die ungarischen mit der Rechtsanwendung befassten Stellen die durch die einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts garantierten Rechte ausgehöhlt.

    24

    Unter diesen Umständen hat der Székesfehérvári Törvényszék (Stuhlgericht Székesfehérvár) entschieden, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen vorzulegen:

    1.

    Sind die Grundsätze bzw. Bestimmungen des Unionsrechts (u. a. Art. 4 Abs. 3 EUV und das Erfordernis einheitlicher Auslegung), wie sie der Gerichtshof insbesondere im Urteil vom 30. September 2003, Köbler (C‑224/01, EU:C:2003:513), ausgelegt hat, dahin auszulegen, dass die Feststellung der Haftung wegen eines gegen das Unionsrecht verstoßenden Urteils eines letztinstanzlichen Gerichts ausschließlich auf nationales Recht bzw. auf im nationalen Recht entwickelte Kriterien gestützt werden kann? Sind, falls diese Frage verneint wird, die Grundsätze bzw. Bestimmungen des Unionsrechts, insbesondere die drei vom Gerichtshof im Urteil vom 30. September 2003, Köbler (C‑224/01, EU:C:2003:513), entwickelten Voraussetzungen für die Haftung des „Staates“ dahin auszulegen, dass das Vorliegen der Voraussetzungen für die Haftung des Mitgliedstaats wegen der Verletzung von Unionsrecht durch die Gerichte dieses Mitgliedstaats nach dem innerstaatlichen Recht zu beurteilen ist?

    2.

    Sind die Bestimmungen bzw. Grundsätze des Unionsrechts (u. a. Art. 4 Abs. 3 EUV und das Erfordernis eines wirksamen Rechtsbehelfs) und vor allem die Urteile des Gerichtshofs zur Staatshaftung vom 19. November 1991, Francovich u. a. (C‑6/90 und C‑9/90, EU:C:1991:428), vom 5. März 1996, Brasserie du pêcheur und Factortame (C‑46/93 und C‑48/93, EU:C:1996:79), und vom 30. September 2003, Köbler (C‑224/01, EU:C:2003:513), dahin auszulegen, dass die Rechtskraft gegen das Unionsrecht verstoßender Urteile letztinstanzlicher Gerichte die Feststellung ausschließt, dass der Mitgliedstaat für Schäden haftet?

    3.

    Sind vor dem Hintergrund der Richtlinie 89/665 bzw. der Richtlinie 92/13 das Nachprüfungsverfahren bei öffentlichen Aufträgen, die den unionsrechtlichen Schwellenwert erreichen, und die gerichtliche Überprüfung einer in einem solchen Verfahren ergangenen Verwaltungsentscheidung unionsrechtlich von Bedeutung? Sind, falls diese Frage bejaht wird, das Unionsrecht und die Rechtsprechung des Gerichtshofs, u. a. die Urteile vom 13. Januar 2004, Kühne & Heitz (C‑453/00, EU:C:2004:17), vom 16. März 2006, Kapferer (C‑234/04, EU:C:2006:178), und insbesondere vom 10. Juli 2014, Impresa Pizzarotti (C‑213/13, EU:C:2014:2067), maßgeblich, was die Notwendigkeit der Zulässigkeit einer im nationalen Recht als außerordentliches Rechtsmittel ausgestalteten Wiederaufnahme des Verfahrens betrifft, die sich im Zusammenhang mit der gerichtlichen Überprüfung einer in einem solchen Nachprüfungsverfahren ergangenen Verwaltungsentscheidung ergibt?

    4.

    Sind die Richtlinien über die Nachprüfungsverfahren bei öffentlichen Aufträgen (d. h. die Richtlinie 89/665 bzw. die Richtlinie 92/13) dahin auszulegen, dass mit ihnen eine nationale Regelung vereinbar ist, wonach die mit dem Ausgangsrechtsstreit befassten nationalen Gerichte eine Tatsache außer Acht lassen können, die gemäß einem Urteil des Gerichtshofs – das infolge eines Vorabentscheidungsersuchens im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens ergangen ist – zu prüfen ist, und wonach diese Tatsache auch in dem Verfahren, das infolge des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens gegen die im Ausgangsverfahren ergangene Entscheidung eingeleitet wird, von den mit der Sache befassten nationalen Gerichten nicht berücksichtigt wird?

    5.

    Sind die Richtlinie 89/665, speziell ihr Art. 1 Abs. 1 und 3, sowie die Richtlinie 92/13, speziell ihre Art. 1 und 2 – insbesondere im Licht der Urteile vom 13. Januar 2004, Kühne & Heitz (C‑453/00, EU:C:2004:17), vom 16. März 2006, Kapferer (C‑234/04, EU:C:2006:178), vom 12. Februar 2008, Kempter (C‑2/06, EU:C:2008:78), vom 4. Juni 2009, Pannon GSM (C‑243/08, EU:C:2009:350), und vom 10. Juli 2014, Impresa Pizzarotti (C‑213/13, EU:C:2014:2067) –, dahin auszulegen, dass mit ihnen sowie mit dem Erfordernis eines wirksamen Rechtsbehelfs und den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität eine nationale Regelung bzw. deren Anwendung vereinbar ist, die zur Folge hat, dass in einem zweitinstanzlichen Verfahren die Auslegung der maßgeblichen unionsrechtlichen Vorschriften durch ein Urteil des Gerichtshofs, das infolge eines vor dem Erlass des zweitinstanzlichen Urteils eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahrens ergangen ist, von dem mit der Sache befassten Gericht wegen Verspätung zurückgewiesen wird und dass das mit dem anschließenden Wiederaufnahmeverfahren befasste Gericht die Wiederaufnahme für unzulässig hält?

    6.

    Muss, wenn die Wiederaufnahme des Verfahrens nach nationalem Recht aufgrund einer neuen Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs im Interesse der Wiederherstellung der Verfassungsgemäßheit zuzulassen ist, gemäß dem Urteil vom 26. Januar 2010, Transportes Urbanos y Servicios Generales (C‑118/08, EU:C:2010:39), die Wiederaufnahme des Verfahrens in den Fällen zugelassen werden, in denen im Hauptsacheverfahren wegen nationaler Vorschriften über Verfahrensfristen ein Urteil des Gerichtshofs nicht berücksichtigt werden konnte?

    7.

    Sind die Richtlinie 89/665, speziell ihr Art. 1 Abs. 1 und 3, sowie die Richtlinie 92/13, speziell ihre Art. 1 und 2, im Licht des Urteils des Gerichtshofs vom 12. Februar 2008, Kempter (C‑2/06, EU:C:2008:78), wonach eine Partei nicht gesondert auf die Urteile des Gerichtshofs verweisen muss, dahin auszulegen, dass die durch die genannten Richtlinien geregelten Nachprüfungsverfahren nur mit Nachprüfungsanträgen eingeleitet werden können, in denen der gerügte Verstoß gegen das öffentliche Vergaberecht ausdrücklich beschrieben und darüber hinaus detailliert die verletzte Vergaberechtsvorschrift (genau nach Paragraf/Artikel und Absatz) angeben wird, bzw. im Nachprüfungsverfahren nur die Rechtsverletzungen bei der öffentlichen Auftragsvergabe geprüft werden können, die der Antragsteller unter Verweis auf die verletzte Vorschrift des Vergaberechts (genau nach Paragraf/Artikel und Absatz) angegeben hat, während es in allen anderen Verwaltungs- und Zivilverfahren genügt, wenn die Tatsachen und die sie stützenden Beweise von der Partei beigebracht werden, über deren Antrag die mit der Sache befasste Behörde oder das mit der Sache befasste Gericht inhaltlich entscheidet?

    8.

    Ist die in den Urteilen vom 30. September 2003, Köbler (C‑224/01, EU:C:2003:513), und vom 13. Juni 2006, Traghetti del Mediterraneo (C‑173/03, EU:C:2006:391), aufgestellte Voraussetzung eines hinreichend qualifizierten Verstoßes dahin auszulegen, dass dieser dann nicht vorliegt, wenn ein letztinstanzliches Gericht entgegen ständiger und genauestens dargestellter – und zudem durch verschiedene Rechtsgutachten untermauerter – Rechtsprechung des Gerichtshofs ein Vorabentscheidungsersuchen in Bezug auf die Notwendigkeit der Zulässigkeit der Wiederaufnahme für eine Partei unumwunden mit der abwegigen Begründung zurückweist, dass das Unionsrecht – insbesondere die Richtlinien 89/665 und 92/13 – keine Regelung für die Wiederaufnahme des Verfahrens enthalte, obwohl auch dazu die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs, einschließlich des Urteils vom 10. Juli 2014, Impresa Pizzarotti (C‑213/13, EU:C:2014:2067), in dem gerade die Notwendigkeit einer Wiederaufnahme im Zusammenhang mit einem Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge festgestellt wird, genauestens dargestellt wurde? Wie detailliert muss unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs vom 6. Oktober 1982, Cilfit u. a. (283/81, EU:C:1982:335), die Begründung für das nationale Gericht sein, wenn abweichend von der verbindlichen Rechtsauslegung des Gerichtshofs die Wiederaufnahme nicht zugelassen wird?

    9.

    Sind das Erfordernis eines wirksamen Rechtsbehelfs und der Grundsatz der Äquivalenz im Sinne von Art. 19 EUV und Art. 4 Abs. 3 EUV bzw. die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV sowie die Richtlinie 93/37 und die Richtlinien 89/665, 92/13 und 2007/66 dahin auszulegen, dass es mit ihnen vereinbar ist, dass die befassten Behörden und Gerichte unter offenkundiger Missachtung der anwendbaren Unionsvorschriften nacheinander die wegen der Unmöglichkeit der Teilnahme an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge von der Klägerin in Anspruch genommenen Rechtsbehelfe zurückweisen, die es während der jeweiligen Verfahren erforderlich machen, gegebenenfalls mit erheblichem zeitlichen und finanziellen Aufwand eine Reihe von Schriftsätzen abzufassen bzw. an Verhandlungen teilzunehmen, und zwar die formale Möglichkeit zur Feststellung der Haftung eines durch die Ausübung der gerichtlichen Zuständigkeit verursachten Schadens besteht, die einschlägigen Bestimmungen aber die Klägerin davon ausschließen, vom Gericht den Ersatz des infolge der rechtswidrigen Maßnahmen entstandenen Schadens zu verlangen?

    10.

    Sind die in den Urteilen vom 9. November 1983, San Giorgio (199/82, EU:C:1983:318), vom 30. September 2003, Köbler (C‑224/01, EU:C:2003:513), und vom 13. Juni 2006, Traghetti del Mediterraneo (C‑173/03, EU:C:2006:391), entwickelten Grundsätze dahin auszulegen, dass ein Schaden nicht ersetzt werden kann, der dadurch entstanden ist, dass ein letztinstanzliches Gericht entgegen der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs die durch eine Partei fristgerecht beantragte Wiederaufnahme, in deren Rahmen diese Partei die Erstattung der ihr entstandenen Kosten hätte beanspruchen können, nicht zulässt?

    Zu den Vorlagefragen

    Einleitende Erwägungen

    25

    Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, betrifft das Ausgangsverfahren den Ersatz des Schadens, der Hochtief Solutions aufgrund des in Rn. 22 des vorliegenden Urteils angeführten Beschlusses des letztinstanzlich entscheidenden Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht) entstanden sein soll. Darin wurde der in Rn. 20 des vorliegenden Urteils angeführte Beschluss des Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Hauptstädtisches Verwaltungs- und Arbeitsgericht) bestätigt, mit dem es zum einen abgelehnt wurde, den Gerichtshof um eine Vorabentscheidung zu ersuchen, und zum anderen der von Hochtief Solutions gestellte Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zurückgewiesen wurde, das mit dem in Rn. 14 des vorliegenden Urteils angeführten Urteil des Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht) abgeschlossen worden war.

    26

    Daraus folgt, dass das Ausgangsverfahren die Frage betrifft, ob der Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht) dadurch einen Verstoß gegen das Unionsrecht begangen hat, aus dem sich eine Verpflichtung zum Ersatz des Schadens ergeben könnte, der Hochtief Solutions aufgrund dieses Verstoßes entstanden sein soll.

    27

    In diesem Kontext stellt sich für das vorlegende Gericht insbesondere die Frage, ob das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ein nationales Gericht einem Antrag auf Wiederaufnahme eines Verfahrens stattgeben muss, das mit einem rechtskräftig gewordenen Urteil abgeschlossen wurde, nachdem der Gerichtshof auf der Grundlage von Art. 267 AEUV im Rahmen des Verfahrens, das zu diesem Urteil führte, ein Urteil erlassen hatte.

    28

    In Anbetracht dieses Kontexts des Ausgangsrechtsstreits sind die vorgelegten Fragen zu prüfen.

    Zur Zulässigkeit der siebten und der neunten Frage

    29

    Mit seiner siebten Frage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof, sich zur Vereinbarkeit nationaler Verfahrensbestimmungen über den zwingenden Inhalt eines Antrags auf Nachprüfung im Bereich öffentlicher Aufträge mit dem Unionsrecht zu äußern, während es mit seiner neunten Frage wissen möchte, ob die systematische unionsrechtswidrige Zurückweisung von Rechtsbehelfen eines von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags ausgeschlossenen Bieters wie Hochtief Solutions mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

    30

    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das in Art. 267 AEUV vorgesehene Verfahren nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen ihm und den nationalen Gerichten ist. Folglich ist es allein Sache der mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichte, die die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung tragen, im Hinblick auf die Besonderheiten der einzelnen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihnen vorgelegten Fragen zu beurteilen. Folglich ist der Gerichtshof grundsätzlich zu einer Entscheidung verpflichtet, wenn die von den nationalen Gerichten vorgelegten Fragen die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 28. März 2019, Verlezza u. a., C‑487/17 bis C‑489/17, EU:C:2019:270, Rn. 27 und 28 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    31

    Die Entscheidung über die Vorlagefrage eines nationalen Gerichts kann jedoch u. a. dann abgelehnt werden, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder das Problem hypothetischer Natur ist (Urteil vom 28. März 2019, Verlezza u. a., C‑487/17 bis C‑489/17, EU:C:2019:270, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    32

    Die siebte und die neunte Frage gehören zur letztgenannten Fallgruppe. Es ist nämlich offensichtlich, dass diese Fragen in keinem Zusammenhang mit dem in Rn. 26 des vorliegenden Urteils zusammengefassten Gegenstand des Ausgangsverfahrens stehen und daher hypothetischen Charakter haben.

    33

    Folglich sind die siebte und die neunte Frage unzulässig.

    Zur ersten, zur zweiten, zur achten und zur zehnten Frage

    34

    Mit diesen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, begehrt das vorlegende Gericht insbesondere Auskunft über die vom Gerichtshof entwickelten Grundsätze im Bereich der Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die dem Einzelnen durch einen Verstoß eines letztinstanzlich entscheidenden nationalen Gerichts gegen das Unionsrecht entstanden sind. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob diese Grundsätze dahin auszulegen sind, dass erstens die Haftung des betreffenden Mitgliedstaats nach dem innerstaatlichen Recht zu beurteilen ist, zweitens der Grundsatz der Rechtskraft es ausschließt, die Haftung dieses Mitgliedstaats festzustellen, drittens ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen das Unionsrecht vorliegt, wenn ein letztinstanzlich entscheidendes Gericht es ablehnt, dem Gerichtshof eine vor ihm aufgeworfene Frage zur Auslegung des Unionsrechts vorzulegen, und viertens die Grundsätze einer Vorschrift des nationalen Rechts entgegenstehen, wonach die einer Partei durch die in Rede stehende gerichtliche Entscheidung entstandenen Kosten von den ersatzfähigen Schäden ausgeschlossen sind.

    35

    Erstens ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Bezug auf die Voraussetzungen für den Eintritt der Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstanden sind, wiederholt entschieden hat, dass die Geschädigten einen Ersatzanspruch haben, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Die unionsrechtliche Norm, gegen die verstoßen wurde, soll ihnen Rechte verleihen, der Verstoß gegen diese Norm ist hinreichend qualifiziert, und zwischen ihm und dem den Geschädigten entstandenen Schaden besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 5. März 1996, Brasserie du pêcheur und Factortame, C‑46/93 und C‑48/93, EU:C:1996:79, Rn. 51, vom 30. September 2003, Köbler, C‑224/01, EU:C:2003:513, Rn. 51, und vom 28. Juli 2016, Tomášová, C‑168/15, EU:C:2016:602, Rn. 22).

    36

    Dies gilt auch für die Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die durch eine unionsrechtswidrige Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts verursacht wurden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. September 2003, Köbler, C‑224/01, EU:C:2003:513, Rn. 52, und vom 28. Juli 2016, Tomášová, C‑168/15, EU:C:2016:602, Rn. 23).

    37

    Zudem sind die drei in Rn. 35 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen erforderlich und ausreichend, um einen Entschädigungsanspruch des Einzelnen zu begründen, schließen aber nicht aus, dass ein Mitgliedstaat nach nationalem Recht unter weniger strengen Voraussetzungen haftet (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 5. März 1996, Brasserie du pêcheur und Factortame, C‑46/93 und C‑48/93, EU:C:1996:79, Rn. 66, und vom 30. September 2003, Köbler, C‑224/01, EU:C:2003:513, Rn. 57).

    38

    Folglich steht das Unionsrecht einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegen, die für den Eintritt der Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstanden sind, weniger strenge als die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs (siehe oben, Rn. 35) aufgestellten Voraussetzungen vorsieht.

    39

    Zweitens steht, wie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht, der Grundsatz der Rechtskraft einer Anerkennung des Grundsatzes der Haftung eines Mitgliedstaats für unionsrechtswidrige Entscheidungen eines letztinstanzlichen Gerichts nicht entgegen. Denn insbesondere aufgrund des Umstands, dass eine Verletzung der aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte durch eine solche Entscheidung in der Regel nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, darf dem Einzelnen nicht die Möglichkeit genommen werden, den Staat haftbar zu machen, um auf diesem Weg einen gerichtlichen Schutz seiner Rechte zu erlangen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. September 2003, Köbler, C‑224/01, EU:C:2003:513, Rn. 34, und vom 24. Oktober 2018, XC u. a., C‑234/17, EU:C:2018:853, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    40

    Drittens obliegt es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs grundsätzlich den nationalen Gerichten, die in Rn. 35 des vorliegenden Urteils angeführten Voraussetzungen für die Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstanden sind, entsprechend den vom Gerichtshof hierfür entwickelten Leitlinien anzuwenden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. September 2003, Köbler, C‑224/01, EU:C:2003:513, Rn. 100, und vom 4. Oktober 2018, Kantarev, C‑571/16, EU:C:2018:807, Rn. 95).

    41

    Insoweit ist insbesondere hinsichtlich der zweiten dieser Voraussetzungen darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein Mitgliedstaat für Schäden, die durch eine unionsrechtswidrige Entscheidung eines letztinstanzlichen nationalen Gerichts verursacht wurden, nur in dem Ausnahmefall haftet, dass das letztinstanzlich entscheidende nationale Gericht offenkundig gegen geltendes Recht verstoßen hat (Urteile vom 30. September 2003, Köbler, C‑224/01, EU:C:2003:513, Rn. 53, und vom 13. Juni 2006, Traghetti del Mediterraneo, C‑173/03, EU:C:2006:391, Rn. 32 und 42).

    42

    Um festzustellen, ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen das Unionsrecht vorliegt, muss das mit einer Schadensersatzklage befasste nationale Gericht alle Gesichtspunkte berücksichtigen, die für den ihm vorgelegten Sachverhalt kennzeichnend sind. Zu den Gesichtspunkten, die dabei berücksichtigt werden können, gehören u. a. das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, der Umfang des Ermessensspielraums, den die verletzte Vorschrift den nationalen Behörden belässt, die Frage, ob der Verstoß oder der Schaden vorsätzlich oder unbeabsichtigt begangen bzw. verursacht wurde, die Entschuldbarkeit oder Unentschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums, der Umstand, dass die Verhaltensweisen eines Organs der Europäischen Union möglicherweise dazu beigetragen haben, dass unionsrechtswidrige nationale Maßnahmen oder Praktiken eingeführt oder aufrechterhalten wurden, und die Verletzung der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV durch das in Rede stehende nationale Gericht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. März 1996, Brasserie du pêcheur und Factortame, C‑46/93 und C‑48/93, EU:C:1996:79, Rn. 56, vom 30. September 2003, Köbler, C‑224/01, EU:C:2003:513, Rn. 54 und 55, und vom 28. Juli 2016, Tomášová, C‑168/15, EU:C:2016:602, Rn. 25).

    43

    Ein Verstoß gegen das Unionsrecht ist jedenfalls dann hinreichend qualifiziert, wenn die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs offenkundig verkannt wurde (Urteile vom 30. September 2003, Köbler, C‑224/01, EU:C:2003:513, Rn. 56, vom 25. November 2010, Fuß, C‑429/09, EU:C:2010:717, Rn. 52, und vom 28. Juli 2016, Tomášová, C‑168/15, EU:C:2016:602, Rn. 26).

    44

    Im Ausgangsrechtsstreit ist es Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte, die für den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverhalt kennzeichnend sind, zu beurteilen, ob das Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht) mit dem in Rn. 22 des vorliegenden Urteils angeführten Beschluss einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Unionsrecht begangen hat, weil es das anwendbare Unionsrecht einschließlich der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere des Urteils vom 18. Oktober 2012, Édukövízig und Hochtief Construction (C‑218/11, EU:C:2012:643), offenkundig verkannt hat.

    45

    Viertens hat der Mitgliedstaat, sofern die in Rn. 35 des vorliegenden Urteils angeführten Voraussetzungen erfüllt sind, die Folgen des verursachten Schadens im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben, wobei die im nationalen Schadensersatzrecht festgelegten Voraussetzungen weder weniger günstig sein dürfen als bei ähnlichen Rechtsbehelfen, die nur nationales Recht betreffen (Äquivalenzgrundsatz), noch so ausgestaltet sein dürfen, dass sie die Erlangung der Entschädigung praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. März 1996, Brasserie du pêcheur und Factortame, C‑46/93 und C‑48/93, EU:C:1996:79, Rn. 67, vom 30. September 2003, Köbler, C‑224/01, EU:C:2003:513, Rn. 58, und vom 28. Juli 2016, Tomášová, C‑168/15, EU:C:2016:602, Rn. 38).

    46

    Hierzu ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass der Ersatz der Schäden, die dem Einzelnen durch Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen, dem erlittenen Schaden angemessen sein muss, so dass ein effektiver Schutz der Rechte des Einzelnen gewährleistet ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. März 1996, Brasserie du pêcheur und Factortame, C‑46/93 und C‑48/93, EU:C:1996:79, Rn. 82, und vom 25. November 2010, Fuß, C‑429/09, EU:C:2010:717, Rn. 92).

    47

    Eine Vorschrift des nationalen Rechts, wonach in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat für Schäden haftet, die durch eine unionsrechtswidrige Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts dieses Mitgliedstaats verursacht wurden, die einer Partei durch diese Entscheidung entstandenen Kosten generell von den ersatzfähigen Schäden ausgeschlossen wird, kann es jedoch praktisch übermäßig erschweren oder sogar unmöglich machen, einen Ersatz zu erlangen, der dem von dieser Partei erlittenen Schaden angemessen ist.

    48

    Nach alledem ist auf die erste, die zweite, die achte und die zehnte Frage zu antworten, dass die Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die durch eine unionsrechtswidrige Entscheidung eines letztinstanzlichen nationalen Gerichts entstanden sind, den vom Gerichtshof insbesondere in Rn. 51 des Urteils vom 30. September 2003, Köbler (C‑224/01, EU:C:2003:513), aufgestellten Voraussetzungen unterliegt, ohne dass es ausgeschlossen wäre, dass die Haftung dieses Staates auf der Grundlage des nationalen Rechts unter weniger einschränkenden Voraussetzungen ausgelöst werden kann. Die Haftung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die betreffende Entscheidung Rechtskraft erlangt hat. Im Rahmen der Ausgestaltung dieser Haftung ist es Sache des mit einer Schadensersatzklage befassten nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte, die für den in Rede stehenden Sachverhalt kennzeichnend sind, zu beurteilen, ob das letztinstanzlich entscheidende nationale Gericht einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Unionsrecht begangen hat, weil es das anwendbare Unionsrecht einschließlich der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs offenkundig verkannt hat. Dagegen steht das Unionsrecht einer nationalen Rechtsvorschrift entgegen, die in einem solchen Fall die einer Partei durch die rechtswidrige Entscheidung des nationalen Gerichts entstandenen Kosten generell von den ersatzfähigen Schäden ausschließt.

    Zur dritten, zur vierten, zur fünften und zur sechsten Frage

    49

    In Anbetracht des in den Rn. 26 und 27 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Kontexts des Ausgangsverfahrens ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner dritten, seiner vierten, seiner fünften und seiner sechsten Frage wissen möchte, ob das Unionsrecht, insbesondere die Richtlinie 89/665 und die Richtlinie 92/13 sowie die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität, dahin auszulegen ist, dass es einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die im Fall eines rechtskräftig gewordenen Urteils eines Gerichts dieses Mitgliedstaats, mit dem über eine Nichtigkeitsklage gegen eine Handlung eines öffentlichen Auftraggebers entschieden wurde, ohne auf eine Frage einzugehen, deren Prüfung Gegenstand eines früheren Urteils des Gerichtshofs war, das aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens im Rahmen des die Nichtigkeitsklage betreffenden Verfahrens erging, die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht gestattet.

    50

    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 und Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 92/13 die Mitgliedstaaten verpflichten, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber im Rahmen der von diesen Richtlinien erfassten Verfahren zur Auftragsvergabe wirksam und vor allem möglichst rasch auf Verstöße gegen das Unionsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieses Rechts nachgeprüft werden können (Urteil vom 15. September 2016, Star Storage u. a., C‑439/14 und C‑488/14, EU:C:2016:688, Rn. 39).

    51

    Diese Vorschriften, die die Wirtschaftsteilnehmer vor der Willkür des öffentlichen Auftraggebers schützen sollen, sollen somit sicherstellen, dass in allen Mitgliedstaaten wirksame Rechtsbehelfe bestehen, um die effektive Anwendung der Unionsvorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens zu gewährleisten, vor allem dann, wenn Verstöße noch beseitigt werden können (Urteil vom 15. September 2016, Star Storage u. a., C‑439/14 und C‑488/14, EU:C:2016:688, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    52

    Weder die Richtlinie 89/665 noch die Richtlinie 92/13 enthalten Bestimmungen, die speziell die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Rechtsbehelfe regeln. Sie enthalten nur Bestimmungen über die Mindestvoraussetzungen, denen die in den nationalen Rechtsordnungen geschaffenen Nachprüfungsverfahren entsprechen müssen, um die Beachtung der Unionsvorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2016, Star Storage u. a., C‑439/14 und C‑488/14, EU:C:2016:688, Rn. 42).

    53

    Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Angaben des vorlegenden Gerichts, dass im ungarischen Verfahrensrecht die Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne von Art. 260 ZPO ein außerordentlicher Rechtsbehelf ist, der es unter den dort aufgestellten Voraussetzungen erlaubt, die Rechtskraft eines unanfechtbar gewordenen Urteils in Frage zu stellen.

    54

    Sowohl in der Unionsrechtsordnung als auch in den nationalen Rechtsordnungen hat die Rechtskraft erhebliche Bedeutung. Zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege sollen nämlich nach Ausschöpfung des Rechtswegs oder nach Ablauf der Rechtsmittelfristen unanfechtbar gewordene Gerichtsentscheidungen nicht mehr in Frage gestellt werden können (Urteile vom 10. Juli 2014, Impresa Pizzarotti, C‑213/13, EU:C:2014:2067, Rn. 58, und vom 6. Oktober 2015, Târșia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 28).

    55

    Daher gebietet es das Unionsrecht einem nationalen Gericht nicht, von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften, aufgrund deren eine Gerichtsentscheidung Rechtskraft erlangt, abzusehen, selbst wenn dadurch einer mit dem Unionsrecht unvereinbaren nationalen Situation abgeholfen werden könnte (Urteile vom 10. Juli 2014, Impresa Pizzarotti, C‑213/13, EU:C:2014:2067, Rn. 59, und vom 6. Oktober 2015, Târșia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 29).

    56

    Wie bereits entschieden wurde, verlangt das Unionsrecht nämlich nicht, dass ein nationales Rechtsprechungsorgan seine rechtskräftig gewordene Entscheidung grundsätzlich rückgängig machen muss, um der Auslegung einer einschlägigen unionsrechtlichen Bestimmung durch den Gerichtshof Rechnung zu tragen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Juli 2014, Impresa Pizzarotti, C‑213/13, EU:C:2014:2067, Rn. 60, und vom 6. Oktober 2015, Târșia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 38).

    57

    Das vom vorlegenden Gericht angeführte Urteil vom 13. Januar 2004, Kühne & Heitz (C‑453/00, EU:C:2004:17), kann diese Erwägung nicht in Frage stellen.

    58

    Aus diesem Urteil ergibt sich nämlich, dass der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit eine mit einem entsprechenden Antrag befasste Verwaltungsbehörde verpflichtet, eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zu überprüfen, um einer mittlerweile vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung der einschlägigen Bestimmung Rechnung zu tragen; Voraussetzung dafür ist u. a., dass die Behörde nach nationalem Recht befugt ist, ihre Entscheidung zurückzunehmen (Urteil vom 13. Januar 2004, Kühne & Heitz, C‑453/00, EU:C:2004:17, Rn. 28).

    59

    Diese Erwägung betrifft jedoch unstreitig nur die etwaige Überprüfung einer bestandskräftigen Entscheidung einer Verwaltungsbehörde und nicht – wie hier – eines Gerichts.

    60

    Hierzu ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass dann, wenn für das nationale Gericht nach den anwendbaren innerstaatlichen Verfahrensvorschriften unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit besteht, eine rechtskräftig gewordene Entscheidung rückgängig zu machen, um die durch sie entstandene Situation mit dem nationalen Recht in Einklang zu bringen, davon, sofern diese Voraussetzungen erfüllt sind, gemäß den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität Gebrauch gemacht werden muss, damit die Vereinbarkeit der betreffenden Situation mit dem Unionsrecht wiederhergestellt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Juli 2014, Impresa Pizzarotti, C‑213/13, EU:C:2014:2067, Rn. 62).

    61

    Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Angaben des vorlegenden Gerichts, dass nach Art. 260 ZPO die Wiederaufnahme des Verfahrens u. a. dann beantragt werden kann, wenn eine Partei geltend machen kann, dass eine rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts in dem Verfahren, dessen Wiederaufnahme beantragt wird, nicht berücksichtigt wurde, wobei dies nur dann gilt, wenn die Partei die genannte Entscheidung im früheren Verfahren unverschuldet nicht geltend machen konnte.

    62

    Im Übrigen ergibt sich aus der sechsten Frage, dass das ungarische Recht die Wiederaufnahme des Verfahrens im Interesse der Wiederherstellung der Verfassungsmäßigkeit eines Sachverhalts aufgrund einer neuen Entscheidung des Alkotmánybíróság (Verfassungsgericht) zulässt.

    63

    Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die ungarischen Verfahrensvorschriften die Möglichkeit vorsehen, ein rechtskräftig gewordenes Urteil rückgängig zu machen, um die durch dieses Urteil entstandene Situation mit einer früheren rechtskräftigen Entscheidung eines Gerichts in Einklang zu bringen, von der das Gericht, das das betreffende Urteil erlassen hat, und die Parteien der Rechtssache, in der es ergangen ist, bereits Kenntnis hatten. Ist dies der Fall, sollte nach der in Rn. 60 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs von dieser Möglichkeit gemäß den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität unter den gleichen Bedingungen Gebrauch gemacht werden, um die Vereinbarkeit der Situation mit einem früheren Urteil des Gerichtshofs herbeizuführen.

    64

    Dabei ist in jedem Fall zu beachten, dass nach ständiger Rechtsprechung insbesondere aufgrund des Umstands, dass eine Verletzung der aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte durch eine rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts in der Regel nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, dem Einzelnen nicht die Möglichkeit genommen werden darf, den Staat haftbar zu machen, um auf diesem Weg einen gerichtlichen Schutz seiner Rechte zu erlangen (Urteile vom 6. Oktober 2015, Târşia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 40, und vom 24. Oktober 2018, XC u. a., C‑234/17, EU:C:2018:853, Rn. 58).

    65

    Nach alledem ist auf die dritte, die vierte, die fünfte und die sechste Frage zu antworten, dass das Unionsrecht, insbesondere die Richtlinie 89/665 und die Richtlinie 92/13 sowie die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität, dahin auszulegen ist, dass es einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die im Fall eines rechtskräftig gewordenen Urteils eines Gerichts dieses Mitgliedstaats, mit dem über eine Nichtigkeitsklage gegen eine Handlung eines öffentlichen Auftraggebers entschieden wurde, ohne auf eine Frage einzugehen, deren Prüfung Gegenstand eines früheren Urteils des Gerichtshofs war, das aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens im Rahmen des die Nichtigkeitsklage betreffenden Verfahrens erging, die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht gestattet. Besteht jedoch für das nationale Gericht nach den anwendbaren innerstaatlichen Verfahrensvorschriften die Möglichkeit, ein rechtskräftig gewordenes Urteil rückgängig zu machen, um die durch dieses Urteil entstandene Situation mit einer rechtskräftigen früheren nationalen Gerichtsentscheidung in Einklang zu bringen, von der das Gericht, das das betreffende Urteil erlassen hat, und die Parteien der Rechtssache, in der es ergangen ist, bereits Kenntnis hatten, muss von dieser Möglichkeit gemäß den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität unter den gleichen Bedingungen Gebrauch gemacht werden, um die Vereinbarkeit der Situation mit dem Unionsrecht in seiner Auslegung durch ein früheres Urteil des Gerichtshofs herbeizuführen.

    Kosten

    66

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

     

    1.

    Die Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die durch eine unionsrechtswidrige Entscheidung eines letztinstanzlichen nationalen Gerichts entstanden sind, unterliegt den vom Gerichtshof insbesondere in Rn. 51 des Urteils vom 30. September 2003, Köbler (C‑224/01, EU:C:2003:513), aufgestellten Voraussetzungen, ohne dass es ausgeschlossen wäre, dass die Haftung dieses Staates auf der Grundlage des nationalen Rechts unter weniger einschränkenden Voraussetzungen ausgelöst werden kann. Die Haftung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die betreffende Entscheidung Rechtskraft erlangt hat. Im Rahmen der Ausgestaltung dieser Haftung ist es Sache des mit einer Schadensersatzklage befassten nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte, die für den in Rede stehenden Sachverhalt kennzeichnend sind, zu beurteilen, ob das letztinstanzlich entscheidende nationale Gericht einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Unionsrecht begangen hat, weil es das anwendbare Unionsrecht einschließlich der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs offenkundig verkannt hat. Dagegen steht das Unionsrecht einer nationalen Rechtsvorschrift entgegen, die in einem solchen Fall die einer Partei durch die rechtswidrige Entscheidung des nationalen Gerichts entstandenen Kosten generell von den ersatzfähigen Schäden ausschließt.

     

    2.

    Das Unionsrecht, insbesondere die Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 geänderten Fassung und die Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor in der durch die Richtlinie 2007/66 geänderten Fassung sowie die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität, ist dahin auszulegen, dass es einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die im Fall eines rechtskräftig gewordenen Urteils eines Gerichts dieses Mitgliedstaats, mit dem über eine Nichtigkeitsklage gegen eine Handlung eines öffentlichen Auftraggebers entschieden wurde, ohne auf eine Frage einzugehen, deren Prüfung Gegenstand eines früheren Urteils des Gerichtshofs war, das aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens im Rahmen des die Nichtigkeitsklage betreffenden Verfahrens erging, die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht gestattet. Besteht jedoch für das nationale Gericht nach den anwendbaren innerstaatlichen Verfahrensvorschriften die Möglichkeit, ein rechtskräftig gewordenes Urteil rückgängig zu machen, um die durch dieses Urteil entstandene Situation mit einer rechtskräftigen früheren nationalen Gerichtsentscheidung in Einklang zu bringen, von der das Gericht, das das betreffende Urteil erlassen hat, und die Parteien der Rechtssache, in der es ergangen ist, bereits Kenntnis hatten, muss von dieser Möglichkeit gemäß den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität unter den gleichen Bedingungen Gebrauch gemacht werden, um die Vereinbarkeit der Situation mit dem Unionsrecht in seiner Auslegung durch ein früheres Urteil des Gerichtshofs herbeizuführen.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Ungarisch.

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