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Document 62017CC0213

    Schlussanträge des Generalanwalts Y. Bot vom 13. Juni 2018.
    X gegen Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie.
    Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Amsterdam.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EU) Nr. 604/2013 – Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist – Art. 17, 18, 23 und 24 – Vorhergehendes, in einem anderen Mitgliedstaat laufendes Verfahren des internationaler Schutzes – Neuer Antrag in einem anderen Mitgliedstaat – Fehlen eines fristgerechten Wiederaufnahmegesuchs – Übergabe der betreffenden Person zur Strafverfolgung.
    Rechtssache C-213/17.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2018:434

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    YVES BOT

    vom 13. Juni 2018 ( 1 ) ( 2 )

    Rechtssache C‑213/17

    X

    gegen

    Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie

    (Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Amsterdam [Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Amsterdam, Niederlande])

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Grenzen, Asyl und Einwanderung – Verordnung (EU) Nr. 604/2013 – Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist – Nach Maßgabe des in Art. 3 Abs. 2 vorgesehenen Kriteriums zuständiger Mitgliedstaat – Rechtskräftige, den ersten Antrag auf internationalen Schutz ablehnende gerichtliche Entscheidung – Anhängiges Rechtsbehelfsverfahren gegen die den zweiten Antrag auf internationalen Schutz ablehnende Entscheidung – Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls zur Strafverfolgung des Antragstellers – Stellung eines neuen Antrags auf internationalen Schutz in einem anderen Mitgliedstaat – Übergabe des Betroffenen in Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls – Wiederaufnahmeverfahren – Art. 23 Abs. 3 – Wirkungen des Ablaufs der für die Stellung eines Gesuchs vorgesehenen Fristen – Übergang der Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat, bei dem der neue Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird – Art. 24 Abs. 1 – Anwendungsmodalitäten – Art. 24 Abs. 5 – Umfang der Auskunftspflicht – Art. 17 Abs. 1 – Tragweite der Ermessensklausel – Richtlinie 2013/32/EU – Art. 31 und 46 – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 41 – Recht auf eine gute Verwaltung – Art. 47 – Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz“

    I. Einleitung

    1.

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 2, Art. 23 Abs. 3 und Art. 24 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist ( 3 ), wobei das vorlegende Gericht, die Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Amsterdam (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Amsterdam, Niederlande), im Wesentlichen wissen möchte, welcher Mitgliedstaat für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, den X, ein pakistanischer Staatsangehöriger, in Italien gestellt hat.

    2.

    Dieser Fall zeichnet sich nicht nur deshalb durch einen komplexen tatsächlichen und rechtlichen Rahmen ( 4 ) aus, weil der Betroffene zahlreiche Anträge auf internationalen Schutz bei zwei verschiedenen Mitgliedstaaten gestellt hat, sondern auch, weil das Verfahren der Prüfung dieser Anträge zugleich von einem strafrechtlichen Verfahren überlagert wird, das zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls gegen den Asylbewerber geführt hat.

    3.

    Die Niederlande sind der Mitgliedstaat, bei dem der Betroffene seinen ersten, zweiten und vierten Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. In Anwendung eines materiellen Kriteriums der Dublin‑III-Verordnung war dieser Mitgliedstaat für die Prüfung der ersten beiden Anträge zuständig. Der erste Antrag auf internationalen Schutz ( 5 ) wurde durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung abgelehnt. Der zweite Antrag auf internationalen Schutz ( 6 ) wurde durch eine Entscheidung der zuständigen nationalen Behörde abgelehnt, die Gegenstand eines Rechtsbehelfsverfahrens vor der Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State (Abteilung für Verwaltungsstreitsachen des Staatsrats, Niederlande) war. Da der Betroffene das niederländische Staatsgebiet zwischenzeitlich verlassen hatte, um sich nach Italien zu begeben, dem Mitgliedstaat, bei dem er seinen dritten Antrag auf internationalen Schutz ( 7 ) stellte, erließ das Königreich der Niederlande einen Europäischen Haftbefehl zur Strafverfolgung gegen ihn und forderte die Italienische Republik auf, ihn zu übergeben. In der Folgezeit ersuchte das Königreich der Niederlande die italienischen Behörden, den Betroffenen zum Zweck der Prüfung dieses dritten Antrags wieder aufzunehmen.

    4.

    Damit ist Italien der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Betroffene sich begeben hat und bei dem er nach der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls durch das Königreich der Niederlande seinen dritten Antrag gestellt hat. Die Italienische Republik ist folglich in zweifacher Hinsicht involviert. Zum einen ist sie der Mitgliedstaat der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls, weil sie verpflichtet war, den Antragsteller zur Strafverfolgung an die niederländischen Behörden zu übergeben. Zum anderen ist sie der Mitgliedstaat, den diese Behörden ersucht hatten, den Antragsteller zur Prüfung seines Asylantrags wieder aufzunehmen. Zwar war die Italienische Republik gemäß Art. 23 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung berechtigt, das Königreich der Niederlande um Wiederaufnahme von X zu ersuchen, hat dieses Recht aber verloren, weil sie ihr Gesuch nicht innerhalb der in Abs. 2 dieses Artikels bestimmten Fristen gestellt hat. Auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung – dessen Bestimmungen wir hier auszulegen haben – sahen die niederländischen Behörden die Italienische Republik daher als den neuen, für die Prüfung des dritten Antrags „automatisch“ zuständigen Mitgliedstaat an. Folglich beschlossen diese Behörden, den Betroffenen an die italienischen Behörden zu überstellen, und erklärten sich im Übrigen für nicht zuständig, den bei ihnen gestellten vierten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen.

    5.

    In Anbetracht der Besonderheiten dieses rechtlichen und tatsächlichen Rahmens fragt sich die Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Amsterdam (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Amsterdam), ob ein solcher Übergang der Zuständigkeit, wie er von den niederländischen Behörden in Betracht gezogen wird, möglich ist. Zu diesem Zweck fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof nach der Tragweite und den Anwendungsmodalitäten nicht nur der beiden verfahrensrechtlichen Bestimmungen der Dublin‑III-Verordnung, auf die das Königreich der Niederlande diesen Übergang stützt, nämlich der Art. 23 und 24 dieser Verordnung, sondern auch der Ermessensklausel des Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung.

    6.

    Die vorliegende Rechtssache zeigt die Schwächen und strukturellen Lücken des Dublin-Systems auf, die die Europäische Kommission zu Recht durch eine Reform des bestehenden Rahmens beheben will ( 8 ).

    7.

    Diese Rechtssache zeigt, dass das Dublin-System in Wirklichkeit ein System nationaler Asylsysteme und kein gemeinsames europäisches Asylsystem ist, und dass der mit der Dublin‑III-Verordnung eingeführte Mechanismus zur Aufteilung der Verantwortlichkeiten auf technischen und administrativen Regeln beruht, die ohne Rücksicht auf die damit verbundenen menschlichen Auswirkungen und materiellen und finanziellen Kosten aufgestellt wurden, was die Effizienz des Dublin-Systems untergräbt und dem Ziel eines gemeinsamen europäischen Asylsystems zuwiderläuft.

    8.

    Dieses Urteil ist hart, aber meines Erachtens in Anbetracht der beinahe absurden Folgen, zu denen eine blinde Anwendung des Mechanismus zur Aufteilung der Verantwortlichkeiten in Art. 23 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung führen kann, gerechtfertigt.

    9.

    Folglich wird die vorliegende Rechtssache vor allem Anlass geben, in den nachstehenden Ausführungen darzulegen, aus welchen Gründen ich der Auffassung bin, dass trotz seines klaren Wortlauts von Art. 23 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung abgewichen werden sollte, dessen Anwendung zu einem Übergang der Zuständigkeit wegen des Ablaufs der für die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs festgesetzten Fristen führt.

    10.

    Da dieser Übergang automatisch stattfindet, unabhängig von den damit verbundenen menschlichen und materiellen Folgen, nimmt er meines Erachtens in einem Fall wie dem hier in Rede stehenden dem Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats die Rationalität, die Objektivität, die Gerechtigkeit sowie die Zügigkeit, die der Unionsgesetzgeber im Rahmen der Dublin‑III-Verordnung erreichen wollte, und lässt die Pflichten zur Zusammenarbeit und zur Solidarität, auf denen das Gemeinsame Europäische Asylsystem beruhen muss, nicht zum Zuge kommen.

    II. Rechtsrahmen

    A.   Dublin‑III-Verordnung

    11.

    Die Erwägungsgründe 4, 5 und 22 der Dublin‑III-Verordnung lauten:

    „(4)

    Entsprechend den Schlussfolgerungen von Tampere sollte das [Gemeinsame Europäische Asylsystem] auf kurze Sicht eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats umfassen.

    (5)

    Eine solche Formel sollte auf objektiven und für die Mitgliedstaaten und die Betroffenen gerechten Kriterien basieren. Sie sollte insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung des internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden.

    (22)

    … Solidarität, die ein Kernelement des [Gemeinsamen Europäischen Asylsystems] bildet, geht Hand in Hand mit gegenseitigem Vertrauen. …“

    12.

    Nach ihrem Art. 1 hat die Dublin‑III-Verordnung das Ziel, die Kriterien und Verfahren festzulegen, die bei der Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, zur Anwendung gelangen ( 9 ). Diese Kriterien sind in Kapitel III dieser Verordnung in den Art. 8 bis 15 festgelegt.

    13.

    Gemäß Art. 3 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung ist, wenn sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen lässt, der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

    14.

    Kapitel IV der Dublin‑III-Verordnung bezeichnet zunächst die Fälle, in denen ein Mitgliedstaat in Abweichung von diesen Kriterien als für die Prüfung eines Asylantrags zuständig angesehen werden kann. Art. 17 („Ermessensklauseln“) dieser Verordnung bestimmt in seinem Abs. 1:

    „Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

    …“

    15.

    Kapitel V der Dublin‑III-Verordnung legt sodann die Verpflichtungen des zuständigen Mitgliedstaats fest.

    16.

    In diesem Kapitel sieht Art. 18 Abs. 1 Buchst. b vor, dass dieser Mitgliedstaat verpflichtet ist, „einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 [dieser Verordnung] wieder aufzunehmen“.

    17.

    Art. 18 Abs. 1 Buchst. d der Dublin‑III-Verordnung sieht außerdem vor, dass der zuständige Mitgliedstaat verpflichtet ist, „einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 [dieser Verordnung] wieder aufzunehmen“.

    18.

    Der zuständige Mitgliedstaat ist nach Art. 18 Abs. 2 Unterabs. 1 dieser Verordnung auch verpflichtet, den gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen oder seine Prüfung abzuschließen.

    19.

    Kapitel VI der Dublin‑III-Verordnung sieht schließlich die Modalitäten für das Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren vor. Der Anwendungsbereich des Wiederaufnahmeverfahrens ist in den Art. 23 und 24 dieser Verordnung festgelegt.

    20.

    Art. 23 („Wiederaufnahmegesuch bei erneuter Antragstellung im ersuchenden Mitgliedstaat“) dieser Verordnung bestimmt in seinen Abs. 1 bis 3:

    „(1)   Ist ein Mitgliedstaat, in dem eine Person im Sinne des Artikels 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d einen neuen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Auffassung, dass nach Artikel 20 Absatz 5 und Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig ist, so kann er den anderen Mitgliedstaat ersuchen, die Person wieder aufzunehmen.

    (2)   Ein Wiederaufnahmegesuch ist so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach dem Erhalt der Eurodac-Treffermeldung … zu stellen.

    Stützt sich das Wiederaufnahmegesuch auf andere Beweismittel als Angaben aus dem Eurodac-System, ist es innerhalb von drei Monaten, nachdem der Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Artikel 20 Absatz 2 gestellt wurde, an den ersuchten Mitgliedstaat zu richten.

    (3)   Erfolgt das Wiederaufnahmegesuch nicht innerhalb der in Absatz 2 festgesetzten Frist, so ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, in dem der neue Antrag gestellt wurde.“

    21.

    Art. 24 („Wiederaufnahmegesuch, wenn im ersuchenden Mitgliedstaat kein neuer Antrag gestellt wurde“) der Dublin‑III-Verordnung bestimmt:

    „(1)   Ist ein Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich eine Person im Sinne des Artikels 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d ohne Aufenthaltstitel aufhält und bei dem kein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, der Auffassung, dass ein anderer Mitgliedstaat gemäß Artikel 20 Absatz 5 und Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d zuständig ist, so kann er den anderen Mitgliedstaat ersuchen, die Person wieder aufzunehmen.

    (4)   Hält sich eine Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d dieser Verordnung, deren Antrag auf internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat durch eine rechtskräftige Entscheidung abgelehnt wurde, ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats auf, so kann der letzte Mitgliedstaat den früheren Mitgliedstaat entweder um Wiederaufnahme der betreffenden Person ersuchen oder ein Rückkehrverfahren … durchführen.

    (5)   Für das Gesuch um Wiederaufnahme der Person im Sinne des Artikels 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d ist ein Standardformblatt zu verwenden, das Beweismittel oder Indizien im Sinne der beiden Verzeichnisse nach Artikel 22 Absatz 3 und/oder sachdienliche Angaben aus der Erklärung der Person enthalten muss, anhand deren die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats prüfen können, ob ihr Staat auf Grundlage der in dieser Verordnung festgelegten Kriterien zuständig ist.

    …“

    B.   Verordnung (EG) Nr. 1560/2003

    22.

    Die Verordnung Nr. 1560/2003 ( 10 ) regelt die Anwendungsmodalitäten der Dublin‑III-Verordnung. Ihr Art. 2 präzisiert die Modalitäten der Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs.

    III. Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits

    23.

    X ist ein pakistanischer Staatsangehöriger christlichen Glaubens, der die Gewährung internationalen Schutzes beantragt.

    24.

    Zwischen den Jahren 2011 und 2015 stellte X fünf Anträge auf internationalen Schutz. Vier von ihnen wurden in den Niederlanden und einer in Italien gestellt.

    25.

    Der erste Antrag wurde am 23. März 2011 in den Niederlanden gestellt. Der Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie (Staatssekretär für Sicherheit und Justiz, Niederlande) lehnte diesen Antrag durch Sachentscheidung vom 5. September 2011 ab. Wie der Prozessbevollmächtigte von X in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, wurden die Risiken, denen X nach einer Rückkehr in sein Herkunftsland ausgesetzt wäre, nicht als schwerwiegend genug angesehen, um die Gewährung internationalen Schutzes zu rechtfertigen. Die gegen diese Entscheidung erhobene Klage wurde durch Urteil der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Amsterdam (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Amsterdam), vom 31. Mai 2012 als unbegründet abgewiesen. Die Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State (Abteilung für Verwaltungsstreitsachen des Staatsrats) bestätigte dieses Urteil am 27. Juni 2013.

    26.

    Daraufhin stellte X am 18. Dezember 2013 in den Niederlanden einen neuen Antrag auf internationalen Schutz, den er wenige Tage später, am 10. Januar 2014, zurücknahm ( 11 ).

    27.

    Am 4. Juni 2014 stellte X in den Niederlanden erneut einen Antrag auf internationalen Schutz (zweiter Antrag). Sieben Tage später, am 11. Juni 2014, lehnte der Staatssekretär für Sicherheit und Justiz diesen Antrag ab. Die gegen diese Entscheidung erhobene Klage vor der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Amsterdam (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Amsterdam), wurde mit Urteil vom 7. Juli 2014 als unbegründet abgewiesen. Dieses Urteil wurde ein Jahr später, am 7. August 2015, von der Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State (Abteilung für Verwaltungsstreitsachen des Staatsrats) bestätigt.

    28.

    Im Lauf dieses Jahres, in dem das vor diesem Gericht angestrengte Rechtsbehelfsverfahren mithin noch anhängig war, traten mehrere Ereignisse ein, die die persönliche und rechtliche Lage des Betroffenen betrafen.

    29.

    Am 28. September 2014, als er verdächtigt wurde, in den Niederlanden ein Sexualdelikt begangen zu haben, floh X nämlich und setzte sich nach Italien ab.

    30.

    Daraufhin stellten die niederländischen Behörden am 2. Oktober 2014 gegen X einen Europäischen Haftbefehl zur Strafverfolgung aus und forderten die italienischen Behörden auf, ihn zu übergeben. In diesem Zusammenhang wurde X in Italien während eines Zeitraums von zwei Monaten bis zu seiner Übergabe in Haft genommen ( 12 ).

    31.

    Am 23. Oktober 2014 stellte X einen neuen Antrag auf internationalen Schutz (dritter Antrag), diesmal auf italienischem Hoheitsgebiet. Die Italienische Republik versäumte es, innerhalb der in Art. 23 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen Fristen ein Wiederaufnahmegesuch nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d und Art. 23 Abs. 1 dieser Verordnung an das Königreich der Niederlande zu richten.

    32.

    Am 30. Januar 2015 vollstreckte die Italienische Republik den Europäischen Haftbefehl und übergab den Betroffenen den niederländischen Behörden.

    33.

    Ihm wurde sofort die Freiheit entzogen, und er wurde in Untersuchungshaft genommen. Dem Vorlagebeschluss zufolge erstreckte sich dieser Zeitraum vom 2. bis zum 24. Februar 2015. Demgegenüber erstreckte sich dieser Zeitraum nach den von der niederländischen Regierung eingereichten Erklärungen vom 30. Januar bis zum 18. März 2015.

    34.

    Am 5. März 2015 richtete das Königreich der Niederlande an die Italienische Republik ein Gesuch um Wiederaufnahme von X, das sich auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. b und auf Art. 24 Abs. 1 und 2 der Dublin‑III-Verordnung stützte, weil X sich ohne Aufenthaltstitel im niederländischen Hoheitsgebiet aufhielt und noch keinen neuen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte. Die niederländischen Behörden waren der Auffassung, die Italienische Republik sei für die Prüfung des von X bei den italienischen Behörden gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig geworden, weil dieser Staat sie innerhalb der in Art. 23 Abs. 2 dieser Verordnung bestimmten Frist von zwei Monaten nicht um Wiederaufnahme ersucht habe. Wie sich aus dem Vorlagebeschluss ergibt, hatte das Königreich der Niederlande in diesem Ersuchen mitgeteilt, nach Angaben von X habe dieser Italien im Januar 2015 verlassen, um sich unmittelbar in die Niederlande zu begeben. Hingegen enthielt dieses Ersuchen keinen Hinweis auf das in den Niederlanden eingeleitete Strafverfahren gegen X.

    35.

    Die Italienische Republik antwortete auf dieses Ersuchen nicht innerhalb der Frist von zwei Wochen gemäß Art. 25 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung. Am 20. März 2015 ging das Königreich der Niederlande folglich davon aus, die Italienische Republik habe dem Gesuch um Wiederaufnahme von X stillschweigend stattgegeben.

    36.

    Am 25. März 2015 beschloss der Staatssekretär für Sicherheit und Justiz daher, X den italienischen Behörden nach deren stillschweigender Stattgabe zu überstellen (im Folgenden: Überstellungsentscheidung).

    37.

    Am 30. März 2015 gab die Italienische Republik dem Wiederaufnahmegesuch statt.

    38.

    Am 1. April 2015 erhob X vor der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Amsterdam (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Amsterdam), eine mit einem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz verbundene Klage gegen diese Entscheidung.

    39.

    Aus den Schriftstücken, die der dem Gerichtshof vorliegenden nationalen Akte beigefügt sind, ergibt sich, dass das Ministerie van Veiligheid en Justitie (Ministerium für Sicherheit und Justiz, Niederlande) dem Ministero dell’Interno (Innenministerium, Italien) mit Schreiben vom 13. April 2015 zum einen mitteilte, dass davon auszugehen sei, dass die Italienische Republik dem Gesuch um Wiederaufnahme des Betroffenen stattgegeben habe, weil sie darauf bis zum 20. März 2015 nicht geantwortet habe. Zum anderen teilte das Ministerium für Sicherheit und Justiz mit, dass die Überstellung von X an die italienischen Behörden nicht innerhalb der festgelegten Frist durchgeführt werden könne, weil X untergetaucht sei.

    40.

    Mit Beschluss vom 21. April 2015 gab der Voorzieningenrechter (für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständiger Richter, Niederlande) der Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State (Abteilung für Verwaltungsstreitsachen des Staatsrats) dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz statt und ordnete die Aussetzung der Überstellung an.

    41.

    Am 19. Mai 2015 stellte X einen neuen Antrag auf internationalen Schutz (vierter Antrag) in den Niederlanden, den er mit einem Antrag auf Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis verband.

    42.

    Am 21. Mai 2015, mithin zwei Tage später, teilte der Staatssekretär für Sicherheit und Justiz mit, er werde diesen Antrag nicht prüfen, weil auf der Grundlage der Dublin‑III-Verordnung feststehe, dass nunmehr die Italienische Republik für die Prüfung des von X gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig sei. Gegen diese Entscheidung erhob X am selben Tag Klage vor der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Amsterdam (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Amsterdam).

    43.

    Wie bereits erwähnt, bestätigte die Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State (Abteilung für Verwaltungsstreitsachen des Staatsrats) am 7. August 2015 das Urteil vom 7. Juli 2014, das die Ablehnung des zweiten Antrags auf internationalen Schutz betraf.

    44.

    Am 30. November 2015 wurde X über die Einstellung des gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens informiert.

    45.

    Die Klagen, die X gegen die Überstellungsentscheidung und gegen die Entscheidung erhoben hatte, mit der der Staatssekretär für Sicherheit und Justiz sich für unzuständig erklärt hatte, den vierten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wurden in einer mündlichen Verhandlung geprüft, die am 10. Dezember 2015 stattfand. Die Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Amsterdam (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Amsterdam), erklärte das Verfahren im Anschluss an diese mündliche Verhandlung für abgeschlossen.

    46.

    Am 24. März 2016 eröffnete das vorlegende Gericht das Verfahren in dieser Sache wieder, um die Verkündung des Urteils vom 7. Juni 2016, Ghezelbash ( 13 ), abzuwarten, und erließ am 20. April 2017 den Vorlagebeschluss, mit dem der Gerichtshof nun befasst ist.

    IV. Vorlagefragen

    47.

    Vor diesem Hintergrund hat die Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Amsterdam (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Amsterdam), beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.

    Ist Art. 23 Abs. 3 der Dublin‑III‑Verordnung so zu verstehen, dass die Italienische Republik für die Prüfung des vom Kläger dort am 23. Oktober 2014 gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig geworden ist, obwohl das Königreich der Niederlande aufgrund der dort zuvor gestellten Anträge auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 2 Buchst. d dieser Verordnung, von denen der zuletzt gestellte zu diesem Zeitpunkt in den Niederlanden noch geprüft wurde, weil die Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State (Abteilung für Verwaltungsstreitsachen des Staatsrats) über das vom Kläger eingelegte Rechtsmittel gegen die Entscheidung des hiesigen Gerichts vom 7. Juli 2014 noch nicht entschieden hatte, der primär zuständige Mitgliedstaat war?

    2.

    Falls die erste Frage zu bejahen ist, folgt dann aus Art. 18 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung, dass die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz, die in den Niederlanden noch lief, als am 5. März 2015 das Gesuch um Anerkennung der Zuständigkeit gestellt wurde, von den niederländischen Behörden nach der Stellung dieses Gesuchs unverzüglich hätte ausgesetzt und nach Ablauf der in Art. 24 dieser Verordnung vorgesehenen Frist durch Rücknahme oder Änderung der zuvor ergangenen Entscheidung vom 11. Juni 2014, mit der der Asylantrag vom 4. Juni 2014 abgelehnt worden war, hätte eingestellt werden müssen?

    3.

    Falls die zweite Frage zu bejahen ist, ist dann die Zuständigkeit für die Prüfung des vom Kläger gestellten Antrags auf internationalen Schutz nicht auf die Italienische Republik übergegangen, sondern bei den niederländischen Behörden verblieben, weil der Staatssekretär für Sicherheit und Justiz die Entscheidung vom 11. Juni 2014 weder zurückgenommen noch geändert hat?

    4.

    Haben die niederländischen Behörden dadurch, dass sie nicht mitgeteilt haben, dass in den Niederlanden bei der Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State (Abteilung für Verwaltungsstreitsachen des Staatsrats) noch ein Rechtsbehelf im zweiten Asylverfahren anhängig war, ihre nach Art. 24 Abs. 5 der Dublin‑III-Verordnung bestehende Pflicht verletzt, den italienischen Behörden die Informationen zu liefern, anhand deren sie prüfen konnten, ob ihr Staat aufgrund der in dieser Verordnung festgelegten Kriterien zuständig war?

    5.

    Falls die vierte Frage zu bejahen ist, führt diese Pflichtverletzung dann zu dem Ergebnis, dass dadurch die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags des Klägers auf internationalen Schutz nicht auf die Italienische Republik übergegangen, sondern bei den niederländischen Behörden verblieben ist?

    6.

    Sofern die Zuständigkeit nicht beim Königreich der Niederlande verblieben ist, hätten die niederländischen Behörden dann im Zusammenhang mit der Auslieferung des Klägers aus der Italienischen Republik an das Königreich der Niederlande im Rahmen seiner Strafsache aufgrund von Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung, abweichend von Art. 3 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung, den von ihm in Italien gestellten Antrag auf internationalen Schutz prüfen müssen, und hätten sie infolgedessen vernünftigerweise keinen Gebrauch von der in Art. 24 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen Befugnis machen dürfen, die italienischen Behörden um die Wiederaufnahme des Klägers zu ersuchen?

    48.

    Die deutsche, die ungarische und die niederländische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht ( 14 ). Bedauerlicherweise hat die italienische Regierung keine schriftliche Erklärung eingereicht und war auch in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten.

    V. Vorbemerkungen

    49.

    Vor einer Untersuchung dieser Fragen sind einige Vorbemerkungen zum Gegenstand und zur Tragweite des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens erforderlich ( 15 ).

    50.

    Das Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Amsterdam (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Amsterdam), zielt im Wesentlichen darauf ab, den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Prüfung des von X in Italien gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist.

    51.

    In Anbetracht der Besonderheiten des rechtlichen und tatsächlichen Rahmens, in den sich der Ausgangsrechtsstreit einfügt, fragt sich das vorlegende Gericht, ob die Italienische Republik wirklich als der Mitgliedstaat angesehen werden kann, der für die Prüfung dieses Antrags zuständig geworden ist.

    52.

    Dem vorlegenden Gericht stellt sich daher als Erstes die Frage nach der Tragweite und den Anwendungsmodalitäten der beiden verfahrensrechtlichen Vorschriften der Dublin‑III-Verordnung, auf die sich das Königreich der Niederlande stützt, um einen Übergang der Zuständigkeit herbeizuführen:

    Art. 23 Abs. 3 dieser Verordnung, dessen Anwendung dazu führt, dass die Zuständigkeit wegen des Ablaufs der für die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs festgelegten Fristen von Rechts wegen übergeht (erste Vorlagefrage), und

    Art. 24 Abs. 1 dieser Verordnung, dessen Anwendung dazu führt, dass die Zuständigkeit ebenfalls übergeht, sobald der um eine Wiederaufnahme ersuchte Mitgliedstaat diesem Ersuchen ausdrücklich oder stillschweigend stattgibt (erste bis sechste Vorlagefrage).

    53.

    Falls der Gerichtshof der Ansicht sein sollte, dass die Zuständigkeit sehr wohl nach Art. 23 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung von Rechts wegen übergegangen ist, stellen sich die Fragen zur Auslegung von Art. 24 dieser Verordnung nur hilfsweise.

    54.

    Als Zweites ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof, die Tragweite der in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Ermessensklausel zu klären, sofern die Italienische Republik der für die Prüfung des in Rede stehenden Antrags auf internationalen Schutz zuständige Mitgliedstaat sein sollte (sechste Vorlagefrage).

    55.

    Das vorlegende Gericht fragt sich, ob die niederländischen Behörden nicht verpflichtet waren, von dieser Klausel Gebrauch zu machen und somit diesen Antrag zu prüfen, weil die Italienische Republik den Europäischen Haftbefehl vollstreckt und den Betroffenen zum Zweck der gegen ihn eingeleiteten Strafverfolgung an diese Behörden übergeben hat.

    VI. Prüfung

    A.   Übergang der Zuständigkeit nach Art. 23 der Dublin‑III-Verordnung (erste Vorlagefrage)

    56.

    Mit seiner ersten Vorlagefrage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Auslegung von Art. 23 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung.

    57.

    Es fragt sich insbesondere, ob diese Vorschrift, im Licht der vom Unionsgesetzgeber im Rahmen der Dublin‑III-Verordnung verfolgten Ziele verstanden ( 16 ), nicht einem Übergang der Zuständigkeit infolge des Ablaufs der in Art. 23 Abs. 2 dieser Verordnung festgelegten Fristen entgegensteht, wenn der im Sinne von Art. 18 Abs. 1 Buchst. d dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat Anträge geprüft hat, die der Betroffene zuvor gestellt hatte, und wenn die Entscheidung, mit der der zweite Antrag abgelehnt wurde, Gegenstand eines noch vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens ist.

    58.

    Nach Art. 3 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung wird ein Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt, grundsätzlich allein von dem nach den Kriterien des Kapitels III dieser Verordnung als zuständiger Staat bestimmten Mitgliedstaat geprüft ( 17 ). Über die in Kapitel III der Dublin‑III-Verordnung genannten Kriterien hinaus sieht Kapitel VI dieser Verordnung jedoch Verfahren zur Aufnahme und Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat vor, die „ebenso wie die in Kapitel III der Verordnung genannten Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats beitragen“ ( 18 ).

    59.

    Somit definiert Art. 23 der Dublin‑III-Verordnung die Regeln, die für ein Wiederaufnahmegesuch gelten, wenn in einem anderen Mitgliedstaat, nämlich dem ersuchenden Staat, ein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.

    60.

    Wenn eine Person im Sinne von Art. 18 Abs. 1 Buchst. d dieser Verordnung, deren Antrag auf internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat abgelehnt wurde, einen neuen Antrag auf internationalen Schutz in einem anderen Mitgliedstaat stellt, kann dieser den ersten Mitgliedstaat gemäß Art. 23 Abs. 1 dieser Verordnung ersuchen, die betroffene Person wieder aufzunehmen.

    61.

    Eine Person wie X, die zwei Anträge auf internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat gestellt hat – im vorliegenden Fall in den Niederlanden am 23. März 2011 und am 4. Juni 2014 –, denen nicht stattgegeben wurde, und sich anschließend in einen anderen Mitgliedstaat begibt, in dem sie einen neuen Antrag stellt – im vorliegenden Fall in Italien am 23. Oktober 2014 –, fällt ohne Weiteres in den Anwendungsbereich des Art. 23 der Dublin‑III-Verordnung.

    62.

    Im Anschluss an Fragen und Erläuterungen, die der Gerichtshof in der mündlichen Verhandlung gestellt bzw. erbeten hat, sind sich im Übrigen alle Parteien darüber einig geworden, dass der in Art. 18 Abs. 1 Buchst. d dieser Verordnung genannte Sachverhalt sehr wohl auf X zutrifft.

    63.

    In Art. 23 Abs. 2 dieser Verordnung legt der Unionsgesetzgeber zwingende Fristen für die Stellung des Wiederaufnahmegesuchs fest. Dieses ist so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung oder innerhalb von drei Monaten zu stellen, wenn die zuständigen Behörden ihr Gesuch auf andere Beweismittel als Angaben aus dem Eurodac-System stützen. Diese Fristen sollen gewährleisten, dass das Wiederaufnahmeverfahren ohne unberechtigte Verzögerung und jedenfalls „innerhalb einer angemessenen Frist“ ab dem Zeitpunkt durchgeführt wird, zu dem der ersuchende Mitgliedstaat über die entsprechende Informationen verfügt, und zwar mit dem Ziel, die zügige Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz sicherzustellen ( 19 ).

    64.

    In Art. 23 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung – dessen Wortlaut hier auszulegen ist – definiert der Unionsgesetzgeber die Wirkungen des Ablaufs der festgesetzten Fristen. Nach dieser Vorschrift ist, wenn das Gesuch nicht fristgemäß erfolgt, der Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, in dem der Antrag gestellt wurde. Der Unionsgesetzgeber sieht keinerlei Ausnahme vor und gewährt keinen Handlungsspielraum.

    65.

    Der Wortlaut dieser Vorschrift ist in allen Sprachfassungen sehr klar und bringt unmissverständlich den Willen des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, die Zuständigkeit übergehen zu lassen, wenn die Fristen für die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs nicht eingehalten werden.

    66.

    Im Ausgangsrechtsstreit hat die Italienische Republik, bei der der dritte Antrag gestellt wurde, unstreitig versäumt, das Königreich der Niederlande innerhalb der zwingenden Fristen von Art. 23 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung um Wiederaufnahme von X zu ersuchen. Gemäß Art. 23 Abs. 3 dieser Verordnung müsste die Zuständigkeit für die Prüfung dieses neuen Antrags daher „von Rechts wegen“ auf die Italienische Republik übergegangen sein ( 20 ).

    67.

    Mit Ausnahme von X stimmen alle Parteien, die schriftliche Erklärungen eingereicht haben, darin überein, dass die Italienische Republik nach dem Wortlaut des Art. 23 Abs. 3 dieser Verordnung tatsächlich für die Prüfung dieses Antrags zuständig geworden ist, und zwar unabhängig davon, dass in den Niederlanden noch ein Rechtsbehelfsverfahren gegen die Entscheidung anhängig ist, mit der der zweite Antrag abgelehnt wurde.

    68.

    Ich könnte mich dieser Schlussfolgerung anschließen, wenn der fragliche Sachverhalt tatsächlich nur durch dieses in den Niederlanden anhängige Rechtsmittelverfahren gekennzeichnet wäre. Das ist aber, wie wir sehen werden, nicht der Fall. Im vorliegenden Fall sind nämlich weitere Umstände gegeben, die meines Erachtens in ihrer Gesamtheit dazu führen, dass für die Prüfung dieses dritten Antrags allein die niederländischen Behörden zuständig sind.

    69.

    Wendet man die wörtliche Auslegung auf einen so besonderen Fall wie den vorliegenden an, wirft sie mehr Probleme auf als sie löst, was sich recht deutlich aus den sechs Vorlagefragen ersehen lässt, die das vorlegende Gericht an den Gerichtshof richtet. In Anbetracht der Besonderheiten des vorliegenden Falles verleiht diese wörtliche Auslegung dem Wortlaut des Art. 23 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung Wirkungen, die den Grundsätzen, auf denen das Gemeinsame Europäische Asylsystem beruht, und den vom Unionsgesetzgeber im Rahmen dieser Verordnung verfolgten Zielen völlig zuwiderlaufen.

    70.

    Zur Wahrung der praktischen Wirksamkeit der Dublin‑III-Verordnung und aus den Gründen, die ich nunmehr darlegen werde, schlage ich dem Gerichtshof daher vor, vom Automatismus des in Art. 23 Abs. 3 dieser Verordnung vorgesehenen Mechanismus eine Ausnahme zu machen.

    71.

    Nach Art. 67 Abs. 2 und Art. 80 AEUV beruht das Gemeinsame Europäische Asylsystem, in das sich die Dublin‑III-Verordnung einfügt, auf der Solidarität der Mitgliedstaaten und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter ihnen ( 21 ). Wie aus dem 22. Erwägungsgrund dieser Verordnung hervorgeht, bildet diese Solidarität ein „Kernelement“ dieses Systems. Sie muss außerdem „echt und praktisch“ sein und gegenüber den Mitgliedstaaten bestehen, die von den Asylströmen am meisten betroffen sind und deren Systeme von diesen Strömen übermäßig stark belastet werden ( 22 ).

    72.

    Dieses System beruht auch auf dem gegenseitigen Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten, das sogar einer seiner Grundpfeiler ist.

    73.

    Gerade aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens hat der Unionsgesetzgeber die Dublin‑III-Verordnung erlassen, um die Behandlung der Anträge auf internationalen Schutz zu beschleunigen, indem den Antragstellern gewährleistet wird, dass ihr Antrag in der Sache durch einen einzigen, eindeutig bestimmten Mitgliedstaat geprüft wird. Zu diesem Zweck will der Unionsgesetzgeber die Behandlung dieser Anträge rationalisieren, indem er verhindert, dass das System dadurch ins Stocken gerät, dass Mitgliedstaaten mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, indem er die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates erhöht und indem er schließlich dem „forum shopping“ zuvorkommt ( 23 ).

    74.

    Wie sich aus den Erwägungsgründen 4 und 5 der Dublin‑III-Verordnung ergibt, möchte der Unionsgesetzgeber eine Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats schaffen, die „klar und praktikabel“ sein und „auf objektiven und für die Mitgliedstaaten und die Betroffenen gerechten Kriterien basieren“ soll“. Diese Formel soll vor allem „eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen, um … das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden“.

    75.

    Auch wenn der Unionsgesetzgeber in erster Linie auf die in Kapitel III der Dublin‑III-Verordnung genannten Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats abstellt, ändert dies nichts daran, dass die in Kapitel VI dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren für die Aufnahme bzw. Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat auf Kriterien beruhen müssen, die die gleichen Merkmale aufweisen, und zwar nicht nur, weil diese Verfahren ebenso wie die genannten Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats beitragen ( 24 ), sondern auch, weil sie in gleicher Weise an der Verwirklichung der Ziele dieser Verordnung teilhaben.

    76.

    So hat der Gerichtshof im Urteil vom 26. Juli 2017, Mengesteab ( 25 ), zum Übergang der Zuständigkeit infolge des Ablaufs der für die Stellung eines Aufnahmegesuchs festgesetzten Fristen (Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 der Dublin‑III-Verordnung) ausgeführt, dass dieser Mechanismus entscheidend zur Verwirklichung des Ziels einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz beiträgt, indem er bei einer verzögerten Durchführung des Aufnahmeverfahrens gewährleistet, dass der Antrag auf internationalen Schutz in dem Mitgliedstaat geprüft wird, in dem er gestellt wurde, damit die Prüfung nicht durch den Erlass und den Vollzug einer Überstellungsentscheidung weiter aufgeschoben wird ( 26 ).

    77.

    Diese Beurteilung könnte vom Grundsatz her wegen der Identität des durch Art. 23 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung eingeführten Mechanismus übertragbar sein. Wie ich noch darlegen werde, sind jedoch als Erstes die Umstände des vorliegenden Falles so geartet, dass der fragliche Übergang der Zuständigkeit das Verfahren nicht nur alles andere als beschleunigen, sondern ihm auch die Rationalität, die Objektivität und die Gerechtigkeit nehmen würde, die der Unionsgesetzgeber im Rahmen dieser Verordnung erreichen will.

    78.

    Erstens würde der nach Art. 23 Abs. 3 dieser Verordnung erforderliche Übergang der Zuständigkeit darauf hinauslaufen, den für die Prüfung des Antrags zuständigen Mitgliedstaat im Wege einer Sanktion zu bestimmen. Sobald der Mitgliedstaat die in dieser Vorschrift festgesetzten Fristen versäumt, geht die Zuständigkeit automatisch und unabhängig von des Umständen des Einzelfalls sowie von den mit ihm verbundenen menschlichen und materiellen Folgen über. Wie bereits ausgeführt, hat der Unionsgesetzgeber keinerlei Ausnahme vorgesehen und lässt den zuständigen Behörden keinen Handlungsspielraum.

    79.

    So geht im vorliegenden Fall aus den Akten klar hervor, dass der nach Art. 23 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung erforderliche Übergang der Zuständigkeit eher darauf hinausläuft, den Verstoß der Italienischen Republik gegen eine Formvorschrift zu ahnden, nämlich gegen die Verfahrensvorschrift des Art. 23 Abs. 2 dieser Verordnung ( 27 ), als einer wirklichen „rechtlichen Notwendigkeit“ zu entsprechen, da der in Italien gestellte Antrag, so sehr dies zu missbilligen sein mag, nur eine List war ( 28 ).

    80.

    Zweitens erlaubt es der Automatismus dieses Mechanismus nicht, den Umstand zu berücksichtigen, dass der hier in Betracht gezogene Übergang der Zuständigkeit die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz betrifft, der mit den beiden von X in den Niederlanden gestellten Anträgen identisch ist oder zumindest im Zusammenhang mit ihnen steht. Diese Anträge haben denselben Gegenstand, nämlich die Gewährung internationalen Schutzes, denselben Grund, nämlich die möglicherweise bestehende Gefahr einer Verfolgung aus religiösen Gründen, und wurden von derselben Partei, nämlich von X, gestellt ( 29 ).

    81.

    Drittens erlaubt es der Automatismus dieses Mechanismus auch nicht, den Umstand zu berücksichtigen, dass das Königreich der Niederlande seine Zuständigkeit für die Prüfung der beiden vorausgegangenen Anträge des Betroffenen uneingeschränkt anerkannt hatte, und zwar in Anwendung eines materiellen Kriteriums, nämlich des in Art. 3 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung aufgeführten Kriteriums des ersten Mitgliedstaats, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde.

    82.

    Wie die Dauer der Prüfung des ersten Antrags sowie die zahlreichen Schriftstücke belegen, die der dem Gerichtshof vorliegenden Akte beigefügt sind, waren die ersten beiden Anträge auf internationalen Schutz zudem Gegenstand einer eingehenden Prüfung durch die Verwaltungsbehörden und Gerichte dieses Mitgliedstaats und führten zu zwei endgültigen ablehnenden Entscheidungen.

    83.

    So waren an dem Tag, als X seinen dritten Antrag in Italien stellte, die den ersten Antrag ablehnende Entscheidung vom 5. September 2011 endgültig und das Urteil der Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State (Abteilung für Verwaltungsstreitsachen des Staatsrats) rechtskräftig. Die den zweiten Antrag ablehnende Entscheidung vom 11. Juni 2014 war ebenfalls endgültig, da der noch anhängige, bei diesem Gericht eingelegte Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hatte ( 30 ).

    84.

    Wenn es das Ziel des Unionsgesetzgebers ist, die Behandlung von Asylanträgen durch eine objektive Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zu rationalisieren und zu beschleunigen, liegt es daher meines Erachtens unter diesen Umständen auf der Hand, dass die niederländischen Behörden aufgrund ihrer Beteiligung an der Prüfung der Asylanträge des Betroffenen nach wie vor am besten in der Lage sind, den dritten Antrag zu prüfen. Im Unterschied zu der Sachlage in der Rechtssache, in der das Urteil vom 26. Juli 2017, Mengesteab ( 31 ), ergangen ist, trägt der fragliche Übergang der Zuständigkeit hier – abgesehen von den damit verbundenen menschlichen und materiellen Belastungen – weder zur Zügigkeit des Verfahrens noch zu einer ordnungsgemäßen Verwaltung im Allgemeinen bei. Weil wir es noch mit nationalen Asylsystemen zu tun haben, wären die italienischen Behörden nämlich zu einer ebenso sorgfältigen Prüfung verpflichtet, wie sie parallel dazu von den niederländischen Behörden vorgenommen worden ist, um einerseits die Tatsachen festzustellen und den Beweiswert der vom Betroffenen vorgelegten Unterlagen zu beurteilen, mit der ganzen Komplexität, die das im Rahmen von Asylanträgen mit sich bringt, und andererseits den Antrag auf internationalen Schutz einer Person zu beurteilen, die sie noch nie gesehen und mit der sie noch nie Gespräche geführt haben. Angenommen, der Antragsteller wäre schutzbedürftig und befände sich in einer Notlage – würde ein solcher Übergang der Zuständigkeit insoweit, als er ein neues Prüfungsverfahren bedingt, wirklich seine Rechte wahren?

    85.

    Außerdem würde der Übergang der Zuständigkeit für die Prüfung dieses dritten Antrags auf die italienischen Behörden das Risiko mit sich bringen, dass diese eine andere Entscheidung treffen als diejenige, die die niederländischen Behörden im Rahmen der Prüfung der ersten beiden Anträge getroffen haben, obwohl diese Anträge insgesamt im Zusammenhang stehen oder gar identisch sind. Sofern dies die Chancen des Asylbewerbers vervielfacht, eine positive Entscheidung zu erlangen, gefährdet eine solche Situation die im Rahmen des europäischen Asylsystems, das ein gemeinsames System sein soll, angestrebte Kohärenz und Einheit und führt zu einer erhöhten Gefahr des „Asyl-Shoppings“, das das Dublin-System zu verhindern sucht. Auf die gleiche Weise wird dadurch die Möglichkeit eröffnet, dass jeder neue Mitgliedstaat, der im Rahmen der Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig wird, dem zuvor zuständigen Mitgliedstaat gegenüber die Rolle einer „Berufungsinstanz“ einnimmt.

    86.

    Viertens erlaubt es der Automatismus dieses Mechanismus auch nicht, die laufenden Gerichtsverfahren in den Niederlanden zu berücksichtigen, nämlich das vor der Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State (Abteilung für Verwaltungsstreitsachen des Staatsrats) anhängige verwaltungsrechtliche Verfahren und das wegen des Verdachts einer Straftat eröffnete Verfahren strafrechtlicher Art.

    87.

    Während der Übergang der Zuständigkeit innerhalb zwingender und strikter Fristen erfolgt, gilt dies nicht für die laufenden Gerichtsverfahren.

    88.

    Das die Prüfung des zweiten Antrags betreffende Verwaltungsverfahren ist zwar abgeschlossen. Das im Rahmen der Klage eröffnete Gerichtsverfahren kann jedoch zu einer Abänderung der erlassenen Verwaltungsentscheidung führen, weil das erstinstanzliche Gericht in der Lage ist, eine umfassende Ex-nunc-Prüfung vorzunehmen, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt ( 32 ), und weil das letztinstanzliche Gericht einer Kassationsrüge stattgeben kann. Folglich besteht das Risiko, dass das zuerst angerufene Gericht im ersuchenden Mitgliedstaat die Entscheidung abändert, mit der der Antrag auf internationalen Schutz ursprünglich abgelehnt worden war, was einen Übergang der Zuständigkeit sinnlos und unzweckmäßig machen würde.

    89.

    Jedenfalls kommt dieser Sachverhalt einer europäischen Rechtshängigkeitssituation gleich, und in Anbetracht des Zusammenhangs oder gar der Identität der von X in den Niederlanden und in Italien gestellten Anträge auf internationalen Schutz kann es meines Erachtens in diesem Fall keine wirksame konkurrierende Zuständigkeit eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaats geben.

    90.

    Was nun die strafrechtliche Verfolgung des Asylbewerbers betrifft, lässt sich außer in den einfachsten und offenkundigsten Fällen äußerst schwer vorhersagen, welche Behandlung die Sache und der Betroffene erfahren werden, so dass mir auch hier der Automatismus des Übergangs der Zuständigkeit, der letztlich mit einer Überstellung des Betroffenen einhergeht, unzweckmäßig erscheint. Während die Strafverfolgung in der vorliegenden Rechtssache zu einer Einstellung des Verfahrens geführt hat, kann sie unter anderen Umständen zur Befassung eines Untersuchungsrichters oder eines Spruchkörpers und gegebenenfalls zur Verurteilung des Asylbewerbers führen.

    91.

    Die vorrangige Wirkung des Strafverfahrens kann daher nur zur Folge haben, die Prüfung des neu gestellten Antrags auf internationalen Schutz zum Stillstand zu bringen.

    92.

    Wie kann man daher im Rahmen einer Beurteilung, die rationell und objektiv sein soll, diese Strafverfolgung und auch im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits den Europäischen Haftbefehl außer Acht lassen, der von den italienischen Behörden verlangt, den Betroffenen zu überstellen?

    93.

    Auch wenn – wie wir sehen werden – ein von einem Mitgliedstaat gegen einen Asylbewerber ausgestellter Europäischer Haftbefehl als solcher einem Wiederaufnahmeverfahren nicht entgegensteht, stört dieser Umstand, weil er hier mit so vielen anderen zusammentrifft, in offenkundiger Weise den normalen Ablauf der in der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen Verfahren.

    94.

    X hat seinen Antrag auf internationalen Schutz in Italien am 23. Oktober 2014 gestellt, d. h. nur wenige Tage nach der Ausstellung des Europäischen Haftbefehls gegen ihn. Die Stellung dieses Antrags hinderte die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls nicht ( 33 ). Wie der Prozessbevollmächtigte von X in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, haben die italienischen Behörden den Betroffenen somit Anfang Dezember 2014 festgenommen, d. h. einige Wochen nach der Stellung seines Asylantrags, und ihn anschließend für die Dauer von ca. zwei Monaten in Haft genommen, um ihn den niederländischen Behörden zu übergeben, was am 30. Januar 2015 geschah. Auch wenn den italienischen Behörden vorgeworfen wird, das Königreich der Niederlande nicht um Wiederaufnahme von X ersucht zu haben, ist immerhin festzustellen, dass sie im selben Zeitraum den Europäischen Haftbefehl durch Übergabe des Betroffenen vollstreckt haben.

    95.

    Ist es unter Umständen wie denen des vorliegenden Falles sinnvoll, die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz Italien zu übertragen, obwohl dieser Mitgliedstaat den Betroffenen fast zeitgleich den niederländischen Behörden zum Zweck der Strafverfolgung übergeben hat ( 34 )?

    96.

    Keine Vorschrift der Dublin‑III-Verordnung kann diese Frage klären. Allein die Achtung der Menschenwürde und die Verfolgung der Ziele des Unionsgesetzgebers im Rahmen der Schaffung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ermöglichen das.

    97.

    Ich spreche die Menschenwürde an, weil diese Rechtssache, beträfe sie nicht einen Asylbewerber, einem Pingpongspiel gleichkommen könnte.

    98.

    In Anbetracht dieser ersten Gesichtspunkte und unter Berücksichtigung der Vielfalt und der Verflochtenheit der X betreffenden Verwaltungs- und Gerichtsverfahren in den Niederlanden bin ich der Ansicht, dass die Objektivität, durch die sich das Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats auszeichnen muss, und die im Rahmen dieser Prüfung gebotene Zügigkeit es gebieten, dass der neue von X gestellte Antrag von den Behörden geprüft wird, die hierzu am besten in der Lage sind, d. h. von den niederländischen Behörden – deren höchste Verwaltungsinstanzen ihre Zuständigkeit bereits in Anwendung eines in der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen materiellen Kriteriums uneingeschränkt bejaht haben –, und nicht von denen, die ihren Pflichten nicht nachgekommen sind, indem sie innerhalb der Fristen kein Wiederaufnahmegesuch gestellt haben ( 35 ).

    99.

    Als Zweites ist der Automatismus dieses Übergangs der Zuständigkeit mit den Grundsätzen der loyalen Zusammenarbeit und der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten, auf denen das Gemeinsame Europäische Asylsystem und die Dublin‑III-Verordnung beruhen, schwerlich zu vereinbaren.

    100.

    2014 konnten die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nämlich nicht darüber hinwegsehen, dass der massive Zustrom von Flüchtlingen an den italienischen Küsten die Asylbehörden dieses Mitgliedstaats unter verstärkten Druck setzte, was sich in strukturellen Rückständen niederschlug und u. a. zur Folge hatte, die Reaktionszeiten zu verlangsamen und die Antwortzeiten auf an Italien gerichtete Aufnahme- und Wiederaufnahmeersuchen zu verlängern. Ich muss gestehen, dass wir mit der automatischen Übertragung der Zuständigkeit wegen Versäumung der festgesetzten Fristen noch weit von der angestrebten „echten und praktischen“ Solidarität entfernt sind ( 36 ).

    101.

    Aufgrund all dieser Erwägungen halte ich es daher für erforderlich, von der strikten Anwendung des Wortlauts von Art. 23 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung und dem sich daraus ergebenden Übergang der Zuständigkeit für die Prüfung des hier in Rede stehenden dritten Antrags abzuweichen, um die praktische Wirksamkeit dieser Verordnung zu wahren.

    102.

    Um in einem Fall wie dem vorliegenden die praktische Wirksamkeit dieser Verordnung zu wahren und insbesondere die Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz zu rationalisieren, schlage ich vor, den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen anzuwenden.

    103.

    Dieser Grundsatz ist bekanntlich ein Eckstein des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ( 37 ), zu dem die Asylpolitik gehört ( 38 ).

    104.

    Dieser Grundsatz findet im Rahmen der Verfahren nach den Art. 23 und 24 der Dublin‑III-Verordnung Anwendung, wenn ein Mitgliedstaat beschließt, um Wiederaufnahme einer Person zu ersuchen, die um internationalen Schutz nachsucht und der ein anderer Mitgliedstaat die Gewährung von Asyl bereits durch eine rechtskräftige Entscheidung versagt hat.

    105.

    Wenn eine Person im Sinne von Art. 18 Abs. 1 Buchst. d dieser Verordnung, deren Antrag auf internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat bereits durch rechtskräftige Entscheidung abgelehnt worden ist, einen neuen Antrag auf internationalen Schutz in einem anderen Mitgliedstaat stellt, kann dieser den früheren Mitgliedstaat gemäß Art. 23 Abs. 1 dieser Verordnung um Wiederaufnahme der betreffenden Person ersuchen.

    106.

    Hält sich eine Person im Sinne von Art. 18 Abs. 1 Buchst. d dieser Verordnung, deren Antrag auf internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat bereits durch rechtskräftige Entscheidung abgelehnt worden ist, ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats auf, kann der letzte Mitgliedstaat gemäß Art. 24 Abs. 4 der Dublin‑III-Verordnung entweder den früheren Mitgliedstaat um Wiederaufnahme der betreffenden Person ersuchen oder ein Rückkehrverfahren gemäß der Richtlinie 2008/115 durchführen.

    107.

    Derzeit sind sich die Mitgliedstaaten somit darin einig, die von anderen Mitgliedstaaten erlassenen Asylentscheidungen anzuerkennen, sofern diese negativ sind.

    108.

    Im vorliegenden Fall hatten die niederländischen Behörden, als X bei den italienischen Behörden am 23. Oktober 2014 den dritten Antrag stellte, bereits eine seit dem 27. Juni 2013 rechtskräftige Entscheidung erlassen, mit der sie den ersten Antrag ablehnten. Auch hatte die Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Amsterdam (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Amsterdam), mit Urteil vom 7. Juli 2014 die Klage abgewiesen, die der Betroffene gegen die Ablehnung seines zweiten Antrags erhoben hatte.

    109.

    Ab dem Zeitpunkt, zu dem die niederländischen Behörden ihre Zuständigkeit für Entscheidungen über die vom Betroffenen gestellten Anträge auf internationalen Schutz bejahten, und zwar aufgrund eines materiellen Kriteriums, und außerdem eine endgültige Entscheidung über den ersten Antrag erließen, die mit dem Urteil des obersten Verwaltungsgerichts rechtskräftig geworden ist, muss das die Prüfung jedes neuen Antrags auf internationalen Schutz unterbinden, den der Betroffene in einem anderen Mitgliedstaat stellt und der nicht auf neuen Gesichtspunkten oder Tatsachen beruht. Aufgrund der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung muss dieser Mitgliedstaat die mit den erlassenen Urteilen verbundene Rechtskraft beachten, was somit allein deshalb jeden neuen Antrag im Sinne von Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 unzulässig machen muss.

    110.

    Ich weise darauf hin, dass nach dieser Vorschrift ein Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig ansehen kann, wenn es sich um einen Folgeantrag handelt, in dem keine neuen Umstände oder Erkenntnisse zutage treten oder vom Antragsteller vorgebracht werden. Wie bereits ausgeführt, bin ich der Auffassung, dass dies im Ausgangsrechtsstreit der Fall ist. Allerdings obliegt es den zuständigen Behörden, dies zu überprüfen.

    111.

    Der im Rahmen der Dublin‑III-Verordnung eingeführte Informationsaustausch macht diesen Mechanismus ohne Weiteres möglich, weil der um Wiederaufnahme eines Antragstellers ersuchte Staat aufgrund der in Art. 24 Abs. 5 dieser Verordnung genannten Verpflichtungen über alle sachdienlichen Informationen verfügt – oder auf Antrag nach Art. 34 dieser Verordnung verfügen kann –, die das Vorliegen eines früheren Antrags auf internationalen Schutz betreffen (Datum und Ort einer früheren Antragstellung auf internationalen Schutz, Stand des Verfahrens, Tenor und Datum der getroffenen Entscheidung) ( 39 ).

    112.

    Die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung würde hier ein rationelleres, wirksameres und kohärenteres Funktionieren des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ermöglichen, weil die Zuständigkeit eines Mitgliedstaats für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz, sobald sie einmal feststeht, zuverlässig erhalten bliebe, was es möglich machen würde, ein zügiges Verfahren zu gewährleisten, zu verhindern, dass es zu widersprüchlichen Entscheidungen kommt, und eine Sekundärmigration des Antragstellers infolge eines Übergangs der Zuständigkeit einzudämmen.

    113.

    Diese Lösung würde in der Tat nur die Vorschläge der Kommission zur Reform des Dublin-Systems vorwegnehmen ( 40 ). Diese regt nämlich im Rahmen ihres Vorschlags für eine Verordnung zur Änderung der Dublin‑III-Verordnung an, eine Regelung einzuführen, nach der ein Staat, sobald er einen Antrag auf internationalen Schutz als zuständiger Mitgliedstaat geprüft hat, auch für die Prüfung vom Betroffenen gestellter Folgeanträge zuständig bleibt, unabhängig davon, ob dieser das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verlassen hat oder abgeschoben wurde ( 41 ). Somit wäre und bliebe ein einziger Mitgliedstaat für die Prüfung eines Antrags zuständig, und die Zuständigkeitskriterien wären nur einmal anzuwenden. Außerdem schlägt die Kommission vor, die Regelung einzuführen, dass der Ablauf der Fristen nicht mehr zu einer Verlagerung der Zuständigkeit führt.

    114.

    Sollten diese Vorschläge angenommen werden, würde das Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Amsterdam (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Amsterdam), gegenstandslos.

    115.

    In Anbetracht all dieser Erwägungen und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Ausgangsrechtsstreits bin ich der Auffassung, dass Art. 23 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung und der sich daraus ergebende Übergang der Zuständigkeit für die Prüfung des vom Betroffenen in Italien gestellten Antrags auf internationalen Schutz unangewendet bleiben sollten, weil sie dem Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats die im Rahmen dieser Verordnung angestrebte Rationalität, Objektivität, Gerechtigkeit und Zügigkeit nehmen und mit den Grundsätzen der loyalen Zusammenarbeit und der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten, auf denen das Gemeinsame Europäische Asylsystem beruht, nicht vereinbar sind.

    B.   Rechtmäßigkeit des von den niederländischen Behörden an Italien gerichteten Wiederaufnahmegesuchs nach Art. 24 der Dublin‑III-Verordnung (erste und sechste Vorlagefrage)

    116.

    Das vorlegende Gericht hat ferner Zweifel an der Rechtmäßigkeit des von den niederländischen Behörden an die italienischen Behörden gerichteten Wiederaufnahmegesuchs nach Art. 24 der Dublin‑III-Verordnung (Gesuch, wenn im ersuchenden Mitgliedstaat kein neuer Antrag gestellt wurde).

    117.

    Die Situation von X richtet sich in diesem Fall nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Dublin‑III-Verordnung. Diese Vorschrift bezieht sich auf eine Person, die zum einen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der noch geprüft wird, und zum anderen entweder einen Antrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat oder sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält.

    118.

    Eine Person wie X, die, nachdem sie in einem Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nämlich im vorliegenden Fall in Italien, illegal in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats zurückkehrt, nämlich in die Niederlande, ohne dort einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, fällt durchaus in den Anwendungsbereich von Art. 24 der Dublin‑III-Verordnung.

    119.

    Die Durchführung eines Wiederaufnahmeverfahrens nach Art. 24 Abs. 1 dieser Verordnung steht im Ermessen der Mitgliedstaaten, wie aus dem vom Unionsgesetzgeber in dieser Vorschrift verwendeten Ausdruck „kann … ersuchen“ hervorgeht, und zielt darauf ab, einen Übergang der Zuständigkeit für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zu bewirken.

    120.

    Die Frage des vorlegenden Gerichts stellt sich daher für den Fall, dass der Gerichtshof den aus der Anwendung von Art. 23 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung folgenden Übergang der Zuständigkeit unangewendet lassen sollte.

    121.

    Insbesondere ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof hier, die Anwendungsmodalitäten von Art. 24 Abs. 1 dieser Verordnung zu klären.

    122.

    So fragt sich das vorlegende Gericht, ob diese Vorschrift einem Wiederaufnahmegesuch entgegensteht, wenn der ersuchende Mitgliedstaat für die Prüfung der vom Betroffenen zuvor gestellten Anträge auf internationalen Schutz zuständig war, wenn er darüber hinaus mit einem noch anhängigen Rechtsbehelfsverfahren gegen die Entscheidung befasst ist, mit der einer dieser Anträge abgelehnt wurde, und wenn er schließlich einen Europäischen Haftbefehl zum Zweck der Strafverfolgung gegen den Betroffenen ausgestellt hat, mit dem der ersuchte Mitgliedstaat aufgefordert wird, den Betroffenen zu übergeben.

    123.

    Einzeln betrachtet steht keiner dieser Umstände als solcher einem Wiederaufnahmegesuch entgegen. Ich werde sie nacheinander untersuchen

    1. Der ersuchende Mitgliedstaat war für die Prüfung eines vom Betroffenen zuvor gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig

    124.

    Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs steht Art. 24 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung einem Wiederaufnahmegesuch nicht entgegen, wenn der ersuchende Mitgliedstaat für die Prüfung eines vom Betroffenen zuvor gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig war.

    125.

    In einem kürzlich ergangenen Urteil, das nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens in der Rechtssache, die Gegenstand der vorliegenden Schlussanträge ist, verkündet worden ist, hat der Gerichtshof nämlich entschieden, dass das in Art. 24 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehene Verfahren auf eine Person angewandt werden kann, „die bei einem ersten Aufenthalt im Hoheitsgebiet des [ersuchenden] Mitgliedstaats bereits einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, der innerhalb des in Art. 26 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen Rahmens abgelehnt wurde“ ( 42 ). Da die Prüfung dieses Antrags in diesem Mitgliedstaat abgeschlossen war, kann diese Person dem Gerichtshof zufolge nicht einer Person gleichgestellt werden, die einen neuen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat ( 43 ). Es ist festzustellen, dass diese Auslegung von Art. 24 Abs. 1 dieser Verordnung einen Sachverhalt wie den hier vorliegenden erfasst, bei dem der ersuchende Mitgliedstaat mit einem früheren Antrag des Betroffenen auf internationalen Schutz befasst war und ihn geprüft und abgelehnt hat.

    2. Der ersuchende Mitgliedstaat ist mit einem noch anhängigen Rechtsbehelfsverfahren befasst

    126.

    Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass die Tatsache, dass gegen die Entscheidung, mit der ein bei einem ersten Aufenthalt im Hoheitsgebiet des ersuchenden Mitgliedstaats gestellter Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wurde, vor einem seiner Gerichte noch eine Klage anhängig ist, die Anwendung von Art. 24 der Dublin‑III-Verordnung nicht ausschließt, „da diese Entscheidung – mangels aufschiebender Wirkung der Klage – die mit ihr nach der Verordnung verbundenen Wirkungen entfaltet, so dass das im Anschluss an die Stellung des Antrags auf internationalen Schutz eingeleitete Verwaltungsverfahren abgeschlossen ist“ ( 44 ).

    127.

    Diese Auslegung von Art. 24 der genannten Verordnung gilt daher erst recht in einer Situation wie der hier vorliegenden, weil die gegen die ablehnende Entscheidung vom 11. Juni 2014 erhobene Klage keine aufschiebende Wirkung hat.

    3. Der ersuchende Mitgliedstaat hat einen Europäischen Haftbefehl ausgestellt

    128.

    Nunmehr ist die Frage zu prüfen, ob Art. 24 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung einem Wiederaufnahmegesuch entgegensteht, wenn der ersuchende Mitgliedstaat einen Europäischen Haftbefehl gegen den Asylbewerber ausgestellt hat, mit dem der ersuchte Mitgliedstaat aufgefordert wird, diesen zu übergeben.

    129.

    Der Gerichtshof hat sich zu dieser Frage nicht geäußert, und keine Vorschrift der Dublin‑III-Verordnung zieht einen solchen Fall in Betracht.

    130.

    A priori scheint ein von einem Mitgliedstaat ausgestellter Europäischer Haftbefehl gegen einen Asylbewerber für diesen Mitgliedstaat kein Hindernis zu sein, ein Gesuch um Wiederaufnahme dieses Antragstellers zu stellen.

    131.

    Bei dem Verwaltungsverfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz und dem Strafverfahren gegen einen Asylbewerber handelt es sich um zwei verschiedene Verfahren, und auf den ersten Blick spricht nichts dagegen, dass sich der einen Europäischen Haftbefehl ausstellende Mitgliedstaat, nachdem er von seinem souveränen Recht Gebrauch gemacht hat, denjenigen zu verfolgen, der in seinem Hoheitsgebiet eine Straftat begangen hat, an den Mitgliedstaat wendet, den er für zuständig hält, den Antrag des Betroffenen auf internationalen Schutz zu prüfen.

    132.

    Es wäre jedoch verfehlt, davon auszugehen, dass die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls das Verfahren der Wiederaufnahme des Asylbewerbers durch einen anderen Mitgliedstaat nicht berühren werde.

    133.

    Das Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 24 der Dublin‑III-Verordnung ist nämlich innerhalb strikter Fristen durchzuführen, die sich meines Erachtens nur schwer mit der Eigenart von Ermittlungs- und Strafverfahren (im Fall eines zur Strafverfolgung ausgestellten Europäischen Haftbefehls) oder der Dauer einer Freiheitsstrafe (im Fall eines zur Vollstreckung einer Strafe ausgestellten Europäischen Haftbefehls) vereinbaren lassen.

    134.

    Erstens muss das Gesuch um Wiederaufnahme einer Person im Sinne von Art. 18 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung gemäß Art. 24 Abs. 2 dieser Verordnung so bald wie möglich unterbreitet werden, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach dem Erhalt der Eurodac‑Treffermeldung oder innerhalb von drei Monaten, wenn sich das Gesuch auf andere Beweismittel stützt. Diese Fristen sind zwingend.

    135.

    Zweitens muss der Betroffene, wenn diesem Gesuch stattgegeben wird, gemäß Art. 29 Abs. 1 und 2 der Dublin‑III-Verordnung so bald wie möglich überstellt werden, in jedem Fall aber innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach dieser Stattgabe ( 45 ), wobei sich diese Frist aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person höchstens auf ein Jahr verlängert. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von einem Jahr durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Wiederaufnahme des Betroffenen verpflichtet.

    136.

    Folglich kann ein Mitgliedstaat, wenn er einen Europäischen Haftbefehl gegen einen Antragsteller auf internationalen Schutz ausstellt, im Anschluss an dessen Überstellung seine Wiederaufnahme bei dem Mitgliedstaat beantragen, den er für zuständig hält, seinen Antrag zu prüfen, vorausgesetzt, dass das Gesuch innerhalb der in Art. 24 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung genannten Fristen gestellt wird und – sofern der ersuchte Mitgliedstaat dem stattgibt – die Überstellung unter Beachtung der in Art. 29 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung genannten Fristen erfolgt.

    137.

    Im Fall der Ausstellung des Europäischen Haftbefehls zum Zweck der Strafverfolgung lässt sich schwer voraussagen, inwieweit diese Voraussetzungen erfüllt werden können, es sei denn, dass die Strafverfolgung – wie im vorliegenden Fall – rasch eingestellt wird.

    138.

    Im Fall der Ausstellung des Europäischen Haftbefehls zum Zweck der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe liegt es hingegen auf der Hand, dass ein Wiederaufnahmegesuch nur sinnvoll ist, wenn eine Freiheitsstrafe von kurzer Dauer verhängt wurde.

    139.

    In Anbetracht dieser Gesichtspunkte bin ich daher der Auffassung, dass die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls als solche kein Hindernis für ein Wiederaufnahmegesuch ist, wenn die Fristen nach Art. 24 Abs. 2 und Art. 29 Abs. 1 und 2 der Dublin‑III-Verordnung eingehalten werden.

    140.

    Meines Erachtens gilt dies auch in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Mitgliedstaat, der den Europäischen Haftbefehl vollstreckt und den Betroffenen somit den Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats übergibt, zugleich der Mitgliedstaat ist, den dieser um Wiederaufnahme des Betroffenen ersucht.

    141.

    Aufgrund dieser Prüfung bin ich daher der Ansicht, dass keiner der vom vorlegenden Gericht angeführten Umstände – für sich allein genommen und als solcher – einem Wiederaufnahmegesuch entgegensteht.

    142.

    In ihrer Gesamtheit stellen diese Umstände jedoch meines Erachtens ein größeres Hindernis für ein solches Wiederaufnahmeverfahren dar.

    143.

    Aus denselben Gründen, die ich in den Nrn. 71 bis 98 dieser Schlussanträge angeführt habe, bin ich nämlich der Auffassung, dass in einem Fall, in dem die zuständigen Behörden des ersuchenden Mitgliedstaats erstens für die Prüfung der vom Antragsteller bei einem ersten Aufenthalt im Hoheitsgebiet dieses Staates gestellten Anträge auf internationalen Schutz zuständig waren, zweitens mit einer noch anhängigen Klage gegen die Entscheidung befasst sind, mit der einer dieser Anträge abgelehnt wurde, und drittens gegen den Antragsteller einen Europäischen Haftbefehl ausgestellt haben, der von dem um Wiederaufnahme ersuchten Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Antragsteller sich aufhält, dessen Übergabe verlangt, ein nach Art. 24 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung eingeleitetes Wiederaufnahmeverfahren dem Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats die Rationalität, die Objektivität, die Gerechtigkeit sowie die Zügigkeit nimmt, die im Rahmen dieser Verordnung angestrebt werden, und mit den Grundsätzen der loyalen Zusammenarbeit und der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten, auf denen das Gemeinsame Europäische Asylsystem beruht, nicht vereinbar ist.

    C.   Umfang der Verpflichtungen des nach Art. 18 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung zuständigen Mitgliedstaats (zweite und dritte Vorlagefrage)

    144.

    Mit seiner zweiten und dritten Vorlagefrage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Klärung der Verpflichtungen, die den ersuchenden Mitgliedstaat im Hinblick auf die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz treffen, für den er zuständig ist, wenn dieser Mitgliedstaat ein Gesuch um Wiederaufnahme des Antragstellers im Sinne von Art. 24 der Dublin‑III-Verordnung stellt.

    145.

    Insbesondere möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob der ersuchende Mitgliedstaat, sobald das Wiederaufnahmegesuch gestellt worden ist, nach Art. 18 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung verpflichtet ist, die noch laufende Prüfung des genannten Antrags auszusetzen und sie nach Ablauf der in Art. 24 dieser Verordnung vorgesehenen Frist einzustellen, indem er die Entscheidung, mit der die zuständige nationale Behörde diesen Antrag abgelehnt hat, zurücknimmt oder ändert.

    146.

    Gegebenenfalls möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob ein Verstoß gegen diese Verpflichtung der Wiederaufnahme des Antragstellers durch den ersuchten Mitgliedstaat entgegenstehen kann.

    147.

    Bekanntlich kann ein Mitgliedstaat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung ein Verfahren zur Wiederaufnahme des Asylbewerbers selbst dann wirksam einleiten, wenn seine Gerichte im Rahmen der Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz, für die er noch zuständig ist, mit einem anhängigen Rechtsbehelfsverfahren befasst sind ( 46 ).

    148.

    Das vorlegende Gericht fragt somit nach der Art der Verpflichtungen, die den ersuchenden Mitgliedstaat im Hinblick auf die weitere Behandlung dieses Antrags treffen.

    149.

    Die Prüfung dieser Frage wirft eine erste Schwierigkeit hinsichtlich der Frist auf, auf die sich das vorlegende Gericht bezieht. Mangels einer Klarstellung im Vorlagebeschluss gehe ich davon aus, dass es sich um die Zweimonatsfrist gemäß Art. 24 Abs. 2 Unterabs. 1 der Dublin‑III-Verordnung ( 47 ) handelt, weil das Königreich der Niederlande sein Wiederaufnahmegesuch im vorliegenden Fall auf eine nach Befragung des Eurodac-Systems erhaltene Treffermeldung gestützt hat.

    150.

    Meines Erachtens ist diese Frist hier aber nicht einschlägig. Das vorlegende Gericht fragt nämlich nach den Verpflichtungen, die den ersuchenden Mitgliedstaat „unverzüglich nach der Stellung des Wiederaufnahmegesuchs“ treffen ( 48 ). Die in Art. 24 Abs. 2 Unterabs. 1 der Dublin‑III-Verordnung genannte Frist ist aber die äußerste Frist, innerhalb deren dieses Gesuch zu unterbreiten ist.

    151.

    Die Prüfung dieser Frage wirft eine zweite Schwierigkeit auf. Die Verpflichtungen, die den ersuchenden Staat hinsichtlich der Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz treffen, für die er zuständig ist, sind nämlich nicht anhand der speziellen Vorschriften von Art. 18 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung zu beurteilen, sondern nach den im Rahmen der Richtlinie 2013/32 erlassenen allgemeinen Vorschriften.

    152.

    Die Dublin‑III-Verordnung sieht nämlich keine besonderen Vorschriften vor, wenn der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständige Mitgliedstaat parallel hierzu ein Gesuch um Wiederaufnahme des Asylbewerbers auf der Grundlage ihres Art. 24 Abs. 1 stellt.

    153.

    Art. 18 der Dublin‑III-Verordnung ist wegen seines begrenzten Anwendungsbereichs nicht anwendbar. Diese Vorschrift hat zwar die „Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats“ zum Gegenstand, wie ihre Überschrift angibt, aber die Pflichten, die sie festlegt, gehören zum speziellen Rahmen eines Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeverfahrens, wie dies ausdrücklich aus Abs. 1 dieser Vorschrift hervorgeht. Die Pflichten der niederländischen Behörden bezüglich der Prüfung des zweiten Antrags liegen aber außerhalb des Rahmens eines Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeverfahrens.

    154.

    Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, schlage ich dem Gerichtshof daher vor, die ihm gestellte Frage anhand der Grundsätze und grundlegenden Garantien zu prüfen, die die Richtlinie 2013/32 vorsieht.

    155.

    Die Pflichten, die den ersuchenden Mitgliedstaat hinsichtlich der Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz treffen, für die er zuständig ist, liegen meines Erachtens auf der Hand ( 49 ).

    156.

    Erstens muss dieser Staat im Einklang mit dem in Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ( 50 ) verankerten Recht auf eine gute Verwaltung und in Anwendung von Art. 31 der Richtlinie 2013/32 ( 51 ) eine angemessene und vollständige Prüfung des Antrags durchführen und sie so rasch wie möglich zum Abschluss bringen.

    157.

    Zweitens hat der ersuchende Mitgliedstaat im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens die Beachtung des Rechts auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf sicherzustellen, wie es in Art. 47 der Charta verankert und in Art. 46 der Richtlinie 2013/32 vorgeschrieben ist, was bedeutet, dass der Richter zumindest im Rahmen der Rechtsbehelfsverfahren vor einem erstinstanzlichen Gericht eine umfassende Ex-nunc-Prüfung vornimmt, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt und bei der gegebenenfalls das Bedürfnis nach internationalem Schutz beurteilt wird ( 52 ).

    158.

    Das Verfahren der Prüfung des Asylantrags ist daher fortzusetzen.

    159.

    Die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs gehört nicht zu den Gründen, die eine Aussetzung des Prüfungsverfahrens rechtfertigen können ( 53 ). Das ist sinnvoll, weil es sich dabei um zwei verschiedene Verfahren handelt, von denen das eine auf einem zuvor im ersuchenden Mitgliedstaat und das andere auf einem später bei den Behörden des ersuchten Mitgliedstaats gestellten Antrag auf internationalen Schutz beruht.

    160.

    Die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs ist auch kein Grund, der die Änderung oder Rücknahme der – individuellen – Entscheidung rechtfertigen kann, die Gegenstand des in Rede stehenden Rechtsbehelfsverfahrens ist. Auch wenn diese Entscheidung, mit der der Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wurde, keine Rechte für den Betroffenen begründet, weil es sich um eine den Asylantrag ablehnende Entscheidung handelt, entfaltet sie – wie der Gerichtshof im Urteil vom 25. Januar 2018, Hasan ( 54 ), anerkannt hat – gleichwohl Wirkungen und kann nur vom Gericht im Rahmen seiner Befugnisse und aus Gründen, die die inhaltliche Rechtmäßigkeit des angefochtenen Rechtsakts betreffen, aufgehoben oder abgeändert werden.

    161.

    Die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs während eines im ersuchenden Mitgliedstaat noch anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens führt zu Schwierigkeiten, auf die ich bereits hingewiesen habe.

    162.

    Der Ablauf des Wiederaufnahmeverfahrens ist nämlich nicht der gleiche wie der des gerichtlichen Verfahrens. Während das erste Verfahren strikten und äußerst kurzen Fristen unterliegt, brauchen im zweiten keine anderen Fristen eingehalten zu werden als die angemessene Frist.

    163.

    Das gerichtliche Verfahren kann daher dauern – wie die Rechtsstreitigkeiten vor dem Gerichtshof belegen – und mit seinem Abschluss zu einer Aufhebung oder Abänderung der angefochtenen Entscheidung führen.

    164.

    Das birgt die Gefahr, dass das zuerst angerufene Gericht im ersuchenden Mitgliedstaat die Entscheidung abändert, mit der der Antrag auf internationalen Schutz ursprünglich abgelehnt wurde, was somit die Wiederaufnahme des Asylbewerbers durch einen anderen Mitgliedstaat sinnlos macht und jedes Interesse daran entfallen lässt.

    165.

    Ebenso birgt das die Gefahr, mit einer Situation europäischer Rechtshängigkeit konfrontiert zu werden, wenn die beim ersuchenden Mitgliedstaat und die beim ersuchten Mitgliedstaat gestellten Anträge auf internationalen Schutz identisch sind. In einem solchen Fall kann es meines Erachtens keine konkurrierende Zuständigkeit eines Gerichts des ersuchten Mitgliedstaats geben.

    166.

    Dabei handelt es sich jedoch um Schwierigkeiten, mit denen sich keine Bestimmung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems befasst. Wegen der Tragweite der gestellten Frage und der Beschränkungen, die sich aus der Beachtung des kontradiktorischen Verfahrens ergeben, sehe ich hier davon ab, mögliche Lösungen zu entwickeln.

    167.

    Ich möchte jedoch klarstellen, dass es – weil die Unterbreitung eines Wiederaufnahmegesuchs von dem Zeitpunkt an, zu dem der ersuchende Mitgliedstaat erfahren hat, dass ein anderer Mitgliedstaat zuständig sein kann, wegen der zwingenden Fristen des Art. 24 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung keinen Aufschub mehr duldet – Aufgabe des ersuchenden Mitgliedstaats ist, in Anwendung von Art. 46 Abs. 10 der Richtlinie 2013/32 sicherzustellen, dass das angerufene Gericht, sobald ein Gesuch um Wiederaufnahme des Asylbewerbers gestellt wird, so schnell wie möglich entscheidet.

    168.

    Im Hinblick darauf, wie sich der ersuchte Mitgliedstaat zu verhalten hat, muss dieser auch Kenntnis von einem im ersuchenden Staat anhängigen Rechtsbehelfsverfahren erhalten. Wie wir sehen werden, ist der ersuchende Staat aber nach Art. 24 Abs. 5 der Dublin‑III-Verordnung nicht verpflichtet, im Rahmen seines Wiederaufnahmeersuchens auf den Stand eines Verfahrens zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz hinzuweisen.

    169.

    In diesem Stadium meiner Würdigung schlage ich dem Gerichtshof daher vor, zu entscheiden, dass Art. 31 in Verbindung mit Art. 46 der Richtlinie 2013/32 sowie die Art. 41 und 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass der ersuchende Mitgliedstaat, sobald er den ersuchten Mitgliedstaat gemäß Art. 24 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung um Wiederaufnahme ersucht hat, das Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz, für die er zuständig ist, so schnell wie möglich zum Abschluss zu bringen hat.

    D.   Umfang der Auskunftspflicht des ersuchenden Mitgliedstaats nach Art. 24 Abs. 5 der Dublin‑III-Verordnung (vierte und fünfte Vorlagefrage)

    170.

    Mit der vierten und der fünften Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, welchen Umfang die Auskunftspflicht hat, die den ersuchenden Mitgliedstaat trifft, wenn er ein Wiederaufnahmegesuch nach Art. 24 der Dublin‑III-Verordnung stellt.

    171.

    Insbesondere fragt sich das vorlegende Gericht, ob der ersuchende Mitgliedstaat nach Art. 24 Abs. 5 dieser Verordnung verpflichtet ist, den ersuchten Mitgliedstaat darüber zu informieren, dass im Rahmen der Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz, für die er zuständig war, ein Rechtsbehelfsverfahren anhängig ist. Das vorlegende Gericht möchte nämlich wissen, ob die niederländischen Behörden gegen ihre Verpflichtungen verstoßen haben, indem sie es unterließen, den italienischen Behörden mitzuteilen, dass die den zweiten Antrag ablehnende Entscheidung Gegenstand eines vor der Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State (Abteilung für Verwaltungsstreitsachen des Staatsrats) noch anhängigen Rechtsbehelfs war.

    172.

    Gegebenenfalls möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob ein solcher Verstoß der Wiederaufnahme des Antragstellers durch den ersuchten Mitgliedstaat entgegenstehen kann.

    173.

    In der Dublin‑III-Verordnung finden sich zwei Vorschriften über die Informationen, die die Mitgliedstaaten im Rahmen eines Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeverfahrens untereinander auszutauschen haben, nämlich Art. 24 Abs. 5 und Art. 34 dieser Verordnung.

    174.

    Die Anwendung von Art. 34 dieser Verordnung ist von vornherein auszuschließen, weil die Italienische Republik kein Auskunftsersuchen gestellt hat.

    175.

    Dieser Artikel in Kapitel VII („Verwaltungskooperation“) der Dublin‑III-Verordnung trägt die Überschrift „Informationsaustausch“ und greift, wie sich aus seinen Abs. 1 und 6 eindeutig ergibt, nur auf Antrag eines Mitgliedstaats. Obwohl Art. 34 Abs. 2 Buchst. g dieser Verordnung somit eine Information – wie sie hier in Rede steht – über das Vorliegen eines anhängigen Verfahrens zur Prüfung eines früheren Antrags auf internationalen Schutz umfassen würde ( 55 ), ändert das nichts daran, dass im Ausgangsrechtsstreit die Italienische Republik eine solche Auskunft von den niederländischen Behörden nicht verlangt hat.

    176.

    Sodann sind die den ersuchenden Mitgliedstaat treffenden Pflichten nach Art. 24 Abs. 5 der Dublin‑III-Verordnung zu untersuchen, deren Durchführungsmodalitäten in Art. 2 der Durchführungsverordnung vorgesehen sind.

    177.

    Nach diesen Vorschriften ist das Gesuch um Wiederaufnahme der in Art. 18 Abs. 1 Buchst. b genannten Person unter Verwendung des in Anhang III der Durchführungsverordnung genannten Standardformblatts zu stellen. Aus diesem Formblatt müssen die Art, die Gründe sowie die Rechtsgrundlage des Gesuchs hervorgehen.

    178.

    Dem Gesuch ist gegebenenfalls eine Kopie aller Beweismittel und Indizien beizufügen, die auf die Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedstaats für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz hinweisen und die durch die Erklärungen des Betroffenen und/oder das positive Eurodac-Ergebnis ergänzt werden können. Die Beweismittel und Indizien sind in Art. 22 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung beschrieben, und ein Verzeichnis findet sich in Anhang II der Durchführungsverordnung.

    179.

    Nach dem Wortlaut von Art. 24 Abs. 5 der Dublin‑III-Verordnung müssen die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats anhand dieser Angaben „prüfen können, ob ihr Staat auf Grundlage der in dieser Verordnung festgelegten Kriterien zuständig ist“.

    180.

    Das Vorliegen eines im ersuchenden Mitgliedstaat anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wurde, gehört als solches aber nicht zu den Kriterien, anhand deren der ersuchte Mitgliedstaat seine Zuständigkeit beurteilen kann. Wie der Gerichtshof entschieden hat, stellt ein solcher Umstand nämlich kein Hindernis für ein Wiederaufnahmeverfahren dar ( 56 ).

    181.

    Nunmehr ist der Inhalt des Standardformblatts zu prüfen, das in Anhang III der Durchführungsverordnung wiedergegeben ist und mit dessen Hilfe der ersuchende Mitgliedstaat sein Wiederaufnahmegesuch stellt.

    182.

    Ich stelle fest, dass der ersuchende Mitgliedstaat zusätzlich zu den Informationen über die Rechtsgrundlage des Gesuchs und die Identität des Asylbewerbers den ersuchten Mitgliedstaat gemäß Nr. 12 dieses Formblatts über „[f]rühere Verfahren“ zu unterrichten hat. Diese Nr. 12 lautet wie folgt:

    „Hat der Antragsteller im Aufenthaltsstaat oder in einem anderen Staat schon einmal internationalen Schutz … beantragt?

    Ja/Nein

    Wann und wo?

    Wurde über den Antrag entschieden?

    Nein/Weiß nicht/Ja, Antrag abgelehnt

    Wann ist die Entscheidung ergangen?“

    183.

    Legt man Nr. 12 dieses Formblatts eng aus, ist der ersuchende Mitgliedstaat nur verpflichtet, anzugeben, ob der Antragsteller bei seinen Behörden oder denen eines anderen Staates bereits einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und ob dieser Gegenstand einer Entscheidung war, indem die Antwort „Nein“, „Weiß nicht“ ( 57 ) oder aber „Ja, Antrag abgelehnt“ angekreuzt und gegebenenfalls das Datum dieser Entscheidung angegeben wird.

    184.

    Der ersuchende Mitgliedstaat ist daher an sich nicht verpflichtet, den Stand eines Verfahrens im Einzelnen und insbesondere dessen gerichtliche Etappen anzugeben. Daher brauchten die niederländischen Behörden offenbar nicht darauf hinzuweisen, dass ein Rechtsbehelfsverfahren gegen die ablehnende Entscheidung vom 11. Juni 2014 anhängig war.

    185.

    Diese Angabe gehört im Übrigen nicht zu den Beweismitteln und anderen Indizien, die der ersuchende Mitgliedstaat anzugeben hat. Auch hier müssen diese Beweismittel und Indizien nämlich den Nachweis erbringen können, dass der ersuchte Mitgliedstaat tatsächlich auf der Grundlage der in der Dublin‑III-Verordnung festgelegten Kriterien zuständig ist. Wie wir gesehen haben, gehört ein Umstand wie der hier in Rede stehende aber nicht zu diesen Kriterien.

    186.

    Der Vollständigkeit halber weise ich darauf hin, dass es sich bei den Beweisen, die im Verzeichnis A des Anhangs II der Durchführungsverordnung abschließend aufgeführt sind ( 58 ), um förmliche Beweismittel handelt, die geeignet sein müssen, z. B. nachzuweisen, dass sich ein unbegleiteter minderjähriger Familienangehöriger des Antragstellers rechtmäßig im Hoheitsgebiet des ersuchten Mitgliedstaats aufhält (Kopie des Aufenthaltstitels im Kontext von Art. 8 der Dublin‑III-Verordnung), oder auch, dass der Antragsteller tatsächlich illegal über eine Außengrenze in das Hoheitsgebiet des ersuchten Mitgliedstaats eingereist ist (Kopie des Einreisestempels in einem gefälschten Pass im Kontext von Art. 13 Abs. 1 dieser Verordnung).

    187.

    Was die Indizien betrifft, die Gegenstand einer nicht abschließenden Aufzählung im Verzeichnis B des Anhangs II der Durchführungsverordnung sind, muss es sich um Anhaltspunkte handeln, die die Beurteilung der Zuständigkeit eines Mitgliedstaats auf der Grundlage der in der Dublin‑III-Verordnung festgelegten Kriterien ermöglichen, wie etwa umfassende Erklärungen des Antragstellers, Berichte einer internationalen Organisation oder auch Fahrausweise oder Hotelrechnungen.

    188.

    Folglich bin ich nicht der Ansicht, dass die niederländischen Behörden gegen ihre Pflichten nach Art. 24 Abs. 5 der Dublin‑III-Verordnung verstoßen haben, indem sie es unterließen, im Rahmen ihres Gesuchs anzugeben, dass die Entscheidung vom 11. Juni 2014, mit der der zweite Antrag abgelehnt wurde, Gegenstand eines noch anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens vor der Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State (Abteilung für Verwaltungsstreitsachen des Staatsrats) war.

    189.

    Diese Unterlassung ist jedoch meines Erachtens im Hinblick auf den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zu beanstanden, welcher der Dublin‑III-Verordnung zugrunde liegt, weil die niederländischen Behörden in keiner Weise gehindert waren, dies in der Rubrik „Sonstige zweckdienliche Hinweise“ am Ende des in Anhang III der Durchführungsverordnung wiedergegebenen Standardformblatts klarzustellen.

    190.

    Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen ist Art. 24 Abs. 5 der Dublin‑III-Verordnung somit dahin auszulegen, dass der Mitgliedstaat, der um Wiederaufnahme eines Antragstellers auf internationalen Schutz ersucht, nicht gegen seine Verpflichtungen verstößt, wenn er es unterlässt, dem ersuchten Mitgliedstaat gegenüber anzugeben, dass die Entscheidung, mit der er den vom Betroffenen bei einem ersten Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet gestellten Antrag abgelehnt hat, Gegenstand eines vor seinen Gerichten noch anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens ist.

    E.   Tragweite der in Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen Ermessensklausel (sechste Vorlagefrage)

    191.

    Mit seiner sechsten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass er von einem Mitgliedstaat, der nach den Kriterien des Kapitels III dieser Verordnung nicht als zuständiger Staat bestimmt wird, verlangt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wenn ihm der Antragsteller in Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls übergeben worden ist.

    192.

    Das vorlegende Gericht fragt sich mit anderen Worten, ob die niederländischen Behörden – sofern die Italienische Republik der zuständige Mitgliedstaat geworden sein sollte – nicht verpflichtet waren, von dieser Ermessensklausel Gebrauch zu machen und den in Rede stehenden Antrag auf internationalen Schutz selbst zu prüfen, weil X ihnen in Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls, den sie gegen ihn ausgestellt hatten, von den italienischen Behörden übergeben worden ist.

    193.

    Alle Beteiligten, die beim Gerichtshof Erklärungen eingereicht haben, sind der Ansicht, dass Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung so zu verstehen ist, dass er eine solche Pflicht ausschließt.

    194.

    Wegen des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift und ihres völlig klaren Wortlauts bin auch ich dieser Ansicht.

    195.

    Es ist darauf hinzuweisen, dass ein Asylantrag nach Art. 3 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III dieser Verordnung als zuständiger Staat bestimmt wird.

    196.

    Kapitel IV der Dublin‑III-Verordnung nennt jedoch Situationen, in denen ein Mitgliedstaat abweichend von diesen Kriterien als für die Prüfung eines Asylantrags zuständig angesehen werden kann. So bestimmt Art. 17 („Ermessensklauseln“) Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Verordnung, dass „jeder Mitgliedstaat beschließen [kann], einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist ( 59 )“.

    197.

    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich die in dieser Vorschrift enthaltene Klausel an die Mitgliedstaaten richtet, bei denen„von einem Drittstaatsangehörigen“ ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.

    198.

    Eine Situation wie die vorliegende, in welcher der Antrag auf internationalen Schutz bei einem anderen Mitgliedstaat als dem gestellt wurde, an den sich diese Vorschrift richtet, im vorliegenden Fall die Italienische Republik, fällt daher nicht in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift.

    199.

    Jedenfalls ist selbst dann, wenn die in Rede stehende Situation in den Anwendungsbereich von Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 der Dublin‑III-Verordnung fiele, darauf hinzuweisen, dass die in dieser Vorschrift wiedergegebene Klausel, wie sich aus ihrer Überschrift eindeutig ergibt, eine Ermessensklausel ist.

    200.

    Indem diese Vorschrift bestimmt, dass „jeder Mitgliedstaat beschließen [kann], einen … Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen“ ( 60 ), bringt sie eindeutig die Absicht des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, es in das Ermessen des Mitgliedstaats zu stellen, einen Antrag zu prüfen, für den er nach den im Rahmen der Dublin‑III-Verordnung festgelegten Kriterien nicht zuständig ist, und nicht, eine Verpflichtung aufzuerlegen. Schon aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt sich eindeutig, dass die Ausübung dieser Befugnis im Übrigen keiner besonderen Voraussetzung unterliegt ( 61 ).

    201.

    So hat der Gerichtshof auf der Grundlage der Vorarbeiten zur Dublin‑III-Verordnung ausgeführt, dass diese Regelung eingeführt wurde, damit sich jeder Mitgliedstaat aus politischen, humanitären oder praktischen Erwägungen bereit erklären kann, einen Asylantrag zu prüfen, auch wenn er hierfür nach den Kriterien dieser Verordnung nicht zuständig ist ( 62 ).

    202.

    So hat der Gerichtshof im Urteil vom 16. Februar 2017, C. K. u. a. ( 63 ), das die Überstellung eines schwer kranken Asylbewerbers in den für die Prüfung seines Antrags zuständigen Mitgliedstaat betraf, entschieden, dass der ersuchende Mitgliedstaat, wenn sich herausstellt, dass nicht mit einer kurzfristigen Besserung des Gesundheitszustands des betreffenden Asylbewerbers zu rechnen ist oder dass bei einer langfristigen Aussetzung des Verfahrens die Gefahr der Verschlechterung seines Zustands bestünde, „beschließen [kann], den Antrag des Asylbewerbers in Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen ‚Ermessensklausel‘ selbst zu prüfen“, diese Bestimmung ihn aber keinesfalls zur Anwendung der Ermessensklausel verpflichtet ( 64 ).

    203.

    Diese Auslegung beruht auf dem Bestreben, die Funktion dieser Ermessensklausel selbst zu erhalten und den Ermessensspielraum zu gewährleisten, der dem ersuchenden Mitgliedstaat hierdurch eingeräumt wird. Sie sollte daher auch auf den Fall übertragen werden, dass der Mitgliedstaat, bei dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird, einen Europäischen Haftbefehl gegen den Antragsteller ausstellt ( 65 ).

    204.

    In Anbetracht dieser Gesichtspunkte ist festzustellen, dass Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 der Dublin‑III-Verordnung keine Anwendung auf einen Fall wie den des Ausgangsrechtsstreits findet, in dem der Antrag auf internationalen Schutz in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen gestellt wurde, an den sich diese Vorschrift richtet.

    VII. Ergebnis

    205.

    Aufgrund der vorstehenden Überlegungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Amsterdam (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Amsterdam, Niederlande), wie folgt zu antworten:

    1.

    In Anbetracht der besonderen Umstände des Ausgangsrechtsstreits sind Art. 23 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, und der sich daraus ergebende Übergang der Zuständigkeit für die Prüfung des vom Betroffenen in Italien gestellten Antrags auf internationalen Schutz nicht anzuwenden, weil sie dem Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats die im Rahmen der Verordnung Nr. 604/2013 angestrebte Rationalität, Objektivität, Gerechtigkeit und Zügigkeit nehmen und mit den Grundsätzen der loyalen Zusammenarbeit und der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten, auf denen das Gemeinsame Europäische Asylsystem beruht, nicht vereinbar sind.

    2.

    In Anbetracht der besonderen Umstände des Ausgangsrechtsstreits nimmt die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs nach Art. 24 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 dem Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats die im Rahmen dieser Verordnung angestrebte Rationalität, Objektivität, Gerechtigkeit und Zügigkeit und ist mit den Grundsätzen der loyalen Zusammenarbeit und der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten, auf denen das Gemeinsame Europäische Asylsystem beruht, nicht vereinbar, wenn die zuständigen Behörden des ersuchenden Mitgliedstaats erstens für die Prüfung der vom Antragsteller bei einem ersten Aufenthalt im Hoheitsgebiet dieses Staates gestellten Anträge auf internationalen Schutz zuständig waren, zweitens mit einem noch anhängigen Rechtsbehelfsverfahren bezüglich der Entscheidung befasst sind, mit der einer dieser Anträge abgelehnt wurde, und drittens einen Europäischen Haftbefehl gegen den Antragsteller ausgestellt haben, mit dem von dem Mitgliedstaat, der um Wiederaufnahme ersucht wird und in dessen Hoheitsgebiet sich der Antragsteller aufhält, dessen Übergabe verlangt wird.

    3.

    Art. 31 in Verbindung mit Art. 46 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes sowie die Art. 41 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass der ersuchende Mitgliedstaat, sobald er das Wiederaufnahmegesuch gemäß Art. 24 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 bei dem ersuchten Mitgliedstaat gestellt hat, verpflichtet ist, das Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz, für die er zuständig ist, so schnell wie möglich zum Abschluss zu bringen.

    4.

    Art. 24 Abs. 5 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass der Mitgliedstaat, der um Wiederaufnahme eines Antragstellers auf internationalen Schutz ersucht, nicht gegen seine Verpflichtungen verstößt, wenn er es unterlässt, dem ersuchten Mitgliedstaat gegenüber anzugeben, dass die Entscheidung, mit der er den vom Betroffenen bei einem ersten Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet gestellten Antrag abgelehnt hat, Gegenstand eines vor seinen Gerichten noch anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens ist.

    5.

    Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 findet keine Anwendung auf eine Situation wie die des Ausgangsverfahrens, in welcher der Antrag auf internationalen Schutz bei einem anderen Mitgliedstaat als dem gestellt wurde, an den sich diese Vorschrift richtet.

    VIII. Anhang

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    ( 1 ) Originalsprache: Französisch.

    ( 2 ) Die vorliegende Sprachfassung ist in Nr. 205 gegenüber der ursprünglich online gestellten Fassung geändert worden.

    ( 3 ) ABl. 2013, L 180, S. 31, im Folgenden: Dublin‑III-Verordnung.

    ( 4 ) Siehe den im Anhang zu den vorliegenden Schlussanträgen dargestellten rechtlichen und tatsächlichen Rahmen.

    ( 5 ) Im Folgenden: erster Antrag.

    ( 6 ) Im Folgenden: zweiter Antrag.

    ( 7 ) Im Folgenden: dritter Antrag.

    ( 8 ) Vgl. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (COM[2016] 270 final, im Folgenden: Vorschlag für eine Verordnung).

    ( 9 ) Im Folgenden: zuständiger Mitgliedstaat.

    ( 10 ) Verordnung der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. 2003, L 222, S. 3) in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 (ABl. 2014, L 39, S. 1, im Folgenden: Durchführungsverordnung).

    ( 11 ) Diesen Antrag werde ich im Rahmen meiner Prüfung unberücksichtigt lassen.

    ( 12 ) Angaben der Parteien in der mündlichen Verhandlung.

    ( 13 ) C‑63/15, EU:C:2016:409.

    ( 14 ) Ich nehme zur Kenntnis, dass die Kommission in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, ihre Stellungnahme zu der Frage zurückzuziehen, ob sich ein Antragsteller, der um internationalen Schutz nachsucht, im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens auf die Bestimmungen berufen kann, die zum einen die in der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen Fristen festlegen und zum anderen die Zusammenarbeit zwischen den Dienststellen der Mitgliedstaaten regeln.

    ( 15 ) Angesichts der Ausführungen, die u. a. aus den Nrn. 3.2 und 3.3 des Vorlagebeschlusses sowie aus dem Inhalt der sechsten Vorlagefrage hervorgehen, habe ich mich dafür entschieden, die erste Frage auf die Auslegung von Art. 23 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung auszurichten und die Frage der Auslegung des Art. 24 dieser Verordnung gesondert zu behandeln.

    ( 16 ) Dieser Punkt geht zwar nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut der ersten Vorlagefrage hervor, ergibt sich aber aus den Ausführungen in Nr. 3.2 des Vorlagebeschlusses.

    ( 17 ) Vgl. Urteil vom 16. Februar 2017, C. K. u. a. (C‑578/16 PPU, EU:C:2017:127, Rn. 56).

    ( 18 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2017, Shiri (C‑201/16, EU:C:2017:805, Rn. 39, Hervorhebung nur hier). Im Urteil vom 26. Juli 2017, Mengesteab (C‑670/16, EU:C:2017:587), hat der Gerichtshof entschieden, dass „die Vorschriften in Art. 21 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung [(Aufnahmegesuch)] zwar das Aufnahmeverfahren regeln sollen, aber auch – ebenso wie die in Kapitel III der Verordnung genannten Kriterien – zur Bestimmung des im Sinne der Verordnung zuständigen Mitgliedstaats beitragen“ (Rn. 53).

    ( 19 ) Vgl. Urteil vom 25. Januar 2018, Hasan (C‑360/16, EU:C:2018:35, Rn. 62 und 63 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 20 ) Vgl. Urteil vom 26. Juli 2017, Mengesteab (C‑670/16, EU:C:2017:587). In Rn. 61 dieses Urteils hat der Gerichtshof entschieden, dass „Art. 21 Abs. 1 [Unterabs. 3] der [Dublin‑III‑]Verordnung … für den Fall des Ablaufs der in den Unterabs. 1 und 2 genannten Fristen von Rechts wegen einen Übergang der Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat vorsieht, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, ohne diesen Übergang von irgendeiner Reaktion des ersuchten Mitgliedstaats abhängig zu machen“.

    ( 21 ) Gemäß Art. 67 Abs. 2 AEUV entwickelt die Union im Asylbereich eine gemeinsame Politik, die sich auf die Solidarität der Mitgliedstaaten gründet. Art. 80 AEUV besagt, dass für die Asylpolitik der Union der Grundsatz der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten gilt.

    ( 22 ) Vgl. die Schlussfolgerungen des Rates „Justiz und Inneres“ der Europäischen Union vom 8. März 2012 in Bezug auf einen gemeinsamen Rahmen für wahre und praktische Solidarität gegenüber Mitgliedstaaten, deren Asylsysteme besonderem Druck, einschließlich durch gemischte Migrationsströme, ausgesetzt sind, die auf dessen 3151. Tagung angenommen wurden.

    ( 23 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Dezember 2013, Abdullahi (C‑394/12, EU:C:2013:813, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 24 ) Siehe Nr. 58 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 25 ) C‑670/16, EU:C:2017:587.

    ( 26 ) Ebd. (Rn. 54). Vgl. entsprechend auch Urteil vom 25. Januar 2018, Hasan (C‑360/16, EU:C:2018:35), in dem der Gerichtshof diese Rechtsprechung im Rahmen der Auslegung von Art. 24 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung fortführt.

    ( 27 ) Es steht nämlich außer Streit, dass die Italienische Republik versäumt hat, innerhalb der in Art. 23 Abs. 2 der Dublin‑III- Verordnung festgesetzten Fristen das Königreich der Niederlande um Wiederaufnahme zu ersuchen, so dass dieses die Italienische Republik als den nunmehr zuständig gewordenen Mitgliedstaat angesehen hat. Außerdem besteht auch Einigkeit darüber, dass die Italienische Republik versäumt hat, innerhalb von zwei Wochen, d. h. innerhalb der in Art. 25 Abs. 2 dieser Verordnung festgesetzten Frist, auf das Wiederaufnahmeersuchen zu antworten, das ihm das Königreich der Niederlande übermittelt hatte, so dass davon ausgegangen wurde, sie habe diesem Ersuchen stillschweigend stattgegeben.

    ( 28 ) X widersetzt sich jetzt seiner Überstellung in diesen Mitgliedstaat. Wie sein Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, hatte X in Italien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, um Leistungen zum Lebensunterhalt zu erlangen. Meines Erachtens ist nicht auszuschließen, dass dieser Antrag zum Ziel hatte, die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls zu verhindern.

    ( 29 ) Trotz einer zeitlichen Staffelung dieser Anträge beruht der in Italien gestellte Antrag auf internationalen Schutz meines Erachtens nicht auf Tatsachen oder Gesichtspunkten, die im Vergleich zu den ersten beiden in den Niederlanden geprüften Anträgen neu sind. Erstens zeigt die Kürze der Überprüfung des zweiten Antrags durch die niederländischen Behörden, dass es keine neuen Gesichtspunkte gab, die zu einem anderen Ergebnis als dem der ablehnenden Entscheidung über den ersten Antrag hätten führen können. In der mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte von X im Übrigen bestätigt, dass dieser zweite Antrag nur wegen einer geänderten Politik in den Niederlanden gestellt worden war. Zweitens ist es schwer vorstellbar, dass sich die Tatsachen und Gesichtspunkte, auf die sich der am 23. Oktober 2014 gestellte dritte Antrag stützt, seit dem 7. Juli 2014, dem Tag, an dem die Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Amsterdam (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Amsterdam), über die Ablehnung des zweiten Antrags entschied, wesentlich geändert haben sollen.

    ( 30 ) Wie der Gerichtshof im Urteil vom 25. Januar 2018, Hasan (C‑360/16, EU:C:2018:35), entschieden hat, entfaltet eine Entscheidung, mit der ein bei einem ersten Aufenthalt im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats gestellter Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wurde, „– mangels aufschiebender Wirkung [eines] Rechtsbehelfs [vor dem zuständigen Gericht] – die mit ihr nach der Dublin‑III-Verordnung verbundenen Wirkungen …, so dass das im Anschluss an die Stellung des Antrags auf internationalen Schutz eingeleitete Verwaltungsverfahren abgeschlossen ist“ (Rn. 50).

    ( 31 ) C‑670/16, EU:C:2017:587.

    ( 32 ) Vgl. Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60).

    ( 33 ) Zu den in Art. 3 und Art. 4 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. 2002, L 190, S. 1) genannten Gründen für die Ablehnung der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls gehören weder das Vorliegen eines Asylantrags noch das Vorliegen eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling oder auf subsidiären Schutz (vgl. Urteil vom 21. Oktober 2010, B., C‑306/09, EU:C:2010:626, Rn. 43).

    ( 34 ) Zu dem Zeitpunkt, als das Königreich der Niederlande die Italienische Republik um Wiederaufnahme ersuchte, war dieses Verfahren noch nicht eingestellt.

    ( 35 ) Außerdem kann man sich fragen, ob ein solches Versäumnis nicht – insbesondere von der Kommission – auf eine andere Weise erfasst werden sollte, die selbstverständlich den auf den italienischen Behörden lastenden Migrationsdruck und die eingeführten speziellen Maßnahmen wie etwa die Umsiedlung zu berücksichtigen hätte. Als Antwort auf die Krisensituation in Italien hatte der Rat zwei Beschlüsse auf dem Gebiet der Umsiedlung erlassen, die bis September 2017 angewandt wurden, nämlich den Beschluss (EU) 2015/1523 des Rates vom 14. September 2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland (ABl. 2015, L 239, S. 146) und den Beschluss (EU) 2015/1601 des Rates vom 22. September 2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland (ABl. 2015, L 248, S. 80).

    ( 36 ) Außerdem sollten die Mitgliedstaaten aus einer Verzögerung seitens der Mitgliedstaaten, die einem starken Migrationsdruck ausgesetzt sind, keine Vorteile ziehen können, indem sie von einem Übergang der Zuständigkeit ausgehen.

    ( 37 ) Vgl. Punkt 3.1 („Konsolidierung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems [CEAS]“) der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Ein offenes und sicheres Europa: Praktische Umsetzung (COM[2014] 154 final), in dem es heißt: „Im Einklang mit dem Ziel des Vertrags, einen in der gesamten EU gültigen einheitlichen Asylstatus zu schaffen, sollten neue Vorschriften zur gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen durch die Mitgliedstaaten und ein Rahmen für die Übertragung des Schutzes entwickelt werden. Dadurch würden Hindernisse für Reisebewegungen innerhalb der EU abgebaut und die Übertragung der sich aus dem Schutz ergebenden Vorteile innerhalb der Binnengrenzen vereinfacht“ (S. 8). Vgl. auch den Bericht des Europäischen Parlaments vom 9. Januar 2015„New Approaches, Alternative Avenues and Means of Access to Asylum Procedures for Persons Seeking International Protection“, in dem diese Passage zitiert wird (S. 58).

    ( 38 ) Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen gilt auch im Bereich der Rückführung. Vgl. hierzu die Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. 2001, L 149, S. 34) sowie die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98).

    ( 39 ) Die Fälle, in denen ein Mitgliedstaat diese Mitteilung ablehnen kann, sind begrenzt und in Art. 34 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung abschließend aufgeführt (Schutz seiner wesentlichen Interessen oder Schutz der Grundrechte und ‑freiheiten der betroffenen Person oder anderer Personen).

    ( 40 ) Siehe Fn. 7 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 41 ) Vgl. den 25. Erwägungsgrund sowie Art. 3 Abs. 5 und Art. 20 des Vorschlags für eine Verordnung.

    ( 42 ) Vgl. Urteil vom 25. Januar 2018, Hasan (C‑360/16, EU:C:2018:35, Rn. 48, Hervorhebung nur hier).

    ( 43 ) Vgl. Urteil vom 25. Januar 2018, Hasan (C‑360/16, EU:C:2018:35, Rn. 49).

    ( 44 ) Vgl. Urteil vom 25. Januar 2018, Hasan (C‑360/16, EU:C:2018:35, Rn. 50).

    ( 45 ) Oder nach der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 dieser Verordnung aufschiebende Wirkung haben.

    ( 46 ) Vgl. Urteil vom 25. Januar 2018, Hasan (C‑360/16, EU:C:2018:35, Rn. 50).

    ( 47 ) Nach dieser Vorschrift ist das Gesuch um Wiederaufnahme einer Person im Sinne von Art. 18 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung, deren Antrag auf internationalen Schutz nicht durch eine endgültige Entscheidung abgelehnt wurde, so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach dem Erhalt der Eurodac-Treffermeldung zu unterbreiten.

    ( 48 ) Siehe die zweite Vorlagefrage (Hervorhebung nur hier).

    ( 49 ) Im vorliegenden Fall ist und bleibt das Königreich der Niederlande trotz des eingeleiteten Wiederaufnahmeverfahrens der zuständige Mitgliedstaat für die Prüfung des zweiten Antrags, in dessen Rahmen ein Rechtsmittel vor der Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State (Abteilung für Verwaltungsstreitsachen des Staatsrats) noch anhängig war, als der dritte Antrag in Italien gestellt wurde.

    ( 50 ) Im Folgenden: Charta.

    ( 51 ) Nach dieser Vorschrift müssen die Mitgliedstaaten Anträge auf internationalen Schutz im Rahmen eines angemessenen und vollständigen Prüfungsverfahrens bearbeiten und sicherstellen, dass dieses Verfahren so rasch wie möglich zum Abschluss gebracht wird. Grundsätzlich beträgt die Frist sechs Monate ab Antragstellung. Unterliegt der Antrag dem im Rahmen der Dublin‑III-Verordnung definierten Verfahren, beginnt diese Frist, sobald der für die Prüfung zuständige Mitgliedstaat bestimmt ist, sich der Antragsteller im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats befindet und er von der zuständigen Behörde betreut wird. In jedem Fall müssen die Mitgliedstaaten das Prüfungsverfahren innerhalb einer maximalen Frist von 21 Monaten nach der Antragstellung abschließen.

    ( 52 ) Vgl. Art. 46 Abs. 3 dieser Richtlinie.

    ( 53 ) Vgl. hierzu die in Art. 31 dieser Richtlinie aufgeführten Fälle.

    ( 54 ) C‑360/16, EU:C:2018:35 (Rn. 50).

    ( 55 ) Nach Art. 34 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. g der Dublin‑III-Verordnung ist ein Mitgliedstaat verpflichtet, personenbezogene Daten über den Antragsteller sowie alle Auskünfte über „das Datum jeder früheren Antragsstellung auf internationalen Schutz, das Datum der jetzigen Antragsstellung, den Stand des Verfahrens und den Tenor der gegebenenfalls getroffenen Entscheidung“ zu übermitteln. Man wird sich daher zunächst zu vergewissern haben, dass der erwähnte „Stand des Verfahrens“ den früheren Antrag auf internationalen Schutz betrifft.

    ( 56 ) Vgl. Urteil vom 25. Januar 2018, Hasan (C‑360/16, EU:C:2018:35, Rn. 50).

    ( 57 ) Nach meiner Vorstellung bezieht sich diese Angabe auf den Fall, in dem der Antrag auf internationalen Schutz in einem anderen Mitgliedstaat als dem gestellt wurde, der die Wiederaufnahme begehrt, weil dieser nicht notwendigerweise über die Angaben zum Stand des Verfahrens im ersten Mitgliedstaat verfügt.

    ( 58 ) Nach Art. 22 Abs. 3 Buchst. a Ziff. ii der Dublin‑III-Verordnung haben die Mitgliedstaaten dem in Art. 44 dieser Verordnung vorgesehenen Ausschuss nach Maßgabe der im Verzeichnis der förmlichen Beweismittel festgelegten Klassifizierung Muster der verschiedenen Arten der von ihren Verwaltungen verwendeten Dokumente zur Verfügung zu stellen.

    ( 59 ) Hervorhebung nur hier.

    ( 60 ) Hervorhebung nur hier.

    ( 61 ) Dieser Wortlaut stimmt im Wesentlichen mit dem der Souveränitätsklausel überein, die Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. 2003, L 50, S. 1), vorsah.

    ( 62 ) Vgl. Urteil vom 16. Februar 2017, C. K. u. a. (C‑578/16 PPU, EU:C:2017:127, Rn. 53), sowie Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat (KOM[2001] 447 endg.).

    ( 63 ) C‑578/16 PPU, EU:C:2017:127.

    ( 64 ) Urteil vom 16. Februar 2017, C. K. u. a. (C‑578/16 PPU, EU:C:2017:127, Rn. 88). Hervorhebung nur hier.

    ( 65 ) So könnte der ersuchende Mitgliedstaat, sofern er einen Europäischen Haftbefehl gegen den Antragsteller ausstellt, der von dem Mitgliedstaat, den die in Kapitel III der Dublin‑III-Verordnung festgelegten Kriterien als zuständig bestimmen und in dessen Hoheitsgebiet sich der Antragsteller aufhält, dessen Übergabe zum Zweck der Strafverfolgung verlangt, die Wahl treffen, den Antrag auf internationalen Schutz selbst zu prüfen, indem er von der in Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Ermessensklausel Gebrauch macht. Dies würde es insbesondere erlauben, sämtliche Verfahren strafrechtlicher und verwaltungsrechtlicher Art an einem Ort zusammenzuführen und eine – zudem verspätete – erneute Überstellung des Betroffenen zu vermeiden. Ungeachtet der sicheren Vorteile, die eine solche Zusammenführung bieten würde, bleibt es jedoch dabei, dass der ersuchende Mitgliedstaat nicht verpflichtet ist, von dieser Ermessensklausel Gebrauch zu machen.

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