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Document 62017CC0124

Schlussanträge des Generalanwalts M. Campos Sánchez-Bordona vom 16. Mai 2018.
Vossloh Laeis GmbH gegen Stadtwerke München GmbH.
Vorabentscheidungsersuchen der Vergabekammer Südbayern.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2014/24/EU – Art. 57 – Richtlinie 2014/25/EU – Art. 80 – Vergabe öffentlicher Aufträge – Verfahren – Ausschlussgründe – Höchstzulässiger Zeitraum des Ausschlusses – Obliegenheit des Wirtschaftsteilnehmers, zum Nachweis seiner Zuverlässigkeit mit dem öffentlichen Auftraggeber zusammenzuarbeiten.
Rechtssache C-124/17.

Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2018:316

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 16. Mai 2018 ( 1 )

Rechtssache C‑124/17

Vossloh Laeis GmbH

gegen

Stadtwerke München GmbH

(Vorabentscheidungsersuchen der Vergabekammer Südbayern [Deutschland])

„Vorabentscheidungsfrage – Öffentliche Aufträge – Verfahren – Richtlinien 2014/24/EU und 2014/25/EU – Ausschlussgründe – Verpflichtung des Wirtschaftsteilnehmers zur Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber, um vor Ablauf des Ausschlusszeitraums seine Zuverlässigkeit nachweisen zu können – Begriff der ‚Ermittlungsbehörden‘ – Berechnung des höchstzulässigen Ausschlusszeitraums“

1. 

Ein Wirtschaftsteilnehmer kann vorübergehend von öffentlichen Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, wenn er eine der in Art. 57 der Richtlinie 2014/24/EU ( 2 ) geregelten Verfehlungen begangen hat. Allerdings kann der Ausschlusszeitraum verkürzt werden, wenn er gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber den Nachweis erbringt, dass es ihm gelungen ist, sich trotz seines früheren Fehlverhaltens zu rehabilitieren.

2. 

Art. 57 Abs. 6 verlangt neben anderen Voraussetzungen, dass der Wirtschaftsteilnehmer, der erneut seine Zuverlässigkeit nachweisen will, „die Tatsachen und Umstände umfassend durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden geklärt“ ( 3 ) hat. Ein großer Teil des Rechtsstreits dreht sich um die Auslegung dieses Begriffs.

3. 

Der deutsche Gesetzgeber hat bei der Umsetzung der Richtlinie 2014/24 in nationales Recht vorgesehen, dass diese Zusammenarbeit nicht nur mit den Ermittlungsbehörden, sondern auch mit dem öffentlichen Auftraggeber erfolgen muss.

4. 

In diesem Zusammenhang legt die Vergabekammer Südbayern dem Gerichtshof zwei ganz neue Fragen vor:

Auf der einen Seite möchte sie wissen, ob das vom nationalen Gesetzgeber hinzugefügte Erfordernis der Zusammenarbeit (mit dem öffentlichen Auftraggeber) mit dem Recht der Union vereinbar ist.

Auf der anderen Seite fragt sie nach dem dies a quo des in Art. 57 Abs. 7 der Richtlinie 2014/24 geregelten höchstzulässigen Zeitraums (drei Jahre Ausschluss), von dem an von dem „betreffenden Ereignis“ auszugehen ist, wenn ein Ausschlusszeitraum nicht durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung festgelegt worden ist.

I. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

1. Richtlinie 2014/24

5.

Der 102. Erwägungsgrund lautet:

„Es sollte jedoch berücksichtigt werden, dass Wirtschaftsteilnehmer Compliance-Maßnahmen treffen können, um die Folgen etwaiger strafrechtlicher Verstöße oder eines Fehlverhaltens zu beheben und weiteres Fehlverhalten wirksam zu verhindern. Bei diesen Maßnahmen kann es sich insbesondere um Personal- und Organisationsmaßnahmen handeln, wie den Abbruch aller Verbindungen zu an dem Fehlverhalten beteiligten Personen oder Organisationen, geeignete Personalreorganisationsmaßnahmen, die Einführung von Berichts- und Kontrollsystemen, die Schaffung einer internen Audit-Struktur zur Überwachung der Compliance oder die Einführung interner Haftungs- und Entschädigungsregelungen. Soweit derartige Maßnahmen ausreichende Garantien bieten, sollte der jeweilige Wirtschaftsteilnehmer nicht länger alleine aus diesen Gründen ausgeschlossen werden. Wirtschaftsteilnehmer sollten beantragen können, dass die im Hinblick auf ihre etwaige Zulassung zum Vergabeverfahren getroffenen Compliance-Maßnahmen geprüft werden. Es sollte jedoch den Mitgliedstaaten überlassen werden, die genauen verfahrenstechnischen und inhaltlichen Bedingungen zu bestimmen, die in diesem Fall gelten. Es sollte ihnen insbesondere freistehen zu entscheiden, es den jeweiligen öffentlichen Auftraggebern zu überlassen, die einschlägigen Bewertungen vorzunehmen, oder sie anderen Behörden auf zentraler oder dezentraler Ebene zu übertragen.“

6.

Art. 57 („Ausschlussgründe“) bestimmt:

„(1)   Die öffentlichen Auftraggeber schließen einen Wirtschaftsteilnehmer von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren aus, wenn sie durch eine Überprüfung gemäß den Artikeln 59, 60 und 61 festgestellt haben oder anderweitig davon Kenntnis erlangt haben, dass dieser Wirtschaftsteilnehmer aus einem der nachfolgenden Gründe rechtskräftig verurteilt worden ist:

a)

Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung …;

b)

Bestechung …;

c)

Betrug …;

d)

terroristische Straftaten oder Straftaten im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten … oder Anstiftung, Beihilfe, und Versuch …;

e)

Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung …;

f)

Kinderarbeit und andere Formen des Menschenhandels …

(2)   Ein Wirtschaftsteilnehmer ist von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren auszuschließen, wenn dem öffentlichen Auftraggeber bekannt ist, dass [er] seinen Verpflichtungen zur Entrichtung seiner Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge nicht nachgekommen ist und dies durch eine endgültige und verbindliche Gerichts- oder Verwaltungsentscheidung … festgestellt wurde.

Außerdem können die öffentlichen Auftraggeber einen Wirtschaftsteilnehmer von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen oder von Mitgliedstaaten dazu verpflichtet werden, wenn der öffentliche Auftraggeber auf geeignete Weise nachweisen kann, dass [er] der Verpflichtung zur Entrichtung seiner Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge nicht nachgekommen ist.

Dieser Absatz findet keine Anwendung mehr, wenn der Wirtschaftsteilnehmer seinen Verpflichtungen dadurch nachgekommen ist, dass er die Zahlung vorgenommen oder eine verbindliche Vereinbarung im Hinblick auf die Zahlung der fälligen Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge – gegebenenfalls einschließlich etwaiger Zinsen oder Strafzahlungen – eingegangen ist.

(4)   Öffentliche Auftraggeber können in einer der folgenden Situationen einen Wirtschaftsteilnehmer von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen oder dazu von den Mitgliedstaaten verpflichtet werden:

a)

Der öffentliche Auftraggeber kann auf geeignete Weise Verstöße gegen geltenden Verpflichtungen gemäß Artikel 18 Absatz 2 nachweisen;

b)

der Wirtschaftsteilnehmer ist zahlungsunfähig oder befindet sich in einem Insolvenzverfahren oder in Liquidation, seine Vermögenswerte werden von einem Insolvenzverwalter oder Gericht verwaltet, er befindet sich in einem Vergleichsverfahren, seine gewerbliche Tätigkeit wurde eingestellt oder er befindet sich aufgrund eines in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen gleichartigen Verfahrens in einer vergleichbaren Lage;

c)

der öffentliche Auftraggeber kann auf geeignete Weise nachweisen, dass der Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit eine schwere Verfehlung begangen hat, die seine Integrität in Frage stellt;

d)

der öffentliche Auftraggeber verfügt über hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür, dass der Wirtschaftsteilnehmer mit anderen Wirtschaftsteilnehmern Vereinbarungen getroffen hat, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen;

e)

ein Interessenkonflikt gemäß Artikel 24 kann durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam beseitigt werden;

f)

eine aus der vorherigen Einbeziehung der Wirtschaftsteilnehmer in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens resultierende Wettbewerbsverzerrung gemäß Artikel 41 kann nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen beseitigt werden;

g)

der Wirtschaftsteilnehmer hat bei der Erfüllung einer wesentlichen Anforderung im Rahmen eines früheren öffentlichen Auftrags, eines früheren Auftrags mit einem Auftraggeber oder eines früheren Konzessionsvertrags erhebliche oder dauerhafte Mängel erkennen lassen, die die vorzeitige Beendigung dieses früheren Auftrags, Schadenersatz oder andere vergleichbare Sanktionen nach sich gezogen haben;

h)

der Wirtschaftsteilnehmer hat sich bei seinen Auskünften zur Überprüfung des Fehlens von Ausschlussgründen und der Einhaltung der Eignungskriterien einer schwerwiegenden Täuschung schuldig gemacht, derartige Auskünfte zurückgehalten oder ist nicht in der Lage, die gemäß Artikel 59 erforderlichen zusätzlichen Unterlagen einzureichen, oder

i)

der Wirtschaftsteilnehmer hat versucht, die Entscheidungsfindung des öffentlichen Auftraggebers in unzulässiger Weise zu beeinflussen, vertrauliche Informationen zu erhalten, durch die er unzulässige Vorteile beim Vergabeverfahren erlangen könnte, oder fahrlässig irreführende Informationen zu übermitteln, die die Entscheidungen über Ausschluss, Auswahl oder Auftragszuschlag erheblich beeinflussen könnten.

Ungeachtet des Unterabsatzes 1 Buchstabe b können die Mitgliedstaaten verlangen oder die Möglichkeit vorsehen, dass der öffentliche Auftraggeber einen Wirtschaftsteilnehmer, der sich in einer der in jenem Buchstaben genannten Situationen befindet, nicht ausschließt, wenn der öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung der geltenden nationalen Vorschriften und Maßnahmen betreffend die Fortführung der Geschäftstätigkeit in den Situationen nach Buchstabe b festgestellt hat, dass der fragliche Wirtschaftsteilnehmer in der Lage sein wird, den Auftrag zu erfüllen.

(6)   Jeder Wirtschaftsteilnehmer, der sich in einer der in den Absätzen 1 und 4 genannten Situationen befindet, kann Nachweise dafür erbringen, dass die Maßnahmen des Wirtschaftsteilnehmers ausreichen, um trotz des Vorliegens eines einschlägigen Ausschlussgrundes seine Zuverlässigkeit nachzuweisen. Werden solche Nachweise für ausreichend befunden, so wird der betreffende Wirtschaftsteilnehmer nicht von dem Vergabeverfahren ausgeschlossen.

Zu diesem Zweck weist der Wirtschaftsteilnehmer nach, dass er einen Ausgleich für jeglichen durch eine Straftat oder Fehlverhalten verursachten Schaden gezahlt oder sich zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet hat, die Tatsachen und Umstände umfassend durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden geklärt und konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen ergriffen hat, die geeignet sind, weitere Straftaten oder Verfehlungen zu vermeiden.

Die von den Wirtschaftsteilnehmern ergriffenen Maßnahmen werden unter Berücksichtigung der Schwere und besonderen Umstände der Straftat oder des Fehlverhaltens bewertet. Werden die Maßnahmen als unzureichend befunden, so erhält der Wirtschaftsteilnehmer eine Begründung dieser Entscheidung.

Ein Wirtschaftsteilnehmer, der durch eine rechtskräftig[e] gerichtlich[e] Entscheidung von der Teilnahme an Verfahren zur Auftrags- oder Konzessionsvergabe ausgeschlossen wurde, ist während des Ausschlusszeitraumes, der in dieser Entscheidung festgelegt wurde, nicht berechtigt, in den Mitgliedstaaten, in denen die Entscheidung wirksam ist, von der in diesem Absatz gewährten Möglichkeit Gebrauch zu machen.

(7)   Die Mitgliedstaaten legen durch Gesetz, Verordnung oder Verwaltungsvorschrift und unter Beachtung des Unionsrechts die Bedingungen für die Anwendung dieses Artikels fest. Sie bestimmen insbesondere den höchstzulässigen Zeitraum des Ausschlusses für den Fall, dass der Wirtschaftsteilnehmer keine Maßnahmen gemäß Absatz 6 zum Nachweis seiner Zuverlässigkeit ergreift. Wurde [ein] Ausschlusszeitraum nicht durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung festgelegt, so darf dieser Zeitraum in den in Absatz 1 genannten Fällen fünf Jahre ab dem Tag der rechtskräftigen Verurteilung und in den in Absatz 4 genannten Fällen drei Jahre ab dem betreffenden Ereignis nicht überschreiten.“

2. Richtlinie 2014/25/EU ( 4 )

7.

Art. 77 („Qualifizierungssystem“) bestimmt:

„(1)   Die Auftraggeber, die dies wünschen, können ein Qualifizierungssystem für Wirtschaftsteilnehmer einrichten und betreiben.

Die Auftraggeber, die ein Qualifizierungssystem einrichten und betreiben, sorgen dafür, dass Wirtschaftsteilnehmer die Qualifizierung zu jedem Zeitpunkt beantragen können.

(2)   Das in Absatz 1 genannte System kann verschiedene Qualifizierungsstufen umfassen.

Die Auftraggeber legen objektive Vorschriften und Kriterien für den Ausschluss und die Auswahl von Wirtschaftsteilnehmern, die die Qualifizierung beantragen, sowie objektive Kriterien und Vorschriften für die Funktionsweise des Qualifizierungssystems fest, wie beispielsweise die Aufnahme in das System, die regelmäßige Aktualisierung etwaiger Qualifizierungen und die Dauer der Aufrechterhaltung des Systems.

Beinhalten diese Kriterien technische Spezifikationen, so gelten die Artikel 60 und 62. Die Kriterien und Vorschriften können nach Bedarf aktualisiert werden.

…“

8.

Art. 80 („In der Richtlinie 2014/24/EU festgelegte Ausschlussgründe und Auswahlkriterien“) sieht vor:

„(1)   Die objektiven Vorschriften und Kriterien für den Ausschluss und die Auswahl von Wirtschaftsteilnehmern, die eine Qualifizierung im Rahmen eines Qualifizierungssystems beantragen, und die objektiven Vorschriften und Kriterien für den Ausschluss und die Auswahl von Bewerbern und Bietern in offenen Verfahren, nichtoffenen Verfahren, Verhandlungsverfahren, wettbewerblichen Dialogen oder Innovationspartnerschaften können die in Artikel 57 der Richtlinie 2014/24/EU genannten Ausschlussgründe zu den dort festgelegten Bedingungen beinhalten.

Handelt es sich beim Auftraggeber um einen öffentlichen Auftraggeber, beinhalten diese Kriterien und Vorschriften die in Artikel 57 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 2014/24/EU genannten Ausschlussgründe zu den dort festgelegten Bedingungen.

Wenn die Mitgliedstaaten dies vorschreiben, beinhalten diese Kriterien und Vorschriften überdies die in Artikel 57 Absatz 4 der Richtlinie 2014/24/EU genannten Ausschlussgründe zu den dort festgelegten Bedingungen.

…“

B.   Nationales Recht. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ( 5 )

9.

§ 124 bestimmt:

„(1)   Öffentliche Auftraggeber können unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn

3.

das Unternehmen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen hat, durch die die Integrität des Unternehmens infrage gestellt wird; …

4.

der öffentliche Auftraggeber über hinreichende Anhaltspunkte dafür verfügt, dass das Unternehmen mit anderen Unternehmen Vereinbarungen getroffen oder Verhaltensweisen aufeinander abgestimmt hat, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken,

…“

10.

§ 125 schreibt vor:

„(1)   Öffentliche Auftraggeber schließen ein Unternehmen, bei dem ein Ausschlussgrund nach § 123 oder § 124 vorliegt, nicht von der Teilnahme an dem Vergabeverfahren aus, wenn das Unternehmen nachgewiesen hat, dass es

1.

für jeden durch eine Straftat oder ein Fehlverhalten verursachten Schaden einen Ausgleich gezahlt oder sich zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet hat,

2.

die Tatsachen und Umstände, die mit der Straftat oder dem Fehlverhalten und dem dadurch verursachten Schaden in Zusammenhang stehen, durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden und dem öffentlichen Auftraggeber umfassend geklärt hat, und

3.

konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen ergriffen hat, die geeignet sind, weitere Straftaten oder weiteres Fehlverhalten zu vermeiden.

…“

11.

Nach § 126 gilt Folgendes:

„Wenn ein Unternehmen, bei dem ein Ausschlussgrund vorliegt, keine oder keine ausreichenden Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 ergriffen hat, darf es

1.

bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 123 höchstens fünf Jahre ab dem Tag der rechtskräftigen Verurteilung von der Teilnahme an Vergabeverfahren ausgeschlossen werden,

2.

bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 124 höchstens drei Jahre ab dem betreffenden Ereignis von der Teilnahme an Vergabeverfahren ausgeschlossen werden.“

II. Sachverhalt

12.

Die Stadtwerke München GmbH (im Folgenden: Stadtwerke München oder öffentlicher Auftraggeber) richtete 2011 ein „Qualifizierungssystem“ im Sinne von Art. 77 der Richtlinie 2014/25 ein, das die Auswahl von Unternehmen, die ihr Oberbaumaterial liefern, zum Gegenstand hatte ( 6 ).

13.

Am 4. November 2016 wurde die Vossloh Laeis GmbH von diesem System ausgeschlossen, da das Bundeskartellamt am 9. März 2016 gegen das Unternehmen wegen dessen mehrjähriger Beteiligung an einem bis zum Frühjahr 2011 aktiven Kartell ein Bußgeld verhängt hatte.

14.

Zu den Geschädigten der kollusiven Verhaltensweisen der Kartellteilnehmer gehörten auch die Stadtwerke München, die deshalb Vossloh Laeis vor den Zivilgerichten auf Schadensersatz verklagten.

15.

Dem Vorlagebeschluss zufolge hatte Vossloh Laeis nicht mit dem öffentlichen Auftraggeber zusammengearbeitet, um die kartellrechtlichen Verstöße zu klären. Konkret:

Nach Bekanntwerden des Kartells im Jahr 2011 sei Vossloh Laeis nicht auf den öffentlichen Auftraggeber zugekommen und habe ihm gegenüber auch keine Initiative zur umfassenden Klärung des Sachverhalts ergriffen.

Erst im Jahr 2016 habe sie gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber nicht mehr bestritten, an den kartellrechtlich relevanten Absprachen beteiligt gewesen zu sein. Vossloh Laeis habe hierzu erklärt, sie habe allerdings gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt und die organisatorischen und personellen Vorkehrungen und Maßnahmen beschrieben, damit der Sachverhalt aufgeklärt und ausgeschlossen werden könne, dass er sich in der Zukunft wiederhole; zudem werde sie einen durch ihr Fehlverhalten verursachten Schaden ausgleichen.

16.

Allerdings stellte Vossloh Laeis dem öffentlichen Auftraggeber den Bußgeldbescheid nicht zur Prüfung zur Verfügung. Ebenso wenig erklärte sie sich bereit, mit ihm zur Klärung des Fehlverhaltens zusammenzuarbeiten, da sie der Ansicht war, dass ihre Zusammenarbeit mit dem Bundeskartellamt ausgereicht habe.

17.

Das vorlegende Gericht stellt nicht in Abrede (denn es ergab sich bereits aus dem Bußgeldbescheid), dass Vossloh Laeis ununterbrochen und uneingeschränkt während des dort anhängigen Verfahrens mit der deutschen Wettbewerbsbehörde zusammengearbeitet hatte.

18.

Der öffentliche Auftraggeber war der Ansicht, dass Vossloh Laeis mit ihren Erklärungen nicht den Nachweis hinreichender Selbstreinigungsmaßnahmen im Sinne von § 125 GWB erbracht habe. Aus diesem Grund teilte er ihr am 4. November 2016 mit, dass sie mit sofortiger Wirkung vom Qualifizierungsverfahren ausgeschlossen werde.

19.

Vossloh Laeis focht diese Entscheidung bei der Vergabekammer Südbayern an, die nunmehr den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht.

III. Vorlagefragen

20.

Die Vorlagefragen haben folgenden Wortlaut:

a)

Ist eine mitgliedstaatliche Regelung, die zur Voraussetzung für eine erfolgreiche Selbstreinigung eines Wirtschaftsteilnehmers macht, dass dieser die Tatsachen und Umstände, die mit der Straftat oder dem Fehlverhalten und dem dadurch verursachten Schaden in Zusammenhang stehen, durch eine aktive Zusammenarbeit nicht nur mit den Ermittlungsbehörden, sondern auch mit dem öffentlichen Auftraggeber umfassend klärt, mit den Vorgaben des Art. 80 der Richtlinie 2014/25 in Verbindung mit Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24 vereinbar?

b)

Für den Fall, dass Vorlagefrage a mit nein beantwortet wird: Ist Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24 im Zusammenhang dahin gehend auszulegen, dass der jeweilige Wirtschaftsteilnehmer für eine erfolgreiche Selbstreinigung jedenfalls insoweit gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber zur Sachverhaltsaufklärung verpflichtet ist, dass dieser beurteilen kann, ob die ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen (technische, organisatorische und personelle Maßnahmen und Schadenskompensation) geeignet und ausreichend sind?

c)

Für die unter Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 geregelten fakultativen Ausschlussgründe beträgt gemäß Art. 57 Abs. 7 der Richtlinie 2014/24 der höchstzulässige Zeitraum bzw. die Frist für einen Ausschluss drei Jahre ab dem betreffenden Ereignis. Ist unter dem betreffenden Ereignis schon die Verwirklichung der unter Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 aufgeführten Ausschlussgründe zu verstehen, oder ist der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem der Auftraggeber über gesicherte und belastbare Kenntnis über das Vorliegen des Ausschlussgrundes verfügt?

d)

Ist demnach bei einer Verwirklichung des Ausschlusstatbestands des Art. 57 Abs. 4 Buchst. d der Richtlinie 2014/24 durch Beteiligung eines Wirtschaftsteilnehmers an einem Kartell das betreffende Ereignis im Sinne des Art. 57 Abs. 7 der Richtlinie 2014/24 die Beendigung der Kartellbeteiligung oder die Erlangung gesicherter und belastbarer Kenntnis des Auftraggebers von der Kartellbeteiligung?

IV. Verfahren vor dem Gerichtshof und Standpunkte der Parteien

21.

Die Vorlageentscheidung ist am 10. März 2017 beim Gerichtshof eingegangen.

22.

Vossloh Laeis, die Stadtwerke München, die deutsche, die griechische, die ungarische und die polnische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht und sind mit Ausnahme der Stadtwerke München und der polnischen Regierung in der mündlichen Verhandlung am 21. Februar 2018 erschienen.

V. Prüfung

23.

Obwohl keine der Parteien es in Zweifel gezogen hat, ist vorab darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof die Vergabekammer Südbayern im Urteil vom 27. Oktober 2016, Hörmann Reisen ( 7 ), als Gericht im Sinne des Art. 267 AEUV eingestuft hat.

24.

Die vier Fragen, die in diesem Verfahren vorgelegt werden, können in zwei Gruppen unterteilt werden. In der ersten und der zweiten Frage geht es um die Feststellung, ob die in Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24 vorgeschriebene Zusammenarbeit (zum Nachweis der erneut eingetretenen Zuverlässigkeit eines Wirtschaftsteilnehmers, bei dem einer der Ausschlussgründe der Abs. 1 und 4 dieser Bestimmung vorliegt) nur mit den „Ermittlungsbehörden“ erfolgen muss oder auch mit dem öffentlichen Auftraggeber, wenn das innerstaatliche Recht eines Mitgliedstaats dies für den letztgenannten Fall vorsieht.

25.

Die zwei verbleibenden Fragen haben mit dem Ausschlusszeitraum für einen Wirtschaftsteilnehmer, der nicht die in Art. 57 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 geregelten Selbstreinigungsmaßnahmen getroffen hat, zu tun. Konkret ist zu präzisieren, welches das „betreffende Ereignis“ ist, das Abs. 7 dieser Bestimmung als dies a quo der Frist bezeichnet.

A.   Der Begriff der „Ermittlungsbehörden“ im Sinne von Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24 (erste und zweite Frage)

1. Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien

26.

Vossloh Laeis ist der Auffassung, durch das Erfordernis einer aktiven Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber habe der deutsche Gesetzgeber eine zusätzliche Anforderung für die Selbstreinigung aufgestellt, während Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24 nur auf eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden Bezug nehme.

27.

Mit den Begriffen „öffentlicher Auftraggeber“ und „Ermittlungsbehörde“ werde im Unionsrecht auf unterschiedliche Personengruppen mit unterschiedlichen Funktionen Bezug genommen: Während Ersterer öffentliche Aufträge vergebe, habe Letztere die Aufgabe, Straftaten oder sonstiges Fehlverhalten aufzuklären.

28.

Art. 57 der Richtlinie 2014/24 unterscheide zwischen den durch den Wirtschaftsteilnehmer ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen einerseits und dem Nachweis der erfolgreichen Selbstreinigung andererseits. Nach der Logik der Bestimmung müsse der Wirtschaftsteilnehmer die notwendigen Selbstreinigungsmaßnahmen ergreifen und dann, wenn er an einem Vergabeverfahren (entweder zur Vergabe oder zur Präqualifizierung) teilnehme, dem öffentlichen Auftraggeber nachweisen, dass sie erfolgreich gewesen seien. Der deutsche Gesetzgeber sei von dieser Systematik abgewichen, indem er das Erfordernis der Zusammenarbeit verdoppelt habe, und habe dadurch gegen die Richtlinie 2014/24 verstoßen.

29.

Der von Vossloh Laeis vertretene Standpunkt ist im Wesentlichen auch der der griechischen Regierung.

30.

Die Stadtwerke München sowie die deutsche und die ungarische Regierung meinen hingegen, es sei unproblematisch, dass Art. 57 Abs. 6 der Richtlinie nicht wörtlich in deutsches Recht umgesetzt worden sei. Durch das Einfügen der Bezugnahme auf den öffentlichen Auftraggeber sei dem Umstand Rechnung getragen worden, dass im deutschen Recht der Ausdruck „Ermittlungsbehörden“ dahin ausgelegt werden könne, dass er sich ausschließlich auf Behörden beziehe, die für die Verfolgung von Straftaten zuständig seien. Zur Vermeidung einer unzureichenden Umsetzung sei es unumgänglich gewesen, diesen Ausdruck im weitesten Sinne zu verwenden. Aus diesem Grund habe der nationale Gesetzgeber klargestellt, dass die Pflicht des Wirtschaftsteilnehmers zur Zusammenarbeit sowohl gegenüber den „Ermittlungsbehörden“ im engeren Sinne als auch gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber als „Ermittlungsbehörde“ im weiteren Sinne bestehen solle. Letzterer „ermittele“ ebenfalls, wenn er gemäß Art. 57 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2014/24 prüfe, ob ein Wirtschaftsteilnehmer einen fakultativen Ausschlussgrund oder die Selbstreinigungskriterien erfülle.

31.

Der Vertreter der deutschen Regierung hat allerdings deren anfänglichen Standpunkt in der mündlichen Verhandlung in dem Sinne nuanciert, dass mit der gemeinsamen Bezugnahme auf die Ermittlungsbehörden und den öffentlichen Auftraggeber im nationalen Recht nicht beabsichtigt werde, dieselbe Verpflichtung zu verdoppeln.

32.

Die Stadtwerke München meinen, selbst wenn die Erstreckung der Obliegenheit zur Zusammenarbeit von Art. 57 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24 nicht abgedeckt sei, stehe das Recht der Union dem Erlass insoweit strengerer Maßnahmen durch die Mitgliedstaaten nicht entgegen. Dies ergebe sich aus Sinn und Zweck sowie aus der Funktion der vergaberechtlichen Ausschlussgründe.

33.

Auf dieser Linie führen sie aus, dass die Lösung des nationalen Gesetzgebers transparent und diskriminierungsfrei sei. Die Richtlinie verbiete auch nicht ausdrücklich den Erlass schärferer Maßnahmen. Schließlich sei die Beteiligung des öffentlichen Auftraggebers im Selbstreinigungsverfahren auch erforderlich, denn er müsse prüfen, ob die Wirtschaftsteilnehmer vom Verfahren auszuschließen seien, und, wenn ja, auch die von ihnen ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen bewerten.

34.

Die Kommission führt aus, anders als der Begriff des „öffentlichen Auftraggebers“, den Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2014/24 verwende, sei der der „Ermittlungsbehörden“ weder in dieser Richtlinie noch in der Richtlinie 2014/25 definiert. Auch wenn dieselbe Behörde sowohl als Auftraggeber als auch als Ermittlungsbehörde auftreten könne, scheine mit der Bezugnahme auf Letztere in Art. 57 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24 nicht der Auftraggeber gemeint zu sein.

35.

Eine systematische Betrachtung der Vorschrift zeige, dass neben der Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden auch eine – wenn auch anders geartete – Pflicht zur Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber bestehe. Die Zusammenarbeit mit den beiden Behörden solle jedenfalls nicht zu einer Dopplung oder Wiederholung derselben Pflichten führen.

36.

Die geforderte Zusammenarbeit mit der jeweiligen Behörde weise ihre eigenen Merkmale auf, sei also nicht identisch. Die Zielsetzung, die die Ermittlungsbehörden im Rahmen ihrer Verfahren verfolgten (Aufklärung eines Fehlverhaltens), unterscheide sich von der Prüfung, für die die öffentlichen Auftraggeber zuständig seien (sich der Zuverlässigkeit eines Wirtschaftsteilnehmers zu vergewissern). Im ersten Fall gehe es um die Ermittlung der Schuld der Beteiligten im Zusammenhang mit Ereignissen der Vergangenheit, im zweiten um die Prüfung, welche Risiken für den Auftraggeber in der Zukunft von der Auftragsvergabe an einen bestimmten Wirtschaftsteilnehmer ausgehen könnten.

2. Würdigung

37.

Art. 57 der Richtlinie 2014/24 enthält eine Reihe von Gründen für den Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern von Vergabeverfahren. In Abs. 1 sind die zwingenden („[d]ie öffentlichen Auftraggeber schließen … aus“) und in Abs. 4 die fakultativen („[ö]ffentliche Auftraggeber können … ausschließen“) Ausschlussgründe aufgeführt.

38.

Unter den fakultativen Gründen befinden sich die unter Buchst. d geregelten wettbewerbsrechtlich relevanten Verhaltensweisen: Wenn „der öffentliche Auftraggeber … über hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür [verfügt], dass der Wirtschaftsteilnehmer mit anderen Wirtschaftsteilnehmern Vereinbarungen getroffen hat, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen“, kann er dessen Teilnahme an einem dieser Verfahren ablehnen.

39.

Sofern dieser Ausschluss nicht durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung erfolgt ist – in diesem Fall gilt die Dauer, die in dieser Entscheidung festgelegt wurde –, kann der betroffene Wirtschaftsteilnehmer von der in Art. 57 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch machen, d. h. den normalen Ausschlusszeitraum ( 8 ) vor seinem vollständigen Ablauf beenden.

40.

Damit er diese Möglichkeit in Anspruch nehmen kann, muss dieser Wirtschaftsteilnehmer nachweisen, dass er „trotz des Vorliegens eines einschlägigen Ausschlussgrundes“ (Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24) durch sein späteres Verhalten „zuverlässig“ geworden ist. Um „seine Zuverlässigkeit nachzuweisen“ (ebd.), „kann [er] Nachweise dafür erbringen, dass [seine] Maßnahmen … [insoweit] ausreichen“ (ebd.).

41.

Die Zuverlässigkeit im Sinne dieser Vorschrift ist eine Eigenschaft, für deren Beurteilung der öffentliche Auftraggeber zwingend die in Abs. 6 Unterabs. 2 enthaltenen Regeln befolgen muss. Sie kann nur als nachgewiesen angesehen werden, wenn der Wirtschaftsteilnehmer a) einen Ausgleich für den Schaden, der seinem Ausschluss zugrunde liegt, gezahlt – oder sich zur Zahlung verpflichtet – hat, b) die Tatsachen und Umstände umfassend geklärt und c) konkrete (technische, organisatorische und personelle) Maßnahmen ergriffen hat, die geeignet sind, weitere Rechtsverstöße zu vermeiden.

42.

Die Zweifel des vorlegenden Gerichts betreffen ausschließlich die zweite dieser Voraussetzungen und beruhen auf dem Widerspruch zwischen Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24 (nach dem der Wirtschaftsteilnehmer nachweisen muss, dass er „die Tatsachen und Umstände umfassend durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden geklärt“ hat) und § 125 Abs. 1 Nr. 2 GWB (nach dem die aktive Zusammenarbeit mit „den Ermittlungsbehörden und dem öffentlichen Auftraggeber“ erfolgen muss).

43.

Den Stadtwerken München zufolge ist die Bezugnahme auf den „öffentlichen Auftraggeber“ der Bezugnahme des Unionsgesetzgebers auf die „Ermittlungsbehörden“ hinzugefügt worden, um eine enge Auslegung zu vermeiden, die die Pflicht des Wirtschaftsteilnehmers darauf beschränke, ausschließlich mit den „Ermittlungsbehörden“ im engeren Sinne (d. h. mit den Einrichtungen, die Straftaten oder sonstiges Fehlverhalten verfolgen) zusammenzuarbeiten und dabei übersehe, dass der öffentliche Auftraggeber ebenfalls im weiteren Sinne ermittele, wenn er prüfe, ob bei einem Wirtschaftsteilnehmer ein Ausschlussgrund vorliege oder ob er trotzdem seine Zuverlässigkeit habe nachweisen können.

44.

Ich glaube jedoch nicht, dass aufgrund der vermeintlichen Ungenauigkeit des Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24 in seinen verschiedenen Sprachfassungen die Gefahr eines Missverständnisses besteht.

45.

Die deutsche Fassung verwendet den Ausdruck „Ermittlungsbehörden“, der exakt dem entspricht, der in anderen wie der spanischen („autoridades investigadoras“), der englischen („investigating authorities“), der italienischen („autorità investigative“), der portugiesischen („autoridades responsáveis pelo inquérito“) oder der niederländischen („onderzoekende autoriteiten“) verwendet wird. In allen werden die Behörden und Einrichtungen, die öffentliche Aufträge vergeben oder Vergabeverfahren durchführen, im Übrigen mit ebenso eindeutigen Ausdrücken bezeichnet: „poder adjudicador“ im spanischen Fall und „öffentlicher Auftraggeber“ im deutschen.

46.

Das Problem besteht daher nicht in der Ungenauigkeit der Begriffe des Art. 57 der Richtlinie 2014/24, mit denen Behörden ungleicher Natur bezeichnet werden. Vielmehr überträgt diese Bestimmung den öffentlichen Auftraggebern einige Funktionen mit Ermittlungscharakter. So z. B.:

Gemäß Abs. 1 schließen die öffentlichen Auftraggeber einen Wirtschaftsteilnehmer aus, „wenn sie … festgestellt haben oder … davon Kenntnis erlangt haben, dass [er] aus [bestimmten] Gründe[n] rechtskräftig verurteilt worden ist“.

Auf derselben Linie nimmt Abs. 2 Unterabs. 2 Bezug auf den Fall, dass „der öffentliche Auftraggeber auf geeignete Weise nachweisen kann, dass der Wirtschaftsteilnehmer der Verpflichtung zur Entrichtung seiner Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge nicht nachgekommen ist“.

Andere in Abs. 4 aufgezählte Tatbestände erfordern eine gewisse Ermittlungstätigkeit ( 9 ) der öffentlichen Auftraggeber. Gemäß Buchst. c können sie beispielsweise „nachweisen, dass der Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit eine schwere Verfehlung begangen hat, die seine Integrität in Frage stellt“.

47.

Meines Erachtens wird der öffentliche Auftraggeber durch die Wahrnehmung dieser Funktionen nicht zu einer „Ermittlungsbehörde“ im Sinne von Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24.

48.

Zwar muss der öffentliche Auftraggeber zwingend eine Untersuchungstätigkeit (im vorgenannten Sinne) aufnehmen, um feststellen zu können, ob Ausschlussgründe nach Art. 57 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2014/24 vorliegen. Allerdings zielt Art. 57 Abs. 6 nicht bereits darauf ab, dass der öffentliche Auftraggeber die Tatsachen, die zum Ausschluss führen können, in jedem Fall selbst feststellt, sondern dass er nach dem Ausschluss des Wirtschaftsteilnehmers die Beweismittel würdigt, die derjenige vorlegt, der sich auf seine Rehabilitierung beruft.

49.

Die Aufgabe des öffentlichen Auftraggebers im Rahmen dieser Beweiswürdigung ist mithin passiv, während die des Wirtschaftsteilnehmers aktiv ist. Der Wirtschaftsteilnehmer muss die Beweismittel vorlegen, zu denen der öffentliche Auftraggeber Stellung nehmen wird, ohne dass er dafür – ich wiederhole es – jedes Mal unbedingt Ermittlungstätigkeiten (oder Untersuchungstätigkeiten) aufnehmen muss.

50.

Der Wirtschaftsteilnehmer, der sich auf seine Rehabilitierung beruft, muss u. a. nachweisen, dass er „die Tatsachen und Umstände umfassend durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden geklärt“ hat. Diesen Nachweis muss er logischerweise gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber erbringen, also gegenüber der Einrichtung, die nach Abwägung der Beweismittel entscheidet, ob der Bieter seine Zuverlässigkeit hinreichend nachgewiesen hat und daher erneut zu Vergabeverfahren zugelassen werden kann.

51.

Im Allgemeinen sind die „Ermittlungsbehörden“ im Sinne von Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24 daher nicht mit den öffentlichen Auftraggebern identisch. Gegenüber Letzteren muss der Bieter (oder das Unternehmen, das sich wie im vorliegenden Fall in ein Qualifizierungssystem eingliedern möchte) nachweisen, dass er die Tatsachen und Umstände umfassend durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden geklärt hat. Diese Zusammenarbeit muss aber zwangsläufig mit einer anderen Einrichtung als dem öffentlichen Auftraggeber erfolgt sein: Anderenfalls wäre sie für Letzteren eine offenkundige Tatsache, die keines Nachweises bedarf.

52.

Der zeitliche Ablauf der Handlungen, auf die Art. 57 Abs. 6 Bezug nimmt, bestätigt diese Schlussfolgerung. Was der Wirtschaftsteilnehmer gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber nachweisen muss, sind Tatsachen, die in der Vergangenheit liegen, also in einem Moment, der vor demjenigen liegt, in dem er den öffentlichen Auftraggeber um Rehabilitierung bittet.

53.

So müssen der Ausgleich für den Schaden gezahlt bzw. die Verpflichtung zur Zahlung begründet wie auch bereits die Maßnahmen ergriffen sein, die geeignet sind, weitere Verstöße zu verhindern. Aus demselben Grund muss die Klärung (der Tatsachen und der Umstände des für den Ausschluss verantwortlichen Verhaltens) zu gegebener Zeit gegenüber einer Behörde erfolgt sein, bei der es sich nicht um den öffentlichen Auftraggeber handeln kann, gegenüber dem nur nachgewiesen werden muss, dass diese Klärung – genau wie die Zahlung des Ausgleichs oder das Ergreifen der geeigneten Maßnahmen – bereits stattgefunden hat.

54.

Bis hierhin reicht die meines Erachtens plausibelste Auslegung des Art. 57 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24. Es handelt sich auch genau um die, die sich am besten auf eine Rechtssache wie die vorliegende anwenden lässt, in der das zum Ausschluss führende Verhalten (die Beteiligung des Unternehmens an einem Kartell) von einer „Ermittlungsbehörde“ festgestellt und geahndet worden ist: dem Bundeskartellamt.

55.

Es hat unter diesen Umständen keinen Sinn, die Verpflichtung zur Zusammenarbeit zu verdoppeln und um die Pflicht zu ergänzen, mit dem öffentlichen Auftraggeber zusammenzuarbeiten, was der Fall wäre, wenn sich der Wirtschaftsteilnehmer, der sich nach seinem Ausschluss rehabilitieren will, gezwungen sähe, gegenüber zwei verschiedenen Behörden zur Klärung derselben Tatsachen und Umstände beizutragen.

56.

Nichtsdestotrotz könnte man (wie die Stadtwerke München) die Auffassung vertreten, dass es das Unionsrecht den Mitgliedstaaten nicht verwehrt, strengere Anforderungen an den Nachweis ihrer während des Ausschlusszeitraums erneut eingetretenen Zuverlässigkeit durch die Wirtschaftsteilnehmer vorzusehen. Es wäre also möglich, von ihnen zu verlangen, dass sie neben den Ermittlungsbehörden auch mit dem öffentlichen Auftraggeber zusammenarbeiten.

57.

Für diese These sprechen Argumente, die nicht von der Hand zu weisen sind. Auf der einen Seite legen laut Art. 57 Abs. 7 der Richtlinie 2014/24 „[d]ie Mitgliedstaaten … die Bedingungen für die Anwendung dieses Artikels fest“. Auf der anderen Seite hat der Gerichtshof festgestellt ( 10 ), dass in Bezug auf die fakultativen Ausschlussgründe ( 11 ) die Vergaberichtlinie „keine einheitliche Anwendung … auf Unionsebene [verfolgt], da die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, diese Ausschlussgründe entweder überhaupt nicht anzuwenden oder aber diese Gründe je nach den auf nationaler Ebene maßgeblichen rechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Erwägungen im Einzelfall mit unterschiedlicher Strenge in die nationale Regelung aufzunehmen“.

58.

Meines Erachtens wäre dies nur möglich, wenn es sich um eine andere Zusammenarbeit handelte als die, die gegenüber den Ermittlungsbehörden verlangt wird. Man könnte es so verstehen, dass die in § 125 Abs. 1 Nr. 2 GWB geregelte Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber nicht denselben Gegenstand hat wie die, die der Wirtschaftsteilnehmer gegenüber den Ermittlungsbehörden zu leisten hat, sondern Verhaltensweisen betrifft, deren Einstufung als Ausschlussgrund vom öffentlichen Auftraggeber selbst beurteilt und bewertet werden muss.

59.

Unter diesem Blickwinkel erhielte die Vorschrift des § 124 Abs. [1 Nr.] 4 GWB ( 12 ) Sinn: Der Wirtschaftsteilnehmer müsste aktiv mit dem öffentlichen Auftraggeber zusammenarbeiten, um i) die Tatsachen und Umstände zu klären, die den öffentlichen Auftraggeber zu der Annahme veranlasst haben, dass der Ausschlussgrund, dessen Beurteilung ihm obliegt, anwendbar ist, und ii) ihn davon zu überzeugen, dass er trotzdem rehabilitiert werden kann.

60.

Wird die nationale Bestimmung hingegen dahin ausgelegt, dass der Wirtschaftsteilnehmer in gleicher Weise (und doppelt) mit dem öffentlichen Auftraggeber und den Ermittlungsbehörden zur Klärung derselben Tatsachen und Umstände bezüglich desselben Ausschlussgrundes zusammenarbeiten muss, käme man zu einem Ergebnis, das mir nicht mit Art. 57 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24 vereinbar erscheint:

Auf der einen Seite käme es zu einer Verdoppelung von Verpflichtungen gegenüber denjenigen, die wie die Ermittlungsbehörden und die öffentlichen Auftraggeber unterschiedliche Funktionen wahrnehmen.

Auf der anderen Seite könnte der Wirtschaftsteilnehmer beinahe in eine Lage geraten, in der er sich nicht mehr verteidigen kann, wenn unter Umständen wie denen dieser Rechtssache der öffentliche Auftraggeber geltend macht, ihm sei infolge des Fehlverhaltens, das zum Ausschluss des Wirtschaftsteilnehmers führte, ein Schaden entstanden, den er ersetzt verlange ( 13 ).

61.

Tatsächlich lässt diese Verdoppelung von Verpflichtungen die Unterschiede zwischen den spezifischen Funktionen der Ermittlungsbehörden in Bezug auf den Schutz des Wettbewerbs und der öffentlichen Auftraggeber unbeachtet. Wenn ein öffentlicher Auftraggeber beurteilen muss, ob die Tatsachen, aufgrund deren er sich für geschädigt hält, nicht oder nicht ordnungsgemäß geklärt worden sind, und daher bei der Feststellung, ob der Wirtschaftsteilnehmer umfänglich mit den Ermittlungsbehörden zu ihrer Klärung beigetragen hat, keinen Beschränkungen unterliegt, verfügt er zudem möglicherweise nicht über die besten Voraussetzungen, um mit der nötigen Neutralität und Unparteilichkeit über den Antrag auf Rehabilitierung entscheiden zu können.

B.   Der Begriff „betreffendes Ereignis“ im Sinne von Art. 57 Abs. 7 der Richtlinie 2014/24 (dritte und vierte Frage)

62.

Gemäß Art. 57 Abs. 7 der Richtlinie 2014/24 „bestimmen [die Mitgliedstaaten] den höchstzulässigen Zeitraum des Ausschlusses für den Fall, dass der Wirtschaftsteilnehmer keine Maßnahmen gemäß Absatz 6 zum Nachweis seiner Zuverlässigkeit ergreift“.

63.

Allerdings sind die Mitgliedstaaten insoweit nicht völlig frei, denn diese Bestimmung zieht für den höchstzulässigen Zeitraum bestimmte Grenzen. Konkret:

Ist der Ausschlusszeitraum durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung festgelegt worden, ist er in jedem Fall maßgeblich.

Ist in einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung kein Ausschlusszeitraum festgelegt worden, so darf dieser Zeitraum fünf Jahre ab dem Tag der rechtskräftigen Verurteilung nicht überschreiten, wenn es sich um zwingende Ausschlussgründe (die des Art. 57 Abs. 1) handelt.

Ist keine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung ergangen oder ist sie ergangen, ohne dass ein höchstzulässiger Zeitraum für den Ausschluss vorgesehen wurde, verringert dieser sich „in den in Absatz 4 genannten Fällen [auf] drei Jahre ab dem betreffenden Ereignis“ (fakultative Ausschlussgründe).

64.

Die zuletzt genannte Klarstellung ist Gegenstand der beiden letzten Fragen des vorlegenden Gerichts, das Zweifel hinsichtlich des Begriffs des „betreffenden“ Ereignisses ausräumen möchte.

1. Zusammenfassung der Erklärungen der Parteien

65.

Vossloh Laeis vertritt die Ansicht, der streitige Ausdruck beziehe sich auf das objektive Vorliegen des Ausschlussgrundes. Hätte der Gesetzgeber auf die subjektive Kenntnis des öffentlichen Auftraggebers abstellen wollen, hätte er dies so formuliert. Zu demselben Ergebnis führe die systematische Auslegung der Vorschrift, denn anderenfalls hinge das Datum vom jeweiligen öffentlichen Auftraggeber ab, was der Rechtssicherheit abträglich sei.

66.

Die Stadtwerke München meinen, entscheidend sei nicht der Zeitpunkt, in dem das den fakultativen Ausschluss begründende Verhalten verwirklicht (bzw. beendet) werde, sondern der Zeitpunkt, in dem seine Voraussetzungen, zu denen die subjektive Komponente (Kenntnis des Auftraggebers vom Grund) gehöre, vollständig erfüllt seien. Nach dieser Prämisse sei für das betreffende Ereignis auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der öffentliche Auftraggeber über verlässliche Kenntnis über das Vorliegen eines Ausschlussgrundes verfüge.

67.

Die deutsche und die ungarische Regierung stimmen diesem Standpunkt im Wesentlichen zu. Das „betreffende Ereignis“ werde durch den Zeitpunkt bestimmt, zu dem der öffentliche Auftraggeber gesicherte und belastbare Kenntnis über das Vorliegen des Ausschlussgrundes habe, der ungarischen Regierung zufolge also den Zeitpunkt, zu dem hierüber eine rechtskräftige Entscheidung ergangen sei.

68.

Die griechische Regierung spricht sich dafür aus, Art. 25 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 ( 14 ) auf den Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe anzuwenden, damit es keine Abweichungen vom entsprechenden Verwaltungs- oder Strafverfahren gebe. „Maßgeblich“ sei daher, wann der Grund, der zum Ausschluss geführt habe, eingetreten sei, und nicht, wann der öffentliche Auftraggeber von ihm Kenntnis erlangt habe.

69.

Die polnische Regierung, die nur zu dieser Frage schriftliche Erklärungen eingereicht hat, ist der Auffassung, „betreffendes Ereignis“ sei der Abschluss der Vereinbarung, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abziele. Könne der Zeitpunkt, zu dem diese Vereinbarung getroffen worden sei, nicht ermittelt werden, sei auf den Zeitpunkt des Ereignisses abzustellen, das ihren Abschluss wahrscheinlich erscheinen lasse (dies könne beispielsweise der Tag des Abschlusses des Vergabeverfahrens sein, in dem festgestellt worden sei, dass die beteiligten Wirtschaftsteilnehmer versucht hätten, den Wettbewerb zu verzerren).

70.

Der Kommission zufolge sind drei unterschiedliche Zeitpunkte denkbar: 1. der des Verhaltens, das einen Ausschlussgrund darstelle, 2. der Moment, in dem die Kriterien eines dieser Gründe erfüllt gewesen seien; im Falle von Art. 57 Abs. 4 Buchst. c und d der Richtlinie 2014/24 sei das der Moment, in dem der öffentliche Auftraggeber das Fehlverhalten des Wirtschaftsteilnehmers nachweisen könne bzw. über hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür verfüge, und 3. der Moment, in dem eine Ermittlungsbehörde das Fehlverhalten rechtskräftig festgestellt habe.

71.

Die Rechtssicherheit (die der Grund für die zeitliche Beschränkung der Ausschlussgründe sei) spreche für die erste dieser drei Optionen. Das Risiko, dass der öffentliche Auftrag an jemanden vergeben werde, der berufliche Verfehlungen begangen habe (genau diesem Zweck dienten die Ausschlussgründe der Richtlinie 2014/24), führe jedoch dazu, der zweiten den Vorzug zu geben.

72.

In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission die Bestimmungen zur Regelung öffentlicher Aufträge, die von den Organen der Union vergeben werden, insbesondere Art. 106 Abs. 14 und 15 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 ( 15 ), angeführt, da sie sie bei der Auslegung des Art. 57 der Richtlinie 2014/24 für nützlich hält. Denn zwischen dieser Richtlinie und den genannten Bestimmungen müsse eine gewisse Harmonie bestehen. Daraus zieht sie letztendlich den Schluss, dass die Höchstdauer für den Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers drei Jahre ab der rechtskräftigen Sanktionsentscheidung einer Ermittlungsbehörde betrage.

2. Würdigung

73.

Wie ich bereits ausgeführt habe, stellt Art. 57 Abs. 7 a. E. der Richtlinie 2014/24 zur Festlegung des Beginns des höchstzulässigen Ausschlusszeitraums, der nicht durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung festgelegt wurde, „in den in Absatz 4 genannten Fällen“ auf das betreffende Ereignis ab ( 16 ). Grundsätzlich umfasst also dieser Begriff das Verhalten bzw. den Umstand, das bzw. der in den verschiedenen in Art. 57 Abs. 4 geregelten Fällen beschrieben ist.

74.

Eine andere Frage – die das vorlegende Gericht gestellt hat – ist es, ob der Ausschlusszeitraum vom Zeitpunkt der tatsächlichen Verwirklichung dieses Verhaltens bzw. Eintretens des Umstands an zu berechnen ist oder ab dem Zeitpunkt, zu dem der Auftraggeber über gesicherte und belastbare Kenntnis über sein Vorliegen verfügt.

75.

Die an diesem Vorabentscheidungsverfahren Beteiligten haben zwischen einer objektiven Auslegung, die sich auf die Verwirklichung des „betreffenden Ereignisses“ konzentriert, und einer subjektiven Auslegung, die auf der Kenntnis des öffentlichen Auftraggebers von diesem Ereignis beruht, geschwankt.

76.

Die Kommission hat darauf hingewiesen, dass bei der ersten Sichtweise die Rechtssicherheit den Vorrang hat, während die zweite dem Schutz der Vergabeverfahren vor den Risiken, die die Zulassung von Bietern mit sich bringt, bei denen Ausschlussgründe vorliegen, den Vorzug gibt.

77.

Um dem vorlegenden Gericht zu antworten, bedarf es jedoch nicht unbedingt einer umfassenden Prüfung der zeitlichen Regelung der in der Richtlinie 2014/24 vorgesehenen Ausschlusszeiträume. Es reicht vielmehr, auf den in Rede stehenden konkreten Ausschlussgrund einzugehen.

78.

Da es um die von der deutschen Wettbewerbsbehörde festgestellte und geahndete Beteiligung von Vossloh Laeis an einem Kartell geht, dreht sich die Auseinandersetzung insbesondere darum, ob die Dreijahresfrist beginnt, i) als diese Beteiligung erfolgte bzw. endete (objektive Sichtweise) oder ii) als die Behörden, sei es die Ermittlungsbehörde, sei es der öffentliche Auftraggeber, zuverlässige Kenntnis von dem rechtswidrigen Verhalten hatten oder es ahndeten (subjektive Sichtweise).

79.

Die griechische Regierung hält die in Art. 25 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 getroffene Regelung über den dies a quo für die Frist für die Verjährung rechtswidriger Verhaltensweisen auf dem Gebiet des Wettbewerbs für einschlägig. Diese Frist „beginnt mit dem Tag, an dem die Zuwiderhandlung begangen worden ist. Bei dauernden oder fortgesetzten Zuwiderhandlungen beginnt die Verjährung jedoch erst mit dem Tag, an dem die Zuwiderhandlung beendet ist“.

80.

Tatsächlich könnte man meinen, dass dasselbe Kriterium auf den Tag des Beginns des Ausschlusszeitraums in öffentlichen Vergabeverfahren übertragbar ist, wenn der Unionsgesetzgeber sich dafür entschieden hat, die Rechtssicherheit für den Zuwiderhandelnden der Wirksamkeit der Sanktionsbefugnis der Kommission voranzustellen.

81.

Ich bin jedoch der Meinung, dass diese Sichtweise unvollständig ist. Wendet man die Analogie an, müsste man dies in vollem Umfang tun, so dass – wie in den Fällen der Verjährung wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen – die höchstzulässige Ausschlussfrist, nachdem sie begonnen hat, unterbrochen werden könnte ( 17 ). Sie könnte dann über die in Art. 57 Abs. 7 der Richtlinie ( 18 ) abschließend geregelten drei Jahre hinaus verlängert werden.

82.

Ich glaube daher, dass man zu der Lösung im Wege der Analogie gelangen kann, allerdings, indem man diese Technik zur Auslegung der Vorschrift in Bezug auf den restlichen Inhalt der Bestimmung anwendet. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die Berechnung des fünfjährigen Ausschlusses exakt mit dem Datum der Verurteilung beginnt, wenn der zwingende Ausschlussgrund ein rechtswidriges Verhalten ist, das in einem rechtskräftigen Urteil festgestellt worden ist, in dem die Dauer des Zeitraums nicht festgelegt worden ist.

83.

Dasselbe Kriterium lässt sich meiner Meinung nach ohne Auslegungsschwierigkeiten anwenden, wenn es um wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen geht, deren Existenz (in Anbetracht der Unschuldsvermutung) nur in einer Gerichts- oder Verwaltungsentscheidung als nachgewiesen erachtet werden kann. Unter diesen Umständen, die im vorliegenden Fall gegeben sind, ist es das Datum dieser Entscheidung (die einer Verurteilung im uneigentlichen Sinne entspricht), das als „betreffendes Ereignis“ für den Beginn der dreijährigen Ausschlussfrist dient.

84.

Art. 57 Abs. 7 der Richtlinie 2014/24 verweist also unter den Umständen des Falles nicht auf das wettbewerbsrechtliche relevante Verhalten im eigentlichen Sinn, um es als „betreffendes Ereignis“ anzusehen, sondern auf die juristische Feststellung seiner Existenz, oder anders gesagt, auf die rechtliche Einordnung einer Handlung, die die Behörde bereits als rechtswidriges Verhalten geahndet hat.

85.

Mit anderen Worten: Wenn eine Entscheidung ergangen ist, in der ausdrücklich festgestellt worden ist, dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer an einem Kartell beteiligt hat, ist das „betreffende Ereignis“ zur Berechnung der höchstzulässigen Dauer des Ausschlusses durch den öffentlichen Auftraggeber – Adressat des Mandats oder gegebenenfalls der Befugnis zum Ausschluss dieses Wirtschaftsteilnehmers – nicht das tatsächliche Verhalten des zuwiderhandelnden Unternehmens, sondern seine Einstufung und Ahndung als wettbewerbsbeschränkendes Verhalten.

86.

Meiner Meinung nach, die mit der der ungarischen Regierung und der später auch in der mündlichen Verhandlung von der Kommission vertretenen übereinstimmt, muss dies der „betreffende“ Faktor für den öffentlichen Auftraggeber bei der genauen Feststellung des höchstzulässigen Zeitraums für den Ausschluss des betroffenen Wirtschaftsteilnehmers sein. Angesichts der von der Wettbewerbsbehörde verhängten Sanktion benötigt der öffentliche Auftraggeber nicht mehr, denn rechtlich ist das Vorliegen eines Verhaltens, das zum Ausschluss führen kann, bereits festgestellt worden. Die Ausschlussfrist beginnt von da an, also ab dem Tag, an dem die entsprechende Sanktionsentscheidung ergangen ist.

VI. Ergebnis

87.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, der Vergabekammer Südbayern wie folgt zu antworten:

1.

Art. 80 der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG in Verbindung mit Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG

steht dem entgegen, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der trotz des Vorliegens eines einschlägigen Ausschlussgrundes seine Zuverlässigkeit nachweisen will, aktiv mit dem öffentlichen Auftraggeber zusammenarbeiten muss, um die Tatsachen und die Umstände, unter denen er als Mittäter an Vereinbarungen zur Verfälschung des Wettbewerbs beteiligt war, umfassend aufzuklären, wenn dieser Wirtschaftsteilnehmer bereits aktiv mit der Wettbewerbsbehörde, die diese Tatsachen untersucht und geahndet hat, zusammengearbeitet und deren Umstände umfassend geklärt hat;

steht dem nicht entgegen, dass ein Mitgliedstaat diese aktive Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber als Voraussetzung dafür, dass der Wirtschaftsteilnehmer seine Zuverlässigkeit nachweist und nicht vom Vergabeverfahren ausgeschlossen wird, verlangt, wenn es sich um rechtswidrige Verhaltensweisen handelt, bei denen der öffentliche Auftraggeber selbst die betreffenden Tatsachen und Umstände feststellen muss.

2.

Liegt im Hinblick auf einen Wirtschaftsteilnehmer ein in Art. 57 Abs. 4 Buchst. d der Richtlinie 2014/24 vorgesehener Ausschlussgrund vor, weil er Vereinbarungen getroffen hat, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen und die bereits Gegenstand einer Sanktionsentscheidung waren, ist der höchstzulässige Ausschlusszeitraum ab dem Datum dieser Entscheidung zu berechnen.


( 1 ) Originalsprache: Spanisch.

( 2 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65).

( 3 ) Hervorhebung nur hier.

( 4 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG (ABl. 2014, L 94, S. 243).

( 5 ) In der Fassung vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1750, 3245), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. Oktober 2016 (BGBl. I S. 2258). Im Folgenden: GWB.

( 6 ) Dem streitigen Qualifizierungssystem wurde später durch Entscheidung vom 28. Dezember 2016 ein Ende gesetzt.

( 7 ) Rechtssache C‑292/15 (EU:C:2016:817, Rn. 29).

( 8 ) Fehlt es an einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung, in der die höchstzulässige Dauer dieses Zeitraums festgelegt wurde, beträgt sie gemäß Art. 57 Abs. 7 der Richtlinie 2014/24 je nach den in dieser Vorschrift geregelten Tatbeständen fünf oder drei Jahre.

( 9 ) Ich verwende dieses [Substantiv] in seiner prozessualen Bedeutung, also der, die sich auf ein Verfahren bezieht, das der Ermittler von Amts wegen betreibt und in dem er Be- bzw. Entlastungsbeweise für ein Verhalten zusammenträgt.

( 10 ) Urteil vom 20. Dezember 2017, Impresa di Costruzioni Ing. E. Mantovani und Guerrato (C‑178/16, EU:C:2017:1000, Rn. 31).

( 11 ) Er nimmt Bezug auf die Ausschlussgründe, die in Art. 45 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114) genannt sind. Ich weise aber darauf hin, dass sich Art. 57 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24 auf die „in den Absätzen 1 und 4 [des Art. 57] genannten Situationen“ bezieht, also sowohl die zwingenden als auch die fakultativen Ausschlussgründe.

( 12 ) Nach dieser Vorschrift ist der Ausschluss eines Unternehmens möglich, wenn der öffentliche Auftraggeber über hinreichende Anhaltspunkte dafür verfügt, dass es wettbewerbsrechtlich relevante Vereinbarungen getroffen hat.

( 13 ) Die Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber, die von dem Wirtschaftsteilnehmer verlangt wird, könnte Letzteren benachteiligen, wenn wie hier beide an einem zivilrechtlichen Verfahren beteiligt sind, das durch Ersteren eingeleitet worden ist, der geltend macht, ihm sei durch das Verhalten des Bieters (seine Beteiligung an dem Kartell) ein Schaden entstanden, der zum Ausschluss führe, im Hinblick auf den Letzterer sich rehabilitieren will.

( 14 ) Verordnung des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1).

( 15 ) Verordnung (EU, Euratom) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates (ABl. 2012, L 298, S. 1), geändert durch die Verordnung (EU, Euratom) 2015/1929 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Oktober 2015 (ABl. 2015, L 286, S. 1).

( 16 ) Es wird Fälle geben, in denen eine Art gerichtliche Entscheidung ergangen ist (beispielsweise bei einem Insolvenz- oder Liquidationsverfahren; Fall des Buchst. b), aber in anderen Fällen wird sich das Vorliegen eines Ausschlussgrundes feststellen lassen, ohne dass es erforderlich ist, dass eine solche Entscheidung zwischenzeitlich ergangen ist (so, wenn der Wirtschaftsteilnehmer versucht hat, vertrauliche Informationen zu erlangen; Fall des Buchst. i).

( 17 ) Gemäß Art. 25 Abs. 3 und 5 der Verordnung Nr. 1/2003 wird „[d]ie Verjährung der Befugnis zur Festsetzung von Geldbußen oder Zwangsgeldern … durch jede auf Ermittlung oder Verfolgung der Zuwiderhandlung gerichtete Handlung der Kommission oder der Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaats unterbrochen. Die Unterbrechung tritt mit dem Tag ein, an dem die Handlung mindestens einem an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen oder einer beteiligten Unternehmensvereinigung bekannt gegeben wird. … Nach jeder Unterbrechung beginnt die Verjährung von neuem“.

( 18 ) Diese Vorschrift sieht anders als Art. 106 der Verordnung Nr. 966/2012 nicht spezifisch eine Verjährungsfrist für den Ausschluss vor.

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