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Document 62016CJ0425

    Urteil des Gerichtshofs (Neunte Kammer) vom 19. Oktober 2017.
    Hansruedi Raimund gegen Michaela Aigner.
    Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges und gewerbliches Eigentum – Unionsmarke – Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Art. 96 Buchst. a – Verletzungsklage – Art. 99 Abs. 1 – Vermutung der Rechtsgültigkeit – Art. 100 – Widerklage auf Nichtigerklärung – Verhältnis zwischen Verletzungsklage und Widerklage auf Nichtigerklärung – Verfahrensautonomie.
    Rechtssache C-425/16.

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2017:776

    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

    19. Oktober 2017 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges und gewerbliches Eigentum – Unionsmarke – Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Art. 96 Buchst. a – Verletzungsklage – Art. 99 Abs. 1 – Vermutung der Rechtsgültigkeit – Art. 100 – Widerklage auf Nichtigerklärung – Verhältnis zwischen Verletzungsklage und Widerklage auf Nichtigerklärung – Verfahrensautonomie“

    In der Rechtssache C‑425/16

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 12. Juli 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 1. August 2016, in dem Verfahren

    Hansruedi Raimund

    gegen

    Michaela Aigner

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

    unter Mitwirkung des Richters E. Juhász in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten, der Richterin K. Jürimäe und des Richters C. Lycourgos (Berichterstatter),

    Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    von Herrn Raimund, vertreten durch Rechtsanwalt C. Hadeyer,

    von Frau Aigner, vertreten durch die Rechtsanwälte F. Gütlbauer, S. Sieghartsleitner und M. Pichlmair,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Juni 2017

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 99 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1).

    2

    Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Hansruedi Raimund und Frau Michaela Aigner betreffend eine Klage wegen Verletzung einer Unionswortmarke und eine Widerklage auf Nichtigerklärung dieser Marke.

    Rechtlicher Rahmen

    3

    Im 16. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 207/2009 heißt es, dass „[d]ie Entscheidungen über die Gültigkeit und die Verletzung der [Unions]marke … sich wirksam auf das gesamte Gebiet der [Europäischen Union] erstrecken [müssen], da nur so widersprüchliche Entscheidungen der Gerichte und des [Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO)] und eine Beeinträchtigung des einheitlichen Charakters der [Unions]marke vermieden werden können“.

    4

    Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung bestimmt:

    „Die [Unions]marke ist einheitlich. Sie hat einheitliche Wirkung für die gesamte [Union]: sie kann nur für dieses gesamte Gebiet eingetragen oder übertragen werden oder Gegenstand eines Verzichts oder einer Entscheidung über den Verfall der Rechte des Inhabers oder die Nichtigkeit sein, und ihre Benutzung kann nur für die gesamte [Union] untersagt werden. Dieser Grundsatz gilt, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist.“

    5

    Gemäß Art. 6 der Verordnung wird die Unionsmarke durch Eintragung erworben.

    6

    Art. 52 („Absolute Nichtigkeitsgründe“) Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 sieht vor:

    „(1)   Die [Unions]marke wird auf Antrag beim [EUIPO] oder auf Widerklage im Verletzungsverfahren für nichtig erklärt,

    b)

    wenn der Anmelder bei der Anmeldung der Marke bösgläubig war.

    …“

    7

    In Art. 96 Buchst. a und d der Verordnung heißt es:

    „Die [Unions]markengerichte sind ausschließlich zuständig

    a)

    für alle Klagen wegen Verletzung und – falls das nationale Recht dies zulässt – wegen drohender Verletzung einer [Unions]marke;

    d)

    für die in Artikel 100 genannten Widerklagen auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit der [Unions]marke.“

    8

    Art. 99 („Vermutung der Rechtsgültigkeit; Einreden“) Abs. 1 bestimmt:

    „Die [Unions]markengerichte haben von der Rechtsgültigkeit der [Unions]marke auszugehen, sofern diese nicht durch den Beklagten mit einer Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit angefochten wird.“

    9

    In Art. 100 der Verordnung Nr. 207/2009 heißt es:

    „(1)   Die Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit kann nur auf die in dieser Verordnung geregelten Verfalls- oder Nichtigkeitsgründe gestützt werden.

    (2)   Ein [Unions]markengericht weist eine Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit ab, wenn das [EUIPO] über einen Antrag wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien bereits eine unanfechtbar gewordene Entscheidung erlassen hat.

    (4)   Das [Unions]markengericht, bei dem Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit einer [Unions]marke erhoben worden ist, teilt dem [EUIPO] den Tag der Erhebung der Widerklage mit. Das [EUIPO] vermerkt diese Tatsache im Register für [Unions]marken.

    (6)   Ist die Entscheidung des [Unions]markengerichts über eine Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit rechtskräftig geworden, so wird eine Ausfertigung dieser Entscheidung dem [EUIPO] zugestellt. Jede Partei kann darum ersuchen, von der Zustellung unterrichtet zu werden. Das [EUIPO] trägt nach Maßgabe der Durchführungsverordnung einen Hinweis auf die Entscheidung im Register für [Unions]marken ein.

    …“

    10

    Art. 104 Abs. 1 und 2 der Verordnung bestimmt:

    „(1)   Ist vor einem [Unions]markengericht eine Klage im Sinne des Artikels 96 – mit Ausnahme einer Klage auf Feststellung der Nichtverletzung – erhoben worden, so setzt es das Verfahren, soweit keine besonderen Gründe für dessen Fortsetzung bestehen, von Amts wegen nach Anhörung der Parteien oder auf Antrag einer Partei nach Anhörung der anderen Parteien aus, wenn die Rechtsgültigkeit der [Unions]marke bereits vor einem anderen [Unions]markengericht im Wege der Widerklage angefochten worden ist oder wenn beim [EUIPO] bereits ein Antrag auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit gestellt worden ist.

    (2)   Ist beim [EUIPO] ein Antrag auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit gestellt worden, so setzt es das Verfahren, soweit keine besonderen Gründe für dessen Fortsetzung bestehen, von Amts wegen nach Anhörung der Parteien oder auf Antrag einer Partei nach Anhörung der anderen Parteien aus, wenn die Rechtsgültigkeit der [Unions]marke im Wege der Widerklage bereits vor einem [Unions]markengericht angefochten worden ist. Das [Unions]markengericht kann jedoch auf Antrag einer Partei des bei ihm anhängigen Verfahrens nach Anhörung der anderen Parteien das Verfahren aussetzen. In diesem Fall setzt das [EUIPO] das bei ihm anhängige Verfahren fort.“

    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    11

    Herr Raimund ist Inhaber der Unionswortmarke Baucherlwärmer und vertreibt unter dieser Marke ungefähr seit dem Jahr 2000 einen Kräuteransatz. Frau Aigner bietet ihrerseits eine Kräutermischung zum Ansetzen in hochprozentigem Alkohol zum Kauf an, die sie ebenfalls mit Baucherlwärmer kennzeichnet.

    12

    Herr Raimund erhob beim Handelsgericht Wien (Österreich) eine Klage wegen Verletzung der Unionsmarke – deren Inhaber er ist –, mit der er begehrt, Frau Aigner zu verpflichten, es zu unterlassen, das Zeichen „Baucherlwärmer“ für die Waren und Dienstleistungen der von der genannten Marke erfassten Klassen zu benutzen. Frau Aigner, die Beklagte des Ausgangsverfahrens, vertritt u. a. die Auffassung, dass Herr Raimund die genannte Marke sittenwidrig und bösgläubig erworben habe, und erhob daher ihrerseits bei diesem Gericht eine Widerklage auf Nichtigerklärung dieser Marke.

    13

    Das Handelsgericht Wien beschloss, das Verfahren über die Widerklage bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens über die Verletzungsklage, die den Gegenstand des Ausgangsverfahrens bildet, zu unterbrechen. Da der Beschluss zur Unterbrechung des Verfahrens über die Widerklage jedoch behoben wurde, ist diese Klage nach wie vor in erster Instanz anhängig. Die Verletzungsklage wies das Handelsgericht Wien mit der Begründung zurück, Herr Raimund habe die Unionsmarke bösgläubig angemeldet.

    14

    Das Oberlandesgericht Wien (Österreich) bestätigte in der Berufung die erstinstanzliche Entscheidung, woraufhin Herr Raimund beim Obersten Gerichtshof (Österreich) Revision einlegte.

    15

    Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Unionsmarke tatsächlich bösgläubig erworben habe und dass diese folglich gemäß Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 für nichtig zu erklären sei. Jedoch hat es Zweifel hinsichtlich der von Herrn Raimund im Rahmen seiner Berufung aufgeworfenen Frage, ob die Vorinstanzen ohne rechtskräftige Entscheidung im Widerklageverfahren die Frage der Bösgläubigkeit im Verletzungsverfahren hätten prüfen dürfen.

    16

    In Anbetracht dessen, dass die Beklagte des Ausgangsverfahrens einen absoluten Nichtigkeitsgrund im Sinne von Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 geltend macht, der nach Art. 99 Abs. 1 dieser Verordnung im Rahmen eines Verletzungsverfahrens nur dann wirksam erhoben werden kann, wenn der Beklagte eine auf einen solchen Nichtigkeitsgrund gestützte Widerklage erhebt, fragt der Oberste Gerichtshof, ob es genügt, eine Widerklage wegen bösgläubigen Markenrechtserwerbs zu erheben, damit die Verletzungsklage noch vor der Entscheidung über diese Widerklage abgewiesen werden kann (erste Möglichkeit), oder ob die Verletzungsklage nur dann aus diesem Grund abgewiesen werden kann, wenn die betreffende Marke zumindest zugleich aufgrund der Widerklage für nichtig erklärt wird (zweite Möglichkeit), oder ob der Einwand des bösgläubigen Markenrechtserwerbs im Verletzungsverfahren überhaupt erst dann Erfolg haben kann, wenn die Marke aufgrund der Widerklage zuvor rechtskräftig für nichtig erklärt wurde (dritte Möglichkeit).

    17

    Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass im vorliegenden Fall der Erfolg oder die Abweisung der Verletzungsklage allein vom Einwand der Nichtigkeit abhänge. Es schlägt dem Gerichtshof vor, sich für die zweite Möglichkeit zu entscheiden, da sich aus Art. 99 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 ergebe, dass eine Verletzungsklage nur dann wegen des Vorliegens eines Nichtigkeitsgrundes abgewiesen werden dürfe, wenn zumindest zugleich der Widerklage aus diesem Grund stattgegeben werde. Seiner Ansicht nach sollte das bloße Erheben einer Widerklage nicht ausreichen, aber auch ein Warten auf die Rechtskraft der Entscheidung über die Widerklage sollte nicht erforderlich sein. Eine etwaige Verpflichtung, bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Widerklage zuzuwarten, sollte wie die mögliche Verbindung von Verletzungs- und Widerklageverfahren und die Gestaltung des Rechtsmittelverfahrens ausschließlich nach nationalem Verfahrensrecht beurteilt werden.

    18

    Außerdem könne mit der von ihm vorgeschlagenen zweiten Möglichkeit sichergestellt werden, dass der Einwand der Nichtigkeit oder des Verfalls im Verletzungsverfahren inter partes nur Erfolg habe, wenn die Marke aus demselben Grund im Widerklageverfahren mit Wirkung erga omnes für nichtig oder verfallen erklärt werde. Insbesondere müsse der in erster Instanz unterlegene Kläger des Verletzungsverfahrens sowohl die Entscheidung über die Verletzungsklage als auch jene über die Widerklage anfechten, um im Rechtsmittelverfahren Erfolg zu haben. Bekämpfe er nur die Entscheidung über die Verletzungsklage, müsste sein Rechtsmittel scheitern, weil dann die rechtskräftige Entscheidung über die Widerklage einem Erfolg der Verletzungsklage von vornherein entgegenstünde.

    19

    Allerdings gesteht der Oberste Gerichtshof zu, dass der Wortlaut oder der Zweck von Art. 99 der Verordnung Nr. 207/2009 auch zu einer anderen Auslegung als der von ihm vorgeschlagenen führen könnte.

    20

    Unter diesen Umständen hat der Oberste Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.

    Darf eine Klage wegen Verletzung einer Unionsmarke (Art. 96 lit. a der Verordnung Nr. 207/2009) aufgrund des Einwands der böswilligen Markenrechtsanmeldung (Art. 52 Abs. 1 lit. b der Verordnung Nr. 207/2009) abgewiesen werden, wenn der Beklagte zwar eine damit begründete Widerklage auf Nichtigerklärung der Unionsmarke erhoben (Art. 99 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009), das Gericht über diese Widerklage aber noch nicht entschieden hat?

    2.

    Wenn nein: Darf das Gericht die Verletzungsklage aufgrund des Einwands der böswilligen Markenrechtsanmeldung abweisen, wenn es zumindest zugleich der Widerklage auf Nichtigerklärung stattgibt, oder hat es mit der Entscheidung über die Verletzungsklage jedenfalls bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Widerklage zuzuwarten?

    Zu den Vorlagefragen

    Zur ersten Frage

    21

    Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 99 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen ist, dass eine bei einem Unionsmarkengericht nach Art. 96 Buchst. a dieser Verordnung erhobene Verletzungsklage wegen eines absoluten Nichtigkeitsgrundes wie des in Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung vorgesehenen abgewiesen werden darf, ohne dass dieses Gericht der vom Beklagten des Verletzungsverfahrens gemäß Art. 100 Abs. 1 der Verordnung erhobenen und auf denselben Nichtigkeitsgrund gestützten Widerklage auf Nichtigerklärung stattgegeben hat.

    22

    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften nicht nur deren Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgt werden (Urteile vom 19. September 2000, Deutschland/Kommission, C‑156/98, EU:C:2000:467, Rn. 50, vom 25. Oktober 2011, eDate Advertising u. a., C‑509/09 und C‑161/10, EU:C:2011:685, Rn. 54, und vom 26. Juli 2017, Jafari, C‑646/16, EU:C:2017:586, Rn. 73).

    23

    Was den Wortlaut von Art. 99 („Vermutung der Rechtsgültigkeit; Einreden“) der Verordnung Nr. 207/2009 anbelangt, der in Abschnitt 2 („Streitigkeiten über die Verletzung und Rechtsgültigkeit der Unionsmarken“) von Titel X dieser Verordnung enthalten ist, bestimmt diese Vorschrift in Abs. 1, dass die Unionsmarkengerichte von der Rechtsgültigkeit der Unionsmarke auszugehen haben, sofern diese nicht durch den Beklagten mit einer Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit angefochten wird.

    24

    Aus dieser Vorschrift geht somit zwar hervor, dass für die Unionsmarke eine Vermutung der Rechtsgültigkeit streitet, die im Rahmen eines Verletzungsverfahrens durch eine Widerklage auf Nichtigerklärung widerlegt werden kann, jedoch ist festzustellen, dass anhand des bloßen Wortlauts dieser Vorschrift nicht bestimmt werden kann, ob das Unionsmarkengericht in dem Fall, in dem der Beklagte des Verletzungsverfahrens gegen die Verletzungsklage einen Grund für die Nichtigkeit der Marke einwendet und darüber hinaus eine auf denselben Nichtigkeitsgrund gestützte Widerklage auf Nichtigerklärung erhebt, der Widerklage stattgeben muss, bevor es die Verletzungsklage abweisen kann.

    25

    Hinsichtlich des Kontexts, in dem Art. 99 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 steht, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 104 Abs. 1 dieser Verordnung verlangt, dass das Unionsmarkengericht, bei dem eine Klage nach Art. 96 der Verordnung erhoben worden ist, das Verfahren, soweit keine besonderen Gründe für dessen Fortsetzung bestehen, aussetzt, wenn die Rechtsgültigkeit der Unionsmarke bereits vor einem anderen Unionsmarkengericht angefochten worden ist oder wenn beim EUIPO bereits ein Antrag auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit gestellt worden ist.

    26

    Demnach hätte eine Auslegung von Art. 99 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009, wonach die Erhebung einer Widerklage auf Nichtigerklärung bei einem Unionsmarkengericht dafür genügen soll, dass dieses Gericht noch vor der Entscheidung über diese Widerklage über die gemäß Art. 96 Buchst. a dieser Verordnung erhobene Verletzungsklage entscheiden kann, indem es sich auf denselben Nichtigkeitsgrund wie den mit der Widerklage geltend gemachten stützt, zur sinnwidrigen Folge, dass die Bestimmungen der Verordnung über die Konnexität von bei unterschiedlichen Unionsmarkengerichten anhängigen Verfahren strenger wären als diejenigen über die Konnexität von Verfahren, die bei ein und demselben Unionsmarkengericht anhängig sind.

    27

    Hinsichtlich des mit der Verordnung Nr. 207/2009 verfolgten Ziels ist darauf hinzuweisen, dass in Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung der Grundsatz der Einheitlichkeit der Unionsmarke verankert ist. Da sie einheitliche Wirkung für die gesamte Union hat, kann die Marke nach dieser Bestimmung nur für dieses gesamte Gebiet eingetragen oder übertragen werden oder Gegenstand eines Verzichts oder einer Entscheidung über den Verfall der Rechte des Inhabers oder die Nichtigkeit sein, und ihre Benutzung kann nur für die gesamte Union untersagt werden.

    28

    Insoweit sieht der 16. Erwägungsgrund vor, dass die Entscheidungen über die Gültigkeit der Unionsmarke sich wirksam auf das gesamte Gebiet der Union erstrecken müssen, da nur so widersprüchliche Entscheidungen der Gerichte und des EUIPO und eine Beeinträchtigung der Einheitlichkeit der Unionsmarke vermieden werden können.

    29

    Aus dem mit der Verordnung Nr. 207/2009 verfolgten Ziel ergibt sich somit, dass zur Gewährleistung der Einheitlichkeit der Unionsmarke die Entscheidung eines Unionsmarkengerichts, mit der im Rahmen einer gemäß Art. 100 Abs. 1 dieser Verordnung erhobenen Widerklage auf Nichtigerklärung eine Unionsmarke für nichtig erklärt wird, zwingend in der gesamten Union Wirkung erga omnes hat.

    30

    Die Wirkung erga omnes einer solchen Entscheidung wird im Übrigen sowohl durch Art. 100 Abs. 6 der Verordnung Nr. 207/2009 bestätigt, wonach ein Unionsmarkengericht dem EUIPO eine Ausfertigung der rechtskräftigen Entscheidung über eine Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit einer Unionsmarke zuzustellen hat, als auch durch die im Zusammenhang stehende Verfahren betreffenden Bestimmungen des Art. 104 dieser Verordnung, auf die in Rn. 25 des vorliegenden Urteils hingewiesen worden ist.

    31

    Umgekehrt kommt, wie der Generalanwalt in Nr. 64 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, der Entscheidung, die ein solches Gericht über eine Verletzungsklage erlässt, nur Wirkung inter partes zu, so dass diese Entscheidung, nachdem sie rechtskräftig geworden ist, nur die an dem entsprechenden Verfahren beteiligten Parteien bindet.

    32

    Dies ist der Fall, wenn wie im Ausgangsverfahren das Unionsmarkengericht die Verletzungsklage wegen eines absoluten Nichtigkeitsgrundes wie der böswilligen Markenrechtsanmeldung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 abweist, ohne zuvor über die Widerklage auf Nichtigerklärung zu entscheiden, die der Beklagte des Verletzungsverfahrens erhoben hat.

    33

    Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass in Anbetracht der Einheitlichkeit der Unionsmarke und des Zwecks, widersprüchliche Entscheidungen in diesem Bereich zu vermeiden, die auf einen solchen absoluten Nichtigkeitsgrund gestützte Nichtigerklärung einer Unionsmarke für die gesamte Union und nicht nur für die Parteien der Verletzungsklage gelten muss. Dieses Erfordernis impliziert, dass das betreffende Unionsmarkengericht über die Widerklage auf Nichtigerklärung entscheidet, bevor es über die Verletzungsklage entscheidet.

    34

    Das Unionsmarkengericht muss somit der Widerklage auf Nichtigerklärung einer Unionsmarke, die gemäß Art. 100 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 im Rahmen eines Verfahrens wegen Verletzung dieser Marke nach Art. 96 Buchst. a dieser Verordnung erhoben wird, stattgeben, bevor es die Verletzungsklage wegen desselben Nichtigkeitsgrundes abweisen kann.

    35

    Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass Art. 99 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen ist, dass eine bei einem Unionsmarkengericht nach Art. 96 Buchst. a dieser Verordnung erhobene Verletzungsklage wegen eines absoluten Nichtigkeitsgrundes wie des in Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung vorgesehenen nicht abgewiesen werden darf, ohne dass dieses Gericht der vom Beklagten des Verletzungsverfahrens gemäß Art. 100 Abs. 1 der Verordnung erhobenen und auf denselben Nichtigkeitsgrund gestützten Widerklage auf Nichtigerklärung stattgegeben hat.

    Zur zweiten Frage

    36

    Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen ist, dass das Unionsmarkengericht die Verletzungsklage nach Art. 96 Buchst. a dieser Verordnung wegen eines absoluten Nichtigkeitsgrundes wie des in Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung vorgesehenen abweisen darf, obwohl die Entscheidung über die gemäß Art. 100 Abs. 1 der Verordnung erhobene und auf denselben Nichtigkeitsgrund gestützte Widerklage auf Nichtigerklärung nicht rechtskräftig ist.

    37

    Aus der Antwort auf die erste Frage ergibt sich, dass Art. 99 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 dem Unionsmarkengericht zur Gewährleistung der Einheitlichkeit der Unionsmarke und zur Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen die Pflicht auferlegt, der nach Art. 100 Abs. 1 dieser Verordnung erhobenen Widerklage stattzugeben, bevor es die Verletzungsklage nach Art. 96 Buchst. a der Verordnung abweisen kann.

    38

    Wie der Generalanwalt in Nr. 80 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, enthält die Verordnung Nr. 207/2009 jedoch weder eine Regelung, die verlangen würde, dass die Entscheidung, mit der der Widerklage auf Nichtigerklärung stattgegeben wurde, rechtskräftig sein muss, damit das Unionsmarkengericht die Verletzungsklage abweisen kann, noch eine Regelung, die es diesem Gericht untersagen würde, abzuwarten, bis die Entscheidung, mit der der Widerklage auf Nichtigerklärung stattgegeben wurde, rechtskräftig geworden ist, um die Verletzungsklage abzuweisen.

    39

    Diese Verordnung enthält nämlich keine Bestimmung, die die für das Unionsmarkengericht bestehende Möglichkeit, die Markenverletzungsklage wegen eines Nichtigkeitsgrundes abzuweisen, von der Voraussetzung abhängig machen würde, dass die Entscheidung, mit der es wegen desselben Nichtigkeitsgrundes der Widerklage auf Nichtigerklärung dieser Marke stattgegeben hat, rechtskräftig geworden ist, während ein solches Erfordernis für andere Fälle in Art. 100 der Verordnung Nr. 207/2009 vorgesehen ist.

    40

    In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es in Ermangelung einer einschlägigen Unionsregelung nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs gemäß dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache des innerstaatlichen Rechts jedes einzelnen Mitgliedstaats ist, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, wobei die Mitgliedstaaten allerdings für den wirksamen Schutz dieser Rechte in jedem Einzelfall verantwortlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. September 2003, Köbler, C‑224/01, EU:C:2003:513, Rn. 47, und vom 27. Juni 2013, Agrokonsulting, C‑93/12, EU:C:2013:432, Rn. 35).

    41

    Nach dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit dürfen die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die für entsprechende innerstaatliche Klagen (Grundsatz der Äquivalenz) und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (Urteile vom 16. Dezember 1976, Rewe-Zentralfinanz und Rewe-Zentral, 33/76, EU:C:1976:188, Rn. 5, vom 14. Dezember 1995, Peterbroeck, C‑312/93, EU:C:1995:437, Rn. 12, und vom 27. Juni 2013, Agrokonsulting, C‑93/12, EU:C:2013:432, Rn. 36).

    42

    Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs gelten die sich aus den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität ergebenden Anforderungen u. a. für die Bestimmung der für auf das Unionsrecht gestützte Klagen geltenden Verfahrensmodalitäten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Juni 2013, Agrokonsulting, C‑93/12, EU:C:2013:432, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    43

    Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass nach österreichischem Recht gemäß der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs eine Verletzungsklage nur dann wegen eines Grundes für die Nichtigkeit der Unionsmarke abgewiesen werden kann, wenn diese zumindest zugleich aufgrund einer Widerklage für nichtig erklärt wird. Nach Ansicht dieses Gerichts gewährleistet dieses Erfordernis, dass der Einwand der Nichtigkeit im Rahmen der Verletzungsklage, die lediglich Wirkung inter partes habe, nur Erfolg habe, wenn die Unionsmarke aus demselben Grund im Widerklageverfahren mit Wirkung erga omnes für nichtig erklärt werde.

    44

    Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 86 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, dann, wenn wie im Ausgangsverfahren dasselbe Gericht zugleich über eine Klage wegen Verletzung einer Marke und über eine Widerklage auf Nichtigerklärung dieser Marke zu entscheiden hat, die Kohärenz mit der Entscheidung, die dieses Gericht im Rahmen des Widerklageverfahrens erlässt, dieses Gericht daran hindern wird, im Rahmen des Verletzungsverfahrens eine widersprüchliche Entscheidung zu erlassen.

    45

    Das Unionsmarkengericht ist zwar verpflichtet, den Ausgang des Verfahrens über die Widerklage auf Nichtigerklärung abzuwarten, um über die Verletzungsklage zu entscheiden. Jedoch würde, wie das vorlegende Gericht zu Recht ausführt, die Verknüpfung des Ausgangs des Verletzungsverfahrens mit dem Verhalten der Parteien hinsichtlich Rechtsmittel gegen die Entscheidung, mit der der Widerklage auf Nichtigerklärung stattgegeben wurde, dieses Verfahren aller Wahrscheinlichkeit nach erheblich verzögern. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass, da sich in beiden Verfahren dieselben Parteien gegenüberstehen, sie, wie der Generalanwalt in Nr. 89 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, über dieselben Verteidigungsmittel verfügen und die Konsequenzen ihrer Handlungen tragen müssen. Der mögliche Fall, dass eine der Parteien versucht, mit anschließenden Rechtsmitteln den Eintritt der Rechtskraft der erstinstanzlichen Entscheidungen zu verzögern, kann somit nicht mehr Gewicht haben als die Verpflichtung des Gerichts, den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden.

    46

    Somit erscheint der Umstand, dass das Unionsmarkengericht die Widerklage auf Nichtigerklärung nach Art. 100 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 und die nach Art. 96 Buchst. a dieser Verordnung erhobene Verletzungsklage zusammen behandeln muss, als geeignet, die Wahrung des Grundsatzes der Effektivität zu gewährleisten.

    47

    Hinsichtlich des Äquivalenzgrundsatzes ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im vorliegenden Fall über keinen Anhaltspunkt verfügt, der zu Zweifeln an der Vereinbarkeit einer Rechtsprechungspraxis wie der in Rn. 43 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechungspraxis des Obersten Gerichtshofs mit diesem Grundsatz Anlass gäbe, was zu prüfen jedoch Sache des vorlegenden Gerichts ist.

    48

    Unter diesen Umständen ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen ist, dass sie es nicht verbietet, dass das Unionsmarkengericht die Verletzungsklage nach Art. 96 Buchst. a dieser Verordnung wegen eines absoluten Nichtigkeitsgrundes wie des in Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung vorgesehenen abweisen darf, obwohl die Entscheidung über die gemäß Art. 100 Abs. 1 der Verordnung erhobene und auf denselben Nichtigkeitsgrund gestützte Widerklage auf Nichtigerklärung nicht rechtskräftig ist.

    Kosten

    49

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

     

    1.

    Art. 99 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke ist dahin auszulegen, dass eine bei einem Unionsmarkengericht nach Art. 96 Buchst. a dieser Verordnung erhobene Verletzungsklage wegen eines absoluten Nichtigkeitsgrundes wie des in Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung vorgesehenen nicht abgewiesen werden darf, ohne dass dieses Gericht der vom Beklagten des Verletzungsverfahrens gemäß Art. 100 Abs. 1 der Verordnung erhobenen und auf denselben Nichtigkeitsgrund gestützten Widerklage auf Nichtigerklärung stattgegeben hat.

     

    2.

    Die Verordnung Nr. 207/2009 ist dahin auszulegen, dass sie es nicht verbietet, dass das Unionsmarkengericht die Verletzungsklage nach Art. 96 Buchst. a dieser Verordnung wegen eines absoluten Nichtigkeitsgrundes wie des in Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung vorgesehenen abweisen darf, obwohl die Entscheidung über die gemäß Art. 100 Abs. 1 der Verordnung erhobene und auf denselben Nichtigkeitsgrund gestützte Widerklage auf Nichtigerklärung nicht rechtskräftig ist.

     

    Juhász

    Jürimäe

    Lycourgos

    Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 19. Oktober 2017.

    Der Kanzler

    A. Calot Escobar

    Für den Präsidenten der Neunten Kammer

    E. Juhász


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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