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Document 62016CC0425

Schlussanträge des Generalanwalts M. Campos Sánchez-Bordona vom 20. Juni 2017.
Hansruedi Raimund gegen Michaela Aigner.
Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges und gewerbliches Eigentum – Unionsmarke – Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Art. 96 Buchst. a – Verletzungsklage – Art. 99 Abs. 1 – Vermutung der Rechtsgültigkeit – Art. 100 – Widerklage auf Nichtigerklärung – Verhältnis zwischen Verletzungsklage und Widerklage auf Nichtigerklärung – Verfahrensautonomie.
Rechtssache C-425/16.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2017:479

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 20. Juni 2017 ( 1 )

Rechtssache C‑425/16

Hansruedi Raimund

gegen

Michaela Aigner

(Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs [Österreich])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges und gewerbliches Eigentum – Unionsmarke – Verhältnis zwischen Verletzungsklage und Widerklage auf Nichtigerklärung“

1.

In dem Rechtsstreit, der dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegt, stehen sich zwei Händler gegenüber, die Waren (Kräuterzubereitungen zum Ansetzen in hochprozentigem Alkohol) vertreiben, die zwar ähnlich, aber nicht identisch sind und beide die Bezeichnung „Baucherlwärmer“ tragen. Für eine der beiden Waren besteht außerdem Schutz durch eine beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) eingetragene Unionsmarke ( 2 ).

2.

Der Inhaber dieses Unterscheidungszeichens (Herr Hansruedi Raimund) erhob Klage wegen Verletzung seiner Marke, da er der Ansicht ist, dass Frau Michaela Aigner, die ihre Waren unter derselben Bezeichnung vertreibe, die mit dem Registerschutz verbundenen Rechte verletzt habe.

3.

Frau Aigner trat dieser Klage entgegen, indem sie die Nichtigkeit der Marke mittels einer Einrede ( 3 ) geltend machte und zwei Jahre später ( 4 ) eine Widerklage erhob. Mit beidem wirft sie Herrn Raimund vor, er habe das Zeichen „Baucherlwärmer“ böswillig angemeldet, da sie dieses Zeichen bereits verwendet habe, bevor ihm das gewerbliche Schutzrecht erteilt worden sei.

4.

Der Rechtsstreit hatte zwei Verfahren zur Folge, und zwar im ersten Rechtszug vor dem österreichischen Unionsmarkengericht (dem Handelsgericht Wien, Österreich) und in der Berufung vor dem Oberlandesgericht Wien (Österreich). Während die Widerklage noch immer beim Erstgericht anhängig ist, sind im Verfahren wegen Verletzung der Marke im ersten Rechtszug und in der Berufung Urteile ergangen. Der Oberste Gerichtshof (Österreich) hat als Revisionsinstanz über das Berufungsurteil zu entscheiden.

5.

Konkret hat der Oberste Gerichtshof darüber zu befinden, ob das im Verfahren wegen Verletzung der Marke ergangene Urteil rechtsgültig verkündet werden konnte, bevor eine Entscheidung über die Widerklage ergangen ist. Um seine insoweit bestehenden Zweifel auszuräumen, hat er dem Gerichtshof zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, bei deren Beantwortung dieser über die Tragweite der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 ( 5 ) im Licht zweier relevanter Faktoren zu entscheiden hat, nämlich a) der Vermutung der Gültigkeit von Unionsmarken und b) des Zusammenspiels zwischen Klagen wegen Verletzung solcher Marken und etwaigen Widerklagen auf Nichtigerklärung, die die Beklagten gegen die erstgenannten Klagen erheben können.

I. Rechtlicher Rahmen: Verordnung Nr. 207/2009

6.

Im 16. Erwägungsgrund heißt es:

„Die Entscheidungen über die Gültigkeit und die Verletzung der Gemeinschaftsmarke müssen sich wirksam auf das gesamte Gebiet der Gemeinschaft erstrecken, da nur so widersprüchliche Entscheidungen der Gerichte und des Markenamtes und eine Beeinträchtigung des einheitlichen Charakters der [Unions]marke vermieden werden können. …“

7.

Im 17. Erwägungsgrund heißt es:

„Es soll vermieden werden, dass sich in Rechtsstreitigkeiten über denselben Tatbestand zwischen denselben Parteien voneinander abweichende Gerichtsurteile aus einer [Unions]marke und aus parallelen nationalen Marken ergeben. …“

8.

In den allgemeinen Bestimmungen des Titels I bestimmt Art. 1 Abs. 2:

„(2)

Die [Unions]marke ist einheitlich. Sie hat einheitliche Wirkung für die gesamte Gemeinschaft: sie kann nur für dieses gesamte Gebiet eingetragen oder übertragen werden oder Gegenstand eines Verzichts oder einer Entscheidung über den Verfall der Rechte des Inhabers oder die Nichtigkeit sein, und ihre Benutzung kann nur für die gesamte Gemeinschaft untersagt werden. Dieser Grundsatz gilt, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist.“

9.

Art. 52 im die Gründe für die Nichtigkeit von Unionsmarken regelnden Abschnitt 3 des Titels VI („Verzicht, Verfall und Nichtigkeit“) legt die absoluten Nichtigkeitsgründe, soweit hier von Belang, wie folgt fest:

„(1)

Die [Unions]marke wird auf Antrag beim Amt oder auf Widerklage im Verletzungsverfahren für nichtig erklärt,

a)

wenn sie entgegen den Vorschriften des Artikels 7 eingetragen worden ist;

b)

wenn der Anmelder bei der Anmeldung der Marke bösgläubig war.

…“

10.

Art. 53 regelt die relativen Nichtigkeitsgründe, soweit für die vorliegende Rechtssache von Belang, wie folgt:

„(1)

Die [Unions]marke wird auf Antrag beim Amt oder auf Widerklage im Verletzungsverfahren für nichtig erklärt,

c)

wenn ein in Artikel 8 Absatz 4 genanntes älteres Kennzeichenrecht besteht und die Voraussetzungen des genannten Absatzes erfüllt sind.

…“

11.

Art. 95 Abs. 1 in Abschnitt 2 („Streitigkeiten über die Verletzung und Rechtsgültigkeit der Unionsmarken“) des Titels X („Zuständigkeit und Verfahren für Klagen, die Unionsmarken betreffen“) bestimmt:

„(1)

Die Mitgliedstaaten benennen für ihr Gebiet eine möglichst geringe Anzahl nationaler Gerichte erster und zweiter Instanz, nachstehend ‚[Unions]markengerichte‘ genannt, die die ihnen durch diese Verordnung zugewiesenen Aufgaben wahrnehmen.“

12.

In Art. 96 („Zuständigkeit für Verletzung und Rechtsgültigkeit“) heißt es:

„Die [Unions]markengerichte sind ausschließlich zuständig

a)

für alle Klagen wegen Verletzung und – falls das nationale Recht dies zulässt – wegen drohender Verletzung einer [Unions]marke;

d)

für die in Artikel 100 genannten Widerklagen auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit der [Unions]marke.“

13.

Art. 99 („Vermutung der Rechtsgültigkeit; Einreden“) bestimmt:

„(1)

Die [Unions]markengerichte haben von der Rechtsgültigkeit der [Unions]marke auszugehen, sofern diese nicht durch den Beklagten mit einer Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit angefochten wird.

(2)

Die Rechtsgültigkeit einer [Unions]marke kann nicht durch eine Klage auf Feststellung der Nichtverletzung angefochten werden.

(3)

Gegen Klagen gemäß Artikel 96 Buchstaben a und c[ ( 6 )] ist der Einwand des Verfalls oder der Nichtigkeit der [Unions]marke, der nicht im Wege der Widerklage erhoben wird, insoweit zulässig, als sich der Beklagte darauf beruft, dass die [Unions]marke wegen mangelnder Benutzung für verfallen oder wegen eines älteren Rechts des Beklagten für nichtig erklärt werden könnte.“

14.

Art. 100 sieht vor:

„(1)

Die Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit kann nur auf die in dieser Verordnung geregelten Verfalls- oder Nichtigkeitsgründe gestützt werden.

(2)

Ein [Unions]markengericht weist eine Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit ab, wenn das Amt über einen Antrag wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien bereits eine unanfechtbar gewordene Entscheidung erlassen hat.

…“

15.

Für im Zusammenhang stehende Verfahren vor verschiedenen Gerichten oder vor einem Unionsmarkengericht und dem EUIPO sieht Art. 104 vor:

„(1)

Ist vor einem [Unions]markengericht eine Klage im Sinne des Artikels 96 – mit Ausnahme einer Klage auf Feststellung der Nichtverletzung – erhoben worden, so setzt es das Verfahren, soweit keine besonderen Gründe für dessen Fortsetzung bestehen, von Amts wegen nach Anhörung der Parteien oder auf Antrag einer Partei nach Anhörung der anderen Parteien aus, wenn die Rechtsgültigkeit der [Unions]marke bereits vor einem anderen [Unions]markengericht im Wege der Widerklage angefochten worden ist oder wenn beim Amt bereits ein Antrag auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit gestellt worden ist.

(2)

Ist beim Amt ein Antrag auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit gestellt worden, so setzt es das Verfahren, soweit keine besonderen Gründe für dessen Fortsetzung bestehen, von Amts wegen nach Anhörung der Parteien oder auf Antrag einer Partei nach Anhörung der anderen Parteien aus, wenn die Rechtsgültigkeit der [Unions]marke im Wege der Widerklage bereits vor einem [Unions]markengericht angefochten worden ist. …“

II. Dem Rechtsstreit zugrunde liegender Sachverhalt und Vorlagefragen

A. Sachverhalt  ( 7 )

16.

In den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts betrieb der Vater von Frau Aigner Handel mit u. a. Kräutern sowie Zubereitungen aus Gewürzen und Kräutern, die er in seiner Niederlassung sowie in Ausübung des Reisegewerbes auf Messen, Märkten und im Straßenverkauf anbot.

17.

Im Jahr 2000 übernahm Frau Aigner den väterlichen Betrieb unter der Firma „Kräuter Paul“; sie bietet u. a. eine Kräutermischung mit der Bezeichnung „Baucherlwärmer“ zum Ansetzen in hochprozentigem Alkohol an ( 8 ).

18.

Herr Raimund arbeitete bis zum Jahr 1998 bei Frau Aigners Vater und trat dann zu diesem in Wettbewerb. Unter der Firma „Bergmeister“ vertreibt er eine auf Gewürzen basierende Zubereitung – die er ungefähr seit dem Jahr 2000 ebenfalls als „Baucherlwärmer“ bezeichnet – zum selben Gebrauch und mit denselben Eigenschaften und Wirkungen wie die seiner Mitbewerberin.

19.

Am 28. April 2006 wurde die Unions(wort)marke „Baucherlwärmer“ für die Klassen 5, 29, 30 und 33 des Abkommens von Nizza ( 9 ) mit Priorität ab dem 17. Mai 2005, dem Zeitpunkt der Antragstellung, zugunsten von Herr Raimund eingetragen, der die Eintragung beantragt hatte, um sich die Ausschließlichkeitsrechte an dem Zeichen zu sichern.

20.

Herr Raimund trägt vor, dass er anlässlich einer Messe im Waldviertel (Niederösterreich) und anderer Märkte in der Region Oberösterreich und in Salzburg im Jahr 2006 festgestellt habe, dass Frau Aigner ihr Erzeugnis unter der Bezeichnung „Baucherlwärmer“ anbiete und verkaufe.

21.

Da er der Ansicht ist, dass Frau Aigner seine Rechte aus der Unionsmarke verletzt habe, erhob er gegen sie vor dem Handelsgericht Wien, das in Österreich als Unionsmarkengericht erster Instanz fungiert, Klage.

B. Prozessgeschichte des Rechtsstreits

22.

Im Verfahren wegen Verletzung seines Markenrechts beantragte Herr Raimund, Frau Aigner zu verurteilen, i) die Verwendung des Zeichens „Baucherlwärmer“ für die Waren und Dienstleistungen der genannten Klassen zu unterlassen (Anspruch auf Unterlassung), ii) jegliche Ware oder Handlung, mit der sich die Verletzung des Markenrechts verwirklicht habe, aus dem Verkehr zurückzuziehen (Anspruch auf Beseitigung) ( 10 ) und iii) das Urteil zu veröffentlichen (Anspruch auf Veröffentlichung).

23.

Frau Aigner macht zu ihrer Verteidigung u. a. geltend, Herr Raimund habe die Unionsmarke sittenwidrig und bösgläubig erworben. Auf dasselbe Vorbringen gestützt erhob sie einige Zeit später Widerklage auf Nichtigerklärung der von Herrn Raimund angemeldeten Marke.

24.

Das Handelsgericht Wien unterbrach das Verfahren über die Widerklage im ersten Rechtszug bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens über die Verletzungsklage.

25.

Die Unterbrechung wurde jedoch vom Oberlandesgericht Wien auf die entsprechende Berufung hin aufgehoben, so dass die Widerklage nach wie vor in erster Instanz ( 11 ) anhängig ist, ohne dass bislang ein Urteil gefällt worden wäre. Die Verletzungsklage hingegen wurde mit Urteil des Erstgerichts vom 17. Mai 2015 abgewiesen, da für erwiesen erachtet wurde, dass Herr Raimund bei der Anmeldung der Marke, wie von Frau Aigner geltend gemacht, bösgläubig gewesen sei.

26.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts mit Urteil vom 5. Oktober 2015. Nach Auffassung dieses Gerichts ist es nach Art. 99 der Verordnung Nr. 207/2009 zulässig, dass der Beklagte bei Rechtsstreitigkeiten wegen einer Markenverletzung die Bösgläubigkeit des Zeicheninhabers (seinerzeitigen Antragstellers) einwende, wenn er die Gültigkeit der angemeldeten Marke mit einer Widerklage anfechte, auch wenn über Letztere noch nicht entschieden worden sei. Dem Erfordernis des Art. 99 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 sei somit entsprochen worden.

27.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts wusste Herr Raimund, als er die Marke anmeldete, bereits seit Langem, dass Frau Aigner und davor ihr Vater das Zeichen „Baucherlwärmer“ für eine Ware verwendeten, die der seinen ganz gleichartig sei. Herr Raimund habe mit der Anmeldung beabsichtigt, Frau Aigner an der weiteren Verwendung dieses Zeichens zu hindern.

28.

Das Oberlandesgericht Wien bestätigte schließlich, dass die von Herrn Raimund angemeldete Marke nach Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 wegen Bösgläubigkeit bei der Anmeldung nichtig sei. Es sei somit nicht möglich, sich gegenüber Frau Aigner auf diese Marke zu berufen.

29.

Der Oberste Gerichtshof hat über die Revision gegen das Berufungsurteil, d. h. die Entscheidung im Verfahren wegen Verletzung des Markenrechts, zu entscheiden. Der Inhaber der Marke, Herr Raimund, macht vor dem Revisionsgericht geltend, die Vorinstanzen hätten im Verfahren wegen Verletzung der Marke nicht ohne vorherige Verbindung der beiden Verfahren (der Verletzungsklage und der Widerklage auf Nichtigerklärung) bzw. ohne rechtskräftige Entscheidung im Widerklageverfahren über die Einrede der Bösgläubigkeit entscheiden dürfen.

30.

Das vorlegende Gericht führt aus, dass nach Art. 99 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 der Einwand der Nichtigkeit nur dann Erfolg haben könne, wenn der Beklagte die Marke im Verletzungsverfahren mit einer Widerklage „angefochten“ habe. Bei einer Auslegung dieser Bestimmung nach dem Wortlaut genüge deren Anforderungen offenbar das Erheben der Widerklage. Lege man hingegen den Zweck der Vorschrift zugrunde, sei festzustellen, dass es darum gehe, ein Auseinanderfallen der sich aus dem Verletzungsverfahren ergebenden Rechtslage inter partes und der Rechtslage zu vermeiden, die sich zwingend aus der Wirkung erga omnes ergebe, die dem Urteil zu eigen sei, mit dem die Marke im Wege der Widerklage für ungültig erklärt werde.

31.

Das vorlegende Gericht führt aus, dass der Unionsgesetzgeber zwar von dem Grundsatz ausgegangen sei, dass eine Verletzungsklage nur wegen des ordnungsgemäß mit Wirkung erga omnes festgestellten Vorliegens eines Grundes für die Nichtigkeit der Marke abgewiesen werden könne, dies aber nach seinem nationalen Recht nicht der Fall sei. Zum einen sähen die Vorschriften über die Verfahren wegen Verletzung nationaler Marken keine Nichtigerklärung dieser Marken erga omnes aufgrund einer Widerklage vor ( 12 ). Zum anderen sei die Nichtigerklärung im Rahmen einer Klage wegen Verletzung einer solchen Marke nur „vorfrageweise“ mit Wirkung lediglich inter partes möglich.

32.

Was die Unionsmarken anbelangt, vertritt das vorlegende Gericht die Auffassung, dass eine solche Marke gleichzeitig in einem Verfahren für nichtig erklärt worden sein müsse, damit die in einem Verletzungsverfahren geltend gemachte Einrede der Nichtigkeit Erfolg haben könne.

33.

Der Oberste Gerichtshof fasst die drei sich ergebenden Möglichkeiten – und die entsprechenden Zweifel – dahin zusammen, dass fraglich sei,

„ob es genügt, die Widerklage zu erheben, so dass die Verletzungsklage noch vor der Entscheidung über die Widerklage wegen bösgläubigen Markenrechtserwerbs abgewiesen werden kann, oder

ob die Verletzungsklage nur dann aus diesem Grund abgewiesen werden kann, wenn die Marke zumindest zugleich aufgrund der Widerklage für nichtig erklärt wird, oder

ob der Einwand des bösgläubigen Markenrechtserwerbs im Verletzungsprozess überhaupt erst dann Erfolg haben kann, wenn die Marke aufgrund der Widerklage rechtskräftig für nichtig erklärt wurde“ ( 13 ).

34.

Vor diesem Hintergrund hat der Oberste Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Darf eine Klage wegen Verletzung einer Unionsmarke (Art. 96 lit. a der Verordnung Nr. 207/2009) aufgrund des Einwands der böswilligen Markenrechtsanmeldung (Art. 52 Abs. 1 lit. b der Verordnung Nr. 207/2009) abgewiesen werden, wenn der Beklagte zwar eine damit begründete Widerklage auf Nichtigerklärung der Unionsmarke erhoben (Art. 99 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009), das Gericht über diese Widerklage aber noch nicht entschieden hat?

2.

Wenn nein: Darf das Gericht die Verletzungsklage aufgrund des Einwands der böswilligen Markenrechtsanmeldung abweisen, wenn es zumindest zugleich der Widerklage auf Nichtigerklärung stattgibt, oder hat es mit der Entscheidung über die Verletzungsklage jedenfalls bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Widerklage zuzuwarten?

III. Verfahren vor dem Gerichtshof und wesentliches Parteivorbringen

A. Verfahren

35.

Die Vorlageentscheidung ist am 1. August 2016 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

36.

Die beiden Parteien des Ausgangsverfahrens haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

37.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß Art. 76 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs für nicht notwendig erachtet.

B. Zusammenfassung der eingereichten Erklärungen

38.

Von den drei Möglichkeiten, die das vorlegende Gericht darlegt, befürwortet Herr Raimund die letzte, d. h. das Erfordernis, dass eine rechtskräftige Nichtigerklärung im Wege der Widerklage (oder gegebenenfalls auf dem Verwaltungsweg) vorliegen muss, bevor eine Klage wegen Verletzung der Marke als unbegründet abgewiesen werden kann.

39.

Die Ablehnung der ersten Möglichkeit (wonach bereits die Erhebung der Widerklage ausreichend wäre, um Art. 99 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 zu genügen) begründet er damit, dass diese mit dem Zweck dieser Vorschrift unvereinbar sei. Er teilt somit die Auffassung des vorlegenden Gerichts, wonach die Systematik der Verordnung Nr. 207/2009, auch im Licht ihres Art. 104, Widerklagen gegenüber Einreden in Verletzungsverfahren den Vorzug gebe, wenn es darum gehe, eine Marke für nichtig zu erklären. Diese Bevorzugung ergebe sich daraus, dass das Widerklageverfahren zu einer Entscheidung erga omnes führe, während die Entscheidung über die Verletzungsklage nur inter partes wirke.

40.

Außerdem sei es undenkbar, dass der Unionsgesetzgeber sich mit dem bloßen Formalakt der Erhebung einer Widerklage begnügen würde. Erachtete man dies als zur Erfüllung von Art. 99 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 ausreichend, ginge Art. 100 Abs. 7 dieser Verordnung ins Leere.

41.

Die zweite Möglichkeit (das Erfordernis zweier im Verletzungs- und im Widerklageverfahren gleichzeitig ergehender Entscheidungen) schließt Herr Raimund aus, da dabei nicht vermieden würde, dass es zu widersprüchlichen Entscheidungen kommen könne, wie auch der Oberste Gerichtshof in der Vorlageentscheidung zu bedenken gibt ( 14 ).

42.

Herr Raimund befürwortet somit die dritte Möglichkeit (wonach über die Verletzungsklage erst dann entschieden werden darf, wenn eine rechtskräftige Entscheidung im Verfahren über die Widerklage auf Nichtigerklärung ergangen ist), da damit die Wirkung erga omnes der Entscheidungen, mit denen eine Marke im Wege der Widerklage für ungültig erklärt werde, gewahrt werde. Zur Stützung dieser Auslegung macht er verfahrensökonomische Gründe geltend.

43.

Frau Aigner hingegen vertritt die erste vom vorlegenden Gericht angeführte Variante. Sie stützt ihre Auffassung auf die wörtliche Auslegung von Art. 99 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009. Diese Bestimmung verlange lediglich, dass die Widerklage eingebracht worden sei (es genüge, dass die Rechtsgültigkeit der Marke „angefochten wird“), nicht aber, dass darüber eine Entscheidung ergangen sei, und erst recht nicht, dass dieses rechtskräftig sein müsse.

44.

Außerdem sei es nach Art. 99 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 möglich, die Nichtigkeit der Marke wegen Bösgläubigkeit ihres Inhabers gegen die Verletzungsklage einzuwenden, wenn die Marke wegen eines älteren Rechts des Beklagten „für nichtig erklärt werden könnte“, ohne dass dabei in irgendeiner Weise eine bereits rechtskräftige Entscheidung über die Nichtigerklärung erwähnt würde.

45.

Frau Aigner weist darauf hin, dass weder der Wortlaut noch der Zweck des betreffenden Art. 99 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 für ein Interesse sprächen, abweichende Entscheidungen in den Verfahren wegen Verletzung (mit Wirkung inter partes) und wegen Nichtigerklärung (erga omnes) der Marke zu vermeiden. Es liege im nationalen Bereich, diese Frage gesetzlich zu regeln, die dem Unionsgesetzgeber bekannt gewesen sei und die er hingenommen habe, ganz abgesehen davon, dass die einschlägigen Vorschriften durch die spätere Verordnung 2015/2424 nicht geändert worden seien.

46.

Hilfsweise für den Fall, dass der Gerichtshof ihren Standpunkt nicht teilen sollte, schlägt Frau Aigner schließlich vor, auf die zweite Frage zu antworten, dass die Verletzungsklage abgewiesen werden könne, wenn die Marke zumindest zugleich aufgrund der Widerklage für nichtig erklärt werde, was die Verbindung der Verfahren voraussetze. Andernfalls bliebe die Gefahr abweichender Sachentscheidungen bestehen.

IV. Prüfung

A. Vorbemerkungen

47.

Die Besonderheiten des vorliegenden Rechtsstreits könnten diejenigen irritieren, die mit einem Zivilprozesssystem vertraut sind, bei dem die Widerklage (nicht nur im Kontext des Markenrechts) im selben Verfahren und vor demselben Richter oder Gericht erhoben wird, bei dem die Hauptklage anhängig ist und der bzw. das gleichzeitig über beides in einem einzigen Urteil entscheidet ( 15 ).

48.

Das Vorabentscheidungsersuchen legt den Schluss nahe, dass das österreichische Zivilprozessrecht dieser Regel nicht zwingend folgt, weshalb ich es für angebracht halte, einige Überlegungen darzulegen, die zu einem besseren Verständnis der erörterten Fragen beitragen.

49.

Erstens führt der Oberste Gerichtshof aus, dass nach der österreichischen Zivilprozessordnung „ein Gericht im Verletzungsprozess den Einwand der Nichtigkeit einer nationalen Marke auch dann (vorfrageweise) prüfen [würde], wenn der Beklagte keinen entsprechenden Löschungsantrag beim [Österreichischen] Patentamt erhoben hätte (Widerklagen sind bei nationalen Marken nicht vorgesehen)“. ( 16 ) Allerdings weist dieses Gericht darauf hin, dass es sich bei Unionsmarken anders verhalte.

50.

Zweitens ist festzustellen, dass, wenn unter einer Widerklage grundsätzlich eine Gegenklage zu verstehen ist, die der Beklagte in einem vom Kläger gegen ihn betriebenen Prozess vor demselben Gericht erhebt ( 17 ), Frau Aigner aus formaler Sicht keinen Fehler beging, indem sie in dem Rechtsstreit eine Widerklage erhob, da sie dies beim zuständigen Unionsmarkengericht in Österreich tat ( 18 ).

51.

Drittens ist, aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, zu berücksichtigen, dass das vorlegende Gericht bei seinen Fragen von der Prämisse ausgeht, dass die Klage wegen Verletzung der Marke im vorliegenden Fall nicht aus anderen Gründen als der Bösgläubigkeit dessen, der die Marke angemeldet hat, abgewiesen werden kann (wie das Fehlen einer Verwechslungsgefahr zwischen den Waren der Verfahrensparteien). Es geht davon aus, dass es bei Vorliegen solcher anderen Umstände nicht zwingend erforderlich wäre, über die Widerklage vorab zu entscheiden.

B. Zur ersten Vorlagefrage

52.

Ist es nach Art. 99 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 zulässig, eine Klage wegen Verletzung einer Marke aufgrund der Bösgläubigkeit des Markenanmelders abzuweisen, wenn der Beklagte (gerade gestützt auf diese Bösgläubigkeit) seinerseits eine Widerklage erhoben hat, mit der er die Nichtigerklärung der Marke begehrt, und über diese Widerklage noch nicht entschieden worden ist? Dies ist, kurz gefasst, die Ausgangsfrage des vorlegenden Gerichts.

53.

Ich denke, dass es stark vereinfachend wäre, würde man bei der Beantwortung allein auf den Wortlaut von Art. 99 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 abstellen. In Ermangelung anderer Anhaltspunkte in der Rechtsprechung (da diese Vorschrift meines Wissens bisher noch keine Auslegung durch den Gerichtshof erfahren hat), ist bei der Beantwortung von zwei Aspekten auszugehen, die der auszulegenden Vorschrift und anderen Vorschriften desselben normativen Kontexts zugrunde liegen.

54.

Der erste Aspekt ist der einheitliche Charakter der Unionsmarke, dessen Bedeutung nicht außer Acht gelassen werden darf. Laut ihrem dritten Erwägungsgrund soll mit der Verordnung Nr. 207/2009 ein Markensystem der Union geschaffen werden, das für die Unionsmarken einen einheitlichen Schutz bietet, so dass sie im gesamten Gebiet der Union wirksam sind.

55.

Dieses Ziel zeigt sich in Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009, wonach die Unionsmarke einheitlich ist, einheitliche Wirkung für die gesamte Union hat und nur für dieses gesamte Gebiet eingetragen oder übertragen werden oder Gegenstand eines Verzichts oder einer Entscheidung über den Verfall der Rechte des Inhabers oder die Nichtigkeit sein kann, und ihre Benutzung nur für die gesamte Union untersagt werden kann ( 19 ).

56.

Die Erwägungsgründe 16 und 17 der genannten Verordnung weisen auf den einheitlichen Charakter des gewerblichen Schutzrechts der Union hin. Danach müssen sich zum einen die Wirkungen der Entscheidungen über die Gültigkeit und die Verletzung der Unionsmarke auf das gesamte Gebiet der Union erstrecken, damit widersprüchliche Entscheidungen der Gerichte und des Amtes, die den einheitlichen Charakter dieser Marken beeinträchtigen würden, vermieden werden. Zum anderen wird darin auf die Notwendigkeit hingewiesen, zu vermeiden, dass sich in Rechtsstreitigkeiten über denselben Tatbestand zwischen denselben Parteien voneinander abweichende Gerichtsurteile aus einer Unionsmarke und aus parallelen nationalen Marken ergeben ( 20 ).

57.

Der zweite relevante Aspekt ist die Vermutung der Rechtsgültigkeit, die für Unionsmarken aufgrund der vom EUIPO im Rahmen der Prüfung einer Anmeldung durchgeführten Kontrolle gilt. Die Wahrung des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit bedeutet, die volle Wirksamkeit dieser Marken (da deren Eintragung einen Rechtsakt einer Einrichtung der Union darstellt) insoweit anzuerkennen, als diese nicht durch einen anderslautenden, rechtskräftig gewordenen Rechtsakt einer zuständigen Stelle für ungültig erklärt worden sind ( 21 ).

58.

Diese Vermutung ist außerdem in Art. 99 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 normiert, der von allen Betroffenen, einschließlich der nationalen Gerichte, verlangt, grundsätzlich von der Rechtsgültigkeit der Unionsmarken auszugehen.

59.

Die Mechanismen zur Anfechtung dieser Rechtsgültigkeit, von denen es lediglich zwei gibt, finden sich in Art. 52 Abs. 1 der genannten Verordnung: a) das Verwaltungsverfahren vor dem EUIPO auf Antrag eines Beteiligten ( 22 ) und b) die Widerklage gegen eine Klage wegen Verletzung der Marke, d. h. der gerichtliche Weg vor die nationalen Unionsmarkengerichte.

60.

Aus diesen Vorschriften zusammen ergibt sich, dass es den Unionsmarkengerichten untersagt ist, die Nichtigkeit einer Marke von Amts wegen zu prüfen, und dass es bei den bei ihnen anhängig gemachten Rechtsstreitigkeiten Sache des Beklagten ist, mit der Widerklage um Nichtigerklärung ( 23 ) der Marke zu ersuchen, deren Verletzung im Rahmen des Hauptverfahrens geltend gemacht wird ( 24 ).

61.

Nach Art. 99 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 ist es jedoch zulässig, dass der Beklagte in einem Markenverletzungsverfahren ( 25 ) den Einwand der Nichtigkeit geltend macht, ohne eine Widerklage erheben zu müssen, allerdings nur, wenn er sich auf ein eigenes älteres Recht an dem streitigen Zeichen beruft ( 26 ). Dies ist hier nicht der Fall.

62.

Aus Art. 52 Abs. 1 und Art. 53 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 99 Abs. 1 und 3 und Art. 100 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 ergibt sich, dass die Nichtigerklärung einer Unionsmarke auf gerichtlichem Weg nur mittels einer Widerklage begehrt werden kann. Sie muss auf einen oder mehrere der in den genannten Art. 52 („Absolute Nichtigkeitsgründe“) und 53 („Relative Nichtigkeitsgründe“) dieser Verordnung angeführten Gründe gestützt werden. Die einzige, in Art. 99 Abs. 3 der Verordnung enthaltene Ausnahme von dieser Regel, die ich bereits angesprochen habe, ist vorliegend nicht anwendbar.

63.

Diese Wahl des Unionsgesetzgebers steht mit dem einheitlichen Charakter der Marke und mit dem Zweck in Einklang, dass bezüglich ein und desselben Unterscheidungszeichens, das in das Register des EUIPO eingetragen worden ist, keine widersprüchlichen Entscheidungen ergehen.

64.

Die in Verfahren wegen Verletzung von Unionsmarken ergangenen Entscheidungen wirken inter partes, so dass, nachdem sie unanfechtbar geworden sind, die Rechtskraft nur diejenigen bindet, die an dem entsprechenden Verfahren beteiligt waren. Hingegen wirken die Entscheidungen, mit denen die Marke für nichtig erklärt wird, wenn der Widerklage stattgegeben wird, erga omnes. Das EUIPO hat daher nach Art. 100 Abs. 6 der Verordnung Nr. 207/2009 „einen Hinweis auf die Entscheidung“ des Gerichts (über die Nichtigerklärung) im Register einzutragen, die rückwirkend, d. h. ex tunc, gilt. ( 27 )

65.

Ließe man zu, dass jeder, gegen den eine Klage wegen Verletzung einer Marke erhoben wurde, ohne Weiteres als Einrede Gründe für die (absolute oder relative) Nichtigkeit dieser Marke geltend machen könnte, bestünde die Gefahr, dass ähnliche Klagen, die der Rechteinhaber bei verschiedenen Gerichten erhebt, in manchen Fällen zur Nichtigerklärung der Marke und in anderen Fällen zur gegenteiligen Entscheidung führen. Es ist zu berücksichtigen, dass nach Art. 97 Abs. 5 der Verordnung Nr. 207/2009 dem Inhaber für die Erhebung der Verletzungsklage die Möglichkeit des forum delicti commissi als Alternative zum Wohnsitz des Beklagten zur Verfügung steht ( 28 ).

66.

Es war somit der Wille des Unionsgesetzgebers, dass die Gültigkeit dieser Art von Marken vor einem nationalen Gericht nur im Wege der Widerklage angefochten werden kann. Er hat zugleich einen Sicherheitsmechanismus geschaffen, um einer möglichen Mehrzahl von Klagen, sowohl Verletzungs- als auch Widerklagen, zu begegnen: die Aussetzung des Verfahrens gemäß Art. 104 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009.

67.

Vor diesem Hintergrund kann der von Frau Aigner vorgeschlagenen Auslegung des Art. 99 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 nicht gefolgt werden. Ihrer Ansicht nach kann der Einrede der Nichtigkeit der Marke in einem Verletzungsprozess stattgegeben werden, sobald die Widerklage erhoben wurde (auch wenn darüber noch nicht entschieden worden ist).

68.

Diese Lösung ist, wie auch das vorlegende Gericht ausführt, mit dem Zweck der Vorschrift nicht vereinbar. Es wäre nicht nachvollziehbar, weshalb der Unionsgesetzgeber für den Fall der Rechtshängigkeit bei zwei Markengerichten die Aussetzung des Verfahrens als Maßnahme zur Vermeidung unterschiedlicher Entscheidungen über denselben Gegenstand vorschreiben sollte, diese Verpflichtung aber nicht auferlegen sollte, wenn die Verletzungsklage und die Widerklage beim selben Unionsmarkengericht anhängig sind (auch wenn dieses durch zwei verschiedene Spruchkörper handelt).

69.

Zwar kann jeder Mitgliedstaat aufgrund seiner Verfahrensautonomie ( 29 ) über die Organisation seiner Unionsmarkengerichte bestimmen und deren Verfahrensregeln festlegen, ohne dass dies die Wahrung der in der Verordnung Nr. 207/2009 enthaltenen Verfahrensregeln beeinträchtigen würde. Jedoch darf die Regelung der Zuständigkeit (ebenso wenig wie die Regelung der Verteilung der Rechtssachen innerhalb eines aus mehreren Spruchkörpern bestehenden Gerichts) der nationalen Unionsmarkengerichte nicht dem Zweck abträglich sein, zu vermeiden, dass über ein und dieselbe Marke widersprüchliche Entscheidungen ergehen.

70.

Das System der gerichtlichen Anfechtung von Unionsmarken unterscheidet zwischen Einreden und Widerklagen. Der Beklagte kann den Einwand der Nichtigkeit in einem Verletzungsverfahren nur geltend machen, wenn er selbst ein älteres Recht an diesem Zeichen innehat (bereits genannter Art. 99 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009) ( 30 ).

71.

In allen anderen Fällen hat derjenige, gegen den eine Klage wegen Verletzung einer Unionsmarke erhoben worden ist, und der die Nichtigkeit dieser Marke behauptet, den Weg der Widerklage zu beschreiten. Der so geltend gemachte Anspruch auf Nichtigerklärung wird gegenüber der eigentlichen Verletzungsklage zwingend präjudiziell, da die Vermutung der Rechtsgültigkeit der Marke in Frage gestellt wird. Vor der Prüfung, ob die mit der Marke verbundenen Rechte verletzt worden sind, ist als unabdingbare Vorfrage zu klären, ob dieses Unterscheidungszeichen weiterhin Rechtsgültigkeit besitzt, was der Beklagte mit seiner Widerklage gerade in Frage stellt.

72.

Es würde der Verfahrenslogik entbehren, die Verletzungsklage (abgesehen von dem Fall, auf den das vorlegende Gericht Bezug nimmt) abzuweisen, ohne die mit der Widerklage vorgebrachten Zweifel hinsichtlich der Nichtigkeit der Marke ausgeräumt zu haben. Dieser Logikmangel stellt sich sowohl dann ein, wenn die Rechtsstreitigkeiten bei verschiedenen Unionsmarkengerichten anhängig sind, als auch dann, wenn sie vor einem einzigen Unionsmarkengericht (in diesem Fall dem Handelsgericht Wien) anhängig sind und dieses durch Spruchkörper handelt, die getrennt über diese Verfahren befinden.

73.

Auf die erste Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass Art. 99 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen ist, dass, wenn eine Widerklage erhoben wurde, mit der die Nichtigerklärung einer Unionsmarke mit der Begründung begehrt wird, der Inhaber dieser Marke sei bei deren Anmeldung bösgläubig gewesen, das für die Hauptklage wegen Verletzung dieser Marke zuständige Gericht diesem als Einrede geltend gemachten Nichtigkeitsgrund nicht stattgeben darf, bevor über die Widerklage entschieden worden ist.

C. Zur zweiten Vorlagefrage

74.

Die zweite Vorlagefrage hat der Oberste Gerichtshof für den Fall gestellt, dass die erste Frage, wie von mir vorgeschlagen, verneint wird.

75.

Den Zweifeln des vorlegenden Gerichts liegt hier die Prämisse zugrunde, dass das Unionsmarkengericht unter den bereits dargelegten Umständen die Entscheidung über die Widerklage abwarten muss, bevor es über die Frage der Verletzung der Marke entscheiden kann. Dabei stellt sich die Frage, ob insoweit die Verkündung dieser Entscheidung genügt oder ob diese auch Rechtskraft erlangt haben muss.

76.

Wird über die Widerklage zugunsten des Beklagten entschieden (wird also das Unterscheidungszeichen für nichtig erklärt), so kann das Markengericht entsprechend seinem nationalen Recht ( 31 ) die Verletzungsklage entweder abweisen oder sie für gegenstandslos erklären, da es unmöglich ist, eine Marke zu verletzen, die ex tunc den Registerschutz verloren hat.

77.

Indem das zuständige Gericht die Entscheidung im Verletzungsverfahren von der vorherigen Entscheidung über die Widerklage abhängig macht, erfüllt es den Zweck, widersprüchliche Entscheidungen, die die Einheitlichkeit der Unionsmarke gefährden könnten, zu vermeiden.

78.

Der Oberste Gerichtshof befürchtet gleichwohl, dass das prozessuale Verhalten der Parteien in Verletzungs- und Widerklageverfahren erneut die durch die mit den in engem zeitlichen Zusammenhang stehenden Urteilen erreichte Kohärenz untergraben könnte, indem beispielsweise nur gegen eines der Urteile bei einem höherinstanzlichen Gericht ein Rechtsmittel eingelegt wird ( 32 ).

79.

Vor diesem Hintergrund fragt sich das vorlegende Gericht, ob – gerade um einen möglichen Widerspruch auszuschließen – vom ersten Gericht verlangt werden müsse, den die Verletzung der Marke betreffenden Rechtsstreit so lange nicht zu entscheiden, bis die Entscheidung, mit der der Widerklage stattgegeben wurde, rechtskräftig geworden ist.

80.

Meiner Ansicht nach enthält die Verordnung Nr. 207/2009 keine eindeutige Regelung, nach der das zuständige Gericht die Rechtskraft der Entscheidung, mit der der Widerklage stattgegeben wurde, abwarten müsste. Ebenso wenig enthält sie eine Regelung, die dem entgegenstünde.

81.

Von den Vorschriften der Verordnung Nr. 207/2009, die ausdrücklich auf die Wirkung der „Rechtskraft“ der gerichtlichen Entscheidung ( 33 ) Bezug nehmen, knüpft Art. 56 Abs. 3 diese daran, dass das Gericht eines Mitgliedstaats über einen Antrag wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien bereits entschieden hat, und dass diese Entscheidung endgültig ist (d. h. unwiderruflich und nicht mehr mit einem Rechtsmittel anfechtbar) ( 34 ).

82.

Diese Vorschriften bieten jedoch keine Klärung hinsichtlich der Frage, welches Schicksal die in den jeweiligen Rechtsstreitigkeiten ergangenen gerichtlichen Entscheidungen haben, solange sie diese Endgültigkeit nicht erlangt haben. Dieses Fehlen einer Regelung erklärt sich möglicherweise damit, dass sich die Verordnung Nr. 207/2009 mit der Endgültigkeit der Entscheidungen unter dem Blickwinkel der Kohärenz der Entscheidungen des Amtes und der Entscheidungen der nationalen Unionsmarkengerichte befasst. Auf diesen Aspekt ist kurz näher einzugehen.

83.

Im Unterschied zum Verfahren für die Eintragung von Unionsmarken, das in der Systematik der Verordnung Nr. 207/2009 als ausschließliche Aufgabe des EUIPO ausgestaltet ist, die jeglicher Entscheidung nationaler Gerichte entzogen ist ( 35 ), ist die Zuständigkeit für die Nichtigerklärung einer Unionsmarke gleichermaßen den nationalen Unionsmarkengerichten und dem Amt zugewiesen.

84.

Allerdings muss diese Zuständigkeit in alternativer und ausschließender Weise wahrgenommen werden, d. h., nur die Stelle, die als erste mit dem Rechtsstreit befasst wird ( 36 ) (sei es das Unionsmarkengericht, bei dem eine Widerklage erhoben wurde, oder das EUIPO, bei dem ein Antrag auf Nichtigerklärung gestellt wurde), kann über die Gültigkeit des gewerblichen Schutzrechts entscheiden. Um widersprüchliche Entscheidungen zu vermeiden, muss die andere Stelle nach Art. 104 der Verordnung Nr. 207/2009 ihr Verfahren aussetzen, bis im ersten Verfahren eine Entscheidung ergangen ist.

85.

Diese Verfahrensaussetzung ( 37 ) und die Pflicht (Art. 100 Abs. 6 der genannten Verordnung) des nationalen Unionsmarkengerichts, dem EUIPO sein Urteil mitzuteilen, wenn die Entscheidung über die Erklärung der Nichtigkeit einer dieser Marken im Wege der Widerklage rechtskräftig geworden ist, stellen die Mechanismen dar, mit denen der Gesetzgeber die Kohärenz der Entscheidungen über die Nichtigkeit und die Übereinstimmung des Unionsmarkenregisters mit der tatsächlichen Situation der dort eingetragenen Zeichen gewährleisten will.

86.

Hat ein und dasselbe Gericht zu verschiedenen Zeitpunkten über die Klage wegen Verletzung der Marke und die Widerklage zu entscheiden, mit der begehrt wird, dieses Unterscheidungszeichen für nichtig zu erklären, so wird die Kohärenz mit seiner eigenen Entscheidung über die Widerklage eine damit in Widerspruch stehende Entscheidung bezüglich der Verletzung vermeiden. Jedoch sehe ich keine Grundlage dafür, von diesem Gericht im Licht der Verordnung Nr. 207/2009 zu verlangen, dass es das (zweite) Verfahren aussetzt, um etwaigen Wendungen, die der Rechtsstreit in höheren Instanzen nehmen könnte, Rechnung zu tragen.

87.

Die Verpflichtung des Unionsmarkengerichts, auf die ich bei der Prüfung der ersten Vorlagefrage Bezug genommen habe, muss dieses veranlassen, das Ergebnis der Widerklage abzuwarten, um (zugleich oder danach, je nachdem, was die nationalen Verfahrensvorschriften gestatten) über die Verletzungsklage zu entscheiden. Ich glaube nicht, dass diese Verpflichtung, wenn die Entscheidung über die Widerklage ergangen ist, zwingend durch die Verfahrensstrategien der Parteien bedingt sein muss, die mehr oder weniger von den Erfolgsaussichten hinsichtlich späterer Rechtsmittel abhängen.

88.

Ich teile die Auffassung des Obersten Gerichtshofs, dass eine Verknüpfung der Entscheidung im Verletzungsverfahren mit dem Verhalten der Parteien hinsichtlich späterer Rechtsmittel gegen die Entscheidung, mit der der Widerklage stattgegeben wird, das Verletzungsverfahren aller Wahrscheinlichkeit nach erheblich verzögern würde. Das Ziel, voneinander abweichende Urteile über ein und dieselbe Marke zu vermeiden, ist bereits erfüllt, wenn der Entscheidung über die Widerklage Vorrang eingeräumt und gemäß dieser Entscheidung über die Verletzungsklage entschieden wird.

89.

Da sich in beiden Verfahren dieselben Parteien gegenüberstehen, wenn auch mit umgekehrten Verfahrensrollen, verfügen diese Parteien über dieselben Verteidigungsmittel und müssen die Konsequenzen ihrer Handlungen tragen. Zwar kann jede dieser Parteien mit anschließenden Rechtsmitteln den Eintritt der Rechtskraft der erstinstanzlichen Entscheidungen verzögern, jedoch darf diese Möglichkeit nicht mehr Gewicht haben als die dem Gericht, das den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden hat, obliegende Verpflichtung.

90.

Allerdings möchte ich klarstellen, dass die Verordnung Nr. 207/2009 von dem Gericht, das über die Verletzungsklage befindet, zwar nicht verlangt, die Endgültigkeit der Entscheidung über die Widerklage abzuwarten, ich aber ebenso wenig irgendeine Vorschrift in dieser Verordnung sehe, die einer entsprechenden Vertagung entgegenstünde. Die Verfahrensvorschriften der Mitgliedstaaten – in der Auslegung durch deren oberste Gerichte – können die eine wie die andere Möglichkeit vorsehen, da das Unionsrecht hierzu keine Vorschriften enthält.

91.

Es kann der Fall eintreten, dass die Entscheidung über die Widerklage nicht angefochten wird, so dass es dem Gericht, das diese Entscheidung erlassen hat, obliegt, das EUIPO über seine rechtskräftige Entscheidung zu informieren. Da die Rechtsmittelfrist nicht übermäßig lang sein wird, sehe ich kein Problem darin, dass das nationale Gericht, bevor es über die Verletzungsklage entscheidet, die Endgültigkeit der Entscheidung über die Widerklage abwartet. Wird diese Entscheidung hingegen angefochten, müssten die Besonderheiten des Verletzungsverfahrens ( 38 ) gegen die Frage abgewogen werden, ob es sachgemäß ist, dieses Verfahren bis zur Endgültigkeit der Entscheidung über die Widerklage auszusetzen.

92.

In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen ist die zweite Vorlagefrage meines Erachtens dahin zu beantworten, dass das Unionsmarkengericht die Markenverletzungsklage aufgrund der Bösgläubigkeit des Markenanmelders abweisen kann, wenn es zumindest zugleich der Widerklage stattgibt, mit der die Nichtigerklärung dieser Marke aus ebendiesem Grund begehrt wird. Das Unionsrecht verpflichtet das Unionsmarkengericht nicht, mit der Entscheidung über die Verletzungsklage bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Widerklage zuzuwarten, steht dem aber auch nicht entgegen.

V. Ergebnis

93.

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Obersten Gerichtshof (Österreich) vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.

Art. 99 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke ist dahin auszulegen, dass, wenn eine Widerklage erhoben wurde, mit der die Nichtigerklärung einer Unionsmarke mit der Begründung begehrt wird, der Inhaber dieser Marke sei bei deren Anmeldung bösgläubig gewesen, das Gericht, das über die Hauptklage wegen Verletzung dieser Marke entscheidet, diesem als Einrede geltend gemachten Nichtigkeitsgrund nicht stattgeben darf, bevor über die Widerklage entschieden worden ist.

2.

Das Unionsmarkengericht kann die Markenverletzungsklage aufgrund der Bösgläubigkeit des Markenanmelders abweisen, wenn es zumindest zugleich der Widerklage stattgibt, mit der die Nichtigerklärung dieser Marke aus ebendiesem Grund begehrt wird. Das Unionsrecht verpflichtet das Unionsmarkengericht nicht, mit der Entscheidung über die Verletzungsklage bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Widerklage zuzuwarten, steht dem aber auch nicht entgegen.


( 1 ) Originalsprache: Spanisch.

( 2 ) Im Folgenden auch: Amt.

( 3 ) Ich verwende den Begriff der Einrede hier und im Folgenden im prozessualen Sinn entsprechend der römisch-rechtlichen exceptio, mit der der Beklagte der actio des Klägers entgegentrat.

( 4 ) Nach Angaben von Herrn Raimund.

( 5 ) Verordnung des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1). Diese Verordnung wurde geändert durch die Verordnung (EU) 2015/2424 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates über die Gemeinschaftsmarke und der Verordnung (EG) Nr. 2868/95 der Kommission zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2869/95 der Kommission über die an das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) zu entrichtenden Gebühren (ABl. 2015, L 341, S. 21, im Folgenden: Verordnung 2015/2424). Die Verordnung 2015/2424 ist jedoch – unbeschadet ihres Nutzens für die Auslegung – in zeitlicher Hinsicht auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht anwendbar.

( 6 ) Buchst. c dieser Vorschrift bezieht sich auf die Entschädigungsklage nach Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009, die für den vorliegenden Rechtsstreit nicht relevant ist.

( 7 ) Der Sachverhalt ergibt sich aus der Vorlageentscheidung und aus den Akten. Es ist naturgemäß Sache des nationalen Gerichts, den Sachverhalt, den es für hinreichend erwiesen erachtet, verbindlich anzugeben.

( 8 ) Die Mischung dieser Zubereitung mit dieser Art alkoholischer Getränke verursacht ein Wärmegefühl im Bauch, wovon sich die Bezeichnung „Baucherlwärmer“ ableitet.

( 9 ) Abkommen von Nizza vom 15. Juni 1957 über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken in revidierter und geänderter Fassung.

( 10 ) Obgleich sich die Vorlageentscheidung auf den Beseitigungsanspruch bezieht, geht aus den Dokumenten in den vom Obersten Gerichtshof übersandten Verfahrensunterlagen, insbesondere aus dem vor diesem Gericht angefochtenen Urteil, hervor, dass Herr Raimund auch einen Anspruch auf Vernichtung geltend gemacht hat.

( 11 ) Aus den vom vorlegenden Gericht übersandten Verfahrensunterlagen scheint hervorzugehen, dass die Klage wegen Verletzung der Marke und die Widerklage auf verschiedene Spruchkörper des Handelsgerichts Wien aufgeteilt sind. Dies rührt möglicherweise von dem zeitlichen Abstand von zwei Jahren zwischen der Verletzungsklage und der Widerklage, auf den Herr Raimund in seinem Schriftsatz hinweist. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass die jeweiligen Rechtssachen verbunden wurden.

( 12 ) Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass nach österreichischem Markenrecht die Nichtigerklärung nationaler Marken mit Wirkung erga omnes in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentamts fällt.

( 13 ) Hervorhebung im Original.

( 14 ) Das vorlegende Gericht führt eine Reihe von Konstellationen an, bei denen nach Nichtigerklärung der Marke aufgrund einer Widerklage und Abweisung der Verletzungsklage die anschließenden Rechtsmittel (das, das der Kläger ausschließlich gegen das Urteil, mit dem der Widerklage stattgegeben wurde, einlegt, oder das, das der Beklagte gegen nur eines von beiden einlegt), wenn sie Erfolg haben, zu miteinander nicht zu vereinbarenden gerichtlichen Entscheidungen führen.

( 15 ) Die Widerklage ist nichts anderes als eine eigenständige Klage, die der Beklagte jedoch im selben Prozess gegen den Kläger erhebt – wobei er sich dessen Klage zu Nutze macht –, wenn zwischen beiden Klagen bestimmte Anknüpfungspunkte bestehen und das Gericht zuständig ist, um über beide Klagen in einem einzigen Urteil zu entscheiden. In einem konkreten Rechtsstreit kann der Beklagte sich entweder verteidigen (d. h. Einreden gegen die Klage des Klägers geltend machen) oder im Wege der Widerklage einen Gegenangriff starten (d. h. eigene Anträge auf Verurteilung des Klägers stellen). Zwar sind in einigen Rechtsordnungen „Einreden mit Widerklagewirkung“ bzw. implizite Widerklagen (beispielsweise betreffend die Aufrechnung von Forderungen oder die Nichtigkeit bestimmter Rechtsgeschäfte) zulässig, jedoch ist auf diese im Zusammenhang mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen nicht näher einzugehen.

( 16 ) Abschnitt 3.2 der Vorlageentscheidung. Mir ist nicht bekannt, ob dieser Umstand mit der Verzögerung in Zusammenhang gebracht werden kann, mit der Frau Aigner die Widerklage erhoben hat und mit der sie die Bösgläubigkeit als rechtsvernichtende Einrede in Erwiderung auf die Klage von Herrn Raimund geltend gemacht hat.

( 17 ) Als Zwecke der Widerklage sind grundsätzlich die Prozessökonomie und die Vermeidung widersprechender Urteile anerkannt. Vgl. Okońska, A., Die Widerklage im Zivilprozessrecht der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten, Mohr Siebeck, Tübingen, 2015, S. 269 und 270.

( 18 ) Es ist unklar, weshalb dieses Gericht die beiden Verfahren nicht zu gemeinsamer Entscheidung verbunden hat. Es scheint nämlich nicht der allgemeinen Praxis zu entsprechen, die Widerklage einem anderen Spruchkörper zuzuweisen: In dem Rechtsstreit, der dem Urteil vom 11. Juni 2009, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli (C‑529/07, EU:C:2009:361, Rn. 3 und 4), zugrunde lag, war derselbe Spruchkörper des Handelsgerichts Wien als erstinstanzliches Unionsmarkengericht sowohl mit der Klage wegen Verletzung der Unionsmarke als auch mit der Widerklage befasst.

( 19 ) Urteil vom 12. April 2011, DHL Express France (C‑235/09, EU:C:2011:238, Rn. 40 und 41).

( 20 ) Ebd., Rn. 42.

( 21 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Februar 1979, Granaria (101/78, EU:C:1979:38, Rn. 5), und vom 28. Januar 2016, Éditions Odile Jacob/Kommission (C‑514/14 P, EU:C:2016:55, Rn. 40).

( 22 ) Die Entscheidung des Amtes, mit der dem Antrag auf Nichtigerklärung stattgegeben wird oder dieser zurückgewiesen wird, kann bei dessen Beschwerdekammern angefochten werden; deren Entscheidung wiederum kann vor dem Gericht angefochten werden, dessen Urteile dem Rechtsmittel vor dem Gerichtshof zugänglich sind. Die Nichtigerklärung im eigentlichen Sinne erfolgt gleichwohl im Verwaltungsweg, da sich die spätere gerichtliche Nachprüfung (der Union) auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Nichtigerklärung beschränkt. Von einer gerichtlichen Nichtigerklärung ist nur dann auszugehen, wenn gegen die Ablehnung eines Antrags auf Nichtigerklärung vorgegangen wird und der Anspruch von einem der Unionsgerichte bejaht wird.

( 23 ) Der Beklagte kann auch den Einwand des Verfalls der Marke als mögliche Grundlage für seine Widerklage geltend machen. Auf diesen Fall, der mit dem Gegenstand des Rechtsstreits nichts zu tun hat, werde ich nicht eingehen.

( 24 ) Im Verwaltungsweg hat das EUIPO ebenso wenig eine Möglichkeit, die Nichtigkeit von Amts wegen zu prüfen. Nach Art. 56 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 liegt es bei den Wirtschaftsteilnehmern, die mit den Markeninhabern in Wettbewerb stehen, für die Reinigung des Registers zu sorgen, während das Amt sich absolut neutral verhalten muss. Vgl. hierzu Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache Silberquelle (C‑495/07, EU:C:2008:633, Nr. 46). Zwar ging es dort um den Verfall, jedoch ist diese Überlegung auf die Frage der Nichtigkeit übertragbar.

( 25 ) Direkter Verweis auf Art. 96 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009.

( 26 ) Diese Möglichkeit wurde durch die mit der Verordnung 2015/2424 eingeführte Reform beseitigt, da sie Zweifel an ihrer Vereinbarkeit mit dem Prioritätsgrundsatz hervorrief, weil sie vom Inhaber eines älteren Rechts verlangte, die Ungültigerklärung des jüngeren Zeichens zu erreichen, um sich erfolgreich gegen dieses zur Wehr zu setzen. Die Neufassung von Art. 9 der Verordnung Nr. 207/2009 sollte diese Zweifel ausräumen. Vgl. Max Planck Institute for Intellectual Property and Competition Law, Study on the Overall Functioning of the European Trade Mark System, München, 2011, S. 108.

( 27 ) Nach Art. 55 Abs. 2 dieser Verordnung und vorbehaltlich der Wahrung der in Abs. 3 dieser Vorschrift angeführten gesicherten Rechtspositionen.

( 28 ) In diesen Fällen reduziert Art. 98 Abs. 2 die Zuständigkeit der Unionsmarkengerichte auf die Handlungen, die im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats begangen wurden, in dem diese Gerichte ihren Sitz haben. Dies entspricht zwar nicht gerade dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Unionsmarke, jedoch geht es darum, das stets unerwünschte „forum shopping“ zu vermeiden. Vgl. Sosnitza, O., „Der Grundsatz der Einheitlichkeit im Verletzungsverfahren der Gemeinschaftsmarke – Zugleich Besprechung von EuGH, Urt. v. 12.4.2011 – C‑235/09 – DHL/Chronopost“, GRUR, 2011, S. 468.

( 29 ) Vgl. u. a. Urteile vom 11. September 2003, Safalero (C‑13/01, EU:C:2003:447, Rn. 49), vom 2. Oktober 2003, Weber’s Wine World u. a. (C‑147/01, EU:C:2003:533, Rn. 103), vom 7. Januar 2004, Wells (C‑201/02, EU:C:2004:12, Rn. 67), und vom 13. März 2007, Unibet (C‑432/05, EU:C:2007:163, Rn. 43).

( 30 ) Dieses Ergebnis wird gestützt durch Huet, A., „La marque communautaire: la compétence des juridictions des États membres pour connaître de sa validité et de sa contrefaçon (Règlement [CE] n.o 40/94 du Conseil, du 20 décembre 1993)“, Journal du Droit International, Nr. 3, 1994, S. 630, und Gallego Sánchez, F., „Artículo 96 – Demanda de reconvención“, in Casado Cerviño, A., und Llobregat Hurtado, M. L. (Hrsg.), Comentarios a los reglamentos sobre la marca comunitaria, La Ley, Madrid, 2000, S. 874.

( 31 ) Nach Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 „unterliegt die Verletzung einer [Unions]marke dem für die Verletzung nationaler Marken geltenden Recht gemäß den Bestimmungen des Titels X“.

( 32 ) Zu den Einzelheiten vgl. Fn. 14 der vorliegenden Schlussanträge.

( 33 ) Art. 55 Abs. 3 Buchst. a, Art. 56 Abs. 3, Art. 84 Abs. 3, Art. 100 Abs. 6 und Art. 112 Abs. 6.

( 34 ) Art. 100 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 erstreckt diese Wirkung (wegen der verwaltungsrechtlichen Natur der Einrichtung allerdings ohne von „Rechtskraft“ zu sprechen) auf „unanfechtbar gewordene“ Entscheidungen des EUIPO „über einen Antrag wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien“.

( 35 ) Urteil vom 21. Juli 2016, Apple and Pear Australia und Star Fruits Diffusion/EUIPO (Pink Lady) (C‑226/15 P, EU:C:2016:582, Rn. 50).

( 36 ) Mit Ausnahme der nach Art. 100 Abs. 7 der Verordnung Nr. 207/2009 vorgesehenen Möglichkeit, dass das nationale Markengericht das Widerklageverfahren aussetzt und die Entscheidung über die Nichtigerklärung auf Antrag einer der Parteien dem EUIPO überträgt.

( 37 ) Die Neufassung von Art. 100 Abs. 4 der Verordnung Nr. 207/2009 durch die Verordnung 2015/2424 verpflichtet das Unionsmarkengericht, bei dem eine Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit erhoben wurde, das Verfahren gemäß Art. 104 Abs. 1 so lange auszusetzen, bis abschließend vom EUIPO über den Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit entschieden wurde.

( 38 ) Zum Vergleich sei darauf hingewiesen, dass die Pflicht zur Aussetzung nach Art. 104 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 nicht absolut gilt, da sie voraussetzt, dass keine besonderen Gründe für die Fortsetzung des Verfahrens bestehen.

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