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Document 62016CC0253

    Schlussanträge des Generalanwalts N. Wahl vom 21. Dezember 2016.
    FlibTravel International SA und Léonard Travel International SA gegen AAL Renting SA u. a.
    Vorabentscheidungsersuchen der Cour d'appel de Bruxelles.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 96 AEUV – Anwendbarkeit – Nationale Regelung, die es Taxidiensten untersagt, individuelle Sitzplätze zur Verfügung zu stellen – Nationale Regelung, die es Taxidiensten untersagt, ihr Fahrtziel im Voraus festzulegen – Nationale Regelung, die es Taxidiensten untersagt, Kunden anzusprechen.
    Rechtssache C-253/16.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2016:1005

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    NILS WAHL

    vom 21. Dezember 2016 ( 1 )

    Rechtssache C‑253/16

    FlibTravel International SA,

    Léonard Travel International SA

    gegen

    AAL Renting SA,

    Haroune Tax SPRL,

    Saratax SCS,

    Ryad SCRI,

    Taxis Bachir & Cie SCS

    u. a.

    (Vorabentscheidungsersuchen der Cour d’appel de Bruxelles [Berufungsgericht Brüssel, Belgien])

    „Art. 96 Abs. 1 AEUV — Anwendungsbereich — Nationale Rechtsvorschriften betreffend die Bedingungen für die Erbringung von Taxidienstleistungen — Vermietung von Fahrzeugen mit Fahrer — Verbot der Gruppierung von Kunden — Verbot des Ansprechens von Kunden — Verbot, Kunden individuelle Sitzplätze zur Verfügung zu stellen — Verbot der Vorbestimmung des Fahrtziels“

    1. 

    Dieses Vorabentscheidungsersuchen betrifft eine der wohl weniger bekannten Bestimmungen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Gegenstand ist der Anwendungsbereich von Art. 96 Abs. 1 AEUV. Diese Bestimmung verbietet den Mitgliedstaaten, im Verkehr innerhalb der Europäischen Union Frachten und Beförderungsbedingungen aufzuerlegen, die in irgendeiner Weise der Unterstützung oder dem Schutz eines oder mehrerer bestimmter Unternehmen oder Industrien dienen, es sei denn, dass die Kommission die Genehmigung hierzu erteilt. Der Gerichtshof hat sich im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren bisher noch nicht zur Auslegung dieser Bestimmung geäußert.

    2. 

    Angesichts der relativen Unklarheit von Art. 96 Abs. 1 AEUV und der Unsicherheit über seinen Anwendungsbereich möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob diese Bestimmung auf nationale Rechtsvorschriften anwendbar ist, die die Bedingungen regeln, unter denen Taxidienstleistungen im Brüsseler Hauptstadtgebiet anzubieten sind.

    3. 

    Im Folgenden werde ich darlegen, warum Art. 96 Abs. 1 AEUV nicht auf Sachverhalte anwendbar ist, wie sie dem vorliegenden Ausgangsverfahren zugrunde liegen.

    I. Rechtlicher Rahmen

    A. Unionsrecht

    4.

    Art. 96 AEUV in Titel VI („Der Verkehr“) bestimmt:

    „(1)

    Im Verkehr innerhalb der Union sind die von einem Mitgliedstaat auferlegten Frachten und Beförderungsbedingungen verboten, die in irgendeiner Weise der Unterstützung oder dem Schutz eines oder mehrerer bestimmter Unternehmen oder Industrien dienen, es sei denn, dass die Kommission die Genehmigung hierzu erteilt.

    (2)

    Die Kommission prüft von sich aus oder auf Antrag eines Mitgliedstaats die in Absatz 1 bezeichneten Frachten und Beförderungsbedingungen; hierbei berücksichtigt sie insbesondere sowohl die Erfordernisse einer angemessenen Standortpolitik, die Bedürfnisse der unterentwickelten Gebiete und die Probleme der durch politische Umstände schwer betroffenen Gebiete als auch die Auswirkungen dieser Frachten und Beförderungsbedingungen auf den Wettbewerb zwischen den Verkehrsarten.

    …“

    B. Nationales Recht

    5.

    Die Verordnung vom 27. April 1995 betreffend Taxidienstleistungen und Dienstleistungen der Vermietung von Fahrzeugen mit Fahrer enthält folgende Bestimmungen:

    „Artikel 2. Für die Anwendung dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

    1.

    ‚Taxidienstleistungen‘ solche Dienstleistungen, die in der entgeltlichen Beförderung von Personen durch Kraftfahrzeuge mit Fahrer bestehen und folgende Voraussetzungen erfüllen:

    c)

    die Bereitstellung betrifft das Fahrzeug und nicht jeden einzelnen Sitzplatz, wenn das Fahrzeug als Taxi verwendet wird, oder jeden einzelnen Sitzplatz des Fahrzeugs und nicht das Fahrzeug selbst, wenn das Fahrzeug als Sammeltaxi mit Genehmigung der Regierung der Region Brüssel-Hauptstadt verwendet wird;

    d)

    das Ziel wird vom Kunden festgelegt;

    2.

    ‚Dienstleistungen der Vermietung von Fahrzeugen mit Fahrer‘ alle entgeltlichen Dienstleistungen der Beförderung von Personen mit Kraftfahrzeugen, die keine Taxidienstleistungen darstellen und mit Fahrzeugen des Typs Personenkraftwagen, Kombifahrzeug oder Kleinbus, mit Ausnahme von Fahrzeugen, die als Krankenwagen ausgestattet sind, erbracht werden;

    Artikel 3. Niemand darf ohne Genehmigung der Regierung [der Region Brüssel-Hauptstadt] einen Taxidienst mit einem oder mehreren Fahrzeugen mit Einstiegsort in einer öffentlichen Straße oder an einem anderen Ort, der nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmet ist, im Gebiet der Region Brüssel-Hauptstadt betreiben.

    Artikel 16. Niemand darf ohne Genehmigung der Regierung [der Region Brüssel-Hauptstadt] im Gebiet der Region Brüssel-Hauptstadt einen Dienst der Vermietung von Fahrzeugen mit Fahrer mit einem oder mehreren Fahrzeugen betreiben.

    Nur die Inhaber einer von der Regierung [der Region Brüssel-Hauptstadt] erteilten Genehmigung dürfen Dienstleistungen erbringen, bei denen der Ort der Abfahrt für den Nutzer im Gebiet der Region Brüssel-Hauptstadt liegt.“

    6.

    Der Erlass der Regierung der Region Brüssel-Hauptstadt vom 29. März 2007 betreffend Taxidienstleistungen und Dienstleistungen der Vermietung von Fahrzeugen mit Fahrer ( 2 ) in der durch den Erlass vom 27. März 2014 geänderten Fassung ( 3 ) bestimmt:

    „Artikel 31. Den Fahrern ist es untersagt,

    7.   Kunden anzusprechen oder durch einen anderen ansprechen zu lassen;

    …“

    II. Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

    7.

    Die Berufungsklägerinnen im Ausgangsverfahren, die FlibTravel International SA und die Léonard Travel International SA, sind Handelsgesellschaften, die einen Linienbusverkehr mit Überlandbussen u. a. zwischen der Gare du Midi in Brüssel und dem Flughafen Charleroi in Belgien betreiben.

    8.

    Gegenüber dem Halteplatz der Überlandbusse an der Gare du Midi halten Großraumtaxis, die hauptsächlich zum Flughafen Charleroi fahren. Die Fahrer sprechen die Reisenden an, die aus dem Bahnhof kommen und sich in Richtung der Fernbusse begeben, um ihnen die Beförderung mit dem Taxi zu einem Preis von 13 Euro pro Person anzubieten. Die Fahrer schwenken manchmal ein kleines Plastikschild, das auf einer Seite die Aufschrift „shuttle to airport Charleroi [13 Euro]“ mit Fotos eines Großraumtaxis und eines Flugzeugs und auf der anderen Seite die Aufschrift „bus [17 Euro]“ trägt. Die Taxis fahren ab, wenn sie sieben oder acht Fahrgäste an Bord haben.

    9.

    Die Berufungsklägerinnen tragen vor, dass die vorstehend beschriebenen Praktiken unter Missachtung der für Taxidienstleistungen geltenden Regelung vorgenommen würden. Sie beantragen den Erlass eines Verbots dieser Praktiken.

    10.

    Mit Urteil vom 11. Februar 2015 wies das erstinstanzliche Gericht die Klage mit der Begründung ab, dass der beanstandete Sachverhalt nicht hinreichend nachgewiesen worden sei.

    11.

    Die Berufungsklägerinnen haben mit Berufungsschrift vom 13. Juli 2015 die Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht Brüssel, Belgien) angerufen. Dieses Gericht hält den Sachverhalt für erwiesen.

    12.

    Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die beanstandeten Praktiken einen Verstoß gegen die geltende Regelung darstellten und dass die Klage daher begründet erscheine. Da dieses Gericht jedoch an der Vereinbarkeit der in Rede stehenden Regelung mit dem Unionsrecht zweifelt, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1.

    Ist Art. 96 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen, dass er auf Frachten und Beförderungsbedingungen Anwendung finden kann, die von einem Mitgliedstaat den Betreibern von Taxidiensten auferlegt werden, wenn

    a)

    die betreffenden Taxifahrten nur ausnahmsweise über die nationalen Grenzen hinausführen,

    b)

    ein bedeutender Teil der Kunden der betreffenden Taxis aus Unionsbürgern oder in der Europäischen Union Gebietsansässigen besteht, die nicht Staatsangehörige oder Gebietsansässige des fraglichen Mitgliedstaats sind, und

    c)

    unter den konkreten Umständen der Rechtssache die streitigen Taxifahrten für den Fahrgast sehr häufig nur eine Etappe einer längeren Reise darstellen, deren Ankunfts- oder Abfahrtsort sich in einem anderen Land der Union als dem fraglichen Mitgliedstaat befindet?

    2.

    Ist Art. 96 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen, dass er auf andere Betriebsbedingungen als Preisbedingungen und Bedingungen für die Erteilung der Genehmigung zur Ausübung der betreffenden Beförderungstätigkeit Anwendung finden kann, wie im vorliegenden Fall ein Verbot für Taxibetreiber, individuelle Sitzplätze statt des gesamten Fahrzeugs zur Verfügung zu stellen, und ein Verbot für diese Betreiber, das den Kunden vorgeschlagene Fahrtziel selbst zu bestimmen, was dazu führt, dass diese Betreiber daran gehindert werden, Kunden zu gruppieren, die das gleiche Ziel haben?

    3.

    Ist Art. 96 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen, dass er – außer bei einer Genehmigung durch die Kommission – Maßnahmen der in der zweiten Frage genannten Art verbietet,

    a)

    die allgemein neben anderen Zielen bezwecken, Taxibetreiber vor der Konkurrenz von Unternehmen, die Fahrzeuge mit Fahrer vermieten, zu schützen, und

    b)

    die unter den konkreten Umständen der Rechtssache die spezielle Wirkung haben, die Betreiber von Überlandbussen vor der Konkurrenz durch Taxibetreiber zu schützen?

    4.

    Ist Art. 96 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen, dass er – außer bei einer Genehmigung durch die Kommission – eine Maßnahme verbietet, die den Taxibetreibern das Ansprechen von Kunden untersagt, wenn diese Maßnahme unter den konkreten Umständen der Rechtssache bewirkt, dass ihre Fähigkeit, Kunden von einem konkurrierenden Überlandbusdienst anzulocken, eingeschränkt wird?

    13.

    FlibTravel International, Léonard Travel International, die Saratax SCS und die AAL Renting SA sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen abgegeben. Gemäß Art. 76 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs hat keine mündliche Verhandlung stattgefunden.

    III. Analyse

    A. Einleitende Bemerkungen

    14.

    Das vorlegende Gericht ersucht den Gerichtshof um die Beantwortung mehrerer Fragen. Zwar geht jede dieser Fragen das Problem aus etwas anderer Perspektive an, jedoch zielen sie im Wesentlichen auf die Feststellung des Anwendungsbereichs von Art. 96 Abs. 1 AEUV ab. Konkret lautet die Hauptfrage: Ist diese Bestimmung auf nationale Rechtsvorschriften anwendbar, die die Bedingungen für die Erbringung von Taxidienstleistungen regeln?

    15.

    Berücksichtigt man ausschließlich den Wortlaut von Art. 96 Abs. 1 AEUV, sind die Zweifel des vorlegenden Gerichts bezüglich der Reichweite dieser Vorschrift zu einem gewissen Grad nachvollziehbar. Zieht man jedoch den weiteren (geschichtlichen und systematischen) Kontext und das Ziel dieser Bestimmung heran, werden jegliche Bedenken, ob Art. 96 AEUV unter Umständen wie denen im Ausgangsverfahren anwendbar ist, schnell zerstreut.

    16.

    Wie bereits angedeutet, wurde Art. 96 AEUV bisher nicht nur von der Kommission, sondern auch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs erstaunlich selten herangezogen. Daher ist es erforderlich, diese Bestimmung innerhalb ihres weiteren systematischen Kontexts auszulegen und dabei auch die geschichtlichen Hintergründe und Diskussionen der Gründer der Europäischen Union in Bezug auf diese Bestimmung einzubeziehen.

    B. Anwendungsbereich von Art. 96 Abs. 1 AEUV

    1.  Eine historische Bestimmung

    17.

    Art. 96 AEUV ist seit den Anfängen der europäischen Integration im Wesentlichen unverändert geblieben. Abs. 1 behandelt Frachten und Beförderungsbedingungen, die in irgendeiner Weise der Unterstützung oder dem Schutz eines oder mehrerer bestimmter Unternehmen oder Industrien in Bezug auf den Verkehr in der Union dienen. Da die Ursprünge des Art. 96 AEUV, und insbesondere seines Abs. 1, bis zum EGKS-Vertrag zurückreichen, muss die Bestimmung in ihrem historischen Kontext gesehen werden.

    18.

    Dieser historische Kontext zeigt, warum einerseits der Verkehr im Sinne von Art. 96 AEUV so zu verstehen ist, dass er sich auf die Beförderung von Waren (und nicht von Personen) bezieht, und warum andererseits die hier in Rede stehenden Frachten und Beförderungsbedingungen ausschließlich die von Mitgliedstaaten auferlegten Tarife und Beförderungsbedingungen erfassen, die die finanziellen Bedingungen der Beförderung von Waren betreffen können.

    19.

    In den vorbereitenden Dokumenten zu Art. 80 EWG-Vertrag – dem jetzigen Art. 96 AEUV – wird deutlich dargelegt, dass die Bestimmung sicherstellen soll, dass die von den Mitgliedstaaten für Verkehrsdienste auferlegten Preise und Bedingungen für die Beförderung von Waren keine zollgleiche, diskriminierungsgleiche oder subventionsgleiche Wirkung bezüglich der beförderten Waren haben ( 4 ). Schon auf dieser Grundlage erscheint mir klar, dass Art. 96 Abs. 1 AEUV darauf abzielt, den freien Warenverkehr zu schützen und nicht den Wettbewerb unter Verkehrsdienstleistern als solchen. Einfach ausgedrückt verbietet diese Bestimmung Maßnahmen der Mitgliedstaaten, insbesondere Sondertarife für die Beförderung bestimmter Waren, die mit einem wirtschaftlichen Vorteil für bestimmte Unternehmen oder Industrien einhergehen.

    20.

    Art. 96 Abs. 2 AEUV legt den gleichen Schluss nahe. Diese Bestimmung führt mögliche Rechtfertigungsgründe (die Bedürfnisse unterentwickelter Gebiete und die Probleme von durch politische Umstände schwer betroffenen Gebieten) für nach Art. 96 Abs. 1 AEUV verbotene Maßnahmen auf. Der Fokus auf die Notwendigkeit, Regionen zu unterstützen, die sich in einer finanziellen oder politischen Notsituation befinden, bestätigt meiner Meinung nach, dass die geprüfte Bestimmung nicht die Erbringung von Verkehrsdienstleistungen regelt. Regionale Unterschiede oder Probleme, die sich aus politischen Umständen ergeben, können nämlich kaum dadurch gelöst werden, dass bestimmte Verkehrsdienstleistungsanbieter gegenüber anderen bevorzugt behandelt werden. Tatsächlich – wie die begrenzte Zahl von Entscheidungen der Kommission in diesem Bereich zeigt ( 5 ) – betrifft Art. 96 Abs. 2 AEUV den Einsatz von Vorzugspreisen und ‑bedingungen durch die Mitgliedstaaten, die aus den betroffenen Regionen stammenden Produkten zugutekommen ( 6 ).

    21.

    Wie bereits aus den vorstehenden Ausführungen deutlich wird, ist Art. 96 AEUV nicht zum Schutz der ungehinderten Erbringung von Verkehrsdienstleistungen konzipiert, geschweige denn von örtlichen Taxidienstleistungen. Tatsächlich könnte man sich fragen, welche Funktion Art. 96 AEUV im heutigen Europa noch haben könnte ( 7 ). In der Anfangszeit der europäischen Integration spielte diese Bestimmung gewiss eine Rolle ( 8 ). Der Grund hierfür war, dass die Mitgliedstaaten gelegentlich diskriminierende Tarife auf dem Gebiet des Verkehrs zu protektionistischen Zwecken einsetzten.

    22.

    Auch der weitere systematischen Kontext von Art. 96 Abs. 1 AEUV stützt die Auffassung, dass Regelungen zur Erbringung von Taxidienstleistungen nicht von dieser Vertragsbestimmung erfasst sind.

    2.  Systematische Erwägungen

    23.

    Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die Art. 95 und 97 AEUV das Verhalten des Erbringers von Verkehrsdienstleistungen gegenüber seinen Kunden regeln (Diskriminierung und Verhalten mit zollgleicher Wirkung). In einem solchen Regelungskontext erscheint ein Vorbringen widersinnig, wonach Art. 96 AEUV stattdessen etwas völlig anderes zum Gegenstand haben soll, nämlich die Dienstleistungsfreiheit auf dem Gebiet des Verkehrs.

    24.

    Das überzeugendste Argument für diese Auffassung findet sich jedoch an anderer Stelle im Vertrag.

    25.

    Ganz grundlegend würde die Anwendung von Art. 96 Abs. 1 auf nationale Rechtsvorschriften über die Erbringung von Taxidienstleistungen in deutlichem Widerspruch zum ausdrücklichen Wortlaut von Art. 58 AEUV stehen. Diese Bestimmung nimmt Verkehrsdienstleistungen ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Regelungen über den freien Dienstleistungsverkehr aus ( 9 ). Dies impliziert, dass die Dienstleistungsfreiheit auf dem Gebiet des Verkehrs im Rahmen der gemeinsamen Verkehrspolitik gemäß Art. 91 AEUV zu verwirklichen ist ( 10 ). Solche Maßnahmen sind aber bisher nicht ergriffen worden.

    26.

    Ginge man vor diesem Hintergrund davon aus, dass Art. 96 Abs. 1 AEUV nicht nur Subventionstarife und ‑bedingungen für die beförderten Waren erfasst, sondern auch von den Mitgliedstaaten erlassene Regelungen betreffend die Bedingungen, unter denen Taxidienstleistungen zu erbringen sind, würde dies bedeuten, im Wege richterlicher Auslegung einen Kontrollmechanismus für Verkehrsdienste zu schaffen, der dem in Art. 56 AEUV enthaltenen nicht unähnlich ist. Das wäre nicht zuletzt deshalb unangebracht, weil Art. 58 AEUV Verkehrsdienstleistungen ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Art. 56 AEUV ausnimmt, aber auch, weil der Unionsgesetzgeber bisher keine sekundärrechtlichen Bestimmungen erlassen hat, um die Erbringung von Taxidienstleistungen im Rahmen der gemeinsamen Verkehrspolitik zu liberalisieren.

    27.

    Tatsächlich stellt Art. 96 Abs. 1 AEUV nicht die Dienstleistungsfreiheit auf dem Gebiet des Verkehrs sicher, sondern er betrifft – wie bereits dargelegt – staatliche Maßnahmen, die Ähnlichkeit mit staatlichen Beihilfen für ein oder mehrere bestimmte Unternehmen oder Industriezweige aufweisen. Der Grund dafür ist, dass regulatorische Maßnahmen staatlicher Stellen zur Sicherstellung günstiger Frachten und Beförderungsbedingungen für bestimmte Waren eine ähnliche Wirkung wie Beihilfen haben können. In diesem Sinne ist Art. 96 AEUV in Bezug auf Frachten und Beförderungsbedingungen lex specialis gegenüber dem in Art. 107 AEUV vorgesehenen allgemeinen Verbot staatlicher Beihilfen. Anders als Art. 107 AEUV setzt Art. 96 Abs. 1 AEUV nicht voraus, dass bei den zu prüfenden Maßnahmen staatliche Mittel zum Einsatz kommen. Jedenfalls müssen Subventionstarife und ‑bedingungen – wie andere Arten staatlicher Beihilfen auch – von der Kommission genehmigt werden ( 11 ).

    28.

    Auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen komme ich zu dem Schluss, dass Art. 96 Abs. 1 AEUV nicht auf Frachten und Beförderungsbedingungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Anwendung findet, die ein Mitgliedstaat den Betreibern von Taxidiensten auferlegt.

    IV. Ergebnis

    29.

    Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die von der Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht Brüssel) vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

    Art. 96 Abs. 1 AEUV ist nicht auf Frachten und Beförderungsbedingungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden anwendbar, die ein Mitgliedstaat den Betreibern von Taxidiensten auferlegt.


    ( 1 ) Originalsprache: Englisch.

    ( 2 ) Moniteur belge vom 3. Mai 2007, S. 23526.

    ( 3 ) Moniteur belge vom 17. April 2014, S. 33241.

    ( 4 ) Comité Intergouvernemental créé par la Conférence de Messine, Rapport des Chefs de Délégation aux Ministres des Affaires Étrangères, 21. April 1956, Mae 120 F/56 (Corrigé) (Bericht der Delegationsleiter an die Außenminister, „Spaak-Bericht“, S. 67 bis 69). In diesem Bericht wird u. a. dargelegt, dass Unterstützungstarife für bestimmte Erzeugnisse ähnlich behandelt werden müssten wie Subventionen.

    ( 5 ) Entscheidung der Kommission vom 16. Februar 1962 über die Genehmigung des Ausnahmetarifs Nr. 201 der italienischen Staatsbahnen (ABl. 1962, Nr. 38, S. 1229), Entscheidung der Kommission 64/160/EWG vom 26. Februar 1964 über die Genehmigung der Anlage B ter zu den Allgemeinen Durchführungsbestimmungen für den Gütertarif (CGATM) der französischen Staatsbahn SNCF (ABl. 1964, Nr. 44, S. 710), Entscheidung der Kommission 79/873/EWG vom 11. Oktober 1979 über die Genehmigung des Ausnahmetarifs Nr. 201 der italienischen Staatsbahnen (ABl. 1979, L 269, S. 29), Entscheidung der Kommission 79/874/EWG vom 11. Oktober 1979 über die Genehmigung von Ausnahmetarifen für bestimmte Güter im Eisenbahn- und Güterkraftverkehr in Frankreich (ABl. 1979, L 269, S. 31) und Entscheidung der Kommission 91/523/EWG vom 18. September 1991 über die Aufhebung von Subventionstarifen der italienischen Eisenbahn für die Beförderung mineralischer Rohstoffe in Form von Schüttgut sowie in Sizilien und Sardinien gewonnener und verarbeiteter Erzeugnisse (ABl. 1991, L 283, S. 20).

    ( 6 ) Vgl. auch Beschluss des Gerichts vom 18. Juni 2012in der Rechtssache Transports Schiocchet – Excursions/Rat und Kommission (T‑203/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:308, Rn. 39 und 40).

    ( 7 ) Es wird sogar vertreten, dass Art. 96 AEUV im Licht der Entwicklung des Binnenmarkts nach Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte im Jahr 1986 bedeutungslos geworden sei. Vgl. Grard, L., „Article 76 CE“, in Pingel, I. (Hrsg.), Commentaire article par article des traités UE et CE, 2. Aufl., Dalloz, Paris, 2010, S. 675 bis 677, hier S. 677.

    ( 8 ) Urteile des Gerichtshofs vom 10. Mai 1960, Deutschland/Hohe Behörde (19/58, EU:C:1960:19, S. 502), vom 10. Mai 1960, Compagnie des hauts fourneaux et fonderies de Givors u. a./Hohe Behörde (27/58 bis 29/58, EU:C:1960:20, S. 529), und vom 9. Juli 1969, Italien/Kommission (1/69, EU:C:1969:34, Rn. 4).

    ( 9 ) Urteil vom 1. Oktober 2015, Trijber und Harmsen (C‑340/14 und C‑341/14, EU:C:2015:641, Rn. 47). Vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in den Rechtssachen Trijber und Harmsen (C‑340/14 und C‑341/14, EU:C:2015:505, Nr. 27).

    ( 10 ) Urteile vom 7. November 1991, Pinaud Wieger (C‑17/90, EU:C:1991:416, Rn. 7), und vom 22. Dezember 2010, Yellow Cab Verkehrsbetrieb (C‑338/09, EU:C:2010:814, Rn. 30).

    ( 11 ) Siehe Beispiele in Fn. 5.

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