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Document 62016CC0004

Schlussanträge des Generalanwalts M. Campos Sánchez-Bordona vom 15. November 2016.
J. D. gegen Prezes Urzędu Regulacji Energetyki.
Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Apelacyjny w Warszawie.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Richtlinie 2009/28/EG – Art. 2 Unterabs. 2 Buchst. a – Energie aus erneuerbaren Quellen – Wasserkraft – Begriff – Energie, die in einem an Einleitungen von Abwässern eines anderen Betriebs gelegenen kleinen Wasserkraftwerk erzeugt wird.
Rechtssache C-4/16.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2016:875

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 15. November 2016 ( 1 )

Rechtssache C‑4/16

J. D.

gegen

Prezes Urzędu Regulacji Energetyki

(Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Apelacyjny w Warszawie [Berufungsgericht Warschau, Polen])

„Umwelt — Richtlinie 2009/28/EG — Erneuerbare Energiequellen — Wasserkraft — Begriff — Energie, die in einem an Einleitungen von Abwässern eines anderen Betriebs gelegenen Wasserkraftwerk erzeugt wird“

1. 

Fällt Energie, die in einem Wasserkraftwerk erzeugt wird, das die Abwässer nutzt, die ein Dritter eingeleitet hat, der zur Tätigkeit der Erzeugung elektrischer Energie keinen Bezug hat, unter den Begriff „Energie aus erneuerbaren Quellen“ im Sinne der Richtlinie 2009/28/EG ( 2 )? Dies ist zusammengefasst die Frage, die das vorlegende Gericht dem Gerichtshof stellt, da es Zweifel hegt, ob sich dieser Begriff auf Energie beschränkt, die aus dem „natürlichen“ Gefälle von Oberflächengewässern gewonnen wird.

2. 

In diesen Schlussanträgen werde ich mich dafür aussprechen, dass sich sowohl aus dem Inhalt der Richtlinie 2009/28 wie aus ihren Zielen folgern lässt, dass es unerheblich ist, ob das Gerinne, durch das das Wasser fließt, dessen Gefälle zur Gewinnung elektrischer Energie genutzt wird, natürlich oder künstlich ist, sofern es sich nicht um Wasser handelt, das aus Pumpspeicherkraftwerken stammt.

I – Rechtlicher Rahmen

A – Unionsrecht

1. Richtlinie 2009/28

3.

Der erste Erwägungsgrund lautet:

„Die Kontrolle des Energieverbrauchs in Europa sowie die vermehrte Nutzung von Energie aus erneuerbaren Energiequellen sind gemeinsam mit Energieeinsparungen und einer verbesserten Energieeffizienz wesentliche Elemente des Maßnahmenbündels, das zur Verringerung der Treibhausgasemissionen … benötigt wird. Diese Faktoren spielen auch eine wichtige Rolle bei der Stärkung der Energieversorgungssicherheit, der Förderung der technologischen Entwicklung und Innovation sowie der Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten und von Möglichkeiten der regionalen Entwicklung, vor allem in ländlichen und entlegenen Gebieten.“

4.

Der 30. Erwägungsgrund lautet:

„Bei der Berechnung des Beitrags der Wasserkraft und der Windkraft für die Zwecke dieser Richtlinie sollten die Auswirkungen klimatischer Schwankungen durch die Verwendung einer Normalisierungsregel geglättet werden. Weiterhin sollte Elektrizität, die in Pumpspeicherkraftwerken aus zuvor hochgepumptem Wasser produziert wird, nicht als Elektrizität erachtet werden, die aus erneuerbaren Energiequellen stammt.“

5.

Art. 2 sieht vor:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten die Begriffsbestimmungen der Richtlinie 2003/54/EG[ ( 3 )] [und] bezeichnet der Ausdruck a) ‚Energie aus erneuerbaren Quellen‘ Energie aus erneuerbaren nicht fossilen Energiequellen, das heißt Wind, Sonne, aerothermische, geothermische, hydrothermische Energie, Meeresenergie, Wasserkraft, Biomasse, Deponiegas, Klärgas und Biogas“.

6.

Art. 3 Abs. 1 lautet:

„Jeder Mitgliedstaat sorgt dafür, dass sein gemäß den Artikeln 5 bis 11 berechneter Anteil von Energie aus erneuerbaren Quellen am Bruttoendenergieverbrauch im Jahr 2020 mindestens seinem nationalen Gesamtziel für den Anteil von Energie aus erneuerbaren Quellen in diesem Jahr gemäß … Anhang I … entspricht …“

7.

Art. 5 bestimmt:

„(1)   Der Bruttoendenergieverbrauch aus erneuerbaren Quellen in den einzelnen Mitgliedstaaten wird berechnet als Summe:

a)

des Bruttoendenergieverbrauchs von Elektrizität aus erneuerbaren Energiequellen,

(3)   Für die Zwecke des Absatzes 1 Buchstabe a wird der Bruttoendenergieverbrauch von Elektrizität aus erneuerbaren Energiequellen als die Elektrizitätsmenge berechnet, die in einem Mitgliedstaat aus erneuerbaren Energiequellen erzeugt wird, unter Ausschluss der Elektrizitätserzeugung in Pumpspeicherkraftwerken durch zuvor hochgepumptes Wasser.

Aus Wasserkraft und Windkraft erzeugte Elektrizität wird gemäß den Normalisierungsregeln in Anhang II berücksichtigt.

(7)   Für die Berechnung des Anteils der Energie aus erneuerbaren Quellen werden die Methodik und die Begriffsbestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1099/2008[ ( 4 )] … verwendet.“

2. Richtlinie 2003/54

8.

Die Richtlinie 2003/54 wurde durch die Richtlinie 2009/72/EG ( 5 ) gemäß deren Art. 48 zum 3. März 2011 aufgehoben; Verweisungen auf die aufgehobene Richtlinie gelten danach als Verweisungen auf die Richtlinie 2009/72.

9.

In Art. 2 Nr. 30 der Richtlinie 2009/72 wird „erneuerbare Energiequelle“ mit denselben Worten definiert wie in Art. 2 Nr. 30 der Richtlinie 2003/54, nämlich als „eine erneuerbare, nicht fossile Energiequelle (Wind, Sonne, Erdwärme, Wellen und Gezeitenenergie, Wasserkraft, Biomasse, Deponiegas, Klärgas und Biogas)“.

3. Verordnung Nr. 1099/2008

10.

In Anhang B Nr. 5 der Verordnung Nr. 1099/2008 wird „Wasserkraft“ definiert als „Energiepotenzial und kinetische Energie des Wassers nach Umwandlung in Elektrizität in Wasserkraftwerken“, einschließlich Pumpspeicherwerken.

B – Nationales Recht

1. Ustawa prawo energetyczne (Gesetz über das Energierecht) ( 6 )

11.

Art. 3 in der am 6. November 2013 geltenden Fassung sah vor:

„Die in dem Gesetz verwendeten Begriffe haben folgende Bedeutung: … Nr. 20 ‚erneuerbare Energiequelle‘: eine Quelle, bei der im Verarbeitungsprozess folgende Energie genutzt wird: Energie aus Wind, Sonneneinstrahlung, aerothermische, geothermische oder hydrothermische Energie, Energie aus Wellen, Meeresströmungen und Gezeiten, dem Gefälle von Flüssen sowie Energie aus Biomasse, Biogas aus Mülldeponien sowie Biogas, das in Prozessen der Ableitung bzw. der Klärung von Abwässern oder der Zersetzung abgelagerter pflanzlicher und tierischer Rückstände entstanden ist. …“

12.

In der seit dem 4. Mai 2015 geltenden Fassung definiert Art. 3 Nr. 20 „erneuerbare Energiequelle“ durch Verweisung auf das Gesetz über erneuerbare Energiequellen.

2. Ustawa o odnawialnych źródłach energii (Gesetz über erneuerbare Energiequellen) ( 7 )

13.

In Art. 2 heißt es:

„…

Nr. 12

Energie aus Wasserkraft‘: Energie infolge des Gefälles von Binnenoberflächengewässern, ausgenommen Energie aus Pumpenkraft in Pumpspeicherkraftwerken und Laufwasserkraftwerken mit Pumpfunktion;

Nr. 18

‚kleine Anlage‘: Anlage einer erneuerbaren Energiequelle mit einer Gesamtstromerzeugungskapazität größer als 40 kW und nicht größer als 200 kW, angeschlossen an ein Stromnetz mit einer Nennspannung von weniger als 110 kV oder einer erreichbaren kombinierten Wärmekraft größer als 120 kW und nicht größer als 600 kW;

Nr. 22

‚erneuerbare Energiequelle‘: erneuerbare, nicht fossile Energiequellen, die Windenergie, Energie aus Sonneneinstrahlung, aerothermische Energie, geothermische Energie, hydrothermische Energie, Energie aus Wasserkraft, Energie aus Wellen, Meeresströmungen und Gezeiten sowie Energie aus Biomasse, Biogas, landwirtschaftlichem Biogas und flüssigen Biobrennstoffen umfassen.

…“

14.

Art. 7 lautet:

„Gewerbliche Tätigkeit im Bereich der Erzeugung elektrischer Energie aus erneuerbaren Energiequellen in einer kleinen Anlage … ist eine reglementierte Tätigkeit im Sinne der Gewerbeordnung und erfordert eine Eintragung in das Register der Erzeuger, die eine gewerbliche Tätigkeit im Bereich kleiner Anlagen ausüben …“

3. Ustawa prawo wodne (Gesetz über das Wasserrecht) ( 8 )

15.

Art. 5 Abs. 3 bestimmt:

„Binnenoberflächengewässer werden unterteilt in:

1)

fließende, zu denen Gewässer zählen:

a)

in natürlichen Wasserläufen, Kanälen und Quellen, an denen Wasserläufe beginnen,

b)

in Seen und anderen natürlichen Wasserbecken mit ständigem oder periodischem natürlichen Zufluss oder Abfluss von Oberflächengewässern,

c)

in künstlichen Wasserbecken an fließenden Gewässern;

2)

stehende, zu denen Gewässer in Seen und anderen natürlichen Wasserbecken, die nicht unmittelbar in natürlicher Weise mit fließenden Oberflächengewässern verbunden sind, zählen.

…“

II – Sachverhalt

16.

J. D. ist ein Unternehmen, das vom 20. November 2004 bis zum 20. November 2014 eine Konzession zur Erzeugung von Elektrizität aus erneuerbaren Quellen besaß. Konkret erstreckte sich die Konzession auf zwei Anlagen zur Biogasgewinnung und ein kleines Wasserkraftwerk (0,160 MW), das an Einleitungen von Abwässern eines anderen Betriebs (PKN Orlen SA) gelegen war.

17.

Der Antrag auf Verlängerung der Konzession für das Wasserkraftwerk wurde durch Bescheid des Präsidenten der Energieregulierungsbehörde (ERB) vom 6. November 2013 mit der Begründung abgelehnt, dass „lediglich solche Wasserkraftwerke als Erzeuger von Energie aus erneuerbaren Quellen anerkannt werden können, die durch Wellen, Meeresströmungen und Gezeiten sowie das Gefälle von Flüssen erzeugte Energie nutzen“ ( 9 ).

18.

Der Bescheid des Präsidenten der ERB wurde mit Urteil des Sąd Okręgowy w Warszawie (Bezirksgericht Warschau, Polen) vom 5. November 2014 bestätigt, der sich auf die Definition erneuerbarer Energiequellen in Art. 3 Nr. 20 des Gesetzes über das Energierecht in seiner zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids geltenden Fassung berief.

19.

J. D. legte gegen das in erster Instanz ergangene Urteil Berufung beim Sąd Apelacyjny w Warszawie (Berufungsgericht Warschau, Polen) ein. Zur Stützung ihres Begehrens machte sie geltend, Art. 3 Nr. 20 des Gesetzes über das Energierecht sei mit der Richtlinie 2009/28 unvereinbar.

20.

Vor diesem Hintergrund legt der Sąd Apelacyjny w Warszawie (Berufungsgericht Warschau) die Vorlagefrage vor.

III – Vorlagefrage

21.

Die am 4. Januar 2016 eingegangene Vorlagefrage lautet:

Ist unter dem in Art. 2 Buchst. a in Verbindung mit Art. 5 Abs. 3 und dem 30. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/28 verwendeten Begriff der Energie aus Wasserkraft als erneuerbarer Energiequelle ausschließlich Energie zu verstehen, die durch Wasserkraftwerke unter Ausnutzung des Gefälles von Binnenoberflächengewässern, darunter des Gefälles von Flüssen, erzeugt wurde, oder auch solche Energie, die in einem an Einleitungen von Industrieabwässern eines anderen Betriebs gelegenen Wasserkraftwerk (das kein Pumpspeicherkraftwerk und kein Laufwasserkraftwerk mit Pumpfunktion ist) erzeugt wurde?

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof und Standpunkte der Parteien

22.

J. D., die polnische und die italienische Regierung sowie die Kommission haben sich beteiligt und schriftliche Erklärungen eingereicht. Der Gerichtshof hat gemäß Art. 76 Abs. 2 der Verfahrensordnung beschlossen, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

23.

J. D. macht geltend, nach der Richtlinie 2009/28 gelte allein die in Pumpspeicherkraftwerken erzeugte Energie als in Wasserkraftwerken erzeugte Energie, die nicht als aus erneuerbaren Quellen stammend angesehen werde. Nach der Richtlinie 2009/28 könne Energie, die durch die Nutzung von Abwässern erzeugt werde, die ein Dritter nach ihrem Gebrauch oberhalb des Ortes der Nutzung eingeleitet habe, als Energie aus erneuerbaren Quellen eingestuft werden.

24.

Die polnische Regierung meint, die Begriffe „Energie aus erneuerbaren Quellen“ (Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2009/28) und „erneuerbare Energiequelle“ (Art. 2 Nr. 30 der Richtlinie 2009/72) bezögen sich auf nicht fossile Energiequellen, die dadurch gekennzeichnet seien, dass sie sich entweder ohne menschlichen Eingriff in einem relativ kurzen Zeitraum auf natürliche Weise erneuerten oder sich nicht erschöpften, und deren Nutzung dazu beitrage, die in der Richtlinie 2009/28 festgelegten Umweltvorteile zu erzielen.

25.

Folglich beziehe sich der Begriff „Wasserkraft aus erneuerbaren Quellen“ auf Energie aus dem natürlichen Gefälle von Binnenoberflächenwasser einschließlich Flusswasser.

26.

Zudem gelte nach der Richtlinie 2009/28 Energie aus Pumpspeicherkraftwerken nicht als Energie aus erneuerbaren Quellen. Folglich basiere die Tätigkeit von Wasserkraftwerken, die zwar keine Pumpspeicherkraftwerke seien, aber von anderen Betrieben hochgepumptes Wasser verwendeten, nicht auf der Nutzung erneuerbarer Quellen, die auf natürliche Weise in der Umwelt vorhanden seien.

27.

Die italienische Regierung führt aus, die Energie aus der Nutzung des schwerkraftbedingten Gefälles von Wasser in künstlichen Strukturen müsse in den Begriff „Energie aus erneuerbaren Quellen“ einbezogen werden, vorausgesetzt, diese Strukturen seien zu wirtschaftlichen Zwecken errichtet worden, die keinen Bezug zur Erzeugung elektrischer Energie aufwiesen.

28.

Der 30. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/28 behandle zwei Fälle: a) Wasserkraft aus gerade zu diesem Zweck geschaffenem künstlich konzipiertem Wassergefälle und b) Energie aus künstlichen Gefällen, die zu anderen Zwecken als der Energieerzeugung errichtet worden seien. Im ersten Fall könne nicht von „Energie aus erneuerbaren Quellen“ gesprochen werden, denn da für das Ingangsetzen des Pumpvorgangs weitere Energie benötigt werde, sei der Gesamtsaldo von eingesetzter und erzeugter Energie fast null, so dass der Umweltvorteil entfalle. Im zweiten Fall hingegen werde auf bereits bestehende Strukturen und Infrastrukturen zurückgegriffen, was den Umweltvorteil und die finanziellen Investitionen optimiere.

29.

Zudem erfasse, da in der Richtlinie nur die Erzeugung von Elektrizität durch Pumpenkraft ausdrücklich vom Begriff der „Elektrizität aus erneuerbarer Wasserkraft“ ausgeschlossen werde, die Ausnahme nicht die Fälle, in denen die Elektrizität aus Einleitungen gewonnen werde, die ebenfalls künstlich seien, aber zu anderen wirtschaftlichen Zwecken als dem der Erzeugung von Elektrizität vorgenommen würden.

30.

Die Kommission trägt vor, dass mangels eines Begriffs der Wasserkraft in der Richtlinie 2009/28 die Definition der Wasserkraft in Anhang B Nr. 5.1.1 der Verordnung Nr. 1099/2008, auf die Art. 5 Abs. 7 der Richtlinie 2009/28 verweise, herangezogen werden könne.

31.

Auf der Grundlage dieser Definition und der Methode zur Berechnung des Bruttoendenergieverbrauchs von Elektrizität aus erneuerbaren Energiequellen (Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie) führt die Kommission aus, für den Unionsgesetzgeber sei „Elektrizität aus erneuerbaren Quellen“ die von einem Wasserkraftwerk durch Umwandlung des Energiepotentials oder der kinetischen Energie des Wassers erzeugte Energie unter Ausschluss der durch Pumpspeicherkraftwerke erzeugten Energie, bei der zuvor hochgepumptes Wasser genutzt werde. Zudem habe der Gesetzgeber hinsichtlich der verwendeten Arten von Wasser nicht danach unterschieden, ob das Wasser aus natürlichen oder aus künstlichen Wasserläufen stamme.

V – Würdigung

32.

Bei diesem Vorabentscheidungsersuchen geht es weder um die Feststellung, was abstrakt „erneuerbare Quellen“ sind, noch darum, unter welchen Voraussetzungen angenommen werden kann, dass Wasserkraft aus derartigen Quellen stammt. Die Frage des Sąd Apelacyjny w Warszawie (Berufungsgericht Warschau) ist sehr viel präziser, denn er möchte wissen, ob ein ganz konkreter Typ von Wasserkraft als „Energie aus erneuerbaren Quellen“im Sinne der Richtlinie 2009/28 betrachtet werden kann: die Energie, die in einem kleinen Wasserkraftwerk erzeugt wird, indem Wasser genutzt wird, das ein anderer Betrieb eingeleitet hat, der es zuvor für eigene Zwecke genutzt hat, die keinen Bezug zur Erzeugung von Energie haben.

33.

Ich möchte die Bezugnahme auf die Richtlinie 2009/28 hervorheben, kann man doch leicht auf der schiefen Ebene der allgemeinen außerrechtlichen Begriffe ins Rutschen kommen und aus den Augen verlieren, dass die Gerichte – und auch der Gerichtshof – sich an der Debatte nur insoweit beteiligen können, als sie juristische Kategorien betrifft.

34.

Dies sage ich, weil ich denke, dass hier nicht mit einem im Voraus feststehenden Begriff „erneuerbare Energiequelle“ gearbeitet werden kann, unter dem, wie die polnische Regierung meint ( 10 ), eine Energiequelle zu verstehen wäre, die sich ohne menschlichen Eingriff auf natürliche Weise erneuert. Geht man von diesem Vorbegriff aus, ist die Einstufung z. B. von aus der Nutzung künstlicher Wasserläufe gewonnener Energie als „Energie aus erneuerbaren Quellen“ unvermeidbar problematisch.

35.

Entscheidend ist vielmehr der in der Richtlinie 2009/28 selbst verwendete Begriff, die für ihre Anwendung die „Energie aus erneuerbaren Quellen“ mit folgenden Worten definiert: „Energie aus erneuerbaren, nicht fossilen Energiequellen“ (Art. 2 Buchst. a) ( 11 ). Die Bestimmung definiert auch den Begriff der „erneuerbaren, nicht fossilen Energiequellen“ nicht, zählt aber genau auf, welche diese Quellen sind, nämlich „Wind, Sonne, aerothermische, geothermische, hydrothermische Energie, Meeresenergie, Wasserkraft, Biomasse, Deponiegas, Klärgas und Biogas“. Wenn also Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2009/28 insgesamt von „erneuerbaren, nicht fossilen Energiequellen“ spricht, sind damit, wie der Ausdruck „das heißt“ ( 12 ) zeigt, die im Folgenden genannten Quellen gemeint.

36.

Demzufolge zählt die Wasserkraft ungeachtet dessen, was Energie aus erneuerbaren Quellen in anderen Wissensbereichen bedeutet, und unabhängig davon, ob in diesen anderen Bereichen ihre Gleichsetzung mit der aus „erneuerbaren, nicht fossilen Energiequellen“ stammenden Energie zutreffend ist oder nicht, jedenfalls rechtlich gesehen – konkret nach der Richtlinie 2009/28 – dazu. Nach der Verordnung Nr. 1099/2008 ( 13 ) wird diese Energie aus energiestatistischer Sicht als „Energiepotenzial und kinetische Energie des Wassers nach Umwandlung in Elektrizität in Wasserkraftwerken“, einschließlich Pumpspeicherwerken, definiert.

37.

Angesichts dessen muss grundsätzlich jede „Wasserkraft“für die Zwecke der Richtlinie 2009/28 als „Energie aus erneuerbaren Quellen“ eingeordnet werden, gleich ob sie aus dem Gefälle von Wasser in künstlichen Wasserläufen oder der Nutzung von Wasser stammt, das durch natürliche Gerinne fließt ( 14 ). Daher ist eine nationale Regelung, die als Kriterium für ihre Einbeziehung von Energie in das Spektrum der Energien aus erneuerbaren Quellen auf eine Unterscheidung danach abstellt, ob das der Erzeugung elektrischer Energie dienende Wasser aus einem natürlichen oder einem künstlichen Wasserlauf stammt, nicht mit der Richtlinie 2009/28 vereinbar.

38.

Als einzige Ausnahme von dieser Regel sieht die Richtlinie 2009/28 in ihrem 30. Erwägungsgrund ausdrücklich vor, dass „Elektrizität, die in Pumpspeicherkraftwerken aus zuvor hochgepumptem Wasser produziert wird, nicht als Elektrizität erachtet werden [sollte], die aus erneuerbaren Energiequellen stammt“. Im Einklang mit dieser Erläuterung schreibt Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2009/28 vor, dass die unter diesen Bedingungen erzeugte Energie bei der Berechnung des Bruttoendenergieverbrauchs von Elektrizität aus erneuerbaren Energiequellen nicht berücksichtigt wird.

39.

Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts ( 15 ) zählt das kleine Wasserkraftwerk, um das es im Ausgangsverfahren geht, „nicht zu den Pumpspeicherkraftwerken oder Laufwasserkraftwerken mit Pumpfunktion“ ( 16 ). Sollte dies zutreffen (was letztendlich dieses Gericht feststellen muss), würde das Kraftwerk nicht unter den Tatbestand fallen, auf den sich der 30. Erwägungsgrund und Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2009/28 beziehen, so dass die in ihm erzeugte Wasserkraft als „aus erneuerbaren Quellen“ stammend eingeordnet werden kann.

40.

Die Ausnahme, die die Richtlinie 2009/28 bezüglich der Pumpspeicherwerke vorsieht, geht auf die Entscheidung des Gesetzgebers zurück, ungeachtet dessen, dass in einer anderen Bestimmung ( 17 ) (wenn auch für statistische Zwecke) anerkannt wird, dass durch dieses System der Nutzung „Wasserkraft“ erzeugt wird, die so gewonnene Energie nicht als solche aus erneuerbaren Quellen zu behandeln. Was immer auch die Gründe für diese energiepolitische Entscheidung sein mögen ( 18 ), die Ausnahme, die die Richtlinie 2009/28 für die Pumpspeicherwerke enthält, lässt keine Zweifel zu. Ich wiederhole aber, dass das Wasserkraftwerk des Ausgangsverfahrens kein solches Speicherwerk ist.

41.

Nach den Angaben im Vorlagebeschluss bedient sich das in Rede stehende Wasserkraftwerk der Abwässer, die ein Dritter eingeleitet hat, der zur Tätigkeit dieses Werkes und der Erzeugung von elektrischer Energie keinen Bezug hat. Daher ist es kein Pumpspeicherkraftwerk (im oben dargelegten Sinne), sondern ein Kraftwerk, das zur Erzeugung von Elektrizität Wasser verwendet, das sonst abgeleitet würde, ohne weiter wirtschaftlich oder ökologisch genutzt zu werden.

42.

Demnach nutzt das Kraftwerk, um das es hier geht, Abwässer, die keine andere Bestimmung hätten als ihre Verklappung, so dass ihre zusätzliche Nutzung zur Erzeugung von Elektrizität ökologisch vorteilhaft ist. Man könnte sogar sagen, dass mit diesem Verfahren durch die Erzeugung von „sauberer“ elektrischer Energie in gewisser Weise der Schaden ausgeglichen wird, der der Umwelt entweder durch die Art und Weise, in der das Wasser an der Quelle gewonnen wurde, oder durch den Bau des künstlichen Gerinnes, zu dem es geführt wird, möglicherweise entstanden ist.

43.

Wenn, wie die Kommission ausführt ( 19 ), das von dem Wasserkraftwerk verwendete Wasser darüber hinaus von einem Unternehmen stammt, das Abwässer behandelt, würde die so gewonnene Elektrizität einen bemerkenswerten Zyklus der Umweltsanierung schließen: Die Tätigkeit dieses Unternehmens klärt nicht nur die Abwässer, sondern führt auch zu einem Wasserüberschuss, mit dem wiederum elektrische Energie erzeugt werden kann, ohne dass auf andere Emissionsquellen von Treibhausgasen zurückgegriffen werden muss.

44.

Im Ergebnis bin ich in Anbetracht des Wortlauts von Art. 2 Buchst. a und Art. 5 Abs. 3 sowie der Ziele der Richtlinie 2009/28 der Meinung, dass dem vorlegenden Gericht zu antworten ist, dass unter dem Begriff der Energie aus Wasserkraft als erneuerbarer Energiequelle auch Energie zu verstehen ist, die in Wasserkraftwerken erzeugt wurde, die die Abwässer nutzen, die ein Dritter eingeleitet hat, der zur Tätigkeit des Kraftwerks und zur Erzeugung von elektrischer Energie keinen Bezug hat.

VI – Ergebnis

45.

Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Frage des Sąd Apelacyjny w Warszawie (Berufungsgericht Warschau) wie folgt zu antworten:

Unter dem in Art. 2 Buchst. a in Verbindung mit Art. 5 Abs. 3 und dem 30. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/28/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien 2001/77/EG und 2003/30/EG verwendeten Begriff der Energie aus Wasserkraft als erneuerbarer Energiequelle ist auch Energie zu verstehen, die in Wasserkraftwerken erzeugt wurde, die die Abwässer nutzen, die ein Dritter eingeleitet hat, der zur Tätigkeit des Kraftwerks und zur Erzeugung von elektrischer Energie keinen Bezug hat.


( 1 ) Originalsprache: Spanisch.

( 2 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien 2001/77/EG und 2003/30/EG (ABl. 2009, L 140, S. 16).

( 3 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG (ABl. 2003, L 176, S. 37).

( 4 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über die Energiestatistik (ABl. 2008, L 304, S. 1).

( 5 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG (ABl. 2009, L 211, S. 55).

( 6 ) Gesetz vom 10. April 1997 über das Energierecht (Gesetzblatt der Republik Polen von 2012, Pos. 1059, konsolidierte Fassung, mit Änderungen; Gesetzblatt der Republik Polen von 2015, Pos. 478).

( 7 ) Gesetz vom 20. Februar 2015 über erneuerbare Energiequellen (Gesetzblatt der Republik Polen von 2015, Pos. 478), in Kraft seit dem 4. Mai 2015.

( 8 ) Gesetz vom 18. Juli 2001 (Gesetzblatt der Republik Polen von 2015, Pos. 469).

( 9 ) Vorlagebeschluss, Abschnitt I Nr. 2.

( 10 ) Rn. 13 der schriftlichen Erklärungen der polnischen Regierung.

( 11 ) Denselben Wortlaut haben Art. 2 Nr. 30 der Richtlinie 2009/72 und Art. 2 Nr. 30 der Richtlinie 2003/54.

( 12 ) „À savoir“ in der französischen, „namely“ in der englischen, „es decir“ in der spanischen, „vale a dire“ in der italienischen und „nomeadamente“ in der portugiesischen Fassung.

( 13 ) Anhang B Nr. 5.

( 14 ) Wasserkraft kann entweder durch Laufwasserkraftwerke genutzt werden (die einen Teil der Durchflussmenge eines Flusses oder eines Bewässerungskanals auffangen und das Wasser flussabwärts wieder einleiten) oder durch Kraftwerke am Fuß von Talsperren, also solche, die errichtet wurden, um die Wassermengen durch einen (künstlichen) Stausee zu regulieren, von dem aus das Gefälle des Wasser genutzt wird, um die Turbinen anzutreiben.

( 15 ) Vorlagebeschluss, Abschnitt III Nr. 1. Das Kraftwerk befindet sich am Gefälle des künstlichen Ablaufs von Abwässern, die ein Dritter zu gewerblichen Zwecken, die keinen Bezug zur Wasserkraft haben, behandelt hat.

( 16 ) Ein Pumpspeicherkraftwerk arbeitet mit zwei Staubecken, die in unterschiedlicher Höhe liegen. Das im unteren Becken enthaltene Wasser wird während der Stunden, in denen eine geringere Stromnachfrage herrscht, in das höherliegende gepumpt, um es später durch die Turbine leiten und auf diese Weise in den Stunden, in denen der Verbrauch höher ist, über „Stromreserven“ verfügen zu können.

( 17 ) Anhang B Nr. 5 der Verordnung Nr. 1099/2008.

( 18 ) Der Vorgang des Pumpens des Wassers in ein höhergelegenes Staubecken, von dem aus sein späterer Fall zur Erzeugung neuer elektrischer Energie genutzt wird, setzt offenkundig voraus, dass zum Antrieb der Turbinen, die das Wasser von dem unteren See bzw. Niveau nach oben leiten, Energie verwendet wird. Möglicherweise wurde der durch dieses Verfahren erlangte Umweltvorteil nicht als ausreichend angesehen, um ihm die Behandlung zugutekommen zu lassen, die das Unionsrecht für erneuerbare Energien vorsieht. Jedenfalls steht der Beitrag der Pumpspeicherkraftwerke zur Gesamtheit des Energiesystems außer Zweifel: Da nachts (bzw. in den Stunden, in denen der Verbrauch am niedrigsten ist) das Wasser unter der entsprechenden Verwendung von Elektrizität in den höherliegenden Speicher befördert wird, wird die Vermeidung von Netzüberlastungen bei Stromverbrauchsspitzen erleichtert und darüber hinaus eine „Reserve“ oder Ansammlung von Wasser gebildet, dank deren in den Stunden, in denen der Verbrauch höher ist, elektrische Energie nach Maßgabe des im jeweiligen Moment bestehenden Bedarfs eingespeist werden kann. Es handelt sich also um eine Technologie, die nicht nur eine natürliche Ressource (Wasser) nutzt, sondern auch der Unterstützung anderer intermittierender erneuerbarer Quellen (Wind, Sonne) dienen kann, wenn ihre Aktivierung erforderlich wird.

( 19 ) Rn. 27 der schriftlichen Erklärungen der Kommission.

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