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Document 62015CJ0471

Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 18. Januar 2017.
Sjelle Autogenbrug I/S gegen Skatteministeriet.
Vorabentscheidungsersuchen des Vestre Landsret.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Sonderregelung der Differenzbesteuerung – Begriff ‚Gebrauchtgegenstände‘ – Verkauf von Ersatzteilen aus Altfahrzeugen.
Rechtssache C-471/15.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2017:20

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

18. Januar 2017 ( 1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Steuerrecht — Mehrwertsteuer — Richtlinie 2006/112/EG — Sonderregelung der Differenzbesteuerung — Begriff ‚Gebrauchtgegenstände‘ — Verkauf von Ersatzteilen aus Altfahrzeugen“

In der Rechtssache C‑471/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Vestre Landsret (Berufungsgericht der Region West, Dänemark) mit Entscheidung vom 2. September 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 7. September 2015, in dem Verfahren

Sjelle Autogenbrug I/S

gegen

Skatteministeriet

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen sowie der Richter M. Vilaras (Berichterstatter), J. Malenovský, M. Safjan und D. Šváby,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. September 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Sjelle Autogenbrug I/S, vertreten durch C. Bachmann, advokat,

der dänischen Regierung, vertreten durch C. Thorning als Bevollmächtigten im Beistand von D. Auken, advokat,

der griechischen Regierung, vertreten durch E. Tsaousi und K. Nasopoulou als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch L. Lozano Palacios und M. Clausen, dann durch L. Lozano Palacios, L. Grønfeldt und M. Clausen als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. September 2016

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Sjelle Autogenbrug I/S und dem Skatteministerium (Finanzministerium, Dänemark) über die Anwendbarkeit der Regelung über die Differenzbesteuerung auf den Verkauf von Teilen von Altfahrzeugen, die als Ersatzteile verkauft werden sollen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2006/112

3

Der 51. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/112 lautet:

„Es sollte eine gemeinschaftliche Regelung für die Besteuerung auf dem Gebiet der Gebrauchtgegenstände, Kunstgegenstände, Antiquitäten und Sammlungsstücke erlassen werden, um Doppelbesteuerungen und Wettbewerbsverzerrungen zwischen Steuerpflichtigen zu vermeiden.“

4

In Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie heißt es:

„Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht auf dem Grundsatz, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine, zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden ist.

Bei allen Umsätzen wird die Mehrwertsteuer, die nach dem auf den Gegenstand oder die Dienstleistung anwendbaren Steuersatz auf den Preis des Gegenstands oder der Dienstleistung errechnet wird, abzüglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet, der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet hat.

…“

5

Titel XII („Sonderregelungen“) der Richtlinie 2006/112 enthält ein Kapitel 4 („Sonderregelungen für Gebrauchtgegenstände, Kunstgegenstände, Sammlungsstücke und Antiquitäten“), das aus den Art. 311 bis 343 besteht.

6

In Art. 311 Abs. 1 Nrn. 1 und 5 der Richtlinie heißt es:

„Für die Zwecke dieses Kapitels gelten unbeschadet sonstiger Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts folgende Begriffsbestimmungen:

1.

‚Gebrauchtgegenstände‘ sind bewegliche körperliche Gegenstände, die keine Kunstgegenstände, Sammlungsstücke oder Antiquitäten und keine Edelmetalle oder Edelsteine im Sinne der Definition der Mitgliedstaaten sind und die in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar sind;

5.

‚steuerpflichtiger Wiederverkäufer‘ ist jeder Steuerpflichtige, der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit zum Zwecke des Wiederverkaufs Gebrauchtgegenstände, Kunstgegenstände, Sammlungsstücke oder Antiquitäten kauft, seinem Unternehmen zuordnet oder einführt, gleich, ob er auf eigene Rechnung oder aufgrund eines Einkaufs- oder Verkaufskommissionsvertrags für fremde Rechnung handelt.“

7

Abschnitt 2 von Kapitel 4 in Titel XII der Richtlinie 2006/112 ist mit „Sonderregelung für steuerpflichtige Wiederverkäufer“ überschrieben. Er enthält u. a. einen Unterabschnitt 1 („Differenzbesteuerung“) mit den Art. 312 bis 325.

8

Art. 312 der Richtlinie bestimmt:

„Für die Zwecke dieses Unterabschnitts gelten folgende Begriffsbestimmungen:

1.

‚Verkaufspreis‘ ist die gesamte Gegenleistung, die der steuerpflichtige Wiederverkäufer vom Erwerber oder von einem Dritten erhält oder zu erhalten hat, einschließlich der unmittelbar mit dem Umsatz zusammenhängenden Zuschüsse, Steuern, Zölle, Abschöpfungen und Abgaben sowie der Nebenkosten wie Provisions-, Verpackungs-, Beförderungs- und Versicherungskosten, die der steuerpflichtige Wiederverkäufer dem Erwerber in Rechnung stellt, mit Ausnahme der in Artikel 79 genannten Beträge;

2.

‚Einkaufspreis‘ ist die gesamte Gegenleistung gemäß der Begriffsbestimmung unter Nummer 1, die der Lieferer von dem steuerpflichtigen Wiederverkäufer erhält oder zu erhalten hat.“

9

Art. 313 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten wenden auf die Lieferungen von Gebrauchtgegenständen, Kunstgegenständen, Sammlungsstücken und Antiquitäten durch steuerpflichtige Wiederverkäufer eine Sonderregelung zur Besteuerung der von dem steuerpflichtigen Wiederverkäufer erzielten Differenz (Handelsspanne) gemäß diesem Unterabschnitt an.“

10

In Art. 314 der Richtlinie heißt es:

„Die Differenzbesteuerung gilt für die Lieferungen von Gebrauchtgegenständen, Kunstgegenständen, Sammlungsstücken und Antiquitäten durch einen steuerpflichtigen Wiederverkäufer, wenn ihm diese Gegenstände innerhalb der Gemeinschaft von einer der folgenden Personen geliefert werden:

a)

von einem Nichtsteuerpflichtigen;

…“

11

Art. 315 der Richtlinie bestimmt:

„Die Steuerbemessungsgrundlage bei der Lieferung von Gegenständen nach Artikel 314 ist die von dem steuerpflichtigen Wiederverkäufer erzielte Differenz (Handelsspanne), abzüglich des Betrags der auf diese Spanne erhobenen Mehrwertsteuer.

Die Differenz (Handelsspanne) des steuerpflichtigen Wiederverkäufers entspricht dem Unterschied zwischen dem von ihm geforderten Verkaufspreis und dem Einkaufspreis des Gegenstands.“

12

Art. 318 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:

„(1)   Die Mitgliedstaaten können zur Vereinfachung der Steuererhebung und nach Konsultation des Mehrwertsteuerausschusses für bestimmte Umsätze oder für bestimmte Gruppen von steuerpflichtigen Wiederverkäufern vorsehen, dass die Steuerbemessungsgrundlage bei der Lieferung von Gegenständen, die der Differenzbesteuerung unterliegen, für jeden Steuerzeitraum festgesetzt wird, für den der steuerpflichtige Wiederverkäufer die in Artikel 250 genannte Mehrwertsteuererklärung abzugeben hat.

Wird Unterabsatz 1 angewandt, ist die Steuerbemessungsgrundlage für Lieferungen von Gegenständen, die ein und demselben Mehrwertsteuersatz unterliegen, die von dem steuerpflichtigen Wiederverkäufer erzielte Gesamtdifferenz abzüglich des Betrags der auf diese Spanne erhobenen Mehrwertsteuer.

(2)   Die Gesamtdifferenz entspricht dem Unterschied zwischen den beiden folgenden Beträgen:

a)

Gesamtbetrag der der Differenzbesteuerung unterliegenden Lieferungen von Gegenständen des steuerpflichtigen Wiederverkäufers während des Steuerzeitraums, der von der Erklärung umfasst wird, d. h. Gesamtsumme der Verkaufspreise;

b)

Gesamtbetrag der Käufe von Gegenständen im Sinne des Artikels 314, die der steuerpflichtige Wiederverkäufer während des Steuerzeitraums, der von der Erklärung umfasst wird, getätigt hat, d. h. Gesamtsumme der Einkaufspreise.

(3)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit sich für die in Absatz 1 genannten Steuerpflichtigen weder ungerechtfertigte Vorteile noch ungerechtfertigte Nachteile ergeben.“

Richtlinie 2000/53/EG

13

Nach dem fünften Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/53/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. September 2000 über Altfahrzeuge (ABl. 2000, L 269, S. 34) besteht ein grundlegendes Prinzip darin, dass Abfälle wiederverwendet und verwertet werden sollten, wobei die Wiederverwendung und das Recycling Vorrang haben sollten. Dem 14. Erwägungsgrund dieser Richtlinie zufolge sollte die Entwicklung von Märkten für Recyclingmaterialien gefördert werden.

14

Art. 3 („Geltungsbereich“) der Richtlinie 2000/53 sieht in Abs. 1 vor:

„Diese Richtlinie gilt für Fahrzeuge und Altfahrzeuge einschließlich ihrer Bauteile und Werkstoffe. Unbeschadet des Artikels 5 Absatz 4 Unterabsatz 3 gilt dies unabhängig davon, wie das Fahrzeug während seiner Nutzung gewartet oder repariert worden ist und ob es mit vom Hersteller gelieferten Bauteilen oder mit anderen Bauteilen bestückt ist, deren Einbau als Ersatz- oder Austauschteile den einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften oder einzelstaatlichen Vorschriften entspricht.“

Dänisches Recht

15

Im 17. Kapitel („Besondere Bestimmungen für Gebrauchtgegenstände, Kunstgegenstände, Sammlungsstücke und Antiquitäten“) der Lov om merværdiafgift nr. 106 (Gesetz Nr. 106 über die Mehrwertsteuer) vom 23. Januar 2013 in der für das Ausgangsverfahren maßgebenden Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) heißt es in § 69 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3:

„1.   Unternehmen, die Gebrauchtgegenstände, Kunstgegenstände, Sammlungsstücke oder Antiquitäten u. a. zum Zwecke des Wiederverkaufs kaufen, können beim Wiederverkauf die betreffenden Gebrauchtgegenstände nach den Vorschriften dieses Kapitels versteuern. Die Anwendung dieser Vorschriften, insbesondere auf Gebrauchtgegenstände, setzt voraus, dass diese Gegenstände dem Unternehmen aus Dänemark oder aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union geliefert werden von

1)

einem Nichtsteuerpflichtigen;

3.   Gebrauchtgegenstände sind bewegliche körperliche Gegenstände, die keine Kunstgegenstände, Sammlungsstücke, Antiquitäten, Edelsteine oder Edelmetalle sind und die in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar sind. Ein Beförderungsmittel, das in einen anderen oder aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union geliefert wird, gilt als gebraucht, wenn es nicht von der Definition in § 11 Abs. 6 erfasst wird.“

16

Nach den Vorarbeiten zum Mehrwertsteuergesetz 1994 (Folketingstidende 1993-1994, Anhang A, Spalte 4368), mit dem Mehrwertsteuervorschriften für Gebrauchtgegenstände eingefügt wurden, „[sollen] [d]ie vorgeschlagenen Vorschriften … verhindern, dass für dieselben Waren zweimal oder mehrmals die volle Mehrwertsteuer entrichtet wird. Dies kommt z. B. dann vor, wenn Händler Gebrauchtgegenstände von Privatpersonen kaufen, um sie weiterzuverkaufen“.

17

Aus diesen Vorarbeiten ergibt sich, dass unter dem Begriff „Gebrauchtgegenstände“ in § 69 Abs. 3 des Mehrwertsteuergesetzes „bewegliche körperliche Gegenstände [zu verstehen sind], die in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar sind. Daraus folgt, dass der bewegliche körperliche Gegenstand seine Identität bewahren muss“.

18

In einem Rundschreiben vom 10. Februar 2006 zur Mehrwertsteuer im Zusammenhang mit der Verschrottung von Fahrzeugen wies die Steuerverwaltung darauf hin, dass die Mehrwertsteuervorschriften für Gebrauchtgegenstände keine Anwendung auf den Weiterverkauf von Ersatzteilen durch einen Demontageanlagenbetreiber fänden, da das Fahrzeug in Ersatzteile umgewandelt werde und damit seinen Charakter ändere.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

19

Sjelle Autogenbrug ist ein Fahrzeugverwertungsunternehmen, dessen Haupttätigkeit im Handel mit gebrauchten Autoteilen aus Altfahrzeugen besteht.

20

Die Tätigkeit von Sjelle Autogenbrug schließt ferner die Behandlung der Fahrzeuge unter Umwelt- und Abfallgesichtspunkten ein, was eine Voraussetzung für die Berechtigung zur Entnahme von Ersatzteilen ist. Einen kleineren Teil des Gesamtumsatzes des Unternehmens macht schließlich der Verkauf von Metallschrott (Eisen) aus, der nach der Behandlung und der Entnahme der Autoteile zurückbleibt.

21

Sjelle Autogenbrug erwirbt die Altfahrzeuge von Privatpersonen und Versicherungsgesellschaften. Weder die Privatpersonen noch die Versicherungsgesellschaften melden Mehrwertsteuer für die Verkäufe an. Das vorlegende Gericht weist in seiner Entscheidung darauf hin, dass sich die dem Gerichtshof vorgelegte Frage nur auf die Einordnung der gebrauchten Teile von Fahrzeugen beziehe, die Sjelle Autogenbrug von Privatpersonen gekauft habe.

22

Aus der Verschrottung eines Altfahrzeugs ergibt sich ein Anspruch auf eine Verschrottungsprämie, die das Umweltministerium an den im nationalen Fahrzeugregister zuletzt eingetragenen Fahrzeugeigentümer zahlt. Diese Regelung soll den Eigentümern einen Anreiz bieten, für eine umweltgerechte Verschrottung des Fahrzeugs zu sorgen. Seit dem Jahr 2014 wird die Prämie nicht mehr von Sjelle Autogenbrug ausgezahlt, sondern die Fahrzeugeigentümer müssen sich selbst darum kümmern, dass sie sie erhalten.

23

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass keine Angaben dazu verfügbar seien, wie sich die Einkaufspreise für die Fahrzeuge zusammensetzten und insbesondere wie der Wert der Autoteile, des Metallschrotts und der für die Behandlung der Fahrzeuge unter Umwelt- und Abfallgesichtspunkten vorgesehenen Verschrottungsprämie festgesetzt und in den Verkaufspreis einbezogen werde.

24

Den Angaben des vorlegenden Gerichts zufolge weist Sjelle Autogenbrug die Mehrwertsteuer nach den allgemeinen Vorschriften aus. Am 15. Juli 2010 ersuchte sie die dänischen Steuerbehörden um eine verbindliche Auskunft darüber, ob die in Kapitel 17 des Mehrwertsteuergesetzes vorgesehene Steuerregelung für Gebrauchtgegenstände auf ihre im Wiederverkauf gebrauchter Autoteile bestehende Tätigkeit Anwendung findet.

25

Nach der verbindlichen Auskunft, die ihr die Steuerverwaltung am 6. August 2010 erteilte, darf sich Sjelle Autogenbrug nicht auf die Regelung der Differenzbesteuerung für Verkäufe von Gebrauchtgegenständen berufen, weil die fraglichen Autoteile nicht vom Begriff „Gebrauchtgegenstände“ im Sinne der einschlägigen Rechtsvorschriften umfasst seien.

26

Diese Auskunft wurde vom Landsskatteret (Finanzgericht, Dänemark) mit Urteil vom 12. Dezember 2011 bestätigt. Dagegen legte die Klägerin des Ausgangsverfahrens beim vorlegenden Gericht Rechtsmittel ein.

27

Unter diesen Umständen hat das Vestre Landsret (Berufungsgericht der Region West, Dänemark) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Können Teile von Altfahrzeugen, die ein für Zwecke der Mehrwertsteuer erfasstes Autoverwertungsunternehmen aus einem Altfahrzeug entnimmt, um sie als Ersatzteile weiterzuverkaufen, unter den Umständen des vorliegenden Falles als Gebrauchtgegenstände im Sinne von Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2006/112 angesehen werden?

Zur Vorlagefrage

28

Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass gebrauchte Teile, die aus Altfahrzeugen, die ein Autoverwertungsunternehmen von einer Privatperson erworben hat, stammen und als Ersatzteile verkauft werden sollen, „Gebrauchtgegenstände“ im Sinne dieser Bestimmung sind, mit der Folge, dass Lieferungen solcher Teile durch einen steuerpflichtigen Wiederverkäufer der Differenzbesteuerung unterliegen.

29

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass bei der Bestimmung der Bedeutung einer Vorschrift des Unionsrechts sowohl deren Wortlaut als auch ihr Ziel und ihr Kontext zu berücksichtigen sind (Urteil vom 3. März 2011, Auto Nikolovi, C‑203/10, EU:C:2011:118, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30

Im vorliegenden Fall sind nach dem Wortlaut von Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2006/112 „Gebrauchtgegenstände“„bewegliche körperliche Gegenstände, die in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar sind“.

31

Aus dieser Bestimmung folgt nicht, dass der dort verwendete Begriff „Gebrauchtgegenstände“ bewegliche körperliche Gegenstände, die in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar sind, ausschließt, wenn sie von einem anderen Gegenstand stammen, dessen Bestandteile sie waren. Dass ein gebrauchter Gegenstand, der Bestandteil eines anderen Gegenstands ist, von diesem getrennt wird, stellt nämlich die Einstufung des entnommenen Gegenstands als „Gebrauchtgegenstand“ nicht in Frage, sofern er „in seinem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung“ erneut verwendbar ist.

32

Für die Einordnung als „Gebrauchtgegenstand“ ist nur erforderlich, dass dem gebrauchten Gegenstand unverändert die Funktionen zukommen, die er im Neuzustand hatte, und dass er daher in seinem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar ist.

33

Dies ist bei Autoteilen, die aus einem Altfahrzeug entnommen wurden, der Fall, weil ihnen, auch wenn sie von diesem Fahrzeug getrennt werden, unverändert die Funktionen zukommen, die sie im Neuzustand hatten, und sie somit zu denselben Zwecken erneut verwendbar sind.

34

Diese Auslegung steht im Übrigen auch mit dem im fünften Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/53 angeführten grundlegenden Prinzip im Einklang, das darin besteht, dass Autoabfälle, darunter die Bauteile und Werkstoffe von Altfahrzeugen, wiederverwendet und verwertet werden sollten.

35

Das Vorbringen der dänischen Regierung, die Einordnung als „Gebrauchtgegenstand“ im Sinne von Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2006/112 setze eine Identität zwischen dem angekauften und dem verkauften Gegenstand voraus, was beim Ankauf eines vollständigen Kraftfahrzeugs und dem Wiederverkauf von Teilen, die aus diesem Fahrzeug entnommen wurden, nicht der Fall sei, ist nicht geeignet, eine solche Auslegung in Frage zu stellen. Die dänische Regierung ist der Auffassung, dass die Ersatzteile eines Gebrauchtfahrzeugs aus der Abfallbehandlung des Fahrzeugs hervorgegangen seien. Demzufolge hätten sie ihre Identität zwischen dem Zeitpunkt, zu dem das Unternehmen sie als Bestandteile eines Altfahrzeugs erworben habe, und dem Zeitpunkt, zu dem sie als Ersatzteile verkauft worden seien, nicht bewahrt.

36

Es ist jedoch festzustellen, dass ein Kraftfahrzeug aus einzelnen Teilen besteht, die zusammengefügt wurden und die wieder voneinander getrennt und in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung wiederverkauft werden können.

37

Demnach sind Teile, die aus Altfahrzeugen stammen, als „Gebrauchtgegenstände“ im Sinne von Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2006/112 anzusehen, mit der Folge, dass Lieferungen solcher Teile durch steuerpflichtige Wiederverkäufer der Differenzbesteuerung nach Art. 313 Abs. 1 dieser Richtlinie unterliegen.

38

Was insoweit die Differenzbesteuerung angeht, ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 315 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 die Differenz (Handelsspanne) des steuerpflichtigen Wiederverkäufers dem Unterschied zwischen dem von ihm geforderten Verkaufspreis und dem Einkaufspreis des Gegenstands entspricht.

39

Die Nichtanwendung dieser Regelung auf Ersatzteile, die aus von Privatpersonen angekauften Altfahrzeugen entnommen wurden, liefe dem Ziel der Sonderregelung der Differenzbesteuerung zuwider, das nach dem 51. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/112 darin besteht, auf dem Gebiet der Gebrauchtgegenstände Doppelbesteuerungen und Wettbewerbsverzerrungen zwischen Steuerpflichtigen zu vermeiden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. April 2004, Stenholmen, C‑320/02, EU:C:2004:213, Rn. 25, vom 8. Dezember 2005, Jyske Finans, C‑280/04, EU:C:2005:753, Rn. 37, und vom 3. März 2011, Auto Nikolovi, C‑203/10, EU:C:2011:118, Rn. 47).

40

Würden Lieferungen solcher Ersatzteile durch einen steuerpflichtigen Wiederverkäufer mit Mehrwertsteuer belegt, hätte dies nämlich eine Doppelbesteuerung zur Folge, weil zum einen im Verkaufspreis dieser Teile schon zwangsläufig die Mehrwertsteuer berücksichtigt wurde, die bereits im Vorfeld durch eine Person, die unter Art. 314 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 fällt, beim Kauf des Fahrzeugs entrichtet wurde, und zum anderen, weil dieser Betrag weder von dieser Person noch vom steuerpflichtigen Wiederverkäufer abgezogen werden konnte (vgl. Urteil vom 3. März 2011, Auto Nikolovi, C‑203/10, EU:C:2011:118, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41

Die dänische und die griechische Regierung weisen auf Schwierigkeiten hin, die sich bei der Bestimmung der Steuerbemessungsgrundlage der Differenz (Handelsspanne) und insbesondere des Einkaufspreises der einzelnen Ersatzteile nach Art. 315 der Richtlinie 2006/112 ergeben könnten.

42

Etwaige praktische Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Anwendung der Differenzbesteuerung können es jedoch nicht rechtfertigen, bestimmte Gruppen steuerpflichtiger Wiederverkäufer von dieser Regelung auszunehmen, weil weder Art. 313 noch irgendeine andere Bestimmung der Richtlinie 2006/112 die Möglichkeit eines solchen Ausschlusses vorsieht.

43

Außerdem muss sich die Steuerbemessungsgrundlage, die nach der Differenzbesteuerungsregelung bestimmt wurde, aus Aufzeichnungen ergeben, die es ermöglichen, zu überprüfen, ob sämtliche Voraussetzungen für die Anwendung dieser Regelung erfüllt sind.

44

Darüber hinaus ist daran zu erinnern, dass die Mitgliedstaaten zur Vereinfachung der Steuererhebung und nach Konsultation des Mehrwertsteuerausschusses für bestimmte Umsätze oder für bestimmte Gruppen von steuerpflichtigen Wiederverkäufern vorsehen können, dass die Steuerbemessungsgrundlage für Lieferungen von Gegenständen, die der Differenzbesteuerung unterliegen und auf die ein und derselbe Mehrwertsteuersatz angewandt wird, die Gesamtdifferenz im Sinne von Art. 318 der Richtlinie 2006/112 ist.

45

Nach alledem ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, dass Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass gebrauchte Teile, die aus Altfahrzeugen, die ein Autoverwertungsunternehmen von einer Privatperson erworben hat, stammen und als Ersatzteile verkauft werden sollen, „Gebrauchtgegenstände“ im Sinne dieser Bestimmung sind, mit der Folge, dass die Lieferungen solcher Teile durch einen steuerpflichtigen Wiederverkäufer der Differenzbesteuerung unterliegen.

Kosten

46

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass gebrauchte Teile, die aus Altfahrzeugen, die ein Autoverwertungsunternehmen von einer Privatperson erworben hat, stammen und als Ersatzteile verkauft werden sollen, „Gebrauchtgegenstände“ im Sinne dieser Bestimmung sind, mit der Folge, dass die Lieferungen solcher Teile durch einen steuerpflichtigen Wiederverkäufer der Differenzbesteuerung unterliegen.

 

Unterschriften


( 1 ) Verfahrenssprache: Dänisch.

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