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Document 62015CJ0223

Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 22. September 2016.
combit Software GmbH gegen Commit Business Solutions Ltd.
Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Düsseldorf.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Unionsmarke – Einheitlichkeit – Feststellung einer Verwechslungsgefahr nur für einen Teil der Union – Territoriale Reichweite des in Art. 102 dieser Verordnung geregelten Verbots.
Rechtssache C-223/15.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2016:719

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

22. September 2016 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Verordnung (EG) Nr. 207/2009 — Unionsmarke — Einheitlichkeit — Feststellung einer Verwechslungsgefahr nur für einen Teil der Union — Territoriale Reichweite des in Art. 102 dieser Verordnung geregelten Verbots“

In der Rechtssache C‑223/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 12. Mai 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Mai 2015, in dem Verfahren

combit Software GmbH

gegen

Commit Business Solutions Ltd

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič (Berichterstatter), der Richterin C. Toader, des Richters A. Rosas, der Richterin A. Prechal und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. März 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der combit Software GmbH, vertreten durch Rechtsanwältin J. Vogtmeier,

der Commit Business Solutions Ltd, vertreten durch Rechtsanwalt C. Thomas,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Samnadda und T. Scharf als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Mai 2016

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der combit Software GmbH und der Commit Business Solutions Ltd, in dem es darum geht, Letzterer die Benutzung eines Wortzeichens zu untersagen.

Rechtlicher Rahmen

3

Die Verordnung Nr. 207/2009 wurde mit Wirkung vom 23. März 2016 durch die Verordnung (EU) 2015/2424 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 und der Verordnung (EG) Nr. 2868/95 der Kommission zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2869/95 der Kommission über die an das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) zu entrichtenden Gebühren (ABl. 2015, L 341, S. 21) geändert. In Anbetracht des für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens maßgebenden Zeitraums ist das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen jedoch anhand der Verordnung Nr. 207/2009 in ihrer Fassung vor dieser Änderung (im Folgenden: Verordnung Nr. 207/2009) zu prüfen.

4

Im dritten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 207/2009 heißt es:

„Für die Verwirklichung der … Ziele der [Europäischen] Union ist ein Markensystem … erforderlich, das den Unternehmen ermöglicht, in einem einzigen Verfahren Unionsmarken zu erwerben, die einen einheitlichen Schutz genießen und im gesamten Gebiet der Union wirksam sind. Der hier aufgestellte Grundsatz der Einheitlichkeit der Unionsmarke sollte gelten, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist.“

5

Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung bestimmt:

„Die Unionsmarke ist einheitlich. Sie hat einheitliche Wirkung für die gesamte Union: Sie kann nur für dieses gesamte Gebiet eingetragen oder übertragen werden oder Gegenstand eines Verzichts oder einer Entscheidung über den Verfall der Rechte des Inhabers oder die Nichtigkeit sein, und ihre Benutzung kann nur für die gesamte Union untersagt werden. Dieser Grundsatz gilt, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist.“

6

In Art. 8 Abs. 1 der Verordnung heißt es:

„Auf Widerspruch des Inhabers einer älteren Marke ist die angemeldete Marke von der Eintragung ausgeschlossen,

b)

wenn wegen ihrer Identität oder Ähnlichkeit mit der älteren Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen in dem Gebiet besteht, in dem die ältere Marke Schutz genießt; dabei schließt die Gefahr von Verwechslungen die Gefahr ein, dass die Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.“

7

Art. 9 Abs. 1 dieser Verordnung sieht in seiner für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens geltenden Fassung Folgendes vor:

„Die [Unionsmarke] gewährt ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht. Dieses Recht gestattet es dem Inhaber, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr

b)

ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der Identität oder Ähnlichkeit des Zeichens mit der [Unionsmarke] und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die [Unionsmarke] und das Zeichen erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht; dabei schließt die Gefahr von Verwechslungen die Gefahr ein, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird;

…“

8

Art. 95 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten benennen für ihr Gebiet eine möglichst geringe Anzahl nationaler Gerichte erster und zweiter Instanz, nachstehend ‚Unionsmarkengerichte‘ genannt, die die ihnen durch diese Verordnung zugewiesenen Aufgaben wahrnehmen.“

9

In Art. 96 dieser Verordnung heißt es:

„Die Unionsmarkengerichte sind ausschließlich zuständig

a)

für alle Klagen wegen Verletzung und – falls das nationale Recht dies zulässt – wegen drohender Verletzung einer Unionsmarke;

…“

10

Art. 97 der Verordnung bestimmt:

„(1)   … [F]ür die Verfahren, welche durch eine in Artikel 96 genannte Klage oder Widerklage anhängig gemacht werden, [sind] die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz oder – in Ermangelung eines Wohnsitzes in einem Mitgliedstaat – eine Niederlassung hat.

(2)   Hat der Beklagte weder einen Wohnsitz noch eine Niederlassung in einem der Mitgliedstaaten, so sind für diese Verfahren die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem der Kläger seinen Wohnsitz oder – in Ermangelung eines Wohnsitzes in einem Mitgliedstaat – eine Niederlassung hat.

…“

11

In Art. 98 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 heißt es:

„Ein Unionsmarkengericht, dessen Zuständigkeit auf Artikel 97 Absätze 1 bis 4 beruht, ist zuständig für:

a)

die in einem jeden Mitgliedstaat begangenen oder drohenden Verletzungshandlungen;

…“

12

Art. 102 Abs. 1 dieser Verordnung lautet:

„Stellt ein Unionsmarkengericht fest, dass der Beklagte eine Unionsmarke verletzt hat oder zu verletzen droht, so verbietet es dem Beklagten, die Handlungen, die die Unionsmarke verletzen oder zu verletzen drohen, fortzusetzen, sofern dem nicht besondere Gründe entgegenstehen. Es trifft ferner nach Maßgabe seines innerstaatlichen Rechts die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass dieses Verbot befolgt wird.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

13

Combit Software, eine Gesellschaft deutschen Rechts, ist Inhaberin der deutschen Wortmarke und der Unionswortmarke „combit“ für Waren und Dienstleistungen des Informatikbereichs. Sie ist insbesondere im Bereich der Entwicklung und Vermarktung von Software tätig.

14

Commit Business Solutions, eine Gesellschaft israelischen Rechts, verkauft über ihre Website „www.commitcrm.com“ in einer Vielzahl von Ländern mit dem Wortzeichen „Commit“ gekennzeichnete Software. Zu der für den Ausgangsrechtsstreit maßgebenden Zeit waren ihre Verkaufsangebote in deutscher Sprache abrufbar, und die von ihr vermarktete Software konnte im Anschluss an einen Kauf nach Deutschland geliefert werden.

15

Als Inhaberin der Marken „combit“ erhob combit Software gemäß Art. 97 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 gegen Commit Business Solutions Klage vor dem Landgericht Düsseldorf. In erster Linie beantragte sie – gestützt auf die Unionsmarke, deren Inhaberin sie ist –, Commit Business Solutions zu verpflichten, die Benutzung des Wortzeichens „Commit“ für die von ihr vermarktete Software in der Union zu unterlassen. Hilfsweise beantragte sie – gestützt auf die deutsche Marke, deren Inhaberin sie ist –, die genannte Gesellschaft zu verpflichten, die Benutzung dieses Wortzeichens in Deutschland zu unterlassen.

16

Das Landgericht Düsseldorf wies den Hauptantrag von combit Software zurück, gab aber ihrem Hilfsantrag statt.

17

Da combit Software meint, dass das Landgericht Düsseldorf Commit Business Solutions die Benutzung des Wortzeichens „Commit“ in der gesamten Union hätte verbieten müssen, hat sie Berufung beim Oberlandesgericht Düsseldorf eingelegt.

18

Dieses Gericht ist der Auffassung, dass die Benutzung des Wortzeichens „Commit“ durch Commit Business Solutions in der Vorstellung des deutschsprachigen Durchschnittsverbrauchers zur Gefahr von Verwechslungen mit der Marke „combit“ führe.

19

Dagegen gebe es in der Vorstellung des englischsprachigen Durchschnittsverbrauchers keine Verwechslungsgefahr. Dieser könne nämlich den begrifflichen Unterschied zwischen dem englischen Verb to commit auf der einen Seite und dem aus den Buchstaben „com“ für computer und „bit“ für binary digit zusammengesetzten Begriff „combit“ auf der anderen Seite leicht verstehen. Die klangliche Ähnlichkeit von „Commit“ und „combit“ werde in der Vorstellung des englischsprachigen Durchschnittsverbrauchers durch ihre begriffliche Verschiedenheit neutralisiert.

20

Somit bestehe eine Verwechslungsgefahr in den deutschsprachigen Mitgliedstaaten, nicht aber in den englischsprachigen Mitgliedstaaten.

21

Deshalb stelle sich die Frage, wie in einer solchen Situation der in Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 aufgestellte Grundsatz der Einheitlichkeit der Unionsmarke umzusetzen sei, insbesondere in Bezug auf die Beurteilung der Verwechslungsgefahr und das in Art. 102 Abs. 1 dieser Verordnung geregelte Verbot.

22

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Welche Folgen hat es für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr einer Unionswortmarke, wenn aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers eines Teils der Mitgliedstaaten die klangliche Ähnlichkeit der Unionsmarke mit einer als markenverletzend gerügten Bezeichnung durch einen Bedeutungsunterschied neutralisiert wird, aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers anderer Mitgliedstaaten jedoch nicht:

a)

Ist für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr die Sicht des einen Teils oder die Sicht des anderen Teils oder die Sicht eines fiktiven Durchschnittsverbrauchers aller Mitgliedstaaten maßgeblich?

b)

Ist die Verletzung der Unionsmarke für das gesamte Gebiet der Europäischen Union zu bejahen oder zu verneinen, wenn in nur einem Teil eine Verwechslungsgefahr besteht, oder ist dann zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten zu differenzieren?

Zur Vorlagefrage

23

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 2, Art. 9 Abs. 1 Buchst. b und Art. 102 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen sind, dass ein Unionsmarkengericht, wenn es feststellt, dass die Benutzung eines Zeichens in einem Teil des Unionsgebiets zur Gefahr von Verwechslungen mit einer Unionsmarke führt, während in einem anderen Teil dieses Gebiets keine solche Gefahr besteht, zu dem Schluss kommen muss, dass eine Verletzung des durch die Marke verliehenen ausschließlichen Rechts vorliegt, und die Benutzung des Zeichens für das gesamte Unionsgebiet untersagen muss.

24

Insoweit ist vorab darauf hinzuweisen, dass in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem das angerufene Gericht in seiner Funktion als Unionsmarkengericht über eine nach Art. 97 Abs. 1 bis 4 der Verordnung Nr. 207/2009 erhobene Klage entscheidet, dieses Gericht gemäß Art. 98 Abs. 1 der Verordnung für die Prüfung der in einem jeden Mitgliedstaat begangenen oder drohenden Verletzungshandlungen zuständig ist.

25

Stellt das angerufene Unionsmarkengericht – wie hier – in Ausübung dieser Zuständigkeit fest, dass die Benutzung eines Zeichens in einem Teil der Union zur Gefahr von Verwechslungen mit einer Unionsmarke führt, während sie in einem anderen Teil der Union keine solche Gefahr hervorruft, kann es nicht zu dem Schluss kommen, dass keine Verletzung des durch die Marke verliehenen ausschließlichen Rechts vorliegt. Vielmehr muss es feststellen, dass eine Beeinträchtigung der herkunftshinweisenden Funktion der Marke und infolgedessen eine Verletzung des durch sie verliehenen ausschließlichen Rechts vorliegt.

26

In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof in einer Rechtssache, die das Recht des Inhabers einer Unionsmarke betraf, gemäß Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 der Eintragung einer ähnlichen, eine Verwechslungsgefahr schaffenden Unionsmarke zu widersprechen, bereits entschieden, dass einem solchen Widerspruch stattzugeben ist, wenn die Verwechslungsgefahr in einem Teil der Union dargetan worden ist, wobei dieser Teil beispielsweise das Gebiet eines Mitgliedstaats sein kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. September 2008, Armacell/HABM, C‑514/06 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2008:511, Rn. 56 und 57, und Beschluss vom 16. September 2010, Dominio de la Vega/HABM, C‑459/09 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2010:533, Rn. 30 und 31).

27

Entsprechendes muss in Rechtssachen gelten, deren Gegenstand das Recht des Inhabers einer Unionsmarke ist, die Benutzung eines Zeichens untersagen zu lassen, das eine Verwechslungsgefahr hervorruft. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 schützt den Inhaber einer Unionsmarke vor jeder Benutzung, die die herkunftshinweisende Funktion dieser Marke beeinträchtigt oder beeinträchtigen könnte (vgl., in Bezug auf Art. 5 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken [ABl. 2008, L 299, S. 24], dessen Wortlaut dem des Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 entspricht, Urteil vom 3. März 2016, Daimler, C‑179/15, EU:C:2016:134, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Markeninhaber hat daher das Recht, eine solche Benutzung verbieten zu lassen, selbst wenn die betreffende Funktion nur in einem Teil der Union beeinträchtigt wird.

28

Aus alledem folgt, dass eine Verwechslungsgefahr im deutschsprachigen Teil der Union – wie sie hier vom vorlegenden Gericht festgestellt wurde – das angerufene Unionsmarkengericht zu dem Schluss veranlassen muss, dass eine Verletzung des durch diese Marke verliehenen ausschließlichen Rechts vorliegt.

29

Gelangt das Gericht zu dieser Feststellung, muss es nach Art. 102 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 die Fortsetzung der Handlungen, die die Marke verletzen oder zu verletzen drohen, verbieten. Zwar gilt dies nach dieser Vorschrift nicht, wenn dem Verbot „besondere Gründe“ entgegenstehen, doch ist diese Ausnahme, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, eng auszulegen und bezieht sich nur auf bestimmte außergewöhnliche Umstände, die hier nicht gegeben sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Dezember 2006, Nokia, C‑316/05, EU:C:2006:789, Rn. 30, und Urteil vom 22. Juni 2016, Nikolajeva, C‑280/15, EU:C:2016:467, Rn. 33).

30

Um den einheitlichen Schutz zu garantieren, den die Unionsmarke im gesamten Unionsgebiet genießt, muss sich das Verbot von Handlungen, die die Marke verletzen oder zu verletzen drohen, grundsätzlich auf dieses ganze Gebiet erstrecken (vgl., in Bezug auf die durch die Verordnung Nr. 207/2009 aufgehobene und ersetzte Verordnung [EG] Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke [ABl. 1994, L 11, S. 1], Urteil vom 12. April 2011, DHL Express France, C‑235/09, EU:C:2011:238, Rn. 39 bis 44].

31

Wie aus Rn. 48 des Urteils vom 12. April 2011, DHL Express France (C‑235/09, EU:C:2011:238), hervorgeht, muss das Unionsmarkengericht jedoch die territoriale Reichweite dieses Verbots begrenzen, falls es – wie im Ausgangsverfahren – feststellt, dass die Benutzung des in Rede stehenden ähnlichen Zeichens für Waren, die mit denjenigen identisch sind, für die die fragliche Unionsmarke eingetragen ist, in einem bestimmten Teil der Union insbesondere aus sprachlichen Gründen keine Verwechslungsgefahr hervorruft und dort die herkunftshinweisende Funktion der Marke somit nicht beeinträchtigen kann.

32

Kommt das Unionsmarkengericht auf der Grundlage der Tatsachen, die ihm grundsätzlich vom Beklagten zu unterbreiten sind, zu dem Schluss, dass in einem Teil der Union keine Verwechslungsgefahr besteht, kann nämlich der aus der Benutzung des fraglichen Zeichens resultierende rechtmäßige Handel in diesem Teil der Union nicht verboten werden. Wie der Generalanwalt in den Nrn. 25 bis 27 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, würde ein solches Verbot über das durch die Unionsmarke verliehene ausschließliche Recht hinausgehen, da dieses Recht dem Inhaber der Marke nur gestattet, seine spezifischen Interessen als solche zu schützen, d. h., sicherzustellen, dass die Marke die ihr eigenen Funktionen erfüllen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. April 2011, DHL Express France, C‑235/09, EU:C:2011:238, Rn. 46 und 47).

33

Die Feststellung des Fehlens einer Verwechslungsgefahr in einem Teil der Union kann sich nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nur auf eine Prüfung aller relevanten Umstände des Einzelfalls stützen. Die Beurteilung muss einen Vergleich der einander gegenüberstehenden Zeichen in bildlicher, klanglicher und begrifflicher Hinsicht umfassen, wobei insbesondere ihre unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind (Urteil vom 25. Juni 2015, Loutfi Management Propriété intellectuelle, C‑147/14, EU:C:2015:420, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

Überdies muss der Teil der Union, für den das betreffende Unionsmarkengericht das Fehlen einer tatsächlichen oder möglichen Beeinträchtigung der Funktionen der Marke feststellt, von diesem Gericht genau bestimmt werden, damit dem gemäß Art. 102 der Verordnung Nr. 207/2009 ausgesprochenen Verbot der Benutzung des fraglichen Zeichens eindeutig zu entnehmen ist, welcher Teil des Unionsgebiets nicht von ihm erfasst wird. Will das Gericht – wie hier – bestimmte Sprachräume der Union, etwa die als „englischsprachig“ bezeichneten, vom Benutzungsverbot ausnehmen, muss es umfassend angeben, welche Gebiete dabei gemeint sind.

35

Die Auslegung, nach der das Verbot der Benutzung eines Zeichens, das die Gefahr von Verwechslungen mit einer Unionsmarke hervorruft, für das gesamte Gebiet der Union – mit Ausnahme des Teils dieses Gebiets, für den eine solche Gefahr verneint wurde – gilt, beeinträchtigt nicht die Einheitlichkeit der Unionsmarke im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009, da das Recht des Markeninhabers gewahrt bleibt, jede Benutzung verbieten zu lassen, die die seiner Marke eigenen Funktionen beeinträchtigt.

36

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 2, Art. 9 Abs. 1 Buchst. b und Art. 102 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen sind, dass ein Unionsmarkengericht, wenn es feststellt, dass die Benutzung eines Zeichens in einem Teil des Unionsgebiets zur Gefahr von Verwechslungen mit einer Unionsmarke führt, während in einem anderen Teil dieses Gebiets keine solche Gefahr besteht, zu dem Schluss kommen muss, dass eine Verletzung des durch die Marke verliehenen ausschließlichen Rechts vorliegt, und die Benutzung des Zeichens für das gesamte Unionsgebiet mit Ausnahme des Teils, für den eine Verwechslungsgefahr verneint wurde, untersagen muss.

Kosten

37

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 1 Abs. 2, Art. 9 Abs. 1 Buchst. b und Art. 102 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke sind dahin auszulegen, dass ein Unionsmarkengericht, wenn es feststellt, dass die Benutzung eines Zeichens in einem Teil des Gebiets der Europäischen Union zur Gefahr von Verwechslungen mit einer Unionsmarke führt, während in einem anderen Teil dieses Gebiets keine solche Gefahr besteht, zu dem Schluss kommen muss, dass eine Verletzung des durch die Marke verliehenen ausschließlichen Rechts vorliegt, und die Benutzung des Zeichens für das gesamte Gebiet der Europäischen Union mit Ausnahme des Teils, für den eine Verwechslungsgefahr verneint wurde, untersagen muss.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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