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Document 62015CJ0102

Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 28. Juli 2016.
Gazdasági Versenyhivatal gegen Siemens Aktiengesellschaft Österreich.
Vorabentscheidungsersuchen des Fővárosi Ítélőtábla.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Gerichtliche Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Sachlicher Anwendungsbereich – Klage auf Herausgabe wegen ungerechtfertigter Bereicherung – Ungerechtfertigte Bereicherung – Forderung, die auf der ungerechtfertigten Rückerstattung einer Geldbuße wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht beruht.
Rechtssache C-102/15.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2016:607

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

28. Juli 2016 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen — Verordnung (EG) Nr. 44/2001 — Gerichtliche Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen — Sachlicher Anwendungsbereich — Klage auf Herausgabe wegen ungerechtfertigter Bereicherung — Ungerechtfertigte Bereicherung — Forderung, die auf der ungerechtfertigten Rückerstattung einer Geldbuße wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht beruht“

In der Rechtssache C‑102/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Ítélőtábla (Berufungsgericht Budapest, Ungarn) mit Entscheidung vom 16. Februar 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 2. März 2015, in dem Verfahren

Gazdasági Versenyhivatal

gegen

Siemens Aktiengesellschaft Österreich

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin), des Richters A. Rosas, der Richterin A. Prechal und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Januar 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Gazdasági Versenyhivatal, vertreten durch L. Bak, irodavezető (Jogi Iroda),

der Siemens Aktiengesellschaft Österreich, vertreten durch C. Bán und Á Papp, ügyvédek,

Ungarns, vertreten durch M. Z. Fehér, G. Koós und A. M. Pálfy als Bevollmächtigte,

der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, J. Kemper und J. Mentgen als Bevollmächtigte,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Varrone, avvocato dello Stato,

der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Tokár und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. April 2016

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gazdasági Versenyhivatal (Wettbewerbsbehörde, Ungarn) und der Siemens Aktiengesellschaft Österreich (im Folgenden: Siemens) über eine von der Wettbewerbsbehörde gegen Siemens erhobene Klage auf Herausgabe wegen ungerechtfertigter Bereicherung.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Die Erwägungsgründe 7 und 19 der Verordnung Nr. 44/2001 lauten:

„(7)

Der sachliche Anwendungsbereich dieser Verordnung sollte sich, von einigen genau festgelegten Rechtsgebieten abgesehen, auf den wesentlichen Teil des Zivil- und Handelsrechts erstrecken.

(19)

Um die Kontinuität zwischen dem … Übereinkommen [vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung der aufeinanderfolgenden Übereinkommen über den Beitritt neuer Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen] und dieser Verordnung zu wahren, sollten Übergangsvorschriften vorgesehen werden. Dies gilt auch für die Auslegung der Bestimmungen [dieses] Übereinkommens durch den Gerichtshof der Europäischen [Union]. Ebenso sollte das Protokoll [vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof (ABl. 1975, L 204, S. 28)] auf Verfahren, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung bereits anhängig sind, anwendbar bleiben.“

4

Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 definiert ihren sachlichen Anwendungsbereich wie folgt:

„Diese Verordnung ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Sie erfasst insbesondere nicht Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten.“

5

Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 sieht vor:

„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“

6

Art. 5 in Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten“) von Kapitel II der Verordnung Nr. 44/2001 bestimmt:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

3.

wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht;

…“

Ungarisches Recht

Gesetz über unlautere Praktiken

7

§ 83 Abs. 5 des Tisztességtelen piaci magatartás és a versenykorlátozás tilalmáról szóló 1996. évi LVII. törvény (Gesetz Nr. LVII aus 1996 zur Untersagung von unlauteren Marktpraktiken und von Wettbewerbsbeschränkungen) in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz über unlautere Praktiken) sieht vor:

„Wenn die Wettbewerbsbehörde bei ihrer Entscheidung eine Rechtsvorschrift verletzt und infolgedessen dem Betroffenen ein Anspruch auf Rückzahlung der Geldbuße zusteht, sind auf den zurückzuerstattenden Betrag Zinsen in Höhe des Doppelten des jeweiligen Basiszinssatzes der Zentralbank zu zahlen.“

Zivilprozessordnung

8

Gemäß § 130 Abs. 1 Buchst. a der Zivilprozessordnung weist das Gericht die Klageschrift ohne Ladung der Parteien zurück, wenn festgestellt wird, dass die Zuständigkeit der ungarischen Gerichte für die Entscheidung über den Rechtsstreit aufgrund einer gesetzlichen Bestimmung oder der Bestimmung eines internationalen Abkommens ausgeschlossen ist.

9

§ 157/A Abs. 1 Buchst. b der Zivilprozessordnung bestimmt, dass das Gericht, wenn die Klageschrift nicht aus dem in § 130 Abs. 1 Buchst. a genannten Grund ohne Ladung der Parteien zurückzuweisen ist, sich die Zuständigkeit der ungarischen Gerichte aber nicht aus einer anderen Vorschrift ergibt, das Verfahren einstellt, sofern die beklagte Partei die Einrede der Unzuständigkeit erhebt.

Bürgerliches Gesetzbuch

10

Gemäß § 301 Abs. 1 des Gesetzes Nr. IV von 1959 über das Bürgerliche Gesetzbuch ist im Fall einer Geldschuld, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, der Schuldner vom Zeitpunkt des Eintritts des Verzugs an zur Zahlung von Zinsen in Höhe des Basiszinssatzes der Zentralbank, der am letzten Tag vor dem Beginn des Kalenderhalbjahrs des Verzugseintritts galt, auch dann verpflichtet, wenn es sich um eine ansonsten nicht verzinsliche Schuld handelt. Die Verpflichtung zur Zahlung der Zinsen besteht auch dann, wenn der Schuldner den Verzug entschuldigt.

11

Nach § 339 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs hat jeder, der einem anderen rechtswidrig einen Schaden zufügt, Schadensersatz zu leisten. Die Haftung ist ausgeschlossen, wenn der Betreffende nachweist, dass er so gehandelt hat, wie es unter den gegebenen Umständen im Allgemeinen zu erwarten war.

12

§ 361 des Bürgerlichen Gesetzbuchs lautet wie folgt:

„(1)   Wer ohne Rechtsgrund zum Nachteil eines Dritten einen Vermögensvorteil erlangt, ist verpflichtet, diesen Vorteil herauszugeben.

(2)   Ist die Bereicherung bereits vor der Rückforderung weggefallen, so ist der Betreffende nicht zum Ersatz verpflichtet, es sei denn,

a)

er musste damit rechnen, dass eine Verpflichtung zur Rückzahlung besteht, und ist für den Wegfall der Bereicherung als verantwortlich anzusehen oder

b)

er hat die Bereicherung bösgläubig erlangt.

… “

13

Gemäß § 364 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sind im Übrigen auf die ungerechtfertigte Bereicherung die Vorschriften über den Schadensersatz sinngemäß anzuwenden.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

14

Gegen Siemens, eine Gesellschaft mit Sitz in Österreich, wurde von der Wettbewerbsbehörde wegen Zuwiderhandlung gegen die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften eine Geldbuße in Höhe von 159000000 ungarischen Forint (HUF) (ca. 507000 Euro) verhängt. Siemens focht diese Geldbuße vor den ungarischen Verwaltungsgerichten an. Da jedoch eine solche Klage im ungarischen Recht keine aufschiebende Wirkung hat, zahlte die Gesellschaft die Geldbuße.

15

In erster Instanz setzte das Verwaltungsgericht die Höhe der Geldbuße auf 27300000 HUF (ca. 87000 Euro) herab. Diese Entscheidung wurde in der Berufungsinstanz bestätigt.

16

Aufgrund des Urteils des Verwaltungsgerichts zweiter Instanz erstattete die Wettbewerbsbehörde Siemens am 31. Oktober 2008131700000 HUF (ca. 420000 Euro), d. h. die Differenz zwischen der ursprünglich von dieser Behörde verhängten Geldbuße und dem von den Verwaltungsgerichten in erster und zweiter Instanz festgesetzten Betrag. Die Wettbewerbsbehörde zahlte Siemens auf der Grundlage von § 83 Abs. 5 des Gesetzes über unlautere Praktiken auch Zinsen auf diesen Betrag, und zwar in Höhe von 52016230 HUF (ca. 166000 Euro).

17

Die Wettbewerbsbehörde legte jedoch Kassationsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zweiter Instanz ein, woraufhin die Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn) entschied, dass die ursprünglich verhängte Geldbuße gerechtfertigt sei. Daher zahlte Siemens der Wettbewerbsbehörde am 25. November 2011 den Betrag von 131700000 HUF zurück; sie weigerte sich aber, ihr den Betrag von 52016230 HUF zurückzuzahlen, der den von der Wettbewerbsbehörde gezahlten Zinsen entsprach.

18

Am 12. Juli 2013 erhob die Wettbewerbsbehörde beim Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Gericht Budapest, Ungarn) eine Klage auf Herausgabe wegen ungerechtfertigter Bereicherung auf der Grundlage von § 361 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die auf die Rückzahlung dieses Betrags von 52016230 HUF zuzüglich Verzugszinsen ab dem 2. November 2008, dem ersten Werktag, der auf das Datum der ungerechtfertigten Rückerstattung des Betrags von 131700000 HUF an Siemens folgte, gerichtet war.

19

Die Wettbewerbsbehörde verlangte von Siemens auch, ihr einen Betrag von 29183277 HUF (ca. 93000 Euro) zu zahlen, der den Zinsen entsprach, die auf den Betrag von 131700000 HUF für den Zeitraum vom 2. November 2008 bis zum 24. November 2011, dem Tag vor der Rückzahlung dieses letztgenannten Betrags an die Wettbewerbsbehörde, entfielen, und trug dazu vor, dass sich dieser Betrag während dieses Zeitraums in ihrem Besitz hätte befinden müssen, da ihre ursprüngliche Entscheidung ex tunc als rechtmäßig gelte.

20

Vor dem Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Gericht Budapest) machte die Wettbewerbsbehörde geltend, dass die ungerechtfertigte Bereicherung eine Handlung darstelle, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt sei, so dass die in Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 vorgesehene besondere Zuständigkeitsregel hier Anwendung finde.

21

Siemens erhob die Einrede der Unzuständigkeit, mit der sie die Einstellung des Verfahrens beantragte und geltend machte, dass Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 hier nicht anwendbar sei und daher gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung die österreichischen und nicht die ungarischen Gerichte für das fragliche Verfahren zuständig seien.

22

Nachdem das Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Gericht Budapest) der Einrede der Unzulässigkeit mit Beschluss vom 12. Juni 2014 stattgegeben hatte, legte die Wettbewerbsbehörde gegen diesen Beschluss bei dem vorlegenden Gericht Beschwerde ein.

23

Dieses Gericht legt dar, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere das Urteil vom 18. Juli 2013, ÖFAB (C‑147/12, EU:C:2013:490), keine klaren Hinweise liefere, anhand deren es entscheiden könne, ob den ungarischen Gerichten eine besondere Zuständigkeit im Sinne von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 für die Entscheidung eines Rechtsstreits zukomme, wie er im Ausgangsverfahren in Rede stehe. Seiner Ansicht nach ist die von der Wettbewerbsbehörde gegen Siemens geltend gemachte Forderung keine vertragliche Forderung. Dagegen könne die Anwendung der in dieser Bestimmung verankerten besonderen Zuständigkeitsregel nicht ausgeschlossen werden.

24

Insbesondere fragt sich dieses Gericht, ob der Grundsatz der autonomen, aber engen Auslegung, der in Bezug auf Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 gelte, dahin auszulegen sei, dass er die Anwendung dieser besonderen Zuständigkeitsregel in einer Rechtssache wie dem Ausgangsverfahren zulasse, in der die Haftung der Beklagten ausschließlich auf ungerechtfertigte Bereicherung und nicht auf das Vorliegen eines Verschuldens oder irgendeines anderen Haftungsgrundes gestützt werde.

25

Unter diesen Umständen hat das Fővárosi Ítélőtábla (Berufungsgericht Budapest) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Hat eine Person, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, eine in einem wettbewerbsrechtlichen Verfahren verhängte Geldbuße gezahlt und dann eine Rückerstattung erhalten, die nach dem Gesetz zu verzinsen ist, und ist diese Rückerstattung später für rechtswidrig erklärt worden, handelt es sich dann bei dem Anspruch auf Rückzahlung der von der Wettbewerbsbehörde an die betreffende Person gezahlten Zinsen, den die Behörde gegenüber dieser Person geltend macht, um einen Anspruch aus einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, im Sinne von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001?

Zur Vorlagefrage

26

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass eine Klage auf Herausgabe wegen ungerechtfertigter Bereicherung, mit der die Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaats von einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat die Rückzahlung der Zinsen zu erlangen sucht, die sie an diese Gesellschaft infolge der Entscheidung der Verwaltungsgerichte des erstgenannten Mitgliedstaats, die gegen diese Gesellschaft von der Wettbewerbsbehörde verhängte Geldbuße herabzusetzen, gezahlt hat, wobei das Höchstgericht später diese Entscheidung aufgehoben und die Geldbuße wieder in ihrer ursprünglichen Höhe festgesetzt hat, einen Anspruch aus einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, im Sinne dieser Vorschrift zum Gegenstand hat.

27

Eingangs ist zu prüfen, ob eine solche Klage in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 fällt.

28

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 44/2001 das Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der durch die aufeinanderfolgenden Übereinkommen über den Beitritt neuer Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen geänderten Fassung (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen) ersetzt, so dass die Auslegung der Bestimmungen dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof auch für die Bestimmungen der Verordnung gilt, soweit die Bestimmungen dieser Rechtsakte als gleichwertig angesehen werden können (Urteil vom 14. November 2013, Maletic, C‑478/12, EU:C:2013:735, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29

Wie Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 zu entnehmen ist, wird der Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 wie der des Brüsseler Übereinkommens durch den Begriff der „Zivil- und Handelssachen“ begrenzt.

30

Da sichergestellt werden muss, dass sich aus der Verordnung Nr. 44/2001 für die Mitgliedstaaten und die betroffenen Personen so weit wie möglich gleiche und einheitliche Rechte und Pflichten ergeben, kann der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ nicht als bloße Verweisung auf das innerstaatliche Recht des einen oder anderen beteiligten Staates verstanden werden. Er ist als autonomer Begriff anzusehen, bei dessen Auslegung die Zielsetzungen und die Systematik dieser Verordnung sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich aus der Gesamtheit der nationalen Rechtsordnungen ergeben, berücksichtigt werden müssen (Urteil vom 23. Oktober 2014, flyLAL‑Lithuanian Airlines, C‑302/13, EU:C:2014:2319, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31

Um zu klären, ob ein Bereich in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt, sind die Gesichtspunkte zu prüfen, die die Natur der zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehenden Rechtsbeziehungen und dessen Gegenstand kennzeichnen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. April 2013, Sapir u. a., C‑645/11, EU:C:2013:228, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 12. September 2013, Sunico u. a., C‑49/12, EU:C:2013:545, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32

So hat der Gerichtshof entschieden, dass zwar bestimmte Rechtsstreitigkeiten, in denen sich eine Behörde und eine Privatperson gegenüberstehen, in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 fallen können, es sich jedoch anders verhält, wenn die Behörde in Ausübung hoheitlicher Befugnisse tätig wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. April 2013, Sapir u. a., C‑645/11, EU:C:2013:228, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 12. September 2013, Sunico u. a., C‑49/12, EU:C:2013:545, Rn. 34).

33

Ob dies in einem Rechtsstreit wie dem des Ausgangsverfahrens der Fall ist, ist daher anhand der zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehenden Rechtsbeziehung sowie der Grundlage der erhobenen Klage und der Modalitäten ihrer Erhebung zu ermitteln (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Mai 2003, Préservatrice foncière TIARD, C‑266/01, EU:C:2003:282, Rn. 23, vom 11. April 2013, Sapir u. a., C‑645/11, EU:C:2013:228, Rn. 34, sowie vom 12. September 2013, Sunico u. a., C‑49/12, EU:C:2013:545, Rn. 35).

34

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass zwar private Klagen, die in Verbindung mit der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts erhoben werden, in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 fallen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 23. Oktober 2014, flyLAL‑Lithuanian Airlines, C‑302/13, EU:C:2014:2319, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 21. Mai 2015, CDC Hydrogen Peroxide, C‑352/13, EU:C:2015:335, Rn. 56), dass hingegen, wie der Generalanwalt in Nr. 34 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Verhängung einer Geldbuße durch eine Verwaltungsbehörde in Ausübung der ihr nach nationalem Recht übertragenen Regulierungsbefugnisse mit Sicherheit unter den Begriff der „verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten“ fällt, die gemäß Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgeschlossen sind. Dies gilt insbesondere für eine Geldbuße wegen eines Verstoßes gegen nationale Regelungen, mit denen Wettbewerbsbeschränkungen untersagt werden.

35

Obwohl hier der Ausgangsrechtsstreit nicht unmittelbar die Geldbuße betrifft, die von der Wettbewerbsbehörde gegen Siemens wegen eines Verstoßes gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen verhängt wurde, ist dieser Rechtsstreit dennoch untrennbar mit dieser Geldbuße und mit der Streitigkeit zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens in Bezug auf deren Rechtmäßigkeit verbunden. Die Forderungen, die von der Wettbewerbsbehörde im Rahmen dieses Rechtsstreits geltend gemacht werden, beruhen nämlich auf dem Umstand, dass diese Geldbuße zunächst von Siemens gezahlt, dann von der Wettbewerbsbehörde infolge der Entscheidung der Verwaltungsgerichte erster und zweiter Instanz, mit der die Höhe der Geldbuße herabgesetzt wurde, teilweise erstattet und schließlich infolge der Entscheidung der Kúria (Oberster Gerichtshof), die Geldbuße wieder in ihrer ursprünglichen Höhe festzusetzen, von Siemens neuerlich zur Gänze gezahlt wurde.

36

Hinsichtlich der Forderung, die den Zinsen entspricht, die die Wettbewerbsbehörde an Siemens im Zeitpunkt der teilweisen Erstattung der Geldbuße gezahlt hatte, d. h. hinsichtlich des Betrags von 52016230 HUF, ist entsprechend den vom Generalanwalt in Nr. 39 seiner Schlussanträge gemachten Ausführungen festzustellen, dass diese nach § 83 Abs. 5 des Gesetzes über unlautere Praktiken automatisch entstanden ist.

37

Aus der ungarischen Verwaltungsverfahrenspraxis scheint nämlich hervorzugehen, dass jedes Mal, wenn eine von dieser Behörde verhängte Geldbuße von den Verwaltungsgerichten aufgehoben oder herabgesetzt wird, das betroffene Unternehmen Zinsen nach § 83 Abs. 5 des Gesetzes über unlautere Praktiken erhält, die diese Behörde dann zurückzufordern sucht, soweit die Geldbuße später wieder in ihrer ursprünglichen Höhe festgesetzt wird.

38

Daher fällt der Ausgangsrechtsstreit, in dem die Wettbewerbsbehörde von Siemens die Begleichung einer Forderung zu erlangen sucht, die sich aus einer Geldbuße ableitet, die sie gegen dieses Unternehmen verhängt hat, unter die verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten.

39

Der Umstand, dass die Wettbewerbsbehörde gegen Siemens Klage vor den ungarischen Zivilgerichten erhoben hat, ändert daran nichts.

40

Insoweit hat der Gerichtshof entschieden, dass der Umstand, dass ein Kläger die Erstattung von Kosten auf der Grundlage eines Anspruchs verfolgt, der seinen Ursprung in einem hoheitlichen Akt hat, unabhängig von der Art des Verfahrens, das das nationale Recht hierfür bereithält, genügt, um seine Klage als vom Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens ausgenommen anzusehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Dezember 1980, Rüffer, 814/79, EU:C:1980:291, Rn. 15).

41

Überdies wurde der im Ausgangsverfahren fragliche Betrag – im Unterschied zu der Rechtssache, in der das Urteil vom 11. April 2013, Sapir u. a. (C‑645/11, EU:C:2013:228), ergangen ist, in der es um eine Klage auf Herausgabe eines von einer Verwaltungsbehörde irrtümlich zu viel gezahlten Betrags ging – nicht irrtümlich an Siemens gezahlt, sondern die entsprechende Forderung ist aufgrund des Gesetzes entstanden, das auf das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verwaltungsverfahren anwendbar ist.

42

Daher fällt eine Klage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende auf Herausgabe wegen ungerechtfertigter Bereicherung nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001.

43

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass eine Klage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende auf Herausgabe wegen ungerechtfertigter Bereicherung, die ihren Ursprung in der Rückzahlung einer in einem wettbewerbsrechtlichen Verfahren verhängten Geldbuße hat, keine „Zivil- und Handelssache“ im Sinne von Art. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 darstellt.

Kosten

44

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

 

Eine Klage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende auf Herausgabe wegen ungerechtfertigter Bereicherung, die ihren Ursprung in der Rückzahlung einer in einem wettbewerbsrechtlichen Verfahren verhängten Geldbuße hat, stellt keine „Zivil- und Handelssache“ im Sinne von Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen dar.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Ungarisch.

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