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Document 62014CJ0499

Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 10. März 2016.
VAD BVBA und Johannes Josephus Maria van Aert gegen Belgische Staat.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion und Gemeinsamer Zolltarif – Tarifierung – Kombinierte Nomenklatur – Auslegung – Allgemeine Vorschriften – Vorschrift 3 b – Begriff ‚für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen‘ – Getrennte Pakete.
Rechtssache C-499/14.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2016:155

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

10. März 2016 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Zollunion und Gemeinsamer Zolltarif — Tarifierung — Kombinierte Nomenklatur — Auslegung — Allgemeine Vorschriften — Vorschrift 3 b — Begriff ‚für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen‘ — Getrennte Pakete“

In der Rechtssache C‑499/14

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hof van Cassatie (Kassationshof, Belgien) mit Entscheidung vom 4. November 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 10. November 2014, in dem Verfahren

VAD BVBA,

Johannes Josephus Maria van Aert

gegen

Belgische Staat

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Vizepräsidenten des Gerichtshofs A. Tizzano in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer, der Richter F. Biltgen und E. Levits, der Richterin M. Berger sowie des Richters S. Rodin (Berichterstatter),

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: A. Calot Escobar,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der VAD BVBA, vertreten durch J. Gevers, advocaat,

der belgischen Regierung, vertreten durch S. Vanrie und M. Jacobs als Bevollmächtigte,

der spanischen Regierung, vertreten durch A. Gavela Llopis als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Caeiros und W. Roels als Bevollmächtigte,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Vorschrift 3 b der Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1214/2007 der Kommission vom 20. September 2007 (ABl. L 286, S. 1) (im Folgenden: KN).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der VAD BVBA (im Folgenden: VAD) und ihrem Geschäftsführer, Herrn Van Aert, einerseits und dem Belgischen Staat andererseits wegen der zolltariflichen Einordnung von kombinierten Video- und Audiogeräten sowie Lautsprechern.

Rechtlicher Rahmen

KN

3

Die mit der Verordnung Nr. 2658/87 eingeführte KN beruht auf dem Harmonisierten System zur Bezeichnung und Codierung der Waren (im Folgenden: HS), das vom Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens, jetzt Weltzollorganisation (WZO), ausgearbeitet und durch das am 14. Juni 1983 in Brüssel geschlossene Internationale Übereinkommen über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren (im Folgenden: HS-Übereinkommen) eingeführt und mit dem dazugehörigen Änderungsprotokoll vom 24. Juni 1986 durch den Beschluss 87/369/EWG des Rates vom 7. April 1987 (ABl. L 198, S. 1) im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft genehmigt wurde.

4

Nach Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2658/87 in der durch die Verordnung (EG) Nr. 254/2000 des Rates vom 31. Januar 2000 (ABl. L 28, S. 16) geänderten Fassung veröffentlicht die Kommission jährlich in Form einer Verordnung die vollständige Fassung der KN zusammen mit den Zollsätzen, wie sie sich aus den vom Rat der Europäischen Union oder von der Kommission beschlossenen Maßnahmen ergeben. Diese Verordnung gilt jeweils ab dem 1. Januar des folgenden Jahres.

5

Auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens ist die KN in der Fassung der Verordnung Nr. 1214/2007 anwendbar.

6

Die KN übernimmt die sechsstelligen Positionen und Unterpositionen des HS; nur die siebte und die achte Stelle bilden eigene Unterteilungen.

7

Teil I der KN enthält eine Reihe von einführenden Vorschriften. In diesem Teil heißt es in dem den Allgemeinen Vorschriften gewidmeten Titel I unter Abschnitt A („Allgemeine Vorschriften für die Auslegung der [KN]“, im Folgenden: Allgemeine Vorschriften):

„Für die Einreihung von Waren in die [KN] gelten folgende Grundsätze:

1.

Die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel sind nur Hinweise. Maßgebend für die Einreihung sind der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und – soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nichts anderes bestimmt ist – die nachstehenden Allgemeinen Vorschriften.

3.

Kommen für die Einreihung von Waren bei Anwendung der Allgemeinen Vorschrift 2 b) oder in irgendeinem anderen Fall zwei oder mehr Positionen in Betracht, so wird wie folgt verfahren:

a)

Die Position mit der genaueren Warenbezeichnung geht den Positionen mit allgemeiner Warenbezeichnung vor. Zwei oder mehr Positionen, von denen sich jede nur auf einen Teil der in einer gemischten oder zusammengesetzten Ware enthaltenen Stoffe oder nur auf einen oder mehrere Bestandteile einer für den Einzelverkauf aufgemachten Warenzusammenstellung bezieht, werden im Hinblick auf diese Waren als gleich genau betrachtet, selbst wenn eine von ihnen eine genauere oder vollständigere Warenbezeichnung enthält.

b)

Mischungen, Waren, die aus verschiedenen Stoffen oder Bestandteilen bestehen, und für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen, die nach der Allgemeinen Vorschrift 3 a) nicht eingereiht werden können, werden nach dem Stoff oder Bestandteil eingereiht, der ihnen ihren wesentlichen Charakter verleiht, wenn dieser Stoff oder Bestandteil ermittelt werden kann.

c)

Ist die Einreihung nach den Allgemeinen Vorschriften 3 a) und 3 b) nicht möglich, wird die Ware der von den gleichermaßen in Betracht kommenden Positionen in dieser Nomenklatur zuletzt genannten Position zugewiesen.

…“

8

Zum zweiten Teil der KN, der die Tabelle der Zollsätze enthält, gehört Abschnitt XVI („Maschinen, Apparate, mechanische Geräte und elektrotechnische Waren, Teile davon; Tonaufnahme- oder Tonwiedergabegeräte, Fernseh-Bild- und ‑Tonaufzeichnungsgeräte oder Fernseh-Bild- und ‑Tonwiedergabegeräte, Teile und Zubehör für diese Geräte“).

9

In Abschnitt XVI befindet sich das Kapitel 85 („Elektrische Maschinen, Apparate, Geräte und andere elektrotechnische Waren, Teile davon; Tonaufnahme- oder Tonwiedergabegeräte, Bild- und Tonaufzeichnungs- oder ‑Wiedergabegeräte, für das Fernsehen, Teile und Zubehör für diese Geräte“) der KN.

10

Die KN-Position 8518 lautet:

„8518Mikrofone und Haltevorrichtungen dafür; Lautsprecher, auch in Gehäusen; Kopf- und Ohrhörer, auch mit Mikrofon kombiniert, und Zusammenstellungen, aus einem Mikrofon und einem oder mehreren Lautsprechern bestehend; elektrische Tonfrequenzverstärker; elektrische Tonverstärkereinrichtungen:8518 10– Mikrofone und Haltevorrichtungen dafür:8518 10 30– – Mikrofone mit einem Frequenzbereich von 300 Hz bis 3,4 kHz, einem Durchmesser von 10 mm oder weniger und einer Höhe von 3 mm oder weniger, von der für Telekommunikationszwecke verwendeten Art8518 10 95

– – andere

– Lautsprecher, auch in Gehäusen:

8518 21 00‐ ‐ Einzellautsprecher im Gehäuse8518 22 00‐ ‐ zwei oder mehr Lautsprecher in einem gemeinsamen Gehäuse (Mehrfachlautsprecher)

8518 29

‐ ‐ andere:

…“

11

Die Position 8521 der KN lautet:

„8521

Videogeräte zur Bild- und Tonaufzeichnung oder ‑wiedergabe, auch mit eingebautem Videotuner:

8521 10

‐ Magnetbandgeräte:

8521 10 20

‐ ‐ für Magnetbänder mit einer Breite von 1,3 cm oder weniger und einer Bandlaufgeschwindigkeit bei der Bild- und Tonaufzeichnung oder ‑wiedergabe von 50 mm oder weniger pro Sekunde

8521 10 95

‐ ‐ andere

8521 90 00

‐ andere“

Leitlinien

12

Die von der Kommission erarbeiteten Leitlinien zur Einreihung von für den Einzelverkauf aufgemachten Warenzusammenstellungen in die Kombinierte Nomenklatur (ABl. 2013, C 105, S. 1, im Folgenden: Leitlinien) sehen u. a. vor:

„Im Sinne [der Allgemeinen Vorschrift 3 b] bezeichnet der Begriff ‚für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen‘ Warenzusammenstellungen, die

a)

aus mindestens zwei verschiedenen Waren bestehen, für deren Einreihung unterschiedliche Positionen in Betracht kommen;

b)

aus Waren bestehen, die zur Befriedigung eines speziellen Bedarfs oder zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit zusammengestellt worden sind und

c)

so aufgemacht sind, dass sie sich ohne vorheriges Umpacken zur direkten Abgabe an die Verbraucher eignen (z. B. in Schachteln, Kästchen oder auf Unterlagen).

Alle oben angegebenen Voraussetzungen müssen erfüllt sein.

…“

13

Speziell zu der Voraussetzung, dass die Waren so aufgemacht sein müssen, dass sie sich ohne vorheriges Umpacken zur direkten Abgabe an die Verbraucher eignen, heißt es in den Leitlinien:

„1)

Nach dieser Bedingung müssen für die Einreihung als ‚Warenzusammenstellung‘ ALLE im Folgenden genannten Voraussetzungen erfüllt sein:

a)

Alle Bestandteile der ‚Warenzusammenstellung‘ müssen gleichzeitig gestellt werden und in derselben Anmeldung enthalten sein.

b)

Alle Bestandteile müssen in derselben Verpackung angeboten werden, z. B. einem Tragebehältnis, einem Kunststoffbeutel, einer Schachtel oder einem Netz, oder (verpackt oder unverpackt) zusammengebunden sein, beispielsweise mit faserverstärktem Klebeband.

c)

Alle Bestandteile müssen so aufgemacht sein, dass sie sich ohne vorheriges Umpacken zur direkten Abgabe an die Verbraucher eignen.

2)

Als Ausnahme zu Punkt 1) b) können für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen in getrennten Paketen angeboten werden, sofern dies gerechtfertigt ist, sei es durch die Zusammensetzung der Waren (wie Größe, Gewicht, Form oder chemische Zusammensetzung) oder aus transporttechnischen oder Sicherheitsgründen, vorausgesetzt, die Waren eignen sich ohne vorheriges Umpacken zur direkten Abgabe an die Verbraucher.

Dies ist nur in folgenden Fällen akzeptabel:

a)

wenn die Waren in ‚entsprechenden Mengen‘ angeboten werden, z. B. ein Esstisch (für vier Personen) und vier Stühle (nicht in ‚nicht entsprechenden Mengen‘, z. B. drei Esstische [für je vier Personen] und ein Stuhl),

und

b)

wenn die Waren aufgrund ihrer Aufmachung eindeutig als zusammengehörig erkennbar sind, z. B.:

i)

wenn die Pakete eindeutig zusammengehören (erkennbar an Nummerierung, Bildern, Handelsbezeichnung usw.) oder

ii)

wenn in den Dokumenten angegeben ist, dass sich die betreffenden Waren in getrennten Paketen befinden, aber zusammengehören.“

HS

14

Nach Art. 3 Abs. 1 des HS-Übereinkommens verpflichtet sich jede Vertragspartei, ihre Zolltarifnomenklatur und ihre Statistiknomenklaturen mit dem HS in Übereinstimmung zu bringen, alle Positionen und Unterpositionen des HS sowie die dazugehörigen Codenummern zu verwenden, ohne etwas hinzuzufügen oder zu ändern, und die Nummernfolge des HS einzuhalten. Gemäß der erwähnten Bestimmung verpflichtet sich jede Vertragspartei außerdem, die Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung des HS sowie alle Anmerkungen zu den Abschnitten, Kapiteln und Unterpositionen des HS anzuwenden und deren Tragweite nicht zu verändern.

15

Die WZO, die durch das am 15. Dezember 1950 in Brüssel geschlossene internationale Abkommen über die Gründung des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens errichtet wurde, genehmigt nach Maßgabe von Art. 8 des HS-Übereinkommens die vom Ausschuss für das HS, dessen Ausgestaltung in Art. 6 des HS-Übereinkommens geregelt ist, ausgearbeiteten Erläuterungen.

16

Die von diesem Ausschuss ausgearbeiteten Erläuterungen enthalten in ihrer für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens maßgeblichen Fassung (im Folgenden: HS-Erläuterungen) folgende Erläuterung zur Allgemeinen Vorschrift 3 b für die Auslegung des HS:

„…

VI)

Diese zweite Einreihungsmethode gilt für:

1)

Gemische;

2)

aus verschiedenen Stoffen zusammengesetzte Waren;

3)

aus verschiedenen Bestandteilen zusammengesetzte Waren;

4)

Warenzusammenstellungen in Aufmachungen für den Einzelverkauf. Sie wird nur angewendet, wenn die Allgemeine Vorschrift 3 a zu keinem Ergebnis geführt hat.

VII)

Kann in diesen Fällen ein Stoff oder Bestandteil ermittelt werden, der den Charakter der Ware bestimmt, ist die Ware so einzureihen, als bestände sie aus diesem Stoff oder Bestandteil.

X)

‚Warenzusammenstellungen in Aufmachungen für den Einzelverkauf‘ im Sinne dieser Allgemeinen Vorschrift sind solche Zusammenstellungen, die

a)

aus mindestens zwei verschiedenen Waren bestehen, für deren Einreihung unterschiedliche Positionen in Betracht kommen. Deshalb können z. B. sechs Fonduegabeln nicht als Warenzusammenstellung im Sinne dieser Allgemeinen Vorschrift behandelt werden,

b)

aus Waren bestehen, die zur Befriedigung eines speziellen Bedarfs oder zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit zusammengestellt worden sind und

c)

so aufgemacht sind, dass sie sich ohne vorheriges Umpacken zur direkten Abgabe an die Verbraucher eignen (z. B. in Schachteln, Kästchen, Klarsichtpackungen oder auf Unterlagen).“

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

17

Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass VAD, deren Geschäftsführer Herr Van Aert ist, am 10., 11. und 23. Januar 2008 als Zollspediteurin in eigenem Namen, aber für Rechnung der Zicplay SA und im Auftrag von Transmar Logistics drei Einfuhranmeldungen „IM4“ von den zuständigen Zolldienststellen in Antwerpen (Belgien) für die Überführung kombinierter Video- und Audiogeräte namens „micro Z 99 DVBT“, die zum einen aus einer Kombination aus DVD-Player, USB-Verbindung, FM-Tuner, TFT-LCD-Display, MP3-Player und TV-Tuner (im Folgenden: kombinierte Audio‑/Videogeräte) und zum anderen aus abnehmbaren Lautsprechern bestanden, in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr für gültig erklären ließ.

18

Diese Waren wurden beim Transport demontiert und in den Einfuhranmeldungen „IM4“ nach Komponenten gesondert angemeldet.

19

Die Geräte „micro Z 99 DVBT“ wurden dabei in zwei gesonderte KN-Codes eingereiht, und zwar die kombinierten Audio‑/Videogeräte in die Unterposition 8518 1095 90 der KN, für die ein Zolltarif von 2,5 % galt, und die abnehmbaren Lautsprecher in die Unterposition 8518 2200 90 der KN, für die ein Zolltarif von 4,5 % galt.

20

Die kombinierten Audio‑/Videogeräte und die Lautsprecher wurden daher nicht als Einheit unter der Position 8521 9000 90 angemeldet, für die ein Zolltarif von 13,9 % zu entrichten war.

21

VAD und Herr Van Aert wurden am 21. Oktober 2011 vor die Correctionele rechtbank te Antwerpen (Korrektionalgericht Antwerpen) geladen und beschuldigt, unter einer falschen Bezeichnung und unter einem falschem Warenzolltarifcode drei Sendungen von „micro Z 99 DVBT“-Geräten für die Überführung in den zoll- oder steuerrechtlich freien Verkehr im Zollgebiet der Gemeinschaft angemeldet zu haben.

22

Nach dem Urteil dieses Gerichts vom 6. Juni 2012 hätten die kombinierten Audio‑/Videogeräte und die Lautsprecher als Warenzusammenstellung angesehen und zusammen in die Tarifposition 8521 9000 90 der KN eingereiht werden müssen. Es verurteilte VAD und Herrn van Aert gemeinsam zu einer Geldbuße und zur Zahlung der hinterzogenen Einfuhrzölle.

23

Auf ein gegen dieses Urteil eingelegtes Rechtsmittel hin bestätigte der Hof van beroep te Antwerpen (Appellationshof Antwerpen) diese Entscheidung mit Urteil vom 11. September 2013.

24

Dabei trug er insbesondere dem Umstand Rechnung, dass die kombinierten Audio‑/Videogeräte und die Lautsprecher zusammen in denselben Einfuhranmeldungen „IM4“ beim Zoll angemeldet worden seien und dass sie nach den Warendokumenten eindeutig zusammengehörten und gemeinsam vermarktet werden sollten.

25

Waren stellten eine für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellung dar, wenn feststehe, dass sie im Einzelhandel als Paket zum Verkauf angeboten würden und folglich zusammen in dieser Weise vermarktet werden sollten. Dies sei hier der Fall, wie ein Bündel von Tatsachen belege, nämlich die gemeinsame Einfuhr, Beförderung, Berechnung und Abfertigung der Waren, die Identität des Empfängers, die visuelle Präsentation des Geräts und der Umstand, dass die Zahl der eingeführten Lautsprecherpaare genau der Zahl der kombinierten Audio‑/Videogeräte entspreche. Die kombinierten Audio‑/Videogeräte und die Lautsprecher hätten daher zum Zeitpunkt ihrer Einreihung eine für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellung dargestellt. Dass sie zum Zeitpunkt der Zollabfertigung nicht in einer einzigen Verpackung zum Verkauf angeboten worden seien, ändere an dieser Feststellung nichts.

26

VAD und Herr Van Aert legten gegen dieses Urteil beim vorlegenden Gericht Kassationsbeschwerde ein.

27

Das vorlegende Gericht fragt sich in diesem Zusammenhang insbesondere, ob für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen, die zu Recht in getrennten Paketen beim Zoll angemeldet worden seien, bei denen aber offensichtlich sei, dass sie zusammengehörten und im Einzelhandel als Einheit angeboten werden sollten, auch dann als „für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen“ im Sinne der Vorschrift 3 b der Allgemeinen Vorschriften anzusehen seien, wenn sie erst nach der Anmeldung im Hinblick auf die Vermarktung im Einzelhandel zusammen verpackt würden.

28

Unter diesen Umständen hat der Hof van Cassatie (Kassationshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen, die in getrennten Paketen beim Zoll angemeldet werden, weil dies gerechtfertigt ist, bei denen aber offensichtlich ist, dass sie zusammengehören und im Einzelhandel als Einheit angeboten werden sollen, auch dann als für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen im Sinne der Vorschrift 3 b der Allgemeinen Vorschriften anzusehen, wenn die Waren nach der Anmeldung im Hinblick auf die Vermarktung im Einzelhandel zusammen verpackt werden?

Zur Vorlagefrage

29

Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob und inwieweit die Vorschrift 3 b der Allgemeinen Vorschriften dahin ausgelegt werden kann, dass Waren wie die im Ausgangsverfahren fraglichen, die in getrennten Paketen beim Zoll angemeldet und erst danach zusammen verpackt werden, gleichwohl als „für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen“ im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden und daher unter dieselbe Tarifposition fallen können, wenn aufgrund anderer objektiver Faktoren feststeht, dass die Waren eine Einheit bilden und als solche im Einzelhandel angeboten werden sollen.

30

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Vorschrift 3 b der Allgemeinen Vorschriften, die insbesondere die Einreihung für den Einzelverkauf aufgemachter Warenzusammenstellungen regelt, nur anwendbar ist, wenn zum einen die betreffenden Waren unterschiedlichen Positionen der KN zugeordnet werden können und zum anderen die Tarifierung nach Vorschrift 3 a der Allgemeinen Vorschriften unmöglich ist, d. h. vor allem, sofern sie nicht nach einer Tarifposition mit genauer Warenbezeichnung, die Tarifpositionen mit allgemeiner Warenbezeichnung vorgeht, vorgenommen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteile Telefunken Fernseh und Rundfunk, 163/84, EU:C:1985:396, Rn. 36 und 37, sowie Kurcums Metal, C‑558/11, EU:C:2012:721, Rn. 36).

31

Auch wenn im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Anwendung der Vorschrift 3 b der Allgemeinen Vorschriften in Bezug auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren auf den ersten Blick erfüllt zu sein scheinen, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, die insoweit erforderliche Beurteilung vorzunehmen und zu prüfen, ob die Waren in unterschiedliche Positionen der KN eingereiht werden können, von denen keine als genauer im Sinne der Vorschrift 3 a der Allgemeinen Vorschriften anzusehen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Kurcums Metal, C‑558/11, EU:C:2012:721, Rn. 28, und Vario Tek, C‑178/14, EU:C:2015:152, Rn. 18).

32

Hinsichtlich der Vorlagefrage ist hervorzuheben, dass die HS-Erläuterungen sowie die Leitlinien zu Vorschrift 3 b der Allgemeinen Vorschriften insbesondere vorsehen, dass als „Warenzusammenstellungen“ im Sinne dieser Vorschrift nur Waren angesehen werden können, die „so aufgemacht sind, dass sie sich ohne vorheriges Umpacken zur direkten Abgabe an die Verbraucher eignen“. Im vorliegenden Fall wurden die im Ausgangsverfahren fraglichen Waren jedoch erst nach ihrer Zollabfertigung zusammen verpackt, um als Einheit verkauft zu werden. Dies könnte nach Ansicht des vorlegenden Gerichts dazu führen, sie vom Begriff „für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen“ im Sinne der HS-Erläuterungen und Leitlinien auszuschließen.

33

Insoweit hat der Gerichtshof entschieden, dass die von der Kommission zur KN und von der WZO zum HS ausgearbeiteten Erläuterungen ein wichtiges, wenn auch nicht rechtsverbindliches Hilfsmittel für die Auslegung der Tragweite der einzelnen Tarifpositionen sind (vgl. insbesondere Urteile Digitalnet u. a., C‑320/11, C‑330/11, C‑382/11 und C‑383/11, EU:C:2012:745, Rn. 33, sowie Data I/O, C‑297/13, EU:C:2014:331, Rn. 33).

34

Der Inhalt dieser Erläuterungen muss daher mit den Bestimmungen der KN im Einklang stehen und darf deren Bedeutung nicht verändern (Urteile JVC France, C‑312/07, EU:C:2008:324, Rn. 34, und Vario Tek, C‑178/14, EU:C:2015:152, Rn. 22). Dies gilt umso mehr für die Leitlinien, weil die Kommission darin erläutert, welchen Umfang der Begriff „für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen“ im Sinne der Vorschrift 3 b der Allgemeinen Vorschriften ihres Erachtens haben muss.

35

Somit ist erstens festzustellen, dass jedenfalls weder aus dem Wortlaut von Vorschrift 3 b der Allgemeinen Vorschriften und im Übrigen auch nicht aus den HS-Erläuterungen oder den Leitlinien, die bestimmte Ausnahmen vom Erfordernis einer einheitlichen Verpackung vorsehen, hervorgeht, dass der Begriff „Zusammenstellung“ im Sinne dieser Vorschrift zwingend und stets voraussetzt, dass sich die betreffenden Waren bei der Zollabfertigung in derselben Verpackung befinden.

36

Zweitens hat der Gerichtshof entschieden, dass der Begriff „Zusammenstellung“ im Sinne dieser Vorschrift eine enge Verbindung zwischen den betreffenden Waren unter dem Aspekt ihrer Vermarktung voraussetzt. Sie müssen nicht nur zusammen zur Zollabfertigung gestellt werden, sondern auch auf den verschiedenen Handelsstufen, insbesondere im Einzelhandel, normalerweise zusammen in einer gemeinsamen Verpackung zur Befriedigung eines Bedarfs oder zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit angeboten werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Telefunken Fernseh und Rundfunk, 163/84, EU:C:1985:396, Rn. 35).

37

Insoweit geht zwar aus dem Urteil Telefunken Fernseh und Rundfunk (163/84, EU:C:1985:396) hervor, dass „Warenzusammenstellungen“, um gemeinsam als solche eingereiht werden zu können, zusammen zur Zollabfertigung gestellt werden müssen. Aus diesem Urteil ergibt sich jedoch nicht, dass die fraglichen Waren dabei zwingend in derselben Verpackung gestellt werden müssen. Der Begriff „Warenzusammenstellungen“ bezieht sich vielmehr auf eine Kombination von Waren, die gewöhnlich, insbesondere im Einzelhandel, zusammen in einer gemeinsamen Verpackung zur Befriedigung eines Bedarfs oder zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit angeboten werden.

38

Die gemeinsame Verpackung der Waren anlässlich ihrer zollrechtlichen Gestellung ist also keine unabdingbare Voraussetzung für ihre Einstufung als Einheit und damit als „Zusammenstellung“ im Sinne der Vorschrift 3 b der Allgemeinen Vorschriften, sondern nur ein Indiz, aus dem eine solche Feststellung abgeleitet werden kann.

39

Eine gegenteilige Auslegung des Begriffs „Zusammenstellung“ würde es Importeuren de facto ermöglichen, mittels einer relativ einfachen Manipulation wie dem Wiederverpacken oder der Verbindung von Waren mittels eines Klebebandes die für sie günstigste tarifliche Einordnung der betreffenden Waren – als Einheit oder gesondert – selbst zu wählen.

40

Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs verstieße eine solche Möglichkeit gegen den Grundsatz, wonach das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen ist, und würde daher zu einer Beeinträchtigung des Ziels, die Zollkontrollen zu erleichtern, und der Rechtssicherheit, die bei der Tarifierung der eingeführten Waren im Vordergrund stehen muss, führen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile Kurcums Metal, C‑558/11, EU:C:2012:721, Rn. 29, und Humeau Beaupréau, C‑2/13, EU:C:2014:48, Rn. 45).

41

Des Weiteren ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Wesentlichen, dass zur Klärung der bei der zollrechtlichen Gestellung der betreffenden Waren auftretenden Frage, ob diese Waren eine Einheit oder, anders ausgedrückt, eine „Zusammenstellung“ im Sinne der Vorschrift 3 b der Allgemeinen Vorschriften bilden, letztlich darauf abzustellen ist, wie sie den Verbrauchern angeboten werden sollen, d. h., ob sie ihnen als Einheit angeboten werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Telefunken Fernseh und Rundfunk, 163/84, EU:C:1985:396, Rn. 35).

42

Schließlich ist der belgischen Regierung beizupflichten, dass die im Ausgangsverfahren nach der Zollabfertigung erfolgte Umverpackung der in Rede stehenden Waren in gemeinsame Verpackungen nicht zwangsläufig impliziert, dass sich diese Waren nicht ohne vorheriges Umpacken zur direkten Abgabe als Einheit an die Verbraucher eigneten. In Anbetracht der Angaben des vorlegenden Gerichts erscheint nämlich der gemeinsame Verkauf der kombinierten Audio‑/Videogeräte und der dazugehörigen Lautsprecher an die Verbraucher in getrennten Schachteln ebenso denkbar und gerechtfertigt wie ihr Verkauf in einer gemeinsamen Verpackung.

43

Folglich kann der Umstand, dass Waren in getrennten Paketen dem Zoll gestellt und erst nach ihrer Zollabfertigung gemeinsam verpackt werden, für sich genommen einer Einordnung dieser Waren als „für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen“ im Sinne der Vorschrift 3 b der Allgemeinen Vorschriften nicht entgegenstehen, wenn zum Zeitpunkt der Zollabfertigung aus anderen objektiven Faktoren eindeutig hervorgeht, dass diese Waren eine Einheit bilden und als solche im Einzelhandel verkauft werden sollen.

44

Solche objektiven Faktoren lassen sich aus Umständen wie den in der Vorlageentscheidung genannten ableiten, nämlich der gemeinsamen Einfuhr, Beförderung, Berechnung und Abfertigung der Waren, der Identität des Empfängers, der visuellen Präsentation des Geräts und dem Umstand, dass die Zahl der eingeführten Lautsprechersets genau der Zahl der kombinierten Audio‑/Videogeräte entspricht. Es ist jedoch Sache des nationalen Gerichts, die relevanten Umstände zu beurteilen, um festzustellen, ob davon ausgegangen werden kann, dass die im Ausgangsverfahren fraglichen Waren in Form von Zusammenstellungen angeboten wurden.

45

Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Vorschrift 3 b der Allgemeinen Vorschriften dahin auszulegen ist, dass Waren wie die im Ausgangsverfahren fraglichen, die in getrennten Paketen beim Zoll angemeldet und erst danach zusammen verpackt werden, gleichwohl als „für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen“ im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden und daher unter dieselbe Tarifposition fallen können, wenn aufgrund anderer objektiver Faktoren feststeht, dass die Waren eine Einheit bilden und als solche im Einzelhandel angeboten werden sollen; dies zu beurteilen ist Sache des nationalen Gerichts.

Kosten

46

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Vorschrift 3 b der Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1214/2007 der Kommission vom 20. September 2007 ist dahin auszulegen, dass Waren wie die im Ausgangsverfahren fraglichen, die in getrennten Paketen beim Zoll angemeldet und erst danach zusammen verpackt werden, gleichwohl als „für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen“ im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden und daher unter dieselbe Tarifposition fallen können, wenn aufgrund anderer objektiver Faktoren feststeht, dass die Waren eine Einheit bilden und als solche im Einzelhandel angeboten werden sollen; dies zu beurteilen ist Sache des nationalen Gerichts.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.

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