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Document 62014CJ0404

Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 6. Oktober 2015.
Verfahren auf Betreiben von Marie Matoušková.
Vorabentscheidungsersuchen des Nejvyšší soud.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung – Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 – Art. 1 Abs. 1 Buchst. b – Sachlicher Anwendungsbereich – Vereinbarung zur Erbauseinandersetzung zwischen dem überlebenden Ehegatten und den von einem Verfahrenspfleger vertretenen minderjährigen Kindern – Qualifizierung – Richterlicher Genehmigungsvorbehalt – Die elterliche Verantwortung betreffende Maßnahme oder Erbschaften betreffende Maßnahme.
Rechtssache C-404/14.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2015:653

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

6. Oktober 2015 ( * )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen — Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung — Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 — Art. 1 Abs. 1 Buchst. b — Sachlicher Anwendungsbereich — Vereinbarung zur Erbauseinandersetzung zwischen dem überlebenden Ehegatten und den von einem Verfahrenspfleger vertretenen minderjährigen Kindern — Qualifizierung — Richterlicher Genehmigungsvorbehalt — Die elterliche Verantwortung betreffende Maßnahme oder Erbschaften betreffende Maßnahme“

In der Rechtssache C‑404/14

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Nejvyšší soud (Oberstes Gericht, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 25. Juni 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 25. August 2014, in dem Verfahren

Marie Matoušková, Gerichtskommissarin im Nachlassverfahren,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, des Richters A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter E. Jarašiūnas und C. G. Fernlund,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin und M. Thomannová-Körnerová als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 25. Juni 2015

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 Buchst. f der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. L 338, S. 1).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines von Frau Matoušková in ihrer Eigenschaft als Gerichtskommissarin im Nachlassverfahren eingeleiteten Verfahrens, mit dem bestimmt werden soll, welches Gericht für die Genehmigung der Vereinbarung zur Erbauseinandersetzung, die der für die minderjährigen Kinder bestellte Verfahrenspfleger für diese abgeschlossen hat, zuständig ist.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 2201/2003

3

Art. 1 dieser Verordnung bestimmt:

„(1)   Diese Verordnung gilt, ungeachtet der Art der Gerichtsbarkeit, für Zivilsachen mit folgendem Gegenstand:

b)

die Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung sowie die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung.

(2)   Die in Absatz 1 Buchstabe b) genannten Zivilsachen betreffen insbesondere:

b)

die Vormundschaft, die Pflegschaft und entsprechende Rechtsinstitute,

c)

die Bestimmung und den Aufgabenbereich jeder Person oder Stelle, die für die Person oder das Vermögen des Kindes verantwortlich ist, es vertritt oder ihm beisteht,

e)

die Maßnahmen zum Schutz des Kindes im Zusammenhang mit der Verwaltung und Erhaltung seines Vermögens oder der Verfügung darüber.

(3)   Diese Verordnung gilt nicht für

f)

Trusts und Erbschaften,

…“

4

In Art. 2 der Verordnung heißt es:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

7.

‚elterliche Verantwortung‘ die gesamten Rechte und Pflichten, die einer natürlichen oder juristischen Person durch Entscheidung oder kraft Gesetzes oder durch eine rechtlich verbindliche Vereinbarung betreffend die Person oder das Vermögen eines Kindes übertragen wurden. Elterliche Verantwortung umfasst insbesondere das Sorge- und das Umgangsrecht;

8.

‚Träger der elterlichen Verantwortung‘ jede Person, die die elterliche Verantwortung für ein Kind ausübt;

…“

5

Art. 8 („Allgemeine Zuständigkeit“) der Verordnung sieht in seinem Abs. 1 vor:

„Für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.“

6

Art. 12 der Verordnung Nr. 2201/2003 hat folgenden Wortlaut:

„(1)   Die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem … über einen Antrag auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe zu entscheiden ist, sind für alle Entscheidungen zuständig, die die mit diesem Antrag verbundene elterliche Verantwortung betreffen …

(3)   Die Gerichte eines Mitgliedstaats sind ebenfalls zuständig in Bezug auf die elterliche Verantwortung in anderen als den in Absatz 1 genannten Verfahren, wenn

a)

eine wesentliche Bindung des Kindes zu diesem Mitgliedstaat besteht, insbesondere weil einer der Träger der elterlichen Verantwortung in diesem Mitgliedstaat seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder das Kind die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzt

und

b)

alle Parteien des Verfahrens zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts die Zuständigkeit ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt haben und die Zuständigkeit in Einklang mit dem Wohl des Kindes steht.“

Verordnung (EU) Nr. 650/2012

7

Der 9. Erwägungsgrund der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ABl. L 201, S. 107) lautet:

„Der Anwendungsbereich dieser Verordnung sollte sich auf alle zivilrechtlichen Aspekte der Rechtsnachfolge von Todes wegen erstrecken, und zwar auf jede Form des Übergangs von Vermögenswerten, Rechten und Pflichten von Todes wegen, sei es im Wege der gewillkürten Erbfolge durch eine Verfügung von Todes wegen oder im Wege der gesetzlichen Erbfolge.“

8

In Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und b dieser Verordnung heißt es:

„Vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen sind:

a)

der Personenstand sowie Familienverhältnisse und Verhältnisse, die nach dem auf diese Verhältnisse anzuwendenden Recht vergleichbare Wirkungen entfalten;

b)

die Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit von natürlichen Personen, unbeschadet des Artikels 23 Absatz 2 Buchstabe c und des Artikels 26;

…“

9

Art. 23 dieser Verordnung sieht vor:

„(1)   Dem nach Artikel 21 oder Artikel 22 [dieser Verordnung] bezeichneten Recht unterliegt die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen.

(2)   Diesem Recht unterliegen insbesondere:

c)

die Erbfähigkeit;

…“

10

Art. 26 („Materielle Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen“) bestimmt:

„(1)   Zur materiellen Wirksamkeit im Sinne der Artikel 24 und 25 gehören:

a)

die Testierfähigkeit der Person, die die Verfügung von Todes wegen errichtet;

…“

11

Da diese Verordnung gemäß ihrem Art. 84 ab dem 17. August 2015 gilt, ist sie auf den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens zeitlich nicht anwendbar.

Tschechisches Recht

12

§ 179 der Zivilprozessordnung in seiner zum Zeitpunkt des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens geltenden Fassung bestimmt:

„Ist für die Gültigkeit eines Rechtsgeschäfts, das für einen Minderjährigen vorgenommen worden ist, eine Genehmigung durch ein Gericht erforderlich, erteilt das Gericht die Genehmigung, wenn dies im Interesse des Minderjährigen ist.“

13

Nach § 28 des bis zum 31. Dezember 2013 in Kraft befindlichen Bürgerlichen Gesetzbuchs nimmt der gesetzliche Vertreter im Namen des Kindes alle Handlungen für die Verwaltung von dessen Vermögen vor. Allerdings muss er für Rechtsgeschäfte, die im Zusammenhang mit einer Vermögensverfügung, die nicht zu einer Angelegenheit des täglichen Lebens gehört, die Genehmigung des zuständigen Gerichts einholen.

14

Nach § 36 Abs. 1 des bis zum 31. Dezember 2013 in Kraft befindlichen Gesetzes Nr. 94/1963 über die Familie „[vertreten d]ie Eltern … ihr Kind bei Rechtsgeschäften, für die es nicht unbeschränkt geschäftsfähig ist“.

15

Gemäß § 37 Abs. 1 dieses Gesetzes darf keiner der Elternteile sein Kind vertreten, wenn die Rechtsgeschäfte Sachen betreffen, bei denen es zu einem Interessenkonflikt zwischen den Eltern und dem Kind oder zwischen den Kindern dieser Eltern kommen kann.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

16

Mit Entscheidung vom 27. April 2010 leitete der Městský soud v Brně (Stadtgericht Brno) das Verfahren über den Nachlass von Frau Martinus ein, die am 8. Mai 2009 in den Niederlanden verstorben war. Frau Matoušková, eine Notarin, wurde als Gerichtskommissarin mit der Durchführung der einzelnen Schritte des Nachlassverfahrens beauftragt. Sie stellte fest, dass die Verstorbene tschechische Staatsangehörige war und zum Zeitpunkt ihres Todes ihren Wohnsitz in Brno (Tschechische Republik) hatte. Ihr Ehemann und ihre beiden minderjährigen Kinder (im Folgenden: Erben) hatten ihren Wohnsitz in den Niederlanden.

17

Um eventuellen Interessenkonflikten zwischen den Erben vorzubeugen, bestellte der Městský soud v Brně (Stadtgericht Brno) gemäß den tschechischen Rechtsvorschriften eine Kollisionskuratorin zur Vertretung der Interessen der minderjährigen Kinder. Die Verfahrensbeteiligten gaben an, dass in den Niederlanden kein Nachlassverfahren geführt worden sei.

18

Am 14. Juli 2011 schlossen die Erben eine Vereinbarung zur Erbauseinandersetzung. Mit Entscheidung vom 10. August 2011 bestimmte der Městský soud v Brně (Stadtgericht Brno) den üblichen Marktpreis des Vermögens der Erblasserin, den Schuldenstand und den bereinigten Wert des Nachlasses.

19

Am 2. August 2012 brachte der überlebende Ehegatte im Rahmen des notariellen Nachlassverfahrens als neue Tatsache vor, dass die Verstorbene im Zeitpunkt ihres Todes ihren Wohnsitz in Wirklichkeit in den Niederlanden gehabt und in der Tschechischen Republik nur über einen gemeldeten Wohnsitz verfügt habe, der nicht der Wirklichkeit entsprochen habe. Außerdem wies er darauf hin, dass in den Niederlanden bereits ein Nachlassverfahren geführt werde, und legte eine entsprechende Bescheinigung vor.

20

Frau Matoušková legte die Vereinbarung zur Erbauseinandersetzung dem Vormundschaftsgericht vor, weil zwei der Parteien dieser Vereinbarung minderjährig waren.

21

Ohne sich in der Sache zu äußern, sandte das Vormundschaftsgericht die Akte an Frau Matoušková mit der Begründung zurück, dass die minderjährigen Kinder seit Langem außerhalb der Tschechischen Republik wohnhaft seien, und wies darauf hin, dass es sich weder für unzuständig erklären noch die Sache dem Nejvyšší soud (Oberstes Gericht) vorlegen könne, um das örtlich zuständige Gericht zu bestimmen.

22

Daher wandte sich Frau Matoušková am 10. Juli 2013 direkt an den Nejvyšší soud (Oberstes Gericht) und beantragte, das für die Genehmigung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vereinbarung zur Erbauseinandersetzung örtlich zuständige Gericht zu bestimmen.

23

Dieses Gericht hält die Auslegung der Verordnung Nr. 2201/2003 für erforderlich, weil die fragliche Genehmigung eine Maßnahme zum Schutz der Interessen Minderjähriger sei und in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen könne. Allerdings könne eine solche im Rahmen eines Nachlassverfahrens erlassene Maßnahme auch als Erbschaften betreffende Maßnahme qualifiziert werden und als solche nach Art. 1 Abs. 3 Buchst. f dieser Verordnung von deren Anwendungsbereich ausgeschlossen sein.

24

Unter diesen Umständen hat der Nejvyšší soud (Oberstes Gericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Handelt es sich bei einer durch den Kurator eines Minderjährigen für den Minderjährigen abgeschlossenen Erbenvereinbarung, deren Gültigkeit einer gerichtlichen Genehmigung bedarf, um gerichtliche Maßnahmen im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Buchst. b oder um Maßnahmen im Sinne des Art. 1 Abs. 3 Buchst. f der Verordnung Nr. 2201/2003?

Zur Vorlagefrage

25

Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten geht hervor, dass die zwischen den Erben geschlossene Vereinbarung kein Vertrag über eine zukünftige Erbschaft ist, sondern eine Vereinbarung zur Auseinandersetzung einer bereits angefallenen Erbschaft darstellt.

26

Daher ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob die Verordnung Nr. 2201/2003 dahin auszulegen ist, dass die Genehmigung einer Vereinbarung zur Erbauseinandersetzung, die ein Verfahrenspfleger für minderjährige Kinder abgeschlossen hat, eine die Ausübung der elterlichen Verantwortung im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung betreffende Maßnahme darstellt, die somit in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt, oder ob ein solches Verfahren eine Erbschaften im Sinne von Art. 1 Abs. 3 Buchst. f dieser Verordnung betreffende Maßnahme darstellt, die vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen ist.

27

Im Ausgangsverfahren geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervor, dass Frau Matoušková in ihrer Eigenschaft als Gerichtskommissarin im Nachlassverfahren das Verfahren zur Genehmigung der Vereinbarung zur Erbauseinandersetzung beim Vormundschaftsgericht eingeleitet hat, weil diese Vereinbarung von der Verfahrenspflegerin im Namen der minderjährigen Kinder abgeschlossen wurde, die beschränkt geschäftsfähig sind und gemäß den Bestimmungen des tschechischen Rechts nur Rechtsgeschäfte vornehmen können, die im Hinblick auf ihre altersgemäße Einsichts- und Urteilsfähigkeit angemessen sind. Andere Rechtsgeschäfte werden für Minderjährige von ihren gesetzlichen Vertretern vorgenommen.

28

Somit ist die Genehmigung der Vereinbarung zur Erbauseinandersetzung, die das Wohl des Kindes schützen soll und die nach tschechischem Recht für die die Verwaltung des Vermögens betreffenden Rechtsgeschäfte verlangt wird, bei denen es sich um keine Angelegenheit des täglichen Lebens handelt, eine Maßnahme, die unter Berücksichtigung der Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit des Minderjährigen getroffen wird.

29

Eine solche Maßnahme steht in direktem Zusammenhang mit der Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit der natürlichen Person (vgl. entsprechend Urteil Schneider, C‑386/12, EU:C:2013:633, Rn. 26) und ist ihrer Art nach Teil eines Verfahrens, dessen Ziel es ist, den Bedürfnissen des Schutzes und des Beistands minderjähriger Kinder gerecht zu werden.

30

Wie die Generalanwältin in Nr. 41 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, sind nämlich die Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit und damit in Zusammenhang stehende Vertretungsfragen nach eigenen Maßstäben zu beurteilen und nicht als unselbständige Vorfragen der jeweils fraglichen Rechtsgeschäfte zu betrachten. Daher ist festzustellen, dass die Bestellung eines Verfahrenspflegers für minderjährige Kinder und die Kontrolle über die Ausübung seiner Tätigkeit so eng miteinander verbunden sind, dass es nicht sachgerecht wäre, unterschiedliche Zuständigkeitsregeln anzuwenden, die je nach dem Bereich des fraglichen Rechtsgeschäfts variieren.

31

Folglich kann die Tatsache, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Genehmigung im Rahmen eines Nachlassverfahrens beantragt worden ist, nicht als entscheidend dafür angesehen werden, dass diese Maßnahme unter das Erbrecht fällt. Die Notwendigkeit, eine Genehmigung des Vormundschaftsgerichts einzuholen, ist eine unmittelbare Folge des Personenstands und der Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit der minderjährigen Kinder und stellt eine Maßnahme zum Schutz des Kindes dar, die mit der Verwaltung und Erhaltung seines Vermögens oder der Verfügung darüber im Rahmen der Ausübung der elterlichen Verantwortung im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 2 Buchst. e der Verordnung Nr. 2201/2003 in Zusammenhang steht.

32

Eine solche Auslegung wird durch den Bericht von Herrn Lagarde zum Haager Übereinkommen von 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und Maßnahmen zum Schutz von Kindern bestätigt, dessen sachlicher Anwendungsbereich auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung dem der Verordnung Nr. 2201/2003 entspricht. Zwar sind nach dem Bericht Erbschaften grundsätzlich von diesem Übereinkommen auszuschließen; hervorgehoben wird jedoch, dass, wenn das Erbstatut das Eingreifen des gesetzlichen Vertreters des Kindes vorsehe, dieser nach Maßgabe des Übereinkommens zu bestimmen sei, da ein solcher Fall zur elterlichen Verantwortung gehöre.

33

Diese Auslegung wird auch durch die auf das Ausgangsverfahren zeitlich nicht anwendbare Verordnung Nr. 650/2012 bestätigt, die erlassen wurde, um gemäß ihrem 9. Erwägungsgrund alle zivilrechtlichen Aspekte der Rechtsnachfolge von Todes wegen abzudecken, und deren Art. 1 Abs. 2 Buchst. b die Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit von natürlichen Personen von ihrem Anwendungsbereich ausschließt. Diese Verordnung regelt nämlich nur die Aspekte, die sich spezifisch auf die Erbfähigkeit nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. c dieser Verordnung sowie auf die Testierfähigkeit der Person, die die Verfügung von Todes wegen errichtet, nach Art. 26 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung beziehen.

34

Zudem steht diese Auslegung zum Anwendungsbereich der Verordnungen Nrn. 2201/2003 und 650/2012 mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs in Einklang, die jede Regelungslücke und Überschneidung zwischen den Rechtsvorschriften, die diese Verordnungen enthalten, zu vermeiden versucht (vgl. entsprechend Urteil Nickel & Goeldner Spedition, C‑157/13, EU:C:2014:2145, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35

Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass der Nejvyšší soud (Oberstes Gericht) sich auch gefragt hat, ob das Wohl des Kindes durch die Aufteilung des Entscheidungsprozesses in Nachlasssachen zwischen zwei verschiedenen Mitgliedstaaten – dem Staat der Eröffnung des Nachlassverfahrens auf der einen Seite und dem Staat des in Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 vorgesehenen gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes auf der anderen Seite – nicht gefährdet würde.

36

Hierzu ist festzustellen, dass die Gerichte eines Mitgliedstaats nach Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 in Bezug auf die elterliche Verantwortung auch in anderen als den in Abs. 1 dieses Artikels genannten Verfahren zuständig sind, wenn zum einen eine wesentliche Bindung des Kindes zu diesem Mitgliedstaat besteht, insbesondere weil einer der Träger der elterlichen Verantwortung in diesem Mitgliedstaat seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder das Kind die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzt, und wenn zum anderen alle Parteien des Verfahrens zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts die Zuständigkeit ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt haben und die Zuständigkeit in Einklang mit dem Wohl des Kindes steht.

37

Im Ausgangsverfahren ist, wie die Europäische Kommission ausgeführt hat, Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 geeignet, die Zuständigkeit des in Nachlasssachen angerufenen Gerichts für die Genehmigung der Vereinbarung zur Erbauseinandersetzung zu begründen, obwohl dieses Gericht nicht das des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes ist, sofern die oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

38

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Verordnung Nr. 2201/2003 dahin auszulegen ist, dass die Genehmigung einer Vereinbarung zur Erbauseinandersetzung, die ein für minderjährige Kinder bestellter Verfahrenspfleger für diese abgeschlossen hat, eine die Ausübung der elterlichen Verantwortung im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung betreffende Maßnahme darstellt, die somit in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt, und nicht eine Erbschaften im Sinne von Art. 1 Abs. 3 Buchst. f dieser Verordnung betreffende Maßnahme, die vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen ist.

Kosten

39

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 ist dahin auszulegen, dass die Genehmigung einer Vereinbarung zur Erbauseinandersetzung, die ein für minderjährige Kinder bestellter Verfahrenspfleger für diese abgeschlossen hat, eine die Ausübung der elterlichen Verantwortung im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung betreffende Maßnahme darstellt, die somit in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt, und nicht eine Erbschaften im Sinne von Art. 1 Abs. 3 Buchst. f dieser Verordnung betreffende Maßnahme, die vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen ist.

 

Unterschriften


( * )   Verfahrenssprache: Tschechisch

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