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Document 62014CJ0234

Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 14. Januar 2016.
"Ostas celtnieks" SIA gegen Talsu novada pašvaldība und Iepirkumu uzraudzības birojs.
Vorabentscheidungsersuchen der Augstākā tiesa.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliche Aufträge – Richtlinie 2004/18/EG – Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit – Technische und/oder berufliche Leistungsfähigkeit – Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 3 – Verdingungsunterlagen, die die Verpflichtung für einen Bieter enthalten, mit Unternehmen, auf deren Kapazitäten er sich stützt, einen Kooperationsvertrag abzuschließen oder eine Personengesellschaft zu gründen.
Rechtssache C-234/14.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2016:6

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

14. Januar 2016 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Öffentliche Aufträge — Richtlinie 2004/18/EG — Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit — Technische und/oder berufliche Leistungsfähigkeit — Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 3 — Verdingungsunterlagen, die die Verpflichtung für einen Bieter enthalten, mit Unternehmen, auf deren Kapazitäten er sich stützt, einen Kooperationsvertrag abzuschließen oder eine Personengesellschaft zu gründen“

In der Rechtssache C‑234/14

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Augstākā tiesa (Oberster Gerichtshof, Lettland) mit Entscheidung vom 23. April 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Mai 2014, in dem Verfahren

„Ostas celtnieks“ SIA

gegen

Talsu novada pašvaldība,

Iepirkumu uzraudzības birojs

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Vizepräsidenten des Gerichtshofs A. Tizzano (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer, der Richter F. Biltgen und E. Levits, der Richterin M. Berger und des Richters S. Rodin,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. April 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der „Ostas celtnieks“ SIA, vertreten durch J. Ešenvalds, advokāts,

der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kalniņš und L. Skolmeistare als Bevollmächtigte,

der griechischen Regierung, vertreten durch K. Georgiadis und S. Lekkou als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Tokár und A. Sauka als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. Juni 2015

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der „Ostas celtnieks“ SIA (im Folgenden: Ostas celtnieks) einerseits und der Talsu novada pašvaldība (Regierung des Kreises Talsi) und dem Iepirkumu uzraudzības birojs (Aufsichtsbehörde für das öffentliche Auftragswesen) andererseits wegen der in den Verdingungsunterlagen zu einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Bauauftrags vorgesehenen Anforderungen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Der 32. Erwägungsgrund der Richtlinie lautet:

„Um den Zugang von kleinen und mittleren Unternehmen zu öffentlichen Aufträgen zu fördern, sollten Bestimmungen über Unteraufträge vorgesehen werden.“

4

In Art. 7 dieser Richtlinie sind die Beträge festgelegt, ab denen die in der Richtlinie enthaltenen Vorschriften über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge zur Anwendung kommen. Für öffentliche Bauaufträge legt Art. 7 Buchst. c der Richtlinie einen Schwellenwert von 5186000 Euro fest.

5

Art. 44 der Richtlinie sieht vor:

„(1)   Die Auftragsvergabe erfolgt …, nachdem die öffentlichen Auftraggeber die Eignung der Wirtschaftsteilnehmer, die nicht … ausgeschlossen wurden, geprüft haben; diese Eignungsprüfung erfolgt nach den in den Artikeln 47 bis 52 genannten Kriterien der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit sowie der beruflichen und technischen Fachkunde …

(2)   Die öffentlichen Auftraggeber können Mindestanforderungen an die Leistungsfähigkeit gemäß den Artikeln 47 und 48 stellen, denen die Bewerber und Bieter genügen müssen.

Der Umfang der Informationen gemäß den Artikeln 47 und 48 sowie die für einen bestimmten Auftrag gestellten Mindestanforderungen an die Leistungsfähigkeit müssen mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen und ihm angemessen sein.

…“

6

Art. 47 („Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit“) Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 bestimmt:

„Ein Wirtschaftsteilnehmer kann sich gegebenenfalls für einen bestimmten Auftrag auf die Kapazitäten anderer Unternehmen ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden Verbindungen stützen. Er muss in diesem Falle dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber nachweisen, dass ihm die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, indem er beispielsweise die diesbezüglichen Zusagen dieser Unternehmen vorlegt.“

7

Art. 48 („Technische und/oder berufliche Leistungsfähigkeit“) Abs. 3 dieser Richtlinie sieht vor:

„Ein Wirtschaftsteilnehmer kann sich gegebenenfalls für einen bestimmten Auftrag auf die Kapazitäten anderer Unternehmen ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden Verbindungen stützen. Er muss in diesem Falle dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber nachweisen, dass ihm für die Ausführung des Auftrags die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, indem er beispielsweise die Zusage dieser Unternehmen vorlegt, dass sie dem Wirtschaftsteilnehmer die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen.“

Lettisches Recht

8

Aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt sich, dass das Gesetz über öffentliche Aufträge (Publisko iepirkumu likums, Latvijas Vēstnesis, 2006, Nr. 65), das die Richtlinie 2004/18 in lettisches Recht umsetzt, in Art. 41 („Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit“) Abs. 3 und Art. 42 („Technische und/oder berufliche Leistungsfähigkeit“) Abs. 3 vorsieht, dass sich ein Bieter auf die Kapazitäten anderer Unternehmen ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden Verbindungen stützen kann, wenn dies für die Ausführung eines bestimmten Auftrags erforderlich ist. In diesem Fall muss der Bieter dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber nachweisen, dass ihm die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, indem er Bestätigungen dieser Unternehmen oder eine Vereinbarung mit ihnen über die Ausführung des fraglichen Auftrags vorlegt.

9

Die grundlegenden Bestimmungen über Kooperationsverträge stehen in Kapitel 16 des Zivilgesetzbuchs, während die Voraussetzungen, unter denen die Wirtschaftsteilnehmer eine Personengesellschaft gründen und betreiben können, in Titel IX des Handelsgesetzbuchs aufgeführt sind.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

10

Wie aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte hervorgeht, eröffnete die Regierung des Kreises Talsi im November 2011 ein Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Bauauftrags betreffend die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur, um den Zugang zur Stadt Talsi zu erleichtern (im Folgenden: fraglicher Auftrag).

11

Abschnitt 9.5 der Verdingungsunterlagen zu diesem Verfahren sah vor:

„Für den Fall, dass sich ein Bieter auf Kapazitäten anderer Unternehmen stützt, muss er angeben, um welche Unternehmen es sich handelt, und den Nachweis erbringen, dass er über die erforderlichen Mittel verfügt. Falls dieser Bieter den Zuschlag erhalten soll, müssen er und die genannten Unternehmen vor der Erteilung des Zuschlags einen Kooperationsvertrag abschließen und diesen dem öffentlichen Auftraggeber übermitteln. [Dieser Vertrag] muss Folgendes enthalten:

1.

Eine Klausel, nach der jeder einzeln und gesamtschuldnerisch für die Ausführung des fraglichen Auftrags haftet;

2.

die Angabe des Hauptverantwortlichen, der berechtigt ist, den Vergabevertrag zu unterzeichnen und die Ausführung des Auftrags zu leiten;

3.

eine Beschreibung des Teils der Arbeiten, die die Beteiligten jeweils auszuführen haben;

4.

die Angabe des Umfangs der Arbeiten, die die Beteiligten jeweils auszuführen haben, in Prozent.

Der Abschluss eines Kooperationsvertrags kann durch die Gründung einer Personengesellschaft ersetzt werden.“

12

Ostas celtnieks stellte vor der Aufsichtsbehörde für das öffentliche Auftragswesen insbesondere die Gültigkeit dieses Abschnitts 9.5 der Verdingungsunterlagen in Frage. Mit Entscheidung vom 13. Februar 2012 wies die Aufsichtsbehörde jedoch das von Ostas celtnieks zur Stützung ihrer Beschwerde geltend gemachte Vorbringen mit der Begründung zurück, der öffentliche Auftraggeber habe in diesem Abschnitt rechtmäßig klargestellt, auf welche Art und Weise der Bieter nachzuweisen habe, dass er über die für die erfolgreiche Ausführung des fraglichen Auftrags erforderlichen Mittel verfüge.

13

Gegen diese Entscheidung erhob Ostas celtnieks Klage bei der Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht), die der Klage mit Entscheidung vom 7. Mai 2013 stattgab. Dieses Gericht führte in seiner Entscheidung insbesondere aus, dass, was Abschnitt 9.5 der Verdingungsunterlagen betreffe, weder dem Gesetz über öffentliche Aufträge noch der Richtlinie 2004/18 zu entnehmen sei, dass der öffentliche Auftraggeber einen Bieter verpflichten könne, eine Zusage dahin gehend vorzulegen, dass er mit den anderen Unternehmen, auf deren Kapazitäten zur Ausführung des fraglichen Auftrags er sich stütze, einen Kooperationsvertrag schließen werde, und von ihm verlangen könne, diesen Kooperationsvertrag abzuschließen oder mit den genannten Unternehmen eine Personengesellschaft zu gründen.

14

Gegen diese Entscheidung legten die Regierung des Kreises Talsi und die Aufsichtsbehörde für das öffentliche Auftragswesen Kassationsbeschwerde bei der Augstākā tiesa (Oberster Gerichtshof) ein. Zur Stützung ihrer Beschwerden machten sie u. a. geltend, die in Abschnitt 9.5 der Verdingungsunterlagen vorgesehenen Anforderungen seien durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, das Risiko einer Nichterfüllung des fraglichen Auftrags zu verringern.

15

Das vorlegende Gericht ist im Wesentlichen der Auffassung, dass der öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe eines öffentlichen Auftrags in der Lage sein müsse, die Kapazität des Bieters zur Ausführung des fraglichen Auftrags zu prüfen. Es fragt sich allerdings, ob die Richtlinie 2004/18 zu diesem Zweck den öffentlichen Auftraggeber dazu ermächtigt, die Bieter zu verpflichten, einen Kooperationsvertrag oder einen Gesellschaftsvertrag mit den anderen Unternehmen, auf deren Kapazitäten sie sich bei ihrem Gebot stützen, zu schließen, oder ob die Bieter frei wählen können, auf welche Art und Weise sie sich der Beteiligung dieser anderen Unternehmen bei der Ausführung des Auftrags versichern.

16

Unter diesen Umständen hat die Augstākā tiesa (Oberster Gerichtshof) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind die Bestimmungen der Richtlinie 2004/18 dahin auszulegen, dass es ihnen nicht zuwiderläuft, wenn zur Verringerung des Risikos einer Nichterfüllung des Vertrags in den Verdingungsunterlagen verlangt wird, dass für den Fall, dass ein Bieter den Zuschlag erhalten soll, der sich auf Kapazitäten anderer Unternehmen stützt, dieser Bieter vor der Erteilung des Zuschlags einen Kooperationsvertrag (der die in den Verdingungsunterlagen konkret vorgeschriebenen Bestimmungen enthalten muss) mit den genannten Unternehmen abschließen oder mit ihnen eine Personengesellschaft gründen muss?

Zur Vorlagefrage

Vorbemerkungen

17

Vorab ist festzustellen, dass die Vorlageentscheidung zwar von der Annahme ausgeht, dass die Richtlinie 2004/18 im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits anwendbar ist, jedoch keinerlei Angaben enthält, die es ermöglichen, zu prüfen, ob der Wert des fraglichen Auftrags den in Art. 7 Buchst. c dieser Richtlinie festgelegten Schwellenwert für die Anwendbarkeit erreicht.

18

In Beantwortung einer vom Gerichtshof in der mündlichen Verhandlung gestellten Frage hat die lettische Regierung jedoch klargestellt, dass es sich bei dem fraglichen Auftrag um einen Bauauftrag im Wert von ungefähr 3 Mio. Euro, d. h. mit einem unter diesem Schwellenwert liegenden Wert, gehandelt habe.

19

Ferner gab die lettische Regierung an, dass die Bestimmungen des Gesetzes über öffentliche Aufträge auch auf öffentliche Bauaufträge anwendbar seien, die, wie der fragliche Auftrag, einen Wert hätten, der unter dem in der Richtlinie 2004/18 festgelegten Schwellenwert liege.

20

Insoweit ist daran zu erinnern, dass, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, die Auslegung der Vorschriften eines Rechtsakts der Union in Sachverhalten, die nicht in den Geltungsbereich dieses Rechtsakts fallen, gerechtfertigt ist, wenn diese Vorschriften vom nationalen Recht unmittelbar und unbedingt für auf diese Sachverhalte anwendbar erklärt worden sind, um zu gewährleisten, dass diese Sachverhalte und die durch den betreffenden Rechtsakt geregelten Sachverhalte gleich behandelt werden (Urteil Generali-Providencia Biztosító, C‑470/13, EU:C:2014:2469, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21

Aus dem Vorstehenden folgt, dass, vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen und um diesem eine der Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits dienliche Antwort zu geben, die Vorlagefrage zu prüfen ist.

Zur Vorlagefrage

22

Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 dahin auszulegen sind, dass es ihnen zuwiderläuft, wenn ein öffentlicher Auftraggeber im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags einen Bieter, der sich auf die Kapazitäten anderer Unternehmen stützt, dazu verpflichten kann, vor der Erteilung des Zuschlags mit diesen Unternehmen einen Kooperationsvertrag abzuschließen oder eine Personengesellschaft zu gründen.

23

Für die Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 jedem Wirtschaftsteilnehmer das Recht zuerkennen, sich für einen bestimmten Auftrag auf die Kapazitäten anderer Unternehmen – „ungeachtet des Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden Verbindungen“ – zu stützen, sofern gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber nachgewiesen wird, dass dem Bieter die Mittel dieser Unternehmen zur Verfügung stehen, die für die Ausführung des Auftrags erforderlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Swm Costruzioni 2 und Mannocchi Luigino, C‑94/12, EU:C:2013:646, Rn. 29 und 33).

24

Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, steht diese Auslegung im Einklang mit dem Ziel, den Bereich des öffentlichen Auftragswesens einem möglichst umfassenden Wettbewerb zu öffnen, das mit den einschlägigen Richtlinien im Interesse nicht nur der Wirtschaftsteilnehmer, sondern auch der öffentlichen Auftraggeber angestrebt wird. Außerdem ist diese Auslegung auch geeignet, kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zu öffentlichen Aufträgen zu erleichtern, was mit der Richtlinie 2004/18, wie sich aus ihrem 32. Erwägungsgrund ergibt, ebenfalls beabsichtigt ist (Urteil Swm Costruzioni 2 und Mannocchi Luigino, C‑94/12, EU:C:2013:646, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25

Wenn aber eine Gesellschaft, um im Hinblick auf ihre Zulassung zu einem Vergabeverfahren ihre finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sowie ihre technische und/oder berufliche Leistungsfähigkeit darzutun, auf die Leistungsfähigkeit von Einrichtungen oder Unternehmen verweist, zu denen sie unmittelbare oder mittelbare Verbindungen hat, welcher Rechtsnatur diese auch sein mögen, hat sie nachzuweisen, dass sie „tatsächlich“ über die diesen Einrichtungen oder Unternehmen zustehenden Mittel, die sie nicht selbst besitzt und die zur Ausführung des Auftrags erforderlich sind, verfügt (vgl. in diesem Sinne Urteil Holst Italia, C‑176/98, EU:C:1999:593, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 44 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18 der Auftraggeber die Fähigkeit des Bieters, einen bestimmten Auftrag auszuführen, zu prüfen hat. Diese Prüfung soll dem Auftraggeber insbesondere die Gewissheit verschaffen, dass dem Bieter während des Auftragszeitraums tatsächlich die Mittel aller Art zu Gebote stehen, auf die er sich beruft (vgl. entsprechend Urteil Holst Italia, C‑176/98, EU:C:1999:593, Rn. 28).

27

Im Rahmen dieser Prüfung erlauben es die Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 nicht, zu vermuten, dass der Bieter über die für die Ausführung des Auftrags erforderlichen Mittel verfügt oder nicht verfügt, und erst recht nicht, bestimmte Beweismittel von vornherein auszuschließen (vgl. entsprechend Urteil Holst Italia, C‑176/98, EU:C:1999:593, Rn. 30).

28

Folglich kann der Bieter zum einen den rechtlichen Charakter der Verbindungen, die er zu den Unternehmen herzustellen beabsichtigt, auf deren Kapazitäten er sich für die Zwecke der Ausführung eines bestimmten Auftrags stützt, und zum anderen die Art und Weise des Nachweises des Bestehens dieser Verbindungen frei wählen.

29

Im Übrigen bestimmen die Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18, wie der Generalanwalt in Nr. 43 seiner Schlussanträge ausführt, ausdrücklich, dass die Vorlage einer Zusage anderer Unternehmen, dem Bieter die für die Ausführung des Auftrags erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen, nur ein Beispiel für einen annehmbaren Nachweis dafür ist, dass er tatsächlich über diese Mittel verfügen wird. Diese Bestimmungen schließen es daher keineswegs aus, dass der Bieter das Bestehen seiner Verbindungen zu den anderen Unternehmen, auf deren Kapazitäten er sich für die Ausführung des Auftrags, für den er geboten hat, stützt, auf andere Weise dartut.

30

Im vorliegenden Fall verpflichtet die Regierung des Kreises Talsi als öffentlicher Auftraggeber einen Bieter, Ostas celtnieks, der sich für die Ausführung des fraglichen Auftrags auf die Kapazitäten anderer Unternehmen stützt, zu diesen Unternehmen Verbindungen mit einem bestimmten rechtlichen Charakter herzustellen, so dass nur diese Verbindungen aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers geeignet sind, nachzuweisen, dass der Auftragnehmer tatsächlich über die für die erfolgreiche Ausführung dieses Auftrags erforderlichen Mittel verfügt.

31

Gemäß Abschnitt 9.5 der Verdingungsunterlagen verlangt der öffentliche Auftraggeber nämlich, dass der Bieter vor der Vergabe des öffentlichen Auftrags mit diesen Unternehmen einen Kooperationsvertrag abschließt oder eine Personengesellschaft gründet.

32

Abschnitt 9.5 der Verdingungsunterlagen sieht also nur zwei Möglichkeiten für den Bieter vor, nachzuweisen, dass er über die für die Ausführung des fraglichen Auftrags erforderlichen Mittel verfügt, und schließt damit jede andere Möglichkeit, die zwischen diesem Bieter und den Unternehmen, auf deren Kapazitäten er sich stützt, bestehenden rechtlichen Verbindungen zu beweisen, aus.

33

Unter diesen Umständen läuft eine Regelung wie die in Abschnitt 9.5 der Verdingungsunterlagen enthaltene offenkundig darauf hinaus, den Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 jede praktische Wirksamkeit zu nehmen.

34

Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass die Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 dahin auszulegen sind, dass es ihnen zuwiderläuft, wenn ein öffentlicher Auftraggeber im Rahmen der Verdingungsunterlagen zu einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags einen Bieter, der sich auf die Kapazitäten anderer Unternehmen stützt, dazu verpflichten kann, vor der Erteilung des Zuschlags mit diesen Unternehmen einen Kooperationsvertrag abzuschließen oder eine Personengesellschaft zu gründen.

Kosten

35

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge sind dahin auszulegen, dass es ihnen zuwiderläuft, wenn ein öffentlicher Auftraggeber im Rahmen der Verdingungsunterlagen zu einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags einen Bieter, der sich auf die Kapazitäten anderer Unternehmen stützt, dazu verpflichten kann, vor der Erteilung des Zuschlags mit diesen Unternehmen einen Kooperationsvertrag abzuschließen oder eine Personengesellschaft zu gründen.

 

Unterschriften


( *1 )   Verfahrenssprache: Lettisch.

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