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Document 62014CJ0183

Urteil des Gerichtshofs (Siebte Kammer) vom 9. Juli 2015.
Radu Florin Salomie und Nicolae Vasile Oltean gegen Direcția Generală a Finanțelor Publice Cluj.
Vorabentscheidungsersuchen der Curtea de Apel Cluj.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 167, 168, 179 und 213 – Umqualifizierung eines Umsatzes durch die nationale Steuerbehörde in eine der Mehrwertsteuer unterliegende wirtschaftliche Tätigkeit – Grundsatz der Rechtssicherheit – Grundsatz des Vertrauensschutzes – Nationale Regelung, die die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug davon abhängig macht, dass der betreffende Wirtschaftsteilnehmer mehrwertsteuerlich registriert ist und dass eine Mehrwertsteuererklärung abgegeben wurde.
Rechtssache C-183/14.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2015:454

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

9. Juli 2015 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Mehrwertsteuer — Richtlinie 2006/112/EG — Art. 167, 168, 179 und 213 — Umqualifizierung eines Umsatzes durch die nationale Steuerbehörde in eine der Mehrwertsteuer unterliegende wirtschaftliche Tätigkeit — Grundsatz der Rechtssicherheit — Grundsatz des Vertrauensschutzes — Nationale Regelung, die die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug davon abhängig macht, dass der betreffende Wirtschaftsteilnehmer mehrwertsteuerlich registriert ist und dass eine Mehrwertsteuererklärung abgegeben wurde“

In der Rechtssache C‑183/14

betreffend ein Ersuchen um Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Curte de Apel Cluj (Rumänien) mit Entscheidung vom 28. Februar 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 11. April 2014, in dem Verfahren

Radu Florin Salomie,

Nicolae Vasile Oltean

gegen

Direcția Generală a Finanțelor Publice Cluj

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot (Berichterstatter) sowie der Richter J. L. da Cruz Vilaça und C. Lycourgos,

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. März 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von Herrn Salomie und Herrn Oltean, vertreten durch Rechtsanwälte C. F. Costaş, L. Dobrinescu und T.‑D. Vidrean Căpuşan,

der rumänischen Regierung, vertreten durch R.-H. Radu, D. M. Bulancea und R. I. Haţieganu als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Soulay und A. Ştefănuc als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sowie die Auslegung der Art. 167, 168, 179 und 213 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Salomie und Herrn Oltean auf der einen und der Direcția Generală a Finanțelor Publice Cluj (Generaldirektion für öffentliche Finanzen Cluj, im Folgenden: Steuerbehörde) auf der anderen Seite über die Anwendung der Mehrwertsteuer auf im Jahr 2009 getätigte Immobilienverkäufe.

Rechtlicher Rahmen

Richtlinie 2006/112

3

Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:

„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.

Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden … Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“

4

In Art. 12 Abs. 1 dieser Richtlinie heißt es:

„Die Mitgliedstaaten können Personen als Steuerpflichtige betrachten, die gelegentlich eine der in Artikel 9 Absatz 1 Unterabsatz 2 genannten Tätigkeiten ausüben und insbesondere einen der folgenden Umsätze bewirken:

a)

Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn sie vor dem Erstbezug erfolgt;

…“

5

Art. 167 der Richtlinie bestimmt:

„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.“

6

In Art. 168 der Richtlinie heißt es:

„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a)

die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;

…“

7

Art. 169 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:

„Über den Vorsteuerabzug nach Artikel 168 hinaus hat der Steuerpflichtige das Recht, die in jenem Artikel genannte Mehrwertsteuer abzuziehen, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke folgender Umsätze verwendet werden:

…“

8

In Art. 179 der Richtlinie 2006/112 heißt es:

„Der Vorsteuerabzug wird vom Steuerpflichtigen global vorgenommen, indem er von dem Steuerbetrag, den er für einen Steuerzeitraum schuldet, den Betrag der Mehrwertsteuer absetzt, für die während des gleichen Steuerzeitraums das Abzugsrecht entstanden ist und gemäß Artikel 178 ausgeübt wird.

…“

9

Art. 213 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Jeder Steuerpflichtige hat die Aufnahme, den Wechsel und die Beendigung seiner Tätigkeit als Steuerpflichtiger anzuzeigen.

…“

10

In Art. 214 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie heißt es:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit folgende Personen jeweils eine individuelle Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer erhalten:

a)

jeder Steuerpflichtige, der in ihrem jeweiligen Gebiet Lieferungen von Gegenständen bewirkt oder Dienstleistungen erbringt, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht …

…“

11

Art. 273 der Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten können vorbehaltlich der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen bewirkten Inlandsumsätze und innergemeinschaftlichen Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Formalitäten beim Grenzübertritt führen.

Die Möglichkeit nach Absatz 1 darf nicht dazu genutzt werden, zusätzlich zu den in Kapitel 3 genannten Pflichten weitere Pflichten in Bezug auf die Rechnungsstellung festzulegen.“

Rumänisches Recht

12

Art. 771 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 571/2003 über das Steuergesetzbuch (Legea nr. 571/2003 privind Codul fiscal, Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 927 vom 23. Dezember 2003, im Folgenden: Steuergesetzbuch) sieht vor:

„Bei der Übertragung des Eigentumsrechts und Teilrechten davon durch Rechtsakt unter Lebenden, die Gebäude jeglicher Art und mit ihnen verbundene Grundstücke sowie unbebaute Grundstücke jeglicher Art zum Gegenstand haben, schulden die Steuerpflichtigen eine Steuer, die wie folgt berechnet wird:

…“

13

Art. 127 des Steuergesetzbuchs bestimmt:

„(1)   Als Steuerpflichtiger gilt, wer wirtschaftliche Tätigkeiten der in Abs. 2 vorgesehenen Art unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.

(2)   Im Sinne dieses Titels umfassen wirtschaftliche Tätigkeiten die Tätigkeiten der Erzeugung, des Handels und der Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich Tätigkeiten der Urproduktion, der Landwirtschaft und Tätigkeiten der freien Berufe oder diesen gleichgestellte Tätigkeiten. Ebenso gilt als wirtschaftliche Tätigkeit die Nutzung körperlicher oder nicht körperlicher Gegenstände zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.

…“

14

Mit der am 1. Januar 2010 in Kraft getretenen Dringlichkeitsverordnung Nr. 109 vom 7. Oktober 2009 zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes Nr. 571/2003 über das Steuergesetzbuch wurde Art. 127 des Steuergesetzbuchs ein Abs. 21 hinzugefügt, der wie folgt lautet:

„Die Fälle, in denen natürliche Personen, die Lieferungen von Immobilien ausführen, zu Steuerpflichtigen werden, werden durch Rechtsvorschriften bestimmt.“

15

Art. 141 Abs. 2 des Steuergesetzbuchs in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung bestimmte:

„Die folgenden Umsätze sind ebenfalls steuerbefreit:

f)

die Lieferung eines Gebäudes oder eines Teils davon sowie des Grundstücks, auf dem das Gebäude errichtet ist, und aller sonstigen Grundstücke, unabhängig davon, durch wen sie erfolgt. Die Befreiung gilt jedoch nicht für die Lieferung eines neuen Gebäudes, eines Teils davon oder eines Baugrundstücks, wenn sie durch einen Steuerpflichtigen erfolgt, der das Recht zum vollen oder teilweisen Abzug der für den Erwerb, den Umbau oder die Errichtung dieser Immobilie bezahlten Vorsteuer ausgeübt hat oder ausüben hätte können …“

16

Art. 141 Abs. 2 Buchst. f des Steuergesetzbuchs in der vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung sah eine Mehrwertsteuerbefreiung vor für:

„die Lieferung eines Gebäudes oder eines Teils davon sowie des Grundstücks, auf dem das Gebäude errichtet ist, und aller sonstigen Grundstücke, unabhängig davon, durch wen sie erfolgt. Die Befreiung gilt jedoch nicht für die Lieferung eines neuen Gebäudes, eines Teils davon oder eines Baugrundstücks …“

17

Nr. 3 Abs. 1 des Regierungserlasses Nr. 44/2004 vom 22. Januar 2004 zur Genehmigung der Durchführungsvorschriften zum Gesetz Nr. 571/2003 über das Steuergesetzbuch (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 112 vom 6. Februar 2004) sah in seiner vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung vor:

„Nach Art. 127 Abs. 2 des Steuergesetzbuchs gilt die Erzielung von Einkünften durch natürliche Personen durch den Verkauf von Wohnungen des persönlichen Eigentums oder anderer von diesen zu persönlichen Zwecken genutzter Gegenstände nicht als wirtschaftliche Tätigkeit, ausgenommen die Fälle, in denen feststeht, dass die betreffende Tätigkeit zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen gemäß Art. 127 Abs. 2 des Steuergesetzbuchs ausgeübt wird …“

18

Mit dem Regierungserlass Nr. 1620/2009 vom 29. Dezember 2009 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 927 vom 31. Dezember 2009) wurden die mit dem Regierungserlass Nr. 44/2004 festgelegten Durchführungsvorschriften zum Steuergesetzbuch ergänzt und geändert. Seit dem 1. Januar 2010 sieht Nr. 3 des Regierungserlasses Nr. 44/2004 vor:

„(1)

Nach Art. 127 Abs. 2 des Steuergesetzbuchs bezieht sich die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen im Einklang mit dem fundamentalen Grundsatz des Mehrwertsteuersystems, wonach die Steuer neutral zu sein hat, auf jede Art von Umsatz, unabhängig von dessen rechtlicher Form …

(2)

Gemäß Abs. 1 wird davon ausgegangen, dass natürliche Personen keine steuerpflichtige wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, wenn sie Einkünfte aus dem Verkauf von Wohnungen des persönlichen Eigentums oder anderer von ihnen zu persönlichen Zwecken genutzter Gegenstände erzielen …

(3)

Es wird davon ausgegangen, dass eine natürliche Person, die nicht bereits aufgrund anderer Tätigkeiten Steuerpflichtiger ist, eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, die die Nutzung körperlicher oder nicht körperlicher Gegenstände umfasst, wenn sie als solche selbstständig handelt und die Tätigkeit zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen nach Art. 127 Abs. 2 des Steuergesetzbuchs ausgeübt wird.

(4)

Im Fall der Errichtung unbeweglicher Gegenstände durch natürliche Personen mit dem Ziel des Verkaufs wird davon ausgegangen, dass die wirtschaftliche Tätigkeit zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem die betreffende natürliche Person beabsichtigt, eine solche Tätigkeit auszuüben, wobei ihre Absicht anhand objektiver Kriterien zu beurteilen ist, wie beispielsweise des Umstands, dass sie Zahlungsverpflichtungen eingegangen ist und/oder Vorinvestitionen für die Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit vorgenommen hat. Die wirtschaftliche Tätigkeit gilt von ihrem Beginn an bis zur Lieferung des errichteten unbeweglichen Gegenstands oder von Teilen davon als nachhaltig, auch wenn es sich um einen einzigen unbeweglichen Gegenstand handelt …

(5)

Im Fall des Erwerbs von Grundstücken und/oder Gebäuden durch eine natürliche Person zum Zwecke des Verkaufs stellt die Lieferung dieser Gegenstände eine nachhaltige Tätigkeit dar, wenn die natürliche Person im Lauf eines Kalenderjahrs mehr als einen Umsatz tätigt. Führt die natürliche Person jedoch gemäß Abs. 4 bereits die Errichtung eines unbeweglichen Gegenstands mit dem Ziel des Verkaufs durch, erfolgt jeder weitere, später getätigte Umsatz, da die Tätigkeit bereits als begonnen und dauerhaft angesehen wird, nicht mehr gelegentlich …

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

19

Im Jahr 2007 schlossen sich Herr Salomie und Herr Oltean sowie fünf weitere natürliche Personen zur Durchführung eines Vorhabens betreffend die Errichtung und den Verkauf von vier Gebäuden in Rumänien zusammen. Diesem Zusammenschluss kam keine Rechtspersönlichkeit zu und er war mehrwertsteuerlich weder gemeldet noch registriert.

20

In den Jahren 2008 und 2009 wurden von den 132 Wohnungen, die auf einem zum Privatvermögen einer dieser Personen gehörenden Grundstück errichtet worden waren, 122 Wohnungen im Gesamtwert von 10902275 rumänischen Lei (RON) sowie 23 Kfz-Stellplätze verkauft, ohne dass auf diese Verkäufe Mehrwertsteuer erhoben wurde.

21

Im Laufe des Jahres 2010 gelangte die Steuerbehörde infolge einer von ihr durchgeführten Kontrolle zu der Auffassung, dass diese Umsätze eine nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit darstellten und somit ab dem 1. Oktober 2008 der Mehrwertsteuer hätten unterworfen werden müssen, da die Umsätze ab August 2008 die Schwelle von 35000 Euro überschritten hätten, unterhalb deren wirtschaftliche Tätigkeiten in Rumänien von der Mehrwertsteuer befreit seien.

22

Folglich verlangte die Steuerbehörde Zahlung der für die im Jahr 2009 getätigten Umsätze geschuldeten Mehrwertsteuer sowie von Zuschlägen und erließ zu diesem Zweck mehrere Steuerbescheide.

23

Aus der Vorlageentscheidung geht außerdem hervor, dass auf die in den Jahren 2008 und 2009 getätigten Immobilienverkäufe die Steuer auf die „Übertragung von Immobilien aus dem Privatvermögen“ nach Art. 771 des Steuergesetzbuchs erhoben wurde.

24

Herr Salomie und Herr Oltean erhoben beim Tribunal Cluj (Landgericht Cluj) jeweils Klage auf teilweise Aufhebung der genannten Steuerbescheide, das diese Klagen als unbegründet abwies.

25

Die mit dem Rekurs angerufene Curte de Apel Cluj (Berufungsgericht Cluj) fragt sich, ob die von der Steuerbehörde erlassenen Steuerbescheide mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit in Einklang stehen, da zum einen die Modalitäten der Anwendung der Vorschriften zur Anwendung der Mehrwertsteuer auf Umsätze mit Immobilien im rumänischen Recht erst ab dem 1. Januar 2010 festgelegt worden seien, und zum anderen die Praxis der Steuerbehörde bis zu diesem Datum eher darin bestanden habe, diese Art von Umsätzen nicht der Mehrwertsteuer zu unterwerfen. Zudem habe die Steuerbehörde über hinreichende Informationen verfügt, um ab dem Jahr 2008 die Eigenschaft von Herrn Salomie und Herrn Oltean als Steuerpflichtige festzustellen, da sie über die von diesen vorgenommenen Verkäufe informiert gewesen sei, und sei es auch nur aufgrund der Tatsache, dass diese Umsätze nach Art. 771 des Steuergesetzbuchs besteuert worden seien.

26

Das vorlegende Gericht äußert außerdem Zweifel, ob das im rumänischen Recht vorgesehene Vorsteuerabzugsrecht, wonach eine Person, deren Eigenschaft als Mehrwertsteuerpflichtiger verspätet festgestellt wird, dieses Abzugsrecht erst ausüben kann, nachdem sie ihre Situation durch ihre mehrwertsteuerliche Registrierung und die Abgabe einer Steuererklärung geklärt hat, mit der Richtlinie 2006/112 vereinbar ist.

27

Unter diesen Umständen hat die Curte de Apel Cluj beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Kann eine natürliche Person, die mit anderen natürlichen Personen vertraglich einen Zusammenschluss vereinbart, dem keine Rechtspersönlichkeit zukommt, der steuerlich weder gemeldet noch erfasst wird und der die künftige Errichtung eines Werks (Gebäudes) auf einem zum Privatvermögen einiger der Vertragsparteien gehörenden Grundstück bezweckt, unter den Umständen des Ausgangsverfahrens als Steuerpflichtiger im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 angesehen werden, wenn die Lieferungen der Gebäude auf dem zum Privatvermögen einiger der Vertragsparteien gehörenden Grundstück von der Steuerbehörde zunächst steuerlich als Verkäufe im Rahmen der Verwaltung des Privatvermögens dieser Personen behandelt wurden?

2.

Sind unter den Umständen des Ausgangsverfahrens die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sowie die anderen allgemeinen Grundsätze auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer, wie sie sich aus der Richtlinie 2006/112 ergeben, dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Praxis entgegenstehen, nach der die Steuerbehörde, nachdem sie zunächst bei der natürlichen Person die Steuer auf die aus der Eigentumsübertragung stammenden und das Privatvermögen betreffenden Einkünfte erhoben hatte, ohne dass eine materielle Änderung des Primärrechts erfolgt wäre, aufgrund desselben Sachverhalts zwei Jahre später ihren Standpunkt überprüft und dieselben Umsätze als der Mehrwertsteuer unterliegende wirtschaftliche Tätigkeiten einstuft und rückwirkend Nebenabgaben berechnet?

3.

Sind die Art. 167, 168 und 213 der Richtlinie 2006/112 im Licht des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität dahin auszulegen, dass sie dem entgegenstehen, dass die Steuerbehörde unter den Umständen des Ausgangsverfahrens einem Steuerpflichtigen das Recht, die auf Gegenstände und Dienstleistungen, die für die Zwecke steuerbarer Umsätze verwendet werden, geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer abzuziehen, allein aus dem Grund verweigert, dass er zu dem Zeitpunkt, zu dem ihm die jeweiligen Dienstleistungen erbracht wurden, nicht als Mehrwertsteuerpflichtiger erfasst war?

4.

Ist Art. 179 der Richtlinie 2006/112 unter den Umständen des Ausgangsverfahrens dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die einen Steuerpflichtigen, für den die besondere Befreiungsregelung gilt und der die mehrwertsteuerliche Erfassung verspätet beantragt hat, zur Zahlung der Steuer verpflichtet, die hätte erhoben werden müssen, ohne dass dieser das Recht hat, den Betrag der Vorsteuer für jeden einzelnen Steuerzeitraum abzuziehen, wobei das Recht auf Vorsteuerabzug in der Folge mittels der nach der mehrwertsteuerlichen Erfassung des Steuerpflichtigen eingereichten Steuererklärung ausgeübt wird, was Auswirkungen auf die Berechnung der Nebenabgaben haben kann?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten und zur zweiten Frage

28

Mit seinen ersten beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes es unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens verbieten, dass eine nationale Steuerbehörde anlässlich einer Steuerprüfung entscheidet, dass Umsätze der Mehrwertsteuer hätten unterworfen werden müssen und darüber hinaus die Zahlung von Zuschlägen auferlegt.

29

Was als Erstes den Grundsatz der Rechtssicherheit angeht, fechten Herr Salomie und Herr Oltean diese Entscheidung mit der Behauptung einer Verletzung dieses Grundsatzes an, die darauf beruhe, dass zu der Zeit, zu der sie die von dieser Entscheidung betroffenen Immobilienumsätze getätigt hätten, weder die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1), die vor dem 1. Januar 2007 in Kraft gewesen sei, noch die in diesem Bereich einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs Gegenstand einer Veröffentlichung in rumänischer Sprache gewesen seien. Sie machen außerdem geltend, dass die nationalen Steuerbehörden diese Art von Umsätzen bis zum Jahr 2010 nicht als mehrwertsteuerpflichtig angesehen hätten.

30

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs müssen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes von den Organen der Europäischen Union, aber auch von den Mitgliedstaaten bei der Ausübung der Befugnisse, die ihnen die Unionsrichtlinien einräumen, beachtet werden (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile Gemeente Leusden und Holin Groep, C‑487/01 und C‑7/02, EU:C:2004:263, Rn. 57, „Goed Wonen“, C‑376/02, EU:C:2005:251, Rn. 32, und Elmeka NE, C‑181/04 bis C‑183/04, EU:C:2006:563, Rn. 31).

31

Wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, ergibt sich daraus u. a., dass die Vorschriften des Unionsrechts eindeutig sein müssen, und ihre Anwendung für die Betroffenen vorhersehbar sein muss, wobei dieses Gebot der Rechtssicherheit in besonderem Maß gilt, wenn es sich um Vorschriften handelt, die finanzielle Konsequenzen haben können, denn die Betroffenen müssen in der Lage sein, den Umfang der ihnen durch diese Vorschriften auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen (Urteil Irland/Kommission, 325/85, EU:C:1987:546, Rn. 18).

32

Ebenso müssen die Rechtsnormen der Mitgliedstaaten auf den vom Unionsrecht erfassten Gebieten eindeutig formuliert sein, so dass den betroffenen Personen die klare und genaue Kenntnis ihrer Rechte und Pflichten ermöglicht wird, und die innerstaatlichen Gerichte in die Lage versetzt werden, deren Einhaltung sicherzustellen (vgl. Urteil Kommission/Italien, 257/86, EU:C:1988:324, Rn. 12).

33

Im vorliegenden Fall lässt sich nicht bestreiten, dass Vorschriften wie die in der Vorlageentscheidung beschriebenen diesen Charakter aufweisen.

34

Aus der Vorlageentscheidung geht nämlich u. a. hervor, dass die Definition des „Steuerpflichtigen“ in Art. 127 des Steuergesetzbuchs, der die Bestimmungen von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 in das nationale Recht umsetzt, auf jedwede Person verweist, die wirtschaftliche Tätigkeiten unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt, und dass als „wirtschaftliche Tätigkeit“ jede Tätigkeiten der Erzeugung, des Handels und der Erbringung von Dienstleistungen anzusehen ist, darunter u. a. die Nutzung körperlicher oder nicht körperlicher Gegenstände zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.

35

Außerdem stellt Nr. 3 Abs. 2 des Regierungserlasses Nr. 44/2004 zur Genehmigung der Durchführungsvorschriften zum Steuergesetzbuch der Vorlageentscheidung zufolge klar, dass nach Art. 127 Abs. 2 des Steuergesetzbuchs die Erzielung von Einkünften durch natürliche Personen beim Verkauf von Wohnungen des persönlichen Eigentums oder anderer von diesen zu persönlichen Zwecken genutzter Gegenstände nicht als wirtschaftliche Tätigkeit gilt, ausgenommen die Fälle, in denen feststeht, dass die betreffende Tätigkeit zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen ausgeübt wird.

36

Schließlich sah Art. 141 des Steuergesetzbuchs in der in den Jahren 2008 und 2009 geltenden Fassung, wie ebenfalls aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, vor, dass die für die Lieferung eines Gebäudes oder eines Teils davon sowie des Grundstücks, auf dem das Gebäude errichtet ist, geltende Befreiung von der Mehrwertsteuer nicht für die Lieferung eines neuen Gebäudes, eines Teils davon oder eines Baugrundstücks gilt, was im Übrigen den nach Unionsrecht für die Mehrwertsteuer geltenden Grundsätzen entspricht.

37

Es kann daher nicht ernsthaft behauptet werden, dass diese nationalen Rechtsvorschriften nicht hinreichend klar und genau bestimmten, dass die Lieferung eines Gebäudes oder eines Teils davon sowie des Grundstücks, auf dem das Gebäude errichtet ist, in bestimmten Fällen der Mehrwertsteuer unterliegen kann.

38

Unter diesen Umständen können sich Herr Salomie und Herr Oltean zur Stützung ihres Vorbringens, wonach der geltende nationale Rechtsrahmen zum Zeitpunkt des Ausgangssachverhalts nicht hinreichend klar gewesen sei, nicht mit Erfolg auf das Nichtvorliegen einer Veröffentlichung in rumänischer Sprache der Rechtsprechung des Gerichtshofs in diesem Bereich und der Sechsten Richtlinie 77/388 berufen, die jedenfalls vom Beitritt Rumäniens zur Union am 1. Januar 2007 an nicht mehr in Kraft war.

39

Daher lassen sich die Umstände des Ausgangsverfahrens nicht mit denjenigen vergleichen, die der Rechtssache zugrunde lagen, in der das Urteil Skoma‑Lux (C‑161/06, EU:C:2007:773) ergangen ist, in dem der Gerichtshof ausgeführt hat, dass eine Unionsverordnung, die in der Sprache eines Mitgliedstaats nicht veröffentlicht worden ist, gegenüber dem Einzelnen in diesem Staat nicht angewandt werden kann.

40

Aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit folgt zwar auch, dass die steuerliche Lage des Steuerpflichtigen nicht unbegrenzt offen bleiben kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Fatorie, C‑424/12, EU:C:2014:50, Rn. 46).

41

Jedoch hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit einer Praxis der nationalen Steuerbehörden, wonach diese eine Entscheidung, mit der sie das Recht eines Steuerpflichtigen auf Abzug der Mehrwertsteuer anerkannt haben, innerhalb der Ausschlussfrist zurücknehmen und im Anschluss an eine erneute Prüfung die Zahlung dieser Steuer nebst Verzugszinsen von ihm fordern, nicht entgegensteht (vgl. in diesem Sinne Urteil Fatorie, C‑424/12, EU:C:2014:50, Rn. 51).

42

Der Umstand allein, dass die Steuerbehörde einen bestimmten Umsatz innerhalb der Verjährungsfrist als eine der Mehrwertsteuer unterliegende wirtschaftliche Tätigkeit umqualifiziert, kann daher für sich genommen und bei Fehlen weiterer Umstände keinen Verstoß gegen diesen Grundsatz begründen.

43

Daher kann nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit es verbiete, dass die Steuerbehörde unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens infolge einer Steuerprüfung der Auffassung ist, dass die in diesem Verfahren in Rede stehenden Immobilienumsätze der Mehrwertsteuer hätten unterworfen werden müssen.

44

Was als Zweites den Grundsatz des Vertrauensschutzes anbelangt, kann sich jeder auf diesen Grundsatz berufen, bei dem eine Verwaltungsbehörde aufgrund bestimmter Zusicherungen, die sie ihm gegeben hat, begründete Erwartungen geweckt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil Europäisch-Iranische Handelsbank/Rat, C‑585/13 P, EU:C:2015:145, Rn. 95).

45

Insoweit ist zu prüfen, ob die Handlungen einer Verwaltungsbehörde in der Vorstellung eines umsichtigen und besonnenen Wirtschaftsteilnehmers vernünftige Erwartungen begründet haben und, wenn dies der Fall ist, ob diese Erwartungen berechtigt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Elmeka, C‑181/04 bis C‑183/04, EU:C:2006:563, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46

Die Verwaltungspraxis der nationalen Steuerbehörden, wie sie in der Vorlageentscheidung beschrieben ist, scheint jedoch für den Nachweis, dass diese Voraussetzungen im Ausgangsverfahren erfüllt sind, nicht geeignet zu sein.

47

Insbesondere kann der Umstand, dass die nationalen Steuerbehörden Immobilienumsätze wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden bis zum Jahr 2010 offenbar nicht systematisch der Mehrwertsteuer unterworfen haben, was die rumänische Regierung im Übrigen in der mündlichen Verhandlung in Abrede gestellt hat, abgesehen von ganz außergewöhnlichen Umständen in Anbetracht nicht nur der Klarheit und Vorhersehbarkeit des anwendbaren nationalen Rechts, sondern auch der Tatsache, dass es im vorliegenden Fall offenbar um Gewerbetreibende des Immobiliensektors geht, nicht von vornherein genügen, um in der Vorstellung eines umsichtigen und besonnenen Wirtschaftsteilnehmers vernünftige Erwartungen zu begründen, dass diese Steuer auf solche Umsätze nicht angewandt wird.

48

Eine solche Praxis, so bedauerlich sie auch sein mag, ist nämlich nicht von vornherein geeignet, den betroffenen Steuerpflichtigen bestimmte Zusicherungen dahin zu geben, dass die Mehrwertsteuer auf Immobilienumsätze wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht angewandt wird.

49

Hinzu kommt, dass in Anbetracht des Umfangs des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Immobilienumsatzes, der in der Errichtung und dem Verkauf von vier Gebäuden mit insgesamt 130 Wohnungen besteht, ein umsichtiger und besonnener Wirtschaftsteilnehmer nicht vernünftigerweise darauf schließen konnte, dass ein solcher Umsatz nicht der Mehrwertsteuer unterliegt, ohne dahin gehende ausdrückliche Zusicherungen von den zuständigen nationalen Steuerbehörden erhalten zu haben oder zumindest versucht zu haben, solche Zusicherungen zu erhalten.

50

Was als Drittes und Letztes die Vereinbarkeit der im vorliegenden Fall von der Steuerbehörde angewandten Zuschläge mit dem Unionsrecht betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten mangels einer Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Union auf dem Gebiet der Sanktionen bei Nichtbeachtung der Voraussetzungen, die eine nach dem Unionsrecht geschaffene Regelung vorsieht, die Sanktionen wählen können, die ihnen sachgerecht erscheinen. Sie sind jedoch verpflichtet, bei der Ausübung dieser Befugnis das Unionsrecht und seine allgemeinen Grundsätze, also auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, zu beachten (vgl. Urteil Fatorie, C‑424/12, EU:C:2014:50, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

51

Die Mitgliedstaaten sind somit zwar berechtigt, in ihren jeweiligen nationalen Rechtsordnungen u. a. geeignete Sanktionen dafür vorzusehen, die Nichteinhaltung der Verpflichtung zur Anmeldung zum Register der Mehrwertsteuerpflichtigen bestrafend zu ahnden, um die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden, jedoch dürfen solche Sanktionen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob angesichts der Umstände des vorliegenden Falles und insbesondere angesichts des konkret verhängten Betrags und einer etwa vorliegenden Steuerhinterziehung oder Umgehung der geltenden Gesetze, die dem Steuerpflichtigen, dessen Versäumnis der Anmeldung geahndet wird, anzulasten wären, die Höhe der Sanktion über das hinausgeht, was zur Erreichung der Ziele erforderlich ist, die in der Sicherstellung der genauen Erhebung der Steuer und in der Vermeidung von Steuerhinterziehungen bestehen (vgl. in diesem Sinne Urteil Rēdlihs, C‑263/11, EU:C:2012:497, Rn. 45, 46 und 54).

52

Dieselben Grundsätze gelten für Zuschläge, die, wenn sie den Charakter steuerlicher Sanktionen haben, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, nicht außer Verhältnis zur Schwere des Verstoßes des Steuerpflichtigen gegen seine Pflichten stehen dürfen.

53

Auf die ersten beiden Fragen ist somit zu antworten, dass die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes es unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht verbieten, dass eine nationale Steuerbehörde infolge einer Steuerprüfung entscheidet, Umsätze der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, und die Zahlung von Zuschlägen auferlegt, sofern diese Entscheidung auf klaren und genauen Regeln beruht, und die Praxis dieser Behörde nicht geeignet war, in der Vorstellung eines umsichtigen und besonnenen Wirtschaftsteilnehmers vernünftige Erwartungen zu begründen, dass diese Steuer auf solche Umsätze nicht angewandt wird, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Die unter solchen Umständen angewandten Zuschläge müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.

Zur dritten und zur vierten Frage

54

Mit seiner dritten und seiner vierten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 2006/112 eine nationale Regelung verbietet, wonach das Recht, die auf Gegenstände und Dienstleistungen, die für die Zwecke steuerbarer Umsätze verwendet werden, geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer als Vorsteuer abzuziehen, dem Steuerpflichtigen – der andererseits die Steuer, die hätte erhoben werden müssen, entrichten muss – allein aus dem Grund verweigert wird, dass er, als er diese Umsätze tätigte, nicht als mehrwertsteuerpflichtig registriert war, und zwar so lange, wie er nicht ordnungsgemäß als mehrwertsteuerpflichtig registriert und die Steuererklärung nicht eingereicht worden ist.

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Die Art. 167 ff. der Richtlinie 2006/112 enthalten nähere Bestimmungen zur Entstehung und zum Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug. Es ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass dieses Recht nach Art. 167 der Richtlinie entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.

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Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist das Recht auf Vorsteuerabzug ein fundamentaler Grundsatz des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems, das grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann und für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden kann (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile Gabalfrisa u. a., C‑110/98 bis C‑147/98, EU:C:2000:145, Rn. 43, und Idexx Laboratories Italia, C‑590/13, EU:C:2014:2429, Rn. 30 und 31).

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Durch diese Regelung soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet daher, dass alle wirtschaftlichen Tätigkeiten, sofern sie der Mehrwertsteuer unterliegen, unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis in völlig neutraler Weise steuerlich belastet werden (vgl. in diesem Sinne Urteile Gabalfrisa u. a., C‑110/98 bis C‑147/98, EU:C:2000:145, Rn. 44, und Idexx Laboratories Italia, C‑590/13, EU:C:2014:2429, Rn. 32).

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Zudem hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der fundamentale Grundsatz der steuerlichen Neutralität es erfordert, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat (vgl. in diesem Sinne Urteile Ecotrade, C‑95/07 und C‑96/07, EU:C:2008:267, Rn. 63, Uszodaépítő, C‑392/09, EU:C:2010:569, Rn. 39, Nidera Handelscompagnie, C‑385/09, EU:C:2010:627, Rn. 42 und 43, und Idexx Laboratories Italia, C‑590/13, EU:C:2014:2429, Rn. 38).

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Verfügt die Steuerbehörde über die Angaben, die für die Feststellung erforderlich sind, dass die materiellen Anforderungen erfüllt sind, so darf sie daher hinsichtlich des Rechts des Steuerpflichtigen auf Abzug dieser Steuer keine zusätzlichen Voraussetzungen festlegen, die die Ausübung dieses Rechts vereiteln können (vgl. Urteil Idexx Laboratories Italia, C‑590/13, EU:C:2014:2429, Rn. 40).

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Die in Art. 214 der Richtlinie 2006/112 vorgesehene Mehrwertsteuer-Identifikation sowie die in Art. 213 dieser Richtlinie vorgesehene Pflicht des Steuerpflichtigen, die Aufnahme, den Wechsel und die Beendigung seiner Tätigkeit anzuzeigen, stellen nur Kontrollzwecken dienende Formerfordernisse dar, die insbesondere das Recht auf Mehrwertsteuerabzug nicht in Frage stellen dürfen, sofern die materiellen Voraussetzungen für die Entstehung dieses Rechts erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile Nidera Handelscompagnie, C‑385/09, EU:C:2010:627, Rn. 50, Tóth, C‑324/11, EU:C:2012:549, Rn. 32, und Ablessio, C‑527/11, EU:C:2013:168, Rn. 32).

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Daraus folgt insbesondere, dass ein Mehrwertsteuerpflichtiger nicht mit der Begründung an der Ausübung seines Rechts auf Vorsteuerabzug gehindert werden kann, dass er sich nicht als mehrwertsteuerpflichtig hat registrieren lassen, bevor er die erworbenen Gegenstände im Rahmen seiner besteuerten Tätigkeit verwendet hat (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Nidera Handelscompagnie, C‑385/09, EU:C:2010:627, Rn. 51).

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Außerdem dürfen die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten nach Art. 273 der Richtlinie 2006/112 erlassen dürfen, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern, nicht über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinausgehen und die Neutralität der Mehrwertsteuer nicht in Frage stellen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile Gabalfrisa u. a., C‑110/98 bis C‑147/98, EU:C:2000:145, Rn. 52, Collée, C‑146/05, EU:C:2007:549, Rn. 26, Nidera Handelscompagnie, C‑385/09, EU:C:2010:627, Rn. 49, und Idexx Laboratories Italia, C‑590/13, EU:C:2014:2429, Rn. 36 und 37).

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Die Ahndung der Nichtbefolgung der Aufzeichnungs- und Erklärungspflichten durch den Steuerpflichtigen mit der Versagung des Abzugsrechts geht daher klar über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels, die ordnungsgemäße Befolgung dieser Verpflichtungen sicherzustellen, erforderlich ist, da das Unionsrecht die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, gegebenenfalls eine Geldbuße oder eine finanzielle Sanktion zu verhängen, die in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Verstoßes steht. Eine solche Praxis geht auch über das hinaus, was erforderlich ist, um im Sinne von Art. 273 der Richtlinie 2006/112 die genaue Erhebung der Mehrwertsteuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden, weil sie sogar zum Verlust des Abzugsrechts führen kann, wenn die Berichtigung der Erklärung durch die Steuerbehörde erst nach Ablauf der Ausschlussfrist erfolgt, innerhalb deren der Steuerpflichtige den Abzug vornehmen kann (vgl. entsprechend Urteil Ecotrade, C‑95/07 und C‑96/07, EU:C:2008:267, Rn. 67 und 68).

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Im vorliegenden Fall geht aus der dem Gerichtshof vorgelegten Akte hervor, dass die materiellen Anforderungen des Rechts auf Vorsteuerabzug erfüllt sind, und dass die Kläger des Ausgangsverfahrens anlässlich einer Steuerprüfung als mehrwertsteuerpflichtig angesehen worden sind. Unter diesen Umständen geht die Verschiebung der Durchführung des Vorsteuerabzugs auf die Einreichung einer erstmaligen Mehrwertsteuererklärung durch diese Steuerpflichtigen aus dem einzigen Grund, dass sie, als sie die der Mehrwertsteuer unterliegenden Umsätze tätigten, nicht als mehrwertsteuerpflichtig erfasst waren, und sie zudem die entsprechende Mehrwertsteuer entrichten mussten, über das hinaus, was zur Sicherstellung der genauen Erhebung der Steuer und zur Vermeidung von Steuerhinterziehungen erforderlich ist.

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Daher ist auf die dritte und die vierte Frage zu antworten, dass die Richtlinie 2006/112 unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine nationale Regelung verbietet, wonach das Recht, die auf Gegenstände und Dienstleistungen, die für die Zwecke steuerbarer Umsätze verwendet werden, geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer als Vorsteuer abzuziehen, dem Steuerpflichtigen – der andererseits die Steuer, die hätte erhoben werden müssen, entrichten muss – allein aus dem Grund verweigert wird, dass er, als er diese Umsätze tätigte, nicht als mehrwertsteuerpflichtig registriert war, und zwar so lange, wie er nicht ordnungsgemäß als mehrwertsteuerpflichtig registriert und die Steuererklärung nicht eingereicht worden ist.

Kosten

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Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verbieten es unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht, dass eine nationale Steuerbehörde infolge einer Steuerprüfung entscheidet, Umsätze der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, und die Zahlung von Zuschlägen auferlegt, sofern diese Entscheidung auf klaren und genauen Regeln beruht, und die Praxis dieser Behörde nicht geeignet war, in der Vorstellung eines umsichtigen und besonnenen Wirtschaftsteilnehmers vernünftige Erwartungen zu begründen, dass diese Steuer auf solche Umsätze nicht angewandt wird, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Die unter solchen Umständen angewandten Zuschläge müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.

 

2.

Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem verbietet unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine nationale Regelung, wonach das Recht, die auf Gegenstände und Dienstleistungen, die für die Zwecke steuerbarer Umsätze verwendet werden, geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer als Vorsteuer abzuziehen, dem Steuerpflichtigen – der andererseits die Steuer, die hätte erhoben werden müssen, entrichten muss – allein aus dem Grund verweigert wird, dass er, als er diese Umsätze tätigte, nicht als mehrwertsteuerpflichtig registriert war, und zwar so lange, wie er nicht ordnungsgemäß als mehrwertsteuerpflichtig registriert und die Steuererklärung nicht eingereicht worden ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Rumänisch.

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