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Document 62014CC0567

Schlussanträge des Generalanwalts M. Wathelet vom 17. März 2016.
Genentech Inc. gegen Hoechst GmbH und Sanofi-Aventis Deutschland GmbH.
Vorabentscheidungsersuchen der Cour d'appel de Paris.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Wettbewerb – Art. 101 AEUV – Nicht ausschließliche Lizenzvereinbarung – Patent – Nichtverletzung – Verpflichtung zur Zahlung einer Gebühr.
Rechtssache C-567/14.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2016:177

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MELCHIOR WATHELET

vom 17. März 2016 ( 1 )

Rechtssache C‑567/14

Genentech Inc.

gegen

Hoechst GmbH, vormals Hoechst AG,

Sanofi-Aventis Deutschland GmbH

(Vorabentscheidungsersuchen der Cour d’appel de Paris [Berufungsgericht Paris, Frankreich])

„Vorabentscheidungsersuchen — Klage auf Nichtigerklärung eines Schiedsspruchs — Wettbewerb — Art. 101 AEUV — Kartell — Vertrag über eine ausschließliche Patentlizenz — Nichtigerklärung von Patenten — Nichtverletzung — Auswirkung — Verpflichtung zur Zahlung einer Gebühr“

I – Einleitung

1.

Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 101 AEUV. Die Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris, Frankreich) möchte insbesondere wissen, ob es gegen diesen Artikel verstößt, wenn der Lizenznehmer einer Patentlizenzvereinbarung während der gesamten Laufzeit der Vereinbarung bis zu ihrer Auflösung zur Zahlung von Gebühren verpflichtet ist, obwohl das oder die lizenzierten Patente nicht verletzt sind oder für nichtig erklärt worden sind.

2.

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen einer Klage auf Nichtigerklärung von Schiedssprüchen, die von der Genentech Inc., einer Gesellschaft des Rechts von Delaware (Vereinigte Staaten) (im Folgenden: Genentech), gegen die Hoechst GmbH, vormals Hoechst AG (im Folgenden: Hoechst), und die Sanofi-Aventis Deutschland GmbH (im Folgenden: Sanofi-Aventis), Gesellschaften deutschen Rechts, erhoben worden ist.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Unionsrecht

3.

Art. 101 AEUV bestimmt:

„(1)   Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, insbesondere

a)

die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen;

b)

die Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen;

c)

die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen;

d)

die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden;

e)

die an den Abschluss von Verträgen geknüpfte Bedingung, dass die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen.

(2)   Die nach diesem Artikel verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse sind nichtig.

(3)   Die Bestimmungen des Absatzes 1 können für nicht anwendbar erklärt werden auf

Vereinbarungen oder Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen,

Beschlüsse oder Gruppen von Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen,

aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen oder Gruppen von solchen,

die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder ‑verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne dass den beteiligten Unternehmen

a)

Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind, oder

b)

Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.“

B – Französisches Recht

4.

Art. 1518 des Code de procédure civile (Zivilprozessgesetzbuch) bestimmt:

„Ein in Frankreich auf dem Gebiet der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ergangener Schiedsspruch kann nur mit einer Nichtigkeitsklage angefochten werden.“

5.

Art. 1520 des Zivilprozessgesetzbuchs bestimmt:

„Eine Nichtigkeitsklage ist nur gegeben, wenn

sich das Schiedsgericht zu Unrecht für zuständig oder für unzuständig erklärt hat,

das Schiedsgericht nicht ordnungsgemäß gebildet worden ist,

das Schiedsgericht entschieden hat, ohne sich an die ihm übertragene Aufgabe zu halten,

der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens nicht beachtet worden ist oder

die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs der internationalen öffentlichen Ordnung (Ordre public) widerspricht.“

III – Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits und Vorlagefrage

6.

Am 6. August 1992 gewährte die Gesellschaft deutschen Rechts Behringwerke AG (im Folgenden: Behringwerke) ( 2 ) Genentech eine nicht ausschließliche weltweite Lizenz (im Folgenden: Lizenzvereinbarung) für die Nutzung des Enhancers des menschlichen Cytomegalovirus (HCMV), der es ermöglicht, die Wirksamkeit des zur Herstellung von Proteinen genutzten zellulären Prozesses zu erhöhen (im Folgenden: Enhancer). Diese Technologie war Gegenstand des am 22. April 1992 erteilten europäischen Patents Nr. EP 0173 177 53 (im Folgenden: Patent EP 177) und zweier am 15. Dezember 1998 bzw. 17. April 2001 in den Vereinigten Staaten erteilter Patente (im Folgenden: Patent US 522 und Patent US 140) gewesen. Am 12. Januar 1999 erklärte das Europäische Patentamt (EPA) das Patent EP 177 für nichtig.

7.

Für die Lizenzvereinbarung galt deutsches Recht.

8.

Aus Art. 3.1 der Lizenzvereinbarung geht hervor, dass sich Genentech als Gegenleistung für das Recht zur Nutzung des Enhancers verpflichtete,

eine einmalige Gebühr von 20000 Deutschen Mark (DM) (etwa 10225 Euro) als Emissionskosten der Lizenz,

eine jährliche feste Gebühr von 20000 DM (etwa 10225 Euro) für Forschungszwecke und

eine sogenannte „laufende“ Gebühr von 0,5 % auf Einnahmen aus Verkäufen von „Fertigerzeugnissen“ ( 3 ) (im Folgenden: laufende Gebühr)

zu zahlen.

9.

Genentech zahlte die einmalige und die jährliche Gebühr, die laufende Gebühr wurde jedoch nie entrichtet.

10.

Am 30. Juni 2008 forderten Hoechst und Sanofi-Aventis von Genentech Informationen zu Fertigerzeugnissen unter Verwendung patentierter Materialien und Prozesse an, die einen Anspruch auf Zahlung der laufenden Gebühren eröffneten.

11.

Mit Schreiben vom 27. August 2008 teilte Genentech Hoechst und Sanofi-Aventis die Kündigung der Lizenzvereinbarung mit, die zwei Monate später wirksam wurde ( 4 ).

12.

Hoechst und Sanofi-Aventis waren der Ansicht, dass Genentech den Enhancer in der rekombinanten Proteinsynthese verwendet habe, um Rituxan® ( 5 ) und andere Arzneimittel herzustellen, ohne die laufenden Gebühren auf den Verkauf dieser Arzneimittel zu entrichten, und daher gegen die Lizenzvereinbarung verstoßen habe, und reichten am 24. Oktober 2008 im Einklang mit der Schiedsklausel in Art. 11 der Lizenzvereinbarung beim Internationalen Schiedsgerichtshof der Internationalen Handelskammer (ICC) eine Schiedsklage gegen Genentech ein, die unter dem Aktenzeichen 15900/JHN/GFG in das Register eingetragen wurde.

13.

Am 27. Oktober 2008 reichten Hoechst und Sanofi-Aventis beim United States District Court for the Eastern District of Texas (US-Gericht für den Bezirk Ost-Texas, Vereinigte Staaten) wegen Verletzung der Patente US 522 und US 140 eine Klage gegen Genentech und Biogen (vormals Biogen Idec) ein. Diese erhoben am selben Tag vor dem United States District Court for the Northern District of California (US-Gericht für den Bezirk Nord-Kalifornien, Vereinigte Staaten) Klage auf Nichtigerklärung der genannten Patente.

14.

Die beiden Klagen wurden vor dem letztgenannten Gericht verbunden.

15.

Am 11. März 2011 kam der United States District Court for the Northern District of California (US-Gericht für den Bezirk Nord-Kalifornien) im Wesentlichen zu dem Schluss, dass eine Verletzung der fraglichen Patente nicht vorliege, und wies die Klage auf Nichtigerklärung der Patente mit der Begründung ab, dass es Genentech nicht gelungen sei, die erforderliche Beweisschwelle zu erreichen. Diese Entscheidung wurde am 22. März 2012 vom United States Court of Appeals for the Federal Circuit (US-Bundesrechtsmittelgericht, Vereinigte Staaten) bestätigt und ist rechtskräftig.

16.

Mit dem dritten Teilschiedsspruch vom 5. September 2012 (im Folgenden: dritter Teilschiedsspruch) ( 6 ) entschied der von den Parteien ausgewählte Einzelschiedsrichter ( 7 ), dass Genentech unter Verwendung des „für eine gewisse Zeit im [Patent EP 177] und später in den [Patenten US 522 und US 140] … unrechtmäßig oder rechtmäßig patentierten“ ( 8 ) Enhancers Rituxan® hergestellt habe, und stellte auf dieser Grundlage fest, dass Genentech verpflichtet sei, die laufenden Gebühren auf den Verkauf von Rituxan® und Erzeugnissen mit gleichen Eigenschaften an Hoechst und Sanofi-Aventis zu zahlen ( 9 ).

17.

Genentech habe den Enhancer ursprünglich nutzen wollen, ohne als Patentverletzer betrachtet zu werden ( 10 ), weshalb die Lizenzvereinbarung abgeschlossen worden sei. Daraus folge, dass der kommerzielle Gegenstand dieser Vereinbarung ( 11 ) darin bestehe, während ihrer Geltungsdauer Rechtsstreitigkeiten über die Gültigkeit der Patente US 522 und US 140 zu vermeiden ( 12 ). Nach den Worten des Schiedsrichters kann ein „solcher Waffenstillstand … nicht ewig dauern, da [die Lizenzvereinbarung] darauf angelegt ist, von einer der Parteien vergleichsweise kurzfristig gekündigt zu werden …“ ( 13 ).

18.

Sei ein Patent erst einmal eingetragen, könne einem Lizenznehmer wie Genentech durch die Gewährung einer Lizenz für die Nutzung dieses Patents Sicherheit gegeben werden, im Gegensatz zu einem Dritten, der davon abgeschreckt werden könne, mit einem Lizenznehmer in Wettbewerb zu treten. Nach der Lizenzvereinbarung handle es sich bei der Eintragung der Patente daher um einen Gesichtspunkt, der für den Nachweis, dass es einen kommerziellen Grund für den Abschluss der betreffenden Vereinbarung gebe, relevant sei, auch wenn die Frage der Gültigkeit der besagten Patente kein solcher relevanter Gesichtspunkt sei. Ein Patentrechtsstreit könne Jahre dauern, wie die Parallelverfahren in den Vereinigten Staaten zeigten, und beträchtliche Kosten verursachen ( 14 ). Eine Gesellschaft wie Genentech habe daher ein Interesse am Abschluss einer solchen Vereinbarung.

19.

Die aufgrund der Lizenzvereinbarung getätigten oder geschuldeten Zahlungen könnten folglich nicht zurückgefordert werden bzw. blieben geschuldet, wenn das Patent für nichtig erklärt werde oder durch die Tätigkeit des Begünstigten der Lizenzvereinbarung nicht verletzt worden sei ( 15 ). Da der kommerzielle Gegenstand der Lizenzvereinbarung darin bestehe, Patentstreitigkeiten zu vermeiden, verpflichte das Patentverfahren, falls sich das Patent als ungültig erweise, letzten Endes weder den Lizenzgeber zur Erstattung der erhaltenen Gebühren, noch befreie es den Lizenznehmer für den Fall von seiner Verpflichtung zur Zahlung dieser Gebühren, dass er sie – wie Genentech – nicht entrichtet habe.

20.

Auf der Grundlage dieser Erwägungen entschied der Einzelschiedsrichter, dass Genentech nach dem Wortlaut der Lizenzvereinbarung die laufenden Gebühren auf den Umsatz mit zwischen dem 15. Dezember 1998 (dem Tag der Erteilung des Patents US 522) und dem 28. Oktober 2008 (dem Tag der Kündigung der Lizenzvereinbarung) hergestelltem Rituxan® an Hoechst und Sanofi-Aventis zu zahlen habe ( 16 ).

21.

Darüber hinaus verurteilte er Genentech dazu, 391420,36 Euro zuzüglich 293565,27 US-Dollar (USD) (etwa 260000 Euro) an Hoechst und Sanofi-Aventis im Zusammenhang mit deren Vertretungskosten in der Zeit vom 9. Juni 2011 bis zum 5. September 2012 zu zahlen.

22.

Schließlich behielt er sich die Entscheidungen über die Beurteilung des Betrags der geschuldeten Gebühren, die Schiedskosten und die übrigen Vertretungskosten für den Endschiedsspruch vor.

23.

Am 25. Februar 2013 erließ der Einzelschiedsrichter den Endschiedsspruch und verurteilte Genentech dazu, Hoechst 108322850 Euro zuzüglich des einfachen Zinssatzes als Schadensersatz, 211250 Euro an Schiedskosten sowie 634649,88 Euro und 555907,23 USD (etwa 490778 Euro) an Vertretungskosten zu zahlen ( 17 ).

24.

In Rn. 219 des Endschiedsspruchs stellte der Einzelschiedsrichter fest, dass Genentech zu spät im Verfahren geltend gemacht habe, dass „[d]ie Anstrengungen von Hoechst, [die Lizenzvereinbarung] auf eine Weise auszulegen, die es ihr ermöglicht, laufende Gebühren zu verlangen, ohne die Frage zu berücksichtigen, ob die vermeintlich lizenzierten Erzeugnisse von den lizenzierten Patenten erfasst werden oder nicht, … gegen die Kartellregelung der Europäischen Union [verstoßen]“.

25.

Der Einzelschiedsrichter entschied insoweit, dass „Genentech … nicht klargestellt [hat], inwiefern [gegen das Wettbewerbsrecht der Union] verstoßen wird, wenn sie im vorliegenden Schiedsstreit unterliegt. Das deutsche Lizenzrecht gestattet Lizenzverträge über die Nutzung eines nicht patentierten Know-hows und kann dafür Gebühren vorsehen. Dies lässt sich nicht dadurch ändern, dass – ohne weiteres Vorbringen – geltend gemacht wird, diese Lizenz verstoße gegen [das Wettbewerbsrecht der Union].“ ( 18 )

26.

Genentech reichte auf der Grundlage der Art. 1518 und 1520 des Zivilprozessgesetzbuchs bei der Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris) eine Klage auf Nichtigerklärung des dritten Teilschiedsspruchs, des Endschiedsspruchs und des Nachtrags ein.

27.

Mit Beschluss vom 3. Oktober 2013 wies dieses Gericht den Antrag von Genentech zurück, die Klagen auf Nichtigerklärung des dritten Teilschiedsspruchs, des Endschiedsspruchs und des Nachtrags zu verbinden.

28.

Im Rahmen des Verfahrens zur Nichtigerklärung des dritten Teilschiedsspruchs fragt sich das Gericht, ob die Lizenzvereinbarung mit Art. 101 AEUV vereinbar ist. Der Lizenznehmer sei nach Auffassung des Einzelschiedsrichters während der Laufzeit dieser Vereinbarung zur Zahlung der vertraglich vereinbarten Gebühren verpflichtet gewesen, auch wenn die Nichtigerklärung des Patents bzw. der Patente Rückwirkung haben sollte. Es stelle sich die Frage, ob ein solcher Vertrag den Bestimmungen von Art. 101 AEUV zuwiderlaufe, soweit er den Lizenznehmer zur Zahlung von Gebühren verpflichte, für die es aufgrund der Nichtigerklärung des oder der mit den eingeräumten Rechten verbundenen Patente keinen Rechtsgrund mehr gebe, und ihm dadurch einen „Wettbewerbsnachteil“ zufüge.

29.

Unter diesen Umständen hat die Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind die Bestimmungen von Art. 101 AEUV dahin auszulegen, dass sie im Fall der Nichtigerklärung von Patenten der Wirksamkeit eines Lizenzvertrags entgegenstehen, der den Lizenznehmer verpflichtet, für die bloße Nutzung der mit den lizenzierten Patenten verbundenen Rechte Gebühren zu zahlen?

30.

Mit Beschluss vom 18. November 2015 erklärte die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) das Rechtsmittel von Hoechst und Sanofi-Aventis gegen das Urteil der Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris) vom 23. September 2014, mit dem dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt wurde, für unzulässig.

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

31.

Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen ist am 9. Dezember 2014 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen. Genentech, Hoechst und Sanofi-Aventis, die französische, die spanische und die niederländische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

32.

Die Verfahrensbeteiligten sind gemäß Art. 61 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs aufgefordert worden, dessen Fragen schriftlich zu beantworten, was sie am 18. Dezember 2015 getan haben.

33.

Am 20. Januar 2016 hat eine Sitzung stattgefunden, in der Genentech, Hoechst und Sanofi-Aventis, die französische und die spanische Regierung sowie die Kommission mündlich Stellung genommen haben.

V – Würdigung

A – Zulässigkeit

1. Verhältnis der gestellten Frage zur Realität des Ausgangsrechtsstreits

34.

Hoechst und Sanofi-Aventis sowie die französische Regierung vertreten die Ansicht, die Vorlagefrage beruhe auf einer fehlerhaften tatsächlichen Prämisse. Die Frage betreffe die Vereinbarkeit der Lizenzvereinbarung mit Art. 101 AEUV „im Fall der Nichtigerklärung von Patenten“ ( 19 ), am 12. Januar 1999 sei aber nur das Patent EP 177 für nichtig erklärt worden und nicht die Patente US 522 und US 140 ( 20 ). Die Vorlagefrage sei daher gegenstandslos und müsse für unzulässig erklärt werden.

35.

Meiner Meinung nach bedeutet die Tatsache, dass das vorlegende Gericht in der gestellten Frage auf die Nichtigerklärung „von Patenten“ (im Plural) Bezug nimmt, obwohl nur ein einziges Patent für nichtig erklärt worden ist, nicht, dass das Vorabentscheidungsersuchen auf einer fehlerhaften tatsächlichen Prämisse beruht.

36.

Wie aus dem Vorabentscheidungsersuchen klar hervorgeht, ist sich das vorlegende Gericht der Tatsache, dass die Patente US 522 und US 140 nicht für nichtig erklärt worden sind, nämlich vollkommen bewusst.

37.

Auf den Seiten 2 und 3 seines Vorabentscheidungsersuchens weist das vorlegende Gericht insoweit darauf hin, dass für die von der Lizenzvereinbarung erfasste Technologie „mehrere Patente erteilt [wurden], und zwar zum einen am 22. April 1992 das europäische Patent [EP 177], das am 12. Januar 1999 vom [EPA] wegen fehlender Neuartigkeit für nichtig erklärt wurde, zum anderen am 15. Dezember 1998 das … Patent [US 522] und schließlich am 17. April 2001 das … Patent [US 140]“ ( 21 ). Von einer Nichtigerklärung der Patente US 522 und US 140 ist in der Vorlageentscheidung nicht die Rede.

38.

Auf Seite 4 seines Vorabentscheidungsersuchens verweist das vorlegende Gericht außerdem darauf, dass der United States District Court for the Northern District of California (US-Gericht für den Bezirk Nord-Kalifornien) im Urteil vom 11. März 2011„entschied, … dass Rituxan[®] die fraglichen Patente nicht verletze“. Folglich kennt das vorlegende Gericht den Inhalt dieses Urteils, mit dem auch die gegen die Patente US 522 und US 140 erhobene Nichtigkeitsklage abgewiesen worden ist ( 22 ).

39.

Schließlich bezieht sich der Einzelschiedsrichter in den Rn. 193 und 194 des dritten Teilschiedsspruchs zwar auf die Nichtigerklärung der Patente US 522 und US 140 durch das vorgenannte US-Gericht, dieser Fehler ist im Endschiedsspruch jedoch nicht mehr enthalten. In Rn. 50 des Endschiedsspruchs stellt der Einzelschiedsrichter vielmehr sehr klar fest, dass die Klage von Genentech auf Nichtigerklärung der Patente US 522 und US 140 abgewiesen worden sei.

40.

Auch wenn die drei beim vorlegenden Gericht erhobenen Klagen auf Nichtigerklärung des dritten Teilschiedsspruchs, des Endschiedsspruchs bzw. des Nachtrags nicht verbunden worden sind ( 23 ), geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen eindeutig hervor, dass die drei Klagen miteinander zusammenhängen. Das vorlegende Gericht behandelt diese drei Schiedssprüche in seinem Vorabentscheidungsersuchen nämlich selbst als ein einheitliches Ganzes ( 24 ). Daher ist klar, dass seiner Frage keine fehlerhafte tatsächliche Prämisse zugrunde liegt.

41.

Für die Antwort, die ich dem Gerichtshof vorschlagen werde, macht es jedenfalls keinerlei Unterschied, ob die Frage des vorlegenden Gerichts auf der behaupteten fehlerhaften tatsächlichen Prämisse beruht oder nicht, da diese Frage sowohl den Fall der Nichtigerklärung eines Patents (hier des Patents EP 177) als auch den der Nichtverletzung eines Patents (hier der Patente US 522 und US 140) betrifft.

42.

Wie die Kommission in ihren Antworten auf die schriftlichen Fragen des Gerichtshofs nämlich festgestellt hat, ist „[d]er Einzelschiedsrichter … im dritten Teilschiedsspruch zu dem Schluss gelangt, dass die [Lizenz-]Vereinbarung nicht bezweckt habe, für den Fall die Erstattung oder Nichtrückforderung der Gebühren vorzusehen, dass sich bestimmte Patente später als ungültig oder als nicht verletzt erwiesen. Der Sinn der Vereinbarung, ausgelegt im Licht des deutschen Rechts und der Art und Weise ihres Zustandekommens, bestand darin, den Nutzer des Patents bzw. der Patente – d. h. Genentech – vor einem möglicherweise langen und kostspieligen Patentprozess zu bewahren. Durch den Umstand, dass die amerikanischen Patente als ungültig oder als nicht verletzt angesehen wurden, ändert sich demnach nichts am Umfang der Verpflichtung von Genentech zur Zahlung von Gebühren.“

2. Zu der Frage, ob der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort geben kann

43.

Hoechst und Sanofi-Aventis sowie die französische Regierung vertreten die Auffassung, der Gerichtshof könne dem vorlegenden Gericht keine sachdienliche Antwort geben.

44.

Die französische Regierung stellt insoweit fest, dass das Vorabentscheidungsersuchen die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, die im Rahmen der Anwendung von Art. 101 AEUV, insbesondere der Verordnung (EG) Nr. 772/2004 der Kommission vom 27. April 2004 über die Anwendung von Artikel [101] Absatz 3 [AEUV] auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen ( 25 ), erforderlich seien, wie die realen Bedingungen für die Funktionsweise und Struktur des fraglichen Marktes, die Natur der Lizenzvereinbarung – d. h. die Frage, ob es sich dabei um einen Vertrag zwischen Wettbewerbern oder um eine Vereinbarung auf Gegenseitigkeit handle – und die Elemente des deutschen Rechts, dem diese Vereinbarung unterworfen worden sei, nicht im Einzelnen aufführe.

45.

Meines Erachtens ist dieses Vorbringen zurückzuweisen, weil ich im Einklang mit dem Urteil Ottung (320/87, EU:C:1989:195) zu dem Schluss gelangen werde, dass Art. 101 Abs. 1 und 2 AEUV nicht die Nichtigerklärung des dritten Teilschiedsspruchs gebietet ( 26 ). Mit den von der französischen Regierung erwähnten Freistellungsverordnungen ( 27 ) wird Art. 101 Abs. 3 AEUV jedoch auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen und die entsprechenden aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen angewandt, die unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen, wenn an diesen Vereinbarungen oder Verhaltensweisen nur zwei Unternehmen beteiligt sind, was nach meinem Dafürhalten hier nicht der Fall ist.

46.

Ohnehin würde der Gerichtshof meiner Meinung nach nicht über ausreichende Angaben verfügen, um eine solche Prüfung vornehmen zu können, sollte er meine Schlussfolgerung nicht teilen.

47.

Nur in diesem Fall könnte die mit der Anwendung der genannten Freistellungsverordnungen zusammenhängende Unzulässigkeitseinrede Erfolg haben.

3. Zur Befugnis des vorlegenden Gerichts, den Gerichtshof um eine Vorabentscheidung zu ersuchen

48.

Hoechst und Sanofi-Aventis tragen vor, es sei unmöglich, auf die Vorlagefrage zu antworten, ohne gegen französisches Recht zu verstoßen, das eine inhaltliche Prüfung internationaler Schiedssprüche außer bei offenkundigen Verstößen gegen die internationale öffentliche Ordnung verbiete ( 28 ).

49.

Liege ein solcher offenkundiger Verstoß (wie im Fall eines Kartells) nicht vor, so Hoechst und Sanofi-Aventis, sei zwischen Fällen, in denen die Frage der Vereinbarkeit einer Vereinbarung zwischen Unternehmen mit Art. 101 AEUV in dem internationalen Schiedsspruch nicht erörtert worden sei (in diesem Fall bestehe die Gefahr einer Beeinträchtigung der Effektivität des Wettbewerbsrechts), und Fällen zu unterscheiden, in denen diese Frage angesprochen worden sei. Im letztgenannten Fall, der hier gegeben sei, würde die Antwort auf die Vorabentscheidungsfrage das vorlegende Gericht dazu veranlassen, den dritten Teilschiedsspruch in der Sache nachzuprüfen, da der Nichtigkeitsgrund, der den Gegenstand dieser Frage bilde, vor dem Einzelschiedsrichter geltend gemacht und erörtert worden sei.

50.

Ich weise hierzu darauf hin, dass es im Rahmen der in Art. 267 AEUV vorgesehenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts ist, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der bei ihm anhängigen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen.

51.

Sofern die von den nationalen Gerichten vorgelegten Fragen die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts betreffen, ist der Gerichtshof somit grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden, es sei denn, er soll offensichtlich in Wirklichkeit dazu veranlasst werden, über einen konstruierten Rechtsstreit zu entscheiden oder Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben, die begehrte Auslegung des Unionsrechts steht in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Rechtsstreits oder der Gerichtshof verfügt nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind ( 29 ).

52.

Meiner Meinung nach deutet nichts darauf hin, dass die gestellte Frage hypothetisch ist oder die begehrte Auslegung des Unionsrechts in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit steht, der sich auf Art. 101 AEUV bezieht. Außerdem verfügt der Gerichtshof meines Erachtens über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben, die für eine sachdienliche Beantwortung der gestellten Frage erforderlich sind.

53.

Rein informationshalber weise ich zudem darauf hin, dass die Cour de cassation (Kassationshof) das Rechtsmittel von Hoechst und Sanofi-Aventis gegen das Urteil der Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris) vom 23. September 2014, mit dem entschieden worden war, dem Gerichtshof die vorliegende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, für unzulässig erklärt hat.

54.

Daher ist die Vorlagefrage nach meinem Dafürhalten zulässig und muss beantwortet werden.

B – Zur Beantwortung der Frage

1. Zum Umfang der Prüfung internationaler Schiedssprüche anhand der Normen der europäischen öffentlichen Ordnung

55.

In ihren schriftlichen Erklärungen weist die französische Regierung darauf hin, dass, wie der Gerichtshof in Rn. 32 des Urteils Eco Swiss (C‑126/97, EU:C:1999:269) entschieden habe, die Prüfung internationaler Schiedssprüche, in denen sich Fragen des Unionsrechts stellten, anhand der von den Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Verfahrensautonomie erlassenen Vorschriften durch die Gerichte der Mitgliedstaaten „je nach Lage des Falles mehr oder weniger weit“ gehen könne. Auf dieser Grundlage trägt die französische Regierung vor, die Vorschriften des französischen Rechts, nach denen die französischen Gerichte internationale Schiedssprüche nicht in der Sache nachprüfen könnten und im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gegen einen internationalen Schiedsspruch wie den in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehenden auf die Ermittlung eines „offenkundigen“ ( 30 ) Verstoßes gegen die internationale öffentliche Ordnung beschränkt seien, stünden im Einklang mit dem im Unionsrecht aufgestellten Grundsatz der Effektivität.

56.

Hoechst und Sanofi-Aventis machen geltend ( 31 ), dass, auch wenn der Gerichtshof im Urteil Eco Swiss (C‑126/97, EU:C:1999:269) entschieden habe, dass ein mit einer Klage auf Nichtigerklärung eines internationalen Schiedsspruchs befasstes staatliches Gericht nach seinen nationalen Verfahrensregeln einer Nichtigkeitsklage wegen Verletzung von Art. 101 AEUV stattgeben müsse, die betreffenden Verfahrensvorschriften des französischen Rechts eine inhaltliche Prüfung internationaler Schiedssprüche untersagten und den Umfang dieser Prüfung auf einen „offenkundigen“ Verstoß beschränkten ( 32 ).

57.

Da die Frage einer etwaigen Unvereinbarkeit der Lizenzvereinbarung mit Art. 101 AEUV vor dem Einzelschiedsrichter aufgeworfen und erörtert worden sei und dieser sie zurückgewiesen habe, sei es jedoch unmöglich, auf die Vorlagefrage zu antworten, ohne den dritten Teilschiedsspruch in der Sache nachzuprüfen. Eine Lizenzvereinbarung wie die in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehende könne nämlich keine bezweckte Beschränkung von Art. 101 AEUV und daher keinen offenkundigen Verstoß gegen diese Vorschrift darstellen.

58.

Meiner Meinung nach verstoßen Beschränkungen des Umfangs ( 33 ) der Kontrolle internationaler Schiedssprüche wie die von Hoechst und Sanofi-Aventis sowie der französischen Regierung für das französische Recht angeführten – nämlich das Erfordernis, dass der Verstoß gegen die internationale öffentliche Ordnung offenkundig sein muss, und der Umstand, dass ein internationaler Schiedsspruchs nicht auf einen solchen Verstoß hin geprüft werden kann, sobald die Frage der öffentlichen Ordnung vor dem Schiedsgericht aufgeworfen und erörtert worden ist – gegen den Grundsatz der Effektivität des Unionsrechts.

59.

Unter Bezugnahme auf das System zur Prüfung internationaler Schiedssprüche auf ihre Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht über den Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, das der Gerichtshof im Urteil Eco Swiss (C‑126/97, EU:C:1999:269), in dem es wie im vorliegenden Fall um eine Klage auf Nichtigerklärung eines internationalen Schiedsspruchs wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung ging, entwickelt und im Urteil Gazprom (C‑536/13, EU:C:2015:316), in dem es um einen Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung eines aus Gründen der öffentlichen Ordnung angefochtenen internationalen Schiedsspruchs ging, bestätigt hat, ist darauf hinzuweisen, dass sogenannte „vertragliche“ ( 34 ) Schiedsgerichte nach Auffassung des Gerichtshofs keine Gerichte der Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 267 AEUV sind. Folglich können sie keine Vorlagefragen stellen. Es ist daher Sache der Gerichte der Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 267 AEUV, Schiedssprüche – gleichviel ob international oder nicht – gegebenenfalls unter Rückgriff auf den Vorlagemechanismus ( 35 ) auf ihre Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht zu prüfen, wenn sie darum ersucht werden, einen solchen Schiedsspruch für nichtig ( 36 ) oder vollstreckbar ( 37 ) zu erklären, oder im Rahmen irgendeines anderen Rechtsbehelfs oder irgendeiner anderen in den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Form der Kontrolle angerufen werden.

60.

Im Rahmen des Systems zur Prüfung internationaler Schiedssprüche auf ihre Vereinbarkeit mit dem materiellen Unionsrecht über den Vorbehalt der öffentlichen Ordnung im Rahmen einer Klage gegen die Anerkennungs- und Vollstreckungsentscheidung oder einer Nichtigkeitsklage erfolgt mit anderen Worten die Prüfung in einem späteren Stadium, d. h. durch die Gerichte der Mitgliedstaaten, statt in einem früheren Stadium, d. h. durch die Schiedsgerichte ( 38 ).

61.

In der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit ist es nämlich Aufgabe der Schiedsrichter, den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag ordnungsgemäß auszulegen und anzuwenden. Bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe müssen die Schiedsrichter natürlich bisweilen das Unionsrecht anwenden, wenn es Teil des auf den Vertrag anwendbaren Rechts (lex contractus) oder des für das Schiedsverfahren geltenden Rechts (lex arbitri) ist. Die Kontrolle der Einhaltung von Normen der europäischen öffentlichen Ordnung liegt jedoch bei den Gerichten der Mitgliedstaaten und nicht bei den Schiedsrichtern, gleichviel, ob sie im Rahmen einer Nichtigkeitsklage oder eines Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens erfolgt ( 39 ).

62.

Dieses System funktioniert somit in umgekehrter Richtung wie das System des gegenseitigen Vertrauens, das u. a. durch die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ( 40 ) eingeführt worden ist und in dem die Beachtung des auf den Rechtsstreit anwendbaren Unionsrechts, einschließlich der Normen der europäischen öffentlichen Ordnung, von dem Gericht, bei dem der Rechtsstreit anhängig gemacht wurde (also im Vorfeld), und nicht in einem späteren Stadium, d. h. vom Anerkennungs- und Vollstreckungsgericht, sichergestellt werden muss ( 41 ).

63.

Vor diesem Hintergrund werde ich die beiden Beschränkungen prüfen, die nach französischem Recht gelten sollen.

a) Offenkundigkeit oder Offensichtlichkeit des Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung

64.

Wäre die Prüfung eines internationalen Schiedsspruchs anhand der Normen der europäischen öffentlichen Ordnung (von denen es schon nicht sehr viele gibt) auf offensichtliche oder offenkundige Verstöße gegen Art. 101 AEUV zu beschränken, so wäre diese Prüfung in Anbetracht dessen, dass Vereinbarungen oder Verhaltensweisen, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können, „oft verschleiert“ ( 42 ) sind, illusorisch, was in zahlreichen Fällen zur Folge hätte, dass es den Rechtsunterworfenen unmöglich wäre (oder übermäßig erschwert würde), die Rechte auszuüben, die ihnen das Wettbewerbsrecht der Union verleiht.

65.

Wie Hoechst und Sanofi-Aventis in Rn. 21 ihrer schriftlichen Erklärungen sowie die von ihnen hinzugezogene Rechtsexpertin in Rn. 5 ihres Gutachtens ( 43 ) anerkennen, würde diese äußerst begrenzte Prüfung nämlich dazu führen, dass sich nur „[die] offensichtlichsten Verstöße [gegen Art. 101 AEUV] wie Vereinbarungen über die Preisfestsetzung oder die Marktaufteilung“ feststellen ließen. Bewirkte Beschränkungen würden der Kontrolle des mit einer Nichtigkeitsklage befassten Richters daher vollständig entzogen, weil die Feststellung ihres Vorliegens eine mehr als minimale inhaltliche Prüfung des Schiedsspruchs erforderte, die von den französischen Gerichten nicht vorgenommen werden könnte.

66.

Obwohl es bei den Verstößen gegen Art. 101 AEUV eine Abstufung nach Maßgabe ihrer Evidenz und ihrer Schädlichkeit gibt, wobei u. a. zwischen bezweckten und bewirkten Beschränkungen unterschieden wird ( 44 ), enthält Art. 101 AEUV nichts, was den Schluss zuließe, dass manche dieser Beschränkungen zulässig wären. Dieser Artikel verbietet nämlich ausdrücklich Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die eine Einschränkung des Wettbewerbs „bezwecken oder bewirken“ ( 45 ). Somit liegt entweder ein Verstoß gegen Art. 101 AEUV vor – in diesem Fall ist die betreffende Vereinbarung zwischen den Unternehmen von Rechts wegen nichtig –, oder es liegt kein solcher Verstoß vor.

67.

In diesem Sinne ist es daher nicht von Belang, ob der Verstoß gegen die Norm der öffentlichen Ordnung offenkundig ist oder nicht. Keine Rechtsordnung kann Verstöße gegen ihre grundlegendsten Normen, die Teil ihrer öffentlichen Ordnung sind, hinnehmen, unabhängig davon, ob diese Verstöße offenkundig und/oder offensichtlich sind oder nicht.

b) Unmöglichkeit, einen internationalen Schiedsspruch auf einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung zu prüfen, wenn diese Frage bereits vor dem Schiedsgericht aufgeworfen und erörtert worden ist, weil das eine inhaltliche Prüfung des genannten Schiedsspruchs bedeuten würde

68.

In Rn. 36 des Urteils Eco Swiss (C‑126/97, EU:C:1999:269) hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 101 AEUV (vormals Art. 81 EG) „eine grundlegende Bestimmung dar[stellt], die für die Erfüllung der Aufgaben der [Union] und insbesondere für das Funktionieren des Binnenmarktes unerlässlich ist“ ( 46 ).

69.

Darüber hinaus hat der Gerichtshof in Rn. 37 des Urteils Gazprom (C‑536/13, EU:C:2015:316) entschieden, dass Schiedsgerichte nicht an den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens gebunden sind ( 47 ). Dies bedeutet, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, Antworten auf unionsrechtliche Fragen zu beachten, die von Schiedsgerichten gegeben werden, die keine Gerichte der Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 267 AEUV sind.

70.

Wenn Art. 101 AEUV eine für die Unionsrechtsordnung derart grundlegende Bestimmung ist, kann die Tatsache, dass die Parteien die Frage der Unvereinbarkeit des internationalen Schiedsspruchs mit dieser Bestimmung vor dem Schiedsgericht aufgeworfen und erörtert haben, daher nicht entscheidend sein. Andernfalls könnte das Verhalten der Parteien während des Schiedsverfahrens zu einer Beeinträchtigung der Effektivität dieses Artikels führen, da das Schiedsgericht grundsätzlich ( 48 ) nicht befugt ist, sich mit einer Vorlagefrage an den Gerichtshof zu wenden, und nicht unbedingt die Aufgabe hat, das Unionsrecht auszulegen und anzuwenden.

71.

Aus diesen Gründen kann die Befugnis eines Gerichts eines Mitgliedstaats, einen internationalen Schiedsspruch auf seine Vereinbarkeit mit den Normen der europäischen öffentlichen Ordnung zu prüfen, weder davon abhängen, ob diese Frage während des Schiedsverfahrens aufgeworfen oder erörtert worden ist, noch kann sie durch ein im nationalen Recht bestehendes Verbot begrenzt werden, den betreffenden Schiedsspruch in der Sache nachzuprüfen.

72.

Mit anderen Worten können eine oder mehrere Parteien, die an möglicherweise wettbewerbswidrigen Vereinbarungen beteiligt sind, diese durch einen Rückgriff auf das Schiedsverfahren nicht dem Anwendungsbereich der Art. 101 und 102 AEUV entziehen.

2. Gebietet Art. 101 Abs. 1 AEUV die Nichtigerklärung eines internationalen Schiedsspruchs wie des im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehenden, der einer Patentlizenzvereinbarung Wirkung verleiht, die während ihrer gesamten Laufzeit eine Verpflichtung zur Zahlung laufender Gebühren vorsieht, und zwar selbst dann, wenn ein für die betreffende Technologie erteiltes Patent rückwirkend für nichtig erklärt worden ist (im vorliegenden Fall das Patent EP 177) oder die Nutzung der fraglichen Technologie keine Patentverletzung darstellt (im vorliegenden Fall die Patente US 522 und US 140)?

a) Einleitende Bemerkungen

73.

Aus dem dritten Teilschiedsspruch und der Auslegung der Lizenzvereinbarung durch den Einzelschiedsrichter geht hervor, dass die Verpflichtung von Genentech, auf der Grundlage ihrer Arzneimittelproduktion unter Verwendung der Enhancer-Technologie berechnete laufende Gebühren an Hoechst und Sanofi-Aventis zu zahlen, nicht von der Voraussetzung abhing, dass diese Technologie (weiterhin) durch ein Patent geschützt wird ( 49 ).

74.

Die bloße Nutzung der betreffenden Technologie während der Laufzeit der Lizenzvereinbarung genügte nach dem dritten Teilschiedsspruch nämlich, um die Verpflichtung zur Zahlung der laufenden Gebühren entstehen zu lassen ( 50 ).

75.

In diesem Zusammenhang ist es nicht Sache des Gerichtshofs, den vom Einzelschiedsrichter festgestellten Sachverhalt und dessen auf der Grundlage des deutschen Rechts vorgenommene Auslegung der Lizenzvereinbarung, wonach diese Vereinbarung trotz der Nichtigerklärung oder Nichtverletzung eines oder mehrerer Patente die Zahlung der Gebühren gebiete, zu überprüfen oder in Frage zu stellen.

76.

Sodann fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof nur nach der Auslegung von Art. 101 AEUV, was die Bezugnahmen von Genentech auf das Urteil Huawei Technologies (C‑170/13, EU:C:2015:477) und auf bestimmte Passagen meiner Schlussanträge ( 51 ) in dieser Rechtssache, die lediglich die Auslegung von Art. 102 AEUV betrafen, hinfällig macht.

b) Argumentation der Parteien

77.

Nach Auffassung von Genentech beeinträchtigt die ihr im dritten Teilschiedsspruch auferlegte Verpflichtung zur Zahlung der in Rede stehenden laufenden Gebühren bei Nichtigerklärung des Patents oder Nichtverletzung eines lizenzierten Patents nicht nur den Handel zwischen den Mitgliedstaaten spürbar, sondern stellt auch eine bezweckte und bewirkte Wettbewerbsbeschränkung dar.

78.

Bezüglich der Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten stellt Genentech fest, dass die Kommission am 2. Juni 1998 eine für die Vermarktung in der gesamten Union gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen von MabThera® nach der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 des Rates vom 22. Juli 1993 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln ( 52 ) erteilt habe. Während des relevanten Zeitraums (von 1998 bis 2008) habe sie „Rituximab“ zwecks Vermarktung in verschiedenen Mitgliedstaaten, hauptsächlich in der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, der Italienischen Republik sowie im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland, hergestellt. Die Gebühren, die sie nach Auffassung des Einzelschiedsrichters schulde, seien auf der Grundlage des weltweiten Nettoabsatzes von Fertigerzeugnissen in der Zeit zwischen 1998 und 2008 berechnet worden; in Anbetracht der hohen Verkaufszahlen in der Union während des relevanten Zeitraums beeinträchtige die Zahlungsverpflichtung, die sich aus der vom Einzelschiedsrichter auferlegten Wettbewerbsbeschränkung ergebe, den Handel zwischen Mitgliedstaaten unmittelbar.

79.

Genentech erklärt auch, einen Wettbewerbsnachteil auf dem Markt zu erleiden, da sie gezwungen sei, für die Nutzung einer Technologie zu zahlen, von der die anderen Wettbewerber frei und kostenlos profitieren könnten.

80.

Außerdem seien Hoechst und Sanofi-Aventis entschädigt worden und durch die Einnahme ( 53 ) laufender Gebühren auf wissenschaftliche und technologische Entdeckungen, zu denen sie keinen Beitrag geleistet hätten, ungerechtfertigt bereichert. Die in der Ausgangsrechtssache in Rede stehenden internationalen Schiedssprüche hätten es Hoechst und Sanofi-Aventis gestattet, ihre Wettbewerber zu „besteuern“ und der pharmazeutischen Industrie im Allgemeinen sowie Genentech und ihren Tochtergesellschaften – die sowohl in Europa als auch in der übrigen Welt tätig seien – im Besonderen finanzielle Belastungen aufzuerlegen, was gegen das Wettbewerbsrecht der Union verstoße.

81.

Zum eigentlichen Wettbewerb stellt Genentech fest, dass es sich bei Sanofi-Aventis, gemessen an den Einkünften aus verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, um den zweitgrößten europäischen Pharmakonzern handle, der in der Forschung und Entwicklung sowie in der Herstellung von Arzneimitteln in mehreren therapeutischen Bereichen tätig sei. Zudem sei Sanofi-Aventis einer der Hauptwettbewerber von Roche (von der Genentech heute zu 100 % gehalten werde) im Bereich der auf die Forschung ausgerichteten pharmazeutischen Industrie.

82.

Dagegen vertreten Hoechst und Sanofi-Aventis die Auffassung, die von Genentech angefochtenen Schiedssprüche hätten nur einen sehr begrenzten Bezug zur Union.

83.

Sie stellen ferner fest, dass die von Genentech geschuldeten Gebühren ihren Ursprung nicht in irgendeinem europäischen Patent fänden und dass sich die angefochtenen internationalen Schiedssprüche nicht im Geringsten auf den Absatz von Genentech ausgewirkt hätten. Zudem habe der Einzelschiedsrichter lediglich über die Frage entschieden, ob Genentech vertraglich verpflichtet sei, die in der Lizenzvereinbarung vorgesehenen Gebühren zu zahlen; die Hoechst und Sanofi-Aventis im Endschiedsspruch zugesprochenen Gebühren seien auf der Grundlage des weltweiten Absatzes von Rituxan® berechnet worden, der sich nur zu 17 % auf die Union beziehe, was für den in Rede stehenden Zeitraum von 1998 bis 2008 ungefähr 18 Mio. Euro entspreche.

c) Würdigung

84.

Was die Beurteilung der Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten angeht, schließe ich mich dem Vorbringen der Kommission in ihren Antworten auf die schriftlichen Fragen des Gerichtshofs an, wonach es Sache des vorlegenden Gerichts sei, zu überprüfen, ob in Anbetracht der Merkmale des betreffenden Marktes ein hinreichender Grad an Wahrscheinlichkeit bestehe, dass die sich aus dem Endschiedsspruch ergebende Verpflichtung, in Anwendung der Lizenzvereinbarung Gebühren zu entrichten, den Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell beeinflusse und dieser Einfluss nicht nur geringfügig sei ( 54 ).

85.

Was die Beschränkung des Wettbewerbs betrifft, braucht an dieser Stelle nicht geprüft zu werden, ob Genentech durch die Art und Weise, wie der Einzelschiedsrichter die Lizenzvereinbarung ausgelegt hat, kommerziell benachteiligt worden ist oder dieses Unternehmen im Nachhinein betrachtet eine solche Vereinbarung nicht abgeschlossen hätte ( 55 ). Art. 101 AEUV zielt nicht darauf ab, die Handelsbeziehungen zwischen Unternehmen allgemein zu regeln, sondern verbietet lediglich bestimmte Arten von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken.

86.

Darüber hinaus hat der Gerichtshof im Urteil Ottung (320/87, EU:C:1989:195) eine vertragliche Verpflichtung, wonach der Inhaber einer Lizenz für eine patentierte Erfindung ohne zeitliche Beschränkung – also sogar nach Erlöschen des Patents – Gebühren schuldete, anhand des Wettbewerbsrechts geprüft.

87.

In den Rn. 11 und 12 dieses Urteils hat der Gerichtshof für Recht erkannt:

„Es ist nicht auszuschließen, dass eine Klausel in einem Lizenzvertrag, nach der eine Lizenzgebühr zu zahlen ist, eine andere Grundlage haben kann als ein Patent. Eine solche Klausel kann nämlich so den Wert widerspiegeln, der nach kaufmännischer Beurteilung den mit dem Lizenzvertrag verbundenen Möglichkeiten der Nutzbarmachung beigemessen wird. …

Für den Fall, dass die Verpflichtung zur Zahlung von Lizenzgebühren auf unbestimmte Dauer begründet wurde und daher geltend gemacht wird, dass sie den Schuldner auch nach Ablauf der Geltungsdauer des betreffenden Patents binde, stellt sich die Frage, ob die Verpflichtung zur weiteren Zahlung der Lizenzgebühr nicht im Hinblick auf den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang des Lizenzvertrags eine Beschränkung des Wettbewerbs im Sinne des Artikels [101] Absatz 1 darstellt.“ ( 56 )

88.

Nach Auffassung des Gerichtshofs kann die betreffende Verpflichtung gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßen, wenn der Lizenzvertrag dem Lizenznehmer nicht das Recht zur Kündigung innerhalb angemessener Frist einräumt oder darauf abzielt, die Dispositionsfreiheit des Lizenznehmers nach der Kündigung zu beschränken ( 57 ).

89.

Auch wenn sich das genannte Urteil auf wirtschaftliche und rechtliche Umstände bezog, die sich von den in der Ausgangsrechtssache gegebenen Umständen leicht unterscheiden ( 58 ), kann diese Rechtsprechung meines Erachtens entsprechend in der vorliegenden Rechtssache herangezogen werden.

90.

Der dritte Teilschiedsspruch bestätigt, dass sich die Verpflichtung von Genentech zur Zahlung der Gebühren nicht aus der Nutzung einer durch gültige Patente geschützten Technologie, sondern ausschließlich aus der in Rede stehenden Lizenzvereinbarung ergab ( 59 ). Aus der vom Einzelschiedsrichter nach deutschem Recht vorgenommenen Auslegung der Lizenzvereinbarung geht klar hervor, dass der kommerzielle Gegenstand dieser Vereinbarung darin bestand, Genentech die Nutzung des betreffenden Enhancers zu ermöglichen, ohne Gefahr zu laufen, in Patentstreitigkeiten verwickelt zu werden. Da Genentech während der Laufzeit der Lizenzvereinbarung im Gegensatz zu den anderen Nutzern des Enhancers, die mit Hoechst und Sanofi-Aventis keine solche Lizenzvereinbarung abgeschlossen hatten, tatsächlich von diesem „vorläufigen Waffenstillstand“ ( 60 ) profitiert hat, waren die Zahlungen, die sie im Einklang mit dieser Vereinbarung für die Nutzung des Enhancers schuldete, trotz der Nichtverletzung oder Nichtigerklärung der betreffenden Patente nicht rückzahlbar.

91.

Außerdem war Genentech nur während der Gültigkeitsdauer dieser Lizenzvereinbarung zur Zahlung von Gebühren verpflichtet und konnte die Vereinbarung unter Einhaltung einer sehr kurzen Kündigungsfrist von zwei Monaten nach freiem Willen auflösen ( 61 ). Nach der Kündigung der Lizenzvereinbarung befand sich Genentech somit in genau der gleichen Situation wie alle anderen Nutzer des betreffenden Enhancers ( 62 ).

92.

Darüber hinaus war Genentech nach der Kündigung keineswegs in ihrer Dispositionsfreiheit beschränkt und nicht durch eine Klausel gebunden, die es ihr verbot, die Ungültigkeit oder Verletzung der betreffenden Patente geltend zu machen. Im Übrigen hat sie nach der Kündigung der Lizenzvereinbarung vor dem United States District Court for the Northern District of California (US-Gericht für den Bezirk Nord-Kalifornien) eine Klage auf Nichtigerklärung der Patente erhoben.

93.

Genentech vertritt jedoch die Auffassung, aus dem Urteil Windsurfing International/Kommission (193/83, EU:C:1986:75) ergebe sich, dass ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV vorliege, wenn der Inhaber einer Patentlizenz Gebühren schulde, die auf der Grundlage des Nettoverkaufspreises eines Erzeugnisses berechnet worden seien, das nicht vom Patent erfasst werde.

94.

In diesem Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass die erwähnte Methode der Berechnung von Lizenzgebühren auf der Grundlage des Nettoverkaufspreises eines kompletten Stehseglers grundsätzlich geeignet war, den Wettbewerb mit nicht von einem Patent erfassten Brettern zu beschränken ( 63 ). In Rn. 65 des besagten Urteils hat er insoweit festgestellt, dass es eine Nachfrage sowohl nach einzelnen Riggs als auch nach einzelnen Brettern gab.

95.

In der genannten Rechtssache hatte der Patentinhaber über die fragliche Klausel und unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Buchst. e AEUV den Abschluss des Vertrags allerdings an die Bedingung geknüpft, dass sein Vertragspartner zusätzliche Leistungen annahm ( 64 ), die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand standen. Im Ausgangsrechtsstreit deutet jedoch nichts darauf hin, dass die Vollstreckung des dritten Teilschiedsspruchs dazu geführt hätte, dass Genentech Verpflichtungen auferlegt wurden, die sachlich oder nach Handelsbrauch in keiner Beziehung zum Gegenstand des Lizenzvertrags standen.

96.

Nach Auffassung des Einzelschiedsrichters bestand der kommerzielle Gegenstand der Lizenzvereinbarung nämlich darin, Patentstreitigkeiten zu vermeiden, so dass die Berechnung der Lizenzgebühren vollkommen unabhängig von der Frage erfolgte, ob es für das Fertigerzeugnis ein gültiges Patent gab oder nicht.

97.

Daher steht Art. 101 AEUV im Fall der Nichtigerklärung oder Nichtverletzung von eine Technologie schützenden Patenten der Wirksamkeit eines Lizenzvertrags, der den Lizenznehmer verpflichtet, für die bloße Nutzung der mit den lizenzierten Patenten verbundenen Rechte Gebühren zu zahlen, meines Erachtens nicht entgegen, wenn zum einen der kommerzielle Gegenstand dieser Vereinbarung darin besteht, dem Lizenznehmer die Nutzung der betreffenden Technologie zu ermöglichen und gleichzeitig Patentstreitigkeiten zu vermeiden, und zum anderen der Lizenznehmer die Lizenzvereinbarung unter Einhaltung einer angemessenen Kündigungsfrist selbst dann auflösen kann, wenn die Patente für nichtig erklärt worden sind oder nicht verletzt sind.

3. Anwendbarkeit der Technologietransfer-Freistellungsverordnungen

98.

Genentech, Hoechst, Sanofi-Aventis, die niederländische Regierung und die Kommission haben Erklärungen zur Anwendung der Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 316/2014 der Kommission vom 21. März 2014 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen ( 65 ) eingereicht.

99.

Die französische Regierung vertritt demgegenüber die Auffassung, da sich die gestellte Frage auf die Durchführung der Lizenzvereinbarung während des Zeitraums vom 15. Dezember 1998 bis zum 27. Oktober 2008 beziehe, seien für diesen Zeitraum die Verordnung (EG) Nr. 240/96 der Kommission vom 31. Januar 1996 zur Anwendung von Artikel [101] Absatz 3 [AEUV] auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen ( 66 ) und die Verordnung Nr. 772/2004 anzuwenden.

100.

Nach meinem Dafürhalten ist es nicht zweckmäßig, die Frage der Anwendbarkeit dieser drei sogenannten Freistellungsverordnungen auf den vorliegenden Fall zu prüfen.

101.

Abgesehen davon, dass der Gerichtshof nicht über genügend Angaben verfügt, um eine solche Prüfung vornehmen zu können, wäre diese auch überflüssig, da ich im Einklang mit dem Urteil Ottung (320/87, EU:C:1989:195) der Meinung bin, dass Art. 101 Abs. 1 und 2 AEUV nicht die Nichtigerklärung des dritten Teilschiedsspruchs gebietet. Ich stelle fest, dass die genannten Freistellungsverordnungen Art. 101 Abs. 3 AEUV ( 67 ) auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen und die entsprechenden aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen anwenden, die unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen, wenn an diesen Vereinbarungen oder Verhaltensweisen nur zwei Unternehmen beteiligt sind.

102.

Darüber hinaus kann dem Argument von Genentech, wonach die ihr infolge des dritten Teilschiedsspruchs obliegende Verpflichtung zur Zahlung von Lizenzgebühren, die auf der Grundlage des weltweiten Umsatzes mit MabThera® berechnet worden seien, eine Kernbeschränkung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und d der Verordnung Nr. 316/2014 darstelle, meines Erachtens nicht gefolgt werden.

103.

Den dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen lässt sich nämlich nicht entnehmen, dass die Lizenzvereinbarung und der dritte Teilschiedsspruch bezwecken oder bewirken, die Möglichkeit von Genentech zu beschränken, den Preis, zu dem sie ihre Produkte an Dritte verkauft, selbst festzusetzen ( 68 ) bzw. „[ihre] eigenen Technologierechte zu verwerten“ oder „Forschungs- und Entwicklungsarbeiten durchzuführen“ ( 69 ).

VI – Ergebnis

104.

Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, die Vorlagefrage der Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris) wie folgt zu beantworten:

Art. 101 AEUV gebietet im Fall der Nichtigerklärung oder Nichtverletzung von eine Technologie schützenden Patenten dann nicht die Nichtigerklärung eines internationalen Schiedsspruchs, der einer Lizenzvereinbarung Wirkung verleiht, die den Lizenznehmer verpflichtet, für die bloße Nutzung der mit den lizenzierten Patenten verbundenen Rechte Gebühren zu zahlen, wenn der kommerzielle Gegenstand dieser Vereinbarung darin besteht, dem Lizenznehmer die Nutzung der betreffenden Technologie zu ermöglichen und gleichzeitig Patentstreitigkeiten zu vermeiden, sofern der Lizenznehmer die Lizenzvereinbarung unter Einhaltung einer angemessenen Kündigungsfrist auflösen bzw. die Ungültigkeit oder Verletzung der Patente geltend machen kann und nach der Kündigung seine Dispositionsfreiheit behält.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) Behringwerke hat ihre Rechte später auf Hoechst übertragen. Seit Juli 2005 ist Hoechst eine Tochtergesellschaft von Sanofi-Aventis, die 100 % ihres Gesellschaftskapitals hält.

( 3 ) Dieser Ausdruck ist in der Lizenzvereinbarung definiert als „kommerziell handelbare Waren, die ein Lizenzprodukt enthalten und in einer Form verkauft werden, die ihre Verabreichung an Patienten zu therapeutischen Zwecken ermöglicht oder im Rahmen eines Diagnoseverfahrens verwendet wird, und die vor ihrer Verwendung weder auf eine neue Zubereitung, Behandlung, Neuverpackung oder Neuetikettierung gerichtet sind noch als solche gehandelt werden“. Als „Lizenzprodukte“ im Sinne dieser Vereinbarung gelten „Materialien (einschließlich Organismen), deren Herstellung, Verwendung oder Verkauf ohne den vorliegenden Vertrag einen oder mehrere nicht erloschene Ansprüche verletzen würde, die zu den mit den lizenzierten Patenten verbundenen Rechten gehören“.

( 4 ) Gemäß Art. 8 Abs. 3 der Lizenzvereinbarung kann „[d]er Lizenznehmer … die vorliegende Vereinbarung und die auf ihrer Grundlage gewährten Lizenzen unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von zwei (2) Monaten gegenüber Behringwerke kündigen, wenn er beschließt, die nach dieser Vereinbarung eingeräumten Lizenzrechte nicht mehr zu nutzen“.

( 5 ) Der Wirkstoff von Rituxan® ist Rituximab. Dieses Arzneimittel wird seit 1998 in den Vereinigten Staaten unter dem Handelsnamen Rituxan® und in der Europäischen Union unter dem Handelsnamen MabThera ® vertrieben. Aus den Antworten von Genentech sowie von Hoechst und Sanofi-Aventis auf die schriftlichen Fragen des Gerichtshofs geht hervor, dass die von der vorliegenden Rechtssache betroffenen Schiedssprüche den weltweiten Absatz von Rituxan® , einschließlich des Absatzes dieses Arzneimittels unter dem Namen MabThera ® , betreffen.

( 6 ) Originalsprache des dritten Teilschiedsspruchs ist Englisch. Genentech hat bei dem vorlegenden Gericht und beim Gerichtshof eine „freie“ Übersetzung ins Französische zu den Akten gegeben, die in den vorliegenden Schlussanträgen verwendet wird.

( 7 ) Vgl. Rn. 322 bis 330 des dritten Teilschiedsspruchs.

( 8 ) Vgl. Rn. 326 des dritten Teilschiedsspruchs.

( 9 ) Vgl. Rn. 114 des dritten Teilschiedsspruchs.

( 10 ) Vgl. Rn. 299 des dritten Teilschiedsspruchs.

( 11 ) Der Einzelschiedsrichter vertrat die Auffassung, die Verträge seien nach deutschem Recht, das auf die Lizenzvereinbarung anwendbar sei, nicht nur anhand ihrer Bestimmungen auszulegen, sondern auch anhand ihrer Entstehungsgeschichte, ihres systematischen Kontexts und ihres kommerziellen Gegenstands (vgl. in diesem Sinne Rn. 255 des dritten Teilschiedsspruchs). Er kam zu dem Schluss, dass sich die kommerziellen Gründe, die die Parteien zum Abschluss der Lizenzvereinbarung bewogen hätten, aus dem Umstand ergäben, dass Behringwerke zum Zeitpunkt des Abschlusses im Besitz einer patentierten Erfindung (nämlich des Patents EP 177) gewesen sei, die Genentech kommerziell habe nutzen wollen, ohne Gefahr zu laufen, das Patent zu verletzen (vgl. in diesem Sinne Rn. 258 des dritten Teilschiedsspruchs). Die Frage nach der Gültigkeit des Patents sei im deutschen Recht, das einen vertraglichen Anspruch auf Zahlung der in einer Lizenzvereinbarung vorgesehenen Gebühren selbst dann anerkenne, wenn das fragliche Patent letztlich für nichtig erklärt werde, unerheblich. Nach deutschem Recht könne eine Person eine Lizenz auch für eine nicht patentierte oder nicht patentierbare Erfindung gewähren (vgl. in diesem Sinne Rn. 292 des dritten Teilschiedsspruchs).

( 12 ) Vgl. in diesem Sinne Rn. 307 des dritten Teilschiedsspruchs.

( 13 ) Vgl. Rn. 308 des dritten Teilschiedsspruchs.

( 14 ) Vgl. Rn. 313 des dritten Teilschiedsspruchs.

( 15 ) Vgl. Rn. 314 des dritten Teilschiedsspruchs.

( 16 ) Vgl. in diesem Sinne Rn. 161 und Nr. 1 des verfügenden Teils des dritten Teilschiedsspruchs.

( 17 ) Diese Beträge wurden durch die Entscheidung und den Nachtrag zum Endschiedsspruch, die am 25. Februar 2013 ergingen und die Berechnung der Zinsen betrafen, die Genentech Hoechst schuldet (im Folgenden: Nachtrag), nicht geändert.

( 18 ) Vgl. Rn. 222 des Endschiedsspruchs.

( 19 ) Hervorhebung nur hier.

( 20 ) Siehe Nr. 6 der vorliegenden Schlussanträge.

( 21 ) Hervorhebung nur hier.

( 22 ) Siehe Nrn. 13 bis 15 der vorliegenden Schlussanträge.

( 23 ) Siehe Nr. 27 der vorliegenden Schlussanträge.

( 24 ) Vgl. u. a. die (im Vorabentscheidungsersuchen wiedergegebenen) Anträge von Genentech vor dem vorlegenden Gericht, die auf die Nichtigerklärung des dritten Teilschiedsspruchs, des Endschiedsspruchs und des Nachtrags abzielen.

( 25 ) ABl. 2004, L 123, S. 11.

( 26 ) Siehe Nrn. 84 bis 97 der vorliegenden Schlussanträge.

( 27 ) Rechtsgrundlage aller drei genannten Verordnungen ist die Verordnung Nr. 19/65/EWG des Rates vom 2. März 1965 über die Anwendung von Artikel [101] Absatz 3 [AEUV] auf Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. 1965, Nr. 36, S. 533).

( 28 ) Vgl. Cour d’appel de Paris, 18. November 2014, Thalès, RG Nr. 2002/19606, S. 9; Cour de cassation, Erste Zivilkammer, 4. Juni 2008, Cytec, Nr. 06-15.320, Bull. civ. I, Nr. 162, S. 4.

( 29 ) Vgl. Beschluss EBS Le Relais Nord-Pas-de-Calais (C‑240/12, EU:C:2013:173, Rn. 12 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 30 ) Vgl. Cour de cassation, Erste Zivilkammer, 4. Juni 2008, Cytec, Nr. 06-15.320, Bull. civ. I, Nr. 162, S. 4.

( 31 ) Siehe Nrn. 48 und 49 der vorliegenden Schlussanträge.

( 32 ) Vgl. Cour d’appel de Paris, 18. November 2004, Thalès, RG Nr. 2002/19606, S. 9. Diese Entscheidung ist mit dem Urteil Cytec (Cour de cassation, Erste Zivilkammer, 4. Juni 2008, Nr. 06-15.320, Bull. civ. I, Nr. 162, S. 4) bestätigt worden. Beide Rechtssachen betrafen einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht der Union.

( 33 ) Da die Nichtigkeitsklage gemäß Art. 1520 des Zivilprozessgesetzbuchs gegen die in Frankreich ergangenen internationalen Schiedssprüche gerichtet ist, ist Gegenstand der Kontrolle der internationale Schiedsspruch selbst und nicht der zugrunde liegende Rechtsakt, der die Schiedsklausel enthält, die zum Schiedsverfahren geführt hat, im vorliegenden Fall die Lizenzvereinbarung. Zwar stellen internationale Schiedssprüche keine Vereinbarungen zwischen Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV, sondern Entscheidungen der internationalen Gerichtsbarkeit dar, die keiner staatlichen Rechtsordnung zugeordnet sind, aber zur internationalen Schiedsgerichtsordnung gehören (vgl. Cour de cassation, Erste Zivilkammer, 8. Juli 2015, Ryanair, Nr. 13-25.846, FR:CCASS:2015:C100797; vgl. in diesem Sinne auch Cour de cassation, Erste Zivilkammer, 23. März 1994, Hilmarton Ltd, Nr. 92-15137, Bull. civ. I, Nr. 104, S. 79; Cour de cassation, Erste Zivilkammer, 29. Juni 2007, PT Putrabali Adyamulia, Nr. 05-18053, Bull. civ. I, Nr. 250). Aus dem Urteil Eco Swiss (C‑126/97, EU:C:1999:269) geht jedoch klar hervor, dass ein internationaler Schiedsspruch für nichtig zu erklären ist, wenn er einer Vereinbarung zwischen Unternehmen, die gegen Art. 101 AEUV verstößt, Wirkung verleiht, auch wenn der Schiedsspruch selbst keine Vereinbarung zwischen Unternehmen darstellt. Wäre dem nicht so, könnten die Parteien wettbewerbswidrige Vereinbarungen dem Anwendungsbereich von Art. 101 AEUV entziehen, indem sie Schiedsklauseln in diese Vereinbarungen aufnehmen.

( 34 ) Vgl. Urteil Eco Swiss (C‑126/97, EU:C:1999:269, Rn. 34). Ich halte diesen Zusatz für notwendig, weil es nach Auffassung des Gerichtshofs auch Schiedsgerichte gibt, die die in der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien für die Einholung einer Vorabentscheidung erfüllen (vgl. Urteil Ascendi Beiras Litoral e Alta, Auto Estradas das Beiras Litoral e Alta, C‑377/13, EU:C:2014:1754, und Beschluss Merck Canada, C‑555/13, EU:C:2014:92). Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung wäre es denkbar, dass Schiedsgerichte, die im Rahmen des Übereinkommens zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten (ICSID) angerufen werden, dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorlegen können. Vgl. in diesem Sinne Basedow, J., „EU Law in International Arbitration: Referrals to the European Court of Justice“, Journal of International Arbitration, Bd. 32, 2015, S. 367, S. 376 bis 381. Da Schiedsverfahren im Investitionsbereich, in denen sich Fragen nach der Anwendung des Unionsrechts stellen, an Zahl und Bedeutung zunehmen, insbesondere auf dem Gebiet staatlicher Beihilfen, könnte es zur ordnungsgemäßen und wirksamen Anwendung dieses Rechts beitragen, wenn Schiedsgerichte die Möglichkeit hätten, eine Vorabentscheidung einzuholen.

( 35 ) Vgl. Urteil Eco Swiss (C‑126/97, EU:C:1999:269, Rn. 32, 33 und 40). Vgl. in diesem Sinne auch Urteil des Högsta domstol (Oberster Gerichtshof, Schweden) vom 17. Juni 2015 in der Rechtssache Nr. T 5767-13, Systembolaget/The Absolute Company, Rn. 23.

( 36 ) Dies ist beim vorlegenden Gericht in dieser Rechtssache und bei den niederländischen Gerichten in der Rechtssache, die zum Urteil Eco Swiss (C‑126/97, EU:C:1999:269) geführt hat, der Fall.

( 37 ) Dies war der Fall bei den litauischen Gerichten in der Rechtssache, in der das Urteil Gazprom (C‑536/13, EU:C:2015:316) ergangen ist und in der es um die Frage ging, ob der betreffende internationale Schiedsspruch eine „anti-suit injunction“ darstellte, die gegen die öffentliche Ordnung im Sinne von Art. V Abs. 2 Buchst. b des am 10. Juni 1958 in New York geschlossenen Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (United Nations Treaty Series, Bd. 330, S. 3) verstieß.

( 38 ) Es gibt selbstverständlich einige Ausnahmen wie u. a. das Vorabtätigwerden des (staatlichen) Richters am Sitz des Schiedsgerichts in seiner Eigenschaft als Richter zur Unterstützung des Schiedsverfahrens. Diese Ausnahmen zielen jedoch nicht darauf ab, die Einhaltung des Unionsrechts sicherzustellen. Vgl. in diesem Sinne Urteil Rich (C‑190/89, EU:C:1991:319), das die Bildung eines Schiedsgerichts betraf.

( 39 ) Die Situation kann sich im Kontext eines internationalen Schiedsverfahrens im Investitionsbereich, in dem einige Regelungen wie das ICSID-Übereinkommen für die Gerichte der Mitgliedstaaten keine Möglichkeit vorsehen, internationale Schiedssprüche auf ihre Vereinbarkeit mit der europäischen öffentlichen Ordnung zu prüfen (vgl. u. a. die Art. 53 und 54 dieses Übereinkommens), anders darstellen. Soweit diese Regelungen – wie das ICSID-Übereinkommen – sowohl die Mitgliedstaaten als auch Drittländer binden, fallen sie jedoch unter Art. 351 AEUV. Ein Konflikt zwischen der internationalen Schiedsgerichtsordnung und der Unionsrechtsordnung ließe sich vermeiden, wenn Schiedsgerichte den Gerichtshof um eine Vorabentscheidung ersuchen könnten (siehe Fn. 34).

( 40 ) ABl. 2012, L 351, S. 1.

( 41 ) Vgl. in diesem Sinne Rn. 33 des Urteils Renault (C‑38/98, EU:C:2000:225), in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass „[d]as Gericht des Vollstreckungsstaats … die Anerkennung einer Entscheidung aus einem anderen Vertragsstaat nicht allein deshalb ablehnen [darf], weil es der Ansicht ist, dass in dieser Entscheidung das nationale Recht oder das [Unions]recht falsch angewandt worden sei, da sonst die Zielsetzung des Übereinkommens in Frage gestellt würde. Vielmehr ist in solchen Fällen davon auszugehen, dass das in jedem Vertragsstaat eingerichtete Rechtsbehelfssystem, ergänzt durch das Vorabentscheidungsverfahren in Artikel [267 AEUV], den Rechtsbürgern eine ausreichende Garantie bietet“. In Rn. 34 dieses Urteils hat der Gerichtshof sodann festgestellt, dass „ein möglicher Rechtsfehler von der Art des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden keinen offensichtlichen Verstoß gegen eine grundlegende Rechtsvorschrift in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats darstellt“.

( 42 ) Urteil Courage und Crehan (C‑453/99, EU:C:2001:465, Rn. 27).

( 43 ) Wie Professor Laurence Idot einräumt, hätte ihre Auffassung zur Folge, dass „der staatliche Richter – außer im Ausnahmefall eines Schiedsspruchs, mit dem beispielsweise einem Kartell Wirkung verliehen würde – im Rahmen einer Klage gegen einen Schiedsspruch auf wettbewerbsrechtliche Fragen nicht mehr eingehen könnte, wenn sie vor dem Schiedsgericht aufgeworfen und erörtert worden sind“.

( 44 ) Vgl. Urteil CB/Kommission (C‑67/13 P, EU:C:2014:2204, Rn. 48 bis 52).

( 45 ) Hervorhebung nur hier.

( 46 ) Der Gerichtshof hat diese Feststellung auf Art. 3 Buchst. g EG-Vertrag (nunmehr Art. 3 Abs. 1 Buchst. b AEUV) gestützt. Wie ich in Nr. 182 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Gazprom (C‑536/13, EU:C:2014:2414) erläutert habe, „teile ich [nicht] … die Auslegung de[s] Urteil[s] Eco Swiss ([C‑126/97,] EU:C:1999:269, Rn. 36) …, wonach es schon genügt, dass ein bestimmter Bereich zu den ausschließlichen oder geteilten Zuständigkeiten der Union nach den Art. 3 AEUV und 4 AEUV gehört, um eine Bestimmung des Unionsrechts in den Rang einer die öffentliche Ordnung betreffenden zu erheben. Wenn dem so wäre, wäre das gesamte Unionsrecht, von der Charta der Grundrechte [der Europäischen Union] bis zu einer Richtlinie über Druckgeräte, Teil der öffentlichen Ordnung …“ In Nr. 177 dieser Schlussanträge habe ich unter Verweis auf Rn. 304 des Urteils Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission (C‑402/05 P und C‑415/05 P, EU:C:2008:461) deutlich gemacht, dass der Begriff der europäischen öffentlichen Ordnung nur die „Grundsätze … [umfassen kann], die zu den Grundlagen der [Rechtsordnung der Union] selbst gehören“ und „deren Verletzung“ nicht „[geduldet werden] kann, weil diese Verletzung aus der Sicht eines freien und demokratischen Rechtsstaats nicht hinnehmbar wäre“. Es handelt sich also um „zwingende Regel[n] …, die für die … Rechtsordnung [der Union] so grundlegend [sind], dass im Kontext der betreffenden Rechtssache keinerlei Abweichung von [ihnen] geduldet werden könnte“ (vgl. Nr. 100 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Bogendorff von Wolffersdorff, C‑438/14, EU:C:2016:11). Die Art. 101 AEUV und 102 AEUV stellen in diesem Sinne grundlegende und für das Funktionieren des Binnenmarkts wesentliche Bestimmungen dar, ohne die die Union nicht funktionieren würde und deren Verletzung – gleichviel ob offenkundig und/oder offensichtlich oder nicht – aus der Sicht der Unionsrechtsordnung nicht hinnehmbar wäre.

( 47 ) Vgl. in diesem Sinne auch Nr. 154 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Gazprom (C‑536/13, EU:C:2014:2414).

( 48 ) Vgl. Urteil Ascendi Beiras Litoral e Alta, Auto Estradas das Beiras Litoral e Alta (C‑377/13, EU:C:2014:1754) und Beschluss Merck Canada (C‑555/13, EU:C:2014:92). Im vorliegenden Fall ist der Einzelschiedsrichter kein „Gericht eines der Mitgliedstaaten“ im Sinne dieser Rechtsprechung, weil seine Zuständigkeit nicht obligatorisch ist, sondern sich aus einer frei getroffenen vertraglichen Wahl der Parteien der Lizenzvereinbarung ergibt, die zu den in der Ausgangsrechtssache in Rede stehenden Schiedssprüchen geführt hat.

( 49 ) In ihren Antworten auf die schriftlichen Fragen des Gerichtshofs vertreten Genentech, Hoechst und Sanofi-Aventis, die französische Regierung sowie die Kommission die Auffassung, der dritte Teilschiedsspruch beziehe sich nicht auf das Patent EP 177. Nach Ansicht der Kommission ist die Relevanz der beiden amerikanischen Patente (der Patente US 522 und US 140) für den dritten Teilschiedsspruch nicht viel größer. Nach dem auf die Lizenzvereinbarung anwendbaren Recht, nämlich dem deutschen Recht, wirke sich der Widerruf oder die Nichtigerklärung eines lizenzierten Patents nicht auf die Verpflichtung zur Zahlung von Gebühren aus, zumal dieses Recht sogar die Gewährung einer Lizenz für die Nutzung einer Technologie gestatte, die weder patentiert noch patentierbar sei. Hoechst und Sanofi-Aventis heben die Tatsache hervor, dass Genentech, wie der dritte Teilschiedsspruch klar erkennen lasse, vom Einzelschiedsrichter ausschließlich deshalb die Zahlung der Sanofi geschuldeten Gebühren aufgegeben worden sei, weil sie bei der Herstellung von Rituxan® in den Vereinigten Staaten den Enhancer genutzt habe, der Gegenstand der Lizenzvereinbarung gewesen sei.

( 50 ) Fest steht, dass die Patente US 522 und US 140 nach Auffassung der amerikanischen Gerichte nicht verletzt worden sind. Der Einzelschiedsrichter hat in den Rn. 322 bis 330 des dritten Teilschiedsspruchs darüber hinaus festgestellt, dass der Enhancer zwischen dem 15. Dezember 1998 und dem 27. Oktober 2008 für die Herstellung von Rituxan® genutzt worden sei. Siehe Nr. 16 der vorliegenden Schlussanträge.

( 51 ) C‑170/13, EU:C:2014:2391.

( 52 ) ABl. 1993, L 214, S. 1.

( 53 ) Mit Beschluss vom 3. Oktober 2013 hat die Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris) den dritten Teilschiedsspruch, den Endschiedsspruch und den Nachtrag für vollstreckbar erklärt. Die darin ausgesprochenen Verurteilungen sind daher vollstreckt worden.

( 54 ) Nach Auffassung der Kommission deutet einiges darauf hin, dass die Verpflichtung zur Zahlung der fraglichen Gebühren einen solchen Einfluss haben kann: „Erstens gilt die Lizenzvereinbarung weltweit und daher auch in der gesamten … Union … Zweitens bezieht sich diese Vereinbarung auf eine Technologie, die nach Ansicht des [Einzel-]Schiedsrichters für die Herstellung von Rituximab, des Wirkstoffs des in der Union vertriebenen Arzneimittels MabThera ® , genutzt worden ist. Drittens ist gemäß Art. 3 der [Verordnung (EWG) Nr. 2309/93] eine Genehmigung für das Inverkehrbringen von MabThera ® erteilt worden … Viertens scheint Genentech MabThera ® zumindest in Deutschland, Frankreich und Italien vertrieben zu haben. Fünftens sind Sanofi und [Genentech, nunmehr Teil des Roche-Konzerns] offenbar bedeutende Wettbewerber auf dem Gebiet der pharmazeutischen Forschung und insbesondere potenzielle Wettbewerber in Bezug auf Rituxan® (und MabThera ® ). Sechstens kann die Verpflichtung zur Gebührenzahlung die Herstellungskosten von Genentech erhöhen und zu einer Verringerung des Wettbewerbs auf den Märkten bestehender Erzeugnisse und Technologien führen, insbesondere in Bezug auf MabThera ® . Siebtens wird mit Rituxan® und MabThera ® offenbar ein Umsatz von mehr als 1 Mrd. Euro erzielt, weshalb sie als ‚Blockbuster‘-Arzneimittel betrachtet werden können.“

( 55 ) Wie Hoechst und Sanofi-Aventis in ihren Antworten auf die schriftlichen Fragen des Gerichtshofs bemerkt haben, genügt „[d]ie bloße Tatsache, dass die Zahlung der aufgrund der Lizenzvereinbarung vertraglich geschuldeten Gebühren für den Lizenznehmer, im vorliegenden Fall Genentech, möglicherweise eine finanzielle Belastung darstellt, … nicht für die Annahme einer Wettbewerbsbeschränkung. Eine solche Belastung veranschaulicht lediglich den kommerziellen Charakter der Lizenzvereinbarung, die von gleich starken und umfassend informierten gewerblichen Unternehmen in voller Kenntnis der Sachlage abgeschlossen worden ist und sich wie jede andere Handelsvereinbarung als kommerziell weniger vorteilhaft erweisen kann als von einer der Parteien ursprünglich erwartet.“

( 56 ) Hervorhebung nur hier.

( 57 ) Vgl. Urteil Ottung (320/87, EU:C:1989:195, Rn. 13). Genentech ist der Ansicht, die Kommission habe in ihrer Entscheidung vom 2. Dezember 1975 betreffend ein Verfahren nach Artikel [101 AEUV] (IV/26.949 – AOIP/Beyrard) (ABl. 1976, L 6, S. 8) „festgestellt, dass eine Wettbewerbsbeschränkung vorliege, wenn eine Klausel einer Vereinbarung über ein lizenziertes Patent ‚die Zahlung von Gebühren an den Lizenzgeber vorsieht, ohne dass dessen Patente ausgenutzt werden‘. Nach Auffassung der Kommission … ist eine solche Klausel in einer Lizenzvereinbarung ‚ebenso wie die Verpflichtung zur Zahlung einer Gebühr nach Ablauf eines Patentes mit Artikel [101] Absatz 1 unvereinbar‘“ (Hervorhebung nur hier). Die Erklärungen von Genentech beziehen sich auf eine Klausel, die eine Lizenznehmerin zur Zahlung von Gebühren verpflichtet, wenn sie die im Lizenzvertrag genannten Erzeugnisse herstellt, ohne die Patente des Lizenzgebers zu nutzen. In dieser Entscheidung hat die Kommission die Auffassung vertreten, die Klausel beschränke den Wettbewerb, weil sie die Zahlung von Gebühren an den Lizenzgeber vorsehe, ohne dass dessen Patente ausgenutzt würden. Ebenso wie eine Klausel, die eine Verpflichtung zur Zahlung von Gebühren nach Ablauf eines Patents vorsehe, sei diese Klausel mit Art. 101 Abs. 1 AEUV unvereinbar. Zu beachten ist, dass die Kommission – wie der Gerichtshof in Rn. 13 seines Urteils Ottung (320/87, EU:C:1989:195) – hervorgehoben hat, dass „[d]ie Verpflichtung zur Zahlung einer Gebühr nach Ablauf des … Patentes … eine Zuwiderhandlung gegen Artikel [101] dar[stellt], weil der Lizenzvertrag der Lizenznehmerin keine Möglichkeit einräumt, den Vertrag zu beenden“ (Hervorhebung nur hier).

( 58 ) Die vorliegende Rechtssache bezieht sich auf den Fall der Nichtigerklärung oder Nichtverletzung von Patenten, während es in der dem Urteil Ottung (320/87, EU:C:1989:195) zugrunde liegenden Rechtssache um den Ablauf von Patenten ging.

( 59 ) Hoechst und Sanofi-Aventis stellen fest, dass der Lizenznehmer bei Nichtigerklärung eines Patents nach dem nationalen Recht mehrerer Mitgliedstaaten die Gebührenzahlung für die Zukunft einstellen dürfe, aber nicht die Erstattung der bereits gezahlten Gebühren verlangen könne.

( 60 ) Vgl. Rn. 315 des dritten Teilschiedsspruchs.

( 61 ) In der dem Urteil Ottung (320/87, EU:C:1989:195) zugrunde liegenden Rechtssache war eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum 1. Oktober jeden Jahres vorgesehen.

( 62 ) Wie die Kommission in ihren Erklärungen feststellt, würde hingegen „eine Verpflichtung zur weiteren Zahlung von Gebühren ohne Möglichkeit, die Vereinbarung unter Einhaltung einer angemessenen Kündigungsfrist aufzulösen, die Herstellungskosten des Lizenznehmers ohne wirtschaftliche Rechtfertigung erhöhen und hätte zur Folge, dass der Wettbewerb auf den Märkten für bestehende Erzeugnisse und Technologien verringert und der Lizenznehmer davon abgeschreckt wird, in die Entwicklung und Verbesserung seiner Technologie zu investieren“.

( 63 ) Vgl. Urteil Windsurfing International/Kommission (193/83, EU:C:1986:75, Rn. 67).

( 64 ) Die betreffende Klausel der Lizenzvereinbarung verpflichtete Lizenznehmer, Lizenzgebühren für Riggs eines Stehseglers, die unter einem Patent hergestellt worden waren, das lediglich Riggs betraf, auf der Grundlage des Verkaufspreises eines kompletten Stehseglers zu entrichten, der aus Riggs und nicht durch das Patent geschützten Brettern bestand.

( 65 ) ABl. 2014, L 93, S. 17.

( 66 ) ABl. 1996, L 31, S. 2.

( 67 ) Rechtsgrundlage aller drei genannten Verordnungen ist die Verordnung Nr. 19/65.

( 68 ) Vgl. Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 316/2014. Vgl. in diesem Sinne Art. 101 Abs. 1 Buchst. a AEUV.

( 69 ) Vgl. Art. 4 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 316/2014. Vgl. in diesem Sinne Art. 101 Abs. 1 Buchst. b AEUV.

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