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Document 62014CC0438

    Schlussanträge des Generalanwalts M. Wathelet vom 14. Januar 2016.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2016:11

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    MELCHIOR WATHELET

    vom 14. Januar 2016 ( 1 )

    Rechtssache C‑438/14

    Nabiel Peter Bogendorff von Wolffersdorff

    gegen

    Standesamt der Stadt Karlsruhe,

    Zentraler Juristischer Dienst der Stadt Karlsruhe

    (Vorabentscheidungsersuchen des Amtsgerichts Karlsruhe [Deutschland])

    „Unionsbürgerschaft — Weigerung der Behörden eines Mitgliedstaats, Adelstitel und ein Adelsprädikat, die Teil eines von einer volljährigen Person in einem anderen Mitgliedstaat erlangten Familiennamens sind, im Geburtenregister einzutragen — Sachverhalt, bei dem der Antragsteller, der die Staatsangehörigkeit der beiden betroffenen Mitgliedstaaten besitzt, den Namen auf eigenes Begehren hin erlangt hat“

    I – Einleitung

    1.

    Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 18 AEUV und 21 AEUV im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Nabiel Peter Bogendorff von Wolffersdorff, der deutscher und britischer Staatsangehöriger ist, und den deutschen Behörden, die es abgelehnt haben, seine Vornamen und seinen Familiennamen in seiner Geburtsurkunde zu ändern und im Geburtenregister Adelsbezeichnungen hinzuzufügen, die Teil eines von ihm im Vereinigten Königreich erlangten Namens – nämlich „Peter Mark Emanuel Graf von Wolffersdorff Freiherr von Bogendorff“ ( 2 ) – sind.

    2.

    Diese Rechtssache fügt sich in die nicht kurze Reihe von Rechtssachen ein, die die Unionsbürgerschaft im Zusammenhang mit dem Familiennamen betreffen und in denen folgende Urteile ergingen: Konstantinidis (C‑168/91, EU:C:1993:115), Garcia Avello (C‑148/02, EU:C:2003:539), Grunkin und Paul (C‑353/06, EU:C:2008:559), Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806) und Runevič-Vardyn und Wardyn (C‑391/09, EU:C:2011:291).

    3.

    Trotz der Ähnlichkeiten mit der Rechtssache, in der das Urteil Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806) erging, ist die vorliegende Rechtssache insoweit anders gelagert, als der Antragsteller des Ausgangsverfahrens Angehöriger zweier Mitgliedstaaten ist und das deutsche Recht die Benutzung von Adelsbezeichnungen – obwohl sie abgeschafft wurden und nicht mehr verliehen werden dürfen – als Bestandteil eines Familiennamens gestattet.

    II – Rechtlicher Rahmen

    A – Unionsrecht

    4.

    Art. 18 Abs. 1 AEUV lautet:

    „Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.“

    5.

    In Art. 20 AEUV heißt es:

    „(1)   Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt sie aber nicht.

    (2)   Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die in den Verträgen vorgesehenen Rechte und Pflichten. Sie haben unter anderem

    a)

    das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten;

    Diese Rechte werden unter den Bedingungen und innerhalb der Grenzen ausgeübt, die in den Verträgen und durch die in Anwendung der Verträge erlassenen Maßnahmen festgelegt sind.“

    6.

    Art. 21 Abs. 1 AEUV sieht vor:

    „Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.“

    B – Deutsches Recht

    7.

    Nach Art. 123 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1) „[gilt] Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Bundestages … fort, soweit es dem Grundgesetze nicht widerspricht“.

    8.

    Art. 109 der am 11. August 1919 in Weimar angenommenen und am 14. August 1919 in Kraft getretenen Verfassung des Deutschen Reichs (Reichsgesetzblatt 1919, S. 1383, im Folgenden: Weimarer Verfassung) lautet:

    „Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich.

    Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

    Öffentlich-rechtliche Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes sind aufzuheben. Adelsbezeichnungen gelten nur als Teil des Namens und dürfen nicht mehr verliehen werden.

    Titel dürfen nur verliehen werden, wenn sie ein Amt oder einen Beruf bezeichnen; akademische Grade sind hierdurch nicht betroffen.

    Orden und Ehrenzeichen dürfen vom Staat nicht verliehen werden.

    Kein Deutscher darf von einer ausländischen Regierung Titel oder Orden annehmen.“

    9.

    Das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) vom 21. September 1994 (BGBl. I S. 2494; 1997 I S. 1061) in seiner für den Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Fassung bestimmt:

    „Artikel 5 – Personalstatut

    (1)   Wird auf das Recht des Staates verwiesen, dem eine Person angehört, und gehört sie mehreren Staaten an, so ist das Recht desjenigen dieser Staaten anzuwenden, mit dem die Person am engsten verbunden ist, insbesondere durch ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder durch den Verlauf ihres Lebens. Ist die Person auch Deutscher, so geht diese Rechtsstellung vor.

    Artikel 6 – Öffentliche Ordnung (ordre public)

    Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.

    Artikel 10 – Name

    (1)   Der Name einer Person unterliegt dem Recht des Staates, dem die Person angehört.

    Artikel 48 – Wahl eines in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erworbenen Namens

    Unterliegt der Name einer Person deutschem Recht, so kann sie durch Erklärung gegenüber dem Standesamt den während eines gewöhnlichen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erworbenen und dort in ein Personenstandsregister eingetragenen Namen wählen, sofern dies nicht mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Die Namenswahl wirkt zurück auf den Zeitpunkt der Eintragung in das Personenstandsregister des anderen Mitgliedstaats, es sei denn, die Person erklärt ausdrücklich, dass die Namenswahl nur für die Zukunft wirken soll. Die Erklärung muss öffentlich beglaubigt oder beurkundet werden. …“

    III – Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

    10.

    Der Antragsteller des Ausgangsverfahrens wurde am 9. Januar 1963 in Karlsruhe (Deutschland) als Nabiel Bagdadi geboren. Die Geburt ist im Geburtenregister des Standesamts Karlsruhe eingetragen.

    11.

    Im Wege der Adoption erlangte Herr Nabiel Bagdadi später den deutschen Familiennamen Bogendorff, den er in der Folge wie auch seinen Vornamen ändern ließ, so dass sein deutscher Vor- und Nachname derzeit „Nabiel Peter Bogendorff von Wolffersdorff“ lautet.

    12.

    Im Jahr 2001 zog Herr Bogendorff von Wolffersdorff in das Vereinigte Königreich, wo er ab dem Jahr 2002 in London als Insolvenzberater beruflich tätig war.

    13.

    Im Jahr 2004 erwarb Herr Bogendorff von Wolffersdorff durch Einbürgerung die britische Staatsangehörigkeit.

    14.

    Durch am 22. September 2004 beim Supreme Court of England and Wales (Oberster Gerichtshof von England und Wales, Vereinigtes Königreich) eingetragene Erklärung („Deed Poll“) vom 26. Juli 2004 änderte Herr Bogendorff von Wolffersdorff seinen Namen in „Peter Mark Emanuel Graf von Wolffersdorff Freiherr von Bogendorff“. Die Erklärung wurde in The London Gazette vom 8. November 2004 veröffentlicht ( 3 ).

    15.

    Im Jahr 2005 zog Herr Bogendorff von Wolffersdorff aufgrund der Schwangerschaft seiner Frau von London nach Chemnitz (Deutschland), wo am 28. Februar 2006 seine Tochter zur Welt kam.

    16.

    Die Geburt seiner Tochter, die sowohl die deutsche als auch die britische Staatsangehörigkeit besitzt, wurde am 23. März 2006 beim Generalkonsulat des Vereinigten Königreichs in Düsseldorf (Deutschland) gemeldet. Der in der britischen Geburtsurkunde und im britischen Reisepass aufgeführte Vor- und Nachname der Tochter ist „Larissa Xenia Gräfin von Wolffersdorff Freiin von Bogendorff“.

    17.

    Das Standesamt Chemnitz weigerte sich jedoch unter Berufung auf Art. 10 EGBGB, die Tochter von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff unter ihrem britischen Namen einzutragen.

    18.

    Mit Beschluss vom 6. Juli 2011 wies das Oberlandesgericht Dresden (Deutschland) die Behörden der Stadt Chemnitz an, die Tochter von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff unter ihrem britischen Namen einzutragen. Dazu führte es aus:

    „Dass alle Adelsbezeichnungen bzw. ‑titel mit Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung keine Titel im eigentlichen Sinne mehr waren, sondern als Teil des Familiennamens zu führen waren (und als solche zu echten Familiennamen geworden sind, vgl. Henrich/Wagenitz, Deutsches Namensrecht, 2007, 015 zu 9. ‚Adelsnamen‘), spielt jedoch für die Namensführung der Betroffenen, der von vorneherein nur ein Familienname erteilt werden soll, keine Rolle. Familienname bedeutet, dass der Namensbestandteil, der vor Inkrafttreten der [Weimarer Reichsverfassung] ein Adelstitel gewesen wäre, hinter und nicht vor den Vornamen zu stellen ist. Der Betroffenen wird keine Adelsbezeichnung verliehen, wie es in der monarchischen Verfassung – verbunden mit der Erhebung in den Adelsstand – Vorrecht des Fürsten war. Anders als das Landgericht meint, enthält die Weimarer Reichsverfassung kein Verbot von Adelsbezeichnungen im Namen, wie es z. B. das Österreichische Adelsaufhebungsgesetz von 1919 vorsieht, zu dem sich der [Gerichtshof] am 22. [Dezember] 2010 (StAZ 2011, 77) geäußert hat. Demgemäß ist es in Deutschland sogar anerkannt, dass auch in der Republik unter besonderen Umständen ein Familienname, der eine Adelsbezeichnung enthält, im Wege der öffentlich-rechtlichen Namensänderung übertragen werden kann (Henrich/Wagenitz a. a. O.; vgl. … OVG Hamburg StAZ 2007, 46; BVerwG DVBl. 1997, 616)“ ( 4 ).

    19.

    Gemäß dieser Anordnung trägt die Tochter von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff somit als deutsche Staatsangehörige den gleichen Vor- und Nachnamen wie als britische Staatsangehörige, nämlich „Larissa Xenia Gräfin von Wolffersdorff Freiin von Bogendorff“.

    20.

    Am 22. Mai 2013 erklärte Herr Bogendorff von Wolffersdorff in öffentlich beglaubigter Form, dass er das Standesamt der Stadt Karlsruhe gemäß Art. 48 EGBGB anweise, seinen nach britischem Recht geführten Vor- und Nachnamen als Geburtsnamen in das Geburtenregister einzutragen. Das Standesamt lehnte dies ab.

    21.

    Unter diesen Umständen beantragte Herr Bogendorff von Wolffersdorff beim Amtsgericht Karlsruhe, das Standesamt der Stadt Karlsruhe nach Art. 49 Abs. 1 des Personenstandsgesetzes dazu anzuweisen, seine Geburtsurkunde rückwirkend ab dem 22. September 2004 dahin zu ändern, dass sein Vor- und Nachname „Peter Mark Emanuel Graf von Wolffersdorff Freiherr von Bogendorff“ lautet.

    22.

    Das Standesamt der Stadt Karlsruhe trat diesem Antrag entgegen und machte den in Art. 48 EGBGB vorgesehenen Vorbehalt zugunsten der öffentlichen Ordnung geltend.

    23.

    Vor diesem Hintergrund hat das Amtsgericht Karlsruhe beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    Sind Art. 18 AEUV und 21 AEUV dahin gehend auszulegen, dass die Behörden eines Mitgliedstaats verpflichtet sind, die Namensänderung eines Angehörigen dieses Staates anzuerkennen, wenn dieser zugleich Angehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist und in diesem Mitgliedstaat während eines gewöhnlichen Aufenthalts durch eine nicht mit einer familienrechtlichen Statusänderung verbundene Namensänderung einen frei gewählten und mehrere Adelsprädikate enthaltenden Namen erworben hat, sofern eine zukünftige substanzielle Verbindung zu diesem Staat möglicherweise nicht besteht und in dem ersten Mitgliedstaat zwar der Adel verfassungsrechtlich aufgehoben ist, die zu dem Zeitpunkt der Abschaffung geführten Adelsbezeichnungen jedoch als Namensbestandteil fortgeführt werden dürfen?

    IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

    24.

    Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 23. September 2014 beim Gerichtshof eingegangen. Herr Bogendorff von Wolffersdorff, der Zentrale Juristische Dienst der Stadt Karlsruhe, die deutsche Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht und in der Sitzung vom 12. November 2015 mündlich verhandelt.

    V – Analyse

    25.

    Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 18 AEUV und 21 AEUV die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats daran hindern, der Namensänderung eines Angehörigen dieses Mitgliedstaats die Anerkennung zu verweigern, wenn dieser Angehörige zugleich Angehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist und dort während eines längeren Aufenthalts einen von ihm frei gewählten und mehrere Adelsbezeichnungen enthaltenden Namen erworben hat.

    A – Zum Anwendungsbereich des AEU-Vertrags

    26.

    Es ist von vornherein festzustellen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs „Vorschriften über die Umschrift von Vor- und Nachnamen einer Person in Personenstandsurkunden … zwar … in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten [fallen], doch … diese bei der Ausübung dieser Zuständigkeit gleichwohl das Unionsrecht beachten [müssen]“, insbesondere die Vertragsbestimmungen über die jedem Unionsbürger zuerkannte Freiheit, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten ( 5 ).

    27.

    Da die Unionsbürgerschaft des Art. 20 AEUV keine Ausweitung des Anwendungsbereichs des Unionsrechts auf rein interne Sachverhalte bezwecken oder bewirken kann, setzt die Anwendung von Art. 20 AEUV das Bestehen eines Bezugs des in Rede stehenden Sachverhalts zum Unionsrecht voraus ( 6 ).

    28.

    Im vorliegenden Fall sind der Zentrale Juristische Dienst der Stadt Karlsruhe und die deutsche Regierung der Auffassung, dass nach Art. 5 Abs. 1 EGBGB aufgrund der deutschen Staatsangehörigkeit von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff allein das deutsche Recht auf seine Namensänderung anwendbar sei.

    29.

    Der Gerichtshof hat ein derartiges Argument bereits in der Rechtssache, in der das Urteil Garcia Avello (C‑148/02, EU:C:2003:539) erging, im Zusammenhang mit den Regeln des belgischen internationalen Privatrechts zurückgewiesen, das – entsprechend Art. 5 Abs. 1 EGBGB – bei Doppelstaatsangehörigkeit der belgischen Staatsangehörigkeit den Vorrang einräumte. Bestimmungen wie die betreffenden Artikel des belgischen und des deutschen Rechts können weder einen Bezug des in Rede stehenden Sachverhalts zum Unionsrecht noch die Anwendung der Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft ausschließen.

    30.

    In Rn. 27 des Urteils Garcia Avello (C‑148/02, EU:C:2003:539) befand der Gerichtshof, dass „[e]in solcher Bezug zum [Unionsrecht] … bei Personen [besteht], die sich in einer Situation wie derjenigen der Kinder von Herrn Garcia Avello befinden, die Angehörige eines Mitgliedstaats sind und sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhalten“.

    31.

    In Rn. 28 jenes Urteils fügte er hinzu: „Dem steht nicht entgegen, dass die Betroffenen des Ausgangsverfahrens zugleich die Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaats, in dem sie sich seit ihrer Geburt aufhalten, besitzen, die nach Auffassung der Behörden dieses Mitgliedstaats deshalb die einzige von diesem anzuerkennende Staatsangehörigkeit ist. Es ist nämlich nicht Sache eines Mitgliedstaats, die Wirkungen der Verleihung der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats dadurch zu beschränken, dass er eine zusätzliche Voraussetzung für die Anerkennung dieser Staatsangehörigkeit im Hinblick auf die Ausübung der im [AEU-]Vertrag vorgesehenen Grundfreiheiten verlangt.“

    32.

    Aus dieser Rechtsprechung geht somit klar hervor, dass Herr Bogendorff von Wolffersdorff, da er die britische Staatsangehörigkeit besitzt und sich rechtmäßig in Deutschland aufhält, entgegen der Auffassung des Zentralen Juristischen Dienstes der Stadt Karlsruhe und der deutschen Regierung in seinen Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland einen Bezug zum Unionsrecht und damit dessen Anwendbarkeit geltend machen kann, ohne dass seine deutsche Staatsangehörigkeit dieser Feststellung entgegenstünde.

    33.

    Der grenzüberschreitende Charakter der vorliegenden Rechtssache ist noch stichhaltiger, wenn man den Umstand berücksichtigt, dass Herr Bogendorff von Wolffersdorff den Vor- und Nachnamen, dessen Anerkennung in Deutschland er begehrt, in Ausübung seines ihm nach den Art. 20 AEUV und 21 AEUV verliehenen Rechts auf Freizügigkeit nach englischem Recht und während eines rechtmäßigen Aufenthalts in England erworben hatte.

    34.

    Die Weigerung der deutschen Behörden, einen Vor- und Nachnamen, den ein Unionsbürger mit britischer und zugleich deutscher Staatsangehörigkeit im Vereinigten Königreich erworben hat, in allen seinen Bestandteilen anzuerkennen, ist somit im Hinblick auf die Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Unionsbürgerschaft, also die Art. 18 AEUV, 20 AEUV und 21 AEUV, zu untersuchen.

    B – Zum Vorliegen einer nach Art. 18 AEUV verbotenen Diskriminierung

    1. Vorbringen der Beteiligten

    35.

    Das vorlegende Gericht wirft die Frage auf, ob die Nichtanerkennung der Namensänderung eines Doppelstaatsangehörigen mit deutscher und britischer Staatsangehörigkeit gegen Art. 18 AEUV verstoßen könnte, der jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbietet.

    36.

    Die Kommission führt aus, das Diskriminierungsverbot verlange, dass gleiche Sachverhalte nicht ungleich und ungleiche Sachverhalte nicht gleich behandelt würden. Da Doppelstaatsangehörige im Zusammenhang mit ihrem Familiennamen besonderen Schwierigkeiten begegneten und sich somit von Personen mit der Staatsangehörigkeit nur eines Mitgliedstaats unterschieden, befänden sie sich in einer anderen Situation.

    37.

    Folglich liege in der Weigerung der deutschen Behörden, den von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff im Vereinigten Königreich erworbenen Namen anzuerkennen, eine Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte, was gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV verstoße.

    38.

    Die deutsche Regierung ist der Ansicht, dass die Anwendung des deutschen Rechts auf einen deutschen Staatsangehörigen keine Diskriminierung aufgrund seiner Staatsangehörigkeit darstellen könne.

    39.

    Der Zentrale Juristische Dienst der Stadt Karlsruhe nimmt nicht ausdrücklich auf Art. 18 AEUV Bezug, ist aber der Auffassung, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach ein in einem anderen Mitgliedstaat erlangter Name anerkannt werden müsse, auf dem Ersteintragungsprinzip beruhe. Dieses Prinzip besage, dass der erstmals in einem Mitgliedstaat rechtmäßig eingetragene Name Vorrang genieße. Die Ablehnung einer Namensänderung, die in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der Antragsteller später erworben habe, gewährt worden sei, stehe also mit diesem Prinzip in Einklang und stelle folglich keinen Verstoß gegen das Unionsrecht dar.

    2. Würdigung

    40.

    Nach ständiger Rechtsprechung „verlangt [das Diskriminierungsverbot], dass gleiche Sachverhalte nicht ungleich behandelt und ungleiche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden“ ( 7 ).

    41.

    Wie oben bereits ausgeführt ( 8 ), war der Gerichtshof mit dieser Frage schon in der Rechtssache konfrontiert, in der das Urteil Garcia Avello (C‑148/02, EU:C:2003:539) erging. Das belgische internationale Privatrecht bestimmte dort entsprechend dem deutschen internationalen Privatrecht ( 9 ) das bei Doppelstaatsangehörigkeit anwendbare Recht dahin, dass es der belgischen Staatsangehörigkeit den Vorrang einräumte ( 10 ).

    42.

    Der Gerichtshof prüfte, ob sich die Situationen von Personen mit nur belgischer Staatsangehörigkeit und denjenigen, die auch die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besitzen, „voneinander unterscheiden und [Letztere] dann aufgrund des Diskriminierungsverbots … verlangen können, anders als die Personen, die nur die belgische Staatsangehörigkeit besitzen, behandelt zu werden“ ( 11 ).

    43.

    Da die belgischen Staatsangehörigen mit Doppelstaatsangehörigkeit zwei verschiedenen Rechtssystemen unterlagen, was ihnen speziell in ihrer Situation entstehende Schwierigkeiten mit der Folge verschiedener Familiennamen verursachen konnte, befand der Gerichtshof in Rn. 37 jenes Urteils, dass sie sich „von den Personen unterscheiden, die nur die belgische Staatsangehörigkeit besitzen und nur mit einem Familiennamen bezeichnet werden“ ( 12 ).

    44.

    Demzufolge wirkt sich, anders als vom Zentralen Juristischen Dienst der Stadt Karlsruhe vertreten, der spätere Erwerb der britischen Staatsangehörigkeit oder der gegenwärtige Wohnsitz in Deutschland nicht darauf aus, dass eine andere Situation besteht.

    45.

    Darüber hinaus kann meiner Meinung nach die Antwort auf die Frage, ob sich ein Doppelstaatsangehöriger in einer anderen Situation als eine Person mit nur deutscher Staatsangehörigkeit befindet, nicht davon abhängen, unter welchen Umständen der erteilte Name erlangt wurde. Der Unterschied in der Situation, der zur Vermeidung einer Diskriminierung Anspruch auf eine andere Behandlung eröffnen sollte, ergibt sich daraus, dass ein Doppelstaatsangehöriger zwei verschiedenen Regelungen unterliegt.

    46.

    Demnach können sich deutsche Staatsangehörige, die aufgrund unterschiedlicher Gesetze, zu denen sie ihrer Staatsangehörigkeit wegen Anknüpfungspunkte aufweisen, verschiedene Familiennamen tragen, auf Schwierigkeiten berufen, die speziell in ihrer Situation entstehen, was sie von den Personen unterscheidet, die nur die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, und zwar unabhängig davon, wie ihnen nach dem aufgrund ihrer zweiten Staatsangehörigkeit geltenden Recht ein anderer als der nach deutschem Recht anerkannte Name erteilt wurde. Sie befinden sich mithin in einer anderen Situation, die eine andere Behandlung verlangt, als sie Personen mit nur deutscher Staatsangehörigkeit zuteil kommt.

    47.

    Mit der Kommission bin ich aber der Ansicht, dass Herr Bogendorff von Wolffersdorff von den deutschen Behörden gleich behandelt wird wie Personen mit nur deutscher Staatsangehörigkeit, obwohl er sich wegen seiner Doppelstaatsangehörigkeit in einer anderen Situation befindet als diese.

    48.

    Somit ist ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV gegeben. Die etwaige Rechtfertigung dieses Verstoßes werde ich noch erörtern ( 13 ).

    C – Zum Vorliegen einer Einschränkung der Art. 20 AEUV und 21 AEUV

    1. Vorbringen der Beteiligten

    49.

    Nach Ansicht der Kommission liegt in der Ablehnung der Anerkennung einer Namensänderung in einer Situation wie der hier vorliegenden eine Beschränkung des in den Art. 20 AEUV und 21 AEUV verbürgten Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, da eine Namensabweichung in zwei Mitgliedstaaten die Ausübung dieses Rechts durch das Verursachen schwerwiegender Nachteile beruflicher wie auch privater Art behindern könne.

    50.

    Dies sei nicht nur der Fall, wenn ein im Geburts- oder Wohnsitzmitgliedstaat erteilter Name nicht anerkannt werde, sondern auch dann, wenn ein Doppelstaatsangehöriger mit der Staatsangehörigkeit zweier Mitgliedstaaten von der Namensabweichung betroffen sei. Da Vor- und Nachnamen von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff im Vereinigten Königreich („Peter Mark Emanuel Graf von Wolffersdorff Freiherr von Bogendorff“) und in Deutschland („Nabiel Peter Bogendorff von Wolffersdorff“) nicht gleich seien, könnte diese Namensverschiedenheit zu Missverständnissen und zu Nachteilen führen, die sich daraus ergäben, dass rechtliche Wirkungen von in einem der beiden Mitgliedstaaten ausgestellten Schriftstücken nicht mehr in Anspruch genommen werden könnten.

    51.

    Das vorlegende Gericht führt jedoch aus, dass im vorliegenden Fall die Sachlage weder auf erhebliche Schwierigkeiten bei der Identifizierung von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff noch auf erhebliche Behinderungen hinweise, durch die er in seinem Privat- und Berufsleben konkrete Nachteile erleide. Unter Berufung auf diese Ausführungen vertritt die deutsche Regierung die Ansicht, dass hier das Recht auf Freizügigkeit nicht beschränkt werde.

    52.

    Erstens impliziere die alleinige Benutzung des britischen Namens in beruflichen Zusammenhängen im Vereinigten Königreich, dass dieser Name in Wirklichkeit für die Identifizierung und familiäre Zuordnung in Deutschland nicht sehr bedeutsam sei. Zweitens finde dies darin Bestätigung, dass der Antragsteller zwischen der Änderung seines Namens im Vereinigten Königreich und seinem Antrag beim Standesamt in Deutschland mehr als sechs Jahre habe verstreichen lassen.

    53.

    Der Zentrale Juristische Dienst der Stadt Karlsruhe legt sein Hauptaugenmerk auf den Unterschied zwischen der Sache des Ausgangsverfahrens und der Rechtssache, in der das Urteil Grunkin und Paul (C‑353/06, EU:C:2008:559) erging. Jene Rechtsprechung verpflichte die Mitgliedstaaten nur zur Anerkennung einer im Geburts- und Wohnsitzmitgliedstaat eingetragenen Namensänderung. Nach dem Ersteintragungsprinzip ( 14 ) stelle die Ablehnung einer Namensänderung, die in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der Antragsteller später erworben habe, gewährt worden sei, keine Beschränkung der durch die Art. 20 AEUV und 21 AEUV verbürgten Freizügigkeit dar.

    2. Würdigung

    54.

    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs stellt eine nationale Regelung, die bestimmte eigene Staatsangehörige allein deswegen benachteiligt, weil sie von ihrer Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und sich dort aufzuhalten, Gebrauch gemacht haben, eine Beschränkung des durch Art. 21 Abs. 1 AEUV anerkannten Rechts auf Freizügigkeit dar ( 15 ).

    55.

    Nach derselben Rechtsprechung „kann es die Ausübung [dieses] Rechts behindern“, wenn einer Person, die von ihrem Recht Gebrauch gemacht hat, sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats frei zu bewegen und aufzuhalten, „die Verpflichtung auferlegt wird, in dem Mitgliedstaat, dem sie angehört, einen anderen Namen als den zu führen, der bereits im Geburts- und Wohnsitzmitgliedstaat erteilt und eingetragen wurde“ ( 16 ).

    56.

    Wenn dieser Grundsatz im Fall von Personen gilt, die – wie es in den Rechtssachen, in denen die Urteile Grunkin und Paul (C‑353/06, EU:C:2008:559) und Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806) ergingen, der Fall war – die Staatsangehörigkeit nur eines Mitgliedstaats besitzen, so gilt er erst recht im Fall von Personen, die wie Herr Bogendorff von Wolffersdorff die Staatsangehörigkeit mehrerer Mitgliedstaaten innehaben.

    57.

    Der Name einer Person ist nämlich Teil ihrer Identität und ihres Privatlebens, deren Schutz in Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und in Art. 8 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten niedergelegt ist ( 17 ).

    58.

    Wie der Gerichtshof erstmals in der Rechtssache, in der das Urteil Garcia Avello (C‑148/02, EU:C:2003:539) erging, befunden hat, können „unterschiedliche … Familiennamen für die Betroffenen … zu schwerwiegenden Nachteilen beruflicher wie auch privater Art führen, die insbesondere aus den Schwierigkeiten resultieren können, in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, rechtliche Wirkungen von Urkunden oder Schriftstücken in Anspruch zu nehmen, die auf den Namen ausgestellt wurden, der in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt ist, dessen Staatsangehörigkeit sie ebenfalls besitzen“ ( 18 ).

    59.

    Aus der dem Urteil Garcia Avello (C‑148/02, EU:C:2003:539) nachfolgenden Rechtsprechung ergibt sich, dass „viele alltägliche Handlungen im öffentlichen wie im privaten Bereich den Nachweis der Identität erfordern“ ( 19 ) und eine „Divergenz hinsichtlich des Nachnamens Zweifel an der Identität der Person, an der Echtheit der Dokumente oder an der Wahrheitsgemäßheit der darin enthaltenen Angaben wecken kann“ ( 20 ).

    60.

    In der Rechtssache, in der das Urteil Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806) erging, befand der Gerichtshof (ebd., Rn. 64), dass „zu berücksichtigen [ist], dass nach deutschem Recht die Worte ‚Fürstin von‘ nicht als Adelsbezeichnung, sondern als Bestandteil des … Namens gelten“.

    61.

    Folglich wurden der Name „Fürstin von Sayn-Wittgenstein“ in jener Rechtssache als ein einziger, aus mehreren Bestandteilen zusammengesetzter Nachname angesehen und „die Namen Fürstin von Sayn-Wittgenstein und Sayn-Wittgenstein [für] nicht identisch“ befunden ( 21 ).

    62.

    In gleicher Weise sind auch die Namen „Peter Mark Emanuel Graf von Wolffersdorff Freiherr von Bogendorff“ und „Nabiel Peter Bogendorff von Wolffersdorff“ nicht identisch. Dementsprechend kann eine Abweichung zwischen den beiden Namen, die für ein und dieselbe Person verwendet werden, grundsätzlich zu Unstimmigkeiten und Nachteilen führen.

    63.

    Allerdings ist daran zu erinnern, dass nach der Rechtsprechung erforderlich ist, dass den Betroffenen aus der fraglichen nationalen Regelung „‚schwerwiegende Nachteile‘ administrativer, beruflicher und privater Art erwachsen können“ ( 22 ) und sie „konkret Gefahr [laufen], Zweifel an ihrer Identität sowie an der Echtheit der von ihnen vorgelegten Dokumente ausräumen zu müssen“ ( 23 ).

    64.

    Meiner Ansicht nach liegt auf der Hand, dass dieses Kriterium im vorliegenden Fall aus den gleichen Gründen wie denjenigen erfüllt ist, die vom Gerichtshof in den Rn. 66 bis 70 des Urteils Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806) angeführt wurden, zumal Herr Bogendorff von Wolffersdorff anders als Frau Sayn-Wittgenstein zugleich die deutsche und die britische Staatsangehörigkeit besitzt.

    65.

    Wenn es also einen „‚schwerwiegenden Nachteil‘ im Sinne des Urteils Grunkin und Paul dar[stellt], alle förmlichen Spuren, die der Name Fürstin von Sayn-Wittgenstein im öffentlichen wie auch im privaten Bereich hinterlassen hat, ändern zu müssen, da sie in ihren offiziellen Ausweispapieren derzeit mit einem anderen Namen bezeichnet wird“ ( 24 ), gilt das Gleiche auch für Herrn Bogendorff von Wolffersdorff, der seinen britischen Namen während seines Aufenthalts im Vereinigten Königreich sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontext verwendet hat.

    66.

    So würde Herr Bogendorff von Wolffersdorff, der im Besitz von zwei Reisepässen ist, die auf stark unterschiedliche Vor- und Nachnamen lauten, „Gefahr laufen, den Verdacht von Falschangaben ausräumen zu müssen, der durch die Divergenz … hervorgerufen wird“ ( 25 ), die zwischen seinem britischen und seinem deutschen Vor- und Nachnamen besteht. Wie die Kommission vorbringt, besteht diese Gefahr unabhängig von einer auch in Zukunft fortbestehenden substanziellen Verbindung zu dem anderen Mitgliedstaat, hier dem Vereinigten Königreich.

    67.

    In der Tat hat Herr Bogendorff von Wolffersdorff in der mündlichen Verhandlung mehrere Beispiele schwerwiegender Nachteile angeführt, denen er in Deutschland wegen der Namensabweichung in seinen deutschen und seinen britischen Ausweispapieren begegnet, namentlich bei Straßenkontrollen oder bei der Eröffnung von privaten oder geschäftlichen Bankkonten. Er hat auch vorgetragen, dass er wiederholt mehrere Stunden in Polizeikommissariaten habe verbringen müssen, während die deutschen Behörden die Echtheit und die Gültigkeit seines britischen Reisepasses überprüft hätten.

    68.

    Meinerseits möchte ich die Gefahr von Zweifeln (insbesondere bei Reisen ins Ausland) am Verwandtschaftsverhältnis zwischen Herrn Bogendorff von Wolffersdorff und seiner minderjährigen Tochter Larissa Xenia hinzufügen, die sich daraus ergeben können, dass beide einen deutschen Reisepass – ausgestellt auf erheblich unterschiedliche Nachnamen – hätten.

    69.

    Zu dem vom Zentralen Juristischen Dienst der Stadt Karlsruhe in seinen schriftlichen Erklärungen und in der mündlichen Verhandlung ausgeführten Ersteintragungsprinzip ist zu betonen, dass es in der Rechtsprechung und namentlich im Urteil Grunkin und Paul (C‑353/06, EU:C:2008:559) keinerlei Stütze findet. Wenn nach jenem Urteil die deutschen Behörden den ersten und einzigen Familiennamen anerkennen mussten, den das betreffende Kind in Dänemark erworben hatte, so ergab sich dies aus der Sachlage jener Rechtssache und nicht aus der Feststellung eines allgemeingültigen Grundsatzes.

    70.

    Demnach liegt in der Weigerung der Behörden eines Mitgliedstaats, hier der Bundesrepublik Deutschland, den Namen eines eigenen Staatsangehörigen, wie er in einem zweiten Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der besagte Staatsangehörige ebenfalls besitzt, begründet wurde, in allen seinen Bestandteilen anzuerkennen, eine Beschränkung der jedem Unionsbürger durch die Art. 20 AEUV und 21 AEUV zuerkannten Freiheiten.

    D – Zur Rechtfertigung

    71.

    Zu prüfen bleibt, ob der Verstoß gegen Art. 18 AEUV und die Beschränkung der durch Art. 21 AEUV verbürgten Freizügigkeit gerechtfertigt werden können.

    72.

    Das vorlegende Gericht spricht insoweit vier Gesichtspunkte an, die die Ablehnung der Eintragung möglicherweise rechtfertigen könnten, nämlich den Grundsatz der Namenskontinuität, den Umstand, dass die Namensänderung im Vereinigten Königreich gewillkürt war, die Länge des gewählten Namens und die Abschaffung der Adelstitel.

    1. Zum Grundsatz der Namenskontinuität

    73.

    Das vorlegende Gericht führt aus, die Unzulässigkeit der gewillkürten Namensänderung nach deutschem Recht liege vornehmlich darin begründet, dass der Name als verlässliches und dauerhaftes Kennzeichnungsmerkmal zur Verfügung stehen solle.

    74.

    Der Gerichtshof hat jedoch in den Rn. 30 und 31 des Urteils Grunkin und Paul (C‑353/06, EU:C:2008:559) entschieden, dass es, „[s]o berechtigt [die Grundsätze der Sicherheit und der Kontinuität], die für die Anknüpfung der Bestimmung des Namens einer Person an deren Staatsangehörigkeit angeführt werden, als solche auch sein mögen, … doch keiner von ihnen [verdient], dass ihm eine solche Bedeutung beigemessen wird, dass er … die Weigerung der zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats rechtfertigen könnte, den [Namen der betroffenen Person] anzuerkennen, der bereits in einem anderen Mitgliedstaat bestimmt und eingetragen wurde“.

    75.

    Soweit nämlich die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit gewährleisten soll, dass der Name einer Person so bestimmt werden kann, dass Kontinuität und Stabilität gegeben sind, ist festzustellen – wie es der Gerichtshof in Rn. 32 des besagten Urteils getan hat –, dass „eine solche Anknüpfung … zum Gegenteil des angestrebten Ergebnisses führen wird“, weil Herr Bogendorff von Wolffersdorff jedes Mal, wenn er die Grenze zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland überquert, einen anderen Namen führen wird, ganz zu schweigen von der Hypothese, dass er sich etwa in einem anderen Mitgliedstaat niederließe, welchenfalls er sich frei für den einen oder den anderen Namen entscheiden könnte.

    2. Zur Freiwilligkeit der Namensänderung

    76.

    Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts geht die zwischen dem britischen und dem deutschen Reisepass von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff bestehende Namensabweichung weder auf die Umstände seiner Geburt noch auf eine Adoption oder sonstige Statusänderung zurück. Vielmehr sei sie von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff bewusst herbeigeführt worden, ohne dass er in dem Verfahren Gründe genannt hätte, die seine Namenswahl als nachvollziehbar oder gar notwendig erscheinen ließen. In Anbetracht dessen, dass die Entscheidung von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff, seinen Namen im Vereinigten Königreich zu ändern, nur von persönlichen Vorlieben geleitet worden sei, stelle sich die Frage nach ihrer Schutzwürdigkeit.

    77.

    Der Zentrale Juristische Dienst der Stadt Karlsruhe hat in der mündlichen Verhandlung darauf beharrt, dass das deutsche Recht die Möglichkeit einer freien Namenswahl, wie sie von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff im Vereinigten Königreich ergriffen worden sei, nicht vorsehe und dass die Stadt Karlsruhe dieser auch dann entgegengetreten wäre, wenn der britische Name keine Adelsbezeichnung enthalten hätte ( 26 ). In der mündlichen Verhandlung hat der Zentrale Juristische Dienst der Stadt Karlsruhe ebenfalls geltend gemacht, dass die Freiwilligkeit der Namensänderung gegen die deutsche öffentliche Ordnung verstoße, da das deutsche Recht eine derartige Änderung nicht erlaube.

    78.

    Ich teile diese Auffassung nicht, denn sie führt dazu, dass ein in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig geführter Name völlig und gleichsam automatisch ignoriert wird.

    79.

    Wie die Kommission geltend macht, ist ein Einzelner auch schutzwürdig, wenn die Änderung von Vor- und Nachname freiwillig, hier durch eine „Deed Poll“ genannte Erklärung ( 27 ), erfolgt.

    80.

    Erstens ist, wie der Gerichtshof in Rn. 52 des Urteils Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806) bereits entschieden hat, „der Name einer Person Teil ihrer Identität und ihres Privatlebens …, deren Schutz in Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und in Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten niedergelegt ist“.

    81.

    Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat insoweit Folgendes entschieden: „Auch wenn … anzuerkennen ist, dass es echte Gründe geben kann, aus denen jemand eine Namensänderung wünscht, ist zugleich anzuerkennen, dass rechtliche Beschränkungen einer solchen Möglichkeit im öffentlichen Interesse gerechtfertigt sein können, z. B. um eine genaue Erfassung der Bevölkerung sicherzustellen oder die Mittel zur persönlichen Identifizierung und zur Zuordnung der Träger eines bestimmten Namens zu einer Familie zu bewahren“ ( 28 ).

    82.

    Demzufolge kann entgegen dem Vorbringen des Zentralen Juristischen Dienstes der Stadt Karlsruhe die Freiwilligkeit der Namensänderung, die an sich nicht das Allgemeininteresse beeinträchtigt, keine Einschränkung der Art. 18 AEUV und 21 AEUV rechtfertigen.

    83.

    Zweitens sind die Einzelnen auch dann schutzwürdig, wenn sie – aus welchem Grund auch immer – die Änderung ihres Namens begehrt haben, weil die Nachteile beruflicher und privater Art, die durch das Tragen unterschiedlicher Namen in verschiedenen Mitgliedstaaten verursacht werden – wie z. B. die Schwierigkeit, in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörige sie sind, rechtliche Wirkungen von Urkunden oder Schriftstücken in Anspruch zu nehmen, die auf den Namen ausgestellt wurden, der in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt ist, dessen Staatsangehörigkeit sie ebenfalls besitzen ( 29 ) –, unabhängig davon bestehen, wie der erteilte Name erlangt wurde.

    84.

    Drittens kann es den deutschen Behörden nicht zustehen, die Anerkennung eines von einem eigenen Staatsangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig erlangten Namens allein auf der Grundlage zu verweigern, dass es sich um eine gewillkürte oder freiwillige Namensänderung handele. Das Verbot des Rechtsmissbrauchs ermöglicht es den Mitgliedstaaten, das, was die deutsche Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen als „Namenstourismus“ bezeichnet, hinlänglich zu bekämpfen.

    85.

    Wie nämlich der Gerichtshof in Rn. 24 des Urteils Centros (C‑212/97, EU:C:1999:126) entschieden hat, „ist ein Mitgliedstaat … berechtigt, Maßnahmen zu treffen, die verhindern sollen, dass sich einige seiner Staatsangehörigen unter Missbrauch der durch den [Vertrag] geschaffenen Möglichkeiten der Anwendung des nationalen Rechts entziehen; die missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf [Unionsrecht] ist nicht gestattet“.

    86.

    Dies bedeutet, dass die Weigerung, den britischen Namen von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff anzuerkennen, sofern die deutschen Behörden nicht nachweisen können, dass sich Herr Bogendorff von Wolffersdorff allein deshalb in das Vereinigte Königreich begeben und sich dort mehrere Jahre lang aufgehalten hat, um die für seine Namensänderung erforderlichen Umstände zwecks der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 48 EGBGB künstlich herbeizuführen, nicht schlicht damit gerechtfertigt werden kann, dass die Änderung auf Betreiben des Namensinhabers erfolgt sei.

    87.

    Wie die Kommission bin ich außerdem der Ansicht, dass im vorliegenden Fall kein Missbrauch vorliegt, denn bei Lektüre des Vorabentscheidungsersuchens ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht der Annahme zuneigt, dass der Lebensmittelpunkt von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff in der Zeit von 2001 bis 2005 durchaus in London gelegen habe. Seine Beziehung zum Vereinigten Königreich, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, war weder fiktiv noch missbräuchlich.

    88.

    Zum Vorbringen des Zentralen Juristischen Dienstes der Stadt Karlsruhe, dass die Freiwilligkeit der Namensänderung gegen die deutsche öffentliche Ordnung verstoße, ist zu betonen, dass zwar nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die öffentliche Ordnung eine Einschränkung der Art. 20 AEUV und 21 AEUV rechtfertigen kann ( 30 ), dieser Begriff aber nicht alle zwingenden Regeln des innerstaatlichen Rechts erfasst, die von den Einzelnen nicht abbedungen werden können. Vielmehr ist, wie der Gerichtshof in Rn. 86 des Urteils Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806) entschieden hat, „eine Berufung auf die öffentliche Ordnung nur möglich, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“.

    89.

    Mir scheint offenkundig, dass, wenn das deutsche Recht die freie Namensänderung durch gewillkürten Akt nicht erlaubt, diese Regel nicht die hohe Schwelle für die öffentliche Ordnung im Sinne des Urteils Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806) erreicht.

    3. Zur Länge des Namens

    90.

    Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts ist es auch ein Anliegen der deutschen Rechtsordnung, übermäßig lange oder zu komplizierte Familiennamen zu vermeiden. Dazu stellt es fest, dass der vom Antragsteller des Ausgangsverfahrens gewählte Name, nämlich „Peter Mark Emanuel Graf von Wolffersdorff Freiherr von Bogendorff“, gemessen an deutschen Verhältnissen ungewöhnlich lang sei.

    91.

    Eine Erwägung dieser Art kann jedoch nicht greifen. Wie der Gerichtshof in Rn. 36 des Urteils Grunkin und Paul (C‑353/06, EU:C:2008:559) entschieden hat, „[genügen d]erartige auf Verwaltungsvereinfachung ausgerichtete Erwägungen … nicht, um eine Beeinträchtigung der Freizügigkeit zu rechtfertigen“. Diese Art Erwägung ist hier somit zu verwerfen.

    4. Zur Abschaffung der Adelstitel

    92.

    Unter Verweis auf das Urteil Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806) sind der Zentrale Juristische Dienst der Stadt Karlsruhe und die deutsche Regierung der Ansicht, dass die Hinzufügung der ehemaligen Adelstitel „Graf“ und „Freiherr“ zum Familiennamen gegen die deutsche öffentliche Ordnung verstoßen dürfte, indem sie in einem nicht hinnehmbaren Widerspruch zum Grundsatz der Gleichheit aller Deutschen vor dem Gesetz und zu der in Art. 109 Abs. 3 der Weimarer Verfassung in Verbindung mit Art. 123 GG konkretisierten verfassungsrechtlichen Entscheidung, den Adel aufzuheben, stehe.

    93.

    Vorab ist festzuhalten, dass Herr Bogendorff von Wolffersdorff nicht nur die Änderung seines Familiennamens, sondern auch die seiner Vornamen von „Nabiel Peter“ in „Peter Mark Emanuel“ beantragt. Eine etwaige Rechtfertigung auf der Grundlage der Verweigerung von Adelstiteln würde somit jedenfalls nur die Änderung des Familiennamens betreffen.

    94.

    Auch ist klarzustellen, dass die im britischen Familiennamen von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff enthaltenen Wörter „Graf“ und „Freiherr“ weder nach englischem noch nach deutschem Recht Adelstitel sind. Was genauer das englische Recht betrifft, handelt es sich nicht um im Vereinigten Königreich hoheitlich verliehene Adelstitel. Was das deutsche Recht angeht, handelt es sich ebenfalls nicht um Adelstitel, da die Adelsbezeichnungen, wie Art. 109 Abs. 3 der Weimarer Verfassung klarstellt, abgeschafft sind.

    95.

    Da allerdings die Wörter „Graf“ und „Freiherr“ im Deutschen die jeweils entsprechende Bedeutung haben, ist die Argumentation der deutschen Regierung mit der Abschaffung der Adelsbezeichnungen dahin zu verstehen, dass sie auf den von diesen Wörtern hervorgerufenen Anschein adeliger Abstammung abzielt.

    96.

    Insoweit hat der Gerichtshof in Rn. 85 des Urteils Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806) entschieden, dass „[m]it der öffentlichen Ordnung verbundene objektive Erwägungen … es rechtfertigen [können], dass es ein Mitgliedstaat ablehnt, den Nachnamen eines seiner Angehörigen, wie er in einem anderen Mitgliedstaat erteilt wurde, anzuerkennen“ ( 31 ).

    97.

    In Rn. 86 jenes Urteils hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass „der Begriff der öffentlichen Ordnung, wenn er eine Ausnahme von einer Grundfreiheit rechtfertigen soll, eng zu verstehen ist, so dass seine Tragweite nicht von jedem Mitgliedstaat einseitig ohne Nachprüfung durch die Organe der Europäischen Union bestimmt werden darf … Folglich ist eine Berufung auf die öffentliche Ordnung nur möglich, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt …“ ( 32 ).

    98.

    Da die Aufhebung des Adels die Ausführung des durch Art. 109 Abs. 1 der Weimarer Verfassung aufgestellten allgemeineren Grundsatzes der Gleichheit aller deutschen Staatsbürger vor dem Gesetz darstellt und der Gerichtshof bereits festgestellt hat, dass „[d]ie Unionsrechtsordnung … unbestreitbar darauf ab[zielt], den Gleichheitsgrundsatz als allgemeinen Rechtsgrundsatz zu wahren[; wobei d]ieser Grundsatz … auch in Art. 20 der Charta der Grundrechte niedergelegt [ist]“ ( 33 ), könnte geltend gemacht werden, dass die Eintragung eines in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Namens, der Wörter umfasst, die ehemalige Adelsbezeichnungen aufgreifen, in einer Republik gegen deren öffentliche Ordnung verstößt.

    99.

    Wie ich jedoch bereits in Nr. 177 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Gazprom (C‑536/13, EU:C:2014:2414) dargelegt habe, betrifft der Begriff der öffentlichen Ordnung „Vorschriften und Werte …, deren Verletzung das am Gerichtsstand der Anerkennung und Vollstreckung geltende Recht nicht dulden kann, weil diese Verletzung aus der Sicht eines freien und demokratischen Rechtsstaats nicht hinnehmbar wäre“.

    100.

    Dies bedeutet, dass eine Norm, damit sie eine Norm der öffentlichen Ordnung ist, eine zwingende Regel sein muss, die für die betreffende Rechtsordnung so grundlegend ist, dass im Kontext der betreffenden Rechtssache keinerlei Abweichung von ihr geduldet werden könnte.

    101.

    Wie aber das vorlegende Gericht ausführt, enthält die deutsche Rechtsordnung, insbesondere Art. 109 Abs. 3 der Weimarer Verfassung, im Unterschied zur österreichischen Rechtsordnung, um die es im Urteil Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806) ging, kein strenges Verbot der Beibehaltung von Adelsbezeichnungen.

    102.

    Im Gegenteil sieht zwar die genannte Bestimmung der Weimarer Verfassung vor, dass „[ö]ffentlich-rechtliche Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes … aufzuheben [sind]“, fügt aber hinzu, dass „Adelsbezeichnungen … nur als Teil des Namens [gelten]“. Nach der deutschen Praxis sind Adelsbezeichnungen nur erlaubt, wenn sie hinter den Vornamen gestellt werden ( 34 ).

    103.

    Unter diesen Umständen ist mir weder ersichtlich, wie der britische Name von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff, also „Peter Mark Emanuel Graf von Wolffersdorff Freiherr von Bogendorff“, gegen die deutsche öffentliche Ordnung verstoßen könnte, noch, wie von einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung der öffentlichen Ordnung die Rede sein könnte, da Adelsbezeichnungen trotz ihrer Abschaffung unter den in Art. 109 Abs. 3 der Weimarer Verfassung und der Rechtsprechungspraxis vorgesehenen engen Voraussetzungen als Familiennamen überdauern können.

    104.

    Entweder laufen die Adelsbezeichnungen als solche der öffentlichen Ordnung zuwider und ihr Tragen ist verboten, wie es in Österreich der Fall ist, und zwar für alle Deutschen, oder sie laufen der öffentlichen Ordnung nicht zuwider und können von allen Deutschen als Familiennamen benutzt werden, indem sie dem Vornamen nachgestellt werden, anstatt sie wie bis 1918 voranzustellen.

    105.

    Dies war auch die Ansicht des Oberlandesgerichts Dresden, das mit seinem Beschluss vom 6. Juli 2011 die Behörden der Stadt Chemnitz anwies, die Tochter von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff unter ihrem britischen Namen, also „Larissa Xenia Gräfin von Wolffersdorff Freiin von Bogendorff“, einzutragen ( 35 ). Wenn dies hinsichtlich der Tochter nicht gegen die öffentliche Ordnung verstößt, kann ich nicht erkennen, wie es in Bezug auf ihren Vater der Fall sein könnte.

    106.

    In meiner Auffassung bestärkt fühle ich mich durch die vagen Antworten, die die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung auf meine Fragen gegeben hat, die anhand hypothetischer Beispiele klären sollten, ob ein ausländischer Name mit echten ausländischen Adelsbezeichnungen oder Wörtern, die auf Deutsch eine Adelsbezeichnung bedeuten, ohne diese Wirkung in der ausländischen Sprache zu haben, gegen die deutsche öffentliche Ordnung verstieße. Die deutsche Regierung hat keine genauen Antworten gegeben, sondern darauf beharrt, dass die Antwort vom konkreten Einzelfall abhänge. Wenn aber das Verbot der Benutzung von Adelsbezeichnungen wirklich eine Sache der deutschen öffentlichen Ordnung wäre, hätte die Antwort leicht und für die hypothetischen Fälle gleich ausfallen müssen.

    107.

    Zudem läuft die Argumentation der deutschen Regierung darauf hinaus, die Benutzung von Adelsbezeichnungen unter den oben genannten Bedingungen allein den unter dem deutschen Reich bis 1918 verliehenen echten Bezeichnungen vorzubehalten, und zwar um gegen falsche, von Einzelnen erfundene Bezeichnungen vorzugehen. Wiewohl die tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung schwer nachzuweisen ist und obgleich nach den Ausführungen der deutschen Regierung der Name, der eine solche „falsche Bezeichnung“ enthält, von den nachfolgenden Generationen rechtmäßig geführt werden könnte, wäre es im Licht der Werte der Demokratie und der Gleichheit, von denen die Weimarer Verfassung, insbesondere ihr Art. 109, inspiriert war und die nach Aussage der deutschen Regierung die republikanische Ordnung ( 36 ) schützen sollen, paradox, mit dem Schutz der echten Adelsbezeichnungen zu argumentieren.

    108.

    Vor diesem Hintergrund bin ich der Ansicht, dass die Rechtfertigung mit der Abschaffung der Adelsbezeichnungen zu verwerfen ist.

    VI – Ergebnis

    109.

    Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Amtsgerichts Karlsruhe wie folgt zu beantworten:

    Die Art. 18 AEUV, 20 AEUV und 21 AEUV sind dahin auszulegen, dass die Behörden eines Mitgliedstaats verpflichtet sind, die Namensänderung eines Angehörigen dieses Mitgliedstaats anzuerkennen, wenn dieser zugleich Angehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist und in diesem Mitgliedstaat einen frei gewählten und mehrere Adelsbezeichnungen enthaltenden Namen erworben hat, sofern das nationale Recht des erstgenannten Mitgliedstaats, obwohl es die Adelsbezeichnungen abgeschafft hat, ihre Verwendung innerhalb des Familiennamens erlaubt.


    ( 1 ) Originalsprache: Französisch.

    ( 2 ) Ich werde in den vorliegenden Schlussanträgen Vor- und Nachnamen des Antragstellers im Verfahren vor dem vorlegenden Gericht verwenden, also „Nabiel Peter Bogendorff von Wolffersdorff“.

    ( 3 ) Siehe The London Gazette vom 8. November 2004, S. 14113; abrufbar auf der Webseite: https://www.thegazette.co.uk/notice/L-57458-1018.

    ( 4 ) 17 W 0465/11.

    ( 5 ) Urteil Runevič-Vardyn und Wardyn (C‑391/09, EU:C:2011:291, Rn. 63). Vgl. auch Urteile Garcia Avello (C‑148/02, EU:C:2003:539, Rn. 25), Grunkin und Paul (C‑353/06, EU:C:2008:559, Rn. 16) sowie Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806, Rn. 38).

    ( 6 ) Vgl. Urteile Uecker und Jacquet (C‑64/96 und C‑65/96, EU:C:1997:285, Rn. 23), Garcia Avello (C‑148/02, EU:C:2003:539, Rn. 26) sowie Grunkin und Paul (C‑353/06, EU:C:2008:559, Rn. 16).

    ( 7 ) Urteil Garcia Avello (C‑148/02, EU:C:2003:539, Rn. 31). Vgl. ebenfalls in diesem Sinne Urteile National Farmers’ Union u. a. (C‑354/95, EU:C:1997:379, Rn. 61), SCAC (C‑56/94, EU:C:1995:209, Rn. 27) sowie Codorniu/Rat (C‑309/89, EU:C:1994:197, Rn. 26).

    ( 8 ) Vgl. Nrn. 29 bis 31 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 9 ) Vgl. Art. 5 Abs. 1 EGBGB.

    ( 10 ) Vgl. Urteil Garcia Avello (C‑148/02, EU:C:2003:539, Rn. 6 bis 8 und 32).

    ( 11 ) Ebd. (Rn. 34).

    ( 12 ) Ebd. (Rn. 37).

    ( 13 ) Vgl. Nrn. 71 bis 105 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 14 ) Vgl. Nr. 39 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 15 ) Vgl. Urteile De Cuyper (C‑406/04, EU:C:2006:491, Rn. 39), Nerkowska (C‑499/06, EU:C:2008:300, Rn. 32), Grunkin und Paul (C‑353/06, EU:C:2008:559, Rn. 21), Runevič-Vardyn und Wardyn (C‑391/09, EU:C:2011:291, Rn. 67 und 68) sowie Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806, Rn. 53).

    ( 16 ) Vgl. Urteile Grunkin und Paul (C‑353/06, EU:C:2008:559, Rn. 21 und 22) sowie Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806, Rn. 54).

    ( 17 ) Vgl. Urteile Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806, Rn. 52) und Runevič-Vardyn und Wardyn (C‑391/09, EU:C:2011:291, Rn. 66). Für die Rechtsprechung zum Schutz des Namens einer Person durch Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vgl. EGMR, Urteile Burghartz/Schweiz, 22. Februar 1994, § 24, Series A Nr. 280-B, und Stjerna/Finnland, 25. November 1994, § 37, Series A Nr. 299-B.

    ( 18 ) Urteil Garcia Avello (C‑148/02, EU:C:2003:539, Rn. 36). Vgl. ebenfalls in diesem Sinne Urteil Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806, Rn. 55).

    ( 19 ) Urteile Grunkin und Paul (C‑353/06, EU:C:2008:559, Rn. 25) sowie Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806, Rn. 61). Vgl. ebenfalls in diesem Sinne Urteil Runevič-Vardyn und Wardyn (C‑391/09, EU:C:2011:291, Rn. 73).

    ( 20 ) Urteile Grunkin und Paul (C‑353/06, EU:C:2008:559, Rn. 26 und 28) sowie Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806, Rn. 55 und 69).

    ( 21 ) Urteil Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806, Rn. 65).

    ( 22 ) Urteil Runevič-Vardyn und Wardyn (C‑391/09, EU:C:2011:291, Rn. 76) unter Bezugnahme auf die Urteile Garcia Avello (C‑148/02, EU:C:2003:539, Rn. 36), Grunkin und Paul (C‑353/06, EU:C:2008:559, Rn. 23 bis 28) sowie Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806, Rn. 67, 69, 70).

    ( 23 ) Urteil Runevič-Vardyn und Wardyn (C‑391/09, EU:C:2011:291, Rn. 77). Vgl. ebenfalls in diesem Sinne Urteil Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806, Rn. 70).

    ( 24 ) Urteil Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806, Rn. 67).

    ( 25 ) Urteil Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806, Rn. 68).

    ( 26 ) So hat der Vertreter des Zentralen Juristischen Dienstes der Stadt Karlsruhe darauf hingewiesen, dass die Argumente genau die gleichen wären, wenn es hier um eine Änderung des Nachnamens von Ramirez in Schröder ginge.

    ( 27 ) Vgl. Nr. 14 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 28 ) Urteil Stjerna/Finnland, 25. November 1994, § 39, Series A Nr. 299-B.

    ( 29 ) Vgl. Urteile Garcia Avello (C‑148/02, EU:C:2003:539, Rn. 36) sowie Grunkin und Paul (C‑353/06, EU:C:2008:559, Rn. 22 und 23).

    ( 30 ) Vgl. Urteil Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806, Rn. 85 und 86). Vgl. Nrn. 96 und 97 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 31 ) Vgl. ebenfalls in diesem Sinne Urteil Grunkin und Paul (C‑353/06, EU:C:2008:559, Rn. 29).

    ( 32 ) Hervorhebung nur hier. Vgl. ebenfalls in diesem Sinne Urteile Église de scientologie (C‑54/99, EU:C:2000:124, Rn. 17) und Omega (C‑36/02, EU:C:2004:614, Rn. 30).

    ( 33 ) Urteil Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806, Rn. 89).

    ( 34 ) Vgl. Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 6. Juli 2011 (angeführt in Nr. 18 der vorliegenden Schlussanträge).

    ( 35 ) Vgl. Nr. 18 der vorliegenden Schlussanträge. Hervorhebung nur hier.

    ( 36 ) Wie es von der deutschen Regierung in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden ist.

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