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Document 62014CC0306

    Schlussanträge des Generalanwalts Y. Bot vom 4. Juni 2015.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2015:367

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    YVES BOT

    vom 4. Juni 2015 ( 1 )

    Rechtssache C‑306/14

    Direktor na Agentsia „Mitnitsi“

    gegen

    Biovet AD

    (Vorabentscheidungsersuchen des Varhoven administrativen sad [Bulgarien])

    „Richtlinie 92/83/EWG — Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke — Art. 27 Abs. 1 Buchst. d — Art. 27 Abs. 2 Buchst. d — Befreiung von der harmonisierten Verbrauchsteuer — Ethylalkohol — Verwendung für die Herstellung von Arzneimitteln — Reinigung und Desinfektion“

    1. 

    Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 27 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 92/83/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke ( 2 ).

    2. 

    Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Direktor na Agentsia „Mitnitsi“ (Direktor der Zollagentur, im Folgenden: Direktor) und Biovet AD (im Folgenden: Biovet) über die Anwendung der harmonisierten Verbrauchsteuer auf Ethylalkohol, der von Letzterer zur Reinigung und Desinfektion von technischen Geräten, Produktionsanlagen, Reinräumen sowie Arbeitsflächen im Rahmen ihrer Tätigkeit zur Herstellung von Arzneimitteln verwendet worden war.

    I – Rechtlicher Rahmen

    A – Unionsrecht

    3.

    Die Erwägungsgründe 19 und 20 der Richtlinie 92/83 lauten:

    „Auf Gemeinschaftsebene ist festzulegen, welche Befreiungen auf Waren, die von einem Mitgliedstaat in einen anderen verbracht werden, anwendbar sind.

    Den Mitgliedstaaten kann jedoch die Möglichkeit eingeräumt werden, Befreiungen für Waren, die in ihrem Hoheitsgebiet ihrer endgültigen Verwendung zugeführt werden, anzuwenden.“

    4.

    Nach Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie erheben die Mitgliedstaaten eine Verbrauchsteuer auf Ethylalkohol.

    5.

    Abschnitt VII der Richtlinie („Steuerbefreiungen“) sieht obligatorische (Art. 27 Abs. 1) und fakultative (Art. 27 Abs. 2) Steuerbefreiungen vor.

    6.

    Im Rahmen der obligatorischen Steuerbefreiungen bestimmt Art. 27 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 92/83:

    „Die Mitgliedstaaten befreien die von dieser Richtlinie erfassten Erzeugnisse von der harmonisierten Verbrauchsteuer nach Maßgabe von Bedingungen, die sie zur Sicherstellung einer korrekten und einfachen Anwendung solcher Steuerbefreiungen sowie zur Vermeidung von Steuerflucht, Steuerhinterziehung oder Missbrauch festlegen, sofern die betreffenden Erzeugnisse

    d)

    zur Herstellung von Arzneimitteln im Sinne der Richtlinie 65/65/EWG[ ( 3 )] verwendet werden“.

    7.

    Im Rahmen der fakultativen Steuerbefreiungen lautet Art. 27 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 92/83:

    „Die Mitgliedstaaten können die von dieser Richtlinie erfassten Erzeugnisse von der harmonisierten Verbrauchsteuer nach Maßgabe von Bedingungen befreien, die sie zur Sicherstellung einer korrekten und einfachen Anwendung solcher Steuerbefreiungen sowie zur Vermeidung von Steuerflucht, Steuerhinterziehung oder Missbrauch festlegen, sofern die betreffenden Erzeugnisse

    d)

    in einem Herstellungsverfahren verwendet werden und das Endprodukt keinen Alkohol enthält“.

    B – Bulgarisches Recht

    8.

    Nach Art. 22 Abs. 4 Nr. 4 des Gesetzes über Verbrauchsteuern und Steuerlager (Zakon za aktsizite i danachnite skladove) ( 4 ) in der zum Zeitpunkt des Sachverhalts geltenden Fassung ( 5 ), wird die auf Alkohol und alkoholische Getränke entrichtete Verbrauchsteuer zurückerstattet, wenn diese in einem Herstellungsverfahren verwendet werden und das Endprodukt keinen Alkohol enthält.

    9.

    Art. 22 Abs. 7 ZADS stellt klar, dass im Rahmen von Abs. 3 und von Abs. 4 Nr. 4 dieses Artikels Alkohol und alkoholische Getränke, die als Reinigungsmittel verwendet werden, nicht als in einem Herstellungsverfahren eingesetzt oder verwendet gelten.

    II – Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

    10.

    Biovet stellt Arzneimittel her und handelt mit veterinärmedizinischen Produkten, Mitteln für die Landwirtschaft sowie Humanarzneimitteln.

    11.

    Im Rahmen ihrer Tätigkeit verwendet Biovet Ethylalkohol in Form einer 70%igen wässrigen Lösung von Ethanol zur Reinigung und Desinfektion von technischen Geräten, Produktionsanlagen sowie Arbeitsräumen und ‑flächen.

    12.

    Am 14. September 2012 beantragte Biovet die Rückerstattung entrichteter Verbrauchsteuer auf 271 Liter Ethylalkohol, der in der Zeit vom 1. bis zum 31. August 2012 zu diesen Zwecken verwendet worden war.

    13.

    Durch Entscheidung des Nachalnik na Mitnitsa Plovdiv (Leiter des Zollamts der Stadt Plovdiv) wurde die Steuerrückerstattung versagt. Diese Entscheidung wurde im Verwaltungsweg angefochten und durch eine Entscheidung des Direktors bestätigt.

    14.

    Gegen diese Entscheidung erhob Biovet Klage vor dem Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht Sofia-Stadt, Bulgarien).

    15.

    Dieses Gericht holte ein Gutachten ein, aus dem hervorgeht, dass Biovet für die Desinfektion ihrer Räume, Maschinen und Anlagen vor allem eine 70%ige wässrige Lösung von Ethanol verwendet. Nach dem Gutachten dient die Desinfektion dem Abtöten der nach dem Auswaschen verbliebenen Mikroorganismen und insbesondere der pathogenen Mikroorganismen, die aufgrund der Anforderungen an den Keimgehalt von Arzneimitteln nicht vorhanden sein dürfen. Dem Gutachten zufolge entsprechen die von Biovet vorgenommenen Handlungen den Anforderungen an die gute Herstellungspraxis für Arzneimittel. Außerdem werde 70%iger Ethylalkohol als Desinfektionsmittel bei der Herstellung von Arzneimitteln anderen Mitteln vorgezogen, besonders, weil er in toxikologischer Hinsicht am wenigsten schädlich sei und eine schnellere Desinfektion erlaube als die anderen Produkte.

    16.

    Der Administrativen sad Sofia-grad befand, dass die Reinigung und die Desinfektion verschiedene Verfahren oder Tätigkeiten darstellten und Teil des Herstellungsverfahrens eines Endprodukts seien, das keinen Alkohol enthalte, so dass die für den zur Desinfektion verwendeten Alkohol entrichtete Verbrauchsteuer gemäß Art. 22 Abs. 4 ZADS zu erstatten sei und Abs. 7 dieses Artikels nicht einschlägig sei.

    17.

    Die Entscheidung des Administrativen sad Sofia-grad wurde vom Direktor vor dem vorlegenden Gericht angefochten.

    18.

    Unter diesen Umständen hat der Varhoven administrativen sad (Oberster Verwaltungsgerichtshof) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1.

    Welche Bedeutung hat der Begriff ‚Herstellungsverfahren‘ in Art. 27 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 92/83, und umfasst dieser Begriff die Reinigung und/oder die Desinfektion als Verfahren zum Erreichen bestimmter Sauberkeitsstufen, die von der guten Herstellungspraxis für Arzneimittel vorgeschrieben sind?

    2.

    Lässt es Art. 27 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 92/83 zu, dass, nachdem die Mitgliedstaaten gesetzlich die Befreiung von Alkohol von der harmonisierten Verbrauchsteuer unter der Voraussetzung festgelegt haben, dass dieser in einem Herstellungsverfahren verwendet wird und das Endprodukt keinen Alkohol enthält, eine Rechtsvorschrift eingeführt wird, wonach für die Zwecke der Anwendung dieser Befreiung der zur Reinigung verwendete Alkohol nicht als im Herstellungsverfahren eingesetzt gilt?

    3.

    Ist es im Hinblick auf die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes zulässig, wenn eine Fiktion wie die in Art. 22 Abs. 7 ZADS festgelegte mit sofortiger Wirkung (d. h. ohne einen angemessenen Zeitraum für die Umstellung des Verhaltens der Marktteilnehmer) angeordnet wird, die bei einer vom Mitgliedstaat nach seinem Ermessen eingeführten Befreiung von der Verbrauchsteuer die Rückerstattung der Steuer auf als Reinigungsmittel verwendeten Alkohol einschränkt?

    III – Würdigung

    19.

    Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen vom Gerichtshof wissen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Befreiung unter die fakultativen Steuerbefreiungen nach Art. 27 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 92/83 fällt, die sich auf Ethylalkohol beziehen, der in einem Herstellungsverfahren verwendet wird, sofern das Endprodukt keinen Alkohol enthält.

    20.

    Wie die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausführt, bezweifeln weder das vorlegende Gericht noch die Parteien des Ausgangsverfahrens, dass nicht denaturierter Alkohol, der zur Reinigung und Desinfektion der Geräte zur Herstellung von Arzneimitteln dient, nicht der obligatorischen Steuerbefreiung nach Art. 27 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 92/83 unterfällt, die durch Art. 22 Abs. 3 Nr. 2 ZADS in nationales Recht umgesetzt wurde.

    21.

    Zur Erinnerung: Art. 27 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie sieht eine obligatorische Steuerbefreiung für Ethylalkohol vor, der „zur Herstellung von Arzneimitteln im Sinne der Richtlinie 65/65 … verwendet [wird]“.

    22.

    Wie die Kommission ausgeführt hat, würde sich die Frage einer fakultativen Steuerbefreiung nicht stellen, wenn die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Befreiung eine obligatorische nach Art. 27 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 92/83 wäre.

    23.

    Die Kommission geht insoweit davon aus, dass die in dieser Regelung vorgesehene obligatorische Steuerbefreiung restriktiv auszulegen ist. Die Bestimmung solle die Fälle einschließen, in denen der Alkohol als in die Zubereitung des Arzneimittels eingehender Bestandteil unmittelbar der „Herstellung von Arzneimitteln“ diene, was nicht der Fall sei, wenn der Alkohol zur Reinigung von Maschinen diene.

    24.

    Zur Untermauerung dieser Auslegung beruft sich die Kommission auf ein von ihr erstelltes Arbeitsdokument ( 6 ). Die Kommission stützt sich ferner auf den Aufbau des Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 92/83 und trägt vor, dessen Buchst. d sei im Zusammenhang mit den Buchst. c und e zu lesen. Unter Hinweis auf Art. 27 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie, der eine Steuerbefreiung für Alkohol vorsieht, der „zur Herstellung von Essig im Sinne des KN-Codes 2209 verwendet [wird]“, verweist die Kommission insoweit darauf, dass der Alkohol, einschließlich Wein, unmittelbar in die Herstellung von Essig einfließe. Außerdem führt die Kommission bezüglich Art. 27 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie, der die Befreiung für Alkohol regelt, der „zur Herstellung von Aromen für die Bereitung von Lebensmitteln und nichtalkoholischen Getränken mit einem Alkoholgehalt von höchstens 1,2 % vol. verwendet [wird]“, aus, dass der Alkohol grundsätzlich als Lösungsmittel verwendet werde.

    25.

    Schließlich entspricht der Kommission zufolge diese Auslegung dem Ziel, das nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs mit den in der Richtlinie 92/83 vorgesehenen Steuerbefreiungen verfolgt wird, nämlich „u. a. … die Auswirkungen der Verbrauchsteuern auf Alkohol als bei der Herstellung anderer Handels‑ oder Industrieerzeugnisse verwendetes Zwischenerzeugnis zu neutralisieren“ ( 7 ).

    26.

    Die von der Kommission vertretene Auslegung überzeugt mich nicht. Meiner Ansicht nach ist die vorliegende Rechtssache im Hinblick auf Art. 27 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 92/83 zu prüfen, und zwar aus den folgenden Gründen.

    27.

    Erstens ist der Wortlaut dieser Bestimmung allgemein formuliert. Die Formulierung, dass der Alkohol „zur Herstellung von Arzneimitteln“ verwendet wird, drückt an sich nicht aus, dass der verwendete Alkohol in die Zusammensetzung des Arzneimittels eingehen muss. Wenn der Unionsgesetzgeber diese Vorstellung hätte ausdrücken wollen, so hätte er klargestellt, dass dieser Fall der Steuerbefreiung für Alkohol gilt, der „in der Zusammensetzung eines Arzneimittels“ oder „als Bestandteil, der in die Zubereitung eines Arzneimittels eingeht“, verwendet wird.

    28.

    Zweitens überzeugt mich das auf den Aufbau von Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 92/83 gestützte Argument nicht. Auch wenn nämlich die Buchst. c, e und f dieser Bestimmung Fälle betreffen, in denen der Alkohol in der Zusammensetzung des Endprodukts vorhanden ist, so ist dies nicht der Fall bei den Buchst. a und b. Jedenfalls könnte Art. 27 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 92/83 sehr wohl die einzige Vorschrift sein, die sich auf Fälle bezieht, in denen Alkohol für die Herstellung eines Produkts verwendet wird, ohne dass sich der Alkohol unbedingt in dessen Zusammensetzung befindet.

    29.

    Im Übrigen erscheint die Annahme abwegig, dass in dem vom Unionsgesetzgeber geschaffenen System eine klare Trennung bestehen soll zwischen den obligatorischen Steuerbefreiungen, die nur Alkohol betreffen, der in die Zusammensetzung des Endprodukts eingeht, einerseits und den fakultativen Steuerbefreiungen, die nur die Fälle betreffen sollen, in denen der Alkohol nicht in die Zusammensetzung des Endprodukts eingeht, andererseits. Es reicht diesbezüglich aus, beispielsweise Art. 27 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 92/83 heranzuziehen, der eine fakultative Steuerbefreiung für Alkohol vorsieht, der „für medizinische Zwecke in Krankenhäusern und Apotheken“ verwendet wird. Dies kann nicht nur Alkohol betreffen, der in einer Apotheke zur Desinfektion des Materials oder zur allgemeinen Reinigung ihrer Räume verwendet wird, sondern auch Alkohol, der als Bestandteil von in der Apotheke zubereiteten Arzneimitteln (formula magistralis oder officinalis) verwendet wird.

    30.

    Drittens bestätigt das mit den in der Richtlinie 92/83 vorgesehenen Steuerbefreiungen verfolgte Ziel, so wie es vom Gerichtshof formuliert wurde ( 8 ), meiner Ansicht nach, dass die von dieser Richtlinie vorgesehenen Steuerbefreiungen nicht nur Alkohol als Zwischenprodukt betreffen, das in die Zusammensetzung anderer Handels- oder Industrieerzeugnisse eingeht. Die Verwendung des Ausdrucks „u. a.“ ist diesbezüglich aufschlussreich. Er drückt die Vorstellung aus, die vom Gerichtshof im Urteil Italien/Kommission ( 9 ) formuliert wurde, nach der „die Richtlinie bestimmte Befreiungen vor[sieht], die zumeist die Auswirkungen der Verbrauchsteuern auf Alkohol als bei der Herstellung anderer Handels- oder Industrieerzeugnisse verwendetes Zwischenerzeugnis neutralisieren sollen“ ( 10 ).

    31.

    Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich meines Erachtens, dass die Steuerbefreiungen in der Richtlinie 92/83, sowohl im Rahmen von Art. 27 Abs. 1 als auch von Art. 27 Abs. 2 die Auswirkungen der Verbrauchsteuern nicht nur auf Alkohol als Zwischenerzeugnis neutralisieren sollen, das in die Zusammensetzung anderer Handels- oder Industrieerzeugnisse eingeht, sondern auch auf Alkohol, der zu anderen Zwecken verwendet wird, die in diesen beiden Bestimmungen aufgezählt sind.

    32.

    Es scheint mir daher richtig, Art. 27 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 92/83 dahin auszulegen, dass er darauf abzielt, die Auswirkungen der harmonisierten Verbrauchsteuern auf Alkohol, der zur Herstellung von Arzneimitteln verwendet wird, zu neutralisieren, unabhängig davon, ob dieser Alkohol in der Zusammensetzung der Arzneimittel vorhanden ist oder zur Herstellung von Arzneimitteln nötig ist.

    33.

    Als Ausnahmen vom Grundsatz der harmonisierten Verbrauchsteuer sollten diese Steuerbefreiungen zwar restriktiv ausgelegt werden. Jedoch geht es hier wohl um etwas anderes. Es muss entschieden werden, ob der vom vorlegenden Gericht unterbreitete Fall in den Bereich der obligatorischen oder der fakultativen Steuerbefreiungen fällt. Meiner Ansicht nach sollte das Erfordernis der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts den Gerichtshof im Zweifel dazu bringen, den auf Unionsebene definierten obligatorischen Steuerbefreiungen den Vorrang zu geben; dies gilt um so mehr, als sich die obligatorischen Steuerbefreiungen ausdrücklich auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Kategorie von Erzeugnissen beziehen, nämlich Arzneimittel. Art. 27 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 92/83 hat daher gegenüber Art. 27 Abs. 2 Buchst. d den Charakter einer lex specialis. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass der Gerichtshof mehrfach Gelegenheit hatte, darauf hinzuweisen, dass „bei den von Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 92/83 erfassten Erzeugnissen die Steuerbefreiung die Regel und die Versagung einer solchen Befreiung die Ausnahme ist“ ( 11 ).

    34.

    Nach alledem bin ich der Ansicht, dass der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens in den Anwendungsbereich von Art. 27 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 92/83 fällt und nicht in den Anwendungsbereich ihres Art. 27 Abs. 2 Buchst. d.

    35.

    Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort für die Beilegung des Rechtsstreits zu geben, ist darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass ein nationales Gericht eine Vorlagefrage formal unter Bezugnahme auf bestimmte Vorschriften des Unionsrechts formuliert hat, den Gerichtshof nicht daran hindert, diesem Gericht unabhängig davon, worauf es in seinen Fragen Bezug genommen hat, alle Auslegungshinweise zu geben, die ihm bei der Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache von Nutzen sein können. Der Gerichtshof hat insoweit aus dem gesamten vom nationalen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen ( 12 ).

    36.

    Ich schlage dem Gerichtshof vor, für Recht zu erkennen, dass Art. 27 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 92/83 dahin auszulegen ist, dass Ethylalkohol, der zur Desinfektion von Anlagen und Geräten verwendet wird, mit denen ein Unternehmen Arzneimittel herstellt, als „zur Herstellung von Arzneimitteln“ im Sinne dieser Bestimmung verwendet gilt.

    37.

    Nach der Vorlageentscheidung steht fest, dass Biovet die Erstattung der geleisteten Verbrauchsteuer auf Ethylalkohol, der zur Desinfektion von Anlagen und Geräten verwendet wurde, im Rahmen der Herstellung von Arzneimitteln verlangt.

    38.

    Diesbezüglich geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass zur Desinfektion chemische Mittel einschließlich Ethylalkohol eingesetzt werden, um die Zahl der Mikroorganismen auf ein Minimum zu reduzieren, so dass diese kein Risiko für die Qualität und die Unschädlichkeit der hergestellten Arzneimittel mehr darstellen.

    39.

    Die Desinfektion der Arbeitsräume und ‑flächen unter Einsatz von Ethylalkohol ist somit ein unerlässlicher Schritt bei der Herstellung von Arzneimitteln, ohne den es nicht möglich wäre, das Fehlen unerwünschter pathogener Mikroorganismen in den Arzneimitteln sicherzustellen.

    40.

    Mit anderen Worten ist ein Verfahren zur Herstellung von Arzneimitteln ohne Desinfektion der verwendeten Anlagen und Geräte undenkbar. Da die Desinfektion ein wesentlicher Bestandteil der Herstellung von Arzneimitteln ist, ist der hierfür eingesetzte Ethylalkohol notwendigerweise als „zur Herstellung von Arzneimitteln“ im Sinne von Art. 27 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 92/83 verwendet anzusehen.

    41.

    Daher hat das vorlegende Gericht die nationale Bestimmung zur Umsetzung von Art. 27 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 92/83 anzuwenden und sie so auszulegen, dass die obligatorische Steuerbefreiung des von Biovet im Rahmen der Herstellung von Arzneimitteln zur Desinfektion der Anlagen und Geräte verwendeten Ethylalkohols tatsächlich sichergestellt wird.

    42.

    In der mündlichen Verhandlung wurde eine andere Fallgestaltung erwähnt, die meiner Ansicht nach den von mir dem Gerichtshof unterbreiteten Lösungsvorschlag bestätigt. Es handelt sich um den Fall der Verwendung von Ethylalkohol zum Extrahieren von Wirkstoffen. Wie die Kommission selbst erkannt hat, besteht in diesem Fall kein Zweifel daran, dass dieser Alkohol zur Zubereitung von Arzneimitteln dient, die diesen Wirkstoff enthalten. Der Alkohol ist auch dort als „zur Herstellung von Arzneimitteln“ verwendet im Sinne von Art. 27 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 92/83 anzusehen, obwohl er nicht in die Zusammensetzung des Arzneimittels eingeht.

    IV – Ergebnis

    43.

    Nach alledem schlage ich vor, dem Varhoven administrativen sad wie folgt zu antworten:

    Art. 27 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 92/83/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke ist dahin auszulegen, dass Ethylalkohol, der zur Desinfektion von Anlagen und Geräten verwendet wird, mit denen ein Unternehmen Arzneimittel herstellt, als „zur Herstellung von Arzneimitteln“ im Sinne dieser Bestimmung verwendet gilt.


    ( 1 )   Originalsprache: Französisch.

    ( 2 )   ABl. L 316, S. 21.

    ( 3 )   Richtlinie des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. L 22, S. 369).

    ( 4 )   DV Nr. 91 vom 15. November 2005.

    ( 5 )   DV Nr. 54 vom 17. Juli 2012, im Folgenden: ZADS.

    ( 6 )   Dokument CED Nr. 283 (XXI/1968/98).

    ( 7 )   Vgl. insbesondere Urteil Repertoire Culinaire (C‑163/09, EU:C:2010:752, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 8 )   Vgl. oben, Nr. 25.

    ( 9 )   C‑482/98, EU:C:2000:672.

    ( 10 )   Rn. 4. Hervorhebung nur hier.

    ( 11 )   Urteil Repertoire Culinaire (C‑163/09, EU:C:2010:752, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung.

    ( 12 )   Vgl. insbesondere Urteil Essent Energie Productie (C‑91/13, EU:C:2014:2206, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

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